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1 ÜBER JOHN RAWLS’ POLITISCHEN LIBERALISMUS Zur Rolle des Vernünftigen in Rawls' Begründung einer politischen Gerechtigkeitstheorie Thomas M. Besch Department of Philosophy The University of Sydney Sydney, NSW 2006, Australia thomas.besch@sydney.edu.au Published 1998 by Peter Lang, Frankfurt am Main. ISBN 978-3-631-32253-6 Note: pagination differs from the published version © Thomas M. Besch 2 INHALT I. Einleitung I.I. Annäherung 4 1.2. Zum Ansatz 12 1.3. Politische Konzeptionen und umfassende Lehren 23 II. Über vernünftige umfassende Lehren II. 1. Jean Hamptons Dilemma 34 II.2. Rawls' Kriterium der Vernünftigkeit umfassender Lehren 41 II.3. Vertiefung 47 II.4. Eine alternative Interpretation? 52 III. Vernünftigkeit und nicht-politische Werte III. 1. Vorüberlegung 56 III.2. Zum Begriff vernünftiger Akzeptabilität 62 III.3. Die Bürden des Urteilens und vernünftige Meinungsverschiedenheiten 69 III.4. Zur Redundanz eines übergreifenden Konsenses 79 3 IV. Zwischenreflexion IV. 1. Zum Gehalt von Rawls' politischer Tugend 86 IV.2. Eine Hypothese 82 IV.3. Politischer Konstruktivismus? 100 IV.4. Metatheoretischer Aristotelismus? 105 V. Legitimität, Liberalität und Faktizität V. 1. Zur Struktur politischer Legitimität 112 V.2. Zum Status faktischer moralischer Akzeptanz 120 V.3. Politischer Liberalismus 129 VI. Zur Deutung des tugendethischen Arguments VI. 1. Vorüberlegung: Rawls' Trilemma 136 VI.2. Rawls' Adressatenrestriktion 141 VI.3. Normative Folgelasten 148 VII. Legitimität und Disharmonien praktischer Vernunft VII.l. Welchen Weg kann eine Kritik gehen? 156 VII.2. Welcher Begriff des Vernünftigen? 164 VII.3. Eine Erweiterung der Struktur politischer Legitimität 171 VII.4. Disharmonien praktischer Vernunft 177 VII.5. Abschluß und Rückblick 186 Literatur 193 4 I. EINLEITUNG I.1. Annäherung Seit einigen Jahren arbeitet Rawls am "politischen" Umbau der Gerechtigkeitstheorie, die er in A Theory of Justice ausarbeitete.1 Sein Ansatz - Gerechtigkeit als Fairneß (i.f.: "GF") – schien zunächst den Charakter einer universalistischen Moraltheorie zu haben, deren Hauptaufgabe es ist, Gerechtigkeitsprinzipien für die institutionelle Grundstruktur eines modernen demokratischen Verfassungsstaates zu begründen. Als Grundgedanken dieses Ansatzes wird man gewiß den folgenden bezeichnen dürfen: politische Institutionen sind gerecht und daher zu akzeptieren, wenn sie mit Prinzipien übereinstimmen, die sich diejenigen, die unter diesen Institutionen leben müssen, selbst geben würden, gesetzt, sie würden unter vernünftigen und damit fairen Vertragsbedingungen rational aushandeln, unter welchen Prinzipien sie zu leben haben. Rawls nahm an, daß sie Prinzipien wählen würden, die ihnen selbst und allen anderen Grundrechte und Grundfreiheiten von starker Priorität, sowie Grundgüter zur Gewährleistung ihrer Fähigkeit, diese Rechte und Freiheiten auch wahrzunehmen, zuteilen würden. Damit vertrat Rawls einen inhaltlichliberalen, und dem Begründungsverfahren nach kontraktualistischen Ansatz. 1 John Rawls, A Theory of Justice, Oxford 1992 [11971]. 5 Dieser schien wenigstens darin universalistisch zu sein, daß die hier zentralen Begriffe der Vernunft und der Rationalität auf nachmetaphysisch zwar als emprisch gegebene, jedoch als anthropologisch allgemein verstandene Kompetenzen verwiesen. Zwar vertritt Rawls weiterhin die wesentlichen Grundgedanken dieses Ansatzes. Dies betrifft insbesondere den eben angesprochenen Gerechtigkeitsbegriff sowie die Überzeugung, daß eine Theorie politischer Gerechtigkeit inhaltlich-liberal sein muß. Doch nun ist Rawls der Auffassung, daß eine Theorie politischer Gerechtigkeit vollständig in die historisch vorgegebene politische Tradition eines modernen demokratischen Verfassungsstaates - sein Hauptinteresse gilt hier den Vereinigten Staaten der Gegenwart - eingebettet werden kann und vor allem: eingebettet werden muß. Zugleich vertritt er, daß sie allein den Bereich des Politischen betreffen darf: sie darf keinerlei Voraussetzungen oder Inhalte aufweisen, die das Handeln der Bürger auch jenseits ihrer politischen Interaktionen reguliert.2 Trotz des Reichtums seiner Ideen hat Rawls eine der wesentlichen Fragen, die den politischen Umbau GF's betreffen, in keiner einheitlichen, klaren und deutlichen Weise beantwortet. Warum muß eine Konzeption für den Bereich des Politischen politischen Charakter haben? Anders gefragt: warum muß sie ausschließlich Werte der politischen Tradition enthalten und ausschließlich auf den Bereich des Politischen zutreffen? Sollte eine Konzeption für den Bereich des Politischen nicht vielmehr solche Werte enthalten, die begründbar sind - unabhängig davon, welcher Tradition sie zuzuzählen sind? Und sollte sie nicht jeden Bereich betreffen, der durch begründbare Werte normiert wird - unabhängig davon, ob dieser über den Bereich des Politischen hinausgeht? Es ist einer der verwirrendsten Züge von Rawls' Darstellungen, daß er diese Fragen, wenn er sie überhaupt anspricht, nicht nur in beständig variierender Form aufnimmt, sondern zugleich immer schon unter Voraussetzung ihrer 2 Auf Rawls' Begriff einer politischen Konzeption - einer politischen Normierungstheorie - gehe ich weiter unten noch gesondert ein. 6 Entscheidung zugunsten einer politischen Konzeption zu verhandeln scheint. Nirgendwo formuliert Rawls eine einheitliche Begründung seines politischen Projekts. Zugleich finden sich nirgendwo Gründe zugunsten eines politischen Ansatzes, die nicht bereits - in der einen oder der anderen Weise - die Autorität der Werte der politischen Tradition, und damit die Privilegierung eines politischen Ansatzes vorauszusetzen scheinen. Hervorzuheben ist dabei, daß Rawls' Votum zugunsten einer politischen Konzeption einer Argumentation innerhalb einer bestimmten Konzeption für den Bereich des Politischen noch vorausliegen muß. Es steht für die Setzung eines Rahmens, in dem sich derartige Konzeptionen befinden müssen. Daher beansprucht es grundsätzliches Gewicht für die Thematik der Theorienbildung für den Bereich des Politischen. Um so unzugänglicher ist die latente Zirkularität seiner Bemerkungen zugunsten eines politischen Ansatzes. Fast scheint es, als stellte Rawls zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Frage, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen den Charakter einer politischen Konzeption haben muß. Dementsprechend liegt sein Hauptaugenmerk darauf, zu zeigen, in welcher Weise GF als politische Konzeption formuliert werden kann. Aber gewinnt Rawls' Ansatz damit nicht traditionalistische Züge - und dies gleich in einem zweifachen Sinn? Zunächst ist eine politische Konzeption bereits durch ihren Begriff eine Konzeption, die ausschließlich Werte der politischen Tradition enthält. Zudem aber scheint sich in der eben angesprochenen Zirkularität anzukündigen, daß bereits Rawls' Gründe zugunsten einer solchen Konzeption traditionalistischen Charakter haben. Die erste Traditionalisierung läuft darauf hinaus, daß die Autorität einer politischen Konzeption auf der Autorität dieser Tradition beruhen muß - einer Autorität, die sie nicht ihrerseits begründen kann. Die zweite müßte dem hinzufügen, daß bereits der Geltungsanspruch der Gründe für einen politischen Ansatz auf die Binnenperspektive dieser Tradition eingeschränkt ist. Doch kann Rawls dann überhaupt noch mit denen argumentieren, die sich nicht in der passenden Weise mit der Binnenperspektive dieser Tradition identifizieren? Aber müßte Rawls nicht auch mit ihnen argumentieren? Und wäre nicht gerade die Ebene der Gründe zugunsten 7 eines politischen Ansatzes der Ort, an dem der in den Begriff der politischen Konzeption eingeschriebene Traditionalismus auszuweisen wäre? Vielleicht ist jetzt der beste Zeitpunkt, um ein Begriffspaar einzuführen, das im folgenden hilfreich sein wird. Rawls' Gründe für eine politische bzw. gegen nicht-politische Konzeptionen werde ich nachstehend als metatheoretische bezeichnen. Rawls' Argumente innerhalb der von ihm vorgebrachten politischen Konzeption bezeichne ich hingegen als innertheoretische. Metatheoretische Überlegungen liegen auf der Ebene von Überlegungen für oder gegen Theorien bestimmter Art. Innertheoretische Überlegungen liegen auf der Ebene von Überlegungen vom Standpunkt einer dieser Theorien. Dementsprechend unterscheide ich in Rawls' Darstellungen metatheoretische und innertheoretische Ausführungen. Diese Unterscheidung ist als eher dialektische zu verstehen: sie verweist auf unterschiedliche Argumentationen, die geführt werden müssen, wenn gezeigt werden soll, erstens, daß der Bereich des Politischen vom Standpunkt einer politischen Konzeption zu normieren ist, und zweitens, wie eine politische Konzeption beschaffen ist und wie sie vorgeht, um diesen Bereich zu normieren. Während der erste Schritt den Rahmen setzt, füllt der zweite diesen Rahmen aus. Anzufügen ist, daß die hier angelegte Unterscheidung zwischen metatheoretischen und innertheoretischen Argumenten nicht parallel zur Unterscheidung zwischen metaethischen und normativ-ethischen Thesen, oder Thesen II. und I. Ordnung verläuft.3 Für eine Differenzierung zwischen metatheoretischen 3 Zur klassischen Unterscheidung zwischen Metaethik und normativer Ethik vgl. z.B. Richard M. Hare, "Ethics", in: ders., Essays on the Moral Concepts, London 1972; oder auch: Günther Grewendorf/Georg Meggle, "Zur Struktur des metaethischen Diskurses", in: dies. (Hrsg.), Seminar: Sprache und Ethik, Ffm. 1974. Zur hier gleichwertigen Unterscheidung zwischen Thesen II. und I. Ordnung vgl. z.B. John L. Mackie, Ethics, Hammondsworth 1977, bes. Kap.1. Vgl. z.B. John Rawls' Bemerkungen in: ders., "The Independence of Moral Theory", in: Proceedings and Addresses of the American Philosophical Association 48 (1975); Bernard Williams, Ethics and the Limits of Philosophy, Cambridge (Mass.) 1985, bes. Kap.5. Vgl. auch James Griffin, "How We Do Ethics Now", in: Ethics, Sup. 35 (1993), und ders., Value Judgement, Oxford 1996. 8 und metaethischen Überlegungen - Überlegungen II. Ordnung - ließe sich folgendes sagen. Metatheoretische Gründe sind im hiesigen Kontext Gründe für oder gegen normative Theorien. Metaethische Gründe können, aber müssen nicht auf der Ebene metatheoretischer Überlegungen ins Spiel kommen. Nur wenn angenommen wird, daß metaethische Gründe ins Spiel zu bringen sind, wenn es um Gründe für oder gegen normative Theorien geht, wird metaethischen Überlegungen zugleich metatheoretischer Status verliehen. Die klassische angelsächsische Metaethik ist so vorgegangen; doch es ist nicht notwendig, so vorzugehen. Inzwischen hat sich durchgesetzt, entweder auch oder gänzlich auf andere als metaethische Gründe auf der Ebene metatheoretischer Überlegungen zurückzugreifen.4 Weiterhin ist anzufügen, daß die hier angelegte Unterscheidung zwischen metatheoretischen und innertheoretischen Überlegungen in bestimmter Hinsicht iterierbar ist (und sein muß). Wenn gefragt wird, ob eine bestimmte politische Konzeption akzeptiert werden sollte, so haben Gründe für diese Konzeption metatheoretischen, Gründe aus der Perspektive dieser Theorie innertheoretischen Status. Doch angenommen, daß die je vorgebrachten Gründe für diese Konzeption ihrerseits moraltheoretischen Charakter haben. (Wohlgemerkt: dies ist nicht Rawls' Auffassung.) Mit Blick auf die dann ins Spiel gebrachte Moraltheorie läßt sich die Unterscheidung zwischen metatheoretischen und innertheoretischen Argumenten iterieren: sobald zur Frage steht, ob sie akzeptiert werden sollte, haben Argumente für diese Theorie metatheoretischen, Argumente aus ihrer Perspektive hingegen innertheoretischen Status.5 4 Vgl. z.B. John Rawls' Bemerkungen in: ders., "The Independence of Moral Theory", in: Proceedings and Addresses of the American Philosophical Association 48 (1975); Bernard Williams, Ethics and the Limits of Philosophy, Cambridge (Mass.) 1985, bes. Kap.5. Vgl. auch James Griffin, "How We Do Ethics Now", in: Ethics, Sup. 35 (1993), und ders., Value Judgement, Oxford 1996. 5 Den Hinweis, die hier angelegte Unterscheidung zwischen metatheoretischen und innertheoretischen Überlegungen deutlicher zu machen, verdanke ich Andreas Muth und Anke Thyen. 9 Die vorliegende Arbeit versteht sich vor allem als Beitrag zur Klärung, zur Rekonstruktion und Analyse von Rawls' metatheoretischer Position, seinen Überlegungen zugunsten einer inhaltlich-liberalen und politischen Konzeption. Dabei konzentriere ich mich nicht nur, jedoch hauptsächlich auf Rawls' unlängst veröffentliches Buch Political Liberalism.6 Ihre Hauptaufgabe ist es, eine Schneise durch Rawls' vielfältige Bemerkungen zugunsten eines politischen Ansatzes zu legen, um seine Gründe zugunsten eines politischen Liberalismus, sowie mit ihnen einhergehende interne Spannungen seiner Perspektive auf die Thematik der Theorienbildung für den Bereich des Politischen herauszuarbeiten. Dabei bediene ich mich der Mittel eines internen Zugriffs. Ich werde versuchen, so weit wie möglich auf Annahmen zu verzichten, die Rawls aus der Perspektive seiner Position zurückweisen könnte. Dies gilt sowohl für die hier vorgebrachte Rekonstruktion und Analyse, als auch für den kritischen Bereich meiner Darstellungen. Zugleich werde ich Rawls von vorneherein so lesen, daß er ein Maximum der Konsequenzen erreichen kann, die er erreichen will. Ich werde also nicht zuerst fragen, was Rawls vertritt, um dann erst zu fragen, ob er erreichen kann, was er erreichen will. Vielmehr nehme ich hier die umgekehrte Perspektive ein. Über diesen Weg werden sich Annahmen herausarbeiten lassen, die Rawls nicht klar herausstellt, aber voraussetzen oder implizieren müßte, soll das, was er vertritt, funktionieren. Das Ziel ist dabei, Rawls' Ausführungen möglichst kohärent und schlüssig zu machen, um über diesen Weg 6 John Rawls, Political Liberalism, New York 1993. In diesem Buch bringt Rawls eine Reihe stilistisch und inhaltlich überarbeiteter Aufsätze in Form einer zusammenhängenden Vorlesungsreihe zusammen, die zu den wichtigsten Artikulationen seines politischen Umbaus von GF zählen. Ich konzentriere mich hauptsächlich auf diesen Band, da Rawls' Aufsätze zum politischen Umbau GF's vor Political Liberalism von einer beständigen Reformulierung und Modifikation seiner Position geprägt sind. Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. In den Anmerkungen verweise ich auf sie durch die Abkürzung "PL". Ziffern wie "V.1." beziehen sich auf Abschnitte der vorliegenden Arbeit; die römische Ziffer steht für das jeweilige Kapitel, die arabische für den jeweiligen Abschnitt. Auf Aufsätze von Rawls und anderen Autoren verweise ich, indem ich beim ersten Verweis den vollständigen Titel sowie die Publikation nenne, in der sich die von mir herangezogene Fassung des Aufsatzes befindet. In allen weiteren Verweisen nenne ich den Autor und das Erscheinungsjahr der Publikation. 10 Probleme herauszuarbeiten, die seiner Position zugrunde liegen. Um diesem Verfahren einen Namen zu geben, ließe sich vielleicht von einer Art "kritischer transzendentaler Hermeneutik" sprechen.7 Ich werde herausarbeiten, daß Rawls' Gründe zugunsten einer politischen Konzeption tugendethischer Natur sind. Er greift auf der Ebene seiner Überlegungen zugunsten einer politische Konzeption auf die substantiell zu verstehende politische Tugend der Vernünftigkeit zurück, und vertritt, daß ausschließlich eine politische Konzeption vom Standpunkt dieser Tugend akzeptabel ist. Die weiter oben angedeutete zweite Traditionalisierung - die Traditionalisierung auch seiner Gründe zugunsten eines politischen Anstazes - besteht gerade hierin. Doch GF soll nach Rawls zugleich konstruktivistisch sein. Ich werde vertreten, erstens, daß Rawls' Rekurs auf diese Tugend GF in den Dienst stellt, den Gehalt dieser Tugend zu rekonstruieren. Und zweitens, daß dies in einer für Rawls zentralen, jedoch nicht in jeder Hinsicht ausschließt, daß GF als Konstruktivismus verstanden werden kann. Diesen Punkten ist die erste Runde meiner Auseinandersetzung mit Rawls' Gründen zugunsten eines politischen Ansatzes gewidmet. Sie besteht in den Kapiteln II, III und IV. In Kapitel II und III arbeite ich Rawls' tugendethisches Argument heraus. Kapitel IV konzentriert sich auf die Funktion GF's, gegeben Rawls' metatheoretischer Rekurs auf eine substantielle Tugend, sowie auf die Frage, ob Rawls unter diesen Voraussetzungen mit GF einen Konstruktivismus vertreten kann. Die zweite Runde konzentriert sich auf die Frage, warum Rawls auf der Ebene seiner Gründe zugunsten eines politischen Liberalismus auf eine substantielle Tugend zurückgreift. Hier geht es, wie ich sagen werde, um die Bedingungen des metatheoretischen Arguments. Ich werde vertreten, daß Rawls' metatheoretischer Rekurs auf eine substantielle Tugend als Versuch zu werten ist, einem legitimitätstheoretischen Trilemma zu entkommen. Die Ausübung 7 Hervorheben möchte ich auch, daß ich hier notgedrungen eine gewisse Bekanntheit von GF voraussetzen muß. Ein Referat von GF hätte den mir hier zur Verfügung stehenden Rahmen gesprengt; daher ließ sich nicht mehr, als das unbedingt erforderliche einbringen. 11 politische Macht ist nach Rawls nur dann legitim, wenn sie mit einer kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbaren Normierungstheorie übereinstimmt. Hieraus ergibt sich, daß keine nicht-politische Konzeption die Grundlagen einer legitimen Ausübung politischer Macht bereitstellt. Doch es ergibt sich ebenfalls, daß auch eine politisch-liberale Konzeption nicht als Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht dienen kann. Daher müßte Rawls entweder sein Ziel der Ausarbeitung einer politisch-liberalen Konzeption, seine Legitimitätsauffassung, oder beides aufgeben oder modifizieren. Ich werde annehmen, daß Rawls diesem Trilemma entkommt, indem er jene Tugend als implizite Adressatenrestriktion seines Ansatzes einbringt. Während seine Legitimitätsauffassung eine Konzeption für den Bereich des Politischen zunächst auf die Akzeptanz von Seiten eines jeden Adressaten politischer Macht bezieht, ergibt sich unter dieser Restriktion, daß eine Konzeption für diesen Bereich aus der Perspektive der Träger dieser Tugend akzeptabel sein muß. Die zweite Runde meiner Auseinandersetzung besteht in den Kapiteln V und VI. In Kapitel V arbeite ich Rawls' legitimitätstheoretische Position heraus, um diese in Kapitel VI mit den Ergebnissen der ersten Runde ins Verhältnis zu setzen. Im kritischen Teil, der dritten Runde meiner Auseinandersetzung, werde ich eine strukturelle Erweiterung von Rawls' Legitimitätsauffassung vorschlagen, deren bloße Akzeptanz seine Adressatenrestriktion aufhebt. Auf der Grundlage einer sich an Rawls anlehnenden vernunftstheoretischen Hypothese werde ich vertreten, daß er nur unvernünftigerweise an dieser Restriktion festhalten kann. Das Ergebnis wird sein, daß Rawls, wenn er sie fallen läßt, über einen moralphilosophischen Weg - jenseits des argumentativen Horizonts des politischen Liberalismus - erst noch zu zeigen hätte, von welchem Standpunkt eine Konzeption für den Bereich des Politischen akzeptabel sein muß. Akzeptiert er aber diese Konsequenz, bleibt auch aus seiner Perspektive völlig offen, warum eine Konzeption für den Bereich des Politischen den Charakter eines politischen Liberalismus haben muß. Diese Kritik wird zugleich konstruktiven Charakter haben. Sie wird - aufbauend auf Rawls - auf eine Struktur politischer Legitimität verweisen, unter der die Frage, wie eine Konzeption für den Bereich des Politischen beschaffen sein muß, und die nun moralphilosophisch 12 verstandene Frage, von welchem Standpunkt eine Konzeption für diesen Bereich faktisch akzeptabel sein muß, auf vernunftstheoretischer Basis verknüpft wird. Um diese Punkte geht es in Kapitel VII. I.2. Zum Ansatz Zwischen Rawls' tugendethischer und seiner legitimitätstheoretischen Perspektive auf die Frage, wie eine Konzeption für den Bereich des Politischen beschaffen sein sollte, besteht ein Konflikt, der Rawls' Darstellungen durchzieht. Seine Legitimitätauffassung ist deutlich inklusiv ausgerichtet: ihr zufolge muß eine Konzeption für den Bereich des Politischen von Seiten eines jeden Adressaten politischer Macht moralisch akzeptiert werden können. Hingegen hat Rawls' tugendethische Perspektive eine exklusive Ausrichtung: hier geht es um die Akzeptanz vom Standpunkt einer substantiellen Tugend. Die Spannung zwischen beiden Ausrichtungen prägt Political Liberalism. Das meiste von dem, was Rawls in metatheoretischer Hinsicht sagt, läßt sich einerseits im Sinne der inklusiven, zum anderen aber im Sinne der exklusiven Ausrichtung interpretieren. Dies betrifft nicht erst Argumente und Thesen, sondern bereits Rawls' Terminologie – wir werden später noch einige Gelegenheit haben, diese Spannung zwischen der inklusiven und der exklusiven Ausrichtung von Political Liberalism detaillierter zu betrachten.8 Nun gehört es jedoch zum Gegenstand dieser Arbeit, diese Spannung herauszuarbeiten, zu interpretieren, und Rawls' impliziten Versuch, sie aufzulösen, zu kritisieren. Und das heißt auch, daß sowohl das, was Rawls metatheoretisch vertritt, als auch die Frage, wie die hier zentralen Begriffe zu verstehen sind, bereits innerhalb des Bereichs des Problems liegen, um das es in dieser Arbeit geht. Auf Rawls' Seite scheint es keinen Ort zu geben, der gegenüber den Ergebnissen meiner Überlegungen neutral wäre, und von dem meine Un- 13 tersuchung ohne eine Vorwegnahme ihrer Ergebnisse ausgehen könnte. (Ich fürchte, daß daher auch der Verlauf und der Aufbau meiner Darstellungen erst rückwirkend, nach ihrem Abschluß, verständlich wird. Gleichwohl hoffe ich, genügend Transparenz erzielt zu haben, daß deutlich ist, warum ich gerade so vorgehe, wie ich es mache.) Gleichwohl müssen wir irgendwo einsteigen. Am besten setzen wir daher bei einer Gruppe von Überlegungen an, die Rawls in erster Näherung zugunsten eines politischen Ansatzes vorzugringen scheint. Ich werde sie weiter unten zu einem Gedanken zusammenfassen, den ich Rawls' metatheoretischen Leitgedanken nennen werde. Im Aufriß führt er zu einem Problem, von dem meine Untersuchung - beginnend im zweiten Kapitel - ausgehen wird. Wir werden später Anlaß haben, diesen Gedanken zu reformulieren; doch vorerst ist er dienlich, um Rawls' tieferliegende Gründe zugunsten einer politischen Konzeption herauszuarbeiten. Rawls zufolge sind moderne demokratische Gesellschaften unter anderem durch einen dauerhaften Pluralismus unversöhnlicher und konfligierender moralischer Standpunkte geprägt. Sie sind, anders gesagt, durch einen vernünftigen Pluralismus umfassender Lehren geprägt.9 Keine dieser Lehren wird von 8 Vgl. bes. Kapitel VI. 9 Dies ist Rawls' "Tatsache des vernünftigen Pluralismus" (fact of reasonable pluralism). Vgl. z.B. PL xviff., 36f. Rawls formuliert fünf solcher Tatsachen, vgl. PL 38, Fn. 41, 58. Er versteht sie als "allgemeingültige Tatsachen der politischen Soziologie und der menschlichen Psychologie", vgl. John Rawls, "Der Bereich des Politischen und der Gedanke eines übergreifenden Konsenses", in: ders., Die Idee des politischen Liberalismus. Herausgegeben von Wilfried Hinsch, Ffm. 1994, 334. Auf den Begriff den vernünftigen Pluralismus und der umfassenden Lehre komme ich noch genauer zurück. Anzufügen ist, daß Rawls in Political Liberalism nicht allein von umfassenden Lehren spricht. Wie durch das folgende Zitat angedeutet wird, spricht er ebenfalls von religiösen, philosophischen, metaphysischen und moralischen Lehren. Zeitweise scheint es, als ob diese Rawls' umfassenden Lehren auf einer Ebene gegenüberstehen. Dann wiederum scheint es, als verwiesen diese Termini auf Differenzierungen innerhalb des Begriffs der umfassenden Lehre. Vgl. z.B. PL 192: hier spricht Rawls von "comprehensive religious, philosophical, and moral doctrines". Doch alles in allem scheint eher letzteres auf der Linie seiner Darstellungen zu liegen: in diesem Fall verwiesen die weiteren Diffe- 14 allen Bürgern gleichermaßen akzeptiert; ein dauerhafter Konsens über eine dieser Lehren ließe sich nur durch den repressiven Gebrauch politischer Macht erzwingen.10 Nun soll eine Konzeption für den Bereich des Politischen jedoch einen Standpunkt der Beurteilung von Grundfragen politischer Gerechtigkeit bereitstellen, der von Seiten der Bürger gemeinsam, bereitwillig und dauerhaft moralisch akzeptiert wird. Sie soll, anders gesagt, einen übergreifenden Konsens, und auf dieser Grundlage stabile Geltung für sich haben. Wenn sie einen übergreifenden Konsens für sich hat, so wird sie aus der Perspektive der verschiedenen konkurrierenden umfassenden Lehren moralisch akzeptiert.11 Doch einen solchen Konsens kann sie nur erreichen, wenn sie von vornherein vermeidet, was zwischen diesen Lehren strittig ist. Daher muß sie einer Methode der Vermeidung, oder, wie Rawls sagt, einer 'Anwendung des Toleranzprinzips auf die Philosophie selbst' entsprechen:12 renzierungen auf Arten umfassender Lehren. Für meine Zwecke darf und werde ich den damit angelegten Unterschied zwischen dem Begriff der moralischen umfassenden Lehre und dem der umfassenden Lehre vernachlässigen. 10 Dies ist Rawls' "Faktum der Unterdrückung" (fact of oppression). Vgl. PL 37. Vgl. auch III.1. und Anm. 74. 11 Dies ist nicht als Definition von Rawls' Begriff des übergreifenden Konsens zu verstehen. Vielmehr läßt sich sagen: wofür auch immer Rawls' Begriff des übergreifenden Konsenses sonst noch steht, wenigstens erlaubt er das Konditional im Text. Ich versuche nicht, diesen Begriff zu definieren, da sich dies aufgrund seiner Unschärfe nur mit einigem Aufwand leisten ließe. Zugleich lasse ich offen, wie "breit" oder wie "tief" Rawls' übergreifender Konsens sein soll, und wie er sich zu einem "konstitutionellen Konsens" verhält, da dies für unsere Zwecke nicht von Belang ist. Vgl. hier Kurt Baier, "Justice and the Aims of Political Philosophy", in: Ethics 99 (1989); PL 150-68. 12 Die Methode der Vermeidung wird in Political Liberalism nicht klar herausgestellt, gleichwohl wird auf ihrer Grundlage argumentiert. Vgl. Rawls' Rede von seinem precept of avoidance auf PL 29, Fn. 31. Joseph Raz hat zu recht argumentiert, daß Rawls' Methode der Vermeidung nicht als Methode der Vermeidung von Geltungsansprüchen verstanden werden kann, vgl. Joseph Raz, "Facing Diversity: The Case for Epistemic Abstinence", in: Philosophy and Public Affairs 19 (1990). In Political Liberalism wird der Gestus der "epistemischen Abstinenz" zwar befolgt, doch alles in allem in die Anforderung verwandelt, innerhalb der Grenzen eines "educated common sense" (PL 14) zu verbleiben. Die Methode der Vermeidung verweist dann darauf, in diesen Grenzen zu verbleiben. Zu Rawls' Methode der Vermeidung vgl. z.B. PL 15 The aim of justice as fairness, then, is practical: it presents itself as a conception of justice that may be shared by citizens as a basis of a reasoned, informed, and willing political agreement. It expresses their shared and public political reason. But to attain such a shared reason, the conception of justice should be, as far as possible, independent of the opposing and conflicting philosophical and religious doctrines that citizens affirm. In formulating such a conception, political liberalism applies the principle of toleration to philosophy itself. (...) Thus, political liberalism looks for a political conception of justice that we hope can gain the support of an overlapping consensus of reasonable religious, philosophical, and moral doctrines in a society regulated by it. (9)13 Wenn eine Konzeption für den Bereich des Politischen nun aber vermeidet, was zwischen umfassenden Lehren strittig ist, so muß sie den Charakter einer politischen Konzeption haben. Sie muß ausschließlich Werte der politischen 9f., oder auch: John Rawls, "Gerechtigkeit als Fairneß: politisch und nicht metaphysisch", in: Rawls (1994), bes. 265, 276, Fn. 22. Eine verwandte Interpretation von Rawls' Methode der Vermeidung findet sich in Patrick Neal, "Justice as Fainess: Political or Metaphysical?", in: Political Theory 18 (1990). Vgl. auch Jean Hampton, "Should Political Philosophy Be Done without Metaphysics", in: Ethics 99 (1989). Allerdings irrt sich Hampton, wenn sie annimmt, daß Rawls' Methode der Vermeidung jede Art metaethischer Thesen ausschließt, vgl. Hampton (1989), 795. So setzt Rawls offenbar voraus, daß Gerechtigkeitsurteile überhaupt begründbar sind. Und dies ist eine metaethische These: sie schließt einen Emotivismus wie die Position Alfred J. Ayers aus. Vgl. das sechste Kapitel aus: Alfred J. Ayer, Sprache, Wahrheit und Logik, Stuttgart 1970. Zugleich stellt sich Rawls gegen den moralischen Realismus und den klassischen - oder, wie Rawls sagt: den "rationalen" - Intuitionismus. Vgl. PL 90-98. Vgl. auch IV.2. und die dortigen Anmerkungen. 13 Auf legitimitätstheoretische Implikationen dieser Passage komme ich in V.1. zu sprechen. 16 Tradition enthalten, und kann ausschließlich den Bereich des Politischen betreffen.14 Wenn wir diese Überlegungen zusammenfassen, ergibt sich mehr oder weniger, (i) daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen umwillen eines übergreifenden Konsens nur solche Inhalte aufweisen sollte, die zwischen den unter Bedingungen des vernünftigen Pluralismus vertretenen umfassenden Lehren faktisch unstrittig sind. Und weiterhin, (ii) daß sie aus diesem Grunde politischen Charakter haben muß. Es sind diese beiden Gedanken, die ich nachstehend zusammengenommen als Rawls' metatheoretischen Leitgedanken ansprechen werde. Hervorzuheben ist hier, daß (i) prima vista offen läßt, welche Inhalte eine Konzeption für den Bereich des Politischen enthalten sollte. Auf der Grundlage von (i) wäre erst empirisch zu klären, welche Inhalte unter Bedingungen des vernünftigen Pluralismus faktisch unstrittig sind. Nur so ließe sich entscheiden, welche Inhalte eine Konzeption für diesen Bereich enthalten darf. Und damit kämen wir zu dem Problem, das ich weiter oben angekündigt habe: wie kann Rawls unter seinen eigenen Voraussetzungen überhaupt annehmen, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen politischliberalen Charakter haben muß? Rawls kann nicht bestreiten, daß Fanatismen und Fundamentalismen vertreten werden - Positionen, die liberale Werte der Freiheit und Gleichheit verwerfen.15 Und sicherlich sind derartige Positionen als Rawls'sche umfassende 14 Rawls greift hier auf "grundlegende intuitive Ideen" der politischen Tradition zurück. Zu diesen "Ideen" vgl. meine Darstellung zum Begriff der politischen Konzeption in I.3. 15 Hier und im folgenden verwende ich einen vorkritischen Begriff des Fanatismus und des Fundamentalismus. Ich werde jedoch voraussetzen, (i) daß zumindest manche Fanatismen und Fundamentalismen als moralische Positionen angesprochen werden müssen, und (ii) daß nicht jeder der gegebenen Fanatismen und Fundamentalismen zugleich inkohärent oder inkonsistent ist. Für (ii) berufe ich mich darauf, daß Rawls nirgendwo gezeigt hat, und daher aus seiner Perspektive auch nicht in Anspruch nehmen kann, daß (ii) falsch ist. Der Ausdruck "moralisch" ist dabei nicht in seinem billigenden Sinn zu verstehen. Rawls selbst bemüht sich, den Begriff der Moral offen zu lassen. Vgl. dazu z.B. PL 82. Da wir bei Rawls gleichwohl eine Reihe von Angaben zur Moralität finden, sind diese als Angaben über eine (politische) Moral, 17 Lehren anzusprechen. Aber ist (i) nicht gleichwertig mit der Forderung, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen nur enthalten darf, was zwischen allen umfassenden Lehren faktisch unstrittig ist? Und müßte sich dann nicht geradewegs ergeben, daß sie liberale Werte der Freiheit und Gleichheit nicht enthalten darf? Dann aber könnte sie nicht liberal, und a fortiori kein politischer Liberalismus sein. Wenn Rawls die Frage, welche Inhalte eine Konzeption für den Bereich des Politischen aufweisen darf, von der Frage abhängig macht, welche Inhalte faktisch unstrittig sind, schließt bereits die Präsenz antiliberaler Positionen einen politischen Liberalismus aus. Doch Rawls' metatheoretischer Leitgedanke ist auf die Bedingungen des vernünftigen Pluralismus zugeschnitten. Und liegt ein vernünftiger Pluralismus vor, wenn fanatische und fundamentalistische Positionen vertreten werden? Ja und Nein. Rawls arbeitet hier mit zwei Bestimmungen. Zum einen vertritt er, daß in der Gesellschaft G genau dann ein vernünftiger Pluralismus vorliegt, wenn in G ausschließlich vernünftige umfassende Lehren vertreten werden. Zum anderen aber impliziert er, daß in G ein vernünftiger Pluralismus auch dann vorliegen kann, wenn manche der in G vertretenen umfassenden Lehren unvernünftig sind.16 Für den Moment können wir vom Begriff der vernünftigen und nicht über den Begriff der Moral zu verstehen. Vgl. etwa PL 48ff., bes. 48 Fn. 1, 49 Fn. 2. In meinen Darstellungen versuche ich, den Begriff der Moral in keiner Weise einzubringen, die ihrerseits eine von Rawls zurückweisbare Position über diesen Begriff impliziert. Daher muß ich - ähnlich wie Rawls - diesen Begriff weitgehend offen lassen. Ich setze jedoch voraus, daß Rawls nicht mit einem Begriff der Moral arbeitet, nach dem jeder Fanatismus und jeder Fundamentalismus als Spezies des Amoralismus aufgefaßt werden muß. 16 Eindeutig im ersten Sinne verwendet Rawls diesen Begriff auf PL 24, Fn. 27. Die zweite Deutung des Begriffs impliziert er, wenn er schreibt: das Faktum des vernünftigen Pluralismus "must be distinguished from the fact of pluralism as such. It is the fact that free institutions tend to generate not simply as a variety of doctrines and views, as one might expect from peoples' various interests and their tendency to focus on narrow points of view. Rather, it is the fact that among the views that develop are a diversity of reasonable comprehensive doctrines" (PL 36). Wohlgemerkt: Rawls hält sich nicht an die Rede vom vernünftigen Pluralismus und von vernünftigen Lehren. Z.B. geht es auf PL 192 um das Faktum des Pluralismus und um umfassende Lehren, simpliciter. 18 Lehre absehen, und umwillen des Arguments schlicht annehmen, daß Fanatismen und Fundamentalismen als unvernünftige Lehren aufzufassen sind. Vor diesem Hintergrund könnte Rawls auf der Linie der ersten Deutung des Begriffs vertreten, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen nur solche Inhalte aufweisen sollte, die zwischen den unter den Bedingungen des vernünftigen Pluralismus vertretenen Lehren unstrittig sind, ohne die Konsequenz zu riskieren, daß ihre Inhalte auch durch fanatische und fundamentalistische Positionen diktiert würden. Schlicht darum, da diese Lehren hier per definitionem nicht vertreten würden. Das gleiche ließe sich jedoch nicht bewerkstelligen, wenn die zweite Deutung des Begriffs des vernünftigen Pluralismus angelegt wird. Nach dieser Deutung ist ein vernünftiger Pluralismus mit einer Präsenz von Fanatismen und Fundamentalismen vereinbar. Wenn derartige Positionen vertreten werden, müßte sich ergeben, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen liberale Werte der Freiheit und Gleichheit nicht enthalten darf. Aufgrund dieser Doppeldeutigkeit läßt sich auch Rawls' Ziel eines übergreifenden Konsenses in zweierlei Weise verstehen. Erstens kann es auf einen idealen sozietären Zustand bezogen werden, der sich unter anderem darin kennzeichnet, daß unvernünftige Lehren nicht mehr vertreten werden. Dem entspricht die erste Deutung des vernünftigen Pluralismus. Die Frage, ob eine Konzeption für den Bereich des Politischen K eines übergreifenden Konsenses fähig ist, wäre hier die Frage, ob K aus der Perspektive der in diesem Zustand vertretenen Lehren unstrittig wäre. Und wenn nun fanatische und fundamentalistische Lehren unvernünftig sind, ergäbe sich, daß eine inhaltlich-liberale und politische Konzeption selbst dann das Ziel eines übergreifenden Konsenses erfüllen könnte, wenn ihre Inhalte von fanatischer und fundamentalistischer Seite hier und jetzt bestritten werden. Zweitens aber kann das Ziel des übergreifenden Konsenses auch auf gegebene sozietäre Bedingungen bezogen werden, die sich unter anderem darin kennzeichnen, daß Fanatismen und Fundamentalismen vertreten werden. Dem entspricht die zweite Deutung des vernünftigen Pluralismus. Die Frage, ob K eines übergreifenden Konsenses fähig ist, ist hier die Frage, ob K unter gegebe- 19 nen Bedingungen, von Seiten jetzt vertretener Lehren, bejaht werden kann. Und hier bliebe das Problem, ob K umwillen eines übergreifenden Konsens auch fanatischen und fundamentalistischen Lehren angepaßt werden muß: hier wäre ausgeschlossen, daß eine Konzeption umwillen eines übergreifenden Konsens inhaltlich-liberalen und politischen Charakter haben kann.17 In Political Liberalism laufen beide Bestimmungen des vernünftigen Pluralismus beständig ineinander; zugleich ist meistenteils unklar, wann Rawls eher die erste oder die zweite Deutung des übergreifenden Konsenses vor Augen hat. Zur Auflösung dieser Unklarheit mache ich daher folgenden Vorschlag. Während die jeweils zweite Deutung des vernünftigen Pluralismus und des übergreifenden Konsens seinen metatheoretischen Überlegungen zugehört, ist die jeweils erste Deutung dieser Begriffe der innertheoretischen Ebene seiner Darstellungen zuzuweisen. Rawls hat nicht entweder die erste oder die 17 Die Frage, wie Rawls' Ziel des übergreifenden Konsenses zu verstehen ist, beruhte auf der Doppeldeutigkeit des Begriffs des vernünftigen Pluralismus. Um diese möglichst klar herauszustellen, nahm ich zu Rawls' Gunsten an, daß Fanatismen und Fundamentalismen als unvernünftige Lehren anzusprechen sind. Doch wir müssen beachten, daß dies quer zu seiner offiziellen Definition vernünftiger Lehren liegt. Um diese Definition geht es in Kapitel II, bes. II.2. Vorgreifend läßt sich sagen, daß Rawls vernünftige Lehren als Lehren definiert, die bestimmte strukturelle oder formale Merkmale aufweisen. Doch diese lassen offen, welche Inhalte vernünftige Lehren haben. Daher wäre es möglich, daß eine Lehre auch dann vernünftig sein kann, wenn sie liberale Werte der Freiheit und Gleichheit verwirft. In diesem Fall aber könnten auch fanatische und fundamentalistische Lehren vernünftig sein. Daher ergäbe sich erstens, daß beide Deutungen des vernünftigen Pluralismus und des übergreifenden Konsens mit einer Präsenz von Fanatismen und Fundamentalismen vereinbar sind. In anderen Worten: unter beiden Deutungen wäre es möglich, daß das Ziel eines übergreifenden Konsenses einen politischen Liberalismus ausschließt. Zweitens ergäbe sich dieses Resultat auch dann, wenn Rawls die Inhalte einer Konzeption für den Bereich des Politischen ausschließlich an dem ausrichtet, was zwischen vernünftigen Lehren unstrittig ist - ganz unabhängig davon, welche Deutung des vernünftigen Pluralismus und des übergreifenden Konsens angelegt wird. Rawls entkommt dieser Verschärfung seines Problems erst durch seine implizite, seine inoffizielle Definition vernünftiger Lehren, die ich in II.2. herausarbeite. Ich habe diese zusätzliche Schwierigkeit für Rawls an dieser Stelle nicht in den Text aufgenommen, da es das beste ist, wenn wir seinen Begriff der vernünftigen Lehre in einem Kontext diskutieren, in dem es - möglichst abgetrennt von den hier angesprochenen Unklarheiten - bereits darum geht, wie er dem genannten Problem entkommt. 20 zweite Deutung dieser Begriffe vor Augen; vielmehr arbeitet er mit beiden wenngleich nur unzureichend differenziert. Ich werde jetzt - in aller Kürze - skizzieren, worauf sich dieser Vorschlag beläuft. Zunächst zur ersten Deutung dieser Begriffe - nennen wir sie ihre ideale Deutung. Diese Deutung ist, genauer gesagt, der "zweiten Stufe" der Ausarbeitung GF's zuzuweisen. Auf der ersten Stufe geht Rawls von einer Explikation des "politischen" oder "öffentlichen" Selbstverständnisses als vernünftige und rationale, freie und gleiche Person aus.18 Auf ihrer Basis formuliert er das Normierungsverfahren des Urzustandes als Darstellungsmittel einer Überlegung, über die Personen Kraft dieses Selbstverständnisses die Frage beantworten (oder beantworten würden), durch welche Prinzipien und Werstandards der Bereich des Politischen normiert werden sollte.19 Rawls' These ist, daß sie die von ihm vorgebrachten Gerechtigkeitsgrundsätze als Regeln der Verteilung von Grundgütern, sowie die von ihm formulierten "Werte des öffentlichen Vernunftgebrauchs" zur Reglementierung öffentlicher politischer Diskussionen wählen würden.20 18 Vgl. z.B. PL 18ff., 29ff., 47-62, 81f. 19 Vgl. PL 16ff., 22-28, 64, 66-82, 93f., 97f., 103-7, 134, 285, 299-308. 20 Rawls formuliert seine beiden Gerechtigkeitsgrundsätze folgt: "a. Each person has an equal claim to a fully adequate scheme of equal basic rights and liberties, which scheme is compatible with the same scheme for all; and in this scheme the equal political liberties, and only those liberties, are to be guaranteed their fair value. b. Social and economic inequalities are to satisfy two conditions: first, they are to be attached to positions and offices open to all under conditions of fair equalitiy of opportunity; and second, they are to be to the greatest benefit of the least advantaged members of society" (PL 5). Zu den "Werten des öffentlichen Vernunftgebrauchs" schreibt Rawls: "[W]e are to appeal only to prensently accepted general beliefs and forms of reasoning found in common sense, and the methods and conclusions of science when these are not controversial" (PL 224). Vgl. auch PL 5f., 76, 181, 213ff., 308f. Diese Vorgabe ist auf den Bereich der Auseinandersetzungen um Grundfragen politischer Gerechtigkeit beschränkt. Rawls bringt diese Einschränkung durch die Formulierung "when constitutional essentials and questions of basic justice are at stake" (PL 44) zum Ausdruck. Diese äußerst vage Formulierung wird in Political Liberalism kaum präzisiert. 21 Auf der zweiten Stufe wird überprüft, ob die Geltung der auf der ersten Stufe erreichten Prinzipien und Standards zu einer Gesellschaft führen kann, in der zwar weiterhin eine Pluralität unvereinbarer umfassender Lehren vorliegt, aber in der GF gleichwohl dauerhafte kollektive moralische Akzeptanz - einen übergreifenden Konsens -, und auf dieser Basis Stabilität für sich hat. Eine Gesellschaft, die durch GF effektiv normiert wird, bezeichnet Rawls als eine durch GF "wohlgeordnete Gesellschaft".21 Die Leitfrage der zweiten Stufe wäre also, ob eine durch GF wohlgeordnete Gesellschaft trotz des auch in ihr gegebenen Pluralismus mit einer stabilen Geltung GF's vereinbar ist:22 The second stage of the exposition (...) consideres how the well-ordered democratic society of justice as fairness may establish and preserve unity and stability given the reasonable pluralism characteristic of it. (133)23 Die beiden Stufen hängen so zusammen, daß die auf der ersten Stufe erreichten Prinzipien und Standards sich auf der zweiten Stufe bewähren müssen. Bewähren sie sich nicht, so sind sie oder auch GF insgesamt zu modifizieren.24 21 Vgl. PL 35, 44; vgl. auch PL 66f. 22 Vgl. PL 9f., 15, 35ff., 39ff., 44, 64f., 100f., 144ff., 201ff. 23 In dieser Passage geht es um die Stabilität einer durch GF wohlgeordneten Gesellschaft. In meinen Angaben zur zweiten Stufe GF's hingegen geht es um die Stabilität einer Konzeption innerhalb einer durch diese Konzeption wohlgeordneten Gesellschaft. Rawls selbst trennt zumeist nicht zwischen beiden Bezugspunkten der Stabilitätproblematik. Gleichwohl scheint die Frage der Stabilität einer Konzeption die für Rawls wichtigere zu sein. Vgl. z.B. Rawls (1994), 341f., bes. 342, Fn. 8. Hier hebt Rawls gesondert hervor, daß es um die Stabilität einer Konzeption geht. Zudem scheinen beide Deutungen der Stabilität systematisch verknüpft zu sein: eine durch GF wohlgeordnete Gesellschaft wäre stabil, wenn GF in dieser Gesellschaft stabile Geltung für sich hat. 24 Vgl. PL 65f., xvii. Eine Weise, die Aufgabenstellung der zweiten Stufe GF's zu verstehen, beläuft sich darauf, daß überprüft werden soll, ob GF zu selbstaufhebenden Konsequenzen führt. So ist es einer der traditionellen Einwände gegen den Aktutilitarismus - einem Hauptgegner noch der Argumentation von A Theory of Justice -, daß seine kollektive Akzeptanz aus seiner eigenen Perspektive nicht wünschenswert wäre. Beispielsweise sind die Institutionen des Versprechens und der Vertragstreue aus aktutilitaristischer Perspektive unter gege- 22 Nach Maßgabe meines Klärungsvorschlags wäre dann folgendes anzunehmen. Auf der zweiten Stufe von GF setzt Rawls bereits die kollektive Akzeptanz der Prinzipien und Standards GF's voraus, um unter dieser Voraussetzung zu prüfen, ob GF Stabilität für sich haben kann. Auch eine durch GF wohlgeordnete Gesellschaft wäre eine pluralistische; aber ihre Modellvorstellung schließt ein, daß die in ihr vertretenen umfassenden Lehren bereits mit den Prinzipien und Standards GF's vereinbar sind. Und hier kann Rawls die ideale Deutung des vernünftigen Pluralismus anlegen. In diesem Sinne wäre der vernünftige Pluralismus - als Pluralismus vernünftiger Lehren - Element der Modellvorstellung einer wohlgeordneten Gesellschaft, die ihrerseits Teil von Rawls' Theorie GF ist. Hinsichtlich der idealen Deutung des übergreifenden Konsenses ergäbe sich, daß Rawls auf der zweiten Stufe GF's fragt, ob ein übergreifender Konsens zugunsten GF's über Generationen hinweg reproduzierbar wäre. Die Frage wäre also weniger, ob GF einen übergreifenden Konsens allererst erwerben kann; die Betonung läge eher darauf, ob GF einen dauerhaften übergreifenden Konsens für sich haben kann. Hingegen verweist die nicht-ideale Deutung des vernünftigen Pluralismus und des übergreifenden Konsens auf einen empirisch gegebenen Kontext, für den erst noch gezeigt werden soll, daß der Bereich des Politischen auf der Grundlage einer politischen Konzeption normiert werden muß. Dabei geht es um den konkreten Kontext eines modernen demokratischen Verfassungsstaates - ein Kontext, der sich unter anderem darin kennzeichnen, daß fanatische und fundamentalistische Positionen vertreten werden. Auf diesen Kontext - und nicht auf die theorieninterne Modellvorstellung einer durch GF wohlgeordneten benen Bedingungen alles in allem wünschenswert. Doch wenn, so der Einwand, ein jeder Aktutilitarist wäre, würde die normative Autorität dieser Institutionen vollständig dem Streben nach einer Maximierung des Gesamtnutzens geopfert. Und die sich hieraus ergebende Verunsicherung wäre ihrerseits aus aktutilitaristischer Perspektive nicht wünschenswert. Vgl. zu diesem Standardeinwand z.B. Brülisauers Darstellung in: Bruno Brülisauer, Moral und Konvention, Ffm. 1988, bes. 132-44. Die zweite Stufe GF's stünde dann im Dienste des Nachweises, daß die Geltung GF's nicht das analoge Problem mit sich bringt, zu einem gesellschaftlichen Zustand zu führen, der aus der Perspektive GF's nicht wünschenswert wäre. 23 Gesellschaft - ist Rawls' metatheoretischer Leitgedanke zu beziehen. Und hier bleibt die Frage, ob eine Konzeption für den Bereich des Politischen auch fanatischen und fundamentalistischen Lehren angepaßt werden muß. Rawls' metatheoretischer Leitgedanke ist auf die zweite Deutung des Begriffs des vernünftigen Pluralismus zu beziehen und führt daher zu der Frage, wie Rawls unter seinen eigenen Voraussetzungen überhaupt eine inhaltlichliberale und politische Konzeption vertreten kann. Im zweiten Kapitel gehe ich von diesem Problem aus. Wir werden schließlich sehen, daß Rawls ihm entkommt; aber es ist wichtig zu sehen, wie dies geschieht. Zuvor jedoch sollten wir noch einmal gesondert auf Rawls' Begriff der politischen Konzeption - und seinen Gegenbegriff der umfassenden Lehre - eingehen. Ich konzentriere mich auf solche Punkte, die die Auseinandersetzung mit Rawls' metatheoretischer Position vereinfachen werden. I.3. Politische Konzeptionen und umfassende Lehren Auf das für unsere Zwecke wesentliche verkürzt können wir Rawls' Begriff der politischen Konzeption grob durch die folgende Definition wiedergeben: D1 Eine Normierungstheorie T ist politisch genau dann, wenn (i) T ausschließlich den Bereich des Politischen normiert, und (ii) T ausschließlich politische Werte enthält.25 25 Vgl. Rawls' Definition auf PL 174f., sowie PL 11-14. Anzufügen ist, daß ich Rawls' offizielles zweites Merkmal politischer Konzeptionen - "accepting the political conception does not presuppose accepting any particular comprehensive religious, philosophical, or moral doctrine" (PL 175) - umwillen einer möglichst kurzen Darstellung nicht in D1 aufgenommen habe, da es in (ii) aus D1 impliziert zu sein scheint. Weil eine politische Konzeption ausschließlich politische Werte enthält, setzt ihre Akzeptanz weder die Akzeptanz der (nicht-politischen) Werte einer umfassenden Lehre voraus, noch schließt ihre Akzeptanz die Akzeptanz der (nichtpolitischen) Werte einer umfassenden Lehre ein. Damit wäre Rawls' offizielles zweites Merk- 24 Das erste Merkmal betrifft den Anwendungs-, Gegenstands-, oder Normierungsbereich politischer Konzeptionen. Sie normieren ausschließlich den Bereich des Politischen (domain of the political).26 Dieser umfaßt die institutionelle Grundstruktur eines modernen demokratischen Verfassungsstaates, oder, wie Rawls auch sagt: das Gefüge seiner wichtigsten sozialen, ökonomischen und politischen Institutionen. Doch eine politische Konzeption normiert auch Charaktereingeschaften und Haltungen von Bürgern als Akteure innerhalb des Rahmenwerks der Grundstruktur.27 Daher läßt sich sagen, daß der Bereich des Politischen bei Rawls sowohl jene Institutionen, als auch Charaktereigenschaften und Haltungen von Bürgern umschließt, soweit letztere für die Umsetzung der Prinzipien und Wertstandards einer politischen Konzeption innerhalb des Rahmenwerks dieser Institutionen relevant sind.28 mal in (ii) enthalten. Nachstehend gehe ich davon aus, daß dem so ist. Vgl. bestätigend dazu: PL 12. Anzufügen ist weiterhin, daß ich für D1 vorausgesetzt habe, daß Rawls den Begriff der politischen Konzeption innerhalb der Menge der Moral- oder Normierungstheorien, und nicht innerhalb der engeren Menge der Gerechtigkeitstheorien erklärt. Zwar ist Rawls hier undeutlich, doch diese Annahme liegt alles in allem auf der Linie seiner Überlegungen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß Rawls mit drei Begriffen der conception arbeitet. Zum einen steht "conception" für Normierungstheorien, zum anderen für Prinzipien oder Wertstandards, die durch solche Theorien begründet werden. Beide Verwendungen kommen zusammen, wenn Rawls schreibt: "[A] political conception tries to elaborate a reasonable conception for the basic structure alone and involves, so far as possible, no wider commitment to any other doctrine" (PL 13). Hier verweist die erste Verwendung auf eine Normierungstheorie, die zweite auf Prinzipien und Wertstandards, in diesem Fall auf Grundsätze politischer Gerechtigkeit. Neben diesen Verwendungen finden wir die weitere, nach der "conception" eher mit "Interpretation oder Konkretion eines Konzepts (oder Begriffs)" zu übersetzen ist, vgl. hier z.B. PL 14, Fn. 15. Nachstehend verwende ich "Konzeption" im erstgenannten Sinne; "Konzeption" wird immer gleichbedeutend mit "Normierungstheorie" sein. Lediglich im siebten Kapitel weiche ich von dieser Regel ab: doch dort wird eindeutig sein, daß es um Rawls' dritte Verwendung geht. 26 Vgl. z.B. PL 135ff., 139f., 216f., 258. 