Campus Verlag (
2014)
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Abstract
Was bedeutet die steile Karriere von Verantwortung (nicht nur) in der Philosophie, und welchen Preis zahlen wir dafür? Dass große Teile der modernen Philosophie ihr verfallen sind, so die zentrale These, bezahlt diese mit Blindheit für die theoretischen wie praktischen Auswirkungen von Verantwortung. Um sie zu analysieren, muss Verantwortung als diskursiven Operator verstanden werden, dessen Einheit im ambivalenten Selbstverhältnis der Verantwortung Tragenden liegt. Seine praktischen Auswirkungen werden exemplarisch in den Praktiken der Arbeit und der Kriminalität studiert, in denen das verantwortliche Selbstverhältnis intensiviert und zugleich von der Voraussetzung substantieller Handlungsmacht entkoppelt wird. So hilft Verantwortung, eine unternehmerische Logik in die Selbstverhältnisse zunehmend entmachteter Lohnarbeiterinnen und »Arbeitsloser« einzuschmelzen sowie die Bürgerinnen aktiv in die präventiv gewendete Kriminalpolitik einer auf öffentliche Sicherheit fixierten Gesellschaft einzubinden.
Die theoretischen Auswirkungen werden anhand der Genealogie von Verantwortung innerhalb der Philosophie analysiert, in der sich Verantwortung vom Instrument in der metaphysischen Debatte um Willensfreiheit zu einem eigenständigen moralischen Problem und schließlich zur Gewissheit wandelt, mit der andere philosophische Fragen erklärt werden. Fixpunkt aller Reflexionen bleibt das ambivalente verantwortliche Selbstverhältnis als aktiver Umgang mit dem Faktum des eigenen Unterwerfens – sowohl dem Unterworfen-sein als auch dem Unterwerfen Anderer. Das zum Faktum erklärte Unterwerfen erlaubt dem Subjekt, sich unabhängig von seiner tatsächlichen Handlungsmacht als souverän zu erleben, und bildet den verborgenen Kern des verantwortlichen Selbstverhältnisses. Weil Verantwortung aber zunehmen gebraucht wird, um die Bindungskraft von Normativität als ureigenes Gebiet der Philosophie zu explizieren, verleitet ihre Attraktivität dazu, diese Selbstobjektivierung zu übersehen oder zu leugnen und den praktischen Gebrauch der philosophischen Legitimierungen von Verantwortung auszublenden. Dagegen setzt dieses Buch eine diagnostische Kritik, die den Bann der Verantwortung wenn nicht bricht, so doch entlarvt.