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Die Entwicklung des Konzepts der Einwilligung nach Aufklärung in der psychiatrischen Forschung

The development of the concept of informed consent in psychiatric research

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Ethik in der Medizin Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Das juristische Konzept der Einwilligung nach Aufklärung ist im Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht begründet. Es entwickelte sich seit Ende des 19. Jahrhunderts, gewann mit der rapiden Ausweitung der klinischen Forschung seit Mitte des 20. Jahrhunderts mittels der Deklaration von Helsinki und seit 1972 in den USA als Konzept des informed consent erhebliche Bedeutung in der klinischen Forschung, nachfolgend auch in der klinischen Praxis. Die psychiatrische Forschung stieß bald auf das grundlegende ethische Problem, dass psychische Krankheiten die Einwilligungsfähigkeit und damit die Voraussetzung jeder Forschungsteilnahme beeinträchtigen oder gar zerstören können. Versuche der Lösung dieses ethischen und juristischen Problems in den letzten 30 Jahren – von frühen, durch das Konzept angestoßenen Fragen über die Entwicklung von Verfahren zur Feststellung der Einwilligungsfähigkeit bis zu aktuellen Vorschlägen für Forschungs- bzw. Probandenverfügungen und Forschungsvollmachten – werden im Kontext ihrer gesellschaftlichen Resonanz wie auch der eigenen Erfahrung skizziert. Die Übersicht soll die zunehmende Differenzierung des Konzepts verdeutlichen; sie folgt der Auseinandersetzung mit Problemen, die sich aus der Umsetzung und Wirksamkeit des Konzepts in der Forschungspraxis ergaben, um das Selbstbestimmungsrecht der Probanden zu bewahren. Als Schlussfolgerung ergibt sich 1. Das juristische Konzept der Einwilligung nach Aufklärung wurde erst durch die Entwicklung klinischer Kriterien zur Erfassung der Einwilligungsfähigkeit praktikabel; im Forschungskontext ist die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit unverzichtbar, da von ihr die Gültigkeit der Einwilligung abhängt. 2. Zu erkennen ist ein langsamer Wandel von der Erfüllung einer juristisch begründeten Pflicht des forschenden Psychiaters, den potentiellen Forschungsteilnehmer nach Aufklärung um seine Einwilligung zu bitten, hin zu einer stärkeren Patientenorientierung; sie anerkennt das Selbstbestimmungsrecht und bemüht sich, im Prozess der Aufklärung die Fähigkeit des Patienten zu optimieren, sich zu einer Forschungsteilnahme selbstbestimmt entscheiden zu können. Dabei wird die Einwilligungsfähigkeit anhand klinischer Kriterien bestimmbar. 3. Es wird bezweifelt, dass die jüngsten legislativen Bemühungen geeignet sind, die Selbstbestimmung bei Forschung ohne potentiellen individuellen Nutzen mit nicht-einwilligungsfähigen Probanden zu sichern; denn es ist fraglich, ob die vorverlegte, dann aber prinzipiell nur unspezifisch mögliche Aufklärung und die auf einen später spezifisch aufgeklärten Vertreter verlagerte Entscheidung praktisch ausreichend realisiert werden können; ethisch enthält diese kontroverse Einschränkung der Selbstbestimmung zumindest das Risiko, das Verhältnis zwischen Individualwohl und Gemeinwohl zu Ungunsten des Individuums zu verschieben. Dadurch wäre dann auch das mit der Respektierung des Selbstbestimmungsrechtes begründete Konzept der Einwilligung nach Aufklärung infrage gestellt.

Abstract

Problem

The juridical concept of informed consent is based on respect for the right of self-determination. It has evolved since the end of the 19th century, has gained considerable significance through the rapid expansion of clinical research since the middle of the 20th century with the Declaration of Helsinki and particularly in the USA since 1972, and since then also in clinical practice. Clinical research in psychiatry soon encountered the basic problem that mental disorders may impair or even destroy the capacity to consent, the prerequisite for any participation in research.

Procedure

Attempts to solve this ethical and legal problem during the past 30 years, from early questions provoked by the concept through the development of procedures for assessing the capacity to consent up to current proposals of research or proband advance directives and research permissions, will be outlined in the context of societal resonance as well as our own experience.

Aim

This review aims to elucidate the increasing differentiation of the concept; differentiation follows disputes about problems that result from the clinical implementation and efficacy of the concept in preserving the autonomy of research participants.

Conclusions

(1) The juridical concept of informed consent only then became serviceable with the development of clinical criteria for the establishment of consent capacity. In the context of research the determination of consent capacity is absolutely essential because the validity of the consent depends on it. (2) A gradual change can be recognized from the fulfillment of a legal obligation by the psychiatrist performing the research to ask the patient, after presenting information, for his/her consent now to a stronger patient orientation that acknowledges the right of self-determination and strives by the process of informing the patient to optimize his/her capacity to decide about research participation in a self-determined manner. Within this process the capacity to consent according to clinical criteria becomes determinable. (3) It is doubtful whether the latest legislative attempts are suited for ensuring research with individual self-determination without potential individual benefit with probands lacking consent capacity because it is questionable whether the preliminary but in principle only non-specific possible information along with a decision taken later by a specifically informed patient representative can be realized in a practically adequate manner. Ethically this controversial limitation of self-determination involves at least the risk that the relationship of individual well-being and community well-being would be decided to the disadvantage of the individual. In that way the concept based on consent after being informed as a basis for the right of self-determination could be placed in question.

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Notes

  1. Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2757) geändert worden ist.

  2. Drucksache 1810280. 4. Änderung des AMG 9_11_16. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/102/1810280.pdf. Zugegriffen: 18. Juni 2019.

  3. Mit der wachsenden Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts kommt ebenso die Selbstbestimmungsfähigkeit als Oberbegriff zunehmend in Gebrauch, da sie auch die Fähigkeit zur Ablehnung umfasst; denn Selbstbestimmung kann als Fähigkeit verstanden werden, eigene Wünsche, Interessen und Werte durch Verständnis, Intention, und frei von äußeren Zwängen zur Geltung zu bringen und damit über das eigene Leben selbst zu bestimmen.

  4. Ist die Zwangsbehandlung eines einwilligungsfähigen Patienten im Maßregelvollzug ethisch vertretbar, um das Therapieziel zu erreichen? Autorenreferat auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (DGPPN) am 29.11.2018 in Berlin.

  5. 8AZ: XII ZB 61/16 vom 6. Juli 2016. https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gricht=BGH&Datum=06.07.2016&Aktenzeichen=XII%20ZB%2061%2F16. Zugegriffen: 20. März 2019.

  6. Wirksame Patientenverfügung zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. Beschluss vom 14. November 2018-XII ZB 107/18. Pressemitteilung Nr. 185/2018 BGH (Hrsg). BGH, Karlsruhe.

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H. Helmchen gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.

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Für Hans Lauter zum 11.05.2018

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Helmchen, H. Die Entwicklung des Konzepts der Einwilligung nach Aufklärung in der psychiatrischen Forschung. Ethik Med 31, 207–220 (2019). https://doi.org/10.1007/s00481-019-00532-7

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