Abstract
Anhand der Bearbeitungen zweier Opernstoffe möchte der Aufsatz zu einer Neubewertung der barocken Opernlibretti anregen. Die enge Verbindung zwischen Musik- und Sprechtheater in der Barockzeit sowie die Veränderungen in bezug auf Affektdarstellung, Rollenspiel, komische Figur und Bühnenbild werden im Hinblick auf den Wandel vom höfischen zum bürgerlichen Normensystem interpretiert.
The function of baroque opera libretti is illustrated by comparing different versions of two operatic plots. The close links between musical and spoken drama in the baroque period, as well as the differences in the expression of passions, role-playing, comic characters and stage sets are interpreted in the context of the process in which a courtly set of norms was supplanted by a bourgeois one.
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Literature
Vgl. die kurze Passage in Hellmuth Christian Wolff, Die Barockoper in Hamburg (1678–1738), 2 Bde., Wolfenbüttel 1957, I, 56–60; sowie die Aufsätze
Bodo Plachta, “Plagiat oder Neuschöpfung? Zum Einfluß der galanten Lyrik Hof mann von Hofmanns-waldaus auf die Libretti von Christian Heinrich Postel”, Die Musikforschung 34 (1981), 11–24, und
Helen Watanabe-O’Kelly, “Barthold Feind’s Libretto Octavia (1705) and the ‘Schuldrama’ Tradition”, German Life and Letters 35 (1981/82), 208–220.
Vgl. Barthold Feind, Deutsche Gedichte, Stade 1708, Reprint, hrsg. und eingl. W. Gordon Marigold, Bern, Frankfurt/a.M., New York, Paris 1989, 40ff. und 58ff. Lohensteins und Gryphius’ Werke als Beispiele für argutia; 42f.: Gryphius und Hallmann als Beispiele für Affektdarstellung; 87: Lohenstein, Gryphius, Hallmann und Haugwitz als Dramatiker, die sich an die Einheit von Ort und Zeit gehalten haben (Feind lehnt diese Regel für die Oper ab); 329: die Werke der vorgenannten Dramatiker stehen in einem anderen kulturellen Kontext als die Hamburger Opern.
Zum Verhältnis Brockes-König vgl.: Max Rosenmüller, Johann Ulrich von König. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts, Diss., Leipzig 1896, 64ff., mit einem Brief Königs an Bodmer vom 28. 3.1724. Zum Kontext der ästhetischen Diskussion siehe
Gloria Flaherty, Opera in the Development of German Critical Thought, Princeton 1978, Kap. 2.
Klaus Günther Just, “Das deutsche Opernlibretto”, Poetica 7 (1975), 203–220. In den letzten Jahren hat sich die Forschungslage vor allem Dank der Forschungen amerikanischer Germanisten ein wenig zum Besseren gewendet.
Vgl. hierzu die Arbeit von Mara R. Wade, The German Baroque Fastoral ‘Singspiel’, Berner Beiträge zur Barockgermanistik, Bern, Frankfurt a.M., New York, Paris 1990, in der die Autorin die in den barocken Poetiken zu den Schäferspielen gemachten Ausführungen auf die pastoralen Singspiele überträgt, da sich zu den Singspielen in den Poetiken der Zeit kaum Äußerungen finden.
Johann Christoph Gottsched, Versuch einer critischen Dichtkunst, Gesammelte Werke, hrsg. Joachim und Brigitte Birk, IV, Berlin 1973, IV/2, 366ff.
Vgl. zu dieser Oper die Abhandlung von Werner Braun, Vom Remter zum Gänsemarkt. Aus der Frühgeschichte der alten Hamburger Oper (1677-1679), Saarbrücken 1987, 15 ff.
Wolff, Die Hamburger Oper (Anm. 2), I, 29. Vgl. etwa auch Heinrich Anshelm von Zi(e)gler und Klipphausens Libretto: Die Lybische Talestris (Weißenfels 1696)
von dem mehrere Schauspielfassungen existieren. Näheres hierzu bei Elisabeth Frenzel, “H.A. von Zigler als Opernlibrettist. Die lybische Talestris–Stoff, Textgeschichte, literarische Varianten”, Euphorion 62 (1968), 278–300
hier: 296. In Italien ist z.B. Giovanni Andrea Cicogninis Il Giasone (Venetia 1649) auch als Schauspiel (in Prosa) aufgeführt worden. Vgl. Hellmuth Christian Wolff, Die Venezianische Oper in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Berlin 1937, 71.
