Einleitung

Für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen gehört der Umgang mit Krankheit, Sterben und Tod – je nach Arbeitsplatz und Einsatzort – zum Berufsalltag. Wie auch in anderen Einrichtungen (Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst u. a.) wurde lange Zeit unterschätzt, dass bestimmte Versorgungssituationen jedoch besonders belastend und auch von erfahrenen MitarbeiterInnen nur schwer zu verkraften sind. Grundsätzlich hat jeder Mensch Grenzen psychischer und physischer Belastbarkeit und jenseits dieser Grenze drohen körperliche Erkrankung oder Burnout (vgl. St. Pierre und Hofinger 2020, S. 55). Auch wenn der Belastungsgrad variiert und abhängig ist von der persönlichen Situation, emotionalen Verfasstheit und den herrschenden Rahmenbedingungen, so werden vor allem folgende Ereignisse als besonders belastend beschrieben:

  • Überforderung in der Patientenversorgung (etwa bei einem Massenanfall an Verletzten)

  • Vergeblicher Reanimationsversuch (etwa bei einem Kind)

  • Suizid eines Patienten auf dem Krankenhausgelände

  • Körperliche Gewalterfahrung durch Patienten und/oder Zugehörige

  • Involviertsein in einen (mutmaßlichen) Behandlungsfehler

Organisationsethische Verpflichtungen im Rahmen einer Triage

In der aktuellen Situation der COVID-19-Pandemie haben Fachgesellschaften und nationale Gremien, die Orientierungshilfen zu Triage-Entscheidungen verfasst haben, länderübergreifend darauf hingewiesen, dass tragische Entscheidungskonflikte, bei denen nicht alle Patienten gerettet werden können, zu erheblichen Belastungen des Personals führen und es zur ethischen Verantwortung des Trägers gegenüber seinen Mitarbeitenden gehört, eine psychosoziale Nachsorge vorzuhalten (Debriefing, Nachsorgegespräche, psychologische Unterstützung) (vgl. DGKM 2020, S. 6; DIVI 2020a, 2020b). Zu dieser Einschätzung mag einerseits die langjährige Erfahrung mit Critical Incident Stress Management (CISM) auch aus anderen Bereichen (wie der Luftfahrt) beigetragen haben, zum anderen die Überzeugung, dass die Mitarbeitenden unverschuldet in diese Notlagen hineingeraten sind und der Unterstützung bedürfen.

Dieser eher seltenen Triage-Situation steht eine wesentlich häufiger vorkommende Belastungssituation gegenüber: das Involviertsein in einen (mutmaßlichen) Behandlungsfehler. Dass dabei starke Gefühle wie Ärger, Wut, Zorn, Verzweiflung, Scham und Schuld hervorgerufen werden, deren Bearbeitung herausfordernd und komplex sein kann, mag erklären, wieso die Verantwortlichen in den Organisationen eine konzeptionelle Bearbeitung dieses (häufig als unangenehm empfundenen) Themas hinten anstellen. Dabei wird jedoch übersehen, dass Erfahrungsberichte und Studien belegen, welche enormen Belastungen sich für Mitarbeitende ergeben, wenn innerhalb der Organisation kein strukturierter Umgang mit mutmaßlichen Behandlungsfehlern zur Verfügung steht (Schlafstörungen, Depression, Empathieverlust; vgl. Waterman et al. 2007; Schwappach und Boluarte 2008). Der folgende Beitrag greift deshalb aus der Vielzahl der für Mitarbeitende „belastenden Ereignisse“ dieses Thema „Behandlungsfehler“ heraus, um exemplarisch einige damit verbundene organisationsethische Aspekte aufzuzeigen (vgl. Monteverde und Schiess 2017), und gibt Hinweise auf einige in den letzten Jahren entwickelten Unterstützungsprogramme.

