Die Geschichtlichkeit des Menschen und die Geschichte des Seins

Duncker Und Humblot (2000)
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Abstract

In dieser Arbeit haben wir von Heideggers Seinsdenken her sein Geschichtsdenken nachvollzogen. Es sollte gezeigt werden, daβ Heideggers Geschichtsdenken in der frühen Zeit dergestalt vollzogen wird, daβ es die Geschichte der Ontologie als diejenige der Seinsvergessenheit von der uneigentlichen Geschichtlichkeit des Daseins her erhellt und so die Not-wendigkeit der traditionellen Ontologie aufweist. Sofern die Geschichte der Ontologie als diejenige des Vergessens der ursprünglichen Quellen der Ontologie gefaβt wird, verkörpert sich innerhalb des Seinsdenkens die eigentliche Geschichtlichkeit als Wiederholung der gewesenen Seinsmöglichkeit des seinsverstehenden Daseins gerade in der aneignenden Wiederholung der ursprünglichen Quellen der Ontologie. Die eigentliche Geschichtlichkeit des Daseins als Vollzug der eigentlichen Existenz ist so eine zweifache Wiederholung, d.h. die Wiederholung der Seinsmöglichkeit des seinsverstehenden Daseins und zugleich die Wiederholung des Ursprungs der Ontologie. Ferner sollte gezeigt werden, daβ Heideggers Geschichtsdenken in der späteren Zeit (seit Beginn der dreiβiger Jahre) dergestalt vollzogen wird, daβ es die Seinsgeschichte als Geschick des Seins von dem Sein als Ereignis bzw. Ge-schick her erhellt und so die Not-wendigkeit der Seinsgeschichte aufweist. Das Geschick des Seins gründet im ansichhaltenden Wesensgeschehen des Seins, d.h. in dem Ereignis bzw. dem Ge-schick. Sofern die Seinsgeschichte als dasjenige Geschick des Seins gefaβt wird, das durch den Gegenschwung von Zuruf und Entwurf geschieht, verkörpert sich innerhalb des Seinsdenkens die eigentliche Geschichtlichkeit als Wiederholung der gewesenen Seinsmöglichkeit des in die Wahrheit des Seins hereinstehenden Daseins gerade in der andenkend-vordenkenden Wiederholung des währenden Ursprungs der Seinsgeschichte. Auch hier zeigt sich die eigentliche Geschichtlichkeit zweifach, d.h. als die Wiederholung der Seinsmöglichkeit des in die Wahrheit des Seins hereinstehenden Daseins und zugleich als die Wiederholung des Wesensursprungs der Seinsgeschichte. Das Sein geschieht zwar nicht durch den Menschen, aber mit dem Menschen, der als ereigneter die zugeworfene Wahrheit des Seins entwirft. Aus dem ereignenden Zuruf des Seins ist der Mensch in die Existenz, d.h. in das Innestehen in der Wahrheit des Seins, geschickt. Das Sein selbst verfügt über das ursprüngliche Wesen des Menschen, d.h. die Existenz. Aus dem Sein selbst gewinnt der Mensch zwei Seinsmöglichkeiten: das Entwerfen der zugeworfenen Wahrheit des Seins oder dessen Vergessen. Das Sein selbst ist also der Ursprung der Seinsmöglichkeiten des Menschen. Das Entwerfen der Wahrheit des Seins ist der eigentliche Vollzug der Existenz, der die Wiederholung der gewesenen Seinsmöglichkeit des Menschen bedeutet. Diese Wiederholung geschieht zugleich als die Wiederholung der währenden Möglichkeit des Seins in die Zukünftigkeit des Seins, die als Wiederholung des Ursprungs der Geschichte dem Anfangenlassen der andersanfänglichen Geschichte gleichkommt und somit die Not der Seinsgeschichte wendet. Die eigentliche Geschichtlichkeit des Menschen wird nicht nur im frühen Denken Heideggers, sondern auch in seinem späteren Denken als Wiederholung gedacht. Die Antwort auf die Fragen, wie das Sein ursprünglich geschieht und wie das Seiende (sowohl das daseinsmäβige wie auch das nicht daseinsmäβige Seiende) noch seiender wird, findet sich im Begriff >Wiederholung<. Die eigentliche Geschichtlichkeit als Wiederholung gründet in der