Gian Francesco Busenello, Delle höre ociose, Venedig 1656. Die Sammlung enthält fünf Libretti.
Johann Ulrich König, Theatralische 1 geistliche, vermischte und Galante Gedichte, Hamburg, Leipzig 1716.
Apostolo Zeno, Poesie drammatiche di Apostolo Zeno… per cura di Gaspare Gozzi, 10 Bde., Venedig 1744.
Pietro Metastasio, Opere di Pietro Metastasio, 12 Bde., Paris 1780–82.
Johann Christian Wächtler, Pensum der praktischen Galanterie, in: Commodes Manual Oder Hand-Buch…, hrsg. J.Chr. Wächtler, Leipzig o.J., § 43-§ 47. Zit. n. Der galante Stil 1680-1730, hrsg. von Conrad Wiedemann, Tübingen 1969,16.
Vgl. zu diesem Thema Richard Taubald, Die Oper als Schule der Tugend und des Lebens im Zeitalter des Barock. Die enkultierende Wirkung einer Kunstpflege, Diss. Erlangen 1972.
Herbert Seifert, Die Oper am Wiener Kaiserhof, Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 25, Tutzing 1985, 248.
Feind, Deutsche Gedichte (Anm. 3), 99. Er tadelt an dieser Stelle Friedrich Christian Bressand, allerdings wohl zu Unrecht, wie Sara Smart, Doppelte Freude der Musen. Court Festivities in Brunswick-Wolfenbüttel 1642-1700, Wiesbaden 1989, 266 zeigt. Zu Erdmann Neumeister vgl. Flaherty (Anm. 4), 50.
Einen Forschungsüberblick bietet Kristine Krämer, Johann Christian Hallmanns Trauer- Freuden- und Schaf er spiele. Die Bedeutung des Fortuna-Konzeptes für die Vermischung der Dramenformen des Barock, Diss. Berlin 1980, 6 ff. Die ältere Forschungsposition erstreckt sich stellenweise bis in die achtziger Jahre unseres Jahrhunderts, z.B.: Blake Lee Spahr, “Johann Christian Hallmann. A maneristic reflection”, in: Festschrift Joseph P. Strelka, Bern, Frankfurt a.M. 1987, 37-43.
Peter Skrine, “An Exploration of Hallmann’s Dramas”, German Life and Letters 36 (1983), 232–240, hier: 232.
Paul Hankamer, Deutsche Gegenreformation und deutsches Barock. Die deutsche Literatur des 17. Jahrhunderts, 4. Aufl., Stuttgart 1976 (zuerst 1935).
Eine Behauptung, die schon 1935 von musikwissenschaftlicher Seite her nicht haltbar war. Der erste Aufsatz zur musikalischen Rhetorik, in dem die textausdeutende Funktion der Musik zur Sprache kommt, stammt aus dem Jahre 1908: Arnold Schering, “Die Lehre von den musikalischen Figuren”, Kirchenmusikalisches Jahrbuch 21 (1908), 106–114. Auch in der verglichen mit Hankamer wesentlich differenzierteren Einleitung von Willi Flemming zum Band Die Oper, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Barock, Barockdrama 4, Leipzig 1933 gelangt die textausdeutende Funktion der Musik nicht in den Blick (vgl. besonders 58ff.).
Caspar Stieler, Der Goldene Apfel. FreudenspieL Vgl. Judith P. Aikin, “Creating a Language for German Opera. The Struggle to Adapt Madrigal Versification in Seventeenth-Century Germany”, DVjs 62 (1988), 266–289, hier: 285.
Neben den Arbeiten von Smart (Anm. 19), Wade (Anm. 6) und Watanabe O’Kelly (Anm. 2) sei noch auf den Aufsatz von Roger Thiel, “Constantia oder Klassenkampf? Christian Weises Masaniello (1682) und Barthold Feinds Masagniello Furioso (1706)”, Daphnis 17 (1988), 247–266 verwiesen.
Zitiert wird nach der Faksimile-Ausgabe L’Adelaide Drama per Musica, Venetia 1672, in: Italian Opera Librettos, 1640-1770, I, hrsg. Howard Mayer Brown, Italian Opera 1640-1770, 51, New York, London 1978. Von Satorios Partitur liegt ein Reprint des venezianischen Manuskripts vor: Antonio Satorio, L’Adelaide, mit einer Einl. von Howard Mayer Brown, Italian Opera 1640-1770, 8, New York, London 1978. Zu den Komponisten Ziani und Satorio vgl. die entsprechenden Artikel in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, hrsg. Stanley Sadie, 20 Bde., London 1980.