Fehlerkultur als organisationsethische Aufgabe

In den 1980er Jahren erschienen erste Berichte, in denen Mitarbeitende im Gesundheitswesen schilderten, wie sie selbst die Folgen mutmaßlicher Behandlungsfehler als enorme persönliche Belastung erlebten; in den 1990er Jahren entwickelte sich daraus zunehmend das Bewusstsein dafür, dass neben dem betroffenen Patienten, dem als direktem Opfer (sog. „first victim“) die Priorität in Hinblick auf die weitere Versorgung gilt, stets die Gefahr droht, dass der bzw. die (Mit)Verursacher zum „zweiten Opfer“ werden (sog. „second victim“, vgl. Wu 2000) und zwar vor allem dann, wenn klare Verhaltensanweisungen fehlen und unter Kolleginnen und Vorgesetzten zu wenig Wissen über hilfreiche Unterstützungsmöglichkeiten vorhanden ist. Als eine dramatische Folge war der leidvolle Rückzug in die Vereinzelung zu beobachten („suffer in silence“) (Scott et al. 2017, S. 302). Um dem zu begegnen, starteten Mitte der 2000er Jahre in verschiedenen Ländern einige multidisziplinäre Teams Pilotprojekte mit dem Ziel, sowohl durch Krisenintervention, wie kollegiale und externe professionelle Begleitung den potentiellen zweiten Opfern Hilfestellungen zu geben (Edrees et al. 2016). Dass es auch heutzutage notwendig ist, für diese Thematik überhaupt erst noch ein Bewusstsein zu schaffen, wird wiederholt beklagt und moderne Mittel verwendet – wie Online-Portale – um dafür zu sensibilisieren (Mira et al. 2017). Als zwingend notwendig wird dabei die Etablierung eines übergeordneten Konzepts für die gesamte Einrichtung beschrieben, wobei von anderen Arbeitsbereichen mit hohen Sicherheitsanforderungen (wie z. B. der Luftfahrt, www.stiftung-mayday.de) gelernt werden konnte, u. a. auch die Erkenntnis, dass eine umfassende positive Fehlerkultur zum Schutz der Patienten nicht von heute auf morgen etabliert werden kann, sondern viel Zeit benötigt.

Ethisches Prinzip des Nicht-Schadens

Ein entscheidender Ausgangspunkt für die Notwendigkeit der Etablierung einer positiven Fehlerkultur ist die Tatsache, dass der Ausgang einer Behandlung nie sicher vorherzusagen ist (Scott et al. 2017). Jeder lege artis durchgeführte Eingriff kann Komplikationen nach sich ziehen und trotz aller ärztlichen und pflegerischen Bemühungen kann es zu unerwünschten Verläufen kommen. Mit „Fehlern“ hat dies erst einmal nichts zu tun. Das renommierte amerikanische Institute of Medicine erregte im Jahr 2000 weltweite Aufmerksamkeit, als es seine Studie To Err is Human veröffentlichte und auf die (hochgerechnet) große Anzahl an Behandlungsfehlern in US-amerikanischen Krankenhäusern hinwies (Kohn et al. 2000). Als Reaktion darauf sollte mit der Einführung von Qualitätsmanagementsystemen eine Sicherheitskultur aufgebaut werden (Balhorn 2012) und durch anonyme Fehlermeldesysteme wie CIRS (Critical Incident Reporting System) Fehlerquellen weitestgehend reduziert und eine kontinuierliche Verbesserung der Versorgungsqualität erreicht werden (Slany et al. 2011). Vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. sind in den letzten Jahren zahlreiche Handlungsempfehlungen für Einrichtungen und Mitarbeitende der Gesundheitsberufe sowie Informationsbroschüren (auch für Patienten) erschienen (www.aps-ev.de). Das Ziel, Fehler zu vermeiden und Schaden von Patienten abzuwenden, hat Priorität; vollkommen vermeiden lassen werden sich Fehler jedoch nie. Die ethische und rechtliche Herausforderung besteht in diesen Fällen darin, angemessen auf einen derartigen Zwischenfall zu reagieren, gerade wenn zu Beginn nicht klar zu erkennen ist, ob es sich überhaupt um einen „Fehler“ gehandelt hat (zur Abgrenzung von Komplikationen, (nicht) vermeidbaren unerwünschten Ereignissen, Fehlern und Beinahe-Zwischenfällen siehe Schmidt 2015). Auch wenn der „Faktor Mensch“ auf der einen Seite häufig für die Entstehung kritischer Situationen (mit)verantwortlich ist, so stellt er auf der anderen Seite die entscheidende Ressource dar, mit deren Hilfe diese Situationen erkannt und erfolgreich bewältigt werden können. Daher sollte der „Faktor Mensch“ nicht mit dem „Risikofaktor“ gleichgesetzt werden (St. Pierre und Hofinger 2020, S. 19).