dreifachen Zeitlichkeitsstruktur der Zeit. Sofern der Mensch zeitlich ist, hat die Wiederholung in Hinblick auf die dreifache Zeitlichkeitsstruktur eine dreifache geschichtliche Bedeutung. Hinsichtlich der Zukunftsdimension ist die Wiederholung etwas Monumentalisches bzw. Geschichtsgründendes, hinsichtlich der Gewesenheitsdimension etwas Antiquarisches bzw. Geschickhaftes, hinsichtlich der Gegenwartsdimension etwas Kritisches bzw. das die Grundstellung des Menschen verwandelnde. Die so zu fassende Wiederholung ist in sich diejenige Wiederholung der währenden Möglichkeit des Seins in die Zukunft (d.h. in das Auf-uns-zukommen), so daβ die andersanfängliche Geschichte anfängt. Was den Begriff der Wiederholung sinnvoll macht, ist die Endlichkeit des Menschen. Der in die Wahrheit des Seins geworfene Mensch ist hinsichtlich der Geworfenheit endlich. Er entwirft nur das ihm faktisch Zugeworfene und ist von der Bestimmtheit des Entwurfs aus gesehen endlich. Der Mensch kann aber die ihm zugeworfene Wahrheit des Seins (d.h. den Zeit-Raum für das Sein überhaupt) ursprünglich entwerfen und somit seine gewesene Seinsmöglichkeit ausdrücklich übernehmen, was als epochemachende Wiederholung dem Anfangenlassen der andersanfänglichen Geschichte gleichkommt. In einem solchen Seinkönnen des Menschen liegt seine Würde und Gröβe. Was das so zu fassende Geschichtsdenken Heideggers in einer Hinsicht charakterisiert, scheint ein eschatologisches Denken zu sein. Was mit diesem Begriff gemeint ist, ist gar nicht ein durch die Vergeschichtlichung der Eschatologie sich vollziehender Entwurf einer Geschichtsphilosophie wie eine eschatologische Setzung des absoluten Ziels der Weltgeschichte, sondern allein das aus dem Endbewuβtsein bzw. aus dem an das Ende Denken her sich vollziehende Andenken an die Geschichte des Daseins und des Seins. Das eschatologische Denken Heideggers aus dem an das Ende Denken her zeigt sich besonders darin: Wie das Vorlaufen des Daseins zum Tode das Sein des Daseins in seiner Gewesenheit enthüllt und so die Wiederholung ihrer in die Zukunft ermöglicht, enthüllt die Erfahrung des Zeitalters als das Ende der Seinsgeschichte das Sein in seiner Gewesenheit und ermöglicht so die ursprüngliche Wiederholung ihrer in die Zukunft. Im eschatologischen Denken sammelt sich die Zeit auf den Menschen als sichzeitigendes nunc, der Raum auf den Menschen als sichräumendes hic, der Zeit-Raum auf den Menschen als haecceitas, was der Vereinigung von Teil und Ganzem gleichkommt. Sofern der Mensch aus dem eschatologischen Denken her das zeit-räumliche Ganze aufnimmt und als die Vereinigung von Teil und Ganzem es auf seine gewesen-künftige Möglichkeit hin entwerfend offen hält, steht jedes Ding in die Ganzheit des Ganzen herein und eröffnet dieses in jene, was wieder als eine Vereinigung von Teil und Ganzem das Dingen des Dinges und zumal das Welten der Welt bedeutet. Zum Sein des Menschen, sei dieser ein Individuum oder die Menschheit, gehört die geschichtliche Kontinuität. Seine Vergangenheit steht in einer Kontinuität mit seiner Gegenwart, diese wieder mit seiner Zukunft. Diese Kontinuität wird gewöhnlich als Überlieferung oder Tradition der Seinsweise des Menschen verstanden. Die Kontinuität des Menschseins ist aber insofern eigentlich eine in sich epochal diskontinuierliche Kontinuität, als die Kontinuität nur in epochemachenden Zusammenhängen gründet. Wenn es so ist, erhebt sich folgende Frage: Was ermöglicht eine solche eigentliche Kontinuität des Menschseins? Worauf gründet seine in sich epochal diskontinuierliche Kontinuität? Diese Frage ist die Frage nach dem Wesensgrund der ursprünglichen Geschichtlichkeit des Menschen. Aber