27 Vgl. PL 11f. 28 Nach Rawls betrifft eine politische Konzeption die wichtigsten sozialen, ökonomischen und politischen Institutionen: aber wann haben derartige Institutionen diese Eigenschaft? Rawls ist hier notorisch undeutlich. Zwar sagt er einiges darüber, warum die wichtigsten dieser Institutionen normiert werden sollten. Aber es bleibt unklar, nach welchem Kriterium Instituti- 25 Das zweite Merkmal betrifft die Inhalte oder Normierungsinstanzen einer politischen Konzeption. Es darf so verstanden werden, daß politische Konzeptionen ausschließlich Werte der politischen Tradition, oder, wie Rawls auch sagt: Werte der öffentlichen politischen Kultur enthalten.29 Werte, die in der politischen Tradition implizit oder explizit enthalten sind, nennt Rawls "politische Werte".30 Mit Blick auf ihren ausschließlichen Rekurs auf politische Werte nennt Rawls politische Konzeptionen auch "freistehend" oder "doktrinal autonom".31 Der Begriff des politischen Werts ist dabei weit zu verstehen. Er umfaßt jede Art normativer und evaluativer Inhalte einer politischen Konzeption. Im Rahmen seines eigenen Ansatzes greift Rawls nicht nur, aber vor allem auf solche politischen Werte zurück, die er als "grundlegende intuitive Ideen" bezeichnet. Die für Rawls wichtigste dieser Ideen besteht in einer normativen Auffassung der Gesellschaft als faires und reziprokes System sozialer Kooperation zwischen vernünftigen und rationalen, freien und gleichen Personen. Rawls nimmt an, erstens, daß diese und derartige Ideen zu den wesentli- onen zu den wichtigsten gehören. Deutlich ist lediglich, daß er sich hier an den historisch vorgegebenen Institutionen der Vereinigten Staaten orientiert. Vgl. PL 257ff., 265-71, 281-84; John Rawls, "Die Grundstruktur als Gegenstand", in: Rawls (1994), bes. 47-57. Und: Rawls (1992), 7-11. Zu Rawls' Begriff der Institution vgl. auch Joseph Mendola, "On Rawls's Basic Structure: Forms of Justification and the Subject Matter of Social Philosophy", in: The Monist 71 (1988). Damit hängt zusammen, daß Rawls nicht klar macht, genau welche Institutionen dem Bereich des Politischen zuzuzählen sind. So liegt der "Bereich des Familiären" einmal innerhalb (PL 258), ein anderes Mal aber außerhalb dieses Bereichs (PL 137). Gerade dies hat Rawls berechtigte Kritik von Seiten feministischer Positionen eingebracht. Vgl. hier z.B. Susan Moller Okin, "Political Liberalism, Justice, and Gender", in: Ethics 105 (1994); und: Beate Rössler, "Der ungleiche Wert der Freiheit. Aspekte feministischer Kritik am Liberalismus und Kommunitarismus", in: Analyse & Kritik 14 (1992), bes. 99ff. 29 Vgl. z.B. PL 13f., 17-22, 125f., 139f. 30 Vgl. PL 11, Fn. 11, 125f. 31 Vgl. PL 10, 12, 98. Genauer ist zu sagen, daß Rawls davon spricht, daß eine politische Konzeption als freistehend präsentierbar sein muß. Diese Forderung werde ich nachstehend so verstehen, daß eine politische Konzeption freistehend sein muß. Anderenfalls wird Rawls' zweites Merkmal trivialisiert. Vgl. zu diesem Punkt Samuel Schefflers Bemerkungen, in: ders., "The Appeal of Political Liberalism", in: Ethics 105 (1994), bes. 12f. 26 chen evaluativen und normativen Elementen der politischen Tradition eines demokratischen Verfassungsstaates - wie etwa der Vereinigten Staaten der Gegenwart - gehören.32 Und zweitens, daß sie zur Ausarbeitung einer gehaltvollen und leistungsfähigen Normierungstheorie verknüpft werden können, ohne daß auf nicht-politische Werte zurückgegriffen werden muß.33 Unter diesen Vorzeichen läßt sich verdeutlichen, inwiefern Rawls' politischer Ansatz den Charakter einer liberalen Gerechtigkeitskonzeption haben kann. Rawls arbeitet GF vor dem Hintergrund einer Tradition aus, die seiner Auffassung nach bereits durch liberale Werte der Freiheit und Gleichheit geprägt ist. Daher kann eine politische Konzeption, die Werte einer derartigen Tradition aufgreift, liberalen Charakter haben.34 Zugleich kann sie eine Theorie der Gerechtigkeit sein. Rawls interpretiert den in der eben angeführten "grundlegenden intuitiven Idee" enthaltenen Begriff der vernünftigen Person als Begriff einer Person, die unter gerechten Institutionen zu leben wünscht.35 Festzuhalten ist aber, daß eine Konzeption in der Hinsicht ihrer Inhalte nicht dadurch politisch wird, daß sie 32 Vgl. PL 9. Rawls formuliert nirgendwo eine vollständige Liste der Ideen, auf die er zurückgreift. Für weitere Beispiel vgl. z.B. PL xvii, 14. 33 Rawls zufolge ist eine "allgemeine Tatsache", "that the political culture of a democratic society, which has worked reasonably well over a considerable period of time, normally contains, at least implicitly, certain fundamental intuitive ideas from which it is possible to work up a political conception of justice suitable for a constitutional regime" (PL 38, Fn. 41). Ich lasse offen, ob diese "Tatsache" nicht vielmehr eine erstaunliche Idealisierung ist. 34 Der Begriff einer liberalen Konzeption, den ich hier verwende, entspricht Rawls' offizieller inhaltlicher Definition: eine Konzeption ist in diesem Sinne liberal, wenn sie die drei Merkmale erfüllt: "first, it specifices certain basic rights, liberties, and opportunities (...); second, it assignes a special priority to these rights, liberties, and opportunities (...); and third, it affirms measures assuring all citizens all-purpose means to make effective use of their basic liberties and opportunities" (PL 223; vgl. PL 6, 175). Auf Rawls' zweiten, nicht mehr inhaltlichen, sondern rechtfertigungs- oder legitimitätstheoretischen Begriff des Liberalität gehe ich ausführlich in Kapitel V ein. 35 Vgl. z.B. PL 49f., 54. Auf Rawls' Begriff der vernünftigen Person komme ich noch häufig zurück. Für eine Liste einiger Eigenschaften, die Rawls vernünftigen Personen zuspricht, vgl. IV.1. 27 exakt die in GF aufgegriffenen Ideen enthält, sondern nur dadurch, daß sie ausschließlich Werte der politischen Tradition enthält. Daher gehören die eben angeführten politischen Werte nicht zur Definition, sondern zur spezifischen Ausformung einer politischen Konzeption.36 Zusammenfassend können wir sagen, daß Rawls politische Konzeptionen als bereichsrestringierte politische Traditionalismen definiert. Daraus folgt, daß es nicht Sache einer politischen Konzeption sein kann, die normative Autorität der Werte der politischen Tradition, auf die sie rekurriert, auszuweisen. Dieser Nachweis müßte wenigstens partiell im Rekurs auf nicht-politische Werte geführt werden. Enthielte sie nun aber nicht-politische Werte, so wäre sie nicht mehr politisch. Daher kann sie zumindest keine Begründung derjenigen traditionalen Werte vornehmen, die sie ihrerseits heranzieht, um andere Werte dieser Art zu begründen.37 36 An dieser Stelle sind einige Bemerkungen angebracht. Zunächst ist zu sagen, daß Rawls es durchgängig als Selbstverständlichkeit vorauszusetzen scheint, daß eine politische Konzeption vor dem Hintergrund einer politischen Tradition wie der der Vereinigten Staaten erstens eine inhaltlich-liberale Konzeption, und zweitens eine Konzeption der Gerechtigkeit sein muß. Doch gerade die Auslassung hier erforderlicher Argumente führt dazu, daß es außerordentlich schwierig ist, Rawls' Begriff der politischen Konzeption von Thesen zu unterscheiden, die er mit diesem Begriff allein aufgrund der Tatsache verbinden kann, daß er vor dem Hintergrund einer bestimmten Tradition argumentiert. Natürlich ist dies nicht die einzige Schwierigkeit: es ist ebenso schwierig, Rawls' Begriff der politischen Konzeption von den Gründen zugunsten einer politischen Konzeption zu trennen. Diese Schwierigkeit durchzieht z.B. Patrick Neals Rekonstruktion, vgl. Neal (1990), bes. 26ff. Neal scheint eine Reihe von Anforderungen, die Rawls für Normierungstheorien für den Bereich des Politischen formuliert, und die erst für eine politische Konzeption sprechen sollen, mit Bestandteilen des Begriffs der politischen Konzeption zu verwechseln. 37 Ich gehe davon aus, daß eine politische Konzeption mindestens zwei Arten politischer Werte enthält: einerseits normierungskonstitutive, andererseits aber normierungsrelative Werte. Werte der ersten Art sind solche, die im Rahmen einer politischen Konzeption herangezogen werden, um andere politische Werte zu begründen. Werte der zweiten Art sind solche, die in ihrem Rahmen begründet werden. Vgl. zu diesem Begriffspaar und seiner Anwendung auf GF auch IV.1. Die These ist daher, daß eine politische Konzeption zumindest ihre konstitutiven Werte nicht in den Grenzen der Tradition rechtfertigen könnte. Dies führt dazu, daß Jean Hampton Rawls mit dem in II.1. skizzierten Dilemma konfrontieren kann. 28 Soweit eine Annäherung an Rawls' Begriff der politischen Konzeption. Jetzt sollten wir auf seinen Begriff der umfassenden Lehre eingehen. Rawls schreibt: A conception is (...) general when it applies to a wide range of subjects (in the limit to all subjects); it is comprehensive when it includes conceptions of what is of value in human life, as well as ideals of personal virtue and character, that are to inform much of our nonpolitical conduct (in the limit our life as a whole). (175) Eine Normierungstheorie - oder Konzeption oder Lehre - ist allgemein, wenn sie einen "weiten Gegenstandsbereich" hat. Nun könnte eine Konzeption jedoch in zwei Hinsichten "weit" sein: zum einen könnte sie jeden Bereich mit Ausnahme des Bereichs des Politischen normieren, zum anderen könnte ihr Normierungsbereich über diesen Bereich hinausgehen. Daher dürfen wir vollständiger sagen, daß eine Konzeption allgemein ist, wenn sie nicht oder nicht ausschließlich den Bereich des Politischen normiert. Dies ist das kontradiktorische Gegenstück zum Normierungsbereich politischer Konzeptionen. Hingegen ist eine Konzeption umfassend, wenn sie Werte für nichtpolitische Bereiche, und das heißt hier: wenn sie nicht-politische Werte enthält. Wie eben läßt sich sagen, daß eine Konzeption in zwei Hinsichten umfassend sein könnte: einerseits könnte sie ausschließlich nicht-politische Werte, andererseits aber neben politischen Werten auch nicht-politische Werte enthalten. Daher wäre vollständiger zu sagen, daß eine Konzeption umfassend ist, wenn sie nicht oder nicht ausschließlich politische Werte enthält. Damit haben wir das kontradiktorische Gegenstück zu den Normierungsinstanzen einer politischen Konzeption. Anzufügen ist hier, daß Rawls' umfassende Lehren nicht mit Konzeptionen des Guten gleichzusetzen sind. Rawls' Konzeptionen des Guten haben den regulären Sinn strukturierter Mengen letzter Ziele, deren Akzeptanz jedoch nicht Moralität impliziert. Dementsprechend ordnet Rawls sie "dem Rationalen", nicht "dem Vernünftigen" zu. Hingegen liegen umfassende Lehren auf der Ebene genereller Moraltheorien wie etwa Kantische Universalismen oder utili- 29 taristische Positionen. Korrespondierend stuft Rawls die Ansätze Kants und Mills als umfassende Lehren ein. 38 Hervorzuheben ist jetzt, daß Rawls bis hierhin offen gelassen hat, welchen Normierungsbereich umfassende Lehren haben. Er charakterisierte umfassende Lehren lediglich mit Blick auf ihre Normierungsinstanzen. Nun ist es jedoch völlig klar, daß er politische und umfassende Konzeptionen in Political Liberalism sowohl hinsichtlich ihrer Normierungsinstanzen, als auch hinsichtlich ihrer Normierungsbereiche gegenüberstellt. Doch bis hierhin könnte eine Konzeption umfassend sein, während sie exakt den Normierungsbereich einer politischen Konzeption hat. Wir müssen daher einen genaueren Blick auf das Verhältnis der Begriffe "allgemein" und "umfassend" werfen. Rawls schreibt zuerst: [D]ie Unterscheidung einer politischen Gerechtigkeitskonzeption von anderen moralischen Konzeptionen [ist, T.B.] eine Frage des Anwendungsbereichs, daß heißt des Bereichs der Gegenstände, auf die eine Konzeption Anwendung findet, und je weiter ihr Umfang ist, desto umfassender muß ihr Inhalt sein, den sie benötigt.39 38 Vgl. hierzu PL 19, 30, 74, 104, 145. Die Differenz zwischen Konzeptionen des Guten und umfassenden Lehren übersehen z.B. Wilfried Hinsch, in: ders., "Einleitung", in: Rawls (1994), z.B. 9, 25, 34; und: Rainer Forst in seiner bemerkenswerten Schrift Kontexte der Gerechtigkeit, Ffm. 1994. Forst versteht Rawls' umfassende Lehren als "ethischen Konzeptionen" oder "ethische Lehren", und diese im Effekt als Konzeptionen des Guten. Vgl. z.B. Forst (1994), 268f., 282f. Gerade Forsts Fehler der Gleichsetzung von umfassenden Lehren und ethischen Konzeptionen scheint der Grund dafür zu sein, daß sein eigener Ansatz - so wie er in Kontexte der Gerechtigkeit entfaltet wird - den Charakter einer umfassenden Lehre gewinnt. Ebenfalls scheint hier der Grund zu liegen, weshalb Forst von vorneherein auch Rawls' Ansatz nicht mehr anders, denn nur noch als umfassende Lehre (nun im Rawls'schen Sinne dieses Terminus) konzeptualisieren kann. Damit aber lassen sich die grundlegende Probleme der Rawls'schen Position, um die es in dieser Arbeit geht, überhaupt nicht mehr identifizieren. 39 Aus: Rawls (1994), 343. Vgl. PL 13, 175. 30 Je weiter der Anwendungsbereich einer Konzeption ist, "desto umfassender muß der Inhalt sein, den sie benötigt". Was auch immer Rawls mit dieser Bemerkung sonst noch sagen will, wenigstens impliziert er: (1) Wenn eine Konzeption allgemein ist, dann muß sie umfassend sein. Wohlgemerkt: Rawls vertritt hier nicht lediglich die These, daß allgemeine Konzeptionen normalerweise umfassend sind: (1) besagt, daß allgemeine Konzeptionen umfassend sein müssen. Rawls schreibt auch: Per definitionem (...) muß selbst eine teilweise umfassende Konzeption über die Grenzen des Politischen hinausgehen und nicht-politische Werte und Tugenden einschließen.40 Was auch immer Rawls in dieser Passage sonst noch vertritt, wenigstens behauptet er: (2) Wenn eine Konzeption umfassend ist, dann muß sie allgemein sein. Deutlich ist, daß (2) nicht aus (1) folgt: wenn jede allgemeine Konzeption umfassend sein muß, folgt nicht, daß eine umfassende Konzeption notwendig eine allgemeine ist. Wenn wir (1) übersetzen, ergibt sich: wenn eine Konzeption nicht oder nicht ausschließlich den Bereich des Politischen betrifft, dann muß es auch so sein, daß sie nicht oder nicht ausschließlich politische Werte enthält. Die Übersetzung für (2) lautet: wenn eine Konzeption nicht oder nicht ausschließlich politische Werte enthält, dann muß es auch so sein, daß sie nicht oder nicht ausschließlich den Bereich des Politischen betrifft. Aber welche Gründe hat Rawls für (1) und (2)? Deutlich ist, daß Rawls mit (1) und (2) jede allgemeine Konzeption zugleich als umfassende, und jede umfassende Konzeption zugleich als allgemeine betrachten kann. Entsprechend kann Rawls politische und umfassende Konzeptionen sowohl in der Hinsicht der Normierungsinstanzen, als auch in der Hinsicht der Normierungsbereiche gegenüberstellen. Aber bei 31 Rawls findet sich nichts, wodurch (1) und (2), und daher diese Gegenüberstellung begründet würde. Festzuhalten ist dabei, daß Rawls sich nicht darauf berufen könnte, daß umfassende Normierungstheorien normalerweise allgemein sind, oder, umgekehrt, daß allgemeine Konzeptionen normalerweise umfassend sind. Selbst wenn diese Thesen wahr wären, würde weder folgen, daß eine umfassende Konzeption allgemein sein muß, noch, daß eine allgemeine Konzeption umfassend sein muß. Wie läßt sich diese Auslassung erklären? Die plausibelste Erklärung scheint darin zu bestehen, daß wir es hier mit den Auswirkungen eines impliziten Bestandteils des Begriffs des politischen Werts zu tun haben. Rawls scheint zu vertreten, daß ein Wert W genau dann ein politischer Wert ist, wenn (i) W in der politischen Tradition enthalten ist, und (ii) W ausschließlich den Bereich des Politischen betrifft. Wenn Rawls den Begriff des politischen Werts in dieser Weise versteht, dann folgt, daß eine Lehre, wenn sie als allgemeine Lehre nicht-politische Bereiche betrifft, notwendig nicht-politische Werte enthält. Also läßt sich sagen, daß eine Lehre, wenn sie allgemein ist, zugleich umfassend sein muß (Rawls' These (1)). Umgekehrt gilt: wenn eine Lehre als umfassende Lehre nicht-politische Werte enthält, dann folgt, daß sie nicht-politische Bereiche betrifft. Daher kann Rawls vertreten, daß eine Lehre, wenn sie umfassend ist, zugleich allgemein sein muß (These (2)). Daher ist anzunehmen, daß Rawls den Begriff des politischen Werts entsprechend versteht. Auf der Seite von Rawls' Definition der politischen Konzeption D1 heißt das, daß das zweite Merkmal das erste impliziert: wenn eine Konzeption ausschließlich politische Werte enthält, so betrifft sie ausschließlich den Bereich des Politischen. Daher sind Rawls' metatheoretische Gründe für eine Konzeption, die ausschließlich politische Werte enthält, zugleich Gründe für eine Konzeption, die ausschließlich den Bereich des Politischen betrifft. Entsprechend sind seine Gründe gegen umfassende Lehren - oder gegen nicht-politische Werte - zugleich Gründe gegen eine Normierung nicht-politischer Bereiche. 40 Aus: Rawls (1994), 343. 32 Vor diesem Hintergrund werden wir uns in der Rekonstruktion von Rawls' Gründen zugunsten einer politischen Konzeption auf seine Gründe zugunsten einer Konzeption, die ausschließlich politische Werte enthält, beschränken können. Damit gelange ich zur ersten Runde meiner Auseinandersetzung mit Rawls' metatheoretischen Gründen zugunsten einer politischen Konzeption. 33 II. ÜBER VERNÜNFTIGE UMFASSENDE LEHREN 34 II. ÜBER VERNÜNFTIGE UMFASSENDE LEHREN Rawls vertrat, daß der Inhalt einer Konzeption für den Bereich des Politischen faktisch unstrittig zwischen solchen umfassenden Lehren sein sollte, die unter Bedingungen des vernünftigen Pluralismus vertreten werden. Sein metatheoretischer Leitgedanke war, erstens, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen umwillen eines übergreifenden Konsens nur solche Inhalte aufweisen sollte, die zwischen diesen Lehren faktisch unstrittig sind, und zweitens, daß sie aus diesem Grunde politischen Charakter im definierten Sinne haben sollte. Doch nach Maßgabe des metatheoretisch verwendeten Begriffs konnte ein vernünftiger Pluralismus auch dann vorliegen, wenn antiliberale Positionen vertreten werden. Aber ist Rawls dann nicht mit der Konsequenz konfrontiert, daß der Inhalt einer Konzeption für den Bereich des Politischen auch antiliberalen Positionen angepaßt werden muß? In diesem Kapitel werde ich herausarbeiten, über welchen Weg Rawls dieser Konsequenz entkommt. II.1. Jean Hamptons Dilemma Jean Hampton hat Rawls hier vor das Dilemma gestellt, entweder zu vertreten, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen nur faktisch unstrittige Werte enthalten darf, oder aber, daß eine Konzeption für diesen Bereich be- 35 stimmte Werte selbst dann zu enthalten hat, wenn diese faktisch strittig sind.41 Unter der ersten Option folgt, daß eine Konzeption für diesen Bereich - und also auch GF - liberale Werte nicht enthalten darf, wenn diese strittig sind. Unter der zweiten hingegen müßte Rawls begründen, weshalb bestimmte Werte trotz ihres strittigen Charakters akzeptiert werden sollten. Doch diese Begründung könnte nicht durchgängig politisch ausfallen: hier wären zumindest manche der Werte GF's im Rekurs auf nicht-politische Werte zu stützen. Also müßte Rawls früher oder später selbst "umfassend" oder "metaphysisch" argumentieren: [If] he defends them [die Werte GF's, T.B.] as correct (and for that reason worthy of being accepted), (...) his defence of liberal values presupposes the truth of a comprehensive metaphysical view that includes them, and implicitly rejects the idea that liberal democratic society can take a neutral stand on every value-issue.42 Hampton nimmt zurecht an, daß Rawls das erste Horn ihres Dilemmas ausschlagen will; daher zieht sie die Konsequenz, daß er zumindest manche der Werte GF's durch eine nicht-politische Begründung stützen und damit das Projekt eines rein politischen Ansatzes aufgeben müßte.43 41 Jean Hampton, "The moral commitments of liberalism", in: David Copp, Jean Hampton, John E. Roemer (Hrsg.), The idea of democracy, Cambridge 1993.. 42 Hampton (1993), 309. 43 Aus ihrem Dilemma - dessen metatheoretischen Ort Hampton nicht klar erkennt schlußfolgert sie: "[L]iberalism cannot remain liberalism once it is defended on what is commonly accepted rather than what morality requires in a political context. One can only conclude that the growing literature purporting to develop a "neutral" form of liberalism is deeply misguided" (Hampton (1993), 312). Doch daß Rawls vor dieses Dilemma gestellt ist, zeigt noch nicht, daß sein Ansatz "deeply misguided" ist. Vielmehr muß dieses Dilemma als Mittel einer rationalen Rekonstruktion eingesetzt werden, um verdeckte systematische Strukturen seines Ansatzes aufzudecken. Hamptons Dilemma ähnelt Joshua Cohens "kommunitaristischem Dilemma", vgl. Cohens Besprechung von Walzers Spheres of Justice in: The Journal of Philosophy 83 (1986), bes. 463ff. Miguel Giusti hat Cohens "kommunitaristisches Dilemma" aufgenommen, erklärt und vertieft, in: Miguel Giusti, "Topische Paradoxien der kommunitaristischen Argumentation", in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42 (1994). 36 Hampton bringt den Neutralitätsbegriff ins Spiel, da sie Rawls' Fokus auf eine politische Konzeption auf den Versuch der Ausarbeitung einer maximal neutralen Konzeption zurückführt. Doch ihr Dilemma läßt sich auch davon unabhängig aufgreifen. Dann besteht das Problem darin, daß eine Begründung politischer Werte mit Rawls' politischem Projekt in Konflikt geraten müßte. Auf den zusätzlichen Punkt der Neutralitätsfrage brauche ich jetzt nicht einzugehen. Zugleich ist zu sagen, daß Neutralität bei Rawls Neutralität in den Grenzen dessen ist, was nicht vernünftigerweise verworfen werden kann. Daher ist die hier primäre Frage, wie Rawls' Begriff des Vernünftigen aufzufassen ist. Und es ist diese Frage, verstanden als die Frage nach der systematischen Funktion dieses Begriffs, um die es hier geht. Daß seine Position durch ein Dilemma der eben angesprochenen Art bedroht ist, scheint Rawls selbst gesehen zu haben; eine ganze Reihe von Unklarheiten seines Ansatzes ließen sich als Resultate des impliziten Versuchs werten, ihm zu entkommen. Gleichwohl ist klar, daß er das zweite Horn von Hamptons Dilemma nehmen, aber die entsprechenden Konsequenzen vermeiden will. Anders gesagt: Rawls will sowohl bestimmte politische Werte auf der innertheoretischen Ebene - der Ebene GF's - als normativ verbindlich behandeln, als auch eine nicht-politische Begründung politischer Werte vermeiden. Aber wie? Ein Weg um beides zu erreichen, bestünde darin, auf der metatheoretischen Ebene eine Begründung zumindest derjenigen politischen Werte einzufügen, die Rawls auf der Ebene GF's als Begründungsvoraussetzungen behandelt. Wenigstens prima facie könnte Rawls' innertheoretische Position über diesen Weg politisch verbleiben, während sein Argument zugunsten einer politischen Konzeption eine Begründung derjenigen politischen Werte einschlösse, auf die er auf der Ebene von GF zurückgreift, um andere politische Werte zu begründen. Das metatheoretische Argument hätte so die Funktion, nicht nur zu zeigen, daß politische Institutionen auf der Grundlage eines politischen Ansatzes normiert werden sollten. Es hätte zudem die Funktion, zu begründen, daß eine politische Konzeption bestimmte Werte unabhängig von faktischem Konsens oder Dissens enthalten sollte. Doch Rawls geht nicht diesen Weg. Seine Strategie, diesem Dilemma zu entkommen, ist verwickelter. 37 Zuerst ist festzuhalten, daß Rawls vertritt, daß "a society may also contain unreasonable and irrational, and even mad, comprehensive doctrines" (xvif.). Und das heißt, daß Rawls mit Hamptons Dilemma konfrontiert ist. Diese Bemerkung ist nicht trivial. Nach einer Interpretation von Political Liberalism expliziert Rawls GF innerhalb des analytischen Kontextes einer wohlgeordneten Gesellschaft. In diesem Fall wird GF unter der Voraussetzung ausgearbeitet, daß eine wohlgeordnete Gesellschaft besteht; Rawls' Ziel wäre, aufzuzeigen, welche Konzeption Bürger einer solchen Gesellschaft akzeptieren würden. In diesem Fall könnte Rawls einen tiefgehenden Konsens über die Werte der politischen Tradition postulieren. Daher entfiele das Problem, wie die Werte GF's abgesichert werden können, wenn unvernünftige Lehren vertreten werden. Und das heißt: Rawls könnte hier das erste Horn von Hamptons Dilemma nehmen ohne destruktive Konsequenzen für die Werte GF's zu riskieren.44 . Doch wenn Bürger einer wohlgeordneten Gesellschaft zureichende Gründe hätten, GF zu akzeptieren, folgt nicht, daß diejenigen, die Bürger einer solchen Gesellschaft erst noch werden wollen, zureichende Gründe haben, GF zu akzeptieren: setzt Rawls den Kontext einer wohlgeordneten Gesellschaft voraus, bleibt prima facie offen, warum wir GF akzeptieren sollten Ein späterer Aufsatz legt jedoch nahe, daß GF diesen Kontext nicht voraussetzen soll;.45 dann aber kann Rawls das eine wohlgeordnete Gesellschaft prägende Maß normativer Einmütigkeit nicht, und auch nicht auf metatheoretischer Ebene voraussetzen. Ein erster Verweis auf seine Umgehungsstrategie besteht darin, (i) daß Rawls sich ausschließlich an vernünftigen Lehren orientieren will (36) und annimmt, (ii) "that a reasonable comprehensive doctrine does not reject the es- 44 Diese Interpretation setzt z.B. Donald R. Korobkin voraus, vgl. ders., "Political Justification and the Law", in: Columbia Law Review 94 (1994), 1911. Zeitweise scheint sie auch bei Leif Wenar im Hintergrund zu stehen, vgl. ders., "Political Liberalism: An Internal Critique", in: Ethics 106 (1995), 46. 45, Vgl. John Rawls, "Reply to Habermas", in: The Journal of Philosophy 92 (1995). 38 sentials of a democratic regime" (xvif.). Rawls erklärt nirgendwo, welche Werte er als "essentials of a democratic regime" zählt. Doch offenbar handelt es sich um politische Werte, deren Geltung für ein demokratisches System konstitutiv ist. Daher müßte es um Werte politischer Freiheit und Gleichheit gehen.46 Doch die Thesen (i) und (ii) reichen natürlich nicht aus, um Hamptons Dilemma zu entkommen. Hampton könnte jetzt geltend machen, erstens, daß beide Thesen lediglich zum Ausdruck bringen, daß Rawls das zweite Horn ihres Dilemmas akzeptiert. Und zweitens, daß das Kriterium der Vernünftigkeit umfassender Lehren, das Rawls an dieser Stelle impliziert, nicht ausschließlich im Rekurs auf politische Werte begründet werden könnte. Seine Strategie gewinnt deutlichere Konturen, wenn gefragt wird, wie er den Ausdruck "vernünftig" verwendet. Da er ihn zur Prädikation eines ganzen Bündels unterschiedlichster Dinge heranzieht, ist es schwierig, eine Regel zu abstrahieren, die die unterschiedlichen Applikationen zusammenhält.47 Doch alles in allem scheint Rawls die Regel zu befolgen, daß X genau dann ein vernünftiges X ist, wenn mindestens eine vernünftige Person in Übereinstimmung 46 Das heißt nicht schon, daß es hier exakt um diejenigen Werte politischer Freiheit und Gleichheit geht, die Rawls auf der Ebene von GF formuliert; doch es heißt, daß es um Werte dieser Art gehen müßte. Nachstehend setze ich voraus, daß Rawls' "essentials" so zu verstehen sind. Vgl. auch Kapitel IV. 47 Vgl. z.B. PL xxf., 48, 56, 94. Andreas Muth hat mich darauf hingewiesen, daß ich an dieser Stelle Beispiele einfügen sollte. Zur Verdeutlichung läßt sich daher Wenars Liste vorbringen: "Rawls refers to reasonable principles of justice, reasonable judgements, reasonable conditions on a process of construction, reasonable decisions, a reasonable political conception of justice, reasonable expctations, a reasonable overlapping consensus, reasonable justification, reasonable norms, a reasonable society, reasonable disagreement, reasonable assurance, reasonable faith, reasonably favorable conditions, the virtue of reasonableness, a reasonable idea, reasonable measures, reasonable requirements, reasonable actions, reasonable doubt, a reasonable basis of public justification, reasonable answers, a reasonable variant of the public conception of justice, a reasonable understanding, reasonable belief, a reasonable combination and balance of values, reasonable extensions of justice as fairness, a reasonable expression of political values, unreasonable force, reasonable pluralism, reasonable comprehensive doctrines and reasonable ways of affirming them, and reasonable agents and persons, who have a reasonable moral psychology" (Wenar (1995), 34). 39 damit, vernünftig zu sein, meint oder meinen kann, daß X von vernünftigen Personen in Übereinstimmung damit, vernünftig zu sein, bejaht wird oder werden kann. Ich gehe davon aus, daß dies mehr oder weniger äquivalent ist mit: R1 X ist vernünftig genau dann, wenn X aus der Perspektive vernünftiger Personen akzeptiert werden kann. "Akzeptieren" muß hier möglichst weit interpretiert werden: in R1 geht es um Varianten praktischer und theoretischer Zustimmung. Dabei verweist Vernünftigkeit als Eigenschaft von Personen auf Rawls' politische moralische Tugend, vernünftig zu sein. Diese Tugend läßt sich konglomerativ als kardinales moralisches Gutsein für den Bereich sozialer Kooperation, den Handlungsbereich des Politischen einschätzen. Sie ist eine politische Tugend, indem sie zu den Werten der politischen Tradition zählt und sich allein auf diesen Handlungsbereich bezieht.48 Nach diesem Analyseschema ist eine umfassende Lehre genau dann vernünftig, wenn sie aus der Perspektive vernünftiger Personen - in Übereinstimmung damit, vernünftig zu sein - akzeptiert werden kann.49 Entspre- 48 Vgl. zu Rawls' politischer moralischer Tugend der Vernünftigkeit PL 48-54, 58-61, 94, bes.: 48, Fn. 1, 49, Fn. 2. Vgl. auch PL 29ff., 139. Ich komme auf Rawls' Begriff des Vernünftigen noch häufig zurück. Es scheint gerade Rawls' annähernd unüberschaubar breite und unsystematische Verwendung des Ausdrucks "vernünftig" zu sein, die Paul F. Campos zur Konsequenz führt, "that Rawls's analysis of political issues amounts to little more than the shamanistic incantation of the word "reasonable"", in: ders., "Secular Fundamentalism", in: Columbia Law Review 94 (1994), 1816. Konträr zu dieser Diagnose möchte ich annehmen, daß R1 die Richtung vorgibt, der eine rationale Rekonstruktion von Rawls' Verwendung von "vernünftig" folgen müßte. Anzufügen ist, daß Rawls den Ausdruck "vernünftig" manchmal auch im Komparativ verwendet. Wie wäre dies in übereinstimmung mit R1 zu erklären? Ich mache folgenden Vorschlag: X ist vernünftiger als Y genau dann, wenn (i) X und Y aus der Perspektive vernünftiger Personen akzeptiert werden können, und (ii) vernünftige Personen, wenn sie zwischen X und Y wählen müßten, X vorziehen würden. Punkt (i) entspricht R1. Auf dieser Linie, so möchte ich annehmen, wäre R1 hinsichtlich Rawls' komparativer Verwendungen des Ausdrucks "vernünftig" zu erweitern. 49 Anzufügen ist, daß Rawls' Verwendung des Ausdrucks "vernünftig" eine enge formale Analogie zur attributiven moralischen Verwendung von "gut" aufweist. Ebenso, wie in dieser Interpretation von "gut" ein "gutes X" ein X ist, das jemand, der gut als Y ist, wählen würde (wobei "Y" für ein moralisch privilegiertes Aufbauprädikat wie etwa "Mensch" oder "Person" 40 chend vertritt Rawls, daß vernünftige Lehren solche Lehren sind, "that reasonable citizens affirm and that political liberalism must address" (59). Und nun zeichnet sich ab, über welchen Weg Rawls Hamptons Dilemma zu entkommen versucht. In systematischer Hinsicht greift er zuerst den politischen Wert der vernünftigen Person auf; dann charakterisiert er vernünftige Lehren als solche Lehren, die aus der Perspektive vernünftiger Personen akzeptiert werden können. Darauf aufbauend vertritt er, daß vernünftige Lehren mit den Werten vereinbar sind, die vernünftige Personen akzeptieren. Und da Rawls offenbar der Meinung ist, daß x als vernünftige Person "essentials of a democratic regime" nicht verwirft, folgt, daß vernünftige Lehren mit diesen "essentials" vereinbar sind. Kürzer gesagt: weil Rawls sich auf solche Lehren konzentriert, die aus der Perspektive vernünftiger Personen akzeptiert werden können, und annimmt, daß vernünftige Personen bestimmte politische Werte akzeptieren, vertritt er, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen diese Werte enthalten muß. Dabei ist noch einmal hervorzuheben, daß diese Schrittfolge auf der Ebene von Rawls' metatheoretischem Argument liegt. Nach Maßgabe der Strategie seiner metatheoretischen Überlegungen entscheidet Rawls zuerst, welche umfassenden Lehren vernünftig sind; und erst danach erarbeitet er eine Konzepti- steht), versteht Rawls unter einem "vernünftigen X" ein X, das eine vernünftige Person akzeptieren würde. Zeitweise scheint diese Analogie derartig weit zu gehen, daß Rawls den Begriff der vernünftigen Person unterschwellig mit dem einer moralisch guten Person gleichsetzt, um letzteren Begriff dann nicht mehr vom Begriff eines guten Bürgers - einer Person, die gut als Bürger ist - zu unterscheiden. Dies ist eine in formalen Hinsichten "aristotelisierende" Tendenz. Vgl. zur attributiven Verwendung von "gut" William D. Hudsons Übersicht über unterschiedliche metaethische Positionen zur Interpretation dieses Ausdrucks, in: ders., Modern Moral Philosophy, New York 1983, Kap. 7. Vgl. auch Bernard Williams zugängliche Bemerkungen in: ders., Morality, London 1976, Kap. 6f.; Ernst Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, Ffm. 1993, bes. 3. Vorl. Klassisch dürfte hier die Diskussion zwischen Peter T. Geach und Richard M. Hare sein, vgl. Geach, "Good and Evil", in: Analysis 17 (1956) und Hare, "Geach: Good and Evil", in: Analysis 18 (1957). Vgl. auch Hare, The Language of Morals, Oxford 1952, Kap. II.9. und Mackie (1977), Kap. 2. Ich lasse den metaethischen Zugriff auf Rawls' Position vorne vor, da er gegenüber Rawls, wenngleich von der Sache her berechtigt, interpretativ unangemessen ist. 41 on für den Bereich des Politischen in den Grenzen dessen, was zwischen diesen Lehren faktisch unstrittig sind. Daher kann die gerade notierte Schrittfolge keinerlei Begründungen innerhalb GF's voraussetzen. Zugleich zeichnet sich ab, daß Rawls' metatheoretischer Rekurs auf den politischen Wert der vernünftigen Person darauf hinausläuft, daß bereits seine Überlegung, wie eine Konzeption für den Bereich des Politischen beschaffen sein sollte, die Autorität der politischen Tradition voraussetzt. Rawls verläßt auf keiner Ebene seines Ansatzes den Horizont dieser Tradition. Auf diese Punkte komme ich weiter unten genauer zurück. II.2. Rawls' Kriterium der Vernünftigkeit umfassender Lehren Insgesamt zeichnet sich ab, daß Rawls das zweite Horn von Hamptons Dilemma nimmt und die Konsequenz einer nicht-politischen Rechtfertigung politischer Werte zu vermeiden versucht, indem er auf metatheoretischer Ebene auf den politischen Wert der vernünftigen Person zurückgreift. Prima vista scheint er auf diese Strategie festgelegt zu sein, wenn er das zweite Horn von Hamptons Dilemma nehmen, aber auf keiner Ebene seines Ansatzes eine nichtpolitische Begründung politischer Werte in Kauf nehmen will. Doch die Frage, ob und in welcher Weise Rawls Hamptons Dilemma entkommt, ist grundlegend für eine Einschätzung seiner Position; daher müssen wir jetzt versuchen, eine Bestätigung für den gerade notierten Weg zu gewinnen. Dafür werde ich fragen, welches Kriterium der Vernünftigkeit umfassender Lehren Rawls' offizielle Definition vernünftiger Lehren impliziert. In erster Näherung liegt dieses Kriterium quer zur eben notierten Strategie. Doch es ist aus der Perspektive seiner eigenen Position mangelhaft - und gerade die Art, in der Rawls versucht, diese Mängel auszugleichen, bestätigt, daß er zur eben notierten Strategie Zuflucht nimmt. Auf das wesentliche verkürzt läßt sich Rawls' Definition vernünftiger umfassender Lehren wie folgt zusammenfassen: 42 D2 Eine umfassende Lehre L ist vernünftig genau dann, wenn (i) L mehr oder weniger kohärent ist, (ii) die in L enthaltenen Werte mehr oder weniger geordnet sind, und (iii) L historischen Veränderungen unterworfen ist.50 Da (iii) auch im Falle unvernünftiger Lehren erfüllt sein dürfte, wird Rawls' Kriterium der Vernünftigkeit umfassender Lehren durch (i) und (ii) gegeben.51 Jede umfassende Lehre, die mehr oder weniger kohärent und geordnet ist, ist eine vernünftige Lehre. Umgekehrt ist eine umfassende Lehre nur dann unvernünftig, wenn sie (i) oder (ii) verletzt. Zu beachten ist, daß Rawls damit ein formales oder strukturelles Kriterium der Vernünftigkeit umfassender Lehren vorgebracht hat. Doch reicht das aus? Der Grundgedanke des metatheoretischen Arguments belief sich darauf, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen umwillen des Zieles des übergreifenden Konsens nur solche Werte enthalten darf, die unter Bedingungen des vernünftigen Pluralismus faktisch unstrittig sind. Dementsprechend muß D2 wenigstens zwei Aufgaben erfüllen. Allem voran muß das in D2 implizierte Kriterium der Vernünftigkeit umfassender Lehren weit genug sein, um zu garantieren, daß eine umfassende Lehre auch dann vernünftig sein kann, wenn sie mit bestimmten nicht-politischen Werten unvereinbar ist. Falls Rawls' Kriterum impliziert, daß eine Lehre nur dann vernünftig ist, wenn sie mit be- 50 Vgl. Rawls' eher narrativ ausfallende Definition auf PL 59. 51 Obgleich ich Bedingung (iii) nicht weiter diskutieren werde, ist anzufügen, daß es mit (iii) umfassende Lehren geben kann, die nach D2 vernünftig sind, obgleich sie aus ihrer eigenen Perspektive D2 nicht erfüllen. Wenn x als Proponent von L davon ausgeht, daß L keinen historischen Veränderungen unterworfen ist - etwa weil L aus x'ens Perspektive auf infallibler Intuition oder Offenbarungswissen beruht -, so müßte x aus der Perspektive L's annehmen, daß L (iii) verletzt. Und dies selbst dann, wenn L "von außen" historischen Veränderungen ausgesetzt ist. Generalisiert: D2 ist aus der Innenperspektive einer umfassenden Lehren erst akzeptabel, wenn diese mit dem entsprechenden Maß historischer Relativierung ihrer Inhalte und Geltungsansprüche vereinbar ist. Daher kann die Menge der nach D2 vernünftigen Lehren umfassender sein als die Menge der nach D2 vernünftigen Lehren, aus deren Perspektive D2 akzeptiert werden kann. 43 stimmten nicht-politischen Werten vereinbar ist, scheint ein übergreifender Konsens zwischen vernünftigen Lehren notwendig einen Konsens über nichtpolitische Werte einzuschließen. Dann aber wäre offen, warum eine Konzeption für den Bereich des Politischen umwillen des Ziels des übergreifenden Konsens keine nicht-politischen Werte enthalten darf. Anders gesagt: offen wäre, warum sie politisch im Rawls'schen Sinne sein muß. Doch das in D2 implizierte Kriterium ist weit genug. Aus der bloßen Tatsache allein, daß L (i) und (ii) erfüllt, folgt nicht schon, daß L mit bestimmten nicht-politischen Werten vereinbar ist. Doch D2 muß noch eine weitere Aufgabe erfüllen. Das in D2 implizierte Kriterium muß über irgendeinen Weg die These stützen, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen "essentials of a democratic regime" enthalten muß. Deutlich ist jetzt, daß Rawls diese "essentials" von der Liste der Werte einer Konzeption für diesen Bereich streichen muß, wenn umfassende Lehren vertreten werden, die (i) und (ii) erfüllen, aber mit mit diesen "essentials" unvereinbar sind. Nun ist Rawls offenbar der Meinung, daß eine Konzeption für diesen Bereich die entsprechenden Werte zu enthalten hat. Daher scheint er auf die These festgelegt zu sein, daß jede Lehre, die (i) und (ii) erfüllt, diese Werte nicht verwirft. Doch diese These ist offensichtlich falsch. Es ist sicherlich nicht der Fall, daß jede Lehre, die Rawls' politische Werte der Freiheit und Gleichheit verwirft, unvernünftig im Sinne einer Verletzung von (i) oder (ii) ist. Anders gesagt: da angenommen werden muß, daß manche Antiliberalismen mehr oder weniger kohärent und geordnet sind, müßten Rawls' "essentials" von der Liste der Werte gestrichen werden, die eine Konzeption für den Bereich des Politischen enthalten darf. Und das heißt: Rawls' Definition vernünftiger Lehren kann ihre zweite Aufgabe nicht erfüllen, da sie ein Kriterium der Vernünftigkeit impliziert, das zu weit ist, um abzusichern, daß eine Konzeption für diesen Bereich "essentials of a democratic regime" enthalten muß. Anzufügen ist hier, daß Rawls nirgendwo argumentiert hat und kann auch nicht argumentieren aknn, daß jede Lehre, wenn sie (i) und (ii) erfüllt, per consequentiam darauf festgelegt ist, politische Werte der Freiheit und Gleichheit zu akzeptieren - unabhängig davon, 44 ob sie de facto mit diesen Werten vereinbar ist. Selbst wenn dieses Argument geführt werden könnte, müßte es annähernd auf eine Letztbegründung politischer Werte und damit auf einen fundamentalphilosophischen Ansatz - einen foundationalism - hinauslaufen. Strukturelle oder formale Eigenschaften als solche müßten eine Lehre auf liberale Werte festlegen. Doch es kann nicht geführt werden: Kohärenz und eine bestimmte Ordnung unter den bereits akzeptierten Werten allein legen nicht darauf fest, liberale Werte zu akzeptieren.52 Dann aber wäre Rawls mit einer Variante von Hamptons' Dilemmas konfrontiert. Entweder hält er an D2 fest und akzeptiert die Konsequenzen. Oder er modifiziert D2 zugunsten der "essentials of a democratic regime". Während Hamptons Dilemma darauf beruht, daß die Menge der metatheoretisch relevanten Lehren unvernünftige Lehren enthält oder enthalten könnte, kommt es zu dieser Variante, weil das Kriterium der Vernünftigkeit umfassender Lehren aus D2 zu weit ist, um diejenigen Lehren als vernünftige auszusondern, die eine liberale Konzeption wie GF ausarbeiten lassen. Da Rawls jedoch an den "essentials of a democratic regime" festhält, müßte er implizit auf die zweite Option zurückzugreifen. Wie also modifiziert er D2? Er erweitert D2 implizit um eine weitere Bedingung. Rawls vertrat, "that a reasonable comprehensive doctrine does not reject the essentials of a democratic regime"; und er bezeichnete vernünftige Lehren als "the doctrines that reasonable citizens affirm and that political liberalism must address". Schließlich vertrat er, "that reasonable people affirm only reasonable comprehensive doctrines". Daraus folgt nicht, aber es legt nahe, daß Rawls an dieser Stelle den Begriff der vernünftigen Person gerade in der Weise ins Spiel bringt, wie es für die weiter oben notierte Umgehungsstrategie von Hamptons Dilemma erforderlich wäre. Entsprechend schreibt er zuerst: "We 52 Zudem wäre hier Richard M. Hares Analyse des Fanatismus zu beachten. Hare argumentiert mit guten Gründen, daß konsistenter moralischer Fanatismus möglich ist, vgl. ders., Freedom and Reason, Oxford 1963, Kap. II.9.; und ders., Moral Thinking, Oxford 1981, Kap. III.10. 45 avoid excluding doctrines as unreasonable without strong grounds based on the reasonable itself" (59), um dann jedoch "das Vernünftige" nicht als Minimalkriterium praktischer und theoretischer Rationalität zu entwickeln (was durch die Bedingungen (i) und (ii) aus D2 nahegelegt wäre), sondern um "das Vernünftige" zuletzt als Begriff einer substantiellen politischen Tugend zu beanspruchen.53 Andere Stellen bestätigen dieses Manöver: If it is said that outside the church there is no salvation, and therefore a constitutional regime cannot be accepted unless it is unavoidable, we must make some reply. (...) [W]e say that such a doctrine is unreasonable: it proposes to use the public's political power (...) to enforce a view bearing on constitutional essentials about which citizens as reasonable persons are bound to differ uncompromisingly. When there is a plurality of reasonable doctrines, it is unreasonable or worse to want to use the sanctions of state power to correct, or to punish, those who disagree with us. (137) Soweit zu sehen ist, impliziert Rawls hier die Position, erstens, daß x unvernünftig ist, wenn er bestimmte politische Werte verwirft, und zweitens, daß x'ens Lehre L unvernünftig ist, wenn L zu vertreten den x darauf festlegt, diejenigen politischen Werte zu verwerfen, die x als vernünftige Person bejahen muß. Dies bestätigt zusätzlich, daß Rawls die Verknüpfung zwischen dem Sachverhalt, daß L vernünftig ist, und dem Sachverhalt, daß L mit bestimmten politischen Werten vereinbar ist, über einen Rückgriff auf den Begriff der vernünftigen Person hergestellt wird. Dann aber zeigt sich, daß Rawls' operativer Begriff der vernünftigen Lehre nicht durch D2 definiert wird, sondern durch: D2* Eine umfassende Lehre L ist vernünftig genau dann, wenn (i) L mehr oder weniger kohärent ist, (ii) die in L enthaltenen Werte mehr oder weniger hierarchisch geordnet sind, (iii) L historischen 53 In welchem Sinne dies so ist, diskutiere ich gesondert in Kapitel IV. 46 Veränderungen unterworfen ist, und (iv) L aus der Perspektive vernünftiger Personen akzeptiert werden kann. Aus D2* folgt, daß (iv) eine notwendige Bedingung der Vernünftigkeit umfassender Lehren ist. R1 hingegen legt nahe, daß (iv) notwendig und hinreichend für die Vernünftigkeit einer umfassenden Lehre ist. Dazu läßt sich sagen, daß (iv) die drei anderen Merkmale aus D2* zu umfassen scheint. Soweit zu sehen ist, ist Rawls nicht der Meinung, daß dann, wenn einmal klar ist, daß eine umfassende Lehre (iv) genügt, noch offen ist, ob sie (i), (ii) oder (iii) erfüllt; vielmehr scheint er zu vertreten, daß keine Lehre, die (i), (ii) oder (iii) verletzt, von vernünftigen Personen akzeptiert würde. Verknüpft mit der Prämisse, daß x als vernünftige Person Rawls' "essentials of a democratic regime" akzeptiert, folgt aus D2*, daß vernünftige Lehren mit diesen "essentials" vereinbar sind. Und das ist es, was Rawls will. Ich gehe nachstehend davon aus, daß damit zureichend bestätigt wurde, daß Rawls Hamptons Dilemma mit der im letzten Abschnitt skizzierten Strategie zu entkommen versucht (II.1.). In Konsequenz kann eine Konzeption für den Bereich des Politischen, die zwischen vernünftigen umfassenden Lehren unstrittig sein soll, Rawls' "essentials" enthalten, da diese Lehren per definitionem mit den entsprechenden Werten vereinbar sind. Die entscheidenden Schritte auf dem Weg zu diesem Ergebnis bestanden erstens in Rawls' inoffizielle Definition vernünftiger Lehren D2*, und zweitens in der These, daß vernünftige Personen Rawls' "essentials" nicht verwerfen. Deutlich ist nun, daß beide Schritte systematisch geordnet auftreten. Der erste Schritt - und das heißt D2* - läßt prima vista offen, ob vernünftige Lehren mit Rawls' "essentials" vereinbar sind. Zwar legt D2* fest, daß vernünftige Lehren mit solchen Werten verträglich sind, die vernünftige Personen akzeptieren, doch damit bleibt noch offen, welche Werte hier ins Spiel kommen. Erst mit einer Antwort auf die Frage, welche Werte vernünftige Personen nicht verwerfen, läßt sich D2* mit einer bestimmten Menge von Werten verbinden. Daher ergibt sich erst durch den zweiten Schritt, daß vernünftige Lehren Rawls' "essentials" nicht verwerfen. Und erst jetzt verweist das Ziel eines übergreifen- 47 den Konsens auf eine Konzeption, die bestimmte politische Werte - Rawls "essentials" - auch dann enthalten kann, wenn diese durch antiliberale Positionen bestritten werden. II.3. Vertiefung So weit, so gut. Doch daraus ergeben sich eine Reihe von Komplikationen. Erinnern wir uns daran, daß Rawls' Überlegungen zum Begriff der vernünftigen umfassenden Lehre der Ebene seines metatheoretischen Arguments zuzurechnen sind. Zuerst entscheidet Rawls, wann eine umfassende Lehre vernünftig ist, und dann erst erarbeitet er eine Konzeption für den Bereich des Politischen in den Grenzen dessen, was zwischen diesen Lehren unstrittig ist. Und das heißt, daß weder die These (i) daß vernünftige Lehren "essentials of a democratic regime" nicht verwerfen, noch die systematisch grundlegendere These, (ii) daß vernünftige Personen diese "essentials" akzeptieren, eine Begründung der entsprechenden Werte innerhalb GF's voraussetzen kann. Aber dann treten zwei Probleme auf den Plan. Erstens wird unklar, wie Rawls die Thesen (i) und (ii) metatheoretisch etablieren will. Zweitens wird unklar, welche Aufgaben für die Begründungen innerhalb GF's übrig bleiben, wenn Rawls (i) und (ii) metatheoretisch etablieren kann. Das erste Problem beruht darauf, daß Rawls nicht-politische Begründungen auf metatheoretischer Ebene ausschlug. Da sich die Autorität metatheoretisch herangezogener Werte jedoch nur zirkulär innertheoretisch rechtfertigen ließe, wird die normative Autorität der Werte, die Rawls für die Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Lehren heranzieht, auf keiner Ebene seines Ansatzes begründet. Damit scheint sich hier ein take-it-or-leave-it anzubahnen: würden diese Werte in einer Diskussion über die Frage, wie eine Konzeption für den Bereich des Politischen beschaffen sein muß, in Frage gestellt, so bliebe aus der Perspektive von Rawls' Position kein weiteres Argument. Aufgrund der systematischen Struktur seines Ansatzes hat Rawls nicht 48 die Mittel, um Proponenten antiliberaler Lehren zu zeigen, daß sie ihre Positionen zugunsten der Restriktionen der Vernünftigkeit modifizieren sollten. Wie läßt sich darauf reagieren? Die an dieser Stelle wohlwollendste Reaktion scheint auf zweierlei hinauszulaufen. Erstens auf die Annahme, daß wir es hier nicht mit Defiziten der Unvollständigkeit oder mit Fehleinschätzungen des Argumentationskontextes, sondern mit einer impliziten Adressatenrestriktion des Ansatzes zu tun haben. Auf metatheoretischer Ebene fehlt ein Argument zugunsten der metatheoretisch herangezogenen Werte, weil von vornherein nur mit denen argumentieren wird, die diese Werte akzeptieren: nur sie gehören zu den intendierten Adressaten der Frage, wie eine Konzeption für den Bereich des Politischen beschaffen sein soll.54 Zweitens und dieser Hypothese korrespondierend wäre anzunehmen, daß die Verknüpfung zwischen dem Sachverhalt, daß x vernünftig ist, und dem Sachverhalt, daß x Rawls' "essentials" akzeptiert, überhaupt nicht durch eine Begründung dieser Werte unter dem Begriff der vernünftigen Person etabliert werden soll. Nach Vorstehendem müßte Rawls hierfür der Raum fehlen. Daher wäre davon auszugehen, daß beide Sachverhalte über einen begriffsexplikativen Schritt verknüpft werden. Indem Rawls vertritt, daß vernünftige Personen "essentials of a democratic regime" akzeptieren, expliziert er seinen Begriff der vernünftigen Person. Die Behauptung, daß vernünftige Personen die entsprechenden Werte akzeptieren, wäre dann aus der Perspektive seines Ansatzes analytisch. Das zweite Problem schließlich beruht auf der Annahme, daß wenigstens einige der Werte, die Rawls unter dem Titel "essentials of a democratic regime" anspricht, der Ebene der Begründungsgegenstände GF's zuzuzählen sind. Der Stand meiner Analyse erlaubt es noch nicht, diesen Punkt genauer aufzugreifen. Doch wir können zumindest festhalten, daß dann, wenn Rawls' "essentials" auch auf dieser Ebene liegen, die Nachweise innerhalb GF's zumindest nicht die Funktion haben können, die normative Autorität dieser Werte allererst zu etablieren. Dies, da ihre normative Autorität bereits auf der metatheoretischen 49 Ebene - auf der Ebene des Arguments für GF oder einer Theorie dieser Art vorausgesetzt wurde. Wir werden im vierten Kapitel genauer sehen, was es damit auf sich hat. Hervorzuheben ist jetzt die Art der von Rawls geforderten Verträglichkeit zwischen vernünftigen Lehren und jenen "essentials". Rawls' These, daß vernünftige Lehren diese "essentials" nicht verwerfen, läßt offen, ob es ausschließlich um eine begriffliche oder semantische Vereinbarkeit geht, oder ob die praktischen Dimensionen der Akzeptanz einer umfassenden Lehre eingeschlossen sind. Ersterenfalls wäre die These, daß x'ens Lehre L nur dann vernünftig ist, wenn x ohne Inkohärenz zugleich diejenigen Werte bejahen kann, die er als vernünftige Person bejahen muß. Im zweiten Fall verträte Rawls die These, daß L nur dann vernünftig ist, wenn die Einhaltung L's mit der Realisierung der Werte vernünftiger Personen vereinbar ist. Beidenfalls geht es um eine Vereinbarkeit zwischen politischen und nicht-politischen Werten. Doch da der Sachverhalt, daß Werte verschiedener Art semantisch verträglich sind, offen läßt, welche Rangfolge zwischen diesen Werten besteht, könnte eine Lehre im ersten Fall auch dann vernünftig sein, wenn sie auf eine praktische Unterordnung der relevanten politischen Werte festlegt.55 Dies wird im zweiten Fall gerade ausgeschlossen. Rawls orientiert sich an der zweiten These: 54 Darauf komme ich ausführlich in den Kapiteln VI und VII zurück. 