Zeitschrift für Religions- Und Geistesgeschichte 9 (2):150-173 (1957)
Abstract |
1. Die Grundlage des Verständnisses der Reinkarnation, wie sie hier vorliegt, ist nicht die hinduistische Seelenwanderungslehre oder gar die buddhistische Karma-Lehre, sondern die christliche Auffassung und Bewertung des menschlichen Personseins, eine Auffassung, hinter der letzthin der Gedanke vom Menschen als der imago dei, dem Bild Gottes, steht. Deshalb spielt auch die indische Lehre von der Wanderung einer Seele durch Tier- und Menschenleiber so gut wie gar keine Rolle; wichtig erscheint nur die Idee einer wiederholten Inkarnation menschlichen Person-Seins. 2. Die Grundlage des Verständnisses der Reinkarnation, wie sie hier vorliegt, ist nicht die Auffassung der Reinkarnation als eines Fluches oder Verhängnisses, sondern als eines Weges der Vervollkommnung, als einer höheren und vollständigeren Entfaltung der imago dei. 3. Christliches Erbe an dieser Deutung ist auch die Blickrichtung nach vorwärts, nach dem Endziel der Vollkommenheit hin, und nicht die Blickrichtung nach rückwärts, der lähmende Blick auf den Kreislauf der Geburten. Dementsprechend ist diese Idee der Reinkamation verbunden mit dem Gedanken der aktiven Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit. Die Vollendung und Vervollkommnung des Menschen erscheint nicht als ein überirdisches Gnadengeschenk, das dem Menschen als ein Fremdes übergestülpt wird, sondern als das Ergebnis einer Reifung auf dem Weg des Leidens, der Erfahrung, der Überwindung, auf dem Weg einer immer neuen Erprobung der menschlichen Freiheit. 4. In dieser Auffassung ist ohne Zweifel ein Protest gegen den Mechanismus der Prädestinationslehre, die die Erreichung des Zieles der menschlichen Persönlichkeit völlig unabhängig von dem Verhalten dieser Persönlichkeit selber macht und den Menschen lediglich als das Objekt eines göttlichen Ratschlusses versteht, der sich über die Bemühungen dieses Objekts selbst vollständig hinwegsetzt; ebenso maßgeblich ist der Protest gegen die Lehre von der ewigen Verdammnis, die letzthin den Teufel zum eigentlichen Gewinner der Heilsgeschichte macht. 5. Das Grundanliegen der so verstandenen Reinkarnationslehre ist die Bemühung um eine tiefere Einsicht in das Woher und Wohin des Menschen und in die Kontinuität innerhalb des menschlichen Personseins und seiner Entwicklung vor der Geburt und nach dem Tode. Diese Bemühung setzt gerade an den Punkten ein, an denen die dogmatische christliche Auffassung von den letzten Dingen viele Fragen offen läßt. Ich erwähne nur zwei dieser Punkte: a) Die Veränderung des Geschichtsbildes. Die christliche Endzeiterwartung ist in der ältesten Kirche bestimmt durch die Naherwartung des Endes, durch die Erwartung, daß das Kommen des Menschensohnes, die allgemeine Auferstehung der Toten, das Gericht, der Anbruch des Gottesreiches unmittelbar bevorstehen. Angesichts einer solchen Naherwartung kann natürlich ein solcher Gedanke wie die Idee der Reinkarnation gar nicht aufkommen. Die Verzögerung der Parousie, die Tatsache, daß die Erfüllung der Endzeiterwartungen inzwischen fast zweitausend Jahre auf sich warten läßt, hat eine ganz neue Problematik auch für die Beurteilung der Entwicklung des Menschen nach dem Tode mit sich gebracht. Die römisch-katholische Kirche hat die Lehre vom Fegefeuer entwickelt und dadurch dem Sünder die Chance offengelassen, auch nach dem Tod seinen Heilsstand zu verbessern. Die Reformation hat diese Lehre abgelehnt, hat aber ihrerseits nichts getan, um die Lehre von den letzten Dingen im Hinblick auf unser verändertes Geschichtsbewußtsein weiterzuentwickeln. Nie wurde so viel von Eschatologie gesprochen wie heute, und nie wurde die Frage nach den letzten Dingen vom Standpunkt unseres heutigen Geschichtsbewußtseins her so wenig konkret durchdacht. b) Die altchristliche Endzeiterwartung ist ganz geozentrisch orientiert. Unsere Erde erscheint als Hauptgegenstand des göttlichen Heilswillens, als der eigentliche zentrale Ort der Heilsgeschichte; die Schöpfung und Erlösung des Menschen dieser Erde erscheinen als das zentrale Anliegen des göttlichen Schöpfungs- und Heilswillens. Das neue Weltbild aber beruht auf der Erkenntnis einer Pluralität von Welten. Die Reinkarnationslehre, von der wir hier sprachen, ist ein Versuch, die innere Einheit dieses größeren, aus einer Pluralität von Welten bestehenden Universums vom Menschen, d. h. von der Reinkarnation her, zu verstehen. 6. Auch als Theologen sollten wir zugeben, daß im Hinblick auf unser heutiges Geschichtsbewußtsein und auf unser heutiges kosmisches Bewußtsein zwar nicht die Lösung, die durch die Reinkarnationslehre gegeben ist, aber das Anliegen selbst berechtigt ist. Eine Neubesinnung auf ein christliches Verständnis der letzten Dinge wird sich einer Beschäftigung mit diesem Anliegen nicht entziehen können.
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DOI | 10.1163/157007357x00357 |
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