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Probleme der Begründungen von „Historische Größe“

Ein Beitrag zur Kritik historischer Faktenkonstitution

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Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie Aims and scope Submit manuscript

Summary

There is a continuing irresolution on the levels, both of theory and political praxis, vis-à-vis a coming to terms with the problem of ‘historical greatness’. This results from the pre-history of a concept which is, when seen in the context of a systematic theory of science, in two respects methodologically unsatisfactory. 1. The pre-idealist understanding of “greatness”, in the sense of canonical exemplariness, is based on a timeless concept of morality, itself determined through a heteronomous concept of norm-giving transcendence and/or nature. 2. The philosophy of history ignores the Kantian reference to the autonomy of the genesis of human orientation; instead it sees this genesis not as theexpression of a potentially autonomous normativity but as asource of normative existential orientation. In this orientation the goal (telos) and the steps towards the goal (epoché) are pre-reflexively implied. In the philosophy of history the ‘historically great’ function as genial mediators between telos and epoché. Their actions are not explicable by the categories of normal rationality. The lack of a sufficient methodology of socially practicable communication (Marxism included) continues to lessen the chances of overcoming the practical and theoretical dependency on the idea of the mediating genius. Yet the shift to a critical social hermeneutic (which would include a hermeneutic psychoanalysis) remains impossible as long as hermeneutic theory is willing to deny itself in the face of a purely scientistic analytic philosophy.

Mach nur einen Plan Sei nur ein großes Licht Und mach dann noch 'nen zweiten Plan Gehn tun sie beide nicht B. Brecht

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Literaturverzeichnis

  1. Vgl. W. Kamlah, P. Lorenzen, Logische Propädeutik, Mannheim 1967, I. Kapitel.

  2. Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Fünftes Kapitel: Das Individuum und das Allgemeine, Die historische Größe, Stuttgart 1969, S. 209.

  3. Vgl. auch S. 74.

  4. Kant unterscheidet dann zwischen bloßerNachahmung, die sich ein „Muster“ der Handlung sucht und nur einen „Mechanismus der Sinnesart“ bewirkt (Metaphysik der Sitten, Akad.-Ausg. 6,479) und einer vom Menschen im „Bewußtsein seiner Freiheit“ (Kritik der praktischen Vernunft, 5, 160) reflektiertenNachfolge (Kritik der Urteilskraft, 5, 283). Vgl. auch G. Buck, Art. Beispiel, Exempel, exemplarisch, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von J. Ritter, Bd. 1, Darmstadt 1971, S. 818. Und ausführlicher: ders., Kants Lehre vom Exempel, Archiv für Begriffsgeschichte, 11, 1967, S. 148–183.

  5. H.-G. Gadamer, Art. Hermeneutik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von J. Ritter, Bd. 3, Basel 1974, Spalte 1069.

  6. H.-G. Gadamer, a.a.O., Spalte 1069.

  7. H.-G. Gadamer, a.a.O., Spalte 1068.

  8. Auf den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Verwendung des Plurals und der schließlichen Ersetzung der Plural- durch die Singularform hat R. Koselleck hingewiesen: Historia Magistra Vitae, in: Natur und Geschichte, Stuttgart 1967 und Wozu noch Historie? HZ 1971, Bd. 212.

  9. B. Croce spricht hier von einem „materialisierten und unbeweglichen Dogma“, das „als Universalmaßstab (gilt)“. „... die Menschen aller Zeiten wurden danach beurteilt, ob sie von der göttlichen Gnade berührt waren oder nicht, ob sie fromm oder unfromm gewesen, und die Lebensbeschreibungen der hl. Väter und der Glaubenshelden wurden zu einem Plutarch, der jeden anderen und profanen Plutarch ausschloß oder in seinem Wert herabsetzte“. Dies alles geschieht nach Croce im Zeichen eines „Dogmatismus der Transzendenz“. B. Croce, Zur Theorie und Geschichte der Historiographie, Tübingen 1915, S. 168.