55 Ich bediene mich hier eines vorkritischen Begriffs der Unterordnung eines Werts durch einen anderen (oder, genauer gesagt: einer normativen oder evaluativen Meinung durch eine andere). Ich nehme an, daß die folgenden Bedingungen hinreichend sind, um zu behaupten, daß x in der Situation S den Wert W1 durch den Wert W2 unterordnet. (i) x vertritt W1 und W2; (ii) W1 und W2 applizieren in S; (iii) x weiß, daß W1 und W2 in S applizieren; (iv) x führt in S willentlich W2 und nicht W1 aus; (v) x ist kohärent. Die theoretische Schwierigkeit des Begriffs der Unterordnung scheint darin zu bestehen, ihn so zu interpretieren, daß die Unterordnung eines Werts durch einen anderen nicht die Kohärenzbedingung (v) verletzt, ohne gleichzeitig Fälle der Unterordnung notwendig zu Fällen von per accidens-Konflikten zwischen den Werten zu machen, zwischen denen die Relation der Unterordnung statt hat. Rawls selbst hat den komplizierten Begriff der Unterordnung zwar verwendet, aber nicht weiter erklärt. 50 [T]wo points are central to political liberalism. First, questions about constitutional essentials and matters of basic justice are so far as possible be settled by appeal to political values alone. Second, (...) the political values expressed by its principles and ideals normally have sufficient weight to override all other values that may come in conflict with them. (137f.) Und das scheint zu implizieren, daß die relevanten politischen Werte die (nicht-politischen) Werte vernünftiger Lehren zumindest im Regelfall praktisch unterordnen müssen. Eine umfassende Lehre ist nur dann vernünftig, wenn sie damit vereinbar ist, daß ihre Werte durch die Werte vernünftiger Personen untergeordnet werden.56 Eine Schwierigkeit ist hier, daß Rawls den systematischen Kontext der gerade zitierten Passage nicht deutlich macht. Einerseits scheint sie der Ebene der Anwendungsfragen einer Konzeption für den Bereich des Politischen zuzugehören. So verstanden geht es um den systematischen Kontext der zweiten Stufe von GF: die übergreifende Fragestellung wäre, ob die Werte GF's ausreichendes Gewicht haben, um einen dauerhaften übergreifenden Konsens zu ermöglichen. Der generelle Gedanke lautet dann, daß eine Konzeption nur dann einen dauerhaften übergreifenden Konsens für sich haben kann, wenn ihre Werte unterordnende Kraft haben. Doch diese Passage verweist gleichzeitig auf die Ebene der Konstitutionsfragen einer Konzeption für diesen Bereich: dann ist ihr Kontext der des metatheoretischen Arguments. In diesem Fall ist der Gedanke, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen unterordnende Werte enthalten sollte. Vor dem Hintergrund der jetzt relevanten Details des metatheoretischen Arguments heißt das, daß Rawls jenen "essentials" unterordnendes Gewicht zuschreibt; entsprechend wären nur solche Lehren vernünftig, die hiermit und daher mit einer Praxis der Einhaltung dieser Werte vereinbar sind. Ich habe dieeben zitierte Passage im Sinne der zweiten Deutung aufge- 56 Vgl. zum unterordnenden Status politischer Werte auch PL 146, 169, 218. 51 griffen. Rawls verlangt bereits metatheoretisch, daß die Werte einer Konzeption für den Bereich des Politischen unterordnenden Status haben; für seine innertheoretische Position heißt das, daß der zweiten Stufe von GF nicht die Aufgabe zufällt, zu überprüfen, ob die Werte GF's dieses Status allererst erwerben können, sondern die Aufgabe, zu überprüfen, ob die faktische Geltung von GF den unterordnenden Status ihrer Werte über die Zeit hinweg reproduzieren kann.57 Insgesamt zeichnet sich hier ab, daß Rawls den innertheoretischen Rekurs auf bestimmte politische Werte auf metatheoretischer Ebene über einen bestimmten Begriff der vernünftigen Person absichert. Rawls' metatheoretische Darstellungen sind von vornherein auf Adressaten zugeschnitten, die im Sinne dieses Begriffs vernünftig sind und - qua "vernünftige Person" - bestimmte Werte der politischen Tradition unterordnend akzeptieren. Wer diese Werte nicht, oder nicht unterordnend akzeptiert, gehört nicht zur Gemeinschaft derer, deren Zustimmung für die Frage nach der Beschaffenheit einer Konzeption für den Bereich des Politischen von Belang ist. Ein letzter Punkt. Wie ich später argumentieren werde, läßt sich Rawls' metatheoretischer Rekurs auf jene politische Tugend als Versuch verstehen, Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen, die maßgeblich über seine Auffassung politischer Legitimität ins Spiel kommen. Es ist günstig, diesen Punkt jetzt schon anzudeuten, da der Kontext der Ergebnisse dieses und des nachfolgenden Kapitels dadurch klarer wird. Rawls vertritt, daß die Ausübung politischer Macht erst dann legitim ist, wenn sie mit einer Normierunstheorie übereinstimmt, die von Seiten der Adressaten politischer Macht faktisch moralisch akzeptiert wird. Daraus ergibt sich die metatheoretische Frage nach der Beschaffenheit einer faktisch unstrittigen Konzeption. Rawls versucht nun, den legitimitätsrelevanten Bezug auf faktische moralische Zustimmung mit dem Interesse an einer politisch-liberalen Konzeption zu verbinden. Doch bereits die Präsenz antiliberaler Positionen schließt aus, daß eine solche Konzeption ge- 57 Vgl. hier den Klärungsvorschlag aus I.2. 52 sellschaftsweite faktische moralische Zustimmung für sich hat. Es ist diese Schwierigkeit, die Rawls' Tugend der Vernünftigkeit ins Spiel bringt. Nur aufgrund dieser Tugend - verstanden als Adressatenrestriktion - kann Rawls sowohl an seiner Legitimitätsauffassung, als auch am Ansatz eines politischen Liberalismus festhalten. Diese Punkte werden uns insbesondere im fünften und sechsten Kapitel genauer beschäftigen. II.4. Eine alternative Interpretation? Blicken wir kurz zurück. Nach meiner Analyse liegt sowohl Rawls inoffizielle Definition vernünftiger umfassender Lehren D2*, als auch die Verknüpfung von D2* mit "essentials of a democratic regime" auf der Ebene des metatheoretischen Arguments. Da diese Verknüpfung unter dem Begriff der vernünftigen Person vorgenommen wird, mußte auch die These, daß vernünftige Personen diese "essentials" akzeptieren, auf dieser Ebene liegen. Daher ließ sich sagen, daß die normative Autorität dieser "essentials" nicht von ihrer innertheoretischen Begründbarkeit abhängen kann. Rawls muß bereits auf metatheoretischer Ebene entschieden haben, welche Lehren vernünftig sind, da eine Konzeption für den Bereich des Politischen aus solchen Werten bestehen soll, die zwischen diesen Lehren unstrittig sind. Da Rawls nun eine metatheoretische Begründung politischer Werte ausschlägt, ergab sich, daß die Verknüpfung zwischen dem Sachverhalt, daß x eine vernünftige Person ist, und dem Sachverhalt, daß x diese "essentials" akzeptiert, • über einen begriffsexplikativen Schritt hergestellt werden müßte. Wie ich vermutet habe, ist dieser Schritt als Ausdruck einer impliziten Adressatenrestriktion einzustufen. In erster Näherung scheint es hier jedoch noch eine andere interpretative Möglichkeit zu geben. Und wir müssen sehen, daß und warum sie Rawls verfehlt. Nach Maßgabe dieser zweiten Interpretation könnte Rawls auf metatheoretischer Ebene vertreten, daß solche Lehren vernünftig sind, die aus der Perspektive vernünftiger Personen akzeptiert werden können. Aber er könnte es zugleich zur Sache einer innertheoretischen Begründung machen, auf welche 53 Werte vernünftige Personen festgelegt sind. Auch hier verträte er auf metatheoretischer Ebene D2*. Ebenfalls rekurrierte er auf metatheoretischer Ebene auf seinen politischen Begriff der vernünftigen Person. Doch jetzt läge die Verknüpfung von D2* mit bestimmten politischen Werten - mit Rawls' "essentials of a democratic regime" - nicht mehr auf der Ebene des metatheoretischen Arguments. Die These, daß vernünftige Lehren "essentials of a democratic regime" nicht verwerfen, wäre hier ein Produkt der metatheoretisch anzusiedelnden Definition vernünftiger Lehren plus einer innertheoretischen Begründung dieser "essentials". Die Konsequenz wäre, daß der Nexus zwischen dem Sachverhalt, daß x vernünftig ist, und dem Sachverhalt, daß x die entsprechenden Werte akzeptiert, nicht mehr begriffsexplikativen Charakter hätte. Entsprechend lieáe sich argumentieren, daß dieser Nexus keine implizite Adressatenrestriktion zum Ausdruck bringt. Doch diese Interpretation geht mit einer Perspektive auf die normative Autorität der Werte vern• nftiger Personen einher, nach der eine Antwort auf die Frage, welche Werte vernünftige Personen akzeptieren müssen, jeweils unter Voraussetzung einer innertheoretischen Begründung der entsprechenden Werte zu geben ist. Für den Fall politischer Werte liefe dies darauf hinaus, daß erst relativ auf ihre innertheoretische Begründung vertreten werden könnte, daß vernünftige Lehren mit ihnen verträglich sein müssen. Aber diese Perspektive müßte ebenfalls im Falle des Ausschlusses nicht-politischer Werte Anwendung finden. Nach Rawls wird eine umfassende Lehre nicht dadurch unvernünftig, daß sie nicht-politische Werte verwirft. Und mit D2* heißt dies, daß x als vernünftige Person nicht-politische Werte nicht akzeptieren muß. Und dies nun müßte die innertheoretisch vorgenommene Begründung voraussetzen, daß vernünftige Personen nicht-politische Werte nicht akzeptieren müssen. Dann aber müßte Rawls auf innertheoretischer Ebene für jeden (möglichen) nichtpolitischen Wert W nachgewiesen haben, daß vernünftige Personen W nicht ebenso akzeptieren müssen, wie bestimmte politischen Werte. Erst aufgrund einer solchen Begründung könnte Rawls vertreten, daß vernünftige Personen nicht auch darauf festgelegt sind, bestimmte nicht-politische Werte zu akzeptieren. Zugleich ließe sich erst aufgrund einer solchen Begründung vertreten, daß 54 das Ziel des übergreifenden Konsenses ausschließt, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen nicht-politische Werte enthalten sollte. Doch auch dann, wenn wir einmal davon absehen, daß sich ein solcher Nachweis überhaupt nicht, oder zumindest nicht abschließend führen ließe, findet sich bei Rawls keinerlei Hinweis darauf, daß eine Überprüfung der normativen Autorität nicht-politischer Werte innerhalb einer politischen Konzeption vorgesehen wäre. Es ist gerade eine Grundausrichtung seiner Überlegungen, nicht-politische Werte nicht - und auch nicht als Gegenstände einer innertheoretischen Begründung - in eine Konzeption für den Bereich des Politischen aufzunehmen. Von daher ist davon auszugehen, daß diese Interpretation nicht auf Rawls zutrifft. Sie läuft eher auf eine - wenngleich interessante - Reformulierung oder Weiterentwicklung seines Ansatzes hinaus. werde ich sie jetzt nicht weiter verfolgen. 55 III. WARUM NICHT AUCH NICHT-POLITISCHE WERTE? 56 III. WARUM NICHT AUCH NICHT-POLITISCHE WERTE? Die vorangegangene Diskussion hat gezeigt, daß Rawls dem Problem der Anpassung der Inhalte einer Konzeption für den Bereich des Politischen an Fanatismen und Fundamentalismen entkommen kann, ohne eine Begründung politischer Werte auf metatheoretischer Ebene in Kauf zu nehmen. Sein Manöver bestand darin, auf metatheoretischer Ebene die politische Tugend der Vernünftigkeit einzubringen, um im Kriterium der Vernünftigkeit umfassender Lehren ihre Vereinbarkeit mit den Werten zu verankern, die vernünftige Personen qua "vernünftige Person" - akzeptieren. In diesem Kapitel geht es darum, die damit ins Spiel gekommene metatheoretische Rolle der Tugend, vernünftig zu sein, weiter zu beleuchten. Leitend ist hierbei die Frage, warum eine Konzeption für den Bereich des Politischen nach Rawls nicht auch nicht-politische Werte enthalten kann. Die Diskussion wird zu einem Ergebnis führen, auf dessen Grundlage Rawls' metatheoretischer Leitgedanke zugunsten einer politischen Konzeption für den Bereich des Politischen grundsätzlich reinterpretiert werden muß. III.1. Vorüberlegung Ich beginne, indem ich Rawls' metatheoretischen Leitgedanken mit den Ergebnissen der vorangegangenen Diskussion ins Verhältnis setze. Er belief sich darauf, erstens, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen umwillen 57 eines übergreifenden Konsens nur solche Inhalte aufweisen sollte, die zwischen solchen umfassenden Lehren faktisch unstrittig sind, die unter Bedingungen des vernünftigen Pluralismus vertreten werden. Und zweitens, daß eine solche Konzeption daher politischen Charakter im definierten Sinn haben muß. Nach Vorstehendem läßt er sich so reformulieren, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen umwillen eines übergreifenden Konsenses zwischen vernünftigen umfassenden Lehren nur solche Inhalte aufweisen sollte, die zwischen diesen Lehren faktisch unstrittig sind, und daher politischen Charakter haben muß. Wir können solche Werte, die an den Begriff der vernünftigen Person gebunden werden, als nicht vernünftigerweise verwerfbare Werte bezeichnen. Daher läßt sich sagen, daß Rawls auf einen übergeifenden Konsens zwischen solchen Lehren abhebt, die mit der unterordnenden Akzeptanz nicht vernünftigerweise verwerfbarer Werte vereinbar sind. Wir haben ebenfalls gesehen, daß Rawls den Begriff der vernünftigen Person über einen begriffsexplikativen Schritt mit der Akzeptanz bestimmter politischer Werte - Rawls' "essentials of a democratic regime" - verknüpft. Da diese Werte aufgrund von D2* zwischen vernünftigen umfassenden Lehren nicht strittig sein können, ließ sich schlußfolgern, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen diese Werte in Übereinstimmung mit dem Ziel eines übergreifenden Konsens enthalten kann. Daraus folgt nicht, daß sie diese Werte enthalten muß. Doch weiter unten wird sich zeigen, daß und warum Rawls auch die stärkere These vertritt, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen diese Werte enthalten muß.58 Das Ziel des übergreifenden Konsenses sollte jedoch auch darauf festlegen, nicht-politische Werte nicht in eine Konzeption für den Bereich des Politischen aufzunehmen. Daher mußte das Kriterium der Vernünftigkeit umfassender Lehre weit genug sein, um abzusichern, daß eine Lehre auch dann vernünftig sein kann, wenn sie mit bestimmten nicht-politischen Werten unvereinbar ist. Inzwischen läßt sich vermuten, daß auch dieser Punkt Anleihen beim Be- 58 griff der vernünftigen Person macht. Nur, wenn x als vernünftige Person nicht darauf festgelegt ist, bestimmte nicht-politische Werte zu akzeptieren, kann Rawls in Übereinstimmung mit D2* vertreten, daß die Vernünftigkeit einer umfassende Lehre nicht auch davon abhängt, daß sie mit bestimmten nichtpolitischen Werten vereinbar ist. Nach Vorstehendem ist dies eine formale Voraussetzung der These, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen nicht den Charakter einer umfassenden Lehre haben sollte, oder, anders gesagt: daß sie aufgrund dieses Ziels nicht-politische Werte vermeiden sollte. Weiter unten wird sich dies bestätigen lassen.59 Aber bis hierhin folgt lediglich, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen nicht-politische Werte vermeiden kann. Und dies ist lediglich notwendig, aber noch nicht hinreichend für ihren innertheoretischen Ausschluß. Wenn einige nicht-politische Werte zwischen vernünftigen umfassenden Lehren unstrittig wären, verwiese das Ziel des übergreifenden Konsenses trotz allem nicht darauf, nicht-politische Werte nicht in eine Konzeption für den Bereich des Politischen aufzunehmen. Rawls erreicht unter den bis hierhin rekonstruierten Voraussetzungen lediglich die Konsequenz, daß dieses Ziel auf einen Ausschluß nicht-politischer Werte verweist, wenn diese Werte faktisch strittig sind. An dieser Stelle benötigt Rawls zusätzlich mindestens eine von zwei Thesen. Er kann das von ihm gewünschte Resultat erzielen, wenn er vertritt, (i) daß kein nicht-politischer Wert zwischen vernünftigen umfassenden Lehren konsensuell ist. Er kann es ebenfalls erzielen, wenn er vertritt, (ii) daß nichtpolitische Werte selbst dann nicht in eine Konzeption für den Bereich des Politischen aufzunehmen sind, wenn sie zwischen vernünftigen umfassenden Lehren konsensuell sind. 58 Vgl. III.2., III.4. 59 Vgl. die Diskussion zu Rawls' Begriff der vernünftigen Meinungsverschiedenheit in III.3. 59 Gerade hinsichtlich der ersten These kommt Rawls' "Tatsache des vernünftigen Pluralismus" (fact of reasonable pluralism) und die "Tatsache der Unterdrückung" (fact of oppression) ins Spiel. Rawls schreibt zum "Faktum des vernünftigen Pluralismus": [T]he diversity of reasonable comprehensive religious, philosophical, and moral doctrines found in modern democratic societies is not a mere historical condition that may soon pass away; it is a permanent feature of the public political culture of democracy. Under the political and social conditions secured by the basic rights and liberties of free institutions, a diversity of conflicting and irreconcilable - and (...) reasonable - comprehensive doctrines will come about and persist if such diversity does not already obtain. (36) Und zum "Faktum der Unterdrückung" lesen wir: [A] continuing shared understanding on one comprehensive religious, philosophical, or moral doctrine can be maintained only by the oppressive use of state power. If we think of political society as a community united in affirming one and the same comprehensive doctrine, then the oppressive use of state power is necessary for political community. (37) Für unseren Kontext müssen wir auf diese "Tatsachen" nicht en detail eingehen. Es reicht aus, wenn wir davon ausgehen, daß Rawls mit der Formulierung dieser "Tatsachen" unter anderem die empirische Behauptung aufstellen will, daß keine umfassende Lehre von allen Bürgern eines demokratischen Staates gleichermaßen akzeptiert wird. Unter der Voraussetzung, daß diese Behauptung wahr ist, ist ausgeschlossen, daß eine umfassende Lehre einen übergreifenden Konsens erwerben kann. Doch reicht das aus? Wir müssen an dieser Stelle zwischen dem Sachverhalt, daß umfassende Lehren strittig sind, und dem Sachverhalt, daß nichtpolitische Werte strittig sind, unterscheiden. Prima facie folgt aus der Annahme, daß keine umfassende Lehre von allen Bürgern eines demokratischen Staates gleichermaßen akzeptiert wird, nicht, daß kein nicht-politischer Wert von 60 Seiten aller Proponenten derartiger Lehren Zustimmung findet. Manche nichtpolitischen Werte könnten trotz des strittigen Charakters vernünftiger umfassender Lehren von Seiten einer jeden vernünftiger Lehren akzeptiert werden.60 Da sich Rawls' "Faktum des vernünftigen Pluralismus" und das "Faktum der Unterdrückung" nun aber auf umfassende Lehren, und nicht auf nichtpolitische Werte beziehen, implizieren beide Tatsachen prima facie nicht, daß kein nicht-politischer Werte konsensuell ist. Daher bliebe ebenfalls offen, warum das Ziel des übergreifenden Konsenses darauf verweist, nicht-politische Werte nicht in eine Konzeption für den Bereich des Politischen aufzunehmen. Wir können diesen Punkt auch stärker formulieren. Wenn Rawls' innertheoretischer Ausschluß nicht-politischer Werte aus einer Konjunktion der Forderung, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen umwillen eines übergreifenden Konsens nur solche Inhalte aufzuweisen hat, die zwischen vernünftigen Lehren unstrittig sind, und der Annahme, daß vernünftige Lehren strittig sind, folgen soll, so scheint es hier zu einem Fehlschluß zu kommen. Dann aber zeichnet sich ab, daß die erste These für Rawls' Zwecke nicht ausreicht. Entsprechend wäre er auf die zweite These verwiesen. Wir sollten daher versuchen, Rawls von vornherein so zu interpretieren, daß nicht-politische Werte seiner Auffassung nach selbst dann nicht in eine Konzeption für den Bereich des Politischen aufgenommen werden dürfen, wenn diese konsensuell sind. Wenn Rawls diese These vertritt, so geht der Ausschluß nicht-politischer Werte nicht auf empirischen Behauptungen, sondern auf normative Gründe zurück. In den beiden nachfolgenden Abschnitten werden wir sehen, daß dem so ist. Festzuhalten ist hier allerdings, daß Rawls das eben angeführte Argument zugunsten der zweiten These entkräften könnte, obgleich sie vorteilhafter für 60 Diesen Unterschied und seine Konsequenz - der Ausschluß umfassender Lehren garantiert noch keinen (vollständigen) Ausschluß umfassender Werte - hat Russell Hittinger gegenüber Rawls geltend gemacht. Anstelle von nicht-politischen Werten spricht Hittinger dabei von perfektionistischen Standards. Vgl. Russell Hittinger, "John Rawls, Political Liberalism", in: The Review of Metaphysics 47 (1994), bes. 600f. 61 ihn ist. Inwiefern könnte Rawls dieses Argument entkräften? Aufgrund seiner Definition umfassender Lehren könnte er die Unterscheidung zwischen dem strittigen Charakter umfassender Lehren und dem strittigen Charakter nichtpolitischer Werte als irrelevant zurückweisen. Eine Normierungstheorie ist eine umfassende Lehre, wenn sie (i) nicht oder nicht ausschließlich politische Werte enthält, und (ii) nicht oder nicht ausschließlich den Bereich des Politischen betrifft. Da (ii) aufgrund von Rawls' Begriff des politischen Werts in (i) impliziert ist, läßt sich sagen, daß eine Normierungstheorie bereits dann als umfassende Lehre einzustufen ist, wenn (i) auf sie zutrifft. Wenn wir nun auf die Behauptung zurückgehen, daß umfassende Lehren strittig sind, folgt aufgrund des Begriffs der umfassende Lehre, daß Normierungstheorien, die nicht oder nicht ausschließlich politische Werte enthalten, strittig sind. Wer daher zugibt, daß das Ziel des übergreifenden Konsenses den Rekurs auf umfassende Lehren ausschließt, hat bereits zugestanden, daß dieses Ziel einen Rekurs auf nicht-politische Werte ausschließt. Gleichwohl ist es eines, nicht-politische Normierungstheorien für strittig zu halten, und ganz etwas anderes, nicht-politische Werte für strittig zu halten. Nicht-politische Werte waren Werte, die nicht in der - historisch vorgegebenen - Tradition demokratischer Verfassungsstaaten impliziert sind. Aber was spricht für die empirische Annahme, daß jeder Wert, der nicht in dieser Tradition impliziert ist, zugleich strittig ist? Und wie ließe sich überhaupt überprüfen, ob dem so ist? Rawls ginge hier von der noch plausiblen Annahme, daß keine vernünftige Lehre von allen Bürgern eines demokratischen Staates akzeptiert wird, über ein implizites definitorisches Manöver zur nun unplausiblen und wohl nicht mehr überprüfbaren Annahme über, daß kein Wert, der nicht in der politischen Tradition impliziert ist, von allen Bürgern eines demokratischen Staates akzeptiert wird. Hervorzuheben ist, daß Rawls diese fragwürdige empirische Annahme auch dann machen müßte, wenn er das eben skizzierte Argument über den Begriff der umfassenden Lehre nicht führen würde. Wenn er jedoch vertritt, daß nicht-politische Werte selbst dann nicht in eine Konzeption für den Bereich des Politischen aufgenommen werden sollten, wenn sie konsensuell sind, kann er sowohl dem Fehlschluß, als auch jener unplausiblen An- 62 nahme entgehen. Unter anderem aus diesem Grunde werde ich Rawls nach Maßgabe dieser normativen Auffassung interpretieren. III.2. Zum Begriff vernünftiger Akzeptabilität Ich gehe von zwei Passagen aus, die Rawls zum Begriff der vernünftigen Person formuliert. Wichtig sind die Wünsche, die er in diesen Passagen an diesen Begriff bindet: A. [W]e have a basic desire to be able to justify our actions to others on grounds they could not reasonably reject - reasonably, that is, given the desire to find principles that others similarily motivated could not reasonably reject. (...) The two aspects of the reasonable as a virtue of persons one may see as two related expressions of this desire. (49, Fn. 2) Aufgenommen wird dies, wenn Rawls später festhält: The point here is that a basic form of moral motivation is the desire, expressed by the two aspects of being reasonable (...), to arrange our common political life on terms that others cannot reasonably reject. (124) Rawls lehnt sich hier an Thomas Scanlon an. Scanlon plädiert dafür, daß jede adäquate oder akzeptable Moraltheorie mit dieser Motivation zu in spezieller Weise rechtfertigbarem Handeln verträglich sein muß.61 In der folgenden Passage erläutert Rawls' den ersten Aspekt des Vernünftigen. B. Reasonable persons (...) are not moved by the general good as such, but desire for its own sake a social world in which they, as free and equal, can cooperate with others on terms that all can accept. They insist that 61 Vgl. Scanlon, "Contractualism and Utilitarianism", in: Amartya Sen, Bernard Williams (Hrsg.), Utilitarianism and Beyond, Cambridge (Mass.), 1982, bes. 110ff. 63 reciprocity should hold within that world so that each benefits along with others. (50) Rawls offizielle Charakterisierung des ersten Aspekts des Vernünftigen lautet dabei in ihrer kürzesten Version: The first basic aspect of the reasonable (...) is the willingness to propose fair terms of cooperation and to abide by them provided others do" (PL 54). Bemerkenswert ist hier, daß das systematische Verhältnis zwischen dieser Formulierung und Passage B bei Rawls nicht deutlich wird. Meinem Eindruck nach kämen wir hier interpretative am weitesten, wenn wir die in Passage B enthaltene Formulierung als vorrangig behandeln. Die offizielle Charakterisierung des ersten Aspekts des Vernünftigen wird dann entweder durch diese Formulierung begründet, oder die offizielle Charakterisierung ist als Interpretation oder Konkretion dieser Formulierung zu werten. Doch dürfen wir das interpretative Verhältnis dieser Dinge hier offen lassen. Es reicht glücklicherweise für die hiesigen Zwecke aus, wenn wir die Formulierung in Passage B als gleichwertige Formulierung oder Erläuterung des ersten Aspekts des Vernünftigen behandeln. Wir sollten nun die Passagen A und B ins Verhältnis setzen. In Passage A stellt Rawls die These auf, (i) daß vernünftige Personen den Wunsch haben, auf solchen normativen Grundlagen zu kooperieren, die nicht vernünftigerweise verworfen werden können. Hingegen vertritt Rawls in Passage B, (ii) daß vernünftige Personen den Wunsch haben, auf solchen normativen Grundlagen zu kooperieren, die vernünftig akzeptiert werden können. Deutlich ist, daß der Wunsch der ersten These enger ist, als der Wunsch der zweiten. Ersterer ist ausschließlich auf solche Kooperationsgrundlagen gerichtet, die vernünftigerweise zwingend sind, oder, anders gesagt, deren Zurückweisung vom Standpunkt der Tugend, vernünftig zu sein, fehlerhaft wäre. Doch der Wunsch der zweiten These bezieht sich auf vernünftig akzeptable, und damit auch auf solche Kooperationsgrundlagen, die vom Standpunkt dieser Tugend optionalen Charakter haben. Da nun der Sachverhalt, daß x die Prinzipien P1, P2, ..., Pn 64 vernünftig akzeptieren kann, nicht den Sachverhalt impliziert, daß x die Pi nicht vernünftigerweise verwerfen kann, besteht eine Kluft zwischen den Erfüllungsbedingungen der beiden Wünsche. Zwar dürfen wir annehmen, daß etwas, was nicht vernünftigerweise verworfen werden kann, zugleich vernünftig akzeptiert werden kann, doch die Umkehrung gilt nicht. Nicht alles, was vernünftig akzeptabel ist, ist zugleich etwas, was nicht vernünftigerweise verworfen werden kann.62 Daraus ergibt sich, daß der Wunsch der zweiten These erfüllt sein kann, während der Wunsch der ersten These (vollständig) unerfüllt ist. Ein solcher Fall läge etwa vor, wenn soziale Kooperation auf normativen Grundlagen aufbaut, die zwar vernünftig akzeptiert, doch zugleich vernünftigerweise verworfen werden können. Wenn wir nun plausiblerweise annehmen, erstens, daß x als vernünftige Person immer dann einen prima facie-Grund hat, für bestimmte 62 Daß sich der Bereich vernünftig akzeptabler Prinzipien vom Bereich nicht vernünftigerweise verwerfbarer Prinzipien unterscheidet, hat auch Scanlon hervorgehoben. So schreibt er: "The contractualist account of moral wrongness refers to principles 'which no one could reasonable reject' rather than to principles 'which everyone could reasonably accept' for the following reason. Consider a principle under which some people will suffer severe hardships, and suppose that these hardships are avoidable. That is, there are alternative principles under which no one would have to bear comparable burdens. It might happen, however, that the people on whom these hardships fall are particularly self-sacrificing, and are willing to accept these burdens for the sake of what they see as the greater good of all. We would not say, I think, that it would be unreasonable of them to do this. On the other hand, it might not be unreasonable for them to refuse these burdens, and hence, not unreasonable for someone to reject a principle requiring him to bear them. If this rejection would be reasonable, then the principle imposing these burdens is put in doubt, despite the fact that some particularly self-sacrificing people could (reasonably) accept it. Thus it is the reasonableness of rejecting a principle, rather the reasonableness of accepting it, on which moral argument turns" (in: Scanlon (1982), 111f.). Scanlons Grund für diese Absehung von vernünftig akzeptablen zugunsten nicht vernünftigerweise verwerfbarer Prinzipien besteht hier im normativen Grund, daß manche der Prinzipien, die vernünftig akzeptiert werden können, zugleich solche sein können, die vernünftigerweise verworfen werden können. Doch damit setzt er den analytischen Unterschied zwischen vernünftig akzeptablen und nicht vernünftigerweise verwerfbaren Prinzipien voraus. Es ist allein diese analytische, nicht auch die normative Hinsicht, unter der ich gegenüber Rawls zwischen dem Wunsch, auf vernünftig akzeptablen, und dem Wunsch, auf auf nicht vernünftigerweise verwerfbaren Grundlagen zu kooperieren, unterscheide. 65 Kooperationsgrundlagen zu votieren, wenn diese mindestens einen der beiden Wünsche erfüllen, und zweitens, daß x als vernünftige Person immer dann einen prima facie-Grund hat, gegen bestimmte Kooperationsgrundlagen zu votieren, wenn diese gegen mindestens eine der beiden Wünsche verstoßen, folgt, daß x in einem Fall der eben genannten Art sowohl Gründe für die Akzeptanz, als auch Gründe für die Zurückweisung der entsprechenden Grundlagen hat. (Meine These ist natürlich nicht, daß x immer dann, wenn er einen Wunsch W hat, einen Grund hat, gegen die Nichterfüllung W's zu votieren. Es geht lediglich um die beiden von Rawls genannten Wünsche. Offenbar sind diese nicht nur solche, die vernünftige Personen haben, sondern auch solche, deren Erfüllung sie wünschen, und deren Nichterfüllung sie auszuschließen wünschen.) Vor diesem Hintergrund können wir sagen, daß Rawls - ohne weitere Zusätze - Wünsche im Begriff der vernünftigen Person verankert, die im Falle bestimmter Mengen von Grundlagen sozialer Kooperation konfligieren. Bleibt es dabei? Allem Anschein nach ist dies nicht der Fall. Rawls scheint den Wunsch, auf vernünftig akzeptablen Grundlagen zu kooperieren, von vornherein aus der Perspektive des Wunsches zu verstehen, auf nicht vernünftigerweise verwerfbaren Grundlagen zu kooperieren. Seine implizite These scheint daher zu sein: T1 Normative Grundlagen sozialer Kooperation sind nur dann vernünftig akzeptabel, wenn sie nicht vernünftigerweise verworfen werden können. Mit T1 wird die Kluft zwischen den beiden eben genannten Wünschen überbrückt. Es ist nicht mehr der Fall, daß der Wunsch nach nicht vernünftigerweise verwerfbaren Kooperationsgrundlagen vollständig unerfüllt sein kann, während der Wunsch nach vernünftig akzeptablen Kooperationsgrundlagen erfüllt ist: letzterer wäre nur dann erfüllt, wenn zugleich der erstgenannte erfüllt ist. Korrespondierend entfällt das Problem, daß Rawls im Begriff der vernünftigen Person Wünsche verankert, die mit prima facie-Gründen sowohl für, als auch gegen ein und dieselbe Menge von Grundlagen sozialer Kooperation einhergehen können. (Anzufügen ist, daß wir Rawls an dieser Stelle lediglich die extensionale These zuzuschreiben brauchen, daß die Erfüllungbedingungen des 66 Wunsches nach vernünftig akzeptablen Kooperationsgrundlagen die Erfüllungsbedingungen des Wunsches nach nicht vernünftigerweise verwerfbaren Kooperationsgrundlagen einschließen. Wir dürfen an dieser Stelle offen lassen, wodurch der Zusammenhang zwischen (i) und (ii) gestiftet wird.) Hervorzuheben ist, daß wir T1 ausschließlich auf Instanzen der Regelung sozialer Kooperation beziehen dürfen. Offensichtlich ist Rawls der Meinung, daß vernünftige Lehren vernünftig akzeptiert werden können. Doch er zieht nicht die Konsequenz, daß jede vernünftige Lehre nicht vernünftigerweise verworfen werden kann. Die sich anbahnende Inkohärenz wird abgewendet, wenn wir zweierlei annehmen. Erstens, daß der in T1 formulierten Zusammenhang zwischen dem Sachverhalt, daß etwas vernünftig akzeptabel ist, und dem Sachverhalt, daß etwas nicht vernünftigerweise verworfen werden kann, bei Rawls auf Instanzen der Regelung sozialer Kooperation beschränkt ist. Und zweitens, daß vernünftige Lehren nach Rawls nicht als solchen Instanzen in Frage kommen.63 Nachstehend setze ich voraus, daß Rawls T1 vertritt. Mit dieser Voraussetzung erreichen wir die Konsequenz, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen nach Rawls nur dann vernünftig akzeptabel ist, wenn sie nicht vernünftigerweise verworfen werden kann. Oder, anders gesagt: daß eine Konzeption für diesen Bereich vom Standpunkt der politischen Tugend, vernünftig zu sein, nur dann akzeptabel ist, wenn sie von diesem Standpunkt nicht verworfen werden kann. Die darin liegende Anwendung von T1 auf Konzeptionen für den Bereich des Politischen ergibt sich daraus, daß diese nicht allein Prinzipien und Standards sozialer Kooperation spezifizieren, sondern - aufgrund dieser Funktion - zugleich selbst zu den normativen Grundlagen sozialer Kooperation zu zählen sind. Wir haben bereits gesehen, daß Rawls die Akzeptanz bestimmter politischer Werte an den Begriff der vernünftigen Person bindet. Daraus ergibt sich 63 Die nachfolgende Diskussion macht klar, daß Rawls diesen zweiten Punkt vertritt. Vgl. bes. III.3. 67 in Verbindung mit T1, daß eine vernünftig akzeptable Konzeption diese Werte enthalten muß. Es ergibt sich nicht allein, daß sie diese Werte enthalten kann. Aber es folgt nicht, daß sie ausschließlich diese Werte zu enthalten hat. Vor diesem Hintergrund müssen wir fragen, welche Werte vom Standpunkt der Tugend, vernünftig zu sein, vernünftigerweise verworfen werden können und welche nicht. Mit T1 ist die Antwort auf diese Frage ein wichtiges Element, um zu spezifizieren, wie eine Konzeption für den Bereich des Politischen Rawls zufolge beschaffen sein muß, um vernünftig akzeptabel zu sein. Anzufügen ist schließlich, daß Rawls' Darstellungen alles in allem für T1 sprechen, es gleichwohl an dieser Stelle keine eindeutige Textgrundlage gibt. Und für den Fall, daß wir uns hier nicht allein auf die Plausibilität der Zuschreibung von T1 verlassen sollten, läßt sich noch ein stärkerer Punkt machen. Ohne T1 kommt es zu einer (vermeidbaren) Inkohärenz auf der Seite des Begriffs der vernünftigen Person. Für eine wohlwollende Interpretation heißt das, daß wir Rawls T1 unterstellen sollten. Inwiefern ergäbe sich eine Inkohärenz? Die erste der zuletzt zitierten Passagen schließt mit der Bemerkung, daß beide Aspekte des Vernünftigen den Wunsch nach nicht vernünftigerweise verwerfbaren Kooperationsgrundlagen "ausdrücken". Und vom textlichen Kontext her läßt sich die zweite Passage als Erläuterung oder auch als zweite Formulierung des ersten Aspekts des Vernünftigen verstehen. In diesem Falle verträte Rawls, daß der Wunsch, auf vernünftig akzeptablen Grundlagen zu kooperieren, den Wunsch ausdrückt, auf nicht vernünftigerweise verwerfbaren Kooperationsgrundlagen zu kooperieren. Wenn wir nun plausiblerweise sagen dürfen, daß die Behauptung, daß der Wunsch A Ausdruck des Wunsches B ist, in diesem Kontext anzeigt, daß A eine Konkretion, Interpretation oder eine Ausformung oder Variante von B ist, so scheint die Annahme plausibel zu sein, daß die Erfüllungsbedingungen von A und B nicht derartig stark voneinander abweichen dürfen, daß A erfüllt sein kann, während B vollständig unerfüllt ist. Vielleicht ist die Behauptung, daß A Ausdruck von B ist, damit verträglich, daß die Erfüllungsbedingungen der beiden Wünsche geringfügig variieren. Doch eine derart starke Divergenz wie im gerade genannten Fall scheint ausgeschlossen zu sein. In diesem Fall handelt 68 sich Rawls an dieser Stelle eine Inkohärenz ein. Der Punkt wäre nicht allein, daß der Wunsch nach vernünftig akzeptablen, und der Wunsch nach nicht vernünftigerweise verwerfbaren Kooperationsgrundlagen in bestimmten Fällen von einander abweichen, und daß es daher korrespondierende prima facieGründe für und gegen ein und dieselbe Menge von Kooperationsgrundlagen geben kann. Der Punkt wäre, daß es inkohärent ist, den Wunsch nach vernünftig akzeptablen Kooprationsgrundlagen als "Ausdruck" des Wunsches nach nicht vernünftigerweise verwerfbaren Kooperationsgrundlage auszugeben. Daher verweisen die Maximen des wohlwollenden Interpretierens an dieser Stelle darauf, daß wir Rawls T1 unterstellen.64 Damit gelangen wir zu Rawls' Diskussion des "zweiten Aspekts des Vernünftigen". Dieser beläuft sich auf die der Anerkennung der Bürden des Urteilens (burdens of judgement) und ihrer Konsequenzen. Rawls schreibt: The second basic aspect of our being reasonable is (...) our recognizing and being willing to bear the consequences of the burdens of judgement. (58f.) Diese Diskussion ist bei Rawls in mindestens drei Aufgabenstellungen eingebettet.65 Erstens will er skizzieren, inwiefern vernünftige Personen über die Bereitschaft politischer Toleranz verfügen: der zweite Aspekt des Vernünftigen steht für Rawls' Deutung politischer Toleranz, oder der Grundlagen politischer Toleranz. Zum anderen versucht er zu zeigen, daß vernünftige Personen nicht wünschen, daß politische Macht auf der Grundlage einer umfassenden Lehre ausgeübt wird. Schließlich will er erklären, wie ein Pluralismus vernünftiger umfassender Lehren unbeschadet der Vernünftigkeit ihrer Proponenten zustande kommen und zu einem dauerhaften Merkmal einer modernen demokrati- 64 Für eine Diskussion zum Verhältnis zweier Wünsche bei Voraussetzung der Behauptung, daß der eine den anderen ausdrückt, danke ich Heike Schmidt-Felzmann, Christina Janik und Andreas Muth. 69 schen Gesellschaft werden kann. Rawls' Ausführungen im Rahmen dieser Diskussion sind sehr komplex. Doch für unseren Kontext ist es weniger wichtig, was er hier en detail vorzubringen hat. Relevant ist vielmehr die generelle Ausrichtung dieser Diskussion. Daher reicht es aus, wenn wir auf sie nur selektiv eingehen. Unsere Leitfrage ist weiterhin, warum eine Konzeption für den Bereich des Politischen nach Rawls nicht auch nicht-politische Werte enthalten darf. III.3. Die Bürden des Urteilens und vernünftige Meinungsverschiedenheiten Worin bestehen die Bürden des Urteilens? Alles in allem kann gesagt werden, daß der Ausdruck "Bürden des Urteilens" bei Rawls für eine Anzahl von Faktoren steht, aufgrund derer unter alltäglichen diskursiven Bedingungen vernünftige Meinungsverschiedenheiten (reasonable disagreement) entstehen, und im Rahmen des Erwartbaren unentscheidbar werden können. Für eine Erläuterung sollten wir zunächst fragen, wann Meinungsverschiedenheiten nach Rawls vernünftige Meinungsverschiedenheiten sind. Er schreibt: Let's say that reasonable disagreement is disagreement between reasonable persons: that is, between persons who have realized their two moral powers to a degree sufficient to be free and equal citizens in a constitutional regime, and who have an enduring desire to honor fair terms of cooperation and to be fully cooperating members of society. (55) Meinungsverschiedenheiten sind vernünftige Meinungsverschiedenheiten, wenn sie zwischen vernünftigen Personen in Übereinstimmung damit, vernünftig zu sein, bestehen können. Ich gehe davon aus, daß dies mehr oder weniger gleichwertig ist mit: 65 Vgl. zu dieser Diskussion PL 54-62, bes. 60f. 70 D3 Die Meinungsverschiedenheit M ist eine vernünftige Meinungsverschiedenheit genau dann, wenn M zwischen vernünftigen Personen bestehen kann. Wenn x und y vernünftige Personen sind, doch x vernünftigerweise bejaht und y vernünftigerweise bestreitet, daß p, dann besteht zwischen beiden eine vernünftige Meinungsverschiedenheit über "p". Vor diesem Hintergrund notiert Rawls zu den Bürden des Urteilens: The idea of reasonable disagreement involves an account of the sources, or causes, of disagreement between reasonable persons so defined. These sources I refer to as the burdens of judgement. The account of these burdens must be such that it is fully compatible with (...) the reasonableness of those who disagree. What, then, goes wrong? An explanation of the right kind is that the sources of reasonable disagreement (...) among reasonable persons are the many hazards involved in the correct (and contentious) exercise of our powers of reason and judgement in the ordinary course of political life. (55f.) Die Bürden des Urteilens haben damit den Stellenwert von Instanzen einer im weitesten Sinne des Ausdrucks empirischen Erklärung des Zustandekommens und Bestehens vernünftiger Meinungsverschiedenheiten. Sie stehen für Faktoren, die ihr Zustandekommen und Bestehen verursachen. Wichtig ist hier, daß Rawls an dieser Stelle keinen Skeptizismus vor Augen hat. Daß der Wert W Gegenstand einer vernünftigen Meinungsverschiedenheit ist soll nicht besagen, daß es unmöglich ist, daß sich mit zureichenden oder zwingenden Gründen entscheiden läßt, ob W akzeptiert oder verworfen werden sollte. Vielmehr geht es Rawls unabhängig von der Frage, ob eine Entscheidung vernünftiger Meinungsverschiedenheiten möglich ist, darum, daß eine vernünftige Meinungsverschiedenheit zwischen x und y aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu einer abschließenden Entscheidung führen wird, ohne daß x und y sich als unvernünftig diskreditieren. Als Beispiel für die Bürden des Urteilens läßt sich eine dieser Bürden nennen, die Rawls zufolge für seine Zwecke völlig ausreicht: 71 Often there are different kinds of normative considerations of different force on both sides of an issue and it is difficult to make an overall assessment. (57) Rawls' exemplarische Liste dieser Bürden lautet wie folgt: a. The evidence (...) bearing on the case is conflicting and complex, and thus hard to assess and evaluate. b. Even when we agree fully about the kinds of considerations that are relevant, we may disagree about their weight, and so arrive at different judgements. c. To some extent all our concepts (...) are vague and subject to hard cases; and this indeterminacy means that we must rely on judgment and interpretation (...) within some range (...) where reasonable persons may differ. d. To some extent (...) the way we assess evidence and weigh moral and political values is shaped by our total experience, our whole course of life up to now; and our total experience must always differ. Thus, (...) citizens' total experiences are disparate enough for their judgments to diverge (...) on many if not most cases of any significant complexity. e. Often there are different kinds of normative considerations of different force on both sides of an issue and it is difficult to make an overall assessment. f. [A]ny system of social institutions is limited in the values it can admit so that some selection must be made from the full range of moral and political values that might be realized. (...) In being forced to select among cherished values, or when we hold several and must restrict each in view of the requirements of the others, we face great difficulties in setting priorities and making adjustments. Many hard decisions may seem to have no clear answer. (56f.) Punkt (e) steht für die wichtigste dieser Bürden; Rawls behauptet daß € für seine Zwecke ausreicht.66 66 PL 57, Fn. 10. 72 Der Grundgedanke ist hier, daß sich aufgrund solcher Schwierigkeiten wie der des Erreichens einer einheitlichen Gewichtung unterschiedlicher normativer Erwägungen, die im Rahmen der Beantwortung normativer Fragen relevant sein können, erklären läßt, warum vernünftige Personen unbeschadet ihrer Vernünftigkeit uneins darüber sein und bleiben können, wie diese Fragen zu beantworten sind. Wichtig ist jetzt, wie wir Rawls' Bürden des Urteilens vor dem Hintergrund dieser Erklärung nicht verstehen können. Betrachten wir die beiden folgenden Fragen: (1) Ist die Meinungsverschiedenheit zwischen x und y eine vernünftige Meinungsverschiedenheit? (2) Wie läßt sich das Zustandekommen und Andauern der vernünftigen Meinungsverschiedenheit zwischen x und y erklären? Rawls' Bürden des Urteilens antworten auf Fragen wie (2), jedoch nicht auf (1). Die Antwort auf (1) verlangt ein normatives Kriterium der Vernünftigkeit von Meinungsverschiedenheiten. Und soweit zu sehen ist, wird dieses Kriterium durch das Definiens von D3 gegeben. Vernünftige Meinungsverschiedenheiten sind im Gegensatz zu unvernünftigen solche, die zwischen vernünftigen Personen bestehen können. Doch Rawls' Bürden dienen als Instanzen einer empirischen Erklärung, weshalb bestimmte Fragen, die zwischen vernünftigen Personen strittig sein können (sein dürfen), auch tatsächlich strittig sind. Sie zielen nicht darauf, vernünftige Meinungsverschiedenheiten von unvernünftigen zu unterscheiden, sondern drauf, ihre Aktualität zu erklären. Und dies muß auch so sein. Erinnern wir uns daran, daß Rawls bestimmte politische Werte - jene "essentials of a democratic regime" - über einen begriffsexplikativen Schritt an den Begriff der vernünftigen Person knüpfte (II.3.). Angenommen, x bejaht und y bestreitet diese Werte. Dann läge zwischen beiden keine vernünftige Meinungsverschiedenheit vor, da einer von beiden Werte bestreitet, die vom Standpunkt der Tugend, vernünftig zu sein, nicht verworfen werden können. Gleichwohl könnten die Bürden des Urteilens dazu beigetragen haben, daß x 73 und y unterschiedlicher Meinung darüber sind, ob diese Werte zu akzeptieren sind. Und das heißt: der Sachverhalt, (i) daß die Meinungsverschiedenheit M durch die Bürden des Urteilens verursacht wurde, kann bei Rawls kein Kriterium für den Sachverhalt abgeben, (ii) daß M eine vernünftige Meinungsverschiedenheit ist, da anderenfalls auch diejenigen Werte vernünftigerweise verworfen werden könnten, die Rawls an den Begriff der vernünftigen Person bindet. Solange hier ein und derselbe Begriff des Vernünftigen im Spiel ist, käme es zu einer Kontradiktion. Zugleich können wir sagen, daß aus (i) nicht (ii) folgt. Dies, da (i) eine empirische, (ii) hingegen eine normative These ist. Doch worauf beläuft sich die Anerkennung dieser Bürden samt ihrer Konsequenzen? Rawls' übergreifender Gedanke scheint folgender zu sein. Erstens anerkennen vernünftige Personen, daß sowohl sie, als auch alle anderen den Bürden des Urteilens unterworfen sind, und daß diese vernünftige Meinungsverschiedenheiten verursachen. Zweitens anerkennen sie, daß Auseinandersetzungen über umfassende Lehren diesen Bürden unterworfen sind, und daher, daß umfassende Lehren Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten sind. Vor diesem Hintergrund schlußfolgert Rawls drittens, daß vernünftige Personen nicht wünschen, daß soziale Kooperation auf der Grundlage einer umfassenden Lehre geregelt werde. Die ersten beiden Punkte kommen zusammen, wenn Rawls schreibt: The evident consequence of the burdens of judgement is that reasonable persons do not all affirm the same comprehensive doctrine. Moreover, they also recognize that all persons alike, including themselves, are subject to those burdens, and so many reasonable doctrines are affirmed, not all of which can be true (indeed none of them may be true). The doctrine any reasonable person affirms is but one reasonable doctrine among others. (...) We recognize that our own doctrine has, and can have, for people generally, no special claims on them beyond their own view of its merits. Oth- 74 ers who affirm doctrines different from ours are, we grant, reasonable also, and certainly not unreasonable. (60) Die beiden folgenden Passagen verweisen auf den dritten Punkt: [R]easonable persons will think it unreasonable to use political power, should they posses it, to repress comprehensive views that are not unreasonable, though different from their own. (60) [R]easonable persons see that the burdens of judgement set limits on what can be reasonably justified to others, and so they endorse some form of liberty of concience and freedom of thought. It is unreasonable for us to use political power, should we possess it, or share it with others, to repress comprehensive views that are not unreasonable. (61) Der eher implizite Gedanke ist hier, daß vernünftige umfassende Lehren bereits dann unvernünftigerweise unterdrückt werden, wenn politische Macht auf der Grundlage einer umfassenden Lehre ausgeübt wird. Doch wenn soziale Kooperation auf der Grundlage einer umfassenden Lehre geregelt wird, dann müßte politische Macht in Übereinstimmung mit einer solchen Lehre ausgeübt werden. Mithin käme es zum Resultat einer vernünftigerweise inakzeptablen Unterdrückung vernünftiger Lehren. Den Zusammenhang zwischen dem Sachverhalt, (i) daß politische Macht in der Gemeinschaft G auf der Grundlage einer umfassenden Lehre ausgeübt wird, und dem Sachverhalt, (ii) daß bestimmte umfassende Lehren in G unterdrückt werden, hat Rawls nirgendwo zureichend begründet. Zwar sichert Rawls diesen Punkt durch seine Prämisse des "fact of oppression" ab: [A] continuing shared understanding on one comprehensive religious, philosophical, or moral doctrine can be maintained only by the oppressive use of state power. If we think of political society as a community united in affirming one and the same comprehensive doctrine, then the oppressive use of state power is necessary for political community. (37) 75 Damit verfügt Rawls über eine These, die (i) und (ii) verknüpft. Verstehen wir sie vor dem Hintergrund seiner Terminologie, so besteht sie in der These, daß die kollektive Akzeptanz einer Normierungstheorie, die nicht ausschließlich Werte der politischen Tradition enthält, nur durch unterdrückerische Zwangsmaßnahmen aufrechterhalten werden kann. Doch diese These ist unplausibel. Wir können uns ohne Mühe eine Gesellschaft vorstellen, in der einige Werte kollektiv und zwanglos akzeptiert werden, die nicht zur politischen Tradition zählen. Zudem ist unklar, ob Rawls' "fact of oppression" überhaupt kohärent ist. Denn wenn unterdrückerische Zwangsmaßnahmen erforderlich sind, ist es offenbar nicht der Fall, daß kollektive Akzeptanz gegeben ist. Korrespondierend ist unklar, in welchem Sinne des Ausdrucks derartige Zwangsmaßnahmen zu kollektiver Akzeptanz führen sollten - im Unterschied zu erzwungener Konformität. Doch damit ist es nicht genug. An anderer Stelle schreibt Rawls: Liberalism rejects political society as a community because, among other things, it leads to the systematic denial of basic liberties and may allow the oppressive use of the goverment's monopoly of (legal) force. (146, Fn. 13) Und dies kollidiert offenbar mit seinem "fact of oppression": die These ist nicht mehr, daß die Ausübung politischer Macht auf der Grundlage einer umfassenden Lehre zu unterdrückerischen Zwangsmaßnahmen führen muß, sondern nur noch, daß sie zu ihnen führen kann. Doch davon einmal abgesehen kommt es nun zur Frage, weshalb die Ausübung politischer Macht auf der Grundlage einer umfassenden Lehre mit einer Zurückweisung von Grundfreiheiten einhergehen muß. Will Rawls allen Ernstes behaupten, daß eine nicht-politische Begründung von Grundfreiheiten unmöglich ist, oder, wenn er sie für möglich hält, daß die Ausübung politischer Macht auf der Grundlage einer nichtpolitischen Normierungstheorie, die derartige Grundfreiheiten begründet, zwingend zu Praktiken führt, die mit diesen Freiheiten unverträglich sind? Doch wir ürfen diese Frage offen lassen. Für unseren Kontext geht es allein um die generelle Ausrichtung seiner Überlegung. Er bezieht die Anerkennung der Bürden des Urteilens über den Zwischenschritt einer Antwort auf die 76 Frage, was vernünftigerweise bestritten werden kann, darauf, daß vernünftige Personen nicht wünschen, auf der Grundlage umfassender Lehren zu kooperieren. Darin steckt zweierlei. Einerseits die eher strukturelle oder formale These, (i) daß vernünftige Personen nicht wünschen, auf solchen Grundlagen zu kooperieren, die vernünftigerweise verworfen werden können.67 Da Rawls' zweiter Aspekt des Vernünftigen alles in allem für seine Deutung politischer Toleranz - oder der Grundlagen politischer Toleranz - steht, läßt sich sagen, daß Rawls bis hierhin eine eher strukturelle Charakterisierung politischer Toleranz vorbringt. Andererseits aber verknüpft Rawls (i) mit der nun eher materialen These, (ii) daß umfassende Lehren vernünftigerweise verworfen werden können. Erst mit dieser materialen Anreicherung des zunächst strukturellen Verständnisses politischer Toleranz führt (i) zur Konsequenz, daß vernünftige Personen nicht wünschen, auf der Grundlage einer umfassenden Lehre zu kooperieren. Hervorzuheben ist dabei das Gewicht dieser Konsequenz: wenn wir Rawls beim Wort nehmen, so vertritt er mit dieser Konsequenz über den Gesamtbereich der Normierungstheorien, daß vernünftige Personen nicht wünschen, auf ihrer Grundlage sozial zu kooperieren, solange sie umfassenden Charakter haben. Die Schwierigkeit ist jetzt, daß sich bei Rawls keine Begründung für (ii) abzeichnet. Deutlich ist, daß er (ii) nicht über die Bürden des Urteilens begründen kann. Wir haben gerade gesehen, daß diese Bürden bei Rawls nicht als Kriterium der Vernünftigkeit von Meinungsverschiedenheiten verstanden werden können; weiterhin ließ sich sagen, daß aus der Annahme, daß Meinungsver- 67 En passant ist anzufügen, daß dies für die These spricht, daß vernünftige Personen nicht wünschen, auf solchen Grundlagen zu kooperieren, die vernünftigerweise verworfen werden können. Damit hätten wir eine Bestätigung, daß Rawls T1 vertritt. Vielleicht können wir über die Konstatierung eines Belegs hinausgehend auch stärker sagen, daß Rawls an dieser Stelle Thesen vertritt, die T1 begründen. Der Gedanke wäre, daß vernünftige Personen aufgrund des zweiten Aspekts des Vernünftigen wünschen, nicht auf solchen Grundlagen zu kooperieren, die vernünftigerweise verworfen werden können. Daher wären Grundlagen sozialer Kooperation nach Rawls nur dann vernünftig akzeptabel, wenn sie nicht vernünftigerweise verworfen werden können. Und hierauf beläuft sich T1. 