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Personalisierte Medizin als Orphanisierung: rechtliche und ethische Fragen

Personalized medicine as orphanization: legal and ethical questions

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Ethik in der Medizin Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Die Entwicklung einer „personalisierten Medizin“ ist zurzeit in aller Munde. Insbesondere die personalisierte Arzneimitteltherapie gewinnt infolge der pharmakologischen und molekulargenetischen Entwicklungen immer mehr an Bedeutung. Dies macht es erforderlich, die Auswirkungen der personalisierten Arzneimitteltherapie auf die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die Patientenversorgung zu untersuchen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach einer „Orphanisierung“: Könnten Arzneimittel der personalisierten Medizin regelmäßig als Orphan Drugs, also als Arzneimittel für seltene Leiden, ausgewiesen werden, würde für sie nach dem Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) grundsätzlich kein Nachweis des Zusatznutzens im Rahmen der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) vorzunehmenden frühen Nutzenbewertung erforderlich werden. Entscheidend für die Ausweisung des Arzneimittels als Orphan Drug ist unter anderem die Prävalenzrate der Patientengruppe, deren Erkrankung mit dem Arzneimittel behandelt werden soll. In diesem Zusammenhang kommt der Stratifizierung von Patientengruppen im Rahmen der personalisierten Arzneimitteltherapie eine besondere Bedeutung zu. Eine solche „Orphanisierung“ hätte für die GKV wegen der mangelnden Kenntnis von dem Zusatznutzen des Arzneimittels insbesondere preisrechtliche Konsequenzen; für die Patienten sind die Folgen durchaus differenzierter zu betrachten.

Abstract

Definition of the problem The development of personalized medicine is currently a popular topic. Particularly the personalized pharmacotherapy is a matter of relative importance due to pharmacological and molecular–genetic developments. For this reason it is required to examine the implications of personalized pharmacotherapy to statutory health insurance and health care of patients. Arguments In this context the question of orphanization arises: If medical drugs of personalized medicine could be regularly indicated as orphan drugs, i.e., as drugs to medicate orphan diseases, it would not be necessary according to the “Arzneimittelneuordnungsgesetz” (AMNOG) to prove an auxiliary value within the assessment of the “Gemeinsamer Bundesausschuss” (GBA). Crucial to the drug’s indication as an orphan drug is among other things the rate of prevalence of the patient group, whose disease should be medicated with the drug. In this connection, there is importance attached to the stratification of patient groups within personalized medicine. Conclusion An orphanization causes consequences in terms of prices to the statutory health insurance due to the lack of knowledge about an auxiliary value. For patients, the implications must be considered in a more differentiated manner.

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Notes

  1. Eine weitere Ausnahme ist in § 35a Abs. 1a SGB V geregelt.

  2. Dies hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) bei seiner ersten Orphan Drug-Bewertung missachtet ([18], S. 23), vgl. dazu auch ([14, 25]; [27], S. 21). Mit der Einigung zw. dem GKV-Spitzenverband und InterMune auf einen Erstattungsbetrag für Pirfenidon wurde im Juli 2012 der erste Rabatt für ein Orphan Drug ausgehandelt.

  3. Vgl. § 35a Abs. 1 S. 2 SGB V, Kapitel 5, § 5 Abs. 7 Nr. 1 bis 4 Verfahrensordnung des GBA (VerfO-GBA) in der Fassung vom 18.12.2008.

  4. So der GBA ([13], S. 3). Dabei gelangte er für Pirfenidon zu dem – vermutlich rglm. für Orphan Drugs zutreffenden – Ergebnis, der Zusatznutzen sei nicht quantifizierbar, weil die wissenschaftliche Datenlage dies derzeit nicht zulasse.

  5. Art. 3 Abs. 1 b) der Verordnung (EG) Nr. 141/2000.

  6. So ermöglicht beim sog. HER2-positiven Brustkrebs die gezielte Behandlung mit Trastuzumab je nach Krankheitsstadium die Verdoppelung der Überlebenszeit oder sogar ein Verhindern des Fortschreitens, vgl. [21].

  7. Allerdings ist die Empfehlung der European Medicines Agency (EMA) (EMA/COMP/15893/2009) v. 2.3.2010 zu berücksichtigen, die das „scheibchenweise“ Bilden von Subgruppen an sich häufiger Erkrankungen i. R. d. Prävalenzbestimmung als kritisch erachtet. Ein Missbrauch des Orphan Drug Act soll jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn das Arzneimittel zur Ausweisung als Orphan Drug aufgespalten und dann doch auf mehrere oder alle Subgruppen der Erkrankung angewendet wird [23]. Letzteres ist bei Arzneimitteln der personalisierten Medizin aber rglm. gerade nicht der Fall.

  8. Art. 3 Abs. 1 b) 2. Alt. der Verordnung (EG) Nr. 141/2000.

  9. Vgl. A. 3. der Mitteilung der Kommission über Arzneimittel für seltene Leiden (2003/C 178/02).

  10. Vgl. A. 4. der Mitteilung der Kommission über Arzneimittel für seltene Leiden (2003/C 178/02).

  11. A. 4. der Mitteilung der Kommission über Arzneimittel für seltene Leiden (2003/C 178/02).

  12. Vereinzelt wird sogar die Gefährdung der Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens als Ganzes gesehen, vgl. [12].

  13. Ausgehend von der Liste des Verbandes der forschenden Pharmahersteller e. V. (vfa) zu Orphan Drugs mit Stand vom 18.06.2012 (http://www.vfa.de/embed/orphan-drugs-list.pdf. Zugegriffen: 28. Juli 2012) sind fast 30 % der als Orphan Drug ausgewiesenen Arzneimittel keine Solisten zur Behandlung der jeweiligen Indikation.

  14. In diesem Sinne wird von der Allianz chronischer seltener Erkrankungen (ACHSE) die Ausnahmeregelung für Orphan Drug unterstützt, vgl. [1].

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Gottwald, S., Huster, S. Personalisierte Medizin als Orphanisierung: rechtliche und ethische Fragen. Ethik Med 25, 259–266 (2013). https://doi.org/10.1007/s00481-013-0265-5

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