Schwierigkeiten bei der Etablierung einer Fehlerkultur

Der Umgang mit Fehlern zählt wegen der emotionalen, psychologischen, ethischen und rechtlichen Komponenten zu den schwierigsten Aufgaben und belastensten Erfahrungen im Berufsalltag (Graf und Valentin 2018). Bis heute stellen Tabuisierung und eine „strafende Fehlerkultur“ große Alltagsprobleme dar, die es im Interesse aller zu überwinden gilt, ohne dabei die Thematik zu verharmlosen. Dabei gilt es zu bedenken, dass es in derart komplexen Systemen der Gesundheitsversorgung häufig nicht nur eine einzelne Person ist, der ein Fehler zuzurechnen ist, sondern dass mehrere Personen involviert waren, es zu einer unglücklichen Verkettung von Ereignissen gekommen ist und bestehende Sicherungssysteme versagt haben (Klemp 2012). Ebenso ist von den Auswirkungen nie nur eine Einzelperson betroffen, sondern stets auch Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzte und letztlich auch die gesamte Einrichtung etwa durch Medienberichte. Aus organisationsethischer Sicht kann sich die Einrichtung somit nicht mit der Prävention durch die Einführung eines Fehlermeldesystems wie CIRS zufrieden geben (Schmidt et al. 2012).

Unerfüllte Erwartungen

Bei konzeptionellen Planungen muss die Organisation im Blick haben, dass die Erwartungen von Patienten mit den Bedürfnissen der Mitarbeitenden kollidieren. Angesichts des sehr hohen Guts, das körperliche Unversehrtheit und Gesundheit bedeutet, erzeugen Behandlungsfehler beim Patienten und seinen Zugehörigen Angst, Sorge, Wut und Unverständnis. Was der Patient nach solchen Zwischenfällen erwartet, ist Offenheit und Eindeutigkeit: eine Erklärung des Vorfalls, ein Ausdruck des Bedauerns und der Anteilnahme, eine klare Beschreibung des weiteren Vorgehens und die Übernahme von Verantwortung. Dabei sind auch kulturelle Unterschiede zu berücksichtigen (Berlinger und Wu 2005). Ärztinnen und Ärzte hingegen tendieren als Schutzreflex eher zu Verschlossenheit und Uneindeutigkeit, das Ereignis wird in seiner Bedeutung eher relativiert und eine klare Verantwortlichkeit wird nicht erkennbar („Es gab ein Problem mit Ihrer Akte“, vgl. Schwappach 2010). Dies geschieht häufig dann, wenn dem Patienten oder Angehörigen als medizinischem Laien der Fehler (noch) nicht ersichtlich ist (vgl. Loren et al. 2008). Hat die Organisation jedoch erkannt, dass jegliche „Vermeidungsstrategie“ das Risiko des Vertrauensverlusts zwischen Arzt und Patient erhöht und vermutlich die Bereitschaft zur (juristischen) Auseinandersetzung und zum Konflikt fördert (Berlin 2006), hat sie ein Interesse an einem hilfreichen Kommunikationskonzept. So spricht Schwappach bei insuffizienter oder gar wahrheitswidriger Kommunikation nach einem Behandlungszwischenfall vom „Fehler nach dem Fehler“ (Schwappach 2010).