77 schiedenheiten aufgrund dieser Bürden zustande kommen, nicht folgt, daß sie vernünftige sind. Daher kann der Verweis auf diese Bürden nicht begründen, daß vernünftige Lehren vernünftigerweise verworfen werden können. Und ohne weitere Zusätze läßt sich auch D3 nicht als Begründung heranziehen. Daß Meinungsverschiedenheiten vernünftige sind, wenn sie zwischen vernünftigen Personen bestehen können, spricht zunächst weder für noch gegen die Behauptung, daß vernünftige Personen vernünftige Lehren vernünftigerweise verwerfen können. Wie ist darauf zu reagieren? Die an dieser Stelle wohlwollendste Reaktion scheint sich auf die Annahme zu belaufen, daß Rawls (ii) überhaupt nicht über einen Begründungsschritt etablieren will. In diesem Fall beruht das Fehlen einer Begründung nicht darauf, daß Rawls einen wesentlichen Argumentationsschritt einfach ausläßt, oder schlicht übersieht, daß die Bürden des Urteilens oder D3 (ii) nicht begründen können. Vielmehr beruht es darauf, daß wir es hier mit einer impliziten Begriffsexplikation zu tun haben. Wenn Rawls vertritt, daß vernünftige umfassende Lehren vernünftigerweise verworfen werden können, so expliziert er seinen Begriff der vernünftigen Person. Unter diesen Vorzeichen wäre die These, daß vernünftige Personen diese Lehren vernünftigerweise verwerfen können, aus der Perspektive seiner Position analytisch. Und erst jetzt könnte Rawls D3 als Grund der These verwenden, daß umfassende Lehren Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten sein können. Da der Begriff der vernünftigen Person bereits vorgibt, daß umfassende Lehren vernünftigerweise verworfen werden können, folgt aus D3, daß diese Lehren Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten sein können: im Kriterium der Vernünftigkeit von Meinungsverschiedenheiten ist bereits enthalten, daß umfassende Lehren vernünftigerweise verworfen werden können. Aber aufgrund welchen Merkmales können umfassende Lehren vernünftigerweise verworfen werden? Soweit zu sehen ist, dürfen wir hier die naheliegende Antwort geben, daß sie aufgrund ihrer umfassenden, und das heißt: ihrer nichtpolitischen Bestandteile verworfen werden können. Was Rawls im Kontext der Bürden des Urteilens und der vernünftigen Meinungsverschiedenheiten sagt, legt nahe, daß nicht erst solche Theorien, sondern bereits nicht-politische Wer- 78 te aus der Perspektive vernünftiger Personen Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten sein können. Insbesondere legt es nahe, daß nichtpolitische Normierungstheorien Gegenstand dieser Meinungsverschiedenheiten sind, weil sie nicht-politische Werte enthalten. Wenn das richtig ist - und nachstehend gehe ich davon aus, daß dem so ist -, können wir schlußfolgern, daß umfassende Lehren und nicht-politische Werte vernünftigerweise verworfen werden können. Aber das heißt auch, daß politische Werte selbst dann nicht in eine vernünftig akzeptable Konzeption aufzunehmen sind, wenn diese faktisch unstrittig sind. Nachzutragen ist folgendes. Prima vista steht der in D3 verwendete Begriff der vernünftigen Person für Personen, die, wie Rawls weiter oben schrieb, "have realized their two moral powers to a degree sufficient to be free and equal citizens in a constitutional regime, and who have an enduring desire to honor fair terms of cooperation and to be fully cooperating members of society". Damit geht es um Personen (i) die über einen Gerechtigkeitssinn und die Fähigkeit zu einer Konzeption des Guten zu verfügen, und (ii) die faire Kooperationsbedingungen respektieren und an sozialer Kooperation vollwertig teilnehmen wollen. Daher wäre jede Meinungsverschiedenheit vernünftig, die zwischen Personen bestehen kann, auf die (i) und (ii) zutrifft. Doch Rawls müßte hier - konträr zum ersten Eindruck - einen Begriff der vernünftigen Person vor Augen haben, der über (i) und (ii) hinausgeht. Warum? Zunächst einmal enthält diese Charakterisierung des Begriffs der vernünftigen Person nicht den zweiten Aspekt des Vernünftigen. Rawls hat nicht gezeigt, noch ist es zu sehen, daß aus dem Sachverhalt, daß x im Sinne von (i) und (ii) vernünftig ist, folgt, daß x die Bürden des Urteilens anerkennt. Die Konsequenz wäre, daß die Meinungsverschiedenheit M selbst dann vernünftig sein kann, wenn M zwischen Personen besteht, die die Bürden des Urteilens und ihre Konsequenzen nicht anerkennen. Da nun der zweite Aspekt des Vernünftigen als Erklärung des Begriffs des Vernünftigen zu werten ist, ergibt sich, daß Meinungsverschiedenheiten vernünftige sein können, wenn sie zwischen unvernünftigen Personen - Personen, die den zweiten Aspekt des Vernünftigen verwerfen - bestehen. Also kommt es zu einer Inkohärenz. Rawls kann nicht zugleich vertre- 79 ten, daß der zweite Aspekt des Vernünftigen Teil der Erklärung des Begriffs des Vernünftigen ist, und vernünftige Meinungsverschiedenheiten im Rekurs auf Personen definieren, die im Sinne von (i) und (ii) vernünftig sind, da letzteres eine Konsequenz zuläßt, die ersterem widerspricht. Ich habe hier von vornherein versucht, Rawls so zu lesen, daß diese Inkohärenz nicht auftaucht. Dafür habe ich seine Angabe, daß Meinungsverschiedenheiten vernünftige sind, wenn sie zwischen Personen bestehen, die im Sinne von (i) und (ii) vernünftig sind, elliptisch interpretiert. In diesem Fall geht es um vernünftige Personen, die unter anderem in der Hinsicht von (i) und (ii) vernünftig sind. Die Punkte (i) und (ii) benennen dann lediglich notwendige Merkmale des Begriffs der vernünftigen Person, mit dem an dieser Stelle gearbeitet wird. Ein weiteres notwendiges Merkmal wäre etwa, daß x die Bürden des Urteilens samt ihrer Konsequenzen anerkennt. Aus diesem Grunde habe ich Rawls' Bürden des Urteilens und vernünftigen Meinungsverschiedenheiten von vornherein nicht im Lichte des Begriffs einer nach (i) und (ii) vernünftigen Person diskutiert. III.4. Zur Redundanz eines übergreifenden Konsenses Nach Vorstehendem verweist Rawls' Anerkennung der Bürden des Urteilens zunächst auf eine eher strukturelle oder formale Charakterisierung politischer Toleranz. Doch durch die Behauptung, daß umfassende Lehren vernünftigerweise verworfen werden können, kommt ein eher materiales Element ins Spiel, das seinerseits begriffsexplikativ etabliert wird. Auf der Seite des Begriffs der vernünftigen Meinungsverschiedenheiten geht dies damit einher, daß die Antwort auf die Frage, was vernünftigerweise verworfen werden kann, nicht über eine Begründung, sondern als Explikation des Begriffs der vernünftigen Person gegeben wird. Während die Bürden des Urteilens erklären, weshalb Meinungsverschiedenheiten über nicht-politische Werte, die zwischen vernünftigen Personen unbeschadet ihrer Vernünftigkeit bestehen können, auch tatsächlich zustandekommen und andauern, spezifiziert diese Begriffsexplikation, daß Mei- 80 nungsverschiedenheiten über nicht-politische Werte mit der Tugend, vernünftig zu sein, verträglich sind. Deutlich ist daher, daß Rawls begriffsexplikativ dekretiert hat, erstens, daß nicht-politische Werte verworfen werden dürfen. Und zweitens, daß das gleiche für Werte der politischen Tradition gerade nicht gilt. Erinnern wir uns jetzt daran, daß wir uns hier auf der Ebene des metatheoretischen Arguments befinden, einer Ebene, die innertheoretischen Begründungen noch vorausliegt. Die vorangegangene Diskussion betrifft die Frage, wann eine Konzeption für den Bereich des Politischen vernünftig akzeptiert werden kann. Mit Blick auf diese Frage können wir nun folgendes festhalten. Weiter oben ließ sich die These T1 aufstellen. Nach dieser These sind normative Grundlagen sozialer Kooperation nur dann vernünftig akzeptabel, wenn sie nicht vernünftigerweise verworfen werden können. Aus der Diskussion des vorangegangenen Kapitels ergab sich, daß Rawls die Akzeptanz bestimmter politischer Werte an den Begriff der vernünftigen Person knüpft. Daher läßt sich in Verbindung mit T1 sagen, daß eine vernünftig akzeptable Konzeption für den Bereich des Politischen nach Rawls politische Werte - zumindest Rawls' "essentials of a democratic regime" - enthalten muß. Mit der Diskussion der Begriffe der Bürden des Urteilens und der vernünftigen Meinungsverschiedenheiten läßt sich nun hinzufügen, daß nicht-politische Werte vernünftigerweise verworfen werden können. Nehmen wir beides zusammen, dann können wir T1 nicht nur mit einer Angabe darüber verbinden, was eine vernünftig akzeptable Konzeption enthalten muß, sondern auch, was sie nicht enthalten kann. Nach Vorstehendem folgt, daß sie (i) bestimmte politische Werte enthalten muß, und (ii) keine nicht-politischen Werte enthalten kann. Aufgrund von Rawls' Terminologie folgt ebenfalls, daß eine vernünftig akzeptable Konzeption für den Bereich des Politischen ausschließlich den Bereich des Politischen betreffen kann. Rawls vertrat, daß ein Wert ein politischer Wert ist, wenn er in der politischen Tradition enthalten ist, und ausschließlich 81 politische Bereiche normiert.68 Daraus ergibt sich, daß eine vernünftig akzeptable Konzeption für den Bereich des Politischen, wenn sie ausschließlich politische Werte enthält, ausschließlich den Bereich des Politischen betrifft. Vor diesem Hintergrund kann Rawls vertreten, was er vertritt: daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen politischen Charakter im definierten Sinne haben muß. Hervorzuheben ist hier, daß der Weg zu diesem Ergebnis in der Hauptsache als Weg einer Begriffsexplikation von Rawls' politischer Tugend zu verstehen ist. Aufgrund der politischen Tugend, vernünftig zu sein, sind normative Grundlagen sozialer Kooperation nur dann vernünftig akzeptabel, wenn sie nicht vernünftigerweise verworfen werden können. Und aufgrund dieser Tugend gilt erstens, daß bestimmte politische Werte nicht vernünftigerweise verworfen werden können, und zweitens, daß nicht-politischen Werte vernünftigerweise verworfen werden können. Mit Rawls' Begriff des politischen Werts impliziert dies, daß eine vernünftig akzeptable Konzeption für den Bereich des Politischen allein den Bereich des Politischen betreffen kann. Daher können wir sagen: aufgrund der politischen Tugend, vernünftig zu sein, muß eine vernünftig akzeptable Konzeption für den Bereich des Politischen politischen Charakter im definierten Sinn haben. Dies führt zu einer entscheidenden Akzentverschiebung auf der Seite des metatheoretischen Leitgedankens. Rawls' metatheoretischen Leitgedanke belief sich darauf, erstens, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen umwillen eines übergreifenden Konsens nur solche Inhalte aufweisen sollte, die zwischen vernünftigen umfassenden Lehren faktisch unstrittig sind, und zweitens, daß sie aus diesem Grunde politischen Charakter im definierten Sinn haben sollte. Dieser Gedanke legt nahe, daß das Ziel des übergreifenden Konsenses hinsichtlich der Festlegung der Inhalte einer Konzeption für den Bereich des Politischen eine wesentliche Rolle übernimmt. Er legt nahe, daß Rawls zuerst fragt, welche Werte zwischen vernünftigen umfassenden Lehren faktisch 68 Dies ließ sich in I.3. herausarbeiten. 82 unstrittig sind, um unter der Anleitung dieser Frage die Menge der Werte zu identifizieren, aus denen eine Konzeption für den Bereich des Politischen gebildet werden darf. Daß sie ausschließlich politische Werte enthalten kann, wäre dann ein Ergebnis dieser Frage. Daher wäre das Ziel des übergreifenden Konsenses für die Festlegung der Inhalte einer Konzeption für den Bereich des Politischen von zentraler Bedeutung. Doch die Ergebnisse dieses und des vorangegangenen Kapitels sprechen dafür, daß dieses Ziel hinsichtlich der Festlegung der Inhalte einer Konzeption für den Bereich des Politischen redundant ist. Rawls verankert bereits auf der Seite der an verschiedenen Stellen eingebrachten Bedingungen der Vernünftigkeit, aus welchen Werten eine Konzeption für den Bereich des Politischen bestehen muß. Anders gesagt: um herauszufinden, wann eine Konzeption für den Bereich des Politischen vom Standpunkt der Tugend, vernünftig zu sein, akzeptiert werden kann, müssen wir diese Tugend verstehen. Auf ihrer Grundlage folgt, daß eine vernünftig akzeptable Konzeption politischen Charakter im definierten Sinn haben muß. Doch die Frage, nach einem übergreifenden Konsens taucht hier überhaupt nicht mehr auf. Umgekehrt können wir sehen, daß eine Konzeption, wenn sie vom Standpunkt dieser Tugend akzeptabel ist, eines übergreifenden Konsens fähig sein muß. Nach Rawls' inoffizieller Definition D2* waren solche Lehren vernünftig, die mit einer unterordnenden Akzeptanz der Werte vernünftiger Personen verträglich sind. Da nun eine Konzeption für den Bereich des Politischen, wenn sie vernünftig akzeptabel ist, nur enthält, was nicht vernünftigerweise verworfen werden kann, folgt analytisch, daß sie durch keine vernünftige umfassende Lehre bestritten werden kann. Jede Lehre, die sie bestreitet, wäre unvernünftig. Daher ist das Ziel des übergreifenden Konsenses hinsichtlich der Festlegung der Inhalte einer Konzeption für den Bereich des Politischen redundant. Wohlgemerkt: an dieser Stelle folgt lediglich, daß das metatheoretische Ziel des übergreifenden Konsenses redundant wird. Und dies ist nicht etwa die These, daß Rawls keinerlei Grund hat, dieses Ziel zu unterschreiben. Wir werden sehen, daß Rawls dieses Ziel aus legitimitätstheoretischen Gründen unter- 83 schreibt (Kapitel V). Die These ist aber, daß Rawls den Begriff der vernünftigen Person in einer Weise beansprucht, die die Frage nach einem übergreifenden Konsens hinsichtlich der Festlegung der Inhalte einer Konzeption für den Bereich des Politischen überflüssig macht. Rawls' Verwendung der Tugend, vernünftig zu sein, nimmt diesem Ziel den operativen Raum. Daß dieses Ziel hinsichtlich der Festlegung der Inhalte einer Konzeption für den Bereich des Politischen redundant ist, findet auch durch die folgende Überlegung Unterstützung. Selbst, wenn die Inhalte einer solchen Konzeption davon abhängen sollen, was von Seiten vernünftiger Lehren moralisch akzeptiert werden kann, kann Rawls dieses Ziel auf metatheoretischer Ebene entfallen lassen. Angenommen, (i) daß x als Proponent der vernünftigen Lehren L1 die Konzeption für den Bereich des Politischen K moralisch akzeptieren kann. Die relevante Frage wäre dann, ob dies damit einhergehen muß, (ii) daß y als Proponent irgendeiner anderen vernünftigen Lehre L2 K moralisch akzeptieren kann. Wenn so, dann geht der Sachverhalt, daß K von Seiten eines Proponenten einer vernünftigen Lehre akzeptiert werden kann, immer damit einher, daß K von Seiten eines jeden Proponenten einer vernünftigen Lehre akzeptiert werden kann. Festzuhalten ist zuerst, daß aus dem Sachverhalt, daß x Proponent einer Lehre ist, die durch vernünftige Personen akzeptiert werden kann, nicht folgt, daß x eine vernünftige Person ist. Aber Rawls argumentiert durchgängig so, als ginge beides immer miteinander einher, derart, daß x'ens Akzeptanz einer vernünftigen Lehre ein zureichender Grund ist, um x für vernünftig zu halten. Der Fall, daß x eine vernünftige Lehre vertritt, aber nicht als vernünftige Person angesehen werden kann, wird von ihm nicht in den Blick genommen. Wenn (i) erfüllt ist, dann ist x - bei Rawls - eine vernünftige Person. Angenommen nun, der Sachverhalt, daß x K überhaupt moralisch akzeptiert, schließt den Sachverhalt ein, daß x K auch als vernünftige Person akzeptieren kann (angenommen, x ist kohärent). Dann kann K, wenn (i) erfüllt ist, via "vernünftig Person" nur das voraussetzen und enthalten, was nicht vernünftigerweise verworfen werden kann. Mithin kann keine vernünftige Lehre darauf festlegen, K zu verwerfen (oder unterzuordnen). Oder, positiv gewendet, K muß von Seiten jeder vernünftigen Lehre moralisch akzeptiert werden können. Aber dann folgt, daß 84 dann, wenn (i) erfüllt ist, auch (ii) erfüllt sein muß. Wenn K durch einen Proponenten einer vernünftigen Lehre akzeptiert werden kann, dann muß K durch jeden anderen Proponenten einer vernünftigen Lehre moralisch akzeptiert werden können. Daher wäre das Ziel des übergreifenden Konsens auch hier redundant. Blicken wir kurz zurück. Kapitel II und III gingen von dem Problem aus, daß Rawls' metatheoretischer Leitgedanke mit einer Deutung des Begriffs des vernünftigen Pluralismus verknüpft werden mußte, nach dem ein vernünftiger Pluralismus mit einer Präsenz antiliberaler Positionen verträglich ist. Vor diesem Hintergrund ergab sich in Verbindung mit Rawls' metatheoretischem Leitgedanken die Frage, ob eine Konzeption für den Bereich des Politischen nicht auch fanatischen und fundamentalistischen Positionen anzupassen ist. Doch vor dem Hintergrund dessen, was sich in diesem und dem letzten Kapitel erarbeiten ließ, läßt sich jetzt sagen, daß Rawls diesem Problem von vornherein entkommt. Dies, da die Frage, welche Lehren in einer modernen demokratischen Gesellschaft wie der Vereinigten Staaten der Gegenwart de facto vertreten werden, ist für sein Projekt eines politischen Ansatzes gänzlich ungefährlich ist. Der Grund liegt schlicht darin, daß sie für die Festlegung der Inhalte einer Konzeption für den Bereich des Politischen inoperativ verbleibt. Bei Rawls werden die Inhalte einer solchen Konzeption nicht im Rekurs auf faktisch vertretene umfassende Lehren festgelegt - ob die relevante Bezugsmenge umfassender Lehren nun vernünftige und unvernünftige, oder nur vernünftige Lehren - seien diese nun vernünftig im Sinne von D2 oder D2* - enthält, oder ob nicht. Der Punkt ist vielmehr, daß Rawls, entgegen des ersten Eindrucks, in allen entscheidenden evaluativen und normativen Hinsichten auf die politische Tugend der Vernünftigkeit rekurriert. Die vorgetragene Analyse systematischer Bestandteile seiner Argumentation hat gezeigt, daß die Tugend, vernünftig zu sein, die Inhalte einer Konzeption für den Bereich des Politischen vorgibt. 85 IV. ZWISCHENREFLEXION 86 IV. ZWISCHENREFLEXION Mit dem dritten Kapitel ist die erste Runde meiner Auseinandersetzung mit Rawls' Gründen zugunsten eines politischen Liberalismus im wesentlichen abgeschlossen. Wir haben gesehen, daß Rawls aufgrund der Tugend, vernünftig zu sein, vertritt, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen politischen Charakter im definierten Sinn haben sollte. Bevor ich die zweite Runde meiner Auseinandersetzung eröffne, werde ich in dieser Zwischenreflexion die eher als Exkurs zu verstehen ist - Fragen aufgreifen, die in der vorangegangenen Diskussion angelegt sind, oder sich unmittelbar aus ihr ergeben. IV.1. Zum Gehalt von Rawls' politischer Tugend Wie müssen wir den Gehalt von Rawls' metatheoretisch herangezogener Tugend der Vernünftigkeit verstehen? Wir konnten sehen, daß Rawls diese Tugend über einen begriffsexplikativen Schritt an die Akzeptanz von "essentials of a democratic regime" knüpft. Er erklärt nicht, welche politischen Werte unter diese "essentials" zu subsummieren sind. Doch die Vermutung lag nahe, daß es sich hier um politische Werte bestimmter Art handelt - um politische Werte der Freiheit und Gleichheit.69 Darüberhinaus sahen wir im letzten Kapitel, ers- 69 Vgl. II.1., II.3. 87 tens, daß normative Grundlagen sozialer Kooperation vom Standpunkt dieser Tugend nur dann vernünftig akzeptabel sind, wenn sie nicht vernünftigerweise verworfen werden können. Zweitens sahen wir, daß diese Tugend von Rawls wiederum über einen begriffsexplikativen Schritt herangezogen wird, um zu vertreten, daß nicht-politische Werte vernünftigerweise verworfen werden können. Daher ergab sich, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen vom Standpunkt dieser Tugend erst akzeptabel ist, wenn sie ausschließlich politische Werte enthält, und allein den Bereich des Politischen betrifft. Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, Rawls' politische Tugend als eher substantielle Tugend aufzufassen. Oder, in einer etwas anderen Terminologie: der Begriff dieser Tugend ähnelt einem dicken ethischen Begriff.70 Aber worauf beläuft sich der Inhalt dieser Tugend nun genau? Können wir hier lediglich sagen, daß sie auf eine Akzeptanz solcher Werte, wie politische Werte der Freiheit und Gleichheit, und auf die Akzeptanz einer politischen Konzeption für den Bereich des Politischen festlegt? Oder läßt sich hier etwas mehr sagen? Und wenn sich hier nicht mehr sagen läßt, läßt sich zumindest verstehen, warum sich hier nicht mehr sagen läßt? Offenbar ist diese Tugend und ihr Inhalt entscheidend für Rawls' These, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen politischen Charakter im definierten Sinne haben muß. Doch trotz seines systematischen Gewichts wird der metatheoretisch herangezogene Begriff der vernünftigen Person in Political Liberalism nirgendwo klar und deutlich als solcher herausgestellt und erklärt. Zwar verwendet Rawls den Begriff des Vernünftigen durchgängig; und diese 70 Hier verwende ich Bernard Williams' Terminologie. Vgl. ders. (1985), bes. 140. Wir können auch sagen, daß der Begriff von Rawls' substantieller Tugend Richard M. Hares sekundären Wertwörtern - wie etwa "mutig" oder "klug" - ähnelt. Vgl. z.B. Hare (1963), Kap. 10.1. Vgl. auch Elijah Millgrams aufschlußreiche Diskussion zum Verhältnis zwischen dicken - oder auch: inhaltsreichen - ethischen Begriffen und sekundären Wertwörtern: Elija Milgram, "Inhaltsreiche ethische Begriffe und die Unterscheidung zwischen Tatsachen und Werten", in: Christoph Fehige, Georg Meggle (Hrsg.), Zum moralischen Denken, Ffm. 1995. Vgl. auch Anm. 50. Ich nenne diese Ähnlichkeit, aber vertiefe diesen Punkt nicht, da ein metaethischer Zugriff auf Rawls interpretativ unangemessen ist. 88 Applikationen verweisen nach der Regel R1 in der einen oder der anderen Weise auf den Begriff der vernünftigen Person. Aber verweisen sie auf die metatheoretisch herangezogene Tugend? Oder verweisen sie auf andere Begriffe der vernünftigen Person, die ihrerseits in einem bestimmten Verhältnis zum metatheoretischen Begriff stehen? Der Hintergrund der letzten beiden Fragen ist dieser, daß Rawls über mehrere Begriffe der vernünftigen Person verfügt. Zunächst verwendet er diesen Begriff auf der metatheoretischen Ebene. Zudem aber finden sich mindestens zwei Begriffe der vernünftigen Person auf der Ebene seiner innertheoretischen Position - der Ebene von Rawls' politisch-liberaler Gerechtigkeitstheorie GF. Und das heißt: während der metatheoretische Begriff auf der Ebene des Arguments für diese oder eine derartige Theorie Verwendung findet, sind diese beiden innertheoretischen Begriffe Bestandteile dieser Theorie. Die Schwierigkeit scheint nun zu sein, daß sich die Frage nach dem Gehalt der metatheoretisch herangezogenen Tugend nicht klären läßt, ohne auf das Verhältnis zwischen diesen drei Begriffen einzugehen. Daher muß hier die Frage ins Spiel kommen, in welcher Weise Rawls' metatheoretische Gründe für eine politische Konzeption mit der politischen Konzeption interagieren, die er mit GF vorlegt. Und dies wiederum involviert nicht allein eine Klärung der Struktur von Rawls' innertheoretischer Position. Es involviert zugleich die Frage, ob oder in welchem Sinne Rawls GF noch als politischen Konstruktivismus bezeichnen kann, wenn er bereits auf der Ebene der Gründe für eine politische Konzeption auf eine substantielle politische Tugend zurückgreift.71 Diese Interdependenzen verweisen auf einen umfassenden Fragenkomplex, den ich hier nicht angemessen behandeln kann. Insbesondere die Frage, ob oder in welchem Sinne Rawls aufgrund seines metatheoretischen Rekurses auf eine substantielle Tugend noch einen innertheoretischen Konstruktivismus vertreten kann, bedarf ausgreifender Auseinandersetzungen. Gleichwohl sind 71 Vgl. zu Rawls' Darstellung des politischen Konstruktivismus PL xx, 89-129, bes. 8999. 89 diese Punkte mit der Frage nach dem Gehalt des metatheoretischen Begriffs der vernünftigen Person verwoben, und deshalb sollten wir sie nicht gänzlich überspringen. Daher werde ich nachstehend wenigstens ein paar dieser Punkte ansprechen - soweit es für das Verständnis des Gehalts von Rawls' Tugend dienlich ist. Ich betone, daß meine Darstellungen thetischen, tentativen und heuristischen Status beanspruchen. Gerade darum hob ich weiter oben hervor, daß diese Zwischenreflexion eher exkursiven Charakter hat. Zunächst ein Nachtrag. Eben sagte ich, daß Rawls neben dem metatheoretisch herangezogenen Begriff über zwei innertheoretische Begriffe der vernünftigen Person verfügt. Wie sind sie zu verstehen? Den ersten der beiden innertheoretischen Begriffe zieht Rawls auf der Ebene der innertheoretischen Voraussetzungen des Urzustandes heran: Rawls erklärt den Urzustand als Mittel der "Visualisierung", "Abbildung" oder der "Darstellung" der Überlegung, über die vernünftige und rationale Personen Prinzipien und Standards sozialer Kooperation festlegen.72 Diesem Begriff der vernünftigen Person entsprechen zusammengenommen wenigstens die folgenden Merkmale: (1)Wenn x vernünftig ist, dann (i) hat x zwei moralische Vermögen, und (ii) x'ens moralische Vermögen sind in zureichendem Maße entwickelt, um freie und gleiche Person zu sein.73 72 Vgl. zu diesem Punkt und Nachstehendem PL xx, 16ff., 22-28, 66-82, 97f., 103-7, 299-308. Im Urzustand handeln rationale Repräsentanten vernünftiger und rationaler, freier und gleicher Personen unter vernünftigen Vertragsbedingungen aus, durch welche Prinzipien und Standards der Bereich des Politischen normiert werden sollte. Auf die genaue Struktur GF's, die Beschaffenheit des Urzustandes und die Frage, in welcher Weise der hier angesprochene Begriff der vernünftigen Person die Konstruktion des Urzustandes bestimmt, gehe ich jetzt nicht ein, da dies den Gang der Darstellungen unnötig verkomplizieren würde. 73 Vgl. PL 55. Rawls schrieb hier: "Let's say that reasonable disagreement is disagreement between reasonable persons: that is, between persons who have realized their two moral powers to a degree sufficient to be free and equal citizens in a constitutional regime, and who have an enduring desire to honor fair terms of cooperation and to be fully cooperating members of society". Die letzten beiden Punkte - den Verweis auf den ersten Aspekt des Vernünftigen und den Wunsch, vollwertig sozial zu kooperieren - verlege ich aus Gründen der Übersichtlich- 90 (2)Wenn x vernünftig ist, dann (i) wünscht x, faire Grundlagen sozialer Kooperation zu unterstützen, und (ii) x anerkennt die Bürden des Urteilens.74 (3)Wenn x vernünftig ist, dann (i) wünscht x, vollwertiges Mitglied sozialer Kooperation zu sein, und (ii) x ist fähig, vollwertig sozial zu kooperieren.75 (4)Wenn x vernünftig ist, dann ist x unparteilich und wohlwollend.76 Wenn der erste der beiden innertheoretischen Begriffe durch (1) - (4) beschrieben wird, wie ist der zweite zu verstehen? Dieser zweite Begriff liegt auf der Ebene der Anwendungsgegenstände des Urzustandes. Er scheint für ein Ideal keit in (2) und (3). Die beiden moralischen Vermögen bestehen in einem Gerechtigkeitssinn und der Fähigkeit, eine Konzeption des Guten zu verfolgen. Rawls verbindet diese Vermögen mit korrespondierenden Interessen an ihrer Ausübung und Entwicklung; zugleich schreibt er vernünftigen Personen ein Interesse an der Verfolgung einer Konzeption des Guten zu. Daher ließe sich (1) auch mit dem Zusatz formulieren, daß vernünftige Personen über diese Interessen verfügen. Vgl. hierzu z.B. PL 18ff., 74, 81f. 74 Punkt (i) formuliert den ersten, Punkt (ii) den zweiten der beiden Aspekte des Vernünftigen. In (i) orientiere ich mich dabei an Rawls' offizieller Charakterisierung des ersten Aspekts: "The first basic aspect of the reasonable (...) is the willingness to propose fair terms of cooperation and to abide by them provided others do" (PL 54). In III.2. habe ich aus Gründen der Zwecke der dortigen Darstellungen eine zweite und mehr oder weniger gleichwertige Charakterisierung dieses ersten Aspekts aufgegriffen: "Reasonable persons (...) are not moved by the general good as such, but desire for its own sake a social world in which they, as free and equal, can cooperate with others on terms that all can accept. They insist that reciprocity should hold within that world so that each benefits along with others" (PL 50). 75 Vgl. hier z.B. PL 18f., 81f. 76 Rawls schreibt vernünftigen Personen Wohlwollen zu, wenn er festhält: "[R]easonable people take into account the consequences of their actions on others' well-being" (PL 49, Fn. 1). Hingegen schreibt er ihnen Unparteilichkeit eher indirekt zu. So führt er den gerade zitierten Satz fort: "The disposition to be reasonable is neither derived from nor opposed to the rational but is incompatible with egoism, as it is related to the disposition to act morally". Da wir annehmen dürfen, daß sich Egoismus und Unparteilichkeit wechselseitig ausschließen, dürfen wir dies als indirekte Zuschreibung von Unparteilichkeit werten. Ich lasse offen, welcher Begriff der Unparteilichkeit hier im Spiel ist. Vgl. hier PL 50 und PL 54. 91 des Bürgers zu stehen, dessen Inhalt durch die im Urzustand gewählten Prinzipien und Wertstandards festgelegt wird. Betrachten wir die folgenden beiden Passagen: [P]olitical constructivism specifies an idea of the reasonable and applies this idea to various subjects: conceptions and principles, judgments and grounds, persons and institutions. (94; kursiv durch mich) The initial focus (...) of a political conception of justice is the framework of basic institutions and the principles, standards and precepts that apply to it, as well how those norms are to be expressed in the character and attitude of the members of society who realize its ideals" (11f.; kursiv durch mich). Für unsere Zwecke dürfen wir die erste Passage so verstehen, daß GF in Anwendung des Urzustandes eine inhaltliche Idee der vernünftigen Person spezifiziert. In Verbindung mit der zweiten Passage wäre dann anzunehmen, daß dieser Begriff der Begriff einer Person ist, die die feste Willensdisposition hat, die im Urzustand gewählten Prinzipien und Wertstandards zu befolgen. Wenn das richtig ist, dann treten beide innertheoretischen Begriffe der vernünftigen Person systematisch geordnet auf. Den ersten Begriff können wir als innertheoretisch normierungskonstitutiven Begriff bezeichnen, da er auf der Ebene der innertheoretischen Voraussetzungen des Urzustandes liegt. Hingegen können wir den zweiten Begriff als innertheoretisch normierungsrelativen Begriff bezeichnen, da sein normativer Inhalt durch die innerhalb des Urzustandes erreichten Prinzipien und Wertstandards, und daher in Anwendung des Urzustandes festgelegt wird. Aus Gründen der Kürze werde ich für den normierungskonstitutiven Begriff der vernünftigen Person nachstehend auch "vernünftige1 Person" schreiben, für den normierungsrelativen Begriff hingegen "vernünftige2 Person". Die Indizes deuten die systematische Rangordnung der beiden Begriffe an. Schreibe ich "vernünftigeM Person", so verweise ich auf den metatheoretisch verwendeten Begriff der vernünftigen Person. Der Index "M" steht für "metatheoretisch". Daher können wir sagen, daß Rawls' Begriff der 92 vernünftigenM Person die entscheidende Rolle innerhalb des Arguments für seine Theorie GF - oder eine Theorie dieser Art - übernimmt, während der Begriff der vernünftigen1 Person auf der Ebene der innertheoretischen Voraussetzungen, der Begriff der vernünftigen2 Person hingegen auf der Ebene der innertheoretischen Anwendungsgegenstände von GF liegt. IV.2. Eine Hypothese Wie verhält sich der metatheoretische Begriff der vernünftigen Person zu den beiden innertheoretischen Begriffen? Meine Hypothese ist folgende: die Begriffe der vernünftigen1 und vernünftigen2 Person dienen Rawls als komplementäre Instanzen einer Rekonstruktion des Begriffs der vernünftigenM Person. Die Hypothese ist nicht etwa, daß der Sachverhalt, (i) daß x vernünftigM ist, genau darin besteht oder impliziert, (ii) daß x vernünftig1 und vernünftig2 ist. Die Hypothese ist, daß der normative Gehalt von (i) durch (ii) rekonstruiert wird. Zwar wird der Gehalt von Rawls' metatheoretischer Tugend, vernünftig zu sein, nicht exakt durch den Gehalt der beiden innertheoretischen Begriffe der vernünftigen Person expliziert; doch letztere sind komplementäre Instanzen des Versuchs, den Gehalt dieser Tugend explizit zu machen. In diesem Sinne rekonstruieren sie - oder, anders gesagt: interpretieren oder konkretisieren sie den Gehalt dieser Tugend. Sie dienen jedoch nicht als Instanzen einer kritischen Rekonstruktion: (ii) hat nicht den Charakter eines rekonstruktiv ansetzenden Versuchs der Überprüfung des Gehaltes von (i). Eine verwandte Interpretation hat Gerald Doppelt vorgebracht. Auch er geht davon aus, daß GF die Funktion hat, ein unabhänging vorgegebenes Selbstverständnis als vernünftige Person zu rekonstruieren. Doch anders als nach der hier formulierten Hypothese spricht Doppelt GF den Charakter einer kritischen Rekonstruktion dieses Selbstverständnisses zu. Ich vertiefe meine Interpretation, indem ich sie von Doppelts Überlegungen abgrenze. Doppelt übersieht einen wichtigen Punkt; doch nehmen wir diesen hinzu, so verfällt die kritische Funktion GF's. Doppelt schreibt: 93 Rawls's argument requires that we distinguish among the following: 1) the abstract Kantian ideal of persons as beings with the supremely valuable capacity for rational self-determination; 2) the concrete everyday social interpretation of this ideal's implications in the existing democratic tradition (...); and 3) the social reinterpretation of this ideal which would be accepted in the original position where the disturbing influences of power, ignorance, bias, and so on, have been eliminated. While we discover 1 through critical reflection upon 2, a reflection upon 1 in the conditions of the original position may generate a new view of 1 embodied in 3 which departs from 2. In other words, underlying the existing democratic tradition, we may discover an abstract ideal of the person, which, upon further reflection we discover requires much more in the way of, for example institutional equality, rights, economic security, and so forth than we usually judge to be the case.77 Zunächst können wir festhalten, daß Doppelt hier weder genau zwischen der metatheoretischen und der innertheoretischen Ebene, noch genau zwischen den beiden innertheoretischen Ebenen der Verwendung des Begriffs der vernünftigen Person differenziert. Wenn wir seine Überlegung dahingehend reformulieren, ergibt sich etwa folgendes. In Doppelts Punkt (1) geht es um den Begriff der vernünftigen Person, der zur Explikation des Urzustandes herangezogen wird. Damit geht es um den innertheoretisch normierungskonstitutiven Begriff der vernünftigen Person, oder - mit den weiter oben verteilten Indizes - um den Begriff der "vernünftigen1 Person". In Punkt (2) hingegen spricht Doppelt einen vorkritischen Begriff der vernünftigen Person an, der durch GF konkretisiert und interpretiert wird, und - nach Doppelt - auch korrigiert oder kritisiert werden kann. Der systematischen Ebene nach entspricht dieser dem metatheoretischen Begriff der 77 Aus: Gerald Doppelt, "Is Rawls's Kantian Liberalism Coherent and Defensible?", in: Ethics 99 (1989), 838. Vgl. auch: ders., "Rawls' Kantian Ideal and the Viability of Modern Liberalism", in: Inquiry 31 (1988). 94 vernünftigen Person - und das heißt: dem Begriff der "vernünftigenM Person". Doppelts Punkt (3) schließlich bezieht sich auf den Begriff der vernünftigen Person, dessen normativer Gehalt durch den Urzustand spezifiziert wird. Damit geht es um den innertheoretisch normierungsrelativen Begriff der vernünftigen Person - oder auch: der "vernünftigen2 Person". Mit dieser Reformulierung beliefe sich Doppelts Interpretation mehr oder weniger auf folgendes. Zunächst darauf, (i) daß der Begriff der vernünftigen1 Person über eine Reflexion darauf, was es heißt, sich als vernünftigeM Person zu verstehen, "entdeckt" wird. Und weiterhin, (ii) daß der Begriff der vernünftigen1 Person in Anwendung des Urzustandes durch den Begriff der vernünftigen2 Person interpretiert wird. Schließlich darauf, (iii) daß das Selbstverständnis als vernünftigeM Person aufgrund von (i) und (ii) durch die Begriffe der vernünftigen1 und der vernünftigen2 Person interpretiert wird, aber auch korrigiert und kritisiert werden kann. Diese Korrektur könnte darin bestehen, daß vernünftigeM Personen, weil sie entdecken, daß sie sich implizit als vernünftige1 Personen verstehen, zuletzt lernen, daß ihr Selbstverständnis darauf festlegt, diejenigen Werte zu bejahen, die im Urzustand begründet werden. Anders gesagt: über Rawls' Analyse eines Bestandteils des Selbstverständnisses als vernünftigeM Person würden Bürger, die dieses Selbstverständnis an den Tag legen, zuletzt dazu geführt, einzusehen, daß sie auch das Selbstverständnis als vernünftige2 Personen als Bestandteil ihres Selbstverständnisses anerkennen müssen. Wenn x sich als vernünftigeM Person versteht, aber verwirft, was er als vernünftige2 Person anerkennen muß, so wäre dies der Beleg, daß er das Selbstverständnis, das er hat, selbst nicht versteht. Damit hätte der erste Schritt, der Schritt vom Selbstverständnis als vernünftigeM Person zum Begriff der vernünftigen1 Person, rekonstruktiven Charakter. Der zweite Schritt, der Schritt vom Begriff der vernünftigen1 Person zum Begriff der vernünftigen2 Person, hätte den Charakter einer Begründung derjenigen Prinzipien und Standards sozialer Kooperation, die vernünftige2 Personen akzeptieren müssen. Schließlich wäre der dritte Schritt, der Schritt vom Begriff der vernüftigen2 Person zurück zum Selbstverständnis als vernünftigeM Person, rekonstruktiv in der Behauptung, daß das Selbstverständnis 95 als vernünftigeM Person vernünftige2 Implikationen hat, aber potentiell kritisch in der Behauptung, daß der, der sich als vernünftigeM Person versteht, aber diese Implikationen nicht anerkennt, nicht versteht, als was er sich versteht. Natürlich sind diese Zusammenhänge komplex genug. Doch die Sache ist noch komplexer. Doppelt übersieht hier einen entscheidenden Punkt: Rawls unterstellt GF insgesamt - auf allen systematischen Ebenen - einem normativen Akzeptabilitäts- oder Adäquatheitsvorbehalt. So schreibt Rawls: [A] political conception of justice, to be acceptable, must accord with our considered convictions, at all levels of generality, on due reflection (...). (8; kursiv durch mich)78 Vom Standpunkt meiner Hypothese läuft diese Bemerkung darauf hinaus, daß auch die kritischen Ergebnisse GF's prinzipiell dem Vorbehalt der Adäquatheit 78 Rawls führt dieses Satzfragment fort: "or, in what I have called elsewhere "reflective equilibrium"" (PL 8). Damit kommt an dieser Stelle Rawls' Doktrin des Überlegungsgleichgewichts ins Spiel. Grob läßt sich sagen: die Normierungstheorie T steht im hier von Rawls geforderten engen Sinne im Überlegungsgleichgewicht zur Meinungsmenge M, wenn (i) die Meinungen dieser Menge M1, M2, ..., Mn wohlerwogen und untereinander kohärent sind, und (ii) T gegenüber den Mi kohärent ist. Dabei sind Meinungen wohlerwogen, wenn sie unter möglichst günstigen Urteilsbedingungen gefällt oder überprüft und bestätigt wurden. Der Aspekt der Adäquatheit kommt ins Spiel, da wir annehmen dürfen, daß T gegenüber solchen moralisch-politischen Meinungen, an denen Urteilende festhalten wollen, nur dann kohärent ist, wenn T auch adäquat gegenüber diesen Meinungen ist. Vgl. zu Rawls' Doktrin des Überlegungsgleichgewichts PL 8, 28, 45; Rawls (1992), bes. 48-51; ders. (1975), bes. 5-10. Vgl. auch: Peter Singer, "Sidgwick and Reflective Equilibrium", in: The Monist 58 (1974); Norman Daniels, "Wide Reflective Equilibrium and Theory Acceptance in Ethics", in: The Journal of Philosophy 76 (1979); ders., "Reflective Equilibrium and Archimedian Points", in: Canadian Journal of Philosophy 10 (1980); ders., "On Some Methods of Ethics and Linguistics", in: Philosophical Studies 37 (1980); Michael R. DePaul, "Two Conceptions of Coherence Methods in Ethics", in: Mind 96 (1987); Fred D'Agostino, "Relativism and Reflective Equilibrium", in: The Monist 71 (1988); Roger P. Ebertz, "Is Reflective Equilibrium a Coherentist Method?", in: Canadian Journal of Philosophy 23 (1993); Kai Nielsen, "Relativism and Wide Reflective Equilibrium", in: The Monist 76 (1993); Vgl. besonders: Joseph Raz, "The Claims of Reflective Equilibrium", in: Inquiry 25 (1982), und Griffin (1993). Vgl. zum Topos des Überlegungsgleichgewichts auch die nachfolgende Anmerkung. 96 gegenüber den vorkritischen moralisch-politischen Auffassungen vernünftigerM Personen zu unterstellen sind. Um diesen generellen Adäquatheitsvorbehalt aufzunehmen, wäre Doppelts Punkten ein weiterer hinzuzufügen. Hinzukommen müßte, (iv) daß dann, wenn kritische Ergebnisse aus (iii) durch vernünftigeM Personen vernünftigerweiseM verworfen werden, modifiziert werden muß, was in (i) und (ii) über die Begriffe der vernünftigen1 und der vernünftigen2 Person gesagt wurde. Und das heißt: die Begriffe der vernünftigen1 und vernünftigen2 Person sind jetzt als Interpretations- oder Korrekturangebot an vernünftigeM Personen zu werten, die dieses Angebot ihrerseits als inadäquat verwerfen können. Die Behauptung, daß x, wenn er sich als vernünftigeM Person versteht, aber vernünftige2 Implikationen nicht anerkennt, nicht versteht, als was er sich versteht, muß fallen gelassen oder entscheidend abgeschwächt werden. Wenn der Fall eintritt, daß x diese implikationen vernünftigerweiseM verwirft, so ist das der Beleg, daß Rawls im ersten oder zweiten Schritt einen Fehler machte. Diesen Punkt hat Doppelt übersehen. Er führt dazu, daß das kritische Potential im Verhältnis der Begriffe der vernünftigenM und der vernünftigen1 und vernünftigen2 Person verfällt, und die rekonstruktive Ausrichtung die Oberhand gewinnt. Grob ließe sich dann sagen, daß Rawls' innertheoretische Darstellungen auf die Frage antworten: "Gegeben das Selbstverständnis als vernünftigeM Person: welche Inhalte müßte dieses Selbstverständnis involvieren?". Die innerhalb GF's erarbeitete Antwort bestünde darin, erstens, daß das Selbstverständnis als vernünftigeM Personen das Selbstverständnis als vernünftige1 Person involviert. Und zweitens, daß es daher auch das Selbstverständnis als vernünftige2 Person involvieren müßte. Rawls würde vertreten, daß wir, wenn wir uns bereits als vernünftigeM Personen verstehen, implizit bereit sein müßten, diejenigen Prinzipien und Wertstandards zu akzeptieren, die Rawls innerhalb GF's - in Anwendung des Urzustandes - spezifiziert. Doch um zu gewährleisten, daß diese Antwort adäquat ist, wird sie mit (iv) zuletzt der Beurteilung vernünftigerM Personen vorgelegt. 97 Wenn x als vernünftigeM Person jedoch meint, daß sein Selbstverständnis durch Rawls' Antwort adäquat getroffen und in attraktiver Weise strukturiert wird, so ließe sich auch sagen, daß GF dem x zu einer - wie Rawls sagt "Selbstklärung" oder zu einer "Vertiefung" seines Selbstverständnisses verholfen hat: [T]he idea of the original position serves as a means of public reflection and self-clarification. It helps us to work out what we now think, once we are able to take a clear and uncluttered view of what justice requires when society is concieved as a sheme of cooperation between free and equal citizens from one generation to the next. The original position serves as a mediating idea by which all our considered convictions, whatever their level of generality - wether they concern fair conditions for situating the parties or reasonable constraints on reasons, or first principles and precepts, or judgements about particular institutions and actions - can be brought to bear on one another. This enables to establish greater coherence among all our judgements; and with this deeper selfunderstandig we can attain wider agreement among one another. (26; kursiv durch mich) Doch wenn der mögliche Fall eintritt, daß x nicht dieser Meinung ist, so ist x'ens Selbstverständnis nicht etwa nach Maßgabe GF's zu korrigieren. Wenn vernünftigeM Personen verwerfen, was sie als vernünftige1 oder vernünftige2 Personen akzeptieren müßten, so ist gezeigt, daß Rawls' Antwort falsch oder modifikationsbedürftig ist. Die Divergenz zwischen dem, was vernünftigeM Personen vernünftigerweiseM akzeptieren, und dem, was sie aus der Perspektive GF's akzeptieren müßten, geht hier im Prinzip zulasten GF's. Sie kann zeigen, daß GF inadäquat, und daher modifikationsbedürftig ist. Gerald Doppelt betont zu recht, daß Rawls von einem vorkritisch gegebenen Selbstverständnis ausgeht, und die innertheoretischen Begriffe der vernünftigen Person als Interpretations- oder Konkretionsinstanzen dieses vorkritischen Selbstverständisses behandelt. Doch Doppelt übersieht Rawls' generellen Adäquatheitsvorbehalt. Durch ihn wird der kritische Gehalt von GF eingezo- 98 gen. Wenn wir diesen Vorbehalt hinzunehmen, so zeichnet sich ab, daß Rawls' innertheoretische Position nicht allein beim Selbstverständnis als vernünftigeM Person ansetzt, um auf dieser Grundlage ein rekonstruktives und kritisches Programm der Begründung von Prinzipien und Wertstandards politischer Gerechtigkeit zu entfalten. Vielmehr zeichnet sich ab, daß GF die Funktion hat, das Selbstverständnis der Träger der politischen Tugend, vernünftig zu sein, zu rekonstruieren, zu konkretisieren oder zu interpretieren. Nach Vorstehendem ist GF als Mittel einer Rekonstruktion des Gehalts der metatheoretisch herangezogenen politischen Tugend, vernünftig zu sein, zu verstehen. Daraus folgt nicht, daß GF in keinerlei Hinsicht kritischen Gehalt hat: so wäre GF bereits dadurch in einem gewissen Sinne kritisch, daß GF ein unklar vorliegendes Selbstverständnis als vernünftigeM Person klären kann. Doch es folgt, daß das kritische Potential GF's in letzter Instanz der Akzeptanz vernünftigerM Personen unterworfen, und daher nur unter dem Vorbehalt rekonstruktiver Adäquatheit als kritisch aufzufassen ist. Meine Abgrenzung von Doppelt beruhte an dieser Stelle auf der Annahme, daß GF sich in einem (engen) Überlegungsgleichgewicht gegenüber den wohlerwogenen und kohärenten moralisch-politischen Auffassungen vernünftigerM Personen befinden soll. Damit lege ich den Standpunkt des Überlegungsgleichgewichts mit dem Standpunkt dieser Tugend zusammen. Ich gehe also nicht davon aus, daß Rawls' Urzustand und die Doktrin des Überlegungsgleichgewichts für konkurrierende Modelle der Normenbegründung stehen wie noch Norbert Hoerster gegenüber A Theory of Justice vertrat.79 Vielmehr nehme ich an, erstens, daß das Überlegungsgleichgewicht auf der Ebene der Akzeptabilitätskriterien einer Normierungstheorie für den Bereich des Politischen liegt. Darin folge ich besonders Norman Daniels und Joseph Raz.80 Und zweitens, daß Rawls' Frage nach einem Überlegungsgleichgewicht zumindest 79 Vgl. Norbert Hoerster, "John Rawls' Kohärenztheorie der Normenbegründung", in: Otfried Höffe (Hrsg.), Über John Rawls' Theorie der Gerechtigkeit, Ffm. 1977. 