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Disseits der Pragmatik

Gedanken zu einer Funktionsbestimmung der hermeneutischen Wissenschaften

  • Aufsätze
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Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Ausgehend von der Schwierigkeit, den Ertrag der Hermeneutik-Diskussion des vergangenen Jahrzehnts für die i.e.S. hermeneutischen Wissenschaften methodologisch fruchtbar zu machen, wird eine Grenzziehung nach zwei Seiten vorgenommen. Gegenüber der Semiotik, die auf verschiedenen Ebenen einer Pragmatik am Modell des zeichenvermittelten Handlungserfolgs (Agendum) orientiert bleibt und Zeichen primär als Handlungsmarken versteht, wird die reflexive Struktur dertransfunktionalen Vergegenwärtigung abgeschlossener Handlungen und ihrer Handlungsspuren betont; gegenüber der philosophischen Hermeneutik Gadamers wird die Notwendigkeit des Rekurses auf das in der Dilthey-Schule herausgearbeitete Problem der lebensimmanenten Reflexivität und des Zusammenhangs von Leben und Wissen in der Schicht der Erlebnisausdrücke betont. Die Leistung der transfunktionalen Vergegenwärtigung, in der sich das nicht-reflexiveActum zumPerfectum des Handlungsmals verwandelt, wird alsepidigmatische Ausdrucksleistung verstanden, deren produktiv objektivierende Artikulation alskommunikative Synthesis bezeichnet wird. Ihr entspricht auf der Verstehensseite der ausdrucksvermittelte Nachvollzug einer (noch) nicht absehbaren Bedeutungsbeziehung, der handlungstheoretisch gesehen noch unterhalb der zeichenvermittelten, zielgerichteten Handlung liegt. Eine Funktionsbestimmung der hermeneutischen Wissenschaften hat bei einer Analyse des Kommunikationsomodells der epidigmatischen Ausdrücke einzusetzen, in der nicht nur ein neuer Aspekt ihrer Forschungsgegenstände, sondern in bestimmten Grenzen auch die Struktur ihrer eigenen Vergegenwärtigungsleistungen erkennbar wird.

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Literatur

  1. Vgl. vor allem:K.–O. Apel, Szientismus oder transzendentale Hermeneutik? Zur Frage nach dem Subjkt der Zeicheninterpretation in der Semiotik des Pragmatismus. In: Transformation der Philosophie, Bd. II: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft. Frankfurt a.M. 1973. — Ders., C. W. Morris und das Programm einer pragmatisch intergrierten Semiotik. Einführung zu: Charles W. Morris, Zeichen, Sprache und Verhalten. Dt. Übersetzung von A. Eschbach u. G. Kopsch. Düsseldorf 1973.

  2. Vgl. u.a.Apel, Transformation I, S. 29.

  3. Apel, Transformation II, vor allem S. 183.

  4. Das von Apel und Habermas als das erkenntnisleitende Interesse der Geisteswissenschaften herausgearbeitete Ziel der „Wahrung der Intersubjektivität einer Verständigung, in deren Horizont die Wirklichkeit erst als etwas erscheinen kann“ (Habermas, Erkenntnis und Interesse. Frankfurt a.M. 1968, 19732, S. 222) hat in seiner offenkundigen Orientierung an den Sozialwissenschaften einige genuine Interessen der interpretierenden Wissenschaften gleichsam übersprungen. Dies läßt sich außerhalb der schon zitierten Literatur auch aufzeigen in Apels Aufsatz „Sprechakttheorie und transzendentale Sprachspragmatik zur Frage ethischer Normen“ (in:K.–O. Apel (Hrsg.), Sprachpragmatik und Philosophie. Frankfurt a.M. 1976), vor allem S. 138 ff.

  5. Morris, Zeichen, Sprache und Verhalten, S. 80 ff.

  6. Morris, a.a.O., S. 92.

  7. Morris, a.a.O., S. 93.

  8. J.G. Droysen, Historik, Textausgabe von P. Leyh. Stuttgart-Bad Cannstatt 1977, S. 71 ff.

  9. Vgl. den für unsere Untersuchung im ganzen wichtigen Abschnitt: „Die Reflexivität des menschlichen Wissens vom Leben“, in:G. Misch, Lebensphilosophie und Phänomenologie, Eine Auseinandersetzung der Diltheyschen Richtung mit Heidegger und Husserl. 3. Aufl. Darmstadt 1967, S. 72 ff.

