Abstract
Kant formuliert nirgends ein individuelles Recht auf Leben, auf körperliche und psychische Integrität, auf Eigentum, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Freizügigkeit usw. Wenn es aber zutrifft, dass Kant keine Konzeption der Menschenrechte in unserem modernen Sinn besitzt, stellt sich die Frage nach den Gründen. Im vorliegenden Aufsatz wird gezeigt, dass sich auch der Versuch, ein Kantisches Menschenrecht im „angeborenen Recht auf Freiheit“ zu identifizieren, als aussichtslos erweist (I.). Sodann wird eine Erklärung dafür angeboten, weshalb es verfehlt ist, von Kant eine Konzeption der Menschenrechte überhaupt zu erwarten (II.). Diese Erklärung beruht auf zwei Punkten: (a) Kant wählt seinen theoretischen Ausgangspunkt bei den Pflichten, nicht bei den Rechten; und (b) er fasst das Haben von Rechten nicht als die Zusicherung oder Gewährleistung bestimmter moralischer Güter für das Individuum auf. Und schließlich (III.) wird der pflichtentheoretische Rechtsbegriff Kants näher charakterisiert, auf dem sein ‚deontologischer Liberalismus‘ beruht. In der Konsequenz zeigt sich, dass Kant die Menschenrechtsidee auf der Basis seiner eigenen Überzeugungen ablehnen muss (also keineswegs hinter seinen eigenen Ideen oder Vorgaben zurückbleibt).