80 Vgl. die weiter oben angeführten Aufsätze. 99 seit seiner 'politischen Wende' so zu verstehen ist, daß es in das in II und III skizzierte metatheoretische Argument eingebettet ist. Für den Schritt, den Standpunkt des Überlegungsgleichgewichts mit dem der metatheoretisch herangezogenen Tugend zusammenzulegen, gibt es systematische Gründe. Wie ich später sagen werde, müßte Rawls zu einer unzulässigen Idealisierung des Gegebenen übergehen, wenn er annähme, daß allein ein politischer Liberalismus adäquat gegenüber den wohlerwogenen und kohärenten Meinungen eines jeden ist (vgl. VI.2). und die dortigen Anmerkungen. Aus der Tatsache, daß x'ens Meinungsmenge das formale oder strukturelle Merkmal der Wohlerwogenheit und Kohärenz aufweist, folgt nicht, daß sich eine Konzeption, die ausschließlich liberale Werte der politischen Tradition enthält und allein den Bereich des Politischen betrifft, im Überlegungsgleichgewicht mit x'ens Meinungsmenge befindet. Vielmehr scheint x'ens Meinungsmenge erst dann einen politischen Liberalismus zu privilegieren, wenn x von vornherein von einer Akzeptanz der liberalen Werte der politischen Tradition ausgeht. Dann aber wäre der Gedanke, daß ein politischer Liberalismus ein Überlegungsgleichgewicht gegenüber den Meinungen eines jeden für sich hätte, Ausdruck einer unzulässigen Idealisierung des Gegebenen, da sich nicht annehmen läßt, daß ein jeder im Versuch, wohlerwogene und kohärente Meinungen auszubilden, in der passenden Weise von einer Akzeptanz liberaler Werte der politischen Tradition ausgeht. Diese Idealisierung wird jedoch vermieden, wenn der Standpunkt des Überlegungsgleichgewichts von vornherein der Standpunkt von Rawls' politischer Tugend ist. Und wenn wir Rawls an dieser Stelle so verstehen wollen, daß er eine derartige Idealisierung vermeiden, und bei der These bleiben kann, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen politischen Charakter im definierten Sinn haben muß, dann müßten wir seinen Verweis auf das Überlegungsgleichgewicht als Verweis auf ein Überlegungsgleichgewicht zwischen einer Konzeption für den Bereich des Politischen und den wohlerwogenen und kohärenten Meinungsmengen vernünftigerM Personen verstehen. Dem widerspricht es gerade nicht, wenn Rawls Überlegungen der folgenden Art formuliert: 100 "The third point of view - that of you and me - is that from which justice as fairness, and indeed any other political conception, is to be assessed. Here the test is that of reflective equilibrium: how well the view as a whole articulates our more firm considered convictions of political justice, at all levels of generality, after due examination, once all adjustments and revisions that seem compelling have been made. A conception of justice that meets this criterion is the conception that, so far as we can now ascertain, is the most reasonable for us" (PL 28). Auf den ersten Blick vertritt Rawls hier, daß GF sich in einem Überlegungsgleichgewicht gegenüber den wohlerwogenen und kohärenten moralischpolitischen Auffassungen eines jeden befinden muß, und nicht nur gegenüber denen der Träger der Tugend, vernünftig zu sein. Doch wie ich später erläutern werde - und bereits in II.3. antizipiert habe - argumentiert Rawls auf der Grundlage einer Adressatenrestriktion. Seine Darstellungen sind als Ausführungen unter und gegenüber den Trägern dieser Tugend zu werten. Daher ist "you and me" elliptisch zu verstehen: es spricht Träger dieser Tugend an. Entsprechend geht es um die wohlerwogenen moralisch-politischen Auffassungen einer jeden vernünftigenM Person. Diese Adressatenrestriktion ist die Grundlage der Übereinstimmung zwischen dem Standpunkt des Überlegungsgleichgewichtes und dem der politischen Tugend.81 IV.3. Politischer Konstruktivismus? Die übergreifende Frage war, wie der Gehalt der Tugend, vernünftig zu sein, zu verstehen ist. Wie wäre nun zu antworten? Zunächst einmal bekräftigen die vorstehenden Punkte, daß diese Tugend substantiellen Charakter hat. Doch aus systematischen Gründen läßt sich der exakte Gehalt dieser Tugend nicht en de- 101 tail bestimmen, sondern lediglich umreißen. Offenbar kann diese Tugend nicht auf genau diejenigen Werte festlegen, die Rawls innerhalb GF's expliziert. Anderenfalls wäre x unvernünftig, wenn er diese Werte verwirft. Dem widerspricht, daß Rawls' genereller Adäquatheitsvorbehalt im Prinzip vorsieht, daß eine Divergenz zwischen den Werten GF's und der Perspektive dieser Tugend zu einer Modifikation GF's führt. Vielmehr ist Rawls' metatheoretischer Begriff der vernünftigen Person der Begriff einer Tugend, die an die Akzeptanz von Werten der innerhalb GF's ausgearbeiteten Art gebunden ist. Dabei verweist der generelle Adäquatheitsvorbehalt darauf, daß hier um Werte geht, wie sie auf jeder der verschiedenen Ebenen GF's zu finden sind. Generell gesagt handelt es sich hierbei um liberale Werte der politischen Tradition, um polititische Werte der Freiheit und Gleichheit. Vor diesem Hintergrund verweist Rawls' Tugend nicht auf eine inhaltlich präzise Menge liberaler moralisch-politischer Auffassungen. Vielmehr steht sie für eine normativ gehaltvolle liberale moralisch-politische Perspektive. Und es scheinen gerade die Grenzen oder die Umrisse dieser Perspektive zu sein, die durch jene drei Thesen angedeutet werden, die in den vorangegangenen beiden Kapiteln zentral waren: erstens die These, daß vernünftige Personen "essentials of a democratic regime" akzeptieren, zweitens die These, daß normative Grundlagen sozialer Kooperation nur dann vernünftig akzeptabel sind, wenn sie nicht vernünftigerweise verworfen werden können, und schließlich drittens die These, daß nicht-politische Werte vernünftigerweise verworfen werden können.82 81 Den Hinweis, deutlicher zu machen, daß und wie ich an dieser Stelle Rawls' Doktrin des Überlegungsgleichgewichts ins Spiel bringe, verdanke ich Ulrich Steinvorth. 82 Wir können diese Perspektive ausführlicher auch als Perspektive solcher Bürger bezeichnen, (i) die sich als vernünftige und rationale, freie und gleiche Person verstehen, und (ii) die sich (wenngleich in ggf. klärungsbedürftiger Weise) vollherzig mit den inhaltlich-liberalen Werten der politischen Tradition identifizieren, und darüberhinaus annehmen, (iii) daß allein Werte dieser Tradition die normative Struktur des Bereichs des Politischen bestimmen dürfen. Vgl. hier die Charakterisierungen (1) - (4) in IV.1., und die Angabe zum Begriff der vernünfti- 102 Vor diesem Hintergrund können wir eine Konsequenz hervorheben, die im Argument der letzten beiden Kapitel bereits angelegt ist, aber die ich dort noch nicht explizit herausstellte. Beide Kapitel zeigten, daß Rawls aufgrund der Tugend, vernünftig zu sein, vertritt, daß eine Normierungstheorie für den Bereich des Politischen politischen Charakter im definierten Sinne haben muß. Die vorstehenden Punkte heben nun hervor, daß diese zugleich liberalen Charakter haben muß. Dies, da die moralisch-politische Perspektive, die unter Rawls' politischer Tugend angesprochen wird, ihrerseits eine liberale Perspektive ist. In den letzten beiden Kapiteln war dies bereits angelegt, da eine politische Konzeption ausschließlich Werte der politischen Tradition enthält, und die Tradition, die Rawls' sich vornimmt, eine liberale Tradition ist. Wir erreichen hier eine zusätzliche Bestätigung dieser bislang impliziten Konsequenz.83 Damit komme ich zu der Frage, ob oder in welchem Sinne Rawls GF als politischen Konstruktivismus bezeichnen kann, wenn er bereits auf der Ebene der Argumente zugunsten GF's - oder eine Theorie dieser Art - von einer substantiellen politischen Tugend Gebrauch macht. Ich habe bereits betont, daß ich diese Frage hier nicht angemessen diskutieren kann. Vielmehr werde ich eine gen2 Person. Aber warum sollte diese Perspektive, ihr Gehalt und damit jene drei Thesen akzeptiert werden? Es ist nicht nur so, daß wir hierüber von Rawls nichts erfahren; zugleich scheint es auf einer Linie mit Rawls' Darstellungen zu liegen, wenn diese Frage nach einer Begründung - und nicht allein nach einer Rekonstruktion oder Klärung - aus der Perspektive der Träger von Rawls' Tugend zurückgewiesen, und mit Aristoteles geantwortet würde: "Wir müssen wohl ausgehen von dem was uns bekannt ist. Daher muß bereits über eine edle Grundgewöhnung verfügen, wer mit Nutzen eine Vorlesung über das Edle, das Gerechte, kurzum über die Wissenschaft vom Staat hören will. Ausgangspunkt ist nämlich das Daß, und wenn dies in genügender Klarheit herauskommt, wird das Warum gar nicht mehr nötig sein". Aus: Aristoteles, Nikomachische Ethik. Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Franz Dirlmeier, Stuttgart 1983, 9 (= 1095b3-b7). In VI.2. werde ich Rawls' Ansatz eine Adressatenrestriktion unterstellen: wenn Rawls' Darstellungen von vornherein als Darstellungen unter den Trägern der politischen Tugend, vernünftig zu sein, aufgefaßt werden, würde erklärt, warum wir hier nichts weiter erfahren. Vgl. auch II.3., VII.3. 83 Auf Rawls' Begriff - oder besser: Begriffe, Plural - des Liberalismus, die mit einem dieser Begriffe verknüpfte Auffassung politischer Legitimität und deren Zusammenhang mit 103 Hinsicht herausgreifen, unter der GF nach Rawls ein Konstruktivismus sein soll, aber nach Vorstehendem nicht sein kann. Zunächst ist kurz festzuhalten, daß Rawls GF unter verschiedenen, mindestens aber den folgenden beiden Hinsichten als "Konstruktivismus" anspricht. Einerseits in der Hinsicht, daß die normative Autorität der Prinzipien und Wertstandards GF's nicht darauf beruhen soll, daß sie einer unabhängig vorgegebenen und realistisch verstandenen moralischen Ordnung entsprechen.84 Zweitens und grundlegender in der Hinsicht, daß die normative Autorität der Prinzipien und Wertstandards GF's ausschließlich darauf beruht, daß sie über den Weg der Anwendung eines Entscheidungsverfahrens - Rawls' Urzustand - gewählt, und in diesem Sinne begründet oder "konstruiert" werden. Diese zweite Hinsicht faßt zwei wesentliche Aspekte von Rawls' Konstruktivismus zusammen: einerseits die Struktur der Begründung der entsprechenden Prinzipien und Standards, und andererseits die These, daß die normative Autorität dieser Prinzipien und Standards ausschließlich auf ihrer Begründbarkeit unter einer solchen Struktur beruht.85 Nach dieser Charakterisierung ist Rawls' inner- den Ergebnissen der beiden vorangegangenen Kapitel gehe ich in den beiden nachfolgenden Kapiteln ein. 84 Vgl. hier Rawls' Frontstellung gegen den moralischen Realismus und den klassischen, oder, wie Rawls sagt: den "rationalen" Instuitionismus, PL 90-98. Rawls betont, daß die Festlegung von Prinzipien und Standards für den Bereich des Politischen auf der Grundlage einer realistischen Auffassung über politisch-moralische Werte aus der Perspektive der Bürger eines demokratischen Staates inakzeptabel wäre. Vgl. dazu PL 97f. Wir dürfen annehmen, daß es sich hierbei um im Sinne der Rawls'schen Tugend vernünftige Personen handelt. 85 Vgl. hierzu z.B. PL 89f., 93, 285. Der strukturelle Aspekt von Rawls' Konstruktivismus wird hervorgehoben von: Onora O'Neill, "Constructivisms in Ethics", in: Proceedings of the Aristotelian Society 89 (1989); Stephen Darwall, Allan Gibbard, Peter Railton, "Toward Fin de siècle Ethics: Some Trends", in: The Philosophical Review 101 (1992), bes. 137-44. Vgl. auch Andrea Christofidou, "Contractarian Constructivism", in: The Journal of Philosophy 92 (1995), bes. 184f. Es ist nicht allein, doch gerade die Struktur von Rawls' Begründungsmodell und der mit ihr einhergehende Anspruch, unter reiner Verfahrensgerechtigekit zu begründen, die GF - zumindest der Präsentation nach - in der Tradition Kantischer Begründungsansätze stehen läßt; vgl. hier auch: John Rawls, "Themes in Kant's Moral Philosophy", in: E. Foerster (Hrsg.), Kant's Transcendental Deductions, Stanford 1989, bes. 95-108. 104 theoretische Position zugleich kritisch: bloße Anwärter auf Sollgeltung sind hier ebenso einer verfahrensmäßigen Überprüfung auf Zustimmungswürdigkeit zu unterziehen, wie vorkritisch bejahte, faktisch geltende Prinzipien und Wertstandards. Für unsere Zwecke ist besonders der zweite Aspekt von Interesse. Rawls nimmt ihn in seinem Begriff reiner Verfahrensgerechtigkeit (pure procedural justice) auf.86 Dieser Topos verweist darauf, (i) daß jedes Prinzip oder jeder Wertstandard, der im Urzustand gewählt würde, als gerecht akzeptiert werden muß, während (ii) der Urzustand nicht auf unabhängig vorgegebene, und verfahrensunabhängig autorisierte Gerechtigkeitsvorstellungen bezogen wird: sei es zur Anwendung innerhalb des Verfahrens, zur nachträglichen Korrektur einmal erreichter Verfahrensergebnisse, oder dadurch, daß das Verfahren insgesamt so konstruiert wird, daß seine Ergebnisse mit diesen Gerechtigkeitsvorstellungen übereinstimmt. Mit dem Begriff der reinen Verfahrensgerechtigkeit nimmt Rawls den starken Begründungsanspruch konstruktiv-kritischer Positionen auf. Vor aller Einschränkung werden Normenvorschläge hier nur unter dem Vorbehalt ihrer Begründbarkeit in Anwendung des je vertretenen Verfahrens als zustimmungswürdig erachtet.87 Doch nach Vorstehendem ist ausgeschlossen, daß GF den Ansprüchen reiner Verfahrensgerechtigkeit genügt. GF kann diesen Ansprüchen nicht genü- 86 Vgl. PL 72ff. Vgl. auch Rawls (1992), 84ff. 87 Vgl. Dieser Begründungsanspruch ist typisch für Kantisch strukturierte Begründungsmodelle. Vgl. z.B. Hare (1963) und (1981); Tugendhat (1993); Jürgen Habermas, "Diskursethik - Notizen zu einem Begründungsprogramm", in: ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Ffm. 1983; ders., "Treffen Hegels Einwände gegen Kant auch auf die Diskursethik zu?", in: ders., Erläuterungen zur Diskursethik, Ffm. 1991. Rawls übersetzt diesen Begründungsanspruch in das Ziel, mit dem Urzustand einen Urteilsstandpunkt zu spezifizieren, von dem aus die Frage, welche normative Struktur politische Institutionen haben sollen, weitestmöglich unbeeinflußt von vorgängigen grundstrukturellen Prägungen der Urteilenden beantwortet werden kann: "[W]e must find some point of view, removed from and not distorted by the particular features and circumstances of the all-encompassing background framework, 105 gen, da GF einem generellen Vorbehalt der Adäquatheit gegenüber einer substantiellen politischen Tugend unterworfen ist. Daher ist es gerade nicht der Fall, daß jeder Normenvorschlag, der im Urzustand gewählt würde, als gerecht akzeptiert werden muß. Vielmehr könnte jeder dieser Normenvorschläge trotz seiner Begründbarkeit durch die Anwendung des Urzustandes vernünftigerweiseM verworfen werden: die Ergebnisse der Anwendung des Urzustandes unterstehen dem Vorbehalt rekonstruktiver Adäquatheit gegenüber der politischen Tugend, vernünftig zu sein. IV.4. Metatheoretischer Aristotelismus? Wir können dieses Problem noch genauer beschreiben, wenn wir uns anhand einer idealtypischen Skizze fragen, über welchen Weg substantielle Tugenden innerhalb Kantisch strukturierter Begründungsmodelle - Konstruktivismen par excellence - begründet werden oder zumindest: werden können. Es entspricht derartigen Begründungsmodellen, substantiellen Tugenden systematisch tertiären Rang zuzuweisen. Urteile wie "x ist einer guter Mensch" oder "x ist gut als Person" werden hier zunächst durch Urteile wie "x hat die feste Willensdisposition, das Gesollte zu erfüllen" ersetzt, um dann die Frage, worin das Gesollte besteht, im Rekurs auf Prinzipien zu beantworten, die ihrerseits in Anwendung eines Normierungsverfahrens überprüft oder begründet werden. Unter einem derartigen Ansatz wäre x gut als Mensch oder gut als Person, wenn (i) x die feste Willensdisposition hat, die Prinzipien P1, P2, ..., Pn zu erfüllen, vorausgesetzt, (ii) daß die Prinzipien Pi verfahrensanwendend begründbar sind. Hinsichtlich der Festlung des normativen Inhalts einer Tugend ergeben sich hieraus drei distinkte Schritte. In einem ersten Schritt ist ein Normierungsverfahren auszuarbeiten; in einem zweiten Schritt ist über den Weg der Anwendung die- from wich a fair agreement between persons regarded as free and equal can be reached" (PL 23). Vgl. auch PL 269ff. 106 ses Verfahrens auszumachen, welche Prinzipien diesem Verfahren genügen. Erst in einem dritten Schritt können Tugenden als Dispositionen, das Gesollte zu erfüllen, inhaltlich bestimmt, überprüft oder kritisiert werden. In diesem Sinne hätten substantielle Tugenden systematisch tertiären Rang. Anzufügen ist, daß ich diese idealtypische Skizze in heuristischer Absicht eingebracht habe. Ich behaupte weder, daß jedes Kantisch strukturierte Begründungsmodell exakt diese Struktur hat, noch, daß jeder Kantische Begründungsansatz die Begründung substantieller Tugenden vorsehen muß. Insbesondere behaupte ich nicht, daß der Begründungsablauf von GF exakt diese Struktur hat. Zwar bin ich der Auffassung, daß man, wenn man Rawls als Proponenten einen konstruktiv-kritischen Ansatzes verstehen will, sein Begründungsmodell - insbesondere die erste Stufe seiner Begründung von Gerechtigkeitsprinzipien - auf der Linie dieser Skizze interpretieren müßte. Doch ich bringe diese Skizze ein, da sie meiner Auffassung nach dienlich ist, um zu sehen, inwiefern Rawls' metatheoretischer Rekurs auf die politische Tugend, vernünftig zu sein, von einem idealtypischen Konstruktivismus abweicht.88 Gehen wir jetzt auf Rawls zurück. Indem Rawls eine substantielle politische Tugend metatheoretisch heranzieht, greift er auf der Ebene des Arguments für GF auf eine Tugend zurück, die ihrem Gehalt nach einer Tugend ähnelt, die - nach dieser idealtypischen Skizze - innerhalb konstruktivistischer Ansätze tertiären Rang einnehmen müßte. Dabei ist der normative Gehalt von Rawls' Tugend verfahrensunabhängig autorisiert: entsprechend kann die Anwendung des Verfahrens nicht die Funktion haben, diesen Gehalt allerst zu autorisieren. Da reine Verfahrensgerechtigkeit gerade anzeigt, Prinzipien des zweiten Schritts nur verfahrensabhängig normative Autorität zuzusprechen, aber Rawls' politische Tugend auch moralisch-politischen Auffassungen von der Art umschließt, wie sie unter konstruktivistischen Vorzeichen verfahrensanwendend 88 Den Hinweis, daß ich diesen letzten Punkt deutlicher hervorheben muß, verdanke ich Ulrich Steinvorth. 107 überprüft werden müßten, kann von reiner Verfahrensgerechtigkeit keine Rede mehr sein. Nun steht es außer Frage, daß Rawls GF in erster Näherung als konstruktiv-kritischen Ansatz präsentiert. Doch Rawls' metatheoretischer Rekurs auf eine substantielle politische Tugend, sowie der korrespondierende generelle Adäquatheitsvorbehalt gegenüber den Werten GF's führt dazu, daß der konstruktiv-kritische Charakter GF's unterhölt wird. Wir könnten diesen Punkt auch so formulieren: Rawls' metatheoretischer Rekurs auf eine substantielle politische Tugend und der rekonstruktive Auftrag GF's verweist auf eine Art metatheoretischen Aristotelismus; und dieser läßt sich nicht mit einem innertheoretischen Kantianismus verbinden, wenn wir letzteren vor allem an der Struktur des Begründungsmodells plus dem damit einhergehenden Anspruch, unter reiner Verfahrensgerechtigkeit zu normieren, festmachen. Wir müssen jedoch beachten, daß dieses Problem nicht darin besteht, daß Rawls auf metatheoretischer Ebene überhaupt auf einen Begriff der vernünftigen Person zurückgreift, und GF überhaupt einem Adäquatheitsanspruch unterwirft. Das Problem besteht darin, (i) daß Rawls Adäquatheit gegenüber einer substantiellen Tugend verlangt, und (ii) daß Rawls' Adäquatheitsvorbehalt als genereller auf alle Ebenen GF's bezogen ist. Entsprechend hätte Rawls mindestens zwei Möglichkeiten, den angesprochenen Problemen zu entkommen. Erstens könnte er den generellen Adäquatheitsanspruch einschränken. Solange die normative Autorität der im Urzustand erreichten Prinzipien und Wertstandards auch nur partiell von ihrer Adäquatheit gegenüber einem vorkritisch gegebenen, normativ gehaltvollen Selbstverständnis abhängt, werden die Anforderungen reiner Verfahrensgerechtigkeit verletzt. Würde der Adäquatheitsanspruch nun aber so eingeschränkt, daß nicht auch diese Prinzipien und Standards einem Adäquatheitsvorbehalt unterworfen werden, entfiele dieses Problem. Korrelativ zu dieser ersten Möglichkeit könnte Rawls zweitens auf metatheoretischer Ebene einen weitaus minder gehaltvollen, einen dünnen Begriff der vernünftigen Person voraussetzen. Beispielsweise könnte er einen Begriff der vernünftigen Person voraussetzen, nach dem x genau dann vernünftig ist, 108 wenn x unparteilich und wohlwollend ist. Unter der Voraussetzung eines solchen Begriffs ergäbe sich selbst dann kein Problem in Sachen reiner Verfahrensgerechtigkeit, wenn der Adäquatheitsanspruch nicht eingeschränkt würde. Die im Urzustand erreichten Prinzipien und Standards könnten gegenüber einer ausschließlich durch die Merkmale der Unparteilichkeit und Wohlwollen charakterisierten Perspektive nicht inadäquat sein, da dieser der hierfür erforderliche normative Gehalt schlicht fehlt. Wohlgemerkt: unter einem derart dünnen Begriff der vernünftigen Person entfiele lediglich Rawls' Problem auf der Seite reiner Verfahrensgerechtigkeit: in einer anderen Hinsicht wäre ein solcher Begriff für Rawls' Zwecke gleichwohl zu dünn. Es ist nicht zu sehen, inwiefern Unparteilichkeit und Wohlwollen allein dafür sprechen, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen ausschließlich Werte der politischen Tradition enthalten, und allein den Bereich des Politischen betreffen muß. Zusammengefaßt läßt sich dann sagen, daß Rawls GF zwar als konstruktiv-kritischen Ansatz präsentiert, doch keinen konstruktiv-kritischen Ansatz vertreten kann, da der metatheoretische Begriff der vernünftigen Person substantiell, und, korrespondierend, der Adäquatheitsvorbehalt gegenüber den Werten GF's generell gehalten ist. Wenn Rawls einen politischen Konstruktivismus vertreten will, dann müßte es sich daher um einen Konstruktivismus im Sinne der ersten der beiden oben genannten Hinsichten handeln: Rawls' Ansatz wäre aufgrund seiner anti-realistischen Implikationen konstruktivistisch.89 89 Ich möchte die Dinge hier jedoch nicht einfacher machen, als sie sind: es bleibt unklar, ob Rawls ein politischer Konstruktivist sein könnte; und dies beruht darauf, daß unklar ist, in welchen Hinsichten Rawls Konstruktivist sein will. David O. Brink etwa scheint anzunehmen, daß Rawls aufgrund seiner anti-realistischen Auffassung über Werte, sowie dem mit dem Überlegungsgleichgewicht einhergehenden Kohärentismus Konstruktivist sein will. Die Frage nach der von Rawls - im Aufriß - angesetzten Begründungsstruktur und dem damit einhergehenden Anspruch, unter reiner Verfahrensgerechtigkeit zu normieren, taucht hier überhaupt nicht mehr auf. Vgl. David O. Brink, "Rawlsian Constructivism in Moral Theory", in: Canadian Journal of Philosophy 17 (1987). Ich habe hier Aspekte einer Position zu dieser Frage umrissen, die ihrerseits auf eine Hinsicht einschnappt, unter der Rawls seinen Ansatz als Konstruktivismus präsentiert. 109 An dieser Stelle ist ein Nachtrag fällig. Der vorhin benutzte Begriff "metatheoretischer Aristotelismus" unterstreicht ich zum einen den tugendethischen und traditionalistischen Charakter von Rawls' Gründen zugunsten einer politischen Konzeption; zum anderen hebt er hervor, daß die an jene substantielle Tugend gebundenen Wertvorstellungen unter Rawls' Vorzeichen nicht mehr im Horizont einer Theorie politischer Gerechtigkeit - Positionen der innertheoretischen Ebene - einem Vorbehalt kriterieller Überprüfung oder Begründung unterstellt sind. Und schließlich, daß selbst noch die Urteile, in denen vernünftige Personen die rekonstruktive Adäquatheit GF's bewerten, nicht ihrerseits vom Standpunkt GF's oder dem einer anderen Instanz überprüft werden. Damit, so ließe sich vage sagen, ähnelt der Standpunkt dieser Tugend dem Standpunkt eines phronimos. Ich lasse hier jedoch offen, ob diese sicherlich aristotelischen Züge damit einhergehen, daß Rawls' metatheoretische Position in einem strengeren Sinne aristotelisch ist. Zudem ist zu betonen, daß der Ausdruck "innertheoretischer Kantianismus" hier lediglich im vorhin verwendeten Sinne zu verstehen ist. Ich beanspruche nicht, daß Rawls' metatheoretische Position einen innertheoretischen Kantianismus ausschließt, wenn man von einem Kantianismus in einem anderen, als dem hier angelegten eher begründungsstrukturellen Sinn spricht. Natürlich haben die vorgetragenen Punkte gleichwohl Konsequenzen auf der Seite anderer Auffassungen darüber, ob und in welchem Sinne Rawls Kantianer ist. Nach einer Interpretation etwa ist Rawls Kantianer, da er von einem zwar nachmetaphysisch gewendeten, aber Kantisch geprägten Verständnis von Autonomie und Freiheit ausgeht. Dies betrifft nicht nur, jedoch insbesondere Rawls' Exposition des Urzustandes als Normierungsverfahren, in dem Prinzipien politischer Gerechtigkeit losgelöst von einer Bindung der Vertragsparteien an spezifische Konzeptionen des Guten ausgehandelt werden. Ich habe diese Interpretation gänzlich draußen gehalten, da sie meiner Auffassung nach zu sehr von der Voraussetzung abhängt, daß Rawls' Urzustand tatsächlich als Mittel einer Begründung angesehen werden kann. Doch nach der hier vertretenen Auffassung führt Rawls' metatheoretische Position zur Konsequenz, daß der Urzustand kein Mittel der Begründung, sondern ein Mittel der Rekonstruktion 110 einer vorgängig gegebenen gehaltvollen Wertperspektive ist. Meine Annahme ist also, erstens, daß eine Kantische Rawls-Interpretation, sofern sie sich an den Begriffen der Autonomie und Freiheit festmacht, eine metatheoretische Untersuchung der hier vorgetragenen Art voraussetzen muß; und zweitens, daß sie von einer begründenden Funktion des Urzustandes ausgehen muß, die jedoch, wie ich hier ausgeführt habe, durch Rawls' metatheoretische Überlegung zugunsten einer politischen Konzeption von vornherein unterhölt wird. Wenn dies zutrifft, so entscheidet erst die Untersuchung, ob Rawls aufgrund seiner metatheoretischen Position im eher begründungsstrukturellen Sinne Kantianer sein kann, darüber, ob er auch in diesem weiteren, auf die Begriffe der Autonomie und Freiheit abhebenden Sinne Kantianer ist.90 Damit schließe ich diese Zwischenreflexion ab und gelange zur zweiten Runde meiner Auseinandersetzung mit Rawls' metatheoretischer Position. In den folgenden Kapiteln geht es um die Frage, warum er auf metatheoretischer Ebene auf jene substantielle politische Tugend rekurriert. Meine These wird sein, daß dieser Rekurs auf ein grundlegendes legitimitätstheoretisches Problem reagiert. Daher eröffne ich die zweite Runde meiner Auseinandersetzung mit einer Rekonstruktion struktureller Aspekte von Rawls' Auffassung politischer Legitimität. 90 Um nur einen Text zu dieser Rawls-Interpretation zu nennen: Stephen L. Darwall, "Is there a Kantian Foundation for Rawlsian Justice?", in: H. Gene Blocker, Elizabeth Smith (Hrsg.), John Rawls' Theory of Social Justice, Athen 1980. Eines der internen Probleme dieser Interpretation besteht darin, inwiefern Rawls' nachmetaphysische Perspektive überhaupt damit vereinbar ist, seine Begriffe der Autonomie und Freiheit Kantisch zu verstehen. Vgl. exemplarisch zu dieser Frage etwa: Edward Papa, "Kant's Dubious Disciples: Hare and Rawls", in: The American Catholic Philosophical Quarterly 65 (1991). Den Hinweis, deutlicher zu machen, wie der hier eingebrachte Verweis auf einen "metatheoretischen Aristotelismus" aufzufassen ist, verdanke ich Anke Thyen. 111 V. LEGITIMITÄT, LIBERALITÄT UND FAKTIZITÄT 112 V. LEGITIMITÄT, LIBERALITÄT UND FAKTIZITÄT Nach meiner Analyse zerfällt Rawls' Gesamtposition in einen metatheoretischen und einen innertheoretischen Bereich. Da seine metatheoretischen Überlegungen den innertheoretischen vorgeordnet sind, ging es bislang um die Voraussetzungen GF's. Ich werde nun und im folgenden Kapitel versuchen, Rawls' metatheoretische Position noch einmal auf ihre Bedingungen hin zu deuten. Ich werde vertreten, daß sie auf ein Problem reagiert, das maßgeblich über seine Legitimitätsauffassung ins Spiel kommt. Rawls scheint die Ausübung politischer Macht erst dann für legitim zu halten, wenn sie mit einer kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbaren Normierungstheorie übereinstimmt. Zugleich scheint er diese Art der Zustimmbarkeit als Bedingung der Liberalität einer Normierungstheorie anzusehen. Auf dieses Verhältnis von Legitimität, Liberalität und moralischer Zustimmung gehe ich jetzt ein. Dies wird im nächsten Kapitel erklären helfen, warum Rawls metatheoretisch so argumentiert, wie er es macht. V.1. Zur Struktur politischer Legitimität Ich beginne mit Rawls' Auffassung der Liberalität. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daß Rawls über zwei Liberalitätsbegriffe verfügt. Der erste und offizielle Begriff tritt auf, wenn Rawls schreibt: jede liberale Konzeption erfüllt drei Merkmale, 113 first, it specifices certain basic rights, liberties, and opportunities (...); second, it assignes a special priority to these rights, liberties, and opportunities (...); and third, it affirms measures assuring all citizens all-purpose means to make effective use of their basic liberties and opportunities. (223) Dieser Liberalitätsbegriff zielt auf die Inhalte einer Normierungstheorie. Jede Position, die den angeführten Merkmalen entspricht, ist im inhaltlichen Sinne liberal. Doch Rawls schreibt auch: If justice as fairness were not expressely designed to gain the reasoned support of citizens who affirm reasonable although conflicting comprehensive doctrines - the existence of such conflicting doctrines being a feature of the kind of public culture that liberal conception itself encourages - it would not be liberal. (143; kursiv durch mich) GF wäre illiberal, wenn GF keines übergreifenden Konsens fähig wäre. Doch offenbar ist Rawls nicht der Meinung, daß jede im inhaltlichen Sinne liberale Position eines übergreifenden Konsenses fähig ist. So etwa die Liberalismen Kants und Mills. Sie sind Rawls zufolge als umfassende Lehren einzuordnen, und daher unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen keines übergreifenden Konsenses fähig. Daher wären sie zwar im inhaltlichen Sinne liberal, doch im Sinne dieses zweiten Begriffs illiberal.91 Wie ist Rawls' zweiter Liberalitätsbegriff zu verstehen? Er hat ihn nirgendwo erklärt. Doch Rawls scheint wenigstens zu vertreten, daß eine Normierungstheorie im Sinne dieses zweiten Begriffs liberal (liberal*) ist, wenn sie eine legitime, weil in bestimmter Weise rechtfertigbare Ausübung politischer Macht ermöglicht. Diese Annahme beruht in der Hauptsache darauf, daß Rawls' Rede von illiberalen* Liberalismen erst kohärenten Sinn gewinnt, wenn sie auf seinen Begriff politischer Legitimität, und damit auf eine bestimmten Auffassung der Rechtfertigbarkeit politischer Institutionen verweist. Unterstüt- 114 zung fände diese Deutung in der gängigen Meinung, daß liberale Positionen nicht allein unter der Hinsicht ihrer Inhalte, sondern auch aufgrund einer bestimmten normativen Auffassung über die Rechtfertigbarkeit politischer Institutionen als Liberalismen charakterisiert werden können. Gemäß dieser Auffassung sollten politische Institutionen aus der Perspektive derer, die ihnen unterworfen sind, in bestimmter Weise akzeptabel sein. Unter dieser Hinsicht sind Normierungstheorien liberal, wenn sie diese Auffassung unterstützen - obgleich sie über die Frage, in welcher Weise politische Institutionen "akzeptabel" sein sollten, unterschiedlicher Meinung sein können. Es scheint dieser Sinn des Begriffs der Liberalität zu sein, den Rawls mit dem zweitem Begriff implizit aufgreift.92 Die Frage muß dann sein, welche Auffassung politischer Legitimität Rawls vertritt. Damit kommt Rawls' liberal principle of legitimacy ins Spiel: [O]ur exercise of political power is proper and hence justifiable only when it is excercised in accordance with a constitution the essentials of which all citizens may reasonably be expected to endorse in the light of 91 Vgl. zur Einstufung der Ansätze Kants und Mills als umfassende Lehren z.B. PL 145. 92 Vgl. zu einer differenzierten Darstellung der legitimitäts- und rechtfertigungtheoretischen Auffassung der Liberalität z.B. Jeremy Waldron, "Theoretische Grundlagen des Liberalismus", in: Bert van den Brink/Willem van Rejien (Hrsg.), Bürgergesellschaft, Recht und Demokratie, Frankfurt/Main 1995, bes. 108f.. Waldron argumentiert im Effekt, daß dieser Begriff des Liberalismus primär ist, und sich der inhaltliche aus ihm ergibt: die These wäre dann, daß eine im ersten Sinne liberale Position auch im zweiten inhaltlichen Sinne liberal sein muß, da sie nur dann, wenn sie es ist, Institutionen begründen kann, die aus der Perspektive der Bürger akzeptabel sind. Vgl. auch Stephen Macedo, "The Politics of Justification", in: Political Theory 18 (1990); Peter de Marneffe, "Liberalism, Liberty, and Neutrality", in: Philosophy and Public Affairs 19 (1990). Vgl. auch Arthur Ripstein, "Liberal Justification and the Limits of Neutrality", in: Analyse & Kritik 14 (1992); Rainer Forst, Kontexte der Gerechtigkeit, Ffm. 1994, 57ff.; Charles Larmore, "Politischer Liberalismus", in: Axel Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus, Frankfurt/New York 1993. Henry S. Richardsons bemerkenswerte Übersicht verweist auf beide Liberalitätsauffassungen, vgl. ders., "The Problem of Liberalism and the Good", in: R. Bruce Douglass, Gerald M. Mara, Henry S. Richardson (Hrsg.), Liberalism and the Good, New York 1990. 115 principles and ideals acceptable to them as reasonable and rational. (217)93 Für den gegebenen Kontext läßt sich Rawls' liberales Prinzip der Legitimität (LPL) wie folgt vereinfachen: LPL Akte der Ausübung politische Macht sind legitim genau dann, wenn sie (i) mit einer Verfassung übereinstimmen, deren wesentliche Inhalte (ii) moralischen Prinzipien entsprechen, für die vernünftige Zustimmung vernünftigerweise erwartet werden kann. Mit LPL fordert Rawls, daß die Ausübung politischer Macht auf zwei Ebenen rechtfertigbar sein muß: erstens auf der Ebene der Verfassungsgrundsätze und zweitens auf der Ebene moralischer Prinzipien. Die Ausübung politischer Macht genügt dem liberalen Prinzip der Legitimität erst dann, wenn sie mit Verfassungsgrundsätzen übereinstimmt (erste Ebene), die ihrerseits im Lichte moralischer Prinzipien rechtfertigbar sind, für die vernünftige Zustimmung vernünftigerweise erwartet werden kann (zweite Ebene). Aber für welche moralischen Prinzipien läßt sich vernünftige Zustimmung vernünftigerweise erwarten? Über diese Frage verweist LPL auf eine dritte Rechtfertigungsebene: [J]ustice as fairness is not reasonable in the first place unless in a suitable way it can gain its support by addressing each citizen's reason, as explained in its own framework. Only so is it an account of the legitimacy of political authority as opposed to an account of how those who hold political power can satisfy themselves, and not citizens generally, that they are acting properly. A conception of political legitimacy aims for a public basis of justification and appeals to public reason, and hence to free and equal citizens viewed as reasonable and rational. (143f.) In der jetzt relevanten Hinsicht läuft diese Passage darauf hinaus, daß LPL erst auf der Grundlage einer Normierungstheorie erfüllt werden kann, die als 93 Vgl. auch PL 137. 116 "public basis of justification" gewertet werden darf. Die dritte Rechtfertigungsebene, die Rawls ins Spiel bringt, ist die der Rechtfertigung moralischer Prinzipien innerhalb einer Normierungstheorie. Der Bezugspunkt dieser Rechtfertigung ist der Nachweis, daß oder ob bestimmte Prinzipien, die auf der zweiten Rechtfertigungsebene ins Spiel gebracht werden, solche Prinzipien sind, für die vernünftige Zustimmung vernünftigerweise erwartet werden kann. Demnach läßt sich LPL nur auf der Grundlage einer Normierungstheorie erfüllen, (i) die als "public basis of justification" gewertet werden darf, und (ii) in deren Rahmen bestimmte Prinzipien der zweiten Ebene als solche Prinzipien ausgewiesen werden, für die vernünftige Zustimmung vernünftigerweise erwartet werden kann.94 Punkt (i) verlangt, daß eine Theorie dieser Ebene eine öffentliche Rechtfertigung politischer Macht erlaubt. Rawls' Verknüpfung von Liberalität*, Legitimität und Faktizität beruht nun in der Hauptsache darauf, wann Rechtfertigung öffentlichen Charakter hat. Doch zunächst müssen wir den zweiten Punkt betrachten. Deutlich ist, daß er die Aufgabenstellung einer Theorie der dritten 94 Anzufügen ist, daß LPL nach dieser Formulierung notwendig einen konstitutionellen Kontext voraussetzt: nur wenn Verfassungsgrundsätzen entsprochen werden kann, läßt sich LPL applizieren. Doch gegenüber Habermas hat Rawls vertreten, daß die Frage, ob politische Kontexte konstitutionell verfaßt sein sollten, von der empirischen Frage abhängt, wie moralisch begründete Rechte am besten geschützt werden können. An dieser Stelle kommt Rawls' VierStufen-Gang der Konkretisierung und Anwendung seiner beiden Gerechtigkeitsgrundsätze ins Spiel, vgl. dazu Rawls (1992), Abschn. 31; und ders., "Der Vorrang der Grundfreiheiten", in: ders. (1994), bes. 208-13; vgl. auch PL 336ff. Rawls scheint den in LPL verankerten Konstitutionalismus daher nicht schlichtweg, sondern unter dem empirischen Vorbehalt zu privilegieren, daß diese Rechte am besten über ihre konstitutionelle Verankerung zu schützen sind. Vgl. hier Jürgen Habermas, "Reconciliation through the Public Use of Reason: Remarks on John Rawls's Political Liberalism", in: The Journal of Philosophy 92 (1995), bes. 126ff.; Rawls (1995), 164ff., 172ff. Aber was wäre, wenn sich die relevanten empirischen Annahmen als falsch herausstellen? Anzunehmen wäre, daß Rawls in diesem Fall gegen den Konstitutionalismus argumentieren würde. Doch wenn er auch für diesen Fall von politischer Legitimität sprechen können will, muß LPL ohne Verlust des wesentlichen Gehalts unabhängig von der Terminologie der Verfassungsgrundsätze formulierbar sein. Daher scheint der wesentliche Gehalt LPL's in der Forderung der Übereinstimmung politischer Macht mit moralischen Prinzipien bestimmter Art zu liegen. 117 Rechtfertigungsebene festlegt. Aber wie ist diese Aufgabe zu verstehen? Zielt sie auf den Nachweis, daß oder ob bestimmte Prinzipien solche sind, für die im Sinne der politischen Tugend der Vernünftigkeit "vernünftige" Zustimmung "vernünftigerweise" erwartet werden kann? Ja und Nein. Rawls arbeitet mit LPL, als ob LPL auf seinen speziellen Begriff des Vernünftigen verweist. Doch es sind gerade die Schwierigkeiten seiner Auffassung politischer Legitimität, die ihn erst nachträglich dazu führen, LPL im Lichte dieses Begriffs zu verstehen. Diese Diagnose werde ich weiter unten genauer ausführen (VI.1.f.). Der Punkt ist jetzt, daß LPL offen läßt, welcher Begriff des Vernünftigen ins Spiel zu bringen ist, solange offen ist, welcher Begriff des Vernünftigen durch eine Theorie der dritten Ebene konkretisiert wird. So könnte die Theorie T implizieren, daß x genau dann vernünftig ist, wenn x willens und fähig ist, konsistent moralisch zu urteilen. Prinzipien, für die 'vernünftige Zustimmung vernünftigerweise erwartet werden kann', wären aus der Perspektive T's solche, deren Akzeptanz alle, die willens und fähig sind, konsistent moralisch zu urteilen, in Übereinstimmung mit dieser Bereitschaft und Fähigkeit voneinander erwarten können. Aber offenbar entspricht diese Interpretation der 'vernünftigerweise erwartbaren vernünftigen Zustimmung' nicht derjenigen, die sich im Lichte von Rawls' politischer Tugend erreichen läßt.95 Daher kann die Aufgabenstellung einer Theorie der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht prima vista nicht von vornherein im Lichte von Rawls' politischer Tugend verstanden werden. Es bedarf erst einer gesonderten Argumentation, um zu entscheiden, im Lichte welchen Begriffs des Vernünftigen LPL zu verstehen ist. Und dieser Punkt betrifft die Frage, welche Normierungstheorie auf der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht eingesetzt werden darf. Damit komme ich zu Rawls' Begriff einer öffentlichen Rechtfertigung. Nicht jede Normierungstheorie kann als Grundlage einer legitimen Ausübung 95 Die Menge der Prinzipien, die im Lichte T's in der entsprechenden Weise zustimmbar sind, wäre weitaus umfassender als die Menge der Prinzipien, für die aus der Perspektive der Rawls'schen Tugend "vernünftige Zustimmung vernünftigerweise erwartet werden kann". 118 politischer Macht dienen, da nicht jede Normierungstheorie als Grundlage einer im Rawls'schen Sinne öffentlichen Rechtfertigung herangezogen werden kann. Rawls schreibt: [S]uppose that justice as fairness were to achieve its aims and a publicly acceptable political conception were found. Then this conception provides a publicly recognized point of view from which all citizens can examine before each other whether their political and social institutions are just. It enables them to do this by citing what are publicly recognized among them as valid and sufficient reasons singled out by that conception itself. Society's main institutions and how they fit together into one system of social cooperation can be assessed in the same way by each citizen, whatever that citizen's social position ore more particular interests. The aim of justice as fairness, then, is practical: it presents itself as a conception of justice that may be shared by citizens as a basis of a reasoned, informed, and willing political agreement. It expresses their shared and public political reason. But to attain such a shared reason, the conception of justice should be, as far as possible, independent of the opposing and conflicting philosophical and religious doctrines that citizens affirm. (9) Der relevante Punkt ist hier, daß eine öffentliche Perspektive der moralischen Beurteilung politischer Institutionen durch die kollektive moralische Akzeptanz einer Normierungstheorie konstituiert wird. Dadurch, daß die Adressaten politischer Macht eine Normierungstheorie moralisch akzeptieren, die ihrerseits festlegt, welche moralischen Gründe gute Gründe sind, sind sie in der Position, politische Macht unter gemeinsamen Voraussetzungen zu beurteilen. Und indem sie von diesen Voraussetzungen ausgehen, nehmen sie den Standpunkt einer öffentlichen Perspektive ein. In diesem Sinne läßt sich sagen, daß politische Macht Rawls zufolge öffentlich gerechtfertigt wird, wenn ihre Rechtfertigung von kollektiv und moralisch akzeptierten Voraussetzungen ausgeht. Korrespondierend wäre eine Normierungstheorie eine "public basis of justification", wenn sie auf der Ebene der Voraussetzungen einer öffentlichen Rechtfertigung her- 119 angezogen werden kann. Aber das scheint vorauszusetzen, daß sie ihrerseits kollektive moralische Akzeptanz für sich hat. Nachzutragen ist, daß ich hier darüber hinweg gehe, daß Rawls mit zwei Begriffen des Öffentlichen arbeitet. Der erste, normierungsrelative verweist auf eine Perspektive, die durch die kollektive Akzeptanz einer Konzeption konstituiert wird, der zweite und normierungskonstitutive auf eine Perspektive, die in Anspruch zu nehmen ist, um eine Konzeption zu erarbeiten, die kollektive moralische Akzeptanz erst noch erwerben könnte: hier geht es um die Konstitutionsvoraussetzungen einer kollektiv akzeptablen Konzeption. Mit dem ersten Begriff kann Rawls unter der Voraussetzung, daß GF kollektiv akzeptiert wird, vertreten, daß öffentliche Gründe immer politische Gründe, und d.h. Gründe der politischen Tradition sind. Dieser Begriff dominiert in Rawls Kapitel zur idea of public reason.96 Dieses Kapitel ist bereits den Anwendungsfragen einer politischen Konzeption gewidmet. Es setzt daher - meistenteils - die kollektive Akzeptanz einer politischen Konzeption schon voraus. Doch hinsichtlich des zweiten Begriffs läßt sich gerade nicht, oder nur kontrovers vertreten, daß öffentliche Gründe immer politische Gründe sind. Beide Begriffe werden von Rawls durchgängig vermengt, doch es dominiert der normierungsrelative. Gerade diese Dominanz scheint der tieferliegende Grund zu sein, weshalb Rawls annimmt, daß sein Begriff des öffentlichen Vernunftgebrauchs sich von dem Kants unterscheidet. Kants Begriff des öffentlichen Vernunftgebrauchs ähnelt dem zweiten, dem normierungskonstitutiven Begriff: in Onora O'Neills Interpretation verweist er auf frei zugängliche und unrestringierte Diskussion, die Geltungskriterien jeder Art - inklusive ihrer eigenen - überprüft.97 96 Vgl. PL 213-54. 97 Vgl. PL 213, Fn. 2; Onora O'Neill, "The Public Use of Reason", in: Political Theory 14 (1986); dies., "Vindicating Reason", in: Paul Guyer (Hrsg.), The Cambridge Companion to Kant, Cambridge (Mass.) (1993); vgl. auch: dies., "Between Consenting Adults", in: Philosophy and Public Affairs 14 (1985). 120 V.2. Zum Status faktischer moralischer Akzeptanz Zu betonen ist, daß LPL unter Rawls' Begriff der öffentlichen Rechtfertigung nicht etwa auf mögliche, hypothetische oder ideale Zustimmung verweist. Vielmehr geht es auf der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht um eine Normierungstheorie, die aller Wahrscheinlichkeit nach, und das heißt: die faktisch zustimmbar ist: Es sollte beachtet werden, daß (...) eine Rechtfertigung nicht einfach als ein gültiges Argument aus einer Reihe von Prämissen angesehen werden darf (...). Vielmehr richtet sich jede Rechtfertigung an andere, die nicht mit uns übereinstimmen; sie muß deshalb immer von einem Konsens aus erfolgen, das heißt von Voraussetzungen, die wir und andere (...) öffentlich als annehmbar anerkennen, um eine funktionierende Übereinstimmung bei der Beantwortung grundlegender Fragen politischer Rechtfertigung zu erreichen.98 98 Aus: Rawls (1994), 263. Vgl. PL 100. Anzufügen ist zweierlei. Erstens ist das Argument dieser Passage hinfällig. Rawls vertritt hier, (i) daß das Modell deduktiver Ableitung nicht als Paradigma der Rechtfertigung verstanden werden darf. Dieser zutreffende Punkt wird dann aber als Prämisse für die Thesen genommen, (ii) daß Rechtfertigungen von faktisch zustimmbaren und - dem Kontext dieser Passage nach geurteilt - materialen Prämissen ausgehen müssen. Doch (ii) folgt nicht aus (i). So hat Richard M. Hare ein Begründungsmodell vorgeschlagen, das als hypothetisch-deduktives Modell nicht am Modell deduktiver Ableitungen orientiert ist, und das beansprucht, von konsensfähigen formalen Voraussetzungen auszugehen. Vgl. Hare (1963), Kap. II.6., und: ders. (1981), Kap. II.5.f. Natürlich läßt sich bereits Kants Modell der Begründung moralischer Prinzipien als hypothetisch-deduktives und formal ansetzendes Modell verstehen, vgl. Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphyisk der Sitten. Herausgegeben von Theodor Valentiner, Stuttgart 1988, 40f. (Akad.-Ausg. 401f. = BA 17f.). Da Rawls nirgendwo zeigt, daß derartige Begründungsansätze hinfällig sind, ist Rawls' Argument seinerseits hinfällig. Zweitens scheint Rawls hier die Bedingungen der korrekten und der erfolgreichen Rechtfertigung zu vermengen. Auch wenn sich jede Rechtfertigung "an andere richtet", folgt nicht, daß sie erst dann korrekt verläuft, wenn sie von Prämissen ausgeht, die ihren Erfolg wahrscheinlich machen. Korrekte und erfolglose Rechtfertigungen sind möglich. Die These, daß Rechtfertigungen von Prämissen ausgehen müssen, die eine funktionierende Über- 121 Umwillen einer "funktionierenden Übereinstimmung" zwischen dem Sender und dem Adressaten einer Rechtfertigung muß diese von Voraussetzungen ausgehen, die Sender und Adressat "öffentlich als annehmbar anerkennen". Für unseren Kontext heißt das, daß die Rechtfertigung politischer Macht von Voraussetzungen ausgehen muß, die ihren Erfolgsfall einer tatsächlichen kollektiven moralischen Zustimmung wahrscheinlich machen. Entsprechend verweist Rawls' Rede von öffentlich als annehmbar anerkennbaren Voraussetzungen auf faktisch konsensuelle Rechtfertigungsinstanzen. Was heißt das für die Erfüllung des liberalen Prinzips der Legitimität? LPL fordert, daß politische Macht auf ihrer dritten Rechtfertigungsebene im Rekurs auf eine kollektiv moralisch akzeptierte Normierungstheorie rechtfertigbar ist. In diesem Sinne muß es verstanden werden, wenn Rawls schreibt: As a political conception it [justice as fairness, T.B.] aims to be the focus of an overlapping consensus. That is, the view as a whole hopes to articulate a public basis of justification for the basic structure of a constitutional regime working from fundamental intuitive ideas implicit in the public political culture and abstracting from comprehensive religious, philosophical, and moral doctrines. It seeks common ground (...) given the fact of pluralism. This common ground is the political conception itself as a focus of an overlapping consensus. (192) Weil GF als Grundlage einer öffentlichen Rechtfertigung dienen können soll, abstrahiert GF von umfassenden Lehren und geht von bestimmten "intuitiven Ideen" der politischen Tradition aus. Der Grund liegt in den impliziten Annahmen, (i) daß umfassende Lehren faktisch strittig sind, und (ii) daß bestimmte "intuitive Ideen" der politischen Tradition faktisch konsensuell sind. Auf diesen einstimmung wahrscheinlich machen, kann sich daher nur am Ziel erfolgreicher Rechtfertigung, aber nicht am Begriff korrekter Rechtfertigung orientieren. Anders gesagt: entweder Rawls macht den Fehler, nicht zwischen korrekter und erfolgreicher Rechtfertigung zu unterscheiden, oder er orientiert sich an erfolgreicher Rechtfertigung. Daher nehme ich hier von vornherein an, daß es Rawls um erfolgreiche, und damit auf wahrscheinliche Zustimmung abhebende Rechtfertigung geht. 122 Punkt komme ich weiter unten zurück. Wichtig ist jetzt, daß es Rawls auf der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht nicht um eine Normierungstehorie geht, die kollektive Zustimmung für sich haben sollte, oder um eine, die kollektive Zustimmung für sich hätte, wenn die Adressaten politischer Macht nur von den richtigen moralischen Meinungen ausgingen. Rawls abstrahiert gerade darum von umfassenden Lehren, weil es um eine Theorie geht, die kollektiv, faktisch und moralisch akzeptabel ist. Der legitimitätstheoretisch gesuchte "common ground" steht hier nicht unter normativen Vorbehalten; vielmehr geht es hier um die empirische, die deskriptiv-ethische Frage, welche Rechtfertigungsinstanzen de facto akzeptiert sind. Zusammenfassend läßt sich dann folgendes sagen. Erstens versteht Rawls unter einer liberalen* Normierungstheorie eine Theorie, die als öffentliche Grundlage der Rechtfertigung politischer Macht herangezogen werden kann. Zweitens stellt eine Normierungstheorie eine öffentliche Grundlage der Rechtfertigung politischer Macht bereit, wenn sie kollektive, faktische und moralische Zustimmung für sich hat. Drittens schließlich ist die Ausübung politischer Macht nach Rawls nur dann legitim, wenn sie auf der Grundlage einer solchen Theorie gerechtfertigt werden kann. Dieser dritte Punkt faßt die komplexe legitimitätstheoretische Anforderung zusammen, erstens, daß die Ausübung politischer Macht auf drei Ebenen rechtfertigbar sein muß. Und zweitens, (i) daß sie auf der ihrer zweiten Rechtfertigungsebene mit Prinzipien übereinstimmen muß, für die 'vernünftige Zustimmung vernünftig erwartet werden kann', während (ii) eine Theorie der dritten Ebene, die festlegt, wann Prinzipien diese Eigenschaft haben, als öffentliche Rechtfertigungsgrundlage kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbar sein muß. Rawls' Begriff der Liberalität* verweist auf einen Begriff politischer Legitimität, der über seinen Begriff einer öffentlichen Rechtfertigungsgrundlage auf eine kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbare Normierungstheorie verweist.99 99 Diese Interpretation unterscheidet sich von Arthur Ripsteins. Er schreibt über den politischen Liberalismus und insbesondere über Rawls' Position: "[U]nlike earlier versions of libe- 123 Diese Interpretation findet Bestätigung, da sich jetzt erklären läßt, was anderenfalls unklar verbleibt. Erstens wird deutlich, aus welchem Grunde Rawls umfassende Liberalismen wie die Ansätze von Kant und Mill für illiberal* halten kann. Ein Ansatz ist Rawls zufolge nur dann liberal*, wenn er eine legitime Ausübung politischer Macht erlaubt. Und LPL fordert, daß politische Macht auf der Grundlage einer Normierungstheorie rechtfertigbar ist, die kollektive, faktische und moralische Zustimmung für sich hat. Doch unter Rawls' Annahme des faktisch strittigen Charakters umfassender Lehren kann eine Theorie diese Rechtfertigungsleistung nur erbringen, wenn ihre Akzeptanz nicht von der Akzeptanz bestimmter umfassender Lehren abhängt. Also können umfassende Liberalismen diese Leistung nicht erbringen. Daher erlauben sie keine Ausübung politischer Macht, die LPL erfüllt - und sind in diesem Sinne illiberal*.100 Zweitens läßt sich erklären, inwiefern Rawls vertreten kann, daß GF illiberal* wäre, wenn GF keines übergreifenden Konsenses fähig wäre. Es scheint gerade Rawls' grundlegende These zu sein, daß ein Ansatz unter Bedingungen des gegebenen Pluralismus nur dann kollektive, faktische und moralische Zustimmung erwerben kann, wenn er eines übergreifenden Konsenses fä- ralism, it claims not to rest on skepticism about the truth of disputed claims, nor on any substantive (and thus disputed) claims about the conditions best suited to human flourishing or autonomy. Instead it rests on a conception of political justification according to which policies are legitimate only if they can be justified to all" (Ripstein (1992), 4). Der Unterschied liegt darin, daß ich angenommen habe, daß Rawls' Auffassung darüber, wann politische Macht als gerechtfertigt angesehen werden sollte, seinem Legitimitätsbegriff entspringt, während Ripstein umgekehrt annimmt, daß Rawls' legitimitätstheoretische Position eine Konsequenz seines Rechtfertigungsbegriffs ist. Doch damit scheint Ripstein Rawls die irrige Auffassung zuzuschreiben, daß politische Macht erst gerechtfertigt ist, wenn sie aus der Perspektive ihrer Adressaten akzeptiert werden kann. Dann aber würde Rawls Bedingungen der korrekten und der erfolgreichen Rechtfertigung verwechseln. Obgleich Ripstein diesen Punkt nicht sieht, scheint seine Interpretation daher minder wohlwollend zu sein, als die hier vorgeschlagene. 