  10. Durch diesen Begriff ist das Gemeinsame der anthropologischen Einsichten Herders und Schopenhauers repräsentiert.

  11. Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Hrsg. v. E. Heintel. Hamburg 1960, S. 22.

  12. Herder, a.a.O., S. 24.

  13. Mit diesem Terminus darf freilich nicht unterstellt sein, daß dem durch das Handlungsmal vergegenwärtigten Actum eo ipso inhaltliche Qualität, Vollkommenheit oder gar Vorbildlichkeit zukomme. Auch der bestialische Mord ist ein Perfectum von dem Augenblick an, in dem der Täter zur Besinnung kommt und sich sagt: „Ich habe gemordet“.

  14. M. Heidegger, Sein und Zeit, 7. Aufl. Tübingen 1953, S. 136.

  15. Heidegger, a.a.O., S. 61, 69, 263 u.a.m.

  16. Vgl.H.A. Winkler, Das Attentat als Alibi, FAZ v. 9.12.1978,

  17. Goethe, Sämtliche Werke (Gedenkausgabe), Bd. 12, S. 289.

  18. Vgl.K. Bühler, Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena 1934, S. 28.

  19. Vgl.J.R. Searle, Sprechakte. Ein Sprachphilosophischer Essay. Aus d. Englischen v. R. u. R. Wiggershaus. Frankfurt a.M. 1971.

  20. Vgl.Morris, Zeichen, Sprache und Verhalten, S. 215 ff.

  21. Die Relativierung des reinen Zeichencharakters durch die Doppelfunktion von „Zeichen von“ und „Zeichen zu“ wird uns unten zum Ausdrucksbegriff führen.

  22. Der Nebenton des prahlenden Vorzeigens, wie er sich dann in der rhetorischen Epideixis verselbständigt hat, sollte in seiner anthropologischen Bedeutsamkeit durchaus gesehen werden. Zu den elementarsten Formen epidigmatischer Kommunikation gehört das Vorzeigen kindlicher Schätze. Wer dies als kleines Kind im Umgang mit gleichaltrigen französischen Kindern erlebt und von daher noch das Wort „Regarde!“ im Ohr hat, ist geneigt, von einem „Regarde-Effekt“ als der anthropologischen Voraussetzung jeder epidigmatischen, auf Teilnahme angewiesenen, positiven wie negativ-kritischen Vergegenwärtigung zu sprechen. Es ist die aktive und kommunikative Form des Staunens.

  23. Einen gleichfalls interessanten Sonderfall epidigmatischer Kommunikation bildet dieAnspielung. In ihr ist der reflexive Bezug auf das sachlich Dargestellte dadurch besonders virulent, daß die elliptische Form Ausdruck der vorausgesetzten Gemeinsamkeit des Bescheidwissens ist. Angespielt wird in der Regel nicht auf das bloße Was, sondern auf das Wie, das eine kommunikative Vergegenwärtigung gerade dadurch erfährt, daß seine Artikulation nur Implikat bleibt. Die hierfür bereitstehenden sprachlichen Mittel sind vor allem jene kulturellen Kommunikationseinheiten („Stalingrad“, „Watergate“ usw.), die Abbreviaturen komplexer soziokultureller Sachverhalte darstellen. Sie sind mitten in den Vollzug von Sprechakten eingeblendete Rückbesinnungen und Vergewisserungen des Einverständnisses, die man noch nicht eigentlich als Epidigmata, sondern als Handlungsmarken mit epidigmatischer Tendenz ansehen kann (Vgl. vom Verfasser: Anspielungen. Zur Theorie der kulturellen Kommunikationseinheiten. In: Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft, Bd. 7, 1975, Heft 2).

  24. W. Dilthey, Gesammelte Schriften VII, S. 153.

  25. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 1960, 19754.

  26. Gadamer, a.a.O., S. 205 ff.

  27. Gadamer, a.a.O., S. 223.

  28. Gadamer, a.a.O., S. 226.

  29. Gadamer, a.a.O., S. 228.

  30. Vgl.G. Misch, Die Idee der Lebensphilosophie in der Theorie der Geisteswissenschaften. In: Kant-Studien 41 (1926), später in:Misch, Vom Lebens- und Gedankenkreis Wilhelm Diltheys. Frankfurt a.M. 1947, S. 37 – 51. — Misch, Lebensphilosophie und Phänomenologie undO.F. Bollnow, Dilthey. Eine Einführung in seine Philosophie. Stuttgart — Berlin — Köln — Mainz 19673, bes. S. 133 ff.