Hallmanns Übersetzungen werden nach der Neuausgabe von Hallmanns Werken zitiert: Johann Christian Hallmann, Vermischte dramatische Stücke: Adelheide, Heraclius, Sämtliche Werke, III/2, hrsg. Gerhard Speilerberg, Ausgaben deutscher Literatur des 15.-16. Jahrhunderts 126, Berlin 1987.
Zur Datierung siehe Kurt Kolitz, Johann Christian Hallmanns Dramen. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Dramas in der Barockzeit, Diss. Berlin 1911, 122 ff.
Vgl. Gerhard Dünnhaupt, Personalbiographien zu den Drucken des Barock, 2. verbesserte und wesentlich vermehrte Auflage des Bibliographischen Handbuchs der Barockliteratur, III, Stuttgart 1991, 1945. Das früher in Breslau befindliche Szenar ist seit 1945 verschollen.
Klaus Zelm, Die Opern Reinhard Keisers. Studien zur Chronologie, Überlieferung und Stilentwicklung, München, Salzburg 1975, 62 spricht die Versifizierung fälschlicherweise Marianne von Ziegler zu.
Kolitz (Anm. 35), 122-129. Kolitz stand nur das Libretto (Partitur) der L’Adelaide zur Verfügung (vgl. 124). Werner Richter, Liebeskampf 1630 und Schaubühne 1670. Ein Beitrag zur deutschen Theatergeschichte des siebzehnten Jahrhunderts, Palaestra 78, Berlin 1910 vergleicht 398-401 erstmals den L’Heraclio mit Hallmanns Bearbeitung.
Zitiert wird das Libretto in der Ausgabe Hamburg 1712 nach dem Reprint von Reinhart Meyer, Die Hamburger Oper. Eine Sammlung von Texten der Hamburger Oper aus der Zeit 1678-1730, 3 Bde., München 1980, II, 455–515.
Die Unterstreichungen sind zur schnelleren Übersicht hinzugefügt. König scheint nur Hallmann als Vorlage benutzt zu haben. Theodosias Wendung “meines Abgotts” taucht in Zieglers Versifizierung an dieser Stelle nicht auf (vgl. Heinrich Anshelm von Zigler und Klipphausen, Die Asiatische Banise, hrsg. Wolfgang Pfeiffer-Belli, München 1965, 429).
Einen guten Überblick über die musikalische Affektdarstellung mit weiterführender Literatur bietet der Artikel “Musikalische Affektenlehre” von Jörg Krämer in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hrsg. Gert Ueding, I, Tübingen 1992, 248–253. Zur Affektdarstellung in der Oper vgl. Taubald (Anm. 16), 139ff.
Elida Szarota, Geschichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts, München 1976, 99f.
Zur musikalischen Form der Oper Seelewig siehe Peter Keller, Die Oper ‘Seelewig’ von Sigmund Theophil Staden und Georg Philipp Harsdörffer, Publikationen der Schweizerischen musikforschenden Gesellschaft II, 29, Diss. Bern, Stuttgart 1977.
Zu dieser Unterscheidung, die sich auch schon in zeitgenössischen Traktaten, etwa Barthold Feinds, findet, vgl. Sara Smart, “Die Oper und die Arie um 1700. Zu den Aufgaben des Librettisten und zur Form und Rolle der Arie am Beispiel der Braunschweiger und Hamburger Oper”, in: Studien zum deutschen weltlichen Kunstlied des 17. und 18. Jahrhunderts, hrsg. Gudrun Busch und Anthony J. Harper, Chloe 12, Amsterdam 1992, 183–234. Typische Sentenzenarien in Adelheide sind die Strophenlieder der Dienerin Delma (1,6; 11,17; 111,10).
Quintilian (Anm. 76), IX,3,27-57; VIII,4. Unter den galanten Rhetoriken sei auf Johann Christoph Männling (Expediter Redner oder | Deutliche Anweisung zur galanten Deutschen Wohlredenheit, Frankfurt, Leipzig 1718) verwiesen, wo 276f. verschiedene rhetorische Figuren verschiedenen Affekten zugeordnet werden. Zum Verhältnis von barocker Rhetorik und Affekterregung vgl.: Joachim Dyck, Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition, 3. Aufl., Tübingen 1991, 80ff.