100 Diese Überlegung zulasten umfassender Ansätze scheint bereits im Hintergrund gestanden zu haben, als Rawls schrieb: "[J]ustice as fairness (...) presents itself as a conception of justice that may be shared by citizens as a basis of a reasoned, informed, and willing political agreement. It expresses their shared and public political reason. But to attain such a shared 124 hig ist.101 Und da Rawls annimmt, daß GF eines übergreifenden Konsenses fähig ist, folgt, daß GF illiberal* wäre, wenn GF keines übergreifenden Konsenses fähig wäre. Damit wird deutlich, inwiefern Rawls' Legitimitätauffassung auf die Ausarbeitung einer Konzeption verweist, die eines übergreifenden Konsenses fähig ist. Weil nur ein entsprechend konsensfähiger Ansatz die Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht bereitstellt, gibt LPL Gründe an die Hand, einen solchen Ansatz auszuarbeiten: umwillen politischer Legitimität versucht Rawls, einen in dieser Weise konsensfähigen Ansatz auszuarbeiten.102 Darauf komme ich zurück, wenn es weiter unten um die Deutung des metatheoretischen Arguments geht (VI.1.f.). Doch zunächst sollten wir weitere Merkmale von Rawls' Auffassung politischer Legitimität in den Blick nehmen. Aus Vorstehendem ergibt sich, daß LPL eine zweifache systematische Funktion übernimmt. Zum einen fungiert LPL als Kriterium der Beurteilung von Theorien für den Bereich des Politischen. Zum anderen hat LPL den Status einer normativen Richtlinie der Ausarbeitung solcher Theorien. Rawls' Auffassung politischer Legitimität läuft auf eine Doppelung der Perspektive auf das normative Gewicht faktischer Nichtzustimmung hinaus. Sie impliziert zweierlei. Erstens impliziert sie, daß zwischen einer theorieninternen und einer theorienexternen Perspektive auf das normati- reason, the conception of justice should be, as far as possible, independent of the opposing and conflicting philosophical and religious doctrines that citizens affirm" (PL 9). 101 Anzumerken ist, daß es an dieser Stelle unter dem Topos "übergreifender Konsens" lediglich um einen Modus kollektiver, faktischer und moralischer Zustimmung geht; es geht nicht schon um einen übergreifenden Konsens zwischen im Rawls'schen Sinne vernünftigen Lehren. 102 Wir treffen an dieser Stelle auf die primären legitimitätstheoretischen und damit moralischen Gründe für die Suche nach einem übergreifenden Konsens. Stabilitätstheoretische und damit instrumentelle Gründe wären demgegenüber sekundär. Ähnlich der hier vorgeschlagenen Interpretation legt bereits Galston nahe, daß Rawls nicht aus stabilitätstheoretischen, sondern aus moralischen Gründen auf faktische Zustimmung abhebt. Vgl. William A. Galston, "Pluralism and Social Unity", in: Ethics 99 (1989), bes. 714ff. 125 ve Gewicht faktischer Nichtzustimmung zu unterscheiden ist. Zweitens impliziert sie, daß die externe Perspektive legitimitätstheoretischen Vorrang hat. Daraus ergeben sich die beiden eben genannten Funktionen. Das läßt sich - idealtypisch - wie folgt erläutern. Angenommen, ein Liberaler vertritt die Position, daß Prinzipien politischer Macht genau dann zustimmungswürdig sind, wenn sie durch das Normierungskriterium K begründbar sind. Als Beispiel ließe sich ein Ansatz in Kantischer Tradition denken: das relevante Kriterium wäre hier ein Kriterium auf der Ebene des Kategorischen Imperativs. Der Punkt ist dann, daß der Liberale aus der Perspektive seiner Position das normative Gewicht faktischer Nichtzustimmung selbst in Anwendung dieses Kriteriums beurteilen müßte. Wenn es der Fall ist, daß das Prinzip P durch K begründet wird, so müßte unser Liberaler auch vertreten, daß P Zustimmung verdient. Infolge wäre die Zurückweisung P's als Nichtakzeptanz des Zustimmungswürdigen zu werten: sie wäre, anders gesagt, selbstdiskreditierend.103 Aus der Binnenperspektive seiner Position wird das normative Gewicht faktischer Nichtzustimmung zuletzt in Anwendung K's bestimmt; doch aus dieser Perspektive hat er prima facie keinen guten Grund, seine Theorie zu modifizieren oder gar zu verwerfen, wenn etwas, das nach Maßgabe K's zustimmungswürdig ist, faktisch verworfen wird. Im extremen Fall müßte er die Forderung, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen faktische moralische Zustimmung für sich haben soll, als Aufforderung zu einer unzulässigen Anpassung an Faktizität auffassen.104 103 Hier ist natürlich die Einschränkung erfordert, daß die Zurückweisung P's nicht selbst einem Prinzip entspricht, das durch K begründet wird. Wenn (i) x K akzeptiert, und (ii) K die Prinzipien P1 und P2 begründet, doch (iii) P1 und P2 in einem per accidens-, oder einem per se-Konflikt liegen, und (iv) x P1 verwirft, weil er P2 akzeptiert, so wäre x'ens Zurückweisung von P1 aus der Perspektive K's eine Nichtakzeptanz des Zustimmungswürdigen auf der Grundlage der Akzeptanz des Zustimmungswürdigen. In diesem Fall wäre x'ens Zurückweisung von P1 nicht oder nicht in der im Text angesetzten Weise selbsdiskreditierend. 104 Es ging mir hier nicht allein um die spezielle Position Kants, sondern um jede Position, nach der die Zustimmungswürdigkeit politischer Institutionen über irgendeinen Weg zuletzt davon abhängt, daß diese Institutionen - oder die durch sie vorgeschriebenen Praktiken - 126 Demgegenüber verlangt Rawls, daß der Liberale die Binnenperspektive seiner Position verläßt, um faktische moralische Zustimmung oder Nichtzustimmung unabhängig von den Interna seines Ansatzes als Maßstab politischer Legitimität heranzuziehen. Und das setzt voraus, daß der Liberale faktischer moralischer Nichtzustimmung aus einer legitimitätstheoretisch vorrangigen und theorienexternen Perspektive normative Autorität zuschreiben muß. Rawls' Legitimitätsauffassung läuft darauf hinaus, daß der Liberale seine Position dem Test unterwerfen muß, ob sie die moralische Zustimmung der Bürger eines modernen demokratischen Staates erwerben kann. Hätte sie nun aber umfassenden Charakter, so könnte sie diesen Test nach Rawls gerade nicht bestehen. In diesem Fall hätte der Liberale legitimitätstheoretische Gründe, (i) seine Position aufzugeben oder so zu modifizieren, daß sie in der entsprechenden Weise zustimmbar wird. Die gleichen Gründe hätte er, (ii) um seine Position von vornherein so einzurichten, daß sie diesen Test besteht. Punkt (i) verweist darauf, daß LPL als Kriterium einer Beurteilung, Punkt (ii) darauf, daß LPL als Richtlinie der Ausarbeitung von Theorien für den Bereich des Politischen fungiert. mit moralisch begründeten Prinzipien übereinstimmen. Damit ist auch, aber nicht nur, Kants Position erfaßt. Kants rechtsphilosophische Position und ihr Zusammenhang zu seiner Moraltheorie ist sehr kompliziert. Gleichwohl scheint sich zumindest sagen zu lassen, daß Kant Prinzipien der juridischen Gesetzgebung erst dann für moralisch zustimmungswürdig erachtet, wenn diese mit einer Praxis der Einhaltung moralischer Prinzipien verträglich sind. In diesem Sinne verlangt Kants "Prinzip des Rechts", daß die Freiheit eines jeden mit der eines jeden anderen nach einem "allgemeinen Gesetze" - und das heißt hier: nach autorisierten moralischen Prinzipien - zusammen bestehen könne. Vgl. Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten. Herausgegeben von Hans Ebeling, Stuttgart 1990, 67f. (Akad.-Ausg. 230f.). Und letztere sind in Anwendung des Kategorischen Imperativs zu begründen. Daher wird die Zustimmungswürdigkeit politischer Institutionen hier in Abhängigkeit zu einer Praxis der Einhaltung moralischer Prinzipien beurteilt, die ihrerseits in Anwendung des entsprechenden Kriterium begründet werden. Faktische Zustimmung oder Nichtzustimmung zu diesen Institutionen scheint dann aber nur unter dem Vorbehalt ihrer Übereinstimmung mit moralischen Prinzipien, und damit ihrer Übereinstimmung mit den Anforderungen dieses Kriteriums ins Gewicht zu fallen. Vgl. hier z.B. Ulrich Steinvorth, Stationen der politischen Theorie, Stuttgart 1983, 137-57, bes. 151. Vgl. auch Wolfgang Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, Berlin/New York 1984, Teil A. 127 Diese Implikation von Rawls' Legitimitätsauffassung erbringt einen erwähnenswerten Unterschied zu einer Auffassung, die sich mit Jeremy Waldron als legitimitätstheoretische Standardauffassung des Liberalismus bezeichnen ließe. Waldron zufolge geht es im Liberalismus im Grunde darum (...), was politisches Handeln - und insbesondere die Durchsetzung und Aufrechtferhaltung einer sozialen und politischen Ordnung - moralisch legitim macht. Die nach meiner Ansicht grundlegende liberale These lautet: Eine soziale und politische Ordnung ist nicht legitim, es sei denn, sie gründet sich auf die Zustimmung aller, die unter ihrer Herrschaft leben müssen; die Zustimmung oder das Einverständnis dieser Menschen ist eine Bedingung dafür, daß eine gewaltsame Durchsetzung dieser Ordnung gegenüber diesen Menschen moralisch statthaft ist.105 Nach Waldrons Grundthese des Liberalismus wäre das legitimitätsrelevante Verhältnis eines zwischen einer bestimmten Art der Zustimmung und sozialen Normen. Doch bei Rawls ist das legitimitätsrelevante Verhältnis nicht das zwischen einer bestimmten Art der Zustimmung und sozialen Normen, sondern das weitaus komplexere Verhältnis zwischen einer bestimmten Art der Zustimmung und einer Normierungstheorie, die ihrerseits soziale Normen begründet. Diese Differenz hat Konsequenzen für Rawls' Begriff des Liberalismus*. Wir können hier sehen, daß dieser Begriff ein besonderer rechtfertigungs- und legitimitätstheoretischer Begriff des Liberalismus ist. Die Besonderheit liegt darin, daß eine Position nicht bereits dann liberal* ist, wenn sie die Geltungswürdigkeit sozialer Normen in der einen oder der anderen Weise von kollektiver Zustimmung abhängig macht, sondern erst dann, wenn sie als ganze kollektive, faktische und moralische Zustimmung für sich hat. Eine Konsequenz ist hier z.B., daß Positionen, die Waldrons liberaler Grundthese entsprechen, gleichwohl illiberal* sein können. So könnte ein Ansatz, in dessen Rah- 105 Aus: Waldron (1993), 123f.. 128 men die Geltungswürdigkeit sozialer Normen von kollektiver, faktischer und moralischer Zustimmung abhängig gemacht wird, gleichwohl illiberal* sein, wenn dieses Normierungskriterium seinerseits nicht kollektive, faktische und moralische Zustimmung für sich erreicht. Oder etwa, wenn die Begründung, die in seinem Rahmen zugunsten dieses Kriteriums ins Feld geführt wird, nicht in der entsprechenden Weise Zustimmung für sich hat. Vor diesem Hintergrund läßt sich Rawls' Auffassung politischer Legitimität als Bindeglied oder als Vermittlungsinstanz zwischen der metatheoretischen Fragestellung, wie eine Theorie für den Bereich des Politischen beschaffen sein sollte, und einer empirisch vorgegebenen inhaltlich-moralischen Kompetenz auf der Seite der Adressaten politischer Macht verstehen. Rawls' Legitimitätsauffassung verlangt, daß eine Normierungstheorie für den Bereich des Politischen an eine normierungsunabhängig zugestandene moralisch-politische Kompetenz auf Seiten der Bürger eines demokratischen Staates anschließt. Genauer gesagt verweist LPL auf den Versuch, eine Konzeption für den Bereich des Politischen im Spielraum solcher moralisch-politischer Meinungen zu halten, die ihre Adressaten für wesentlich halten, und an denen sie festhalten wollen. Denn daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen kollektive, faktische und moralische Zustimmung erfährt, setzt offenbar voraus, daß sie vom Standpunkt dieser Meinungen akzeptiert werden kann. Oder, anders gesagt: es setzt voraus, daß sie normativ adäquat gegenüber diesen Auffassungen ist. Das Thema der Theorienbildung für den Bereich des Politischen gewinnt daher rekonstruktive Züge. Welche Inhalte eine Konzeption für diesen Bereich aufweisen darf, entscheidet sich hier aus legitimitätstheoretischen Gründen auf der Grundlage einer empirischen Rekonstruktion einer unabhängig vorgegebenen politischen Moralität auf der Seite der Adressaten politischer Macht.106 106 Hier treffen wir auf legitimitätstheoretische Gründe des generellen Adäquatheitsvorbehaltes, den ich in IV.2.f. angesprochen habe. Vor diesem Hintergrund verwundert es, wenn Thomas McCarthy Rawls' Ansatz als konstruktivistischen Habermas' Ansatz als rekonstruktivistischen gegenüberstellt. Vgl. McCarthy, "Kantian Constructivism and Reconstructivism: Rawls and Habermas in Dialogue", in: Ethics 105 (1994). Entweder diese Gegenüberstel- 129 Wir sollten jetzt versuchen, Rawls' legitimitätstheoretisch motivierte Perspektive auf die Problematik der Theorienbildung für den Bereich des Politischen in einem etwas allgemeineren Zusammenhang zu sehen. Daher werde ich im nächsten Abschnitt eine Überlegung skizzieren, die sich tentativ als eine der charakteristischen Grundformen politisch-liberaler Argumentationen zugunsten "politischer" Ansätze einstufen ließe. Wir werden sehen, daß Rawls' Perspektive in einer bestimmten Hinsicht typischen Charakter für politisch-liberale Ansätze hat. Dies betrifft insbesondere die Art, in der politische Liberale zum Zwecke der Theorienbildung an eine unabhängig vorgegebene politische Moralität auf der Seite der Adressaten politischer Macht anknüpfen. V.3. Politischer Liberalismus Politische Liberale argumentieren in der einen oder der anderen Weise, daß eine Normierung politischer Institutionen auf der Seite ihrer Begründung nicht solche Voraussetzungen machen sollte, die aller Wahrscheinlichkeit nach Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten sind. Diese Auffassung kann mit unterschiedlichen Gründen vertreten werden. Eine der wesentlichen Überlegungen scheint jedoch die zu sein, daß politische Institutionen eine tiefgreifende normative Einmütigkeit auf der Seite ihrer Adressaten für sich haben können sollen. Da politische Liberale nun der Auffassung sind, daß der Rekurs auf solche Begründungsinstanzen, die Gegenstand vernünftiger Meinungs- lung ist umzukehren, oder beide Position sind als Rekonstruktivismen einzustufen. Anzufügen ist, daß sich über Rawls' Legitimitätsauffssung verstehen läßt, warum sein Ansatz einen normativ-ethischen und deskriptiv-ethischen Doppelcharakter haben muß. Dieser Doppelcharakter ist bereits in A Theory of Justice angelegt. Tugendhat und Hare haben u.a. diesen Punkt kritisiert; doch aus Gründen seiner Legitimitätsauffassung scheint dies Rawls' Position - soweit A Theory of Justice hierin Political Liberalism ähnelt - zu verfehlen. Vgl. Ernst Tugendhat, "Bemerkungen zu einigen methodischen Aspekten von Rawls' Eine Theorie der Gerechtigkeit", in: ders., Probleme der Ethik, Stuttgart 1987; Richard M. Hare, "Rawls's Theory of Justice", in: ders., Essays in Ethical Theory, Oxford 1993. 130 verschiedenheiten sind, diese Einmütigkeit ausschließen oder untergraben müßte, vertreten sie, daß eine Normierung politischer Institutionen vernünftigerweise bestreitbare Begründungsinstanzen vermeiden muß. Zugleich nehmen sie an, daß eine Normierung politischer Institutionen erst dann vernünftigen Meinungsverschiedenheiten entgehen kann, wenn sie allein von solchen Begründungsinstanzen Gebrauch macht, die die Bürger trotz ihrer divergierenden Wertorientierungen und Weltauffassungen gemeinsam akzeptieren. Vor diesem Hintergrund schlußfolgern sie, daß einer Begründung liberaler Institutionen einen trotz aller Divergenzen gemeinsamen empirisch vorgegebenen Fundus moralisch-politischer Überzeugungen nicht nur in Anspruch nehmen sollte, sondern auch effektiv in Anspruch nehmen kann.107 Dreierlei ist jetzt hervorzuheben. Zunächst ist zu sagen, daß sich das Ziel einer normativen Einmütigkeit über politische Institutionen sehr gut vor dem Hintergrund von Rawls' Legitimitätsauffassung verstehen läßt. Das heißt nicht, 107 Ich versuchte hier eine Schnittmenge von Überlegungen zugunsten politischliberaler Ansätze zu bilden, wie sie sich bei Rawls und in expliziter oder impliziter Form in den folgenden Arbeiten finden lassen. Joshua Cohen, "Moral pluralism and political consensus", in: Copp, Hampton, Roemer (1993); Richard Rorty, "Der Vorrang der Demokratie vor der Philosophie ", in: ders., Solidarität oder Objektivität?, Stuttgart 1988; ders., "Der bürgerliche Liberalismus postmoderner Prägung", in: Van den Brink, Van Rejin (1995). Bruce A. Ackerman, Social Justice in the Liberal State, New Haven 1980, bes. 10ff.; ders., "Why Dialogue?", in: The Journal of Philosophy 86 (1989); ders., "Neutralities", in: Douglass, Mara, Richardson (1990). Insbesondere ist hier auf die Überlegungen von Charles Larmore zu verweisen. Larmore gehört zu den Vertretern der Bewegung des politischen Liberalismus, die - meiner Auffassung nach - am zugänglichsten argumentieren. Vgl. ders. (1993); ders., "The Foundations of Modern Democracy: Reflections on Jürgen Habermas", in: European Journal of Philosophy 3 (1995); ders., "Pluralism and Reasonable Disagreement", in: Social Philosophy and Policy 11 (1994); ders., "Beyond Religion and Enlightenment", in: San Diego Law Review 30 (1993). Vgl. auch die überarbeiteten Fassungen dieser Aufsätze in: ders., The Morals of Modernity, Cambridge (Mass.) 1996. Vgl. auch Ripsteins Bemerkungen in Ripstein (1992), und Macedo (1990). Hervorzuheben ist, daß der Begriff "politischer Liberalismus" an dieser Stelle eine philosophische Bewegung anzeigt; er ist nicht schon in Rawls' technischer Bedeutung zu verstehen (zu dieser Bedeutung vgl. I.3.). Und weiterhin, daß ich hier offen lasse werde, ob und in welcher Weise die Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten im Bereich des politischen Liberalismus ähnlich wie Rawls zuletzt im Rekurs auf politische Tugenden gewonnen wird. 131 daß jeder politische Liberale eine Legitimitätsauffassung vertritt, die Rawls' legitimitätstheoretischer Position gleicht. Es heißt lediglich, daß Rawls' legitimitätstheoretische Position herangezogen werden kann, um zu begründen, warum es überhaupt um das Ziel normativer Einmütigkeit geht. Wenn die Ausübung politischer Macht mit einer Normierungstheorie übereinstimmt, die kollektive, faktische und moralische Akzeptanz für sich hat, so hat sie gerade diese Art der Einmütigkeit für sich. Daher ließe sich sagen, daß Rawls' Konzept des übergreifenden Konsenses eine mögliche Interpretationsinstanz der hier geforderten Einmütigkeit darstellt. Der Punkt wäre, daß unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen nur diejenige Art normativer Einmütigkeit erzielt werden kann, die darin besteht, daß eine Normierungstheorie einen übergreifenden Konsens für sich hat. Aber daß sie diese Einmütigkeit für sich haben sollte, ließe sich als Konsequenz der Auffassung verstehen, daß sie nur in diesem Fall den Anforderungen politischer Legitimität genügt. Wichtig ist zweitens, daß die gerade skizzierte Überlegung bis zu ihrer Schlußfolgerung offen ließ, (i) welche Voraussetzungen vernünftigerweise bestritten werden können und welche nicht, und (ii) welchen Inhalt eine Theorie der Normierung politischer Institutionen haben kann, wenn sie Voraussetzungen vermeidet, die vernünftigerweise bestritten werden können. Schließlich ist hervorzuheben, daß politische Liberale (i) und (ii) nicht aus der Binnenperspektive einer politisch-liberalen Theorie beantworten können. Wie auch die eben skizzierte Überlegung liegen die Fragen (i) und (ii) auf einer Ebene, auf der es erst noch darum geht, abzuklären, wie eine Theorie der Normierung politischer Institutionen überhaupt beschaffen sein darf. Sie liegen daher, anders gesagt, auf einer metatheoretischen Ebene. Dieser metatheoretische Zusammenhang läßt sich gut mit einer Bemerkung von Charles Larmore illustrieren: Eines der zentralen Probleme, für die das liberale Denken eine Lösung sucht, besteht in der Tatsache, daß vernünftige Menschen dazu neigen, bezüglich der Natur des guten Lebens unterschiedlicher Meinung zu sein. Im Kantischen oder Millschen Liberalismus erwiesen sich die moralis- 132 chen Werte, die zur Rechtfertigung des Prinzips politischer Neutralität dienen, als ebenso umstritten wie die anderen Auffassungen menschlicher Erfüllung. (...) Das bedeutet, daß die Kantischen und Millschen Liberalismuskonzeptionen keine angemessene Lösung des Problems der vernünftigen Meinungsverschiedenheiten bezüglich des guten Lebens sind. Sie wurden selbst einfach zu einem anderen Teil des Problems. (...) Diese Situation ruft nach einer Neugestaltung der liberalen Theorie. Eine angemessene Bezeichnung dieses Neuansatzes ist "politischer Liberalismus. 108 Es geht jetzt um die generelle Ausrichtung dieser Bemerkung. Offenbar zielt Larmore auf die These, daß Antworten auf die Fragen, (i) was liberalen Neutralitätsvorbehalten unterstellt werden sollte, und (ii) warum überhaupt etwas diesen Vorbehalten unterstellt werden sollte, defizitär werden, wenn die Werte, die vorausgesetzt werden, um diese Antworten zu erreichen, in genau der Weise strittig sind, wie das, was Neutralitätsvorbehalten unterstellt werden sollte. Die Liberalismen Kants und Mills wurden nach Larmore gerade darum "zu einem anderen Teil des Problems", da Implikationen ihrer Antworten auf (ii) ebenso bestritten werden können, wie das, was gemäß ihrer Antworten auf (i) Neutralitätsvorbehalten unterstellt werden sollte. Dabei gilt Larmores Überlegung der Frage, von welchen Voraussetzungen eine liberale Theorie überhaupt ausgehen darf: mithin kann er nicht aus der Binnenperspektive einer liberalen Theorie argumentieren. Der politische Liberalismus wäre dann derjenige Neubeginn oder besser: derjenige Erbe des Liberalismus, der die metatheoretische Entscheidung eines innertheoretischen Ausschlusses solcher Werte, die Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten sein können, von vornherein berücksichtigt. Nun scheint deutlich zu sein, daß politische Liberale die Fragen welche Voraussetzungen vernünftigerweise bestritten werden können, und welchen 108 Larmore (1993), 139. 133 Inhalt eine Theorie der Normierung politischer Institutionen haben kann, wenn sie Voraussetzungen vermeidet, die vernünftigerweise bestritten werden können, implizit oder explizit so beantworten, daß sie zuletzt eine inhaltlichliberale Theorie vertreten können. Weiterhin scheint deutlich zu sein, daß sie die Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten für weniger problematisch halten, als die Frage, wie eine liberale Theorie der Normierung politischer Institutionen en detail auszusehen hat. Die Idee scheint hier zu sein, daß sich der politische Liberale hinsichtlich dieser Unterscheidung auf die faktisch vorgegebenen moralisch-politischen Meinungen der Bürger verlassen kann, während es seine eigentliche Aufgabe ist, eine leistungsfähige Theorie auszuarbeiten, die von vornherein vermeidet, was aus der Perspektive der Bürger vernünftigerweise bestritten werden darf. Während die normative Autorität der je angesetzten Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten aus der Perspektive politischer Liberaler auf der Annahme zu beruhen scheint, daß die je angesetzte Unterscheidung in den moralisch-politischen Auffassungen der Bürger verankert ist, scheint die Autorität ihrer Normierungsvorschläge aus ihrer Perspektive zumindest teilweise darauf zu beruhen, daß ihre Normierungs-theorien vermeiden, was Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten ist. Wir haben im letzten Abschnitt gesehen, daß sich Rawls' Legitimitätsauffassung als Bindeglied oder als Vermittlungsinstanz zwischen der metatheoretischen Fragestellung, wie eine Theorie für den Bereich des Politischen beschaffen sein sollte, und einer empirisch vorgegebenen inhaltlich-moralischen Kompetenz auf der Seite der Adressaten politischer Macht verstehen läßt. Zugleich sahen wir, daß Rawls' Legitimitätsauffassung auf eine theorienexterne Perspektive auf faktische moralische Nichtzustimmung verweist, der legitimitätstheoretischer Vorrang zukam. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Skizze läßt sich sagen, daß der damit einhergehende Ansatz der Theorienbildung bis zu einem gewissen Grad typischen Charakter hat. In der einen oder der anderen Weise versuchen politische Liberale, Theorien zu entwerfen, die an eine bereits etablierte politische Moralität anschließen. Dies beruht in besonderem Maße auf dem Status der Unterscheidung zwi- 134 schen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten. Indem sie versuchen, Theorien zu entwerfen, die nicht enthalten, was Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten ist, greifen sie auf einer metatheoretischen Ebene auf eine solche Unterscheidung zurück. Und indem sie dies tun, bemühen sie sich zumindest an dieser Stelle, eine Normierungstheorie an eine faktisch vorgegebene politische Moralität anzuschließen. Dabei impliziert die metatheoretische Stellung der Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten, daß politische Liberale zumindest auf dieser Ebene und mit Blick auf diese Unterscheidung eine theorienexterne Perspektive auf faktische moralische Nichtzustimmung einnehmen. Wenn diese Skizze angemessen ist, dann verweist Rawls' Perspektive auf die Thematik der Theorienbildung für den Bereich des Politischen auf generelle Merkmale des politischen Liberalismus. Diese Ähnlichkeit wird vertieft, wenn und soweit politische Liberale das Ziel normativer Einmütigkeit legitimitätstheoretisch verankern, und vertreten, daß eine Theorie der Normierung politischer Institutionen aus Gründen politischer Legitimität an eine faktisch vorgegebene politische Moralität der Bürger anschließen muß. 135 VI. ZUR DEUTUNG DES METATHEORETISCHEN ARGUMENTS 136 VI. ZUR DEUTUNG DES METATHEORETISCHEN ARGUMENTS Gegenstand des fünften Kapitels war es, strukturelle Aspekte von Rawls' Auffassung politischer Legitimität zu rekonstruieren, zu erläutern und ein Stück weit einzuordnen. Dabei bereitete die Rekonstruktion von Rawls' legitimitätstheoretischer Position die Deutung des metatheoretischen Arguments vor, um die es in diesem sechsten Kapitel geht. Es hat zwei Leitfragen. Erstens die Frage, warum Rawls auf metatheoretischer Ebene auf die politische Tugend der Vernünftigkeit rekurriert. Und zweitens die Frage, wie dieser Rekurs eingestuft werden könnte und zu welchen Konsequenzen er führt. Wir werden sehen, daß Rawls' Rekurs auf diese Tugend einen normativen Preis hat, der zu hoch zu sein scheint. Dies wird den Boden bereiten, um im nächsten Kapitel Grundzüge einer zwar normativ motivierten, doch weitgehend internen Kritik seines Ansatzes herauszuarbeiten. VI.1. Vorüberlegung: Rawls' Trilemma Ich beginne, indem ich noch einmal hervorhebe, auf welcher Ebene wir uns jetzt befinden. In den Kapiteln II und III ging es um eine Rekonstruktion und Analyse von Rawls' metatheoretischem Argument. Damit ging es um die Klärung der Voraussetzungen von GF. Im fünften und sechsten Kapitel ging und geht es um die Frage, warum Rawls' metatheoretisches Argument gerade so beschaffen ist, wie es beschaffen ist. Daher geht es jetzt um die Bedingungen 137 des metatheoretischen Arguments - und damit um die Bedingungen der Voraussetzungen GF's. Meine These ist hier, daß Rawls' metatheoretisches Argument insgesamt als Konsequenz, Ausdruck oder als Resultat seiner legitimitätstheoretischen Position zu werten ist. Diese These habe ich im letzten Kapitel bereits mehrfach ins Spiel gebracht. Weiter oben habe ich antizipiert, daß Rawls' Suche nach einer Konzeption, die eines übergreifenden Konsenses fähig ist, der Auffassung folgt, daß nur eine kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbare Konzeption als Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht dienen kann. Wir haben oben gesehen, daß LPL auf eine kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbaren Normierungstheorie verweist. Mit der zusätzlichen Prämisse, daß ein Ansatz nur dann diese Art der Zustimmung erwerben kann, wenn er eines übergreifenden Konsenses fähig ist, folgt, daß LPL nur auf der Basis einer entsprechend konsensfähigen Konzeption erfüllt werden kann. Enstprechend kann Rawls legitimitätstheoretische Gründe zulasten umfassender Lehren vorbringen. Weil sie faktisch strittig sind, folgt, daß sie nicht als Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht heranzuziehen sind. Zugleich ließ sich im letzten Kapitel skizzieren, wie Rawls auf der Grundlage dieser Legitimitätsauffassung umfassende Liberalismen wie die Ansätze von Kant und Mill für illiberal* halten kann. Schließlich läßt sich mit dieser These - und ich werde jetzt davon ausgehen, daß sie zutrifft - erklären, weshalb Rawls GF überhaupt unter dem Ziel eines übergreifenden Konsenses konstruiert.109 Doch wichtiger ist jetzt eine Deutung der Art und Weise, in der Rawls metatheoretisch argumentiert. Insbesondere müssen wir verstehen, weshalb Rawls' metatheoretische Überlegungen trotz des ersten Anscheins auf einer Explikation der politischen Tugend der Vernünftigkeit beruhen. So war der Begriff der vernünftigen umfassenden Lehre mit Rawls' offizieller Definition zu- 109 Ich stimme daher - mit Blick auf diesen Punkt - Wilfried Hinsch zu, wenn er annimmt, daß Rawls' politischer Liberalismus vom (Rawls'schen) liberalen Legitimitätsprinzip ausgeht. Vgl. Hinsch (1994), 23. 138 nächst der Begriff einer Lehre, die bestimmten minimalen strukurellen oder formalen Anforderungen genügt. Doch die Analyse zeigte, daß Rawls trotz dieser Definition nur solche Lehren als vernünftige auszeichnet, die mit der unterordnenden Akzeptanz der Werte vernünftiger Personen vereinbar sind (Kapitel II). Ähnliches ließ sich für die Begriffe der Anerkennung der Bürden des Urteilens und der vernünftigen Meinungsverschiedenheiten herausarbeiten. Zunächst schien Rawls mit beiden Begriffen eine strukturelle oder formale Charaktersierung der Bereitschaft zur Toleranz vorzuschlagen. Doch wir haben gesehen, daß Rawls entgegegen dieses Anscheins beide Begriffe ohne weitere Begründung auf eine Priveligierung der Werte, die vom Standpunkt von Rawls' politischer Tugend akzeptiert werden müssen, zuschneidet (Kapitel III). Schließlich ließ sich vermuten, daß Rawls' politischer Konstruktivismus trotz seiner konstruktiv-kritischen Präsentation die Aufgabe hat, das normativ gehaltvolle Selbstverständnis vernünftiger Personen adäquat zu rekonstruieren. Doch um einen kontruktiv-kritischen Ansatz vertreten zu können, hätte Rawls auf metatheoretischer Ebene gerade nicht einen derart gehaltvollen Begriff des Vernünftigen einbringen dürfen (Kapitel IV). In den beiden ersten, aber auch im dritten Fall scheinen Rawls' Überlegungen zunächst unter minimalen normativen Prämissen anzusetzen, um dann aber vor dem Hintergrund impliziter normativ reichhaltiger Prämissen durchgeführt zu werden. Und auch dies läßt sich im Rückgriff auf Rawls' Legitimitätsauffassung verstehen. Meine Annahme ist, daß Rawls' metatheoretischer Rekurs auf die politische Tugend der Vernünftigkeit auf die Schwierigkeit reagiert, daß seine Legitimitätsauffassung den Ansatz eines politischen Liberalismus ausschließt. Genauer gesagt ist Rawls vor das Trilemma gestellt, entweder seine Legitimitätsauffassung aufzugeben oder zu modifizieren, oder seinen Ansatz eines politischen Liberalismus aufzugeben oder zu modifizieren, oder sowohl seine Legitimitätsauffassung, als auch seinen Ansatz eines politischen Liberalismus aufzugeben oder zu modifizieren. Um diesem Trilemma zu ent- 139 kommen, bringt Rawls die Tugend der Vernünftigkeit ins Spiel. Diesem Punkt müssen wir uns jetzt zuwenden.110 Im letzten Kapitel ergab sich, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen aus legitimitätstheoretischen Gründen an die unabhängig autorisierten moralisch-politischen Auffassungen der Bürger anzuschließen hat. Auf der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht ging es um eine Konzeption, die im Lichte tatsächlich gegebener moralisch-politischer Auffassungen Zustimmung findet. Daher führt Rawls' Legitimitätsauffassung zu einem Problem, das ich schon mehrfach eingebracht habe. Rawls muß hier die Hypothek der empirischen Voraussetzung auf sich nehmen, daß die Werte eines politischen Liberalismus kollektiv, faktisch und moralisch akzeptiert sind. Erst, wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, kann ein politischer Liberalismus als Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht herangezogen werden. Doch sie ist nicht erfüllt. Offenbar werden Auffassungen vertreten, die mit einem politischen Liberalismus unverträglich sind. Rawls' Problem ist hier, daß er das Thema politischer Legitimität so angeht, daß es unter seinen eigenen Voraussetzungen legitimitätstheoretische Gründe gegen den Ansatz eines politischen Liberalismus gibt. Führen wir uns kurz drei Minimalbedingungen vor Augen, die erfüllt sein müssen, damit Rawls' Legitimitätsauffassung auf einen politischen Liberalismus verweisen kann. Erstens müßten die Bürger eines demokratischen Staates willens und fähig sein, sich von ihren je besonderen und gegebenenfalls strittigen Wertvorstellungen zu distanzieren, um den Standpunkt einer mehr oder weniger einheitlichen und normativ gehaltvollen Perspektive einzunehmen. Anderenfalls bliebe offen, ob eine kohärente Theorie der dritten Rechtferti- 110 Ich knüpfe damit insbesondere an die Überlegungen des zweiten und dritten Kapitels an. Der Unterschied zu dem, was sich dort sagen ließ, besteht in folgendem. Während das zweite und dritte Kapitel entscheidendes Gewicht für die These hatte, daß Rawls auf metatheoretischer Ebene die politische Tugend der Vernünftigkeit ins Spiel bringt, geht es jetzt um den Punkt, warum Rawls diese Tugend auf dieser Ebene ins Spiel bringt, und wie dieser Rekurs einzustufen ist. 140 gungsebene politischer Macht überhaupt möglich ist. Zweitens müßten die unter dieser Perspektive relevanten moralisch-politischen Auffassungen entweder selbst inhaltlich liberal, oder mit liberalen Werten zwanglos verträglich sein. Anderenfalls bliebe offen, ob eine Theorie, die auf der dritten Rechtfertigungebene politischer Macht ins Spiel kommen darf, inhaltlich-liberalen Charakter haben kann. Drittens schließlich müßten die Auffassungen der Bürger damit verträglich sein, daß eine Theorie der dritten Rechtfertigungsebene ausschließlich den Bereich des Politischen betrifft und in den Grenzen der politischen Tradition verbleibt. Anderenfalls könnte eine Theorie dieser Ebene gegebenenfalls inhaltlich-liberalen, doch nicht im Rawls'schen Sinne politischen Charakter haben.111 Sobald mindestens eine dieser drei Bedingungen nicht erfüllt ist, taucht das Problem auf, ob ein politischer Liberalismus als Rechtfertigungsgrundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht herangezogen werden kann. Nun liegen jedoch mit Fanatismen und Fundamentalismen Positionen vor, die mindestens mit der zweiten Bedingung unverträglich sind. Also kommt es zum gerade genannten Problem. Wir werden weiter unten sehen, daß dieses Problem nicht allein auf der Präsenz antiliberaler Position wie Fanatismen und Fundamentalismen beruht. Mit anderem normativen Gehalt, doch mit gleicher Struktur stellt es sich im Falle einer jeden Position, die die Anforderungen politischer Toleranz anders auslegt, als Rawls es macht (VI.3.). 111 Anzufügen ist, daß diese Bedingungen einzeln notwendig, doch zusammengenommen nicht hinreichend für die These sind, daß GF den Rang einer öffentlichen Rechtfertigungsgrundlage beanspruchen kann. Selbst, wenn sie für die These hinreichten, daß ein im Rawls'schen Sinne "politischer" Liberalismus als öffentliche Rechtfertigungsgrundlage dienen kann, folgt nicht, daß GF - als einer der möglichen politisch-liberalen Ansätze - diese Funktion übernehmen kann. Rawls hat nirgendwo ausreichend in Rechnung gestellt, daß die Akzeptanz eines politischen Liberalismus nicht schon die Akzeptanz seiner speziellen Position GF einschließt. Dieser Punkt klingt lediglich einmal an, vgl. PL 226f. Aus Gründen einer möglichst inkomplexen Darstellung habe ich diese zusätzliche Schwierigkeit auf Rawls' Seite bislang vernachlässigt und werde es auch weiterhin tun. 141 VI.2. Rawls' Adressatenrestriktion Wie entkommt Rawls der legitimitätstheoretischen Relevanz antiliberaler Positionen? Wir können zweierlei festhalten. Erstens schließt Rawls' legitimitätstheoretische Position aus, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen selbst festlegt, vom Standpunkt welcher Meinungen sie faktisch moralisch zustimmbar sein muß, um als Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht in Frage zu kommen. Diese Festlegung gehört zu den unabhängigen Voraussetzungen einer legitimitätstheoretischen Beurteilung von Konzeptionen dieses Bereichs.112 Daher kann Rawls nicht aus der Perspektive GF's argumentieren, daß fanatische oder fundamentalistische Positionen Zustimmungswürdiges zurückweisen und sich daher legitimitätstheoretisch selbst diskreditieren. Bis hierhin hängt die legitimitätstheoretische Akzeptabilität einer Konzeption für den Bereich des Politischen auch von der Zustimmung solcher Positionen ab. Weiterhin können wir sehen, daß Rawls den legitimitätsrelevanten Status der Zustimmung von Seiten antiliberaler Positionen nicht ausschließen kann, indem er unmittelbar über das liberale Prinzip der Legitimität argumentiert. Genauer gesagt heißt das, daß er nicht über den in LPL aufgegriffenen Topos 112 Rawls verlieh einer theorienexternen Perspektive auf faktische moralische Nichtzustimmung legitimitätstheoretischen Vorrang (V.2.). Wenn die Frage, vom Standpunkt welcher Meinungen eine Konzeption für den Bereich des Politischen moralisch zustimmbar sein muß, ausschließlich durch diese Konzeption selbst festgelegt würde, so würde faktische moralische Nichtzustimmung aus ihrer Binnenperspektive beurteilt. Dann aber ließe sich nicht mehr über die Frage, welche Normierungstheorie kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbar ist, zwischen einer im Rawls'schen Sinne öffentlichen und nicht-öffentlichen Grundlagen der Rechtfertigung politischer Macht differenzieren. Der legitimitätstheoretische Vorrang der externen Perspektive impliziert jedoch nicht, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen in keinerlei Weise selbst festlegen kann, aus welchen Gründen sie zustimmbar sein muß. So weisen einige Stellen aus Political Liberalism darauf hin, daß GF diese Aufgabe hat (vgl. z.B. PL 100, 192). Ihr Vorrang impliziert jedoch, daß ihre Weise, diese Festlegung vorzunehmen ihrerseits kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbar sein muß. 142 der 'vernünftigerweise erwartbaren vernünftigen Zustimmung' argumentieren kann. LPL forderte, daß die Ausübung politischer Macht mit Prinzipien übereinstimmt, für die diese Art der Zustimmung in der entsprechenden Weise erwartet werden kann. Doch im Lichte welchen Begriffs des Vernünftigen dieser Topos zu verstehen ist, hängt davon ab, welcher Begriff des Vernünftigen durch eine Normierungstheorie auf der dritten von LPL verlangten Rechtfertigungsebene vorgegeben wird. Es bleibt offen, auf welchen Begriff des Vernünftigen LPL verweist, solange offen bleibt, welche Theorie auf der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht einzusetzen ist (V.1.). Das Problem, um das es jetzt geht, liegt jedoch auf der Seite der Fragestellung, wie eine Theorie dieser Ebene überhaupt beschaffen sein kann, wenn (i) sie als "öffentliche" Rechtfertigungsgrundlage kollektive und faktische moralische Zustimmung für sich haben muß, und (ii) solche Positionen vertreten werden, die mit dem Ansatz eines politischen Liberalismus unverträglich sind. Und das heißt: damit Rawls über den Topos der vernünftigerweise erwartbaren vernünftigen Zustimmung argumentieren könnte, müßte bereits entschieden sein, welche Theorie auf der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht eingesetzt werden darf. Doch um die Frage, welche Theorie hier einzusetzen ist, geht es gerade. Rawls' externe Perspektive auf faktische moralische Zustimmung steht im Zeichen eines ausgeprägt inklusiven Ansatzes der Normierung politischer Macht: im Aufriß verlangt Rawls, daß jeder ihrer Normierung moralisch zustimmen kann. Doch bis hierhin ist Rawls' Legitimitätsauffassung für seine eigenen Zwecke zu inklusiv. Die Anforderung, daß eine Normierungstheorie der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht kollektive, faktische und moralische Zustimmung für sich haben muß, schließt aus, daß ein politischer Liberalismus als Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht in Frage kommt. In dem Maße, in dem sich Rawls an seiner Legitimitätsauffassung orientiert, muß er zugestehen, daß ein politischer Liberalismus nicht als Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht in Frage kommt. Und in dem Maße, in dem er von der Annahme ausgeht, daß GF die Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht bereitstellt, müßte er seine Legitimitätsauffassung reformulieren. Daher ist Rawls vor das weiter oben angesprochene 143 Trilemma gestellt, entweder (i) seine Legitimitätsauffassung aufzugeben oder zu modifizieren, oder (ii) GF aufzugeben oder zu modifizieren, oder (iii) sowohl seine Legitimitätsauffassung, als auch GF zu aufzugeben oder zu modifizieren. Nun ist völlig klar, daß Rawls zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Frage stellt, daß eine Normierungstheorie für den Bereich des Politischen den Charakter eines politischen Liberalismus haben sollte. Müßte Rawls dann nicht das erste Horn des Trilemmas nehmen, um den Fokus auf faktische moralische Zustimmung über irgendeinen Weg zugunsten eines politischen Liberalismus einengen? Meine Diagnose ist jetzt, daß Rawls exakt aufgrund dieses Problems ohne weitere Begründungen dazu übergeht, auf der Seite faktischer moralischer Zustimmung die politische Tugend der Vernünftigkeit ins Spiel zu bringen. Eben noch verlangte LPL, daß politische Macht im Rekurs auf eine kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbare Normierungstheorie gerechtfertigt wird. Gerade das machte Rawls' Auffassung politischer Legitimität in ausgeprägter Weise inklusiv. Doch nun verlangt LPL den Rekurs auf eine Normierungstheorie, die aus der Perspektive der politischen Tugend, vernünftig zu sein, faktisch moralisch zustimmbar ist. Die Frage, welche Theorie für den Bereich des Politischen kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbar ist, wird hier durch die Frage ersetzt, welche Theorie vom Standpunkt derer, die die liberalen Werte der politischen Tradition unterordnend akzeptieren, moralisch zustimmbar ist. Über dieses implizite Manöver versteht Rawls die Thematik politischer Legitimität durchgängig im Lichte seines speziellen Begriffs des Vernünftigen. Wir müssen genau sehen, was durch dieses Manöver geschieht. LPL verlangt, daß politische Macht auf der Grundlage einer Normierungstheorie gerechtfertigt werden kann, die kollektive, faktische und moralische Zustimmung für sich hat. Doch damit verweist LPL weder auf einen umfassenden Ansatz, noch auf einen politischen Liberalismus. Rawls' Reaktion auf diese Schwierigkeit besteht darin, daß er eine implizite Adressatenrestriktion einführt. Indem er seinen Begriff des Vernünftigen importiert, verengt er den Bereich derer, mit denen argumentiert wird. Es geht nicht mehr um die faktische moralische Ak- 144 zeptanz eines jeden, der politischen Institutionen unterworfen ist, sondern um die faktische und moralische Akzeptanz von Seiten derer, die im Sinne der Rawls'schen Tugend vernünftig sind. Rawls entkommt dem eben genannten Trilemma, indem er den legitimitätstheoretischen Bezug auf kollektive faktische moralische Zustimmung aufrechterhält, doch auf die kollektive, faktische und moralische Zustimmung vernünftiger Personen einschränkt. Und erst jetzt verweist die in LPL zunächst noch unkonkretisiert zu verstehende Rede von einer 'vernünftigerweiser erwartbaren vernünftigen Zustimmung' auf die politische Tugend der Vernünftigkeit. Dies habe ich antizipiert, als ich weiter oben vermutete, daß Rawls erst in nachträglicher Reaktion auf die Schwierigkeiten seiner Legitimitätsauffassung mit LPL arbeitet, als ob LPL von vorneherein seinen Begriff des Vernünftigen enthält (V.1.). Neben dieser Einführung einer Adressatenrestriktion finden sich in Political Liberalism jedoch auch Hinweise auf mindestens eine weitere Strategie, über die Rawls versucht, seine im Aufriß inklusive Legitimitätsauffassung mit dem Ansatz eines politischen Liberalismus zu vereinen. Und es verdient Erwähnung, daß diese Strategie günstigstenfalls auf die Einführung einer Adressatenrestriktion zurückweist. Rawls scheint zu vertreten, daß die Adressaten politischer Macht den liberalen Werten der politischen Tradition ihre Zustimmung zuletzt nicht verweigern würden, wenn sie nur von ihren wohlerwogenen und kohärenten moralischen Meinungen ausgingen.113 Sein Grundgedanke wäre dann: weil ein politischer Liberalismus wie GF vom Standpunkt der wohlerwogenen und kohärenten Meinungen der Bürger eines modernen demokratischen Staates akzeptiert werden kann, wäre GF im von LPL geforderten Sinne moralisch zustimmbar. Doch auch dann, wenn wir annehmen, daß diese Art der Qualifizierung legitimitätsrelevanter moralischer Zustimmung mit LPL verträglich ist, besteht der Kern dieser zusätzlichen Strategie in einer unzulässigen Idealisierung des Gegebenen. Diese Idealisierung kommt in der Annahme zum Ausdruck, daß 145 die Meinungen der Bürger, wenn sie nur wohlerwogen und kohärent wären, mit einem politischen Liberalismus vereinbar sind. Aber für diese Annahme gibt es keinen guten Grund. Ob x'ens wohlerwogene und kohärente Meinungen mit den Werten eines politischen Liberalismus verträglich sind, hängt nicht davon ab, ob sie die formalen oder strukturellen Eigenschaften der Wohlerwogenheit und Kohärenz aufweisen, sondern davon, welchen Inhalts sie sind. Die relevante Frage ist hier, von welchen inhaltlichen Meinungen x ausging, welche er aufnahm, welche er verwarf und an welchen er festhielt, als er versuchte, wohlerwogene und kohärente Meinungsmengen zu erzeugen. Solange ihr Inhalt offen bleibt, bleibt offen, mit welchen Werten x'ens wohlerwogene und kohärente Meinungen vereinbar sind.114 Rawls scheint erst vertreten zu können, daß ein politischer Liberalismus vom Standpunkt wohlerwogener und kohärenter moralischer Meinungen kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbar ist, wenn er sich an den Meinungen derer orientiert, die sich von Anfang an mit den liberalen Werten der politischen Tradition identifizierten. Aber auf dieser Linie kommen wir zur Strategie der Einführung einer Adressatenrestriktion zurück. Sie ist daher primär. Auch eine zweite zusätzliche Strategie, die in Political Liberalism anklingt, führt bestenfalls auf die Einführung einer Adressatenrestriktion zurück. Sie besteht nicht in einer Idealisierung des Gegebenen, sondern in einer Voraussetzung des Idealen. Diese Form der Idealisierung besteht darin, daß Rawls für die Explikation von GF den Kontext einer wohlgeordneten Gesellschaft voraussetzt, um zu erläutern, welche Konzeption in diesem Kontext akzeptabel 113 Vgl. z.B. PL 8, 28. 114 Rawls hat nirgendwo Gründe vorgebracht, die dieses Ergebnis in Frage stellen könnten. Ich stimme hier weitestgehend mit den Ergebnissen überein, die Joseph Raz in seiner Auseinandersetzung mit Rawls' Begriff des "Überlegungsgleichgewichts" erzielt hat, vgl. Raz (1982). Mit Blick auf diese zweite Strategie habe ich weiter oben davon gesprochen, daß LPL darauf festlegt, eine Normierungstheorie für den Bereich des Politischen adäquat gegenüber den wesentlichen moralischen Meinungen der Adressaten politischer Macht zu halten, d.h. solchen Meinungen, an denen sie als ihren wesentlichen festhalten wollen (V.2.). 