  31. Vgl. vom Verfasser, Erkenntnis des Erkannten. August Boeckhs Grundformel der hermeneutischen Wissenschaften. In: Philologie und Hermeneutik im 19. Jahrhundert. Hrsg. v. H. Flashar, K. Gründer und A. Horstmann. Göttingen 1979.

  32. Misch, Lebensphilosophie und Phänomenologie.

  33. J. Ritter, Landschaft. Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft. In:Ders., Subjektivität. Sechs Aufsätze. Frankfurt a.M. 1974, S. 141 – 163, hier: S. 163.

  34. Vgl. die in Anm. 33 genannten Schriften.

  35. Dilthey, Gesammelte Schriften VII, S. 237.

  36. Dilthey, a.a.O., S. 228 f.

  37. Dilthey, a.a.O., S. 230.

  38. Dilthey, a.a.O., S. 235.

  39. Dilthey, a.a.O., S. 232.

  40. Dilthey, a.a.O., S. 200.

  41. Dilthey, a.a.O., S. 201.

  42. Dilthey, a.a.O., S. 136 f.

  43. G. Misch, Lebensphilosophie und Phänomenologie, S. 233; vgl. S. 51 —Ders. Vorbericht des Herausgebers, in:W. Dilthey, Gesammelte Schriften V, S. cxvi. — Vgl. den Abschnitt „Der Gedanke des Unergründlichen und seine Stellung in der Philosophie von Misch“ bei:J. König, Georg Misch als Philosoph. Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. I. Philologisch-historische Klasse. Jahrgang 1967, Nr. 7. Göttingen 1967.

  44. Vgl.Dilthey a.a.O., S. 237.

  45. Misch, Lebensphilosophie und Phänomenologie, S. 168 f.

  46. Misch, a.a.O., S. 172.

  47. Dilthey, Gesammelte Schriften VII, S. 143.

  48. Vgl.Dilthey, a.a.O., S. 152. Die Ziffern sind vom Verfasser eingefügt.

  49. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 474.

  50. Gadamer, a.a.O., S. 474 und S. 476.

  51. Gadamer, a.a.O., S. 475, vgl. S. 184.

  52. Gadamer a.a.O., S. 469.

  53. Vgl. dazu vomVerfasser: Morphologie und Hermeneutik. Zur. Methode von Diltheys Ästhetik. Stuttgart 1969, S. 116 – 122.

  54. K. Bühler, a.a.O.;

  55. G. Misch, Vorlesungen über „Logik und Einleitung in die Theorie des Wissens“, noch unveröffentlicht. Handschriftlich in der Hs.-Abt. der UB Göttingen, Sign. Cod. Ms. Misch, Fasc. 10. Die Herausgabe dieser Vorlesungen durch den Verf. steht bevor.

  56. Zum Begriff „Mitwelt“ sei an den für Mischs Konzeption wichtigen Aufsatz vonH. Plessner erinnert: Die Deutung des mimischen Ausdrucks. Ein Beitrag zur Lehre vom Bewußtsein des anderen Ichs. In:H. Plessner, Zwischen Philosophie und Gesellschaft. Ausgewählte Abhandlungen und Vorträge. Bern 1953.

  57. G. Misch, Vorlesungen, a.a.O. — Vgl.O.F. Bollnow, Zum Begriff der hermeneutischen Logik, in: Argumentationen. Festschrift für Josef König. Hrsg. v. H. Delius und G. Patzig. Göttingen 1964. Dazu neuerdings:Ders., Lebensphilosophie u. Logik. Noch nicht ersch.

  58. G. Misch, a.a.O.

  59. G. Misch, Lebensphilosophie und Phänomenologie, S. 77 f.; vgl.:Ders., Der Weg in die Philosophie. Eine philosophische Fibel. Leipzig 1926, S. 10.

  60. Dilthey, Gesammelte Schriften VII, S.

  61. Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 221.

  62. Dilthey, Gesammelte Schriften, VII, S. 207.

  63. Vgl. die oben (Anm. 26) zitierte Arbeit des Verfassers.

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Rodi, F. Disseits der Pragmatik. Zeitschrift für Allgemeine Wissenschaftstheorie 10, 288–315 (1979). https://doi.org/10.1007/BF01802351

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