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Über den Realismus

Ein Nachtrag zum Positivismusstreit in der deutschen Soziologie

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Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Der erkenntnistheoretische Realismus ist die systematische Basis dessen, was im Positivismusstreit als positivistisch attackiert worden war; darum knüpft der Beitrag an jene Kontroverse an. An die Analyse der argumentativen Funktion des Realismus innerhalb der Popperschen Wissenschaftslehre schließt sich eine sinnkritische Rekonstruktion der realistischen Unabhängigkeitsthese aus den Kontexten technischen, experimentellen und kommunikativen Handelns an mit dem Ziel, die Bedeutungsabhängigkeit eines jeden Redens von „unabhängiger Realität“ von solchen Handlungskontexten zu erweisen. Die Darlegungen schließen mit der These, daß der Poppersche Realismus nur eine Konsistenz-bedingung experimentellen Handelns formuliert und philosophisch als ein bloßes Mittel der Legitimation und Stabilisierung dieses Handlungstypus zu verstehen ist.

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Literatur

  1. Cf. Adorno, Albert u.a., Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Neuwied und Berlin 1969 (zit. als PS).

  2. Cf. M. von Brentano, Die unbescheidene Philosophie, in: Das Argument, 9. Jg. (1967) 105.

  3. Cf. R. Dahrendorf, Anmerkungen zur Diskussion, in: PS, aaO., 145 ff.

  4. Dem Eindruck, als werde von der Kritischen Theorie nur eine alternative Methodologie vorgeschlagen trat Habermas in seiner Entgegnung auf Albert entgegen, in: PS, insbes. 235 ff. „Meine Kritik richtet sich ausschließlich gegen die positivistische Deutung solcher Forschungsprozesse. Denn das falsche Bewußtsein einer richtigen Praxis wirkt auf diese zurück“ (235).

  5. Cf. J. Habermas, in: PS, 236 ff. und 241 ff.

  6. K. R. Popper, Logik der Forschung (LdF), Tübingen 19662, 31.

  7. Cf. H. Albert, Der Mythos der totalen Vernunft, in: PS, 202 ff.

  8. Ibid. 202.

  9. Ibid.

  10. Cf. Popper, Conjectures and Refutations (CaR), London 19693, 33 ff.

  11. Cf. P. K. Feyerabend, Wie wird man ein braver Empirist? in: L. Krüger (ed.), Erkenntnisprobleme der Naturwissenschaften, Köln/Berlin 1970, 302 ff., insbes. 305.

  12. K. R. Popper, Die Zielsetzung der Erfahrungswissenschaft, in: H. Albert (ed.), Theorie und Realität, Tübingen 1964, 85.

  13. Cf. Popper, etwa LdF, 72 Fußn.

  14. Cf. hierzu insbes. A. Wellmer, Methodologie als Erkenntnistheorie, Frankfurt am Main 1967. Der Autor verdankt dieser Schrift mehr, als in den Zitationen zum Ausdruck kommen kann.

  15. Cf. PS, 178 ff., 214 ff., 238 ff.

  16. Cf. a.a.O., 215.

  17. Cf. Popper, LdF, §§ 25 ff.

  18. Cf. hierzu W. Stegmüller, Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft, Berlin/Heidelberg/New York 19692, 358 ff.

  19. Cf. Poppers Abgrenzung seiner Position von der des Konventionalismus, in: LdF, §§ 19 und 20.

  20. Cf. ders., a.a.O., §§ 84 und 85, insbes. 225.

  21. H. Albert, in: PS, 284.

  22. Hierzu cf. Popper, CaR, 226 ff.; auch die kritischen Analysen von A. Wellmer, a. a. O., insbes. 203 ff., und L. Schäfer, Über die Diskrepanz zwischen Methodologie und Metaphysik bei Popper, in: Studium generale, 23. Jg. (1970), 856 ff.

  23. Cf. Albert, in: PS, 277; er folgt darin Popper, cf. Die Zielsetzung ..., a.a.O., 85. Albert bestreitet hier, daß man das Korrespondenzmodell aufgeben müsse, wenn man Tatsachen als „gemeinsames Produkt von Sprache und Realität“ (mit Popper) auffaßt. Um die Korrespondenz eines bloßen Sprachprodukts mit einem solchen „gemeinsamen Produkt“ feststellen zu können, bedürfte es zumindest einer Sonderung der Anteile von Sprache und Realität, denn ohne sie wäre die Abgrenzung des Korrespondenz-vom Kohärenzmodell der Wahrheit unmöglich. Mit diesem Problem der Sonderung aber kehrt notwendig das der reinen Faktizität zurück.