Zu den Tabaksarien vgl. Wolfgang Martens, “Über die Tabakspfeife und andere erbauliche Materien. Zum Verfall geistlicher Allegorese im frühen 18. Jahrhundert”, in: Ver bum et Signum. Festschrift Friedrich Ohly zum 60. Geburtstag, hrsg. Hans Fromm, Wolfgang Harms und Uwe Ruhberg, I, München 1965, 517–538.
Reinhart Meyer, “Hanswurst und Harlekin oder: Der Narr als Gattungsschöpfer. Versuch einer Analyse des komischen Spiels in den Staatsaktionen des Musik- und Sprech theaters im 17. und 18. Jahrhundert”, in: Théâtre, nation et société en Allemagne au XVIIIe siècle, hrsg. J.-M. Valentin und R. Krebs, Nancy 1990, 13–39.
Albrecht Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, 3. Aufl., München 1993. Zum Bühnenbild vgl. Kap. 5.
Ygl etwa dig Arbeit von Reinhold Zimmer, Dramatischer Dialog und außersprachlicher Kontext. Dialogformen in deutschen Dramen des 17.-20. Jahrhunderts, Palaestra 274, Göttingen 1982. Aus dem Zeitraum des Barock wird der Papinianus von Gry-phius behandelt.
Mit negativem Resultat konsultiert wurden: Arthur Henkel, Albrecht Schöne, Em-blemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des 16. und 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1976; Filippo Picinelli, Mundus Symbolicus..., Reprint der Ausgabe Köln 1687 mit einer Einl. von Dietrich Donat, Emblematisches Cabinet 8, Hildesheim 1979 sowie Lexikon der christlichen Ikonographie, hrsg. Engelbert Kirschbaum, Rom, Freiburg, Basel, Wien 1970.
Vgl. Karl Friedrich Wilhelm Wander, Deutsches Sprichwörterlexikon, 5 Bde., Leipzig 1867, 1, Sp. 86f. den Artikel “Angel”. Sprichwörter wie Nr. 3 “Die Angel muß immer hangen” (mit Verweis auf Ovid und Erasmus), des weiteren die Nummern 1, 7, 8, 12, 15 und 18 sind mit der Glücksthematik verknüpft.
Zu Zenos Reform vgl: Max Fehr, Apostolo Zeno (1668-1750) und seine Reform des Operntextes, Diss. Zürich 1912; Lynch (Anm. 53), 97ff.
Robert Freeman, “Apostolo Zeno’s Reform of the Libretto”, Journal of the American Musicological Society 21 (1968), 321–341
Robert Freeman, Opera Without Drama. Currents of Change in Italien Opera, 1675 to 1725, and the Roles Played Therein by Zeno, Caldara and Others, Ann Arbor 1981. Lynch (97ff.) hat bezüglich der Hamburger Oper gezeigt, daß Zenos Reformen dort kaum aufgegriffen wurden und insofern für die hier interpretierten Texte von untergeordneter Bedeutung sind.
Catherine Clement, Die Frau in der Oper. Besiegt, verraten und verkauft, Stuttgart 1992.
Claudio Satori, I Libretti Italiani a Stampa dalle Origini al 1800, 5 Bde., Cuneo 1990 ff. Für den deutschen Sprachraum liegt seit neuestem eine Mikrofiche-Edition vor: Libretti in deutschen Bibliotheken. Katalog der gedruckten Texte zu Opern, Oratorien, Kantaten, Schuldramen, Balletten und Gelegenheitskompositionen von den Anfängen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, hrsg. Répertoire International des Sources Musical (RISM), Arbeitsgruppe Deutschland, München, Leipzig, London, New York, Paris 1992. Auch dieser Katalog enthält über 30000 Textbücher. Zu den in Wolfenbüttel aufbewahrten Libretti gibt es den Katalog von Eberhard Thiel, Gisela Rohr, Libretti. Verzeichnis der bis 1800 erschienenen Textbücher, Kataloge der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 14, Frankfurt a.M. 1970.
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Jahn, B. L’Adelaide und L’Heraclio in Venedig, Breslau und Hamburg Transformationen zweier Bühnenwerke im Spannungsverhältnis zwischen Musik- und Sprechtheater. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 68, 650–694 (1994). https://doi.org/10.1007/BF03396263
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