Kann man zum Thema Kitsch eigentlich noch etwas theoretisch Gehaltvolles sagen? Ist dieses Feld der ästhetischen Theorie nicht bereits erschöpfend beackert worden? Phänomene und Begriff sind freilich präsent wie eh und je; zwei zufällig herausgegriffene Beispiele aus der Tagespresse mögen das belegen. Im Abschlussbericht zur letzten documentawar in der Süddeutschen Zeitungdie Rede vom „Betroffenheitskitsch“; damit sollte politische Kunst diffamiert werden, die mit „blutige[n] Lazarettlaken und endlose[n] Kerzenbatterien“ arbeite (Knapp 2007: 13).1 Und zum fünfhundertjährigen Jubiläum der Zeichnung Betende Händemerkte der Autor der täglichen Glosse in derselben Zeitung ironisch an, Albrecht Dürer sei mit diesem Werk „zum Marktführer im Genre Besinnlichkeitskitsch geworden.“2 Betroffenheitskitsch, Besinnlichkeitskitsch – da weiß jeder, was gemeint ist. Aber auch eine Art Vermeidungshaltung ist verbreitet, denn wer das Wort „Kitsch“ nach wie vor in kritischer Absicht benutzt, kann heute unter ironisch-eingeweihten Ästheten durchaus Gefahr laufen, sich als rückständig zu blamieren, da die überlieferten Kategorien „guter“ und „schlechter Geschmack“ aus deren Mehrfachkodierungs-Karussell meist schon längst hinausgeflogen sind (Liessmann 2002). Lohnt es sich da noch, zum ästhetischen Diskurs über Kitsch anzusetzen?
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Literatur
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Schweppenhäuser, G. (2009). „Das Recht des Kitsches“ Synthetische Kunst, populärer Widerschein und reflexive Pragmatik. In: Sachs, M., Sander, S. (eds) Die Permanenz des Ästhetischen. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91472-5_3
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