Negative Auswirkungen

Für Klinikmitarbeiter, die offen und ehrlich kommunizieren wollen und dies auch dürfen, denn hier sprechen Dritte in der Organisation (Vorgesetzte, Geschäftsleitung, Versicherer) ganz entscheidend mit, bleibt aber auch dann die Situation in hohem Maße emotional belastend, so dass hier eine organisatorische Hilfestellung nötig ist, idealerweise durch die Unterstützung eines Rapid-Response-Teams mit einem klaren Ansprechpartner, der zeitnah erreichbar ist (Scott et al. 2017, 2010). Durch eine solche Unterstützung kann vermieden werden, dass diejenigen, die in einen (mutmaßlichen) Behandlungsfehler involviert sind, in eine inhaltliche und emotionale Sackgasse geraten, mit negativen Auswirkungen auf ihre Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft. Verhängnisvolle Auswirkungen hat das In-Gang-Setzen eines circulus vitiosus, der als weiterer „Fehler nach dem Fehler“ die Schadens(mit)verursacher zu „second victims“ werden lässt. Denn nicht nur vermehrte Angst, künftig erneut einen Fehler zu begehen, kann die Folge eines Behandlungsfehlers sein (so bei 61 % von 3171 befragten Ärzten), sondern auch Verlust an Selbstvertrauen (44 %), Schlafstörungen (42 %), verringerte Arbeitszufriedenheit (42 %), Angst vor Reputationsverlust (13 %) (Waterman et al. 2007) und andere Folgen von sinkender Empathie über Depression bis hin zum Burnout (Schwappach und Boluarte 2008), Ängsten (Han et al. 2017) und suizidalen Gedanken (Chitwood 2019). Für die Betroffenen hat dies am Ende zum Teil tragische Konsequenzen: entweder (a) sie verlassen den Beruf oder (b) sie „überleben“ – mehr schlecht als recht – oder (c) sie gehen gestärkt aus dieser Krisenerfahrung hervor (Scott et al. 2009). Allen ist gemeinsam, dass sich die Erinnerung an diese Situation – und der ggf. fehlenden Unterstützung – „eingebrannt“ hat. Mit Blick auf diese gravierenden Auswirkungen besteht eine hohe organisationsethische Verpflichtung des Arbeitgebers, sowohl aus Fürsorge für die eigenen Mitarbeiter, wie auch in Verantwortung gegenüber den künftigen Patienten, unterstützende Maßnahmen bereitzuhalten (vgl. Schwappach und Boluarte 2008; Schmidt et al. 2012; Frewer et al. 2013). Zudem wird die Organisation vor dem Hintergrund des bestehenden Personalmangels ein starkes Interesse daran haben, keine Mitarbeiter durch derartige Belastungen zu verlieren.

Fehlerkultur als Zeichen der Wertschätzung

Im Verhalten nach einem Behandlungsfehler zeigt sich die Art der Wertschätzung und des Respekts gegenüber dem Patienten und den Mitarbeitenden (Berlinger 2007; Moskop et al. 2009). Zwar sollen und können die Rechte des einzelnen Mitarbeiters, bzw. der Teammitglieder oder der Institution, denen der Fehler unterlaufen ist, nicht beschnitten werden, doch ist aus ethischer Sicht zu betonen, dass der Patient ein Recht darauf hat zu erfahren, was geschehen ist. In Deutschland schreibt das Patientenrechtegesetz aus dem Jahr 2013 vor: „Sind für den Behandelnden Umstände erkennbar, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, hat er den Patienten über diese auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren zu informieren“ (Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten 2013, BGB § 630c Abs. 2 Satz 2). Der Behandelnde ist somit zur Information verpflichtet, wenn entweder der Patient konkret nachfragt oder – ohne Nachfrage des Patienten – wenn die Information zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren erforderlich ist. Der Behandelnde muss wahrheitsgemäß antworten, wenn ein Patient ausdrücklich nach Behandlungsfehlern fragt, sofern der Behandelnde Umstände erkennt, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen. Die damit verbundene ethische Zielsetzung eines offenen und transparenten Umgangs mit Behandlungsfehlern darf das Bedürfnis des einzelnen Mitarbeiters nach rechtlichem Schutz weder übergehen noch moralisch verurteilen. Die grundsätzliche Positionierung der Einrichtung zum Umgang mit Behandlungsfehlern muss gerade deshalb eine hilfreiche Beratungsstruktur zum Verhalten nach einem schweren Zwischenfall vorhalten, damit sich eine positive Fehlerkultur entwickeln kann. Eine starre, einseitig „haftungsorientierte Verweigerung“ jeglicher Kommunikation mit Patienten und Angehörigen ist zu überwinden, ohne dabei ins Gegenteil zu verfallen und in eine blauäugige „haftungsvergessene Kommunikation“ mit dem Patienten zu geraten.

Verhalten nach dem Zwischenfall

In den letzten Jahren sind hilfreiche Veröffentlichungen erschienen, die es den Einrichtungen und Abteilungen ermöglichen, konkrete Handreichungen zu erstellen (Aktionsbündnis Patientensicherheit 2008, 2017; Bock et al. 2013; Kommission Berufliche Belastungen 2013; Institute for Professionalism 2009; Schmidt 2015; Schwappach 2010; Stiftung für Patientensicherheit 2006, 2010; Truog et al. 2011; Ulsenheimer und Bock 2013). Diese können als Checklisten genutzt bzw. in solche umgesetzt werden, auch um Sicherheit in einer emotional belastenden Situation zu gewährleisten. Entscheidend ist dabei, dass die Grundhaltung und die detaillierten Ausführungen an den entsprechenden Stellen in der Organisation (wie Vorstand, Geschäftsführung, Rechtsabteilung, Krankenhausdirektorium, Chefarztsitzung, Pflegekonferenz) besprochen, verabschiedet und im Vorfeld kommuniziert werden. Die Fürsorgepflicht der Organisation gilt zuerst dem (betroffenen) Patienten, bezieht sich aber auch auf die (direkt und indirekt betroffenen) Mitarbeitenden und die derzeitigen sowie die zukünftigen Patienten. Deshalb muss die Organisation Maßnahmen ergreifen, um ähnliche Zwischenfälle zu verhindern, wenn deutlich wird, dass weitere Fehler der gleichen Art (z. B. Verwechslungen) möglich sind.

