Zusammenfassung
Erkenntnis hängt, wie schon E. Topitsch gezeigt hat, einerseits mit Entlastung vom „Druck der Realität“, andererseits mit analogisierender Merkmalsübertragung zusammen. Aus dieser Sicht werden die Erkenntnismodelle im Eleatismus und besonders in der Ideenlehre Platons unbeschadet ihres werthaft-spekulativen Charakters als im doppelten Sinne lebensdienlich betrachtet: sie sind Seinsdeutung und Handlungsorientierung. Der nachplatonische epistemologische „Sündenfall“, eingeleitet durch den Proto-Empirismus der Aristotelischen Wissenschaftslehre, führte in einigen großen Entwicklungsschritten in die Laisser-faire-Freiheit sich allein der Wahrheitsidee verpflichtender wissenschaftlicher Forschung. Bis zum Aufkommen des Konventionalismus verstehen sich die wissenschaftlichen Modelle dieses ontologisch-empiristischen „Paradigmas“ als wesentlich original-, nicht entscheidungs- und handlungsabhängig, und auch ein sich „kritisch“ nennender Rationalismus beläßt es prinzipiell bei der Zweistelligkeit der Modellrelation.
Sowohl weite Bereiche der faktischen gegenwärtigen Forschung sowie der Technik- und Wissenschaftsplanung auf der einen wie epistemologische Kritik auf der anderen Seite fordern die explizite Einführung pragmatischer Variablen, insbesondere von Subjekt-, Zeit- und Zielvariablen, in die szientifischen Modellbildungsprozesse. Mit der Unabdingbarkeit einer systematischen Pragmatik besonders für die theoriendynamischen Reflexionen im Big-science-Bereich moderner Technologien finden die weitgehend intuitiven Überzeugungen des klassischen Seins-Sollens-Holismus ihre pünktliche zeitgenössische Entsprechung.
LiteraturSchrifttum
Alisch, L.-M. und Rössner, L.:Erziehungswissenschaft als technologische Disziplin. Ein Beitrag zur Technologie-Diskussion in den Sozialwissenschaften. München-Basel: Ernst Reinhardt 1978.
Chernoff, H.; Moses, L. E.:Elementary decision theory. New York-London: Wiley 1959.
Fritz, K. v.:Die Rolle des Nous. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1968.
Gigon, O.:Der Ursprung der griechischen Philosophie: von Hesiod bis Parmenides. Basel: Schwabe 1945.
Gomperz, H.:Die Lebensauffassung der griechischen Philosophen und das Ideal der inneren Freiheit. Jena-Leipzig: Diederichs 1904.
Höpp, G.:Evolution der Sprache und Vernunft. Berlin-Heidelberg-New York: Springer 1970.
Lakatos, I.: Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme. In: Lakatos I.; Musgrave, A. (Hrsg.),Kritik und Erkenntnisfortschritt. Abhandlungen des Internationalen Kolloquiums über die Philosophie der Wissenschaft, London 1965. (Aus d. Engl.) Braunschweig: Vieweg 1974.
Leinfellner, W.: Epitheoretische Aspekte sozialwissenschaftlicher Theorien. In: Eberlein, G.; Kroeber-Riel, W.: Leinfellner, W. (Hrsg.),Forschungslogik der Sozialwissenschaften; Düsseldorf: Bertelsmann 1974, p. 131–166.
Leinfellner, E.; Leinfellner, W.:Ontologie, Systemtheorie und Semantik. Berlin: Duncker & Humblot 1978.
Leisegang, H.: Platon.Pauly-Wissowa Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Waldsee, Würrt: Druckenmüller 1950, Sp. 2342–2538.
Lorenz, K.: Die angeborenen Formen möglicher Erfahrung.Zeitschr. f. Tierpsychologie 5. 2 (1943), p. 236–409.
Martin, R. M.:Toward a systematic pragmatics. Amsterdam: North-Holland 1959.
Martin, R. M.: Toward a logic of intentions. In: Gregg, J. R.; Harris, F.T.C. (Ed.),Form and strategy in science; Dordrecht: Reidel 1964, p. 146–167.
Pittioni, V.: Modelle und Mathematik. In: Stachowiak, H. (Hrsg.),Modell und Wirklichkeit. München: Fink, i. Vorb.
Popper, K. R.:Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Erster BandDer Zauber Platons. Bern: Franke 1957.
Ropohl, G.: Eine Systemtheorie der Technik. Zur Grundlegung der Allgemeinen Technologie. München-Wien: Hanser 1979.
Sneed J. D.:The logical structure of mathematical physics. Dordrecht: Reidel 1971.
Stachowiak, H.: Rationalismus im Ursprung. Die Genesis des axiomatischen Denkens. Wien-New York: Springer 1971.
Stachowiak, H.:Allgemeine Modelltheorie. Wien-New York: Springer 1973.
Steck, M.:Dürers Gestaltlehre der Mathematik und der bildenden Künste. Halle (Saale): Niemeyer 1948.
Stegmüller, W.: Das Problem der Induktion: Humes Herausforderung und moderne Antworten. In: Lenk, H. (Hrsg.),Neue Aspekte der Wissenschaftstheorie; Braunschweig: Viehweg 1971, p. 13–73.
Stegmüller, W.:Theorie und Erfahrung. Bd. II:Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie. 2. Halbbd.:Theorienstrukturen und Theoriendynamik. Berlin-Heidelberg-New York: Springer 1973.
Stenzel, J.: Zur Entwicklung des Geistbegriffs in der griechischen Philosophie.Die Antike 1 (1925), p. 244–272.
Szabó, A.: Wie ist die Mathematik zu einer deduktiven Wissenschaft geworden?Acta Ant. Acad. Scient. Hung. 4 (1956), p. 109–152.
Topitsch, E.: Vom Ursprung und Ende der Metaphysik. Eine Studie zur Weltanschauungskritik. Wien: Springer 1958.
Toptisch, E.: Phylogenetische und emotionale Grundlagen menschlicher Weltauffassung.Edizioni di „Filosofia“, Saggi Filosofici, IX. Torino: Proprieta Letteraria 1962, p. 1–31.
Wuchterl, K.: Zur Struktur philosophischer Revolutionen und die Gegenwart der Philosophie. In: Stachowiak, H. (Hrsg.),Modelle — Konstruktion der Wirklichkeit. München: Fink, i. Vorb.
Author information
Authors and Affiliations
Additional information
Vortrag, gehalten am 29. November 1979 am Institut für Philosophie der Ruhr-Universität Bochum.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Stachowiak, H. Der Modellbegriff in der Erkenntnistheorie. Zeitschrift für Allgemeine Wissenschaftstheorie 11, 53–68 (1980). https://doi.org/10.1007/BF01801279
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF01801279