  24. Albert, ibid.

  25. So lehrt etwa V. Kraft, in: Erkenntnislehre, Wien 1960, 323 ff.

  26. Cf. Albert, in: PS, 204.

  27. Daß die Debatte zwischen Realismus und Instrumentalismus jedoch nicht methodenindifferent ist, hat Feyerabend gezeigt, in: Realism and Instrumentalism: Comments on the Logic of Factual Support, in: M. Bunge (ed.) The Critical Approach to Science and Philosophy, London 1964, 280 ff.

  28. Cf. PS, 202.

  29. Popper, Die Zielsetzung ..., a.a.O., 102.

  30. Cf. D. Diderot, Lettres sur les aveugles, and Condillac: Traité des sensations, insbes. 2. Teil.

  31. Schon bei Kant, dessen transzendentales Programm Peirce pragmatistisch zu reformulieren unternimmt, sind „Realität“ und „Wirklichkeit“ Kategorien, die er als Weisen der Verstandeshandlung „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung zur Einheit des Gegenstandes“ bestimmt. Cf. Kritik der reinen Vernunft, B 102 ff.

  32. Cf. hierzu: E. v. Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache, Frankfurt am Main 1969, 226 ff.

  33. Kant, KrV B 266.

  34. Cf. K. O. Apel, Einleitung zu Ch. S. Peirce, Schriften I, Frankfurt am Main 1967, 61 ff.

  35. Cf. hierzu St. Toulmin, Voraussicht und Verstehen. Ein Versuch über die Ziele der Wissenschaft, Frankfurt am Main 1968, insbes. 21 ff. — Hieraus ergeben sich auch Bedenken gegen die These Apels von der Komplementarität von Natur- und Geisteswissenschaften, die er auf die Dualität von experimentellem und interpretierendem Handeln zurückführt, in: Szientistik, Hermeneutik, Ideologiekritik, in: Hermeneutik und Ideologiekritik (Theorie-Diskussion) Frankfurt 1971, insbes. 13 ff. Es ist nicht zu sehen, wie eine Beschreibungs-und Erklärungswissenschaft möglich sein soll, die nicht zugleich Verständigungs-wissenschaft ist. Umgekehrt können hermeneutische Prozesse durch Erklärungsversuche sehr gefördert werden. Die verschiedene Bedeutung aber, die dem Erklären und Verstehen in den verschiedenen Disziplinen zukommt, ermuntert aber sicher nicht zu optimistischen einheitswissenschaftlichen Erwartungen.

  36. „Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in unserer Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffes des Gegenstandes.“ Peirce, Schriften I, a.a.O., 339.

  37. Cf. Peirce, a.a.O., 311.

  38. Ibid.

  39. Cf. ibid., 300 ff.

  40. Cf. 345 ff.

  41. Schriften II, Frankfurt am Main 1970, 337.

  42. Zur Kritik des Psychologismus, cf. die Selbstkritik von Peirce, II 302ff.; auch seine Distanzierung von Sigwart, a.a.O., 330 ff.

  43. Cf. II, 219f. und 309 ff.

  44. Cf. die Royce-Rezension von Peirce, in: a.a.O., II, 215 ff.; hierzu auch Apel, Einleitung zu Schriften I, a.a.O., 61f., Fußn. und J. Habermas: Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1968, 123 ff. Zur Kategorienlehre von Peirce cf. Schriften II, 320 ff.

  45. Cf. Popper, CaR, 223ff. sowie Darstellung und Kritik bei Wellmer, a.a.O.

  46. Bei Kant setzt die Applikation des traditionellen Wahrheitsbegriffs im Sinne der Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand die Konstitution des Gegenstandes durch die Handlungen des Verstandes voraus, soll die traditionelle Wahrheitsdefinition nicht nur ein formales, und darum nur negatives Kriterium abgeben. (Cf. KrV, B 82 ff.) Nur weil „ein jeder Gegenstand ... unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung“ steht, ist der traditionelle Wahrheitsbegriff überhaupt applizierbar: die „Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung“ — das definiens des Terminus „transzendentale Wahrheit“ bei Kant (B 185) — als die „Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung“ (B 197) legen somit allererst fest, was „Wahrheit“ im empirischen Sinne heißen kann. Die Kantische Synthesis a priori des Mannigfaltigen der Anschauung zur Einheit des Gegenstandes ist bei Peirce pragmatistisch reformuliert als fixation of belief nach wissenschaftlicher Methode.

