Zusammenfassung
Wir möchten der Charter on Medical Professionalism, die wir für vorbildlich halten, eine durchdachte Anreicherung hinzufügen. Wir beginnen mit einer skeptischen Note gegen das verbreitete theoretische Vorurteil, die wichtigsten Probleme im Gesundheitssystem seien Gerechtigkeitsprobleme und diese seien theoretisch gut beherrschbar. Unter Bezug auf Norman Daniels, der John Rawls’ Theorie der politischen Gerechtigkeit auf die Bewertung und Gestaltung von Gesundheitssystemen anwendet, sowie auf die biomedizinische Ethik, die von Beauchamp und Childress vertreten wird, analysieren wir das komplexe Verhältnis zwischen moralischer Integrität von Strukturen und Organisationen einerseits und natürlichen Personen, die in ihnen arbeiten, andererseits. Anschließend interpretieren wir die Charta als eine Spezifizierung der ärztlichen professionsmoralischen Verantwortung auf mehreren Ebenen, die Tugend- und Organisationsethik verklammern.
Abstract
Definition of the problem
The Charter on Medical Professionalism offers a complete synopsis of responsibilities and commitments of physicians towards patients, co-professionals and society. Unfortunately, most members of the medical professions are more or less unaware of the interconnections between them. We try to make them more explicit.
Arguments
We question the assumption that the most important problems besetting modern health care systems are problems of justice. We argue that problems of professional integrity are at least as important. Professions as corporate actors and individually all their members assume specific responsibilities for benefitting society, and professions are encouraged to organise themselves in pursuit of this end. The spectrum of professional moral responsibility includes a responsibility for averting tendencies that can be seen to threaten the moral integrity of the profession. In our view, commercialisation represents such a tendency. The perceived moral integrity of the profession depends upon the moral integrity of the majority of its members.
Conclusion
Individual physicians are co-responsible for the collective operating conditions of their profession which enables them individually to benefit patients.
Notes
„Health care is not a primary social good – neither are food, clothing, shelter, or other basic needs. The presumption is that the latter will be provided for adequately from fair shares of income and wealth. The special importance and unequal distribution of health-care needs, like educational needs, are acknowledged by their connection to other institutions that provide for fair equality of opportunity. But opportunity, not health care or education, is the primary social good here“ ([3], S. 45 Fn 3).
Zu Geburtshelfer(inne)n, Ernährungsberater(inne)n, Physiotherapeut(inn)en und Gestaltungstherapeut(inn)en siehe die interessanten, professionstheoretisch allerdings anspruchslosen Artikel in [6].
In seinem neuen Buch [5] beginnt Daniels sich mit dem moralischen Profil von Professionen zu beschäftigen (vgl. bes. Kap. 8). Aber auch hier beschränkt er sich ausdrücklich auf die Beziehung zwischen Professionsethik und Gerechtigkeit, behandelt also nicht das Verhältnis zwischen tugendhaftem Verhalten des Professionellen zum Patienten und tugendhaftem Verhalten zu seinen Kollegen innerhalb des Kollektivs der gemeinsamen Profession.
Siehe aber die interessante Stellungnahme des Ethikrats „Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung“ [7].
Als „Ökonomisierung“ ist eine wirtschaftsförmig effizienzorientierte, als „Kommerzialisierung“ hingegen eine den Profit priorisierende Veränderung einer Handlungspraxis zu bezeichnen, vgl. [17].
Zu der hinter dieser Bemerkung stehenden Kulturtheorie vgl. [1], S. 20–24.
Umfassend hierzu [12].
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Interessenkonflikt
Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
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Kettner, M., Heubel, F. Lob der Profession. Ethik Med 24, 137–146 (2012). https://doi.org/10.1007/s00481-012-0193-9
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