Abstract
Phenomenological reduction as a philosophical conversion (periagoge)
Während Husserl in den Ideen I die Reduktion als eine neue „Methode“ des Denkens, d. h. als eine „epistemologische“ Reduktion versteht, schlägt Scheler eine Reduktion als eine „Tèchne“ der Umbildung vor, durch die der Mensch seiner exzentrischen Stellung in der Welt Gestalt zu geben sucht. Mich interessiert an diesem Zitat vor allem der Gebrauch des griechischen Terminus „Tèchne“. Was Scheler damit bezeichnet, hat offensichtlich nichts mit dem zu tun, was wir heute unter dem Begriff der Technik verstehen. Er spricht eben von einer Kunst „des inneren Handelns“. Meines Erachtens verweist Scheler durch diesen griechischen Begriff auf Platons Gedanken. Für diese These kann man sich bereits auf eine Stelle aus der mittleren Phase im Denken Schelers stützen, in der er nämlich die phänomenologische Reduktion als den moralischen Akt darstellt, dem der „platonische Aufschwung“ (Vom Wesen der Philosophie, GW V, 67) zugrunde liegt. Es ist nun geradezu dieser „platonische Aufschwung“, der im Nachlass ausdrücklich als eine „Tèchne“ (Nachlass, GW XI, 118) beschrieben wird. Was heißt nun in diesem Kontext tèchne bei Platon? Schelers Gebrauch des griechischen Terminus tèchne für die Bezeichnung der phänomenologischen Reduktion erinnert sehr an die tèchne tês periagogês im Höhlengleichnis Platons, durch die die Gefangenen aus der Höhle hinausgehen können. Diese tèchne versteht Platon als einen Bildungsprozess des Menschen; er lernt dadurch, seinen Blick auf das Gute hin zu lenken, damit seine Seinsweise in der Welt zurechtgerückt werden könne. Es geht also um eine conversio oder Umkehrung der eigenen Positionalität in der Welt, die den Übergang vom Leben zum guten Leben zustande bringen kann. Diese tèchne ist grundlegend für das Verständnis der paideía bei Platon, die sich nicht mit einer bloßen Übertragung von Informationen begnügt, sondern vielmehr nach einer periagogé (Umkehrung) der ganzen Seele strebt. Es muss also – wie Sokrates sagt – eine besondere „Kunst der Umkehrung [tèchne tês periagogês]“ geben, die lehrt, auf welche Weise am leichtesten und wirksamsten die Seele umgewendet werden kann, und zwar unter Berücksichtigung dessen, dass sie bereits sehen kann, aber es alleine nicht schafft, das Gesicht zu wenden, „wohin es solle“ (Politeia, VII, 518 d).