146 wäre.115 Auch hier ginge es um faktische moralische Zustimmung, nur um solche, die erfolgen würde, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen ideale wären. Doch wenn bestimmte Akte der Ausübung politischer Macht im idealen Kontext einer wohlgeordneten Gesellschaft legitim sind, weil sie gegenüber den Bürgern dieser Gesellschaft mit Aussicht auf faktische Zustimmung gerechtfertigt werden können, folgt noch nicht, daß sie auch aus unserer Perspektive legitim sind oder faktisch zustimmbar rechtfertigbar sind. Aber das ist es, was LPL verlangt. Könnte Rawls hier die zusätzliche These einbringen, daß alle Bürger - hier und jetzt - Mitglieder einer im Rawls'schen Sinne wohlgeordneten Gesellschaft werden wollen? Doch selbst, wenn diese These zur erwünschten Konsequenz führte, daß das, was aus der Perspektive einer wohlgeordneten Gesellschaft faktisch moralisch zustimmbar wäre, auch hier und jetzt faktisch moralisch zustimmbar ist, ist nichts bewegt. Denn diese These läuft entweder darauf hinaus, (i) daß Rawls nur mit denen argumentiert, die sich mit den Werten der politischen Tradition identifizieren. Doch dies entspricht der Einführung einer Adressatenrestriktion. Oder diese These läuft darauf hinaus, (ii) daß Rawls behauptet, daß alle Bürger dieses Ideal unterschreiben würden, wenn sie nur von wohlerwogenen und kohärenten Meinungen ausgingen. Doch (ii) wäre die Strategie der Idealisierung des Gegebenen. Wie sich eben sagen ließ, führt auch diese bestenfalls auf die Einführung einer Adressatenrestriktion zurück. Aufgrund dieser Adressatenrestriktion wird Rawls' inklusiv angelegter Versuch der Ausarbeitung einer Konzeption, die aus der Perspektive eines jeden moralisch zustimmbar ist, zum exklusiv durchgeführten Versuch der Ausarbeitung einer Konzeption, die aus der Perspektive der politischen Tugend der Vernünftigkeit akzeptiert werden kann. Und jetzt läßt sich verstehen, wieso Rawls' metatheoretische Überlegungen normativ arm ansetzen, doch normativ reichhaltig durchgeführt werden. Wir finden hier den Grund, weshalb Rawls entgegen seiner offiziellen Definition nur solche umfassende Lehren für ver- 115 Vgl. z.B. PL 24, Fn. 27. 147 nünftig hält, die mit der unterordnenden Akzeptanz der Werte vernünftiger Personen verträglich sind. Die strukturelle Ausrichtung der offiziellen Definition entspricht dem inklusiven Ansatz von Rawls' Legitimitätauffassung. Doch die unterschwellig eingebrachte Adressatenrestriktion schränkt diese inklusive Ausrichtung ein und führt dazu, daß nur solche Lehren in Betracht gezogen werden, die aus der Perspektive der politischen Tugend der Vernünftigkeit akzeptiert werden können. Ähnliches ergibt sich für die Begriffe der Bürden des Urteilens und der vernünftigen Meinungsverschiedenheit. Zunächst verwiesen beide Begriffe auf ein strukturelles Verständnis der Toleranz. Dies entspricht der inklusiven Ausrichtung von Rawls' Legitimitätsauffassung. Doch die implizite Setzung, daß nicht-politische Werte im Gegensatz zu bestimmten politischen Werten vernünftigerweise verworfen werden können, bringt die Adressatenrestriktion ins Spiel. Diese materiale Einlösung der zunächst strukturellen Charakterisierung der Toleranz verdeutlicht, daß es ausschließlich um Toleranz aus der Perspektive derer geht, die die Werte der politischen Tradition bereits unterordnend akzeptieren. Ähnliches ergibt sich für Rawls' politischen Konstruktivismus. Ich habe vermutet, daß GF die normativ gehaltvolle Perspektive vernünftiger Personen rekonstruieren soll (V.2.). Die Adressatenrestriktion erklärt, warum es gerade um diese Perspektive geht: es sind die Träger dieser Tugend, auf deren Zustimmung Rawls abhebt. Zugleich wird deutlich, was in Passagen wie der folgenden vor sich geht: GF "aims at uncovering a public basis of justification given the fact of reasonable pluralism. Since justification is addressed to others it proceeds from what is, or can be held, in common; and so we begin from shared fundamental ideas implicit in the public political culture in the hope of developing from them a political conception that can gain free and reasoned agreement in judgement, this agreement being stable in virtue of its gaining the support of an overlapping consensus of reasonable compre- 148 hensive doctrines. These conditions suffice for a reasonable political conception of justice" (PL 100f.). Rawls bringt hier zweierlei zusammen. Erstens impliziert er, daß eine Konzeption als öffentliche Rechtfertigungsgrundlage nur enthalten kann, "what is, or can be held, in common". Zweitens vertritt er, daß eine Konzeption aus der Perspektive vernünftiger Personen akzeptabel sein, und daher auf intuitiven Ideen der politischen Tradition aufbauen sollte. Doch was hat das eine mit dem anderen zu tun? Diese Passage enthält erst dann ein stimmiges Argument, wenn Rawls voraussetzt, (i) daß die Adressaten politischer Macht sich als vernünftige Personen verstehen, und (ii) daß sie die relevanten Werte der politischen Tradition akzeptieren. Beides steht für die Adressatenrestriktion: unter Rawls' Begriff der vernünftigen Person ist (ii) in (i) impliziert. Und erst vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Rawls beide Punkte über den Satz verbinden kann: "Since justification is addressed to others it proceeds from what is, or can be held, in common; and so we begin from shared fundamental ideas implicit in the public political culture". Wenn Rawls ausschließlich gegenüber in seinem Sinne vernünftigen Personen argumentiert, ist klar, daß Rechtfertigung von geteilten Voraussetzungen und daher von den Ideen der politischen Tradition ausgehen muß. VI.3. Normative Folgelasten Die Einführung der Adressatenrestriktion scheint der normative Preis zu sein, den Rawls entrichtet, um trotz seines Bezugs auf kollektive, faktische und moralische Zustimmung am Ansatz eines politischen Liberalismus festhalten zu können. Die scheinbar abstrakte und praktisch losgelöste Frage nach den metatheoretischen Gründen für GF - und der legitimitätstheoretischen Problematik im Untergrund dieser Gründe - offenbart an dieser Stelle ein normatives Problem, das der Konstruktion von GF noch vorausliegt, und das sich nicht mehr innerhalb dieses Ansatzes klären läßt. 149 Wie hoch ist der normative Preis, den Rawls entrichtet? Rawls' Einschränkung des Bereichs legitimitätsrelevanter Zustimmung führt dazu, daß die moralische Nichtzustimmung von Seiten derer, die nicht im Sinne der politischen Tugend vernünftig sind, für die Frage, wie eine Theorie der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht beschaffen sein sollte, nicht mehr legitimitätstheoretisch ins Gewicht fällt. Anders gesagt: ihre moralische Nichtzustimmung wird legitimitätstheoretisch neutralisiert.116 Wie exklusiv Rawls' Ansatz durch diese Einschränkung wird, beruht nun nicht allein auf der Häufigkeit fanatischer oder fundamentalistischer Positionen. Auf sie habe ich mich bislang konzentriert, da sie in anschaulicher Weise die Struktur der Schwierigkeit verdeutlichen lassen, die Rawls' auf kollektive, faktische und moralische Zustimmung abhebende Legitimitätsauffassung für einen politischen Liberalismus einbringt. Doch Rawls' Adressatenrestriktion führt dazu, daß jedes Votum legitimitätstheoretisch neutralisiert wird, das nicht mit der politischen Tugend der Vernünftigkeit übereinstimmt; und dies ist völlig unabhängig von den Gründen, aus denen abweichend votiert wird. Hier wären selbst solche Positionen betroffen, die aus guten moralischen Gründen darauf festlegen, einen politischen Liberalismus als Grundlage der Ausübung politischer Macht zurückzuweisen. Ein interessanter Ableger dieser Konsequenz besteht in folgendem. Angenommen, die Position P (i) ist mit grundlegenden liberalen Einstellungen wie Unparteilichkeit, Wohlwollen und Toleranz verträglich, aber nicht auch damit, 116 Und in diesem Sinne muß es verstanden werden, wenn Rawls festhält: "[A] society may also contain unreasonable and irrational, and even mad, comprehensive doctrines. In their case the problem is to contain them so that they do not undermine the unity of a just society" (PL xvif.; kursiv durch mich). Wohlgemerkt: hier bleibt offen, welche Formen politischen Zwangs es genau mit sich bringen darf, solche Lehren, die nicht mit einer unterordnenden Akzeptanz politischer Werte vereinbar sind, "in Schach zu halten". Klar ist lediglich, daß Proponenten unvernünftiger Lehren kein legitimitätstheoretisches Veto haben. Da politische Legitimität nur noch aus der Perspektive der Tugend der Vernünftigkeit verstanden wird, bleibt es vernünftigen Personen überlassen, welche Maßnahmen zulasten "unvernünftiger" Lehren zu ergreifen sind. 150 (ii) daß politische Macht auf der Grundlage einer Konzeption ausgeübt wird, die ausschließlich politische Werte enthält. So könnte P implizieren, daß nicht alle nicht-politischen Werte Toleranzvorbehalten unterstellt werden sollten. In diesem Fall müßte P darauf festlegen, nicht in Übereinstimmung mit Rawls' Tugend zu votieren.117 Vielleicht wären die Anhänger P's willens, eine im inhaltlichen Sinne liberale Konzeption als Grundlage der Rechtfertigung politischer Macht zu bejahen; doch sie wären nicht bereit, einer im Rawls'schen Sinne politischen Konzeption zuzustimmen. Dann aber wären ihre Voten aus der Perspektive von Rawls' Tugend unvernünftig.118 Also zählten die Anhänger P's nicht mehr zu den Adressaten der Frage, wie eine Normierungstheorie der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht beschaffen sein sollte. Was sie ausschließt wäre nicht, daß sie fanatische oder fundamentalistische Auffassungen vertreten; was sie ausschließt wäre ihre divergierende Interpretation der Anforderungen politischer Toleranz.119 117 Wir erinnern uns: W ist ein politischer Wert, wenn (i) W in der politischen Tradition impliziert ist, und (ii) W ausschließlich den Bereich des Politischen betrifft. Und eine Position, die nicht allein diesen Bereich betrifft oder nicht ausschließlich solche Werte enthält, die in der politischen Tradition impliziert sind, ist eine nicht-politische bzw. eine umfassende Lehre. Dabei ist sie nach Rawls inoffizieller Definition vernünftiger Lehren D2* erst dann vernünftig, wenn sie mit einer unterordnenden Akzeptanz derjenigen Werte vereinbar ist, die im Rawls'schen Sinne vernünftige Personen akzeptieren (vgl. II.2.f.). 118 Das gleiche Resultat wird erzielt, wenn P impliziert, daß einige der politischen Werte, die unter Rawls' Tugend nur unvernünftig verworfen werden können, Toleranzvorbehalten unterstellt werden sollten. 119 Ich formuliere jetzt keine Aufzählung relevanter Alternativen zu den Werten vernünftiger Personen, da es ausschließlich um den prinzipiellen Punkt geht, erstens, daß abweichende Voten legitimitätstheoretisch neutralisiert werden, und zweitens, daß diese Neutralisierung auf der Tatsache des abweichenden Votums, und nicht auf den Gründen beruht, die zu dieser Abweichung führten - seien diese nun Kantianisch, utilitaristisch, fanatisch oder fundamentalistisch motiviert. Und das heißt: wann immer eine Position vorgeschlagen wird, (i) die mit der politischen Tugend der Vernünftigkeit nicht oder partiell nicht vereinbar ist, und die daher darauf festlegt, (ii) einem politischen Liberalismus die Zustimmung zu verweigern, wird eine legitimitätstheoretisch neutralisierte Position vorgeschlagen. Dies gilt bereits für solche Positionen, die vertreten, daß politische Macht auch auf der Grundlage bestimmter strittiger 151 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß Rawls' Adressatenrestriktion nicht einfach als Reaktion auf das Problem gewertet werden kann, daß eine moralische Rechtfertigung liberaler Institutionen nur gegenüber solchen Bürgern erfolgreich sein wird, die bereits über grundlegende liberale Einstellungen wie Unparteilichkeit, Wohlwollen und Toleranz verfügen.120 Ich kann jetzt offen lassen, ob und in welchen Hinsichten dieses Problem besteht. Doch wenn es besteht, dann müssen liberale Institutionen bis zu einem gewissen Grade exklusiv sein. Ihre Legitimität wäre keine Sache der Zustimmung von Seiten eines jeden, sondern eine Sache der Zustimmung von Seiten derer, die grundlegende liberale Einstellungen schon mitbringen.121 nicht-politischer Werte ausgeübt werden darf, werden sollte oder werden muß. Vgl. hier die einflußreichen Überlegungen von Amy Gutmann und Dennis Thompson zum Problem einer politischen Lösung des moralischen Problems der Abtreibung, in: dies., "Moral Conflict and Political Consensus", in: Ethics 101 (1990). Vgl. auch William A. Galston (1989), 720ff., und Scheffler (1994). Scheffler argumentiert im Effekt, daß die Forderung, politische Institutionen auf der Basis eines politischen Ansatzes zu normieren, problematischer und strittiger sein kann, als die Werte, die ein politischer Liberalismus enthält. So betonen auch Wenar und William A. Galston aus verschiedenen, doch dem Liberalismus zugeneigten Perspektiven, daß einiges von dem, was nach Maßgabe von Rawls' Begriff des Vernünftigen unvernünftig wäre, problemlos für vernünftig gehalten werden könnte. Vgl. Wenar (1995), und William A. Galston, "Two Concepts of Liberalism", in: Ethics 105 (1995), bes. 519. Ähnlich auch Miriam Galston, "Rawlsian Dualism and the Autonomy of Political Thought", in: Columbia Law Review 94 (1994), bes. 1851f. 120 Diese häufig variierte These überprüft und vertritt in wünschenswerter Klarheit aus einer liberalen Perspektive Brian Barry, vgl. ders., "How Not to Defend Liberal Institutions", in: Douglass, Mara, Richardson (1990). Zu Aspekten einer liberalen politischen Moralität vgl. z.B. Filimon Peonidis, "Liberalism as Personal Morality", in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 81 (1995), und: Peter Rinderle, "Liberale Integrität", in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42 (1994), bes. 78-81; vgl. auch Waldron (1995), 131. Vgl. auch Thomas Nagels Begriff einer "higher-order impartiality", die seiner Meinung nach der liberalen Bereitschaft zu politischer Toleranz zugrundeliegt. In: ders., Equality and Partiality, Oxford 1991, 154ff., 158ff. 121 So schreibt Macedo: "[W]hile acknowledging diversity, we respect as free and equal moral beings all those who pass certain threshold tests of reasonableness: We respect those whose disagreement with us does not impugn their reasonableness" (in: Macedo (1990), 282; kursiv durch mich). Umgeschlagen auf die Frage der Rechtfertigbarkeit politischer Institutionen heißt das, daß ihre Rechtfertigung nur an diejenigen adressiert ist, "who pass certain 152 Doch Rawls bezieht die Thematik politischer Legitimität nicht auf unparteiliche, wohlwollende und tolerante Zustimmung, sondern auf die spezifischere und partikularere Perspektive einer substantiellen politischen Tugend. Daß x überhaupt unparteilich, wohlwollend und tolerant ist, impliziert noch nicht, daß x diejenigen Werte akzeptiert, die aus der Perspektive dieser Tugend nur unvernünftig bestritten werden können. Hier wäre erst zu begründen, daß Unparteilichkeit, Wohlwollen und Toleranz auf die Akzeptanz bestimmter politischer Werte, und nicht auf die Akzeptanz bestimmter nicht-politischer Werte festlegt.122 Dies beträfe insbesondere eine Begründung dafür, daß nichtpolitische Werte global den Toleranzvorbehalten der Anerkennung der Bürden threshold tests of reasonableness". Wie exklusiv das Auditorium der Rechtfertigung politischer Macht durch diesen "Schwellentest" wird, entscheidet sich dann - mit Blick auf LPL gesagt über die Antwort auf die Frage, welche Art faktischer moralischer Zustimmung eine Normierungstheorie für sich haben muß. Bei Rawls bestünde dieser "Schwellentest" im Test, ob die wesentlichen moralisch-politischen Auffassungen der Bürger aus der Perspektive von Rawls' politischer Tugend vernünftig sind. Hervorzuheben ist, daß dieser Punkt hier nicht erst auf der Seite der Anwendungsproblematik, sondern bereits - aufgrund seiner metatheoretischen Stellung - auf der Seite der Konstitutionsproblematik einer liberalen Theorie einrückt. 122 Dieser Punkt ist unabhängig von Rawls' Auffassung, daß Unparteilichkeit, Wohlwollen und Toleranz selbst zu den Werten der politischen Tradition gehören. En passant läßt sich folgendes zu Rawls' Rückgriff auf die politische Tradition anfügen. Er orientiert sich an der als historisch vorgegeben zu verstehenden Tradition eines demokratischen Verfassungsstaates. Sein Begriff der Tradition ist daher wenigstens partiell ein historischer oder empirischer (vgl. z.B. PL 13f.); daher ist die Frage, ob ein Wert Element der dieser Tradition ist, auch als empirische zu verstehen. Und weil die Frage, ob ein Wert in der politischen Tradition enthalten ist, bei Rawls eine zumindest partiell empirische Frage ist, folgt aus dem Sachverhalt, (i) daß die Werte W1 und W2 in der politischen Tradition enthalten sind, und dem Sachverhalt, (ii) daß W1 und W2 den Wert W3 enthalten, (oder daß W1 oder W2 W3 voraussetzen) nicht schon, (iii) daß auch W3 ein Wert der politischen Tradition ist. Daher ist es nicht der Fall, daß jeder Wert, wenn er nur aus Gründen der Unparteilichkeit, des Wohlwollens und der Toleranz bejaht werden muß, seinerseits als "politischer Wert" bezeichnet werden könnte. Jeder dieser Werte wäre erst über ein unabhängiges historisches Studium als Element der Tradition auszuweisen: erst dann ließe sich nicht nur sagen, daß er in Werten der Tradition impliziert ist (oder durch diese Werte vorausgesetzt wird), sondern auch, daß er seinerseits Element dieser Tradition und daher ein politischer Wert ist. Rawls selbst hat sich nirgendwo mit der damit angelegten Schwierigkeit auseinandergesetzt, daß einige der Werte, die er aufgreift, zwar durch Werte der 153 des Urteilens unterstellt, und bestimmte politische Werte diesen Vorbehalten entzogen sind. Doch eine solche Begründung eines Toleranzkriteriums ist bei Rawls nicht vorgesehen. Die Analyse des dritten Kapitels zeigte, daß Rawls im Kontext des Begriffs der vernünftigen Meinungsverschiedenheiten schlicht setzt, daß nicht-politische Werte im Gegensatz zu bestimmten politischen Werten Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten sind, und daher den Toleranzvorbehalten der Anerkennung der Bürden des Urteilens zu unterstellen sind. Rawls' Adressatenrestriktion verdrängt die hier anzuschließenden Begründungen aus dem Horizont seines Ansatzes.123 Und das heißt: Rawls' Adressatenrestriktion ist nicht allein die Restriktion, daß ausschließlich unparteiliche, wohlwollende und tolerante Zustimmung legitimitätsrelevant ist, da bei Rawls keine Begründung vorgesehen ist, die zeigt, daß man, wenn man diese Einstellungen überhaupt an den Tag legt, Rawls' politische Tugend der Vernünftigkeit mit ihren materialen Implikationen akzeptieren sollte. Wenn der Liberalismus das Problem hat, daß die Legitimität liberaler Institutionen von einer empirisch vorgegebenen, unparteilichen, wohlwollenden und toleranten politischen Moralität auf der Seite der Bürger abhängt, so tritt dieses Problem bei Rawls aufgrund der unausgewiesenen materialen Bestandteile der Tugend, vernünftig zu sein, in verschärfter Form auf. Aber muß Rawls' Adressatenrestriktion vor diesem Hintergrund nicht zu einer inakzeptabel exklusiven Auffassung politischer Legitimität führen? Ist es nicht seinerseits unvernünftig, unausgewiesen nur solche Zustimmung für legitimitätsrelevant zu erachten, die mit Rawls' gehaltvoller Tugend übereinstimmt? Selbst, wenn wir bereits einen liberalen Standpunkt einnehmen, und politischen Tradition impliziert oder vorausgesetzt sein mögen, aber nicht selbst Elemente der Tradition sind. 123 Vgl. auch II.1. und II.3. Hier ließ sich sagen, daß Rawls' metatheoretisch vorausgesetzter Nexus zwischen dem Sachverhalt, (i) daß x vernünftig ist, und dem Sachverhalt, (ii) daß x "essentials of a democratic regime" akzeptiert, auf metatheoretischer Ebene über einen begriffsexplikativen Schritt hergestellt wird. 154 zugestehen, daß es, wenn es um eine kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbare Rechtfertigungsgrundlage politischer Macht geht, um vernünftige Zustimmung gehen muß, und unter "vernünftiger Zustimmung" unparteiliche, wohlwollende und tolerante Zustimmung verstehen, scheint Rawls' Begriff des Vernünftigen zu gehaltvoll zu sein, um eine akzeptable Normierung politischer Institutionen zu tragen. Wenn diese Intuition normativ plausibel ist - und nachstehend gehe ich davon aus, daß sie es ist -, dann gibt es normative Gründe, Rawls' Adressatenrestriktion zurückzuweisen. Entsprechend zeichnet sich ab, daß der normative Preis von Rawls' Versuch, seine Legitimitätsauffassung mit einem politischen Liberalismus zu vereinen, zu hoch ist. Ich lasse dabei mit Bedacht offen, (i) worauf sich diese normativen Gründe en detail belaufen, und (ii) von welchem Standpunkt diese Gründe gute Gründe sind. Rawls' Adressatenrestriktion scheint vor dem Hintergrund eines weiten Spektrums moralischer Standpunkte normativ unplausibel zu sein. Darauf kommt es hier an, und nicht darauf, in welcher Weise sie aus der Perspektive bestimmter Positionen unplausibel oder hinfällig ist. 155 VII. LEGITIMITÄT UND DISHARMONIEN PRAKTISCHER VERNUNFT 156 VII. LEGITIMITÄT UND DISHARMONIEN PRAKTISCHER VERNUNFT Im fünften Kapitel habe ich vertreten, daß Rawls' Suche nach einer Konzeption, die eines übergreifenden Konsenses fähig ist, dem Ziel folgt, Grundlagen einer legitimen Ausübung politischer Macht bereitzustellen. Rawls' Legitimitätsauffassung verlangt eine öffentliche Grundlage der Rechtfertigung politischer Macht, die nur durch eine kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbare Normierungstheorie bereitzustellen ist. Im sechsten Kapitel habe ich argumentiert, daß Rawls' metatheoretischer Rekurs auf die politische Tugend des Vernünftigen Ausdruck der Schwierigkeit ist, seine Legitimitätsauffassung mit dem Ansatz eines politischen Liberalismus zu vereinen. Meine Diagnose war, daß er aufgrund des Problems, daß seine Legitimitätsauffassung den Ansatz eines politischen Liberalismus ausschließt, den Kreis seiner Adressaten so einschränkt, daß er sowohl an einem Bezug auf kollektive, faktische und moralische Akzeptanz, als auch am Ansatz eines politischen Liberalismus festhalten kann. Ich werde in diesem abschließenden Kapitel - der dritten Runde meiner Auseinandersetzung - Grundlinien einer weitgehend internen Kritik dieses Manövers skizzieren. VII.1. Welchen Weg kann eine Kritik gehen? In meiner Rekonstruktion und Analyse habe ich eine Reihe von Schwierigkeiten von Rawls' Position herausgestellt, die sich - wie sich nun sagen läßt - insgesamt daraus ergeben, daß Rawls zum einen der Frage, welche moralisch- 157 politischen Auffassungen de facto vertreten werden, aus legitimitätstheoretischen Gründen entscheidendes Gewicht für das Thema der Theorienbildung für den Bereich des Politischen einräumt, zum anderen aber an einer liberalen Konzeption, die allein den Bereich des Politischen betrifft und ausschließlich Werte der politischen Tradition enthält, festhalten will. Die Frage, wie beides vereint werden soll, brachte Rawls' Adressatenrestriktion, und damit die substantielle politische Tugend der Vernünftigkeit auf den Plan. Daraus ergaben sich im letzten Abschnitt des vorangegangenen Kapitels normative Schwierigkeiten. Zwar gelingt es Rawls durch den Rekurs auf diese Tugend, auszuschließen, daß auch fanatische und fundamentalistische Positionen für die Frage der Theorienbildung entscheidendes Gewicht erlangen. Doch die problematische Kehrseite des Rekurses auf diese Tugend besteht darin, daß jeder moralische Standpunkt für die Frage der Theorienbildung irrelevant wird, der nicht mit Rawls' Tugend übereinstimmt. Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten habe ich vermutet, daß der normative Preis, den Rawls entrichtet, um seine Legitimitätsauffassung mit dem Ansatz eines politischen Liberalismus zu vereinen, zu hoch ist. Prima vista führt Rawls' Adressatenrestriktion zu einer inakzeptabel exklusiven Legitimitätsauffassung: es scheint seinerseits unvernünftig zu sein, unausgewiesen nur solche Zustimmung für legitimitätsrelevant zu erachten, die mit Rawls' Tugend übereinstimmt. Es ist exakt diese Intuition, die ich in diesem letzten Kapitel der vorliegenden Arbeit gegen Rawls' Adressatenrestriktion geltend machen will. Zu betonen ist, daß diese Intuition nicht auch dagegen gerichtet ist, daß Rawls überhaupt eine Adressatenrestriktion einführt. Sicher ist es ein erstrebenswerter Idealzustand, daß eine Theorie der Normierung politischer Institutionen aus der Perspektive eines jeden, der (i) überhaupt von der Geltung dieser Institutionen in irgendeiner Weise betroffen ist oder betroffen wäre, und (ii) der überhaupt befähigt ist, zu den institutionellen Bedingungen seines Lebens voluntativ Stellung zu nehmen, vollherzig bejaht wird. Insbesondere wäre es wünschenswert, erstens, wenn diese Bejahung sowohl in prudentieller, als auch in moralischer Hinsicht vollherzig wäre, und zweitens, wenn hier in einem Sinne von "Vollherzigkeit" gesprochen werden könnte, den Harry G. Frankfurt 158 diesem Ausdruck verliehen hat. In diesem Fall ginge es nicht nur um eine Bejahung, die den Wünschen einer Person entspricht, sondern um eine Bejahung, die im Lichte solcher Wünsche erfolgen kann, von denen eine Person wünscht, daß sie ihren Willen ausmachen. 124 Doch wie läßt sich ein derartiges Ideal in die Sphäre der Theorienbildung übersetzen, ohne irgendeine Adressatenrestriktion einzuführen? Muß der Theoretiker nicht wenigstens die Restriktion einführen, nur mit denen zu argumentieren, die überhaupt bereit sind, aus Gründen zu handeln, die auch aus der Perspektive der anderen gute Gründe sein könnten? Oder, noch schwächer: muß er nicht wenigstens einen Adressaten voraussetzen, der überhaupt bereit ist, praktische Konsequenz an den Tag zu legen? Und fließen hier nicht unweigerlich rationalitätstheoretische, und, mehr noch: sogar ethische Voraussetzungen ein? Und stehen nicht auch schon (i) und (ii) für eine Adressatenrestriktion, die das Ideal eines in bestimmter Weise reflektierten Lebens privilegiert? Vielleicht ist es unmöglich, eine praktische Theorie zu entwerfen, der keinerlei Adressatenkonzeption - implizit oder explizit - zugrunde liegt. Aber falls jeder praktischen Theorie implizit oder explizit eine solche Adressatenkonzeption zugrunde liegen muß, liegt jeder Theorie dieser Art auch eine Adressatenrestriktion zugrunde. Wir können erst dann vertreten, daß Rawls keinerlei Adressatenrestriktion einbauen sollte, wenn wir diese Fragen beantworten können. Aber wenn wir vertreten, daß Rawls nicht diese Adressatenrestriktion einbauen sollte, können wir diese Fragen offen lassen. Ich werde die vorhin angeführte Intuition hier nicht rechtfertigen. Vielmehr beabsichtige ich, einen Weg zu identifizieren, auf dem sie gegenüber Rawls geltend gemacht werden könnte. Läßt sich an dieser Stelle vom Standpunkt einer internen Kritik argumentieren, daß es auch aus der Perspektive von Rawls' Position gute Gründe gibt, die Adressatenrestriktion zu verwerfen? Oder sind wir hier auf eine externe Kritik verwiesen? Diesen Punkten müssen wir uns jetzt zuwenden. Ich beginne mit der Frage, ob sich Rawls nicht in eine In- 124 Vgl. Harry G. Frankfurt, "Freedom of the will and the concept of a person", in: ders., The importance of what we care about, Cambridge (Mass.) 1988.. 159 kohärenz verwickelt, wenn er unter einer inklusiven Legitimitätsauffassung ansetzt, um dann aber das Thema politischer Legitimität auf die Perspektive der politischen Tugend, vernünftig zu sein, zuzuschneiden. Kommt es zu einer Inkohärenz? Ja und Nein. Betrachten wir die folgenden Sätze: (1) Die Konzeption für den Bereich des Politischen K ist durch jeden Adressaten politischer Macht faktisch moralisch zustimmbar. (1') Es ist nicht der Fall, daß die Konzeption für den Bereich des Politischen K durch jeden Adressaten politischer Macht faktisch moralisch zustimmbar ist. (2)Die Konzeption für den Bereich des Politischen K ist durch jeden vernünftigen Adressaten politischer Macht faktisch moralisch zustimmbar.125 Im Aufriß impliziert Rawls' Legitimitätsauffassung, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen nur dann eine Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht darstellt, wenn für diese Konzeption (1) wahr ist. Doch für GF ist (1') wahr. Da Rawls nun einerseits davon ausgeht, daß GF die Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht bereitstellt, doch zum anderen die Existenz "unvernünftiger" Lehren zugibt,126 scheint er (1) und (1') zu implizieren. Dann aber käme es zu einer Inkohärenz. Doch Rawls' Adressatenrestriktion wirkt sich so aus, daß er (1) zuletzt im Lichte von (2) versteht. Auf ihrer Grundlage ist (2) nicht etwa eine Einschränkung von (1), sondern (1) ist elliptisch für (2). Deshalb kann Rawls die Existenz "unvernünftiger" Lehren 125 In (2) verweist "vernünftig" auf Rawls' Tugend. Weiterhin ist anzufügen, daß der Ausdruck "alle Adressaten politischer Macht" in (1) und (1') auf jeden zielt, der unter den durch K begründeten Institutionen lebt oder leben würde. Entsprechend verweist "alle vernünftigen Adressaten politischer Macht" in (2) auf jeden, der unter diesen Institutionen lebt oder leben würde und im Rawls'schen Sinne vernünftig ist. 126 Vgl. II.1. Rawls schrieb: "[A] society may also contain unreasonable and irrational, and even mad, comprehensive doctrines" (PL xvif.). 160 zugestehen, ohne (1') zu implizieren. Dann aber käme es nicht zu einer Inkohärenz. Wenn wir uns an der inklusiven Ausrichtung von Rawls' Legitimitätsauffassung orientieren, dann erreichen wir hier den Ausgangsort einer effektiven internen Kritik. Ihre inklusive Ausrichtung wird durch die Adressatenrestriktion verletzt; doch fehlt letztere, so kann ein politischer Liberalismus unter Rawls' eigenen Voraussetzungen nicht als Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht dienen. Daher wäre Rawls vor die weiter oben angesprochene Trilemma gestellt: entweder er verwirft oder modifiziert seine Legitimitätsauffassung, oder er verwirft oder modifiziert GF, oder er verwirft oder modifiziert beides.127 Doch wenn wir die inklusive Komponente von Rawls' Legitimitätsauffassung im Lichte der Adressatenrestriktion elliptisch verstehen, dann läßt sich nicht in dieser Weise vorgehen. Nun verlangen die Anforderungen wohlwollenden Interpretierens, daß wir Rawls' Position so verstehen, daß sie Schwierigkeiten wie Inkohärenzen und trilemmatischen Konsequenzen weitestmöglich entgeht. Aber wäre es dann nicht die wohlwollendste Reaktion, die inklusive Komponente von Rawls' Legitimitätsauffassung elliptisch zu interpretieren? Für eine interne Auseinandersetzung hieße das, daß sie ein restriktive Interpretation von Rawls' Legitimitätsauffassung voraussetzen muß. Die Konsequenz wäre, daß sich die Adressatenrestriktion nicht mehr vor dem Hintergrund seiner Legitimitätsauffassung angehen läßt. Wir hätten dann nicht einerseits Rawls' Legitimitätsauffassung und andererseits die Adressatenrestriktion, sondern nur noch eine restriktive Legitimitätsauffassung.128 Aber wie ließe sich die Adresatenrestriktion dann angreifen? Eine Möglichkeit bestünde in einer vernunftstheoretischen Kritik. Angenommen dann, wir setzen Rawls restriktiv verstandene Legitimitätsauffassung voraus, aber argumentieren, daß es unver- 127 Vgl. VI.1.f. 128 Anders gesagt: in diesem Fall betrachten wir Rawls' Legitimitätsauffassung im Lichte der Durchführung des metatheoretischen Arguments zugunsten einer politischen Konzeption. 161 nünftig ist, nur solche Zustimmung für legitimitätsrelevant zu erachten, die im Sinne von Rawls' politischer Tugend vernünftig ist. Dann müßte diese Kritik entweder zeigen, (i) daß Rawls' Adressatenrestriktion aus der Perspektive der politischen Tugend der Vernünftigkeit unvernünftig ist, oder sie müßte (ii) eine anderen Begriff des Vernünftigen voraussetzen. Im ersten Fall wäre die Kritik wohlwollend und intern, im zweiten Falle zwar wohlwollend, aber extern. Eine interne Kritik wäre daher idealiter auf (i) verwiesen. Eine kurze Anmerkung zu (i) ist angebracht. Bislang habe ich argumentiert, daß Rawls aufgrund des legitimitätstheoretischen Problems, wie er trotz eines Bezugs auf kollektive, faktische und moralische Zustimmung an GF festhalten könnte, auf der Seite legitimitätsrelevanter Zustimmung die politische Tugend der Vernünftigkeit ins Spiel bringt. Unter diesem Manöver geht es auf der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht nicht um eine Konzeption, die aus der Perspektive eines jeden faktisch moralisch zustimmbar ist, sondern um eine Konzeption, die aus der Perspektive von Rawls' politischer Tugend faktisch moralisch zustimmbar ist. Aber das impliziert nicht, daß Rawls' restriktive Legitimitätsauffassung aus der Perspektive dieser Tugend moralisch zustimmbar ist. Eine Kritik auf der Linie von (i) würde versuchen, den Nachweis zu führen, daß die Träger dieser Tugend trotz ihrer Bereitschaft, einen politischen Liberalismus zu akzeptieren, die Auffassung verwerfen, daß allein ihre Zustimmung legitimitätsrelevant ist. Weiter unten werde ich eine verwandte Kritik vorschlagen. Nun treffen wir hier jedoch auf das Problem, daß diejenigen Aspekte von Rawls' Begriff des Vernünftigen, die sich - möglicherweise - zugunsten von (i) aufgreifen ließen, ebenso wie Rawls' Legitimitätsauffassung einer inklusivexklusiv-Ambivalenz unterliegen. Ich werde diesen Punkt jetzt nicht in aller Ausführlichkeit erläutern, da dies den Gang der Darstellungen unfruchtbar verkomplizieren müßte. Ein repräsentatives Beispiel muß genügen. Rawls schreibt: 162 Reasonable persons, we say, are not moved by the general good as such but desire for its own sake a social world in which they, as free and equal, can cooperate with others on terms all can accept. (50) Verstehen wir "all" im Lichte von (1), so wäre Rawls' selbstzweckhafter Wunsch vernünftiger Personen offenbar unvereinbar damit, daß politische Institutionen auf der Grundlage eines politischen Liberalismus normiert werden. Doch wenn wir "all" im Lichte von (2) verstehen, wird dieses Problem getilgt. Es ginge nicht mehr um Institutionen, die von allen akzeptiert werden können, sondern um Institutionen, die durch vernünftige Personen akzeptiert werden können. Auch hier wäre der Bezug auf "alle" ellpitisch für einen Bezug auf jene, die im Sinne von Rawls' politischer Tugend vernünftig sind. Wo auch immer man im analytischen Kontext von Rawls' Begriff des Vernünftigen ansetzt: nirgends findet sich zureichend klarer und deutlicher Grund, auf dem entweder eindeutig wäre, daß die Adressatenrestriktion mit seinem Begriff des Vernünftigen unproblematisch vereinbar ist, oder auf dem eindeutig wäre, daß die Adressatenrestriktion mit seinem Begriff des Vernünftigen unvereinbar ist. Und das heißt, daß Rawls viel zu vage argumentiert, um über den Versuch, die Adressatenrestriktion auf der Grundlage seines Begriffs des Vernünftigen zu kritisieren, etwas Festes zu gewinnen. Aber folgt dann nicht, daß sich an dieser Stelle nur noch extern kritisieren läßt? Wenn eine wohlwollende Interpretation auch mit Blick auf Rawls' Begriff des Vernünftigen verlangt, inklusive Aspekte elliptisch zu interpretieren, dann scheint sich diese Konsequenz abzuzeichnen. Die Intuition, daß es unvernünftig ist, unausgewiesen ausschließlich im Rawls'schen Sinne vernünftige Zustimmung für legitimitätsrelevant zu erachten, wäre daher auf einen externen Begriff des Vernünftigen verwiesen. Natürlich könnten wir uns gerade Rawls' vernunftstheoretische Vagheiten in kritischer Absicht zunutze machen. Doch hier bliebe das Problem, daß die Auslegung dieser Vagheiten weniger durch die Maximen wohlwollenden Interpretierens, als vielmehr durch wie immer auch gute, doch vermutlich externe normative Gründe regiert würde. Wir müssen ebenfalls sehen, daß wir Rawls 163 an dieser Stelle nicht über seine Selbsteinschätzung als Liberaler kritisieren können. Henry S. Richardson hat argumentiert, daß jede liberale Konzeption mit dem Problem fertig werden muß, nicht nur liberale Ergebnisse zu erzielen, sondern auch liberale Voraussetzungen zu machen.129 Und, so möchte man anfügen, Rawls' tugendethische Voraussetzungen sind zu exklusiv, um noch liberal heißen zu können. Doch so läßt sich an dieser Stelle nicht verfahren, solange intern intern kritisiert werden soll. Rawls gelangt zu liberalen Ergebnissen: und dies im inhaltlichen Sinne des Ausdrucks "liberal". Zugleich entspricht seine Position dem rechtfertigungs- oder legitimitätstheoretischen Begriff des Liberalismus.130 Aber diese zweite Auffassung der Liberalität tritt hier in Verbindung mit einer Adressatenrestriktion auf; derart, daß diese aus Gründen des Wohlwollens als in jene eingeschrieben betrachtet werden muß. Daher müßten wir hier zuerst von außen - und damit extern - eine bestimmte Auffassung darüber, welche Adressatenrestriktion - wenn überhaupt eine - mit dem rechtfertigungs- oder legitimitätstheoretischen Begriff des Liberalismus verknüpft werden sollte, an Rawls herantragen, wenn wir ihn in einen Widerspruch gegenüber dieser zweiten Auffassung des Liberalismus verwickeln wollen. Ich komme daher zu dem pessimistischen Ergebnis, daß sich die weiter oben angesprochene Intuition in keiner klaren Weise sowohl weitestgehend wohlwollend, als auch vollständig intern geltend machen läßt. Aber auch, wenn wir an dieser Stelle keine vollständig interne Kritik erreichen können, bleibt doch die Möglichkeit einer weitgehend internen Kritik. Daher werde ich jetzt den Ansatz einer Überlegung vorschlagen, die sowohl der Intuition, daß Rawls' Adressatenrestriktion in bestimmten Hinsichten unvernünftig ist, Geltung verschaffen kann, als auch Rawls in zwei wesentlichen Hinsichten entgegenkommt. Zum einen in der Hinsicht seiner legitimitätstheoretischen Position. Ich 129 Vgl. Richardson (1990). 130 Vgl. V.1.. 164 werde voraussetzen, daß eine Normierungstheorie der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht kollektive, faktische und moralische, aber vernünftige Zustimmung für sich haben muß. Zum anderen in der Hinsicht, daß sie die inklusiven Komponenten von Rawls' Ansatz unterstützt. Wir dürfen hier nicht einfach darüber hinwegsehen, daß sich die inklusiv-exklusiv-Ambivalenz an so vielen Stellen seiner Überlegungen reproduziert. VII.2. Welcher Begriff des Vernünftigen? Meine Überlegung geht von der expliziten Stellung einer Frage aus, die Rawls unterschlägt, die jedoch für seine Perspektive der Theorienbildung für den Bereich des Politischen einiges Gewicht haben müßte. Rawls setzt auf der metatheoretischen Ebene einen bestimmten Begriff des Vernünftigen voraus, ohne zu fragen, welcher Begriff des Vernünftigen auf dieser Ebene vorausgesetzt werden sollte. Doch wenn diese Frage einmal gestellt wird, müßte Rawls Gründe für den Rekurs auf die politische Tugend des Vernünftigen vorbringen. Und diese Gründe müßten ausreichendes Gewicht besitzen, um die normative Unplausibilität der Entscheidung, ausschließlich im Sinne der Rawls'schen Tugend vernünftige Zustimmung für legitimitätsrelevant zu erachten, aufzuwiegen. Doch derartige Gründe besitzt Rawls nicht. Wir haben gesehen, daß Rawls' Legitimitätsauffassung darauf verweist, eine Konzeption für den Bereich des Politischen an eine moralisch-politische Kompetenz auf der Seiten der Adressaten politischer Macht anzuschließen.131 131 Vgl. V.2. und den Exkurs zum politischen Liberalismus in V.3. In diesem Kontext habe ich vertreten, daß Rawls' Perspektive auf die Frage der Theorienbildung für den Bereich des Politischen einen für den politischen Liberalismus typischen rekonstruktiven Aspekt aufweist. Erstens setzen politische Liberale auf metatheoretischer Ebene eine Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten voraus, die den Entwurf ihrer Ansätze bestimmt. Zumindest an dieser Stelle versuchen sie, an eine vorgegebene moralisch-politische Kompetenz auf der Seite der Adressaten politischer Macht anzuknüpfen. Zwei- 165 Mit Rawls' Adressatenrestriktion geht ist hier zuletzt um die moralischpolitische Kompetenz vernünftiger Personen. Entsprechend beruhte das metatheoretische Argument auf der Überlegung, daß eine Theorie der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht kollektive, faktische und moralische, aber vernünftige Zustimmung für sich haben muß; der Ausdruck "vernünftig" ist dabei im Sinne der Rawls'schen Tugend zu verstehen. Nun impliziert der Übergang von einem Fokus auf kollektive, faktische und moralische Zustimmung zu einem Fokus auf im Rawls'schen Sinne vernünftige Zustimmung zweierlei. Erstens eine Einschränkung des Bereichs legitimitätsrelevanter Zustimmung auf den Bereich vernünftiger Zustimmung. Zweitens eine Entscheidung für einen bestimmten Begriff des Vernünftigen. Der Punkt ist jetzt, daß wir, wenn wir die erste Einschränkung zugestehen, immer noch logischen Raum für die Frage haben, welcher Begriff des Vernünftigen ins Spiel kommen sollte. Wir haben diesen Raum, da es unterschiedliche Anwärter für eine Interpretation dieses Begriffs geben kann und gibt. Oder, in einer etwas anderen Terminologie: da es unterschiedliche Konzeptionen des Konzepts praktischer Vernunft geben kann und gibt. Wer bejaht, daß es auf der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht um einen Ansatz gehen muß, der kollektive, faktische und moralische, aber vernünftige Zustimmung für sich hat, der akzeptiert, daß ein bestimmter Begriff des Vernünftigen auf der Ebene der Theorienbildung für den Bereich des Politischen vorauszusetzen ist. Aber er hat noch nicht entschieden, welcher Begriff auf dieser Ebene ins Spiel zu bringen ist. A fortiori hat er nicht entschieden, daß Rawls' Begriff vorausgesetzt werden sollte. Vielleicht sollte ich erklärend hinzufügen, daß ich hier zwischen der Struktur und der spezifischen Ausgestaltung von Rawls' Perspektive auf die Thematik der Theorienbildung und seinem metatheoretischem Argument unterscheide. Rawls vertritt eine Perspektive auf die Frage der Theorienbildung, die tens müssen sie zumindest hinsichtlich dieser Unterscheidung eine theorienexterne Perspektive auf faktische moralische Nichtzustimmung einnehmen. 166 vorschreibt, (i) daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen an eine moralisch-politische Kompetenz auf Seiten der Adressaten politischer Macht anknüpfen sollte. Und er vertritt die Position, (ii) daß diese Kompetenz in der Vernünftigkeit der Bürger liegt. Auf der Seite des metatheoretischen Arguments heißt das, (iii) daß Rawls für den Begriff der vernünftigen Zustimmung einen Begriff des Vernünftigen voraussetzt, der aus der empirisch vorgegebenen moralisch-politischen Kompetenz der Bürger zu gewinnen ist. Doch die Punkte (i), (ii) und (iii) lassen offen, um welchen Begriff es geht. Sie determinieren lediglich, daß ein Begriff ins Spiel kommen muß, der aus der moralisch-politischen Kompetenz der Bürger zu gewinnen ist. Aber hier bleibt einiger Spielraum; also bleibt die Frage, welcher Begriff einzubringen ist. Rawls' Begriff läßt sich daher als eine der möglichen Instanzen einer spezifischen Ausgestaltungen der damit angesprochenen Struktur verstehen. Aber sollten wir diese Struktur in dieser problematischen Weise ausgestalten? So könnte beispielsweise alternativ vertreten werden, daß ein Begriff des Vernünftigen eingebracht werden sollte, nach dem x genau dann vernünftig ist, wenn er willens und fähig ist, konsistent moralisch zu urteilen. Oder es könnte ein Begriff des Vernünftigen vorgebracht werden, nach dem x, wenn er vernünftig ist, durchgängig darum bemüht ist, den Gesamtnutzen zu maximieren. Im ersten Fall müßte eine Normierungstheorie der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht für alle Bürger, die willens und fähig sind, konsistent moralisch zu urteilen, faktisch moralisch zustimmbar sein. Im zweiten Fall müßte sie für alle Bürger zustimmbar sein, die den Anforderungen der Maximierung des Gesamtnutzens Folge leisten. Prima facie kämen wir über diese Wege nicht bei einem im Rawls'schen Sinne politischen Liberalismus heraus. Es ist offen, ob x, wenn er konsistent moralisch urteilt, solche moralischen Meinungen erreicht, in deren Lichte eine inhaltlich-liberale Konzeption, die allein den Bereich des Politischen betrifft und ausschließlich Werte der politischen Tradition enthält, moralisch zustimmbar ist. Ebenfalls ist offen, ob die Akzeptanz eines politischen Liberalismus mit den Anforderungen der Maximierung des Gesamtnutzens vereinbar ist. 167 Rawls unterschlägt die Frage, welcher Begriff auf metatheoretisch Ebene gewählt werden sollte. Wenn sich hier irgendein Grund abzeichnet, so lediglich dieser, daß sein politischer Begriff den Ansatz eines politischen Liberalismus unterstützt. Aber damit wird die Sache auf den Kopf gestellt: Rawls paßt seine metatheoretischen Voraussetzungen gerade dem Ansatz an, dessen Akzeptabilität er abgesichert sehen will. Und so läßt sich hier nicht verfahren. Wir benötigen hier ein von innertheoretischen Präferenzen unabhängiges Argument, das zeigt, welcher Begriff einzubringen ist. Wir müssen sehen, welches Argument Rawls an dieser Stelle nicht nachtragen könnte: (1) Auf metatheoretischer Ebene sollte kein Begriff des Vernünftigen gewählt werden, der Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten ist. (2) Nicht-politische Begriffe des Vernünftigen sind Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten. (3) Nur ein politischer Begriff des Vernünftigen ist nicht Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten. (4) Also sollte auf metatheoretischer Ebene ein politischer Begriff des Vernünftigen gewählt werden. Dieses Argument wäre entweder zirkulär oder inkohärent. Spätestens in der Prämisse (2) muß ein spezifischer Begriff des Vernünftigen vorausgesetzt werden: nur so läßt sich vertreten, daß irgendetwas Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten ist. Aber handelt es sich um einen politischen Begriff? Dann nimmt (2) die Konklusion (4) vorweg: das Argument wäre zirkulär. Handelt es sich dann um einen nicht-politischen Begriff? Dann wäre das Argument inkohärent. Da er nach (2) vernünftigerweise bestritten werden könnte, kommt es zu einer Inkohärenz mit (1) und (4). Daß sich ein derartiges Argument nicht führen ließe, liegt auf der Hand. Gleichwohl ist dieser Punkt instruktiv. Die Antwort darauf, welcher Begriff des Vernünftigen auf metatheoretischer Ebene 168 gewählt werden sollte, betrifft nicht allein die Frage, welche Art der Zustimmung legitimitätsrelevant ist. Zugleich ist sie konstitutiv für die Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten. Daraus folgt, (i) daß der Versuch, eine Antwort zu finden, sich nicht mehr am Ziel der Vermeidung vernünftiger Meinungsverschiedenheiten orientieren kann. Erst das Ergebnis dieser Antwort legt fest, welche Meinungsverschiedenheiten vernünftige sind. Zugleich folgt, (ii) daß keine Antwort auf diese Frage mit dem bloßen Hinweis kritisiert werden kann, daß sie selbst, oder die theoretischen Mittel, die veranschlagt wurden, um sie zu erreichen, Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten sei. Erst muß entschieden werden, welcher Begriff des Vernünftigen metatheoretisch vorauszusetzen ist. Dann erst läßt sich entscheiden, wann Meinungsverschiedenheiten vernünftige sind. Daher müßte die Kritik aus der vernünftigen Meinungsverschiedenheit ihrerseits einen Begriff des Vernünftigen voraussetzen. Dann aber müßte sie die Gründe vortragen, die gegen den angegriffenen, und für den auf ihrer Seite angelegten Begriff des Vernünftigen sprechen. Das heißt auch, daß der Versuch der Beantwortung der Frage, welcher Begriff des Vernünftigen vorausgesetzt werden sollte, von den Anforderungen einer Rawls'schen Methode der Vermeidung entlastet ist - wenn diese vorschreibt, zu vermeiden, was Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten ist. Die Punkte (i) und (ii) machen deutlich, daß wir uns hier auf der Ebene einer Fragestellung befinden, die nicht nur den argumentativen Horizont der Rawls'schen Überlegungen, sondern zugleich den des politischen Liberalismus hinter sich gelassen hat. Politische Liberale setzen zum Zwecke der Theorienbildung eine bestimmte Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten voraus. Doch jetzt geht es um die Frage nach einem Begriff, auf dessen Grundlage erst noch festzulegen ist, in welcher Weise hier zu unterscheiden ist. Politische Liberale machen die Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten nicht ihrerseits zur Sache normativer Begründung, sondern versuchen, sie einer empirisch vorgegebenen politischen Moralität zu entnehmen. Doch warum gehen sie diesen Weg und nicht den einer Begründung? Die einzige Antwort scheint zu 169 sein, daß sie befürchten, daß der Versuch einer für alle Bürger verbindlichen normativen Begründung eines Kriteriums dieser Unterscheidung entweder scheitern muß oder selbst vernünftigen Meinungsverschiedenheiten verfallen müßte.132 Wenn das richtig ist, dann hieße das erstens, daß politische Liberale Vorbehalte der "Neutralität" auch noch auf der Ebene der Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten ansetzen. Aber bleibt dann irgendeine andere Möglichkeit, diese Unterscheidung anders, als über eine zuletzt argumentativ arbiträren Privilegierung bestimmter moralisch-politischer Auffassungen zu etablieren? Wenn so, dann beruhen politische Liberalismen auf einer letztlich dogmatischen Setzung.133 Zweitens hieße es, daß dieser Dogmatismus einem Fehler aufruhen müßte. Wenn sich Vorbehalte der "Neutralität" im allgemeinsten Verstande darauf beziehen, eine Normierungstheorie nicht mit dem anzureichern, was Gegenstand vernünftiger Meinungsverschiedenheiten ist, so muß die Antwort auf die Frage, was diesen Vorbehalten zu unterstellen sei, eine Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten voraussetzen. Daher kann diese Unterscheidung nicht selbst Neutralitätsvorbehalten unterstellt werden. Erst nach der Entscheidung für einen bestimmten Begriff des Vernünftigen läßt sich zwischen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten unterscheiden. Entsprechend wäre die Anwendung dieser Unterscheidung auf der Ebene der Frage, welcher Begriff gewählt werden sollte, zirkulär. Wenn eine Antwort auf diese Frage überhaupt formuliert und ausgewiesen werden kann, dann lassen sich Versuche ihrer Beantwortung weder über den Verweis auf vernünftige Meinungsverschiedenheiten, noch aus Gründen der "Neutralität" angreifen Wenn wir nun aber zugestehen, daß es auf der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht um eine kollektiv, faktisch und moralisch, aber vernünftig zustimmbare Normierungstheorie gehen muß, so legt die Entscheidung 132 Vgl. z.B. Rortys Überlegungen in Rorty (1988), 98f., 101ff. 170 für einen bestimmten Begriff des Vernünftigen fest, welchen normativen Anforderungen faktische Zustimmung oder Nichtzustimmung genügen muß, um legitimitätsrelevant zu sein. Damit bestimmt sie den Standpunkt, von dem aus eine Konzeption für den Bereich des Politischen faktisch zustimmbar sein muß. Zugleich legt sie die normativen Grenzen fest, in denen sich eine Konzeption für den Bereich des Politischen zu befinden hat.134 Mit der Unterscheidung zwischen der Struktur und der spezifischen Ausgestaltung des metatheoretischen Arguments wäre hier genauer zu sagen, daß die Entscheidung für einen bestimmten Begriff des Vernünftigennicht festlegt, (i) daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen sich in normativen Grenzen bestimmter Art befinden muß, sondern (ii) in welchen Grenzen dieser Art sie sich befinden muß. Punkt (i) liegt bereits darin, daß es überhaupt um vernünftige Zustimmung und nicht etwa um prudentielle - gehen muß. Doch erst Punkt (ii) legt das Kriterium fest, auf dessen Grundlage entschieden wird, welche Zustimmung als "vernünftige Zustimmung" gewertet werden soll. Mit (ii) wird unter allen verfügbaren Anwärtern der Deutung von "vernünftige Zustimmung" ein bestimmter ausgewählt. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, welcher Begriff des Vernünftigen gewählt werden sollte, offensichtlich wesentlich für die Thematik der Theorienbildung für den Bereich des Politischen. Um so schwerer scheint es zu wiegen, wenn Rawls diese Frage einfach unterschlägt, und einen Begriff einbringt, der gerade die innertheoretische Position stützt, an der er festhalten will. 133 Vgl. Campos' Dogmatismusvorwurf in Campos (1994), 1821-27. 134 Mit der Unterscheidung zwischen der Struktur und der spezifischen Ausgestaltung des metatheoretischen Arguments wäre hier genauer zu sagen, daß die Entscheidung für einen bestimmten Begriff nicht festlegt, (i) daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen sich in normativen Grenzen bestimmter Art befinden muß, sondern (ii) in welchen Grenzen dieser Art sie sich befinden muß. Punkt (i) liegt bereits darin, daß es überhaupt um vernünftige Zustimmung - und nicht etwa um prudentielle - gehen muß. Doch erst Punkt (ii) legt das Kriterium fest, auf dessen Grundlage entschieden wird, welche Zustimmung als "vernünftige Zustimmung" gewertet werden soll. Mit (ii) wird unter allen verfügbaren Anwärtern der Deutung von "vernünftige Zustimmung" ein bestimmter ausgewählt. 171 VII.3. Eine Erweiterung der Struktur politischer Legitimität Wichtig ist jetzt, daß bereits die bloße Anerkennung der legitimitätstheoretischen Relevanz der Frage, welcher Begriff des Vernünftigen auf metatheoretischer Ebene vorausgesetzt werden sollte, zu einer Erweiterung der von Rawls angesetzten Struktur politischer Legitimität führt, die ihrerseits mit sich bringt, daß Rawls' Adressatenrestriktion aufgehoben wird. Genauer gesagt heißt das, daß den Nachweisen der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht ein Argumentationsschritt beigefügt werden muß, in dem zu zeigen ist, im Lichte welchen Begriffs des Vernünftigen eine Normierungstheorie der dritten Ebene vernünftig zustimmbar sein muß. Unter dieser Erweiterung ließe sich die These, daß ausschließlich im Rawls'schen Sinne vernünftige Zustimmung legitimitätsrelevant ist, nicht mehr als Adressatenrestriktion verstehen; sie hätte maximal den Status eines Rechtfertigungsziels. Dies läßt sich wie folgt erläutern. Angenommen, x und y bejahen LPL.135 Doch x bejaht und y bestreitet, daß x'ens Akt der Ausübung politischer Macht A die Anforderungen politischer Legitimität erfüllt. Angenommen schließlich, x will den y davon überzeugen, daß A die Anforderungen politischer Legitimität erfüllt. Unter diesen Voraussetzungen müßte es zunächst zu einem Rechtfertigungsablauf der folgenden Art kommen. Zuerst muß x zeigen, (i) daß A mit den Verfassungsgrundsätzen V1, V2, ..., Vn übereinstimmt. Dieser Nachweis ist der ersten Rechtfertigungsebene po- 135 In der vereinfachten Formulierung lautete LPL: Akte der Ausübung politische Macht sind legitim genau dann, wenn sie (i) mit einer Verfassung übereinstimmen, deren wesentliche Inhalte (ii) moralischen Prinzipien entsprechen, für die vernünftige Zustimmung vernünftigerweise erwartet werden kann. Dabei verwies der Topos "Prinzipien, für die vernünftige Zustimmung vernünftigerweise erwartet werden kann" auf eine Normierungstheorie, in deren Rahmen bestimmte Prinzipien als solche ausgewiesen werden, die unter diesen Topos fallen. 172 litischer Macht zuzuordnen. Doch A kann mit den Vi übereinstimmen, ohne daß y zugestehen muß, daß A legitim ist. Daher muß x im nächsten Schritt zeigen, (ii) daß die Vi durch die moralischen Prinzipien P1, P2, ..., Pn gerechtfertigt werden können.136 Damit befinden wir uns auf der zweiten Rechtfertigungsebene politischer Macht. Doch die Verfassungsgrundsätze der ersten Ebene können durch die Prinzipien der zweiten Ebene gerechtfertigt werden, ohne daß y zugestehen muß, daß A die Anforderungen politischer Legitimität erfüllt. Damit gelangen wir auf die dritte Rechtfertigungsebene politischer Macht. Auf dieser Ebene muß x zeigen, (iii) daß die Pi durch eine Normierungstheorie - nennen wir sie "Theorie T" - als diejenigen Prinzipien ausgewiesen werden können, für die "vernünftige Zustimmung vernünftigerweise erwartet werden kann".137 Doch auch hier noch könnte y zugestehen, daß die Pi durch T als Prinzipien dieser Art ausgewiesen werden können, ohne die Konsequenz ziehen zu müssen, daß A legitim ist. Vielleicht ist y nicht Anhänger von T, sondern Anhänger der mit T unvereinbaren Normierungstheorie U. Und im Lichte U's wären die Pi gerade nicht solche Prinzipien, für die "vernünftige Zustimmung vernünftigerweise erwartet werden kann". Daher müßte x schließlich zeigen, (iv) daß T (im Gegensatz zu U) den Charakter einer öffentlichen Rechtfertigungsgrundlage hat. Die Schritte (iii) und (iv) machen zusammen die Rechtfertigungsleistung aus, die x auf der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht erbringen muß. Und erst, wenn er den Weg von (i) nach (iv) erfolgreich durchlaufen hat, kann er gegenüber y geltend machen, daß A legitim Zudem mußte diese Normierungstheorie den Charakter einer öffentlichen Rechtfertigungsgrundlage haben. 136 Auf der Seite von Rawls' Position haben wir auf dieser Ebene seine zwei Gerechtigkeitsgrundsätze. Sie sind moralische Prinzipien, in deren Lichte Verfassungsgrundsätze begründbar sein sollen, die ihrerseits durch Akte der Ausübung politischer Macht eingehalten werden müssen. 173 ist. Erst jetzt müßte y, wenn er LPL bejaht, auch zugeben, daß A die Anforderungen politischer Legitimität erfüllt. Konzentrieren wir uns jetzt auf den Fall, daß y T verwirft. Wie will x in diesem Fall die Rechtfertigungsleistung der dritten Rechtfertigungsebene erbringen? Vielleicht kann x zeigen, daß A mit den entsprechenden Zwischenschritten im Rekurs auf T gerechtfertigt werden kann. Doch wie will er zeigen, daß T eine öffentliche Rechtfertigungsgrundlage ist? T ist erst dann eine in diesem Sinne öffentliche Rechtfertigungsgrundlage, wenn T kollektive, faktische und moralische Zustimmung für sich hat. Aber da y T verwirft, wäre T gerade nicht in diesem Sinne öffentlich. Es ist genau diese Stelle, an der Rawls' Adressatenrestriktion ihre Arbeit verrichtet. Durch sie schränkt Rawls den Bereich legitimitätsrelevanter Zustimmung auf den Bereich vernünftiger Zustimmung ein, und unterlegt für die Deutung des Topos "vernünftige Zustimmung" seinen politischen Begriff des Vernünftigen. Dieses Manöver läuft darauf hinaus, daß y erst dann Adressat des Nachweises ist, daß A die Anforderungen politischer Legitimität erfüllt, wenn y im Sinne von Rawls' politischer Tugend vernünftig ist. Daraus ergibt sich folgendes. Wenn x zeigen kann, daß T vom Standpunkt dieser Tugend zustimmbar ist, aber y T verwirft, so erweist sich y als unvernünftig.138 In diesem Fall stellt sich nachträglich heraus, daß y von vornherein nicht Adressat des Nachweises war, daß A legitim ist. Daher hätte x - unter Voraussetzung der Adressatenrestriktion - keinen Grund mehr, aufgrund der Tatsache, daß y T verwirft, die Konsequenz zu ziehen, daß T keine öffentliche Rechtfertigungsgrundlage bereitstellt. Oder, korrespondierend, er hätte keinen Grund mehr, an- 137 Auf Rawls' Seite kommt hier GF ins Spiel: GF ist eine Theorie, die Rawls' Gerechtigkeitsgrundsätze als solche Prinzipien ausweisen können soll, für die vernünftige Zustimmung vernünftigerweise erwartet werden kann. 138 Dies ließ sich in VI.3. mit dem Beispiel einer Position verdeutlichen, die mit grundlegenden liberalen Einstellungen wie die der Unparteilichkeit, des Wohlwollens und der Toleranz verträglich ist, doch nicht auch damit, daß politische Macht ausschließlich auf der Grundlage der Werte der politischen Tradition ausgeübt werden sollte. 174 zunehmen, daß A nicht legitim ist. Gerade das heißt, daß y's Standpunkt legitimitätstheoretisch neutralisiert würde.139 Wie wirkt sich vor diesem Hintergrund die Frage aus, welcher Begriff des Vernünftigen metatheoretisch vorausgesetzt werden sollte? Wenn die Relevanz dieser Frage einmal anerkannt wird, so muß gesondert gerechtfertigt werden, im Lichte welchen Begriffs eine Normierungstheorie der dritten Ebene kollektiv, faktisch und moralisch, aber vernünftig zustimmbar sein soll. Dementsprechend müßte die Reihenfolge der Schritte (i) - (iv) um mindestens einen Schritt erweitert werden. Mit dem Zugeständnis, daß eine Theorie der dritten Rechtfertigungsebene kollektive, faktische und moralische, aber vernünftige Zustimmung für sich haben muß, ließe sich (iv) nach wie vor auf den Nachweis beziehen, daß T vom Standpunkt eines bestimmten Begriffs des Vernünftigen zustimmbar ist. Doch unter der Frage, welcher Begriff vorausgesetzt werden sollte, müßte x nun zusätzlich zeigen, (v) daß gerade der Begriff des Vernünftigen vorausgesetzt werden sollte, den er in (iv) implizit oder explizit voraussetzte, um zu vertreten, daß T kollektiv, faktisch und moralisch, aber vernünftig zustimmbar ist. Erst, wenn es gute Gründe gibt, daß dieser Begriff auch vorausgesetzt werden sollte, müßte y zugestehen, daß x'ens Akt der Ausübung politischer Macht A legitim ist. Aber das heißt auch, daß nicht gezeigt ist, daß A legitim ist, wenn x keine guten Gründe zugunsten dieses Begriffs, oder y bessere Gründe gegen diesen Begriff vorzubringen kann. Die relevante Konsequenz ist hier, daß die skizzierte Erweiterung der Struktur politischer Legitimität Rawls' Adressatenrestriktion aufhebt. Zwar könnte x vertreten, daß eine Normierungstheorie der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht kollektiv, faktisch und moralisch, aber im Sinne von Rawls' politischer Tugend vernünftig zustimmbar sein muß. Doch diese These wäre nicht mehr als Formulierung einer Adressatenrestriktion, sondern als Formulierung eines Rechtfertigungsziels zu verstehen. Am Ende des letzten 139 Wie wir in VI.3. exemplarisch gesehen haben, wäre es an dieser Stelle irrelevant, aus welchen Gründen y T verwirft. 175 Abschnitts ließ sich das Gewicht einer Entscheidung für die metatheoretische Importation eines bestimmten Begriffs des Vernünftigen unter anderem dadurch beschreiben, daß sie den normativen Standpunkt festlegt, von dem aus eine Normierungstheorie für den Bereich des Politischen faktisch zustimmbar sein muß. Allem Anschein nach müßte eine Begründung dieser Festlegung dann die Form einer moralischen Begründung derjenigen moralisch-politischen Auffassungen haben, die diesen Standpunkt konstituieren, und in deren Lichte die Bürger eines demokratischen Staates eine Konzeption für den Bereich des Politischen beurteilen sollten.140 Auf der Seite der Rawls'schen Position hieße das, daß es an dieser Stelle zu einer moralischen Begründung der politischen Tugend, vernünftig zu sein, kommen müßte. Wenn das richtig ist, dann muß x auf der Ebene des Rechtfertigungsschritts (v) gegenüber y moralisch begründen, daß y den Standpunkt dieser Tugend einnehmen sollte. Erst, wenn x diese Begründung ableisten kann - wenn er diese Tugend gegenüber y rechtfertigen kann - könnte x zu Recht vertreten, daß sein Akt der Ausübung politischer Macht A die Anforderungen politischer Legitimität erfüllt. Dieser zusätzliche Begründungsschritt verweist auf ein Arbeitsverhältnis zwischen Moralphilosophie und politischer Philosophie, das Rawls nicht ausreichend beachtet hat. Rawls' Auffassung der Aufgabenstellung politischer Philosophie seit seiner 'politischen Wende' läßt sich alles in allem zu zwei Thesen bündeln. Positiv scheint er zu vertreten, daß politische Philosophie das Ziel verfolgen sollte, eine kollektiv, faktisch und moralisch, aber vernünftig zustimmbare Normierungstheorie für den Bereich des Politischen auszuarbeiten. 140 Ich gehe hier und weiterhin davon aus, daß eine moralische Begründung hinzugefügt werden sollte. Gleichwohl scheint es nicht notwendig zu sein, daß eine Begründung dafür, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen vom Standpunkt bestimmter moralischpolitischer Auffassungen zustimmbar sein sollte, die Form einer moralischen Begründung dieser Auffassungen annehmen muß. Hier scheint auch die Möglichkeit einer nicht-moralischen Begründung zu bestehen. Dann etwa würde aus prudentielle Gründen vertreten, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen im Lichte ganz bestimmter moralisch-politischer Auffassungen akzeptabel sein sollte - unabhängig davon, wie oder ob diese moralisch-politischen Auffassungen ihrerseits begründbar sind. 176 Negativ hingegen, daß sie das Problem der Normierung des Bereichs des Politischen nicht bloß als Problem der Anwendung genereller moralphilosophischer Positionen auf einen bestimmten Gegenstandsbereich verstehen sollte. Rawls schreibt: Es sollte auch betont werden, daß Gerechtigkeit als Fairneß nicht als Anwendung einer allgemeinen moralischen Konzeption auf die Grundstruktur einer Gesellschaft gemeint ist, so als wäre diese Struktur einfach nur ein unter die allgemeine Theorie subsummierender Fall unter anderen.141 Aber was sich bis hierhin sagen ließ, läuft auf einen Weg hinaus, beiden Thesen zu entsprechen, ohne auf eine Preisgabe moralphilosophischer Begründungen festgelegt zu sein. Wenn wir mit Rawls annehmen, daß politische Philosophie die Aufgabe hat, eine in den Grenzen vernünftiger Zustimmung konsensfähige Normierung des Bereichs des Politischen auszuarbeiten, so bestünde die korrespondierende Arbeitsleistung moralphilosophischer Überlegung gerade darin, abzuklären, wann Zustimmung vernünftig ist. Oder, anders gesagt: die moralphilosophische Aufgabe bestünde darin, die Grenzen vernünftiger Akzeptabilität zu umreißen, während politische Philosophie darauf bezogen wäre, eine Konzeption für den Bereich des Politischen auszuarbeiten, die in diesen Grenzen akzeptabel ist. Und hier wäre es gerade nicht der Fall, daß Konzeptionen für den Bereich des Politischen bloße Applikationsinstanzen genereller moralphilosophischer Positionen wären; das Verhältnis wäre vielmehr akzeptanztheoretischer Natur. Mit der moralphilosophischen Frage nach den Grenzen vernünftiger Akzeptabilität ist die Frage nach einer vernünftig akzeptablen Konzeption für den Bereich des Politischen noch nicht beantwortet: die Beantwortung der ersten Frage wäre notwendig, nicht aber hinreichend für eine Beantwortung der zweiten. Ich gelange damit zu dem Ergebnis, daß die skizzierte Erweiterung der Struktur politischer Legitimität zwar nicht die These ausschließt, daß eine Normierungstheorie für den Bereich des Politischen im Lichte der Rawls'schen 177 Tugend vernünftig zustimmbar sein sollte. Doch sie schließt aus, daß diese These den Status einer Adressatenrestriktion einnimmt, und führt dazu, daß sie - und damit Rawls' Tugend - zum gesonderten Gegenstand einer moralischen Begründung wird. Wenn wir Rawls' Legitimitätsauffassung entgegenkommen, und annehmen, daß es auf der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht um eine kollektiv, faktisch und moralisch, aber vernünftig zustimmbare Normierungstheorie gehen muß, aber die legitimitätstheoretische Relevanz der Frage anerkennen, welcher Begriff des Vernünftigen herangezogen werden sollte, dann sind wir auf diese Erweiterung der Struktur politischer Legitimität festgelegt. Und das gleiche gilt für Rawls, wenn er diese Frage nicht einfach unterschlüge. Doch wenn er sie erst einmal ernst nimmt, dann scheint er auch darauf festgelegt zu sein, die Adressatenrestriktion fallen zu lassen. Anstelle der Einführung einer Adressatenrestriktion müßte Rawls seine Überlegungen um einen metatheoretischen Argumentationsschritt erweitern, um zu zeigen, vom Standpunkt welcher moralisch-politischen Auffassungen eine Konzeption für den Bereich des Politischen kollektiv, faktisch und moralisch, aber vernünftig zustimmbar sein soll: er müßte die Tugend, vernünftig zu sein, moralisch begründen. VII.4. Disharmonien praktischer Vernunft Damit komme ich auf die Intuition zurück, daß es unvernünftig ist, unausgewiesen allein solche Zustimmung für legitimitätsrelevant zu erachten, die mit Rawls' politischer Tugend übereinstimmt. Sie ließe sich hier in zwei Hinsichten ins Spiel bringen. Erstens in der Hinsicht, daß eine unbegründete Entscheidung für Rawls' Begriff des Vernünftigen ihrerseits unvernünftig ist. Zweitens ließe sie sich in der Hinsicht einbringen, daß es vernünftige Gründe für die Wahl eines normativ ärmeren Begriffs des Vernünftigen gibt. 141 Rawls (1994), 257. 178 Wir haben im letzten Abschnitt gesehen, daß die Anerkennung der legitimitätstheoretischen Relevanz der Frage, welcher Begriff des Vernünftigen eingebracht werden sollte, Rawls' Adressatenrestriktion aufhebt. Da die Rechtfertigung politischer Macht nach der ersten Hinsicht aus vernünftigen Gründen den Nachweis einschließen müßte, im Lichte welchen Begriffs des Vernünftigen Topoi wie "vernünftige Zustimmung" und "vernünftige Meinungsverschiedenheit" interpretiert werden sollten, wäre die Adressatenrestriktion unvernünftig.142 Doch wir konnten auch sehen, daß die Aufhebung der Adressatenrestriktion nicht einer Preisgabe der These gleichkommt, daß ausschließlich solche Zustimmung legitimitätsrelevant ist, die mit Rawls' politischer Tugend übereinstimmt. Sie bleibt ein Anwärter für die Beantwortung der Frage, welche Art der Zustimmung legitimitätsrelevant ist. Und hier greift die zweite Hinsicht. Während die erste fordert, daß diese Frage gestellt und begründet beantwortet werde, zielt die zweite darauf, daß solche Zustimmung legitimitätsrelevanten Status haben sollte, die einem Begriff des Vernünftigen entspricht, der - wie auch immer er sonst noch beschaffen sein mag - normativ ärmer als Rawls' Begriff ist. Da nun die Frage, wann Zustimmung legitimitätsrelevant ist, unter der erweiterten Struktur politischer Legitimität Gegenstand einer gesonderten Begründung ist, ist die zweite Hinsicht von der ersten klar zu unterscheiden. Die 142 Aber ist es nicht zu aufwendig, auf die Frage, warum Rawls die Relevanz jener Frage zugestehen sollte, zu antworten, daß ihre Auslassung unvernünftig ist? Wären nicht die beiden folgenden Antworten naheliegender? Erstens betrifft diese Frage die normativen Grenzen, in denen sich eine Konzeption für den Bereich des Politischen bewegen darf, und ist daher wesentlich für Rawls' Thema. Daher sollte er sich mit ihr auseinandersetzen. Zweitens begeht Rawls, wenn er seinen Begriff des Vernünftigen umwillen des Ansatzes eines politischen Liberalismus einbringt, eine petitio principii: er müßte erst zeigen, daß ein solcher Begriff des Vernünftigen gewählt werden sollte, über den ein politischer Liberalismus kollektiv, faktisch und moralisch, aber vernünftig zustimmbar ist. Doch offenbar setzt die zweite Antwort die erste voraus. Erst, wenn Rawls die Relevanz dieser Frage zugestanden hat, beginge er eine petitio, wenn er seinen Begriff des Vernünftigen der Position anpaßt, an der er festhalten will. Und die erste Antwort moniert zunächst nur ein Defizit der Auslassung einer thematisch relevanten Frage. Daher ist es triftiger, der genannten Intuition zu folgen, um die Sache im Lichte eines grundlegenderen Defizits der Unvernünftigkeit zu sehen. 179 zweite Hinsicht, nicht aber die erste, bezieht sich darauf, von welchem Standpunkt eine Konzeption für den Bereich des Politischen faktisch zustimmbar sein sollte. Ich betonte bereits, daß ich diese Intuition hier nicht rechtfertigen werde. Ihre vollständige Explikation und Rechtfertigung verlangt eine moral- und vernunftstheoretische Diskussion, die über den hier verfolgten rekonstruktivkritischen Bezug auf Rawls' Ansatz hinausgeht und Bedingungen der vernünftigen Akzeptabilität einer Konzeption für den Bereich des Politischen ausweist. Darauf kann ich hier nicht mehr eingehen; dennoch haben wir bereits einiges gewonnen, wenn wir sehen, daß diese Diskussion an genau dieser Stelle ins Spiel kommen müßte. Dementsprechend werde ich eine Überlegung skizzieren, die zu dieser Diskussion überleiten, und die jene Intuition in zumindest vager Anlehnung an Rawls stützen könnte. In dieser Skizze werde ich mich ausschließlich auf die erste der beiden genannten Hinsichten jener Intuition konzentrieren. Mit ihr werde ich die hier vorgebrachte Auseinandersetzung mit Rawls' Position abschließen. Ich gehe von zwei Passagen aus, die Rawls zum Begriff des Vernünftigen formuliert: Knowing that people are reasonable where others are concerned, we know that they are willing to govern their conduct by a principle from which they and others can reason in common (...). (48, Fn. 1)143 [W]e have a basic desire to be able to justify our actions to others on grounds they could not reasonably reject - reasonably, that is, given the desire to find principles that others similarily motivated could not reason- 143 Rawls greift hier W. M. Sibleys Differenzierung zwischen Rationalität und Vernünftigkeit auf, vgl. W. M. Sibley, "The Rational Versus the Reasonable", in: The Philosophical Review 62 (1953). 180 ably reject. (...) The two aspects of the reasonable as a virtue of persons one may see as two related expressions of this desire. (49, Fn. 2)144 Aus diesen Passagen lassen sich die folgenden beiden Thesen über Vernünftigkeit abstrahieren. V1 Wenn x vernünftig ist, dann hat x den Wunsch, gegenüber anderen nach Gründen zu handeln, die er und seine Handlungsadressaten gemeinsam akzeptieren können. V2 Wenn x vernünftig ist, dann hat x den Wunsch, gegenüber anderen nur solche Handlungen zu vollziehen, die er durch nicht vernünftigerweise verwerfbare Gründe rechtfertigen könnte. Während V1 ein Ideal normativer Einmütigkeit formuliert, verweist V2 auf ein praktisches Begründungsinteresse. V1 bezieht sich darauf, daß x'ens Handlungsgründe zwischen ihm und jedem seiner Handlungsadressaten konsensuell sind - unabhängig davon, welche moralischen Standpunkte sie einnehmen. V2 bezieht sich darauf, daß x gegenüber anderen nur solche Handlungen vollzieht, die er auf vernünftigerweise zwingenden Grundlagen rechtfertigen könnte, 144 Erwartungsgemäß unterliegen beide Passagen einer inklusiv-exklusiv-Ambivalenz. Da ich sie im Text inklusiv verstehen werde, möchte ich kurz notieren, inwiefern sie auch exklusiv zu verstehen sind. Nach der ersten Passage wünschen vernünftige Personen, solche Prinzipien zu befolgen, die sowohl sie, als auch die Adressaten ihrer Handlungen bejahen können. Hier bleibt noch offen, welche moralischen Meinungen die Adressaten ihrer Handlungen haben: diese Angabe ist denkbar inklusiv. Doch mit der zweiten Passage geht es um Prinzipien, (i) die nicht vernünftigerweise verworfen werden können. Die erste Einschränkung ist hier, daß es nur noch um nicht verwerfbare Prinzipien geht. Wichtiger ist jedoch die zweite Einschränkung: indem es um nicht vernünftigerweise verwerfbare Prinzipien geht, wird aus dem Bezug auf alle Adressaten der Handlungen vernünftiger Personen ein Bezug auf alle vernünftigen Adressaten. Zudem lesen wir, (ii) daß der Wunsch, auf der Grundlage dieser Prinzipien zu handeln, durch beide Aspekte des Vernünftigen zum Ausdruck gebracht wird. Nun formulierte Rawls im Kontext des zweiten Aspekts des Vernünftigen zuletzt eine materiale Charakterisierung der Toleranz (III.3.f.). Dies läuft darauf hinaus, daß (i) zuletzt auf solche Prinzipien verweist, die aus der Perspektive von Rawls' substantieller politischer Tugend nicht verworfen werden können. 181 wenn er es müßte. Dabei bleibt offen, welche Gründe den Status "nicht vernünftigerweise verwerfbarer Gründe" haben. Anders gesagt: während x'ens Ideal der Einmütigkeit dem x zumindest einen prima facie-Grund gibt, nur nach solchen Gründen zu handeln, die zwischen ihm und seinen Handlungsadressaten konsensuell sind oder (der Wahrscheinlichkeit nach) sein können, gibt ihm sein Begründungsinteresse zumindest einen prima facie-Grund, nur nach solchen Gründen zu handeln, die er für "nicht vernünftigerweise verwerfbar" hält. Wichtig ist jetzt, daß beides in unterschiedliche praktische Richtungen weisen kann. Angenommen, x ist Utilitarist und will aus Gründen der Maximierung des Gesamtnutzens die Handlung H vollziehen; weiterhin angenommen, x'ens Vollzug von H betrifft y's Wohlergehen. Dann verweist x'ens Ideal der Einmütigkeit darauf, H zu tun, wenn (i) das Prinzip der Maximierung des Gesamtnutzens zwischen x und y konsensuell ist.145 Hingegen verweist x'ens Begründungsinteresse darauf, H zu tun, wenn (ii) das Prinzip der Maximierung des Gesamtnutzens aus seiner Perspektive entweder selbst nicht vernünftigerweise verwerfbar, oder durch nicht vernünftigerweise verwerfbare Gründe zu rechtfertigen ist. Aber wann sind (i) und (ii) gleichzeitig erfüllt? Wann ist es der Fall, daß genau die Handlungsgründe, die aus x'ens Perspektive nicht vernünftigerweise verwerfbar sind, zugleich zwischen ihm und seinen Handlungsadressaten konsensuell sind? Darauf aufbauend kann zweierlei gesagt werden. Erstens besteht eine Harmonie zwischen x'ens Ideal der Einmütigkeit und x'ens Begründungsinteresse, wenn (i) und (ii) gleichzeitig erfüllt sind. In diesem Fall sind genau die Gründe, die x zu einem gegebenen Zeitpunkt für "nicht vernünftigerweise verwerfbare Gründe" hält, zwischen ihm und seinen Handlungsadressaten konsensuell. Zweitens besteht eine Disharmonie zwischen diesem Ideal und die- Und damit verlöre der Wunsch, auf der Grundlage nicht vernünftigerweise verwerfbarer Prinzipien zu handeln, seinen inklusiven Aspekt. 145 Natürlich sind hier eine Reihe von Zusatzannahmen darüber erforderlich, daß x und y gemeinsam davon ausgehen, daß H diejenige Handlung ist, die den Gesamtnutzen maximiert. Derartige Zusatzannahmen kann ich jetzt jedoch auslassen. 182 sem Interesse, wenn (i) und (ii) nicht gleichzeitig erfüllt sind. In diesem Fall weist beides in unterschiedliche praktische Richtungen - eines auf den Vollzug, das andere auf die Unterlassung von H. Da es hier - in vager Anlehnung an Rawls - um ein Ideal und ein Interesse praktischer Vernunft geht, läßt sich im ersten Fall von einer Harmonie praktischer Vernunft, im zweiten Fall von einer Disharmonie praktischer Vernunft sprechen. Vor diesem Hintergrund möchte ich eine dritte These über Vernünftigkeit aufstellen: V3 Wenn x vernünftig ist, dann hat x den Wunsch, Disharmonien praktischer Vernunft zu vermeiden. Mit V3 haben vernünftige Personen wenigstens einen prima facie-Grund, Disharmonien praktischer Vernunft zu vermeiden.146 Aber wie? Mit V1 und V2 folgt, daß ihre Vermeidung nicht durch eine Suspendierung des Ideals der Einmütigkeit oder des Begründungsinteresses erreicht werden kann. Und das heißt: wenn und soweit vernünftige Personen Disharmonien praktischer Vernunft vermeiden können, dann nur über den Weg einer Vermittlung zwischen den in V1 und V2 genannten Wünschen. 146 Damit schreibe ich vernünftigen Personen im Effekt ein zweites und höherstufiges Ideal normativer Einmütigkeit zu. V1 betont ein Ideal normativer Einmütigkeit, daß auf den Sachverhalt gerichtet ist, daß x'ens Handlungsgründe zwischen ihm und seinen Handlungsadressaten konsensuell sind. Hier geht es um das Zusammenstimmen zwischen x'ens moralischen Meinungen und den Meinungen der anderen. Daher können wir hier von einem Ideal externer normativer Einmütigkeit sprechen. Doch x'ens Interesse, zwischen seinem Begründungsinteresse und diesem Ideal externer normativer Einmütigkeit zu vermitteln, verweist auf das Ideal eines Zusammenstimmens zweier grundlegender Interessen; daher ließe sich von einem Ideal interner normativer Einmütigkeit sprechen. Diese interne Einmütigkeit besteht in dem Maße, in dem es gelingt, daß x seinem externen Ideal der Einmütigkeit und seinem Begründungsinteresse zugleich entspricht. Der Idealzustand wäre hier, daß x interne normative Einmütigkeit genießt, weil (i) x'ens Handlungsadressaten x'ens Handlungsgründe bejahen, und (ii) x'ens Handlungsgründe entweder selbst nicht vernünftigerweise verwerfbar sind oder durch nicht vernünftigerweise verwerfbare Gründe gerechtfertigt werden können. Punkt (i) entspricht x'ens Ideal externer normativer Einmütigkeit, Punkt (ii) x'ens praktischem Begründungsinteresse. Festzuhalten 183 Die Frage wäre dann, wie eine derartige Vermittlung aussehen könnte. Ein Weg könnte im Versuch bestehen, gegenüber anderen nur nach solchen Gründen zu handeln, die von einem Standpunkt als "nicht vernünftigerweise verwerfbare Gründe" anerkannt werden können, der (i) je gegebenem oder erwartbarem Dissens über Handlungsgründe übergeordnet ist, und (ii) von dem aus je gegebener oder erwartbarer Dissens über Handlungsgründe gerechtfertigt entschieden werden kann. Das Ideal normativer Einmütigkeit käme wenigstens darin zur Geltung, daß es um einen Standpunkt geht, der je gegebenem oder erwartbarem Dissens über Handlungsgründe entgehen kann, indem er ihm übergeordnet ist; das Begründungsinteresse wenigstens darin, daß ein Standpunkt gesucht wird, der der Standpunkt einer gerechtfertigten Entscheidung des gegebenen oder erwartbaren Dissens sein kann. Anzumerken ist hierbei, daß diese Angaben offen lassen, um welchen Standpunkt es sich inhaltlich handelt; damit lassen sie zugleich offen, welche Gründe den Status "nicht vernünftigerweise verwerfbarer Gründe" haben. Sie betonen vielmehr einen strukturellen und dynamischen Aspekt des Versuchs, umwillen der Vermeidung von Disharmonien praktischer Vernunft das Ideal normativer Einmütigkeit mit dem praktischen Begründungsinteresse zu vermitteln. Weiterhin ist anzufügen, daß ich hier insbesondere zwei Alternativen ausschließe. Erstens die Alternative, daß vernünftige Personen umwillen der Vermeidung von Disharmonien ihr Begründungsinteresse ihrem Ideal der Einmütigkeit vorbehaltlos unterordnen. Ich nehme also nicht an, daß sie nur solche Gründe als "nicht vernünftigerweise verwerfbare Gründe" anerkennen, die zwischen ihnen und ihren Handlungsadressaten de facto konsensuell sind. Zweitens schließe ich aus, daß sie den umgekehrten Weg nehmen, um ihr Ideal der Einmütigkeit ihrem Begründungsinteresse vorbehaltlos unterzuordnen. Und das heißt: vernünftige Personsn beziehen das Ideal der Einmütigkeit nicht allein auf solche Handlungsadressaten, die gerade diejenigen Gründe als "nicht vernünf- ist aber, daß der Wunsch, interne normative Einmütigkeit zu genießen - und damit V3 -, nicht in den in V1 und V2 genannten Wünschen impliziert ist. 184 tigerweise verwerfbare Gründe" anerkennen, die auch sie zu einem gegebenen Zeitpunkt als solche verstehen, und auf deren Grundlage sie ihre Handlungen rechtfertigen. Die Idee ist eher, daß vernünftige Personen versuchen, einen Weg der Vermeidung von Disharmonien zu finden, der zwischen diesen beiden Optionen liegt. Die dynamische Bemühung um einen Standpunkt, der faktischem Dissens übergeordnet ist, aber zugleich eine Grundlage bietet, um faktischen Dissens gerechtfertigt zu entscheiden, entspräche einem solchen Zwischenweg.147 Beziehen wir diese spekulative Skizze nun auf den speziellen Fall der Ausübung politischer Macht. Wir haben gesehen, daß die Rechtfertigung der Ausübung politischer Macht unter Rawls' Legitimitätsauffassung den Nachweis 147 Schließlich möchte ich anmerken, daß meine Überlegung einige Nähe zu Thomas Nagel hat. Vgl. Nagel (1991), bes. Kap. 4, 14; und: ders., "Moral Conflict and Political Legitimacy", in: Philosophy and Public Affairs 16 (1987). V3 und das korrespondierende Ideal interner normativer Einmütigkeit wäre insbesondere mit Nagels Begriff einer "higher-order impartiality" ins Verhältnis zu setzen (vgl. Nagel (1991), 154ff., 158ff.). Doch dies ist Teil einer Diskussion, die über den hier verfolgten kritischen Bezug auf Rawls hinausgeht, und die ich hier nicht mehr führen kann. Ich möchte jedoch - ohne weitere Ausweisung - folgendes vermuten. Wenn Nagels "higher-order impartiality" als Anwendung seines Begriffs der Objektivierung zu verstehen ist (zu diesem Begriff vgl. ders., The View from Nowhere, Oxford 1986, bes. Kap. 1), und letzterer zumindest für den Bereich praktischer Urteile auf eine Irrelativierung von Geltungsansprüchen verweist, so könnte jenes Ideal interner normativer Einmütigkeit gerade die motivationale Grundlage einer solchen Irrelativierung ansprechen. Es verweist auf die vorgeschlagene Vermittlungsstrategie zwischen V1 und V2; und wenn und soweit sich diese nun als Strategie einer Nagel'schen (praktischen) Objektivierung verstehen ließe, wäre dieses Ideal seinerseits eine motivationale Grundlage dieser Objektivierung. Diese wäre also kein letztes, sondern ihrerseits getragen durch den Wunsch, interne normative Einmütigkeit zu genießen. Zudem ist anzufügen, daß die vorgeschlagene Vermittlungsstrategie sich ebenso wie V1 und V2 zunächst allein auf den Bereich des Handelns gegenüber anderen bezieht. So hat Ulrich Steinvorth gegenüber Tugendhat geltend gemacht, daß die Begründung moralischer Verhaltensgrundsätze nicht einem praktischen Interesse, sondern vielmehr einem theoretischen oder spekulativen Interesse folgt oder zumindest folgen kann. Vgl. Ulrich Steinvorth, Klassische und moderne Ethik, Reinbeck bei Hamburg 1990, 54. Für einen derartigen Vorbehalt ist an dieser Stelle Raum gelassen. Erstens folgt aus der Tatsache (wenn es eine Tatsache ist), daß die Begründung des Handelns gegenüber anderen einem praktischen Interesse folgt, nicht schon, daß die Begründung eines jeden Handelns einem praktischen Interesse folgt. Zweitens könnten Handlungsbegründun¬gen einem praktischen und einem spekulativen Interesse zugleich folgen. 185 einschließt, daß diese mit einer Normierungstheorie übereinstimmen, die ihrerseits kollektiv, faktisch und moralisch, aber vernünftig zustimmbar ist. Wenn wir diese Legitimitätsauffassung voraussetzen und plausiblerweise annehmen, daß es unter Bedingungen des gegebenen Pluralismus moralischer Standpunkte kontrovers verbleibt, im Lichte welchen Begriffs des Vernünftigen eine Normierungstheorie der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht zustimmbar sein sollte, dann spricht alles dafür, daß die Frage, welcher Begriff hier heranzuziehen ist, aus der Perspektive vernünftiger Personen ihrerseits Gegenstand einer Rechtfertigung sein muß. Aber damit haben wir das angezielte Ergebnis. Hier findet die Intuition, daß es unvernünftig ist, unausgewiesen allein solche Zustimmung für legitimitätsrelevant zu erachten, die mit Rawls' politischer Tugend übereinstimmt, an dieser Stelle in der ersten der beiden oben genannten Hinsichten vernunftstheoretische Bekräftigung. Und das heißt: wenn und soweit Rawls' politische Tugend kontrovers ist, bestünden vernunftstheoretische Gründe, daß die Rechtfertigung der Ausübung politischer Macht nicht allein bis dorthin reichen kann, nachzuweisen, daß Akte der Ausübung politischer Macht mit einer kollektiv, faktisch und moralisch, aber im Lichte dieser Tugend "vernünftig" zustimmbaren Normierungstheorie übereinstimmen, sondern zugleich eine moralische Rechtfertigung des damit herangezogenen politischen Begriffs des Vernünftigen umschließen muß. Und dieser Fall träte bereits dann ein, wenn die Adressaten politischer Macht Konsens darüber hätten, daß eine Normierungstheorie für den Bereich des Politischen aus der Perspektive unparteilicher, wohlwollender und toleranter Personen faktisch zustimmbar sein sollte, aber Dissens darüber, ob sie ausschließlich Werte der politischen Tradition enthalten, und allein den Bereich des Politischen normieren sollte. A fortiori tritt er ein, wenn die Adressaten politischer Macht Dissens über liberale Werte haben. Da nun anzunehmen ist, erstens, daß ein ausschließlicher Rekurs auf die Werte der politischen Tradition, und zweitens, daß eine ausschließliche Normierung des Bereichs des Politischen, und schließlich drittens, daß liberale Werte faktisch strittig sind, bestünden vernunftstheoretische Gründe, zu einer Rechtfertigung von Rawls' politischem Begriff des Vernünftigen überzugehen. 186 Da nun aber eine derartige Begründung bei Rawls nicht vorgesehen ist die von ihm vorausgesetzte Adressatenrestriktion verdrängt die sich hier anschließenden Fragen - wäre sein Ansatz um eine solche Rechtfertigung zu erweitern. Ohne diese Erweiterung wäre Rawls' Rekurs auf diese Tugend seinerseits unvernünftig. Doch mit ihr bleibt offen, warum eine Konzeption für den Bereich des Politischen vom Standpunkt der substantiellen politischen Tugend, vernünftig zu sein, akzeptabel zu sein hat. Diese Konsequenz scheint unvermeidlich zu sein, wenn wir von V1, V2 und V3, sowie der vorgeschlagenen Vermittlungsstrategie ausgehen. Hervorzuheben ist aber, daß sie sich nicht als vollständig interne Kritik ergibt. So erhob ich V1 und V2 als Abstraktionen, und nicht als möglichst wohlwollende Interpretationen jener beiden Passagen. Ich habe sie möglichst inklusiv verstanden; und dies geht bereits im Ansatz zulasten von Rawls' Position. Zugleich enthalten seine Darstellungen weder V3, noch die korrespondierende Vermittlungs¬strategie. Daher läßt sich lediglich sagen, daß die hier vorgetragene Kritik an Rawls' Darstellungen anschließt oder auf ihnen aufbaut. Es läßt sich nicht schon sagen, daß sich Rawls aufgrund einer Unverträglichkeit seiner vernunftstheoretischen Bemerkungen und seiner restringierten Auffassung politischer Legitimität in eine Inkohärenz verwickelt. VII.5. Abschluß und Rückblick Was ergibt sich für die zweite Hinsicht der Intuition, daß es unvernünftig ist, unausgewiesen auf Rawls' Begriff des Vernünftigen zu rekurrieren? Sie belief sich darauf, daß es vernünftige Gründe gibt, Topoi wie den der "vernünftigen Zustimmung" nicht im Lichte von Rawls' Begriff, sondern eines normativ ärmeren Begriffs des Vernünftigen zu deuten. Wenn wir V3 und die korrespondierende Vermittlungsstrategie akzeptieren, dann wird jene Intuition gestützt; doch dies zunächst allein in ihrer ersten Hinsicht. Zwar könnten wir an dieser Stelle fragen, warum ausschließlich solche Voten als legitimitätsrelevant erachtet werden sollten, die Rawls' politischem 187 Begriff des Vernünftigen entsprechen, obgleich dieser Begriff auch gegenüber denen zu rechtfertigen wäre, die ihn verwerfen. Doch wir müssen beachten, daß aus dem Sachverhalt, (i) daß x auch dann als Adressat der Begründung dieser Tugend anerkannt wird, wenn er sie verwirft, und dem Sachverhalt, (ii) daß die Rechtfertigung dieser Tugend Element der Rechtfertigung politischer Macht ist, nicht schon folgt, (iii) daß solche Zustimmung oder Nichtzustimmung legitimitätsrelevant ist, die nicht Rawls' Tugend, sondern einem normativ ärmeren Begriff des Vernünftigen entspricht. Zwar verweist (ii) darauf, daß die Rechtfertigung dieser Tugend nicht ihrerseits von Prämissen ausgehen kann, deren Akzeptanz die Akzeptanz dieser Tugend voraussetzt. Daher müßten die Voraussetzungen der Rechtfertigung dieser Tugend normativ ärmer sein, als der Begriff dieser Tugend. Zugleich legt (i) nahe, daß x, wenn er trotz einer Zurückweisung dieser Tugend als vernünftiger Adressat ihrer Rechtfertigung angesprochen werden kann, in einem normativ ärmeren Sinne als vernünftig angesprochen werden muß. Doch das heißt nicht, daß genau solche Zustimmung legitimitätsrelevant ist, die in einem Sinne vernünftig ist, der den Voraussetzungen der Rechtfertigung dieser Tugend oder dem Begriff des Vernünftigen korrespondiert, der implizit oder explizit ins Spiel käme, wenn x als vernünftiger Adressat ihrer Rechtfertigung angesprochen würde. Aber wäre die Voraussetzung eines dünneren Begriffs nicht gleichwohl plausibel? Wäre es nicht plausibel, von einem denkbar minimalen Begriff des Vernünftigen Gebrauch zu machen? Sollte nicht die Zustimmung oder Nichtzustimmung eines jeden, der überhaupt bereit ist, sich auf die Rechtfertigung irgendeines bestimmten Begriffs des Vernünftigen einzulassen, als legitimitätsrelevant anerkannt werden? Oder, aus einer bereits liberalen Perspektive: sollte nicht, wenn schon kein denkbar minimaler Begriff des Vernünftigen angesetzt wird, wenigstens ein Begriff gewählt werden, nach dem jede wohlwollende, unparteiliche und tolerante Zustimmung oder Nichtzustimmung vernünftig ist? Doch wir müssen klar sehen, daß die zweite Hinsicht jener Intuition auf eine moralische Begründung desjenigen moralisch-politischen Standpunktes, in dessen Lichte eine Konzeption für den Bereich des Politischen faktisch zustimmbar sein soll, verweist. Wir können eine derartige Begründung nicht ein- 188 fach mit Plausibilitätserwägungen umgehen. Selbst, wenn wir voraussetzen, daß es unvernünftig ist, unausgewiesen allein solche Zustimmung als legitimitätsrelevant zu erachten, die mit Rawls' Tugend übereinstimmt, bleibt es unabhängig von einer solchen Begründung in letzter Instanz offen, welcher Begriff des Vernünftigen gewählt werden sollte. Plausibilitätserwägungen können hier auf ein Begründungsziel verweisen, nicht aber diese Begründung ersetzen. (Ich vertrete damit nicht, daß Plausibilitätserwägungen an dieser Stelle nichts zu suchen haben. Die These ist aber, daß wir uns hier erst dann mit Plausibilitätserwägungen begnügen können, wenn deutlich ist, daß keine anderen Argumente vorgebracht werden können.) Ich rekapituliere noch einmal die Grundlinie der formulierten Kritik. Zunächst zu ihrer Voraussetzung. Rawls' Legitimitätsauffassung räumt der Frage, welche moralisch-politischen Auffassungen de facto vertreten werden, zu großes Gewicht ein, um noch vertreten zu können, daß eine politisch-liberale Konzeption als Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht angesehen werden kann. Daher muß Rawls entweder seine Legitimitatsauffassung, den Ansatz einer politisch-liberalen Konzeption, oder beides verwerfen oder modifizieren. Um diesem Trilemma zu entkommen, verengt er den Bereich legitimitätsrelevanter Zustimmung auf die Zustimmung von Seiten einer substantiellen politischen Tugend. Diese Manöver tritt hier in der Form der Einführung einer Adressatenrestriktion auf. Die zunächst noch inklusive Auffassung, daß die Ausübung politischer Macht mit einer kollektiv, faktisch und moralisch zustimmbaren Normierungstheorie übereinstimmen muß, wird so zur exklusiven Auffassung, daß ihre Ausübung mit einer Normierungstheorie übereinstimmen muß, die vom Standpunkt einer substantiellen politischen Tugend zustimmbar ist. Unter dieser Voraussetzung kann Rawls argumentieren - wie Kapitel II und III zeigten -, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen den Charakter eines politischen Liberalismus haben muß. Meine Kritik ging von der Intuition aus, daß Rawls' Adressatenrestriktion zu einer inakzeptabel exklusiven Legitimitätsauffassung führt. Doch vom Standpunkt einer wohlwollenden und internen Kritik läßt sich diese Restriktion weder auf der Basis seiner Legitimitätsauffassung, noch auf der Basis seiner 189 vernunftstheoretischen Überlegungen angreifen. In beiden Fällen wären inklusive Komponenten aus Gründen des Wohlwollens schließlich elliptisch zu verstehen. Gleichwohl ließen sich die Hebel einer wenigstens weitgehend internen Kritik ansetzen. Ich habe im Wesentlichen in drei Schritten argumentiert. Erstens vertrat ich, daß das Zugeständnis, daß eine Normierungstheorie der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht kollektive, faktische und moralische, aber vernünftige Zustimmung für sich haben muß, Raum für die Frage läßt, welcher Begriff des Vernünftigen einzubringen ist. Wie wir gesehen haben, verweist diese Frage auf Argumentationen, die jenseits des argumentativen Horizonts nicht nur der Rawls'schen Position, sondern den des politischen Liberalismus liegen. Zweitens habe ich argumentiert, daß diese Frage - von Rawls unterschlagen - zu einer Erweiterung der von ihm angesetzten Struktur politischer Legitimität führt, deren Akzeptanz ihrerseits Rawls' Adressatenrestriktion aufhebt. Die Ausweisung eines speziellen Begriffs des Vernünftigen, in dessen Lichte Topoi wie der der vernünftigen Zustimmung zu interpretieren sind, wird hier zum integralen Bestandteil der Rechtfertigung politischer Macht. Drittens habe ich - aufbauend auf Rawls - vernunftstheoretisch angenommen, daß die Nichtakzeptanz dieser Erweiterung ihrerseits unvernünftig wäre. Die These war, daß sich im Kontext der Rechtfertigung politischer Macht auf einen Dissens über Rawls' Tugend vernünftigerweise nur so reagieren läßt, daß diese zum Gegenstand einer Begründung wird. Da sich nun aber annehmen läßt, daß sie strittig ist, ergibt sich, (i) daß Rawls die von ihm angesetzte Struktur politischer Legitimität erweitern müßte. Und hieraus wiederum, (ii) daß Rawls seine Adressatenrestriktion fallen lassen müßte. Wenn Rawls aber (i) und (ii) zustimmt, dann bleibt offen, warum eine Normierungstheorie der dritten Rechtfertigungsebene politischer Macht vom Standpunkt der Rawls'schen Tugend akzeptabel sein muß. Da er nun die These, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen politisch-liberalen Charakter haben muß, ausschließlich über den Weg der Explikation dieser Tugend etablierte, bleibt ebenfalls offen, warum eine Konzeption dieses Bereichs - als Grundlage einer legitimen Ausübung politischer Macht - politisch-liberalen Charakter haben muß. 190 Für Rawls hieße das, daß sein Ansatz eines politischen Liberalismus auch dann in der Luft hängt, wenn man einerseits versucht, seine Überlegungen zugunsten eines solchen Ansatzes möglichst kohärent und schlüssig zu machen, um andererseits Spannungen zwischen den inklusiven und exklusiven Komponenten seiner Überlegungen so zu interpretieren, daß sie sich nicht zu Inkohärenzen erweitern. Dies ergibt sich selbst dann, wenn wir Rawls sehr weit entgegenkommen; und dies habe ich hier im Rahmen meines internen Vorgehens versucht. Lassen wir uns jedoch nicht derartig weit auf Rawls ein, so bleibt es dabei, daß seine metatheoretischen Überlegungen inkohärent sind. Sein tugendethisches Argument kann zeigen, daß der Bereich des Politischen auf der Grundlage einer politisch-liberalen Konzeption normiert werden muß. Zwar muß Rawls hier den Anspruch aufgeben, auf der Ebene GF's ein kritisch-konstruktives Begründungsprogramm zu verfolgen, gleichwohl kann das tugendethische Argument seinen politisch-liberalen Ansatz stützen. Doch dieses Argument ist unvereinbar mit seiner legitimitätstheoretischen Perspektive auf die Thematik der Theorienbildung für den Bereich des Politischen. Und diese schließt ihrerseits den Ansatz einer politisch-liberalen Konzeption aus. Diese interne Kritik hat schließlich zu einem Ansatz geführt, unter dem Rawls' Adressatenrestriktion aufgehoben, und eine Richtung vorgegeben wird, in der nach einer Alternative zu seiner Auffassung legitimitätsrelevanter Zustimmung zu suchen wäre. Dieser Ansatz legt nicht darauf fest, Rawls' Auffassung politischer Legitimität - und damit seine metatheoretische Position - gänzlich zu verwerfen. Vielmehr kann er mit Rawls von der Annahme ausgehen, daß eine Konzeption für den Bereich des Politischen kollektive, faktische und moralische, aber vernünftige Zustimmung für sich haben sollte. Doch anders als bei Rawls wird es hier - auf der Seite der Konstitutionsfragen einer Konzeption für den Bereich des Politischen - zum Gegenstand einer gesonderten moralischen Begründung, welche Art der Zustimmung als vernünftig anerkannt werden sollte. Die damit einhergehende Erweiterung der Struktur politischer Legitimität wird hier zur Brücke in den Bereich der moralphilosophischen Frage, im Lichte welchen moralischen Standpunktes eine Konzeption für den Be- 191 reich des Politischen faktisch akzeptabel sein sollte. Die Bereiche der Ausarbeitung einer kollektiv, faktisch und moralisch, aber vernünftig zustimmbaren Normierungstheorie für den Bereich des Politischen, und der einer moralischen Begründung eines hier einzubringenden Begriffs des Vernünftigen wären so auf vernunftstheoretischer Basis zu verknüpfen. Zugleich habe ich zugleich darauf hingewiesen, daß die hier vorgetragene Kritik in gewissen Grenzen exemplarischen Charakter beanspruchen kann. Ich denke, daß deutlich geworden ist, daß meine Kritik zum Teil darauf ausgerichtet war, Rawls im weiteren Kontext der Bewegung des politischen Liberalismus zu kritisieren. So wäre mein Argument über die Frage, welcher Begriff des Vernünftigen auf metatheoretischer Ebene angesetzt werden sollte, der Tendenz nach nicht nur auf Rawls' Position, sondern auch auf andere politische Liberalismen anzuwenden. Wenn die Skizze im Ausgang des fünften Kapitels angemessen war, so setzen politische Liberale zum Zwecke der Theorienbildung eine Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten voraus, und versuchen zumindest an dieser Stelle, an eine vorkritisch gegebene, an eine unabhängig autorisierte politische Moralität auf der Seite der Adressaten politischer Macht anzuschließen. Doch auf der Linie der hier vorgetragenenen Kritik der Rawls'schen Position wäre es eine Anforderung praktischer Vernunft, den hier implizit oder explizit aufgegriffenen Begriff des Vernünftigen noch einmal einer Rechtfertigung zu unterziehen wenn und soweit er strittig ist. Wenn das richtig ist, so weist die Bewegung des politischen Liberalismus das Problem auf, unter einer Vermeidung vernünftiger Meinungsverschiedenheiten ansetzen zu wollen, aber aus Gründen praktischer Vernunft letzlich nicht ansetzen zu können. Wenn und soweit ihr erster rekonstruktiver Schritt strittigen Gehalt hat, müßten sie dazu übergehen - ohne die wie immer auch verstandene Richtlinie der Vermeidung vernünftiger Meinungsverschiedenheiten ins Feld führen zu können - moralisch zu begründen, warum sie gerade den Begriff des Vernünftigen voraussetzen, den sie voraussetzen. Die Begründungsfragen der Moralphilosophie lassen sich nicht über einen nur vermeindlich gegebenen Konsens darüber, was vernünftigerweise 192 verwerfbar ist, von entsprechend verstandener politischer Philosophie dissoziieren.148 148 Für Gespräche zu Rawls, verwandten und angrenzenden Themen möchte ich mich bedanken bei: Tobias Berben, Sabine Döring, Johanne Förster, Barbara Harder, Silke Häusler, Sabine Jentsch, Thomas Schmidt und Ulrich Steinvorth. Mein Dank gilt insbesondere Andreas Muth, Heike Schmidt-Felzmann und Anke Thyen. 193 LITERATUR Ackerman, Bruce A.: Social Justice in the Liberal State, New Haven 1980. ders.: "Why Dialogue?", in: The Journal of Philosophy 86 (1989). ders.: "Neutralities", in: R. Bruce Douglass, Gerald M. Mara, Henry S. Richardson (Hrsg.), Liberalism and the Good, New York 1990. D'Agostino, Fred: "Relativism and Reflective Equilibrium", in: The Monist 71 (1988). Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Franz Dirlmeier, Stuttgart 1983. Ayer, Alfred: Sprache, Wahrheit und Logik, Stuttgart 1970. Baier, Kurt: "Justice and the Aims of Political Philosophy", in: Ethics 99 (1989). Barry, Brian: "How Not to Defend Liberal Institutions", in: Douglass, Mara, Richardson (1990). Brink, David O.: "Rawlsian Constructivism in Moral Theory", in: Canadian Journal of Philosophy 17 (1987). Brülisauer, Bruno: Moral und Konvention, Ffm. 1988. 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