  10. Vgl. Voltaire, Essai sur les moeurs ..., Bd. 13, S. 182: „Das Ergebnis dieses Gemäldes (der Geschichte; Verf.) ist: alles, was zuinnerst mit der menschlichen Natur zusammenhängt, ähnelt sich von einem Ende des Universums zum andern; alles was von Gebräuchen abhängig sein kann, ist verschieden. ... und verbreitet die Vielfalt über die Bühne des Universums; die Natur hingegen verbreitet die Einheit und richtet überall einige wenige unveränderliche Prinzipien ein: so ist der Grundstock überall derselbe ...“ Demgemäß erscheint dann die Geschichte als „ein großes Lager, aus dem ihr das nehmen sollt, was ihr braucht“. Ebd., Bd. 11, Vorwort. „Die Beispiele“, sagt Voltaire, „machen einen großen Eindruck auf einen Fürsten, der aufmerksam liest“. Dict. Philos., Art, Histoire, Bd. 19, S. 357. Und sein „Siècle de Louis XIV“ beschreibt ein Jahrhundert, „welches das Vorbild für kommende Jahrhunderte sein soll ...“ Zitiert nach F. Stern. Geschichte und Geschichtsschreibung, München 1966, S. 40. Überhaupt „... (zählen für jeden, der denkt) in der Weltgeschichte nur vier Jahrhunderte. Es sind jene vier glücklichen Zeitalter, in denen die Künste vervollkommnet wurden und die, epochemachend für die Größe des menschlichen Geistes, das Beispiel für die Nachwelt sind. Das erste dieser Jahrhunderte ist das Zeitlater von Philipp und Alexander ... Das zweite ist das Zeitalter von Cäsar und Augustus ... Das dritte folgt auf die Eroberung Konstantinopels ... Das vierte Jahrhundert, das sich das Jahrhundert Ludwigs XIV nennt, ist unter den vieren vielleicht der Vollendung am nächsten“. Einleitung zu „Le Siècle de Louis XIV“. Wie konkret sich Voltaire die exemplarische Lehrhaftigkeit der Geschichte vorgestellt hat, mögen wir aus folgender Passage ersehen: „Die großen Fehler der Vergangenheit sind in jeder Beziehung sehr lehrreich ... die Katastrophe Karls XII vor Poltawa mahnt einen General, nicht ohne Verpflegung in die Ukraine einzudringen. Weil er Einzelheiten über die Schlachten von Crécy, Poitiers, Azincourt, Saint-Quentin, Gravelottes usw. Gelesen hatte, entschloß sich der berühmte Marschall von Sachsen, möglichst nur Stellungskriege zu führen. Beispiele wirken sehr stark auf den Geist eines fürsten ein, der aufmerksam liest. Er wird sehen, daß Heinrich IV seinen großen Krieg ... erst unternahm, nachdem er den Nerv des Krieges gesichert wußte, so daß er mehrere Jahre ohne weitere finanzielle Hilfe durchhalten konnte. Er wird sehen, daß Königin Elisabeth allein mit den Hilfsquellen des Handels und durch kluge Sparsamkeit dem mächtigen Philipp II widerstand ... — Frankreich, das unter Ludwig XIV nach einem neunjährigen, sehr unglücklichen Krieg unberührt geblieben ist, demonstriert zweifellos den Nutzen der Grenzfestungen, die es errichtete. ... Wenn man die Jugend nicht mit diesen Kenntnissen vertraut machen würde, wenn es nicht eine kleine Zahl von Gelehrten gäbe, die über diese Tatsachen unterrichtet ist, dann wäre das Publikum immer noch so dumm wie zur Zeit Gregors VII. Die Schrecken jener Zeit der Unwissenheit würden unfehlbar wiederkehren, weil man keinerlei Vorsichtsmaßregeln ergreifen würde, um sie abzuwenden. Jeder in Marseille weiß, durch welche Unvorsichtigkeit die Pest aus der Levante eingeschleppt wurde, und man sieht sich vor. (Zur Parallelisierung von Geschichtsschreibung und Medizin vgl. des Näheren auch das folgende Kapitel, S. 5 ff.; Verf.). Man schaffe das Studium der Geschichte ab, und man wird vielleicht eine neue Bartholomäusnacht in Frankreich und einen Cromwell in England erleben“. Zitiert nach Stern, a.a.O., S. 48.

  11. Für die Berechtigung des Groß-Sprechens Ottos wird z.B. angeführt, er habe über virtus militiae, virtus animae, benivolentia und magnanimitas verfügt. Vgl. MGH SS Bd. 14, S. 125–127.