  47. Wie prekär das Verhältnis Poppers zu Kant — das eine detaillierte Untersuchung verdiente — auch in zentralen erkenntnistheoretischen Fragestellungen ist, wird exemplarisch deutlich in einer Fußnote zum § 8 der ‚Logik der Forschung‘, der den Zusammenhang zwischen der Objektivität und der intersubjektiven Nachprüfbarkeit wissenschaftlicher Sätze expliziert: „Seine (Kants H. S.) Entdeckung, daß aus dem Objektivitätscharakter der wissenschaftlichen Sätze folgt, daß diese Sätze die Form von jederzeit nachprüfbaren und deshalb allgemeinen Theorien haben müssen, wird von Kant in etwas unklarer Weise in seinem „Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität“ formuliert (den er sogar durch den angedeuteten a priori beweisen zu können glaubt). Wir stellen ein derartiges Prinzip nicht auf (12), halten aber daran fest, daß die wissenschaftlichen Sätze, da sie intersubjektiv nachprüfbar sein müssen, immer den Charakter von Hypothesen haben.“ (Logik der Forschung, 2. Aufl. Tübingen 1966, 19 Fußn.) Popper übersieht, daß es nicht genügt, Sätzen „die Form von jederzeit nachprüfbaren und deshalb allgemeinen Theorien“ zu geben, um ihre intersubjektive Nachprüfbarkeit zu sichern. Kants „Grundsätze“ sind nichts anderes als das Resultat des Versuches, zu erklären, wie Sätze von der Form allgemeiner Theorien als allgemeingültige Theorien in überprüfbarer Weise behauptet werden können; die Einsicht, daß eine formale Charakterisierung nicht genügt, um die Objektivität wissenschaftlicher Sätze zu sichern, motiviert Kants Übergang von der formalen zur transzendentalen Logik. Man kann das Kantische Programm für undurchführbar halten, aber nicht mit Ausdrücken wie „etwas unklar“ aus dem Problemkreis ausschließen. Bei Popper wird nirgends deutlich, unter welchen Bedingungen Vorgänge, von denen wir in Sätzen von der Form intersubjektiv nachprüfbarer Sätze reden, auch faktisch intersubjektiv zugänglich sind: um den „Objektbezug“ solcher Sätze zu sichern, wird im Popperschen Konzept nichts anderes als der vorkritische Realismus ansichseiender Tatsachen zitiert. (Zur Analyse des Ausdrucks „nachprüfbar“ cf. meine Abhandlung: Dispositionsbegriffe der Erkenntnistheorie. Zum Problem ihrer Sinnbedingungen, in: Zs. f. Allgemeine Wissenschaftstheorie II (1971) 89 ff.)

  48. Cf. Habermas, a.a.O., 175 ff.

  49. Cf. Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, Frankfurt 1968, 156f.

  50. Cf. hierzu meine Habil.schrift: Erfahrung, Begründung und Reflexion, Frankfurt am Main 1971, insbes. Teil II.

  51. Cf. die Position des Logischen Positivismus; cf. V. Kraft, Der Wiener Kreis, Wien 1950, insbes. 38 ff.

  52. Cf. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§ 1 ff.

  53. Cf. a.a.O., etwa § 370.

  54. A.a.O., 116 „Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück“. Dies nach dem Vorbild von G. E. Moore; cf. hierzu auch die großartige Rekonstruktion der Tradition dieses Gedankens bei K. Lorenz, Elemente der Sprachkritik, Frankfurt 1970, 37 ff.

  55. Cf. Wittgenstein, a.a.O. insbes. §§ 109 ff.

  56. Über die Konstitution der Erfahrungswelt im kommunikativen Handeln cf. Habermas in: Habermas/Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie (Theorie-Diskussion), Frankfurt am Main 1971, 212 ff.

  57. Zur Bedeutung der Anerkennung als Voraussetzung eines jeden kommunikativen Umgangs zwischen Individuen cf. Hegel, Phänomenologie des Geistes (ed. Hoffmeister) Hamburg 1952, 141 ff.

  58. Cf. L. Schäfer, a.a.O. 875, Fußnote.

  59. Jüngst wieder von Albert, in: Konstruktivismus oder Realismus? Zs. f. Sozialpsychologie 2 (1971), 5 ff.

  60. Über die Grenzen der Leistungsfähigkeit dieser Strategie cf. Feyerabend, Realism and Instrumentalism, a.a.O.; auch L. Schäfer, a.a.O. 874.

  61. Cf. Popper, LdF, Vorwort zur englischen Ausgabe 1959, a.a.O. XVIff.

  62. Cf. Albert, PS, vor allem 204 f.

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Schnädelbach, H. Über den Realismus. Zeitschrift für Allgemeine Wissenschaftstheorie 3, 88–112 (1972). https://doi.org/10.1007/BF01800823

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