nicht nur zum Menschsein, sondern auch zum Sein selbst gehört die geschichtliche Kontinuität. Die ehemalige Wesungsweise des Seins steht in der Kontinuität mit der jetzigen Wesungsweise des Seins, diese wieder mit der zukünftigen Wesungsweise. Diese Kontinuität wird gewöhnlich als Rückschritt oder Fortschritt der Seinsauslegung verstanden. Die Kontinuität der Seinsgeschichte ist aber eigentlich, wie die Kontinuität des Menschseins, eine in sich epochal diskontinuierliche Kontinuität. Insofern erhebt sich folgende Frage: Worin gründet eine solche eigentliche Kontinuität der Seinsgeschichte? Worauf gründet ihre in sich epochal diskontinuierliche Kontinuität? Diese Frage ist die Frage nach dem Wesensgrund der ursprünglichen Geschichtlichkeit des Seins. Wenngleich wir so zwei Fragen nacheinander gestellt haben, stehen die epochal diskontinuierliche Kontinuität des Menschseins und die epochal diskontinuierliche Kontinuität der Seinsgeschichte nicht in der Dualität, sondern in einer bestimmten Einheit. Denn das, woher Mensch und Sein je zu ihrem ursprünglichen Wesensgeschehen kommen, ist das Ereignis, das im er-eigneten Entwurf der zugeworfenen Wahrheit des Seins geschieht. Dieser Entwurf ist es, worin die ursprünglich-eigentliche Geschichtlichkeit des Menschen liegt. Diese eigentliche Geschichtlichkeit ist es, worin sowohl das eigentliche Wesensgeschehen des Menschen, das jeweils die epochal diskontinuierliche Kontinuität des Menschseins bildet, wie auch das eigentliche Wesensgeschehen des Seins, das jeweils die epochal diskontinuierliche Kontinuität der Seinsgeschichte bildet, liegt. In der ursprünglich-eigentlichen Geschichtlichkeit des Menschen gründet die zweifach zu denkende geschichtliche Kontinuität. Heideggers Geschichtsdenken ist als ursprüngliche Frage nach der Geschichte weder die Behauptung des Fortschrittes oder des Rückschrittes der Geschichte noch die Herausstellung eines gleichförmigen Gesetzes der Geschichte, sondern die Frage nach dem Wesensgrund der Geschichte, der zuletzt in der eigentlichen Geschichtlichkeit des Menschen verankert wird, die sich in der Weise des er-eigneten Entwurfs des er-eignenden Zurufs des Seins vollzieht. Der historische Optimismus gehört zur Auffassung der geschichtlichen Kontinuität als Fortschritt, der historische Pessimismus zur Auffassung der geschichtlichen Kontinuität als Rückschritt, der historische Relativismus zur Auffassung der geschichtlichen Diskontinuität als Immensurabilität. Wenn sich der Sinn einer Epoche aber darin findet, inwiefern sie die gewesene Möglichkeit in ihrer Ursprünglichkeit wiederholt, läβt sich der Sinn einer Epoche weder einfach relativieren, noch einfach mit dem Begriff Fortschritt oder Rückschritt verrechnen. Die Frage, worin der Wesensgrund der Geschichte liegt, d.h. wie der Mensch ursprünglich seine Seinsmöglichkeit wiederholt und somit das Sein ursprünglich wesen läβt, um die Möglichkeit in der Geschichte zur Geschichte aus der Möglichkeit werden zu lassen, ist es, die die Eigentümlichkeit Heideggers Geschichtsdenkens bildet, was in dieser Arbeit gezeigt werden sollte.

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Eunhae Cheong
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Citations of this work

From the Ultimate God to the Virtual God: Post-Ontotheological Perspectives on the Divine in Heidegger, Badiou, and Meillassoux.Jussi Backman - 2014 - Meta: Research in Hermeneutics, Phenomenology, and Practical Philosophy 6 (Special):113-142.
Heideggers Dinge.Tobias Keiling - 2014 - Meta: Research in Hermeneutics, Phenomenology, and Practical Philosophy:74-112.

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