  12. Vgl. etwa Thukydides, Einleitung zum Peloponnesischen Krieg, 1, 22: „Und weil bei den Tatsachen auf jedes Element des Fabelhaften verzichtet ist, so wird mein Werk zum Vorlesen und Anhören ein geringerer Genuß erscheinen. So viele aber den Wunsch hegen werden, das deutliche Wesen des Geschehenen betrachtend zu erfassen und das, was entsprechend der (gleichbleibenden) Menschenart einmal wieder so oder annähernd so geschehen wird — wenn solche Leser mein Werk für nützlich erachten werden, so wird das genügen“. Und Buch 2, 48: „Es mag nun ein jeder über das Übel (gemeint ist die während des Peloponnesischen Krieges ausgebrochene Pest; Verf.) reden wie er es versteht, Arzt wie Laie, aus welchem Ursprung es wahrscheinlich hervorgegangen sei, und über die Ursachen, von denen er meint, sie seien hinlänglich gewesen, zu einer so tiefgreifenden Veränderung Gewalt zu erlangen. Ich will darstellen, wie die Erscheinung des Übels war und auf Grund von welchen Merkmalen einer es betrachten muß, um, wenn es wieder einmal auftreten sollte, infolge seines Vorwissens es nicht zu verkennen: das will ich klarstellen als einer, der selbst von der Krankheit ergriffen wurde und mit eigenen Augen andere von dem Leiden befallen gesehen hat“. — Im gleichen Sinne dann auch Polybios, Historiai, Buch III, Kap. 7: „Ich ging ... auf diese Unterschiede näher ein ... um dem lernbegierigen Leser zu nützen. Denn was nützt dem Kranken ein Arzt, der die Ursachen der körperlichen Zustände nicht kennt?!“.

  13. Vgl. d'Alembert, Essai sur les éléments de la philosophie, übers. von E. Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, Tübingen 1932, S. 299 ff.: „... für den Philosophen ist (die Geschichte) eine Sammlung geistig-sittlicher Erfahrungen (expériences morales), die man am menschlichen Geschlecht machen kann; eine Sammlung, die kürzer und vollständiger wäre, wenn sie nur von Weisen herrührte, die aber, so unvollkommen sie ist, noch immer die größten Lehren in sich schließt: ebenso wie die Sammlung der medizinischen Beobachtungen aller Zeiten, die ständig vermehrt wird und immer unvollkommen bleibt, nichts-destoweniger den wesentlichen Teil der Heilkunde ausmacht“.

  14. J. Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, Frankfurt 1968, S. 158.

  15. Gadamer, a.a.O., Sp. 1070.

  16. Vgl. K. R. Popper, Logik der Forschung, Tübingen 1971, S. 19: „Nur dort, wo gewisse Vorgänge (Experimente) auf Grund von Gesetzmäßigkeiten sich wiederholen, bzw. reproduziert werden können,nur dort können Beobachtungen, die wir gemacht haben, grundsätzlich von jedermann nachgeprüft werden. Sogar unsere eigenen Beobachtungen pflegen wir wissenschaftlich nicht ernst zu nehmen, bevor wir sie nicht selbst durch wiederholte Beobachtungen oder Versuche nachgeprüft und uns davon überzeugt haben, daß es sich nicht nur um ein einmaliges „zufälliges Zusammentreffen“ handelt, sondern um Zusammenhänge, die durch ihr gesetzmäßiges Eintreffen, durch ihre Reproduzierbarkeit grundsätzlich intersubjektiv nachprüfbar sind“. (Hervorhebungen vom Verf.) Entsprechend verwundert es dann nicht, daß Popper in seinem antihistorischen Buch „Das Elend des Historizismus“ seine Analyse der Geschichtswissenschaft in Parallele zur alten Geschichte voridealistischer Prägung setzt: „Ich will die von den Historizisten so oft als altmodisch angefeindete Auffassung verteidigen, daß die Geschichtswissenschaft durch ihr Interesse für tatsächliche, singuläre, spezifische Ereignisse ... charakterisiert ist“. A.a.O., Tübingen 1971, S. 112. — Oder: „Diese Leute (die Historizisten; Verf.) verachten die altmodische Geschichte und wollen sie in eine theoretische Wissenschaft verwandeln“. A.a.O., S. 113.

