Abstract
Weshalb betrifft die Rechtfertigungslehre keinen Einzel-Locus, sondern das Ganze der Theologie?Die Antwort darauf ergibt sich im Aufweis der ontologischen Bedeutung der Rechtfertigung: Ausgehend von Luthers berühmter Formulierung im Kleinen Katechismus »ohn all mein Verdienst und Würdigkeit« wird eine theologisch verantwortete wie philosophisch diskutable Ontologie der Zusage und Gabe vorgestellt.In seinem ungeschuldeten Kommen zur Welt zerbricht Gott jedes “do ut des”. Er gibt sich ganz und gar unverdient und handelt in dieser Logik der kategorischen Gabe para-dox – als der, der »die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ruft, dass es sei« . Dieses Verständnis der creatio ex nihilo ermöglicht es, Schöpfung als Rechtfertigung und Rechtfertigung als Schöpfung wahrzunehmen. Nicht nur das Sein des Menschen besteht darin, allein aus Glauben gerechtfertigt zu sein . Vielmehr gilt nicht nur anthropologisch, sondern schöpfungstheologisch und ontologisch umfasssend und durchdringend: mundum iustificari fide.In seiner Identitätssuche verfängt und verkrümmt der Mensch sich jedoch in sich selbst: Er will selbst sein. Diese Ontologie des Selbstseins ist eine Ontologie der Selbstrechtfertigung. Zwischen dieser und der kategorischen Gabe kommt es zum Streit der Rechtfertigungen – in der Dimension der eigenen Lebensgeschichte, der Dimension der Weltgeschichte und der Dimension der Naturgeschichte. Die als Streit der Rechtfertigungen wahrgenommene Wirklichkeit spitzt sich zu im Rechtsstreit mit Gott