Ähnlich wie bei anderen Fortbildungen, die regelmäßig stattfinden, kann die Organisation dafür Sorge tragen, dass ein gravierender Behandlungszwischenfall wie ein Notfall behandelt wird und die Abteilung auf derartige Zwischenfälle (a) durch präventive Schulungsangebote vorbereitet (Schmidt 2013) und (b) nach belastenden Ereignissen psychosoziale Unterstützung angeboten wird. In Hinblick auf die Prävention nimmt das Boston Children’s Hospital Institute for Professionalism and Ethical Practice eine Vorreiterrolle ein. Dort wurden in den letzten 15 Jahren mehr als 5000 Mitarbeitende des Gesundheitswesens in Gesprächsführung nach kritischen Ereignissen – auch in Onlineformaten – geschult.Footnote 1

Für die psychosoziale Unterstützung wurden spezielle Programme entwickelt wie das RISE Programm am Johns Hopkins Hospital (Edrees et al. 2016) oder das aus der Einsatznachsorge entwickelte Konzept des Critical Incident Stress Management (CISM) auf den stationären Bereich übertragen, in dem psychosoziale Fachleute den Prozess der Nachbesprechung leiten, der jedoch wesentlich von speziell ausgebildeten Peers getragen wird (vgl. Peer Support Programme des Bethsy Lehmann CenterFootnote 2). Gegenüber den traditionellen psychologischen Angeboten wie auch den Supervisionen bietet die (Krisen)Intervention durch Peers bestimmte Vorteile, da sie die Arbeitssituation kennen, Verständnis zeigen und durch ihre hohe Glaubwürdigkeit die KollegInnen besser beraten können (Mitchell und Everly 2019). Verschiedene Berichte verweisen zum einen auf die zögerliche Inanspruchnahme (Edrees et al. 2016), jedoch grundsätzlich positive Reaktion der Mitarbeitenden auf derartige Unterstützungsangebote (vgl. Krzan et al. 2015). Zur Messung ihrer Effektivität wurden in den letzten Jahren verschiedene Tools entwickelt (Burlison et al. 2017) und eingesetzt (vgl. Chitwood 2019), denn auch die Organisation trägt Verantwortung dafür, welche Art von Unterstützungsmodellen sie implementiert. So ist die Gefahr der Retraumatisierung bei unsachgemäß durchgeführten Nachbesprechungen wiederholt kritisch thematisiert worden.

Auch wenn die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die überwiegende Mehrzahl der von belastenden Ereignissen Betroffenen auf den damit verbundenen Stress „normal“ reagiert und psychosoziale Nachbetreuung (wie CISM) dazu führt, Wege zu finden, um leichter in diesen Normalzustand zurückzukehren, sind Übergänge von „normalem“ Funktionieren zur Traumatisierung nicht leicht zu erkennen und bedürfen der ärztlich-psychologischen Fachkenntnis bzw. der anschließenden fachkundig therapeutischen Begleitung (BBK 2012, S. 23 f. und 109), die in das Versorgungskonzept einzubeziehen ist.

Organisationsethische Eckpunkte

Am Beispiel der Auswirkungen, die das Involviertsein in einen (mutmaßlichen) Behandlungsfehler auf die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen haben können, wird die organisationsethische Verpflichtung deutlich, eine hilfreiche Struktur für den Umgang mit verschiedenen Arten von „belastenden Ereignissen“ vorzuhalten. Grundsätzlich lassen sich als hilfreiche Unterstützung für den Umgang mit belastenden Ereignissen drei Schritte festhalten: (a) die Sensibilisierung für das Thema, (b) die Durchführung präventiver Schulungen und (c) das Bereithalten von Kriseninterventionsteams bzw. das Angebot psychosozialer Nachsorge.