  17. Vgl. auch Descartes: „il n'y a pas lieu de s'incliner devant les anciens à cause de leur antiquité: C'est nous plutôt qui devons être appelés anciens. Le monde est plus vieux maintenant que d'autrefois et nous avons une plus grande expérience des choses“. Zitiert nach Theisen, Geschichte der französischen Literatur, Stuttgart 1964, S. 122.

  18. Auch eine so tiefgreifende politisch-strukturale Veränderung wie die Auflösung der römischen Adelsrepublik und die Einführung des Prinzipats durch Augustus wurde nicht

  19. Vgl. hierzu u.a. die Hinweise zur Hermeneutik-Diskussion auf S. 65f.

  20. Hegel, Philosophie der Weltgeschichte, 4 Bde., hrsg. von G. Lasson, 4. Aufl. Lpz. (Meiner) 1944, Bd. I, S. 174.

  21. Droysen, Historik, Darmstadt 1967, S. 300f.

  22. Reinhart Koselleck, Wozu noch Historie?, HZ 1971, Bd. 212, S. 12.

  23. Der Gedanke der Führung gewinnt hier seine ganze politische Brisanz. Lukács bezeichnet den Begriff der historischen Größe in kritischer Abhebung von dieser Tradition geradezu als „die historisch-methodologische Kehrseite der preußisch-bürokratischen Auffassung vom ‚beschränkten Untertanenverstand‘“, G. Lukács, Die Zerstörung der Vernunft, Neuwied 1962, S. 57.

  24. Günter Birtsch und Jörn Rüsen (Hrsgg.), Texte zur Geschichtstheorie, Ungedruckte Materialien zur „Historik“, VII. Die Persönlichkeit und die geschichtliche Größe, Göttingen 1972, S. 36.

  25. G. Weinberg (Hrsg.), Hitlers Zweites Buch, Stuttgart 1961.

  26. Lukács, a.a.O.

  27. Hier findet sich die moralische Freistellung des staatslenkenden Ausnahmemenschen, die ja schon etwa Macchiavell propagiert hatte, wieder.

  28. Burckhardt, a.a.O., S. 209.

  29. Burckhardt, a.a.O., S. 210. — Ganz im gleichen Sinne heißt es noch in unseren Tagen in einem „In Quest of Leadership“ betitelten Essay der Zeitung TIME über historisch große Persönlichkeiten: „Such exceptional figures remain one of the enigmas of civilization“. TIME, 15. 7. 74, S. 26. — Wie sehr im übrigen auch neuere Schul-Geschichtsbücher von einer unter dem Einfluß der historischen Größen stehenden Geschichte ausgehen, zeigt die Untersuchung von Ernst Tienken, Die Persönlichkeit im Geschichtsbuch, in: Helmut Hoffacker und Klaus Hildebrandt (Hrsgg.), Bestandsaufnahme Geschichtsunterricht, Stuttgart 1973, S. 177 ff.

  30. Burckhardt, a.a.O., S. 229. Ähnlich schreibt Droysen: der Große „meint in dem Besonderen das Allgemeine, in dem Einzelnen das Ganze ...“ Birtsch/Rüsen (Hrsgg.), a.a.O.

  31. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, hrsg. von Brunstädt, Lpz o.J. (Reclam), S. 66.

  32. F. Engels, Brief an Bloch vom 21. 9. 1890, in M.-E., Ausgewählte Briefe, Berlin 1953, S. 503. Auch in: Fetscher, M.-E. Studienausgabe, Bd. I, S. 226f.

  33. Brief von Engels an H. Starkenburg aus London, 25. 1. 1894, in: I. Fetscher, M.-E. Studienausgabe, Bd. I, S. 237.

  34. Brief von Engels an H. Starkenburg aus London, 25. 1. 1894, in: I. Fetscher, M.-E. Studienausgabe, Bd. I, S. 237.

  35. S. auch S. 60.

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Hesse, R. Probleme der Begründungen von „Historische Größe“. Zeitschrift für Allgemeine Wissenschaftstheorie 7, 58–74 (1976). https://doi.org/10.1007/BF01801572

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