Zusammenfassung
Als einzige Autoren der deutschsprachigen Moderne haben sich Hofmannsthal und Sternheim um eine systematische Erneuerung der Komödiengattung bemüht. Der Beitrag geht dem programmatischen Anspruch nach, der hinter den von ihnen jeweils vertretenen Lustspielkonzeptionen steht, und prüft dessen praktische Umsetzung in den Werken selbst. Berücksichtigt wird dabei auch, in welchem Maße beide Autoren die europäische Komödientradition fortführen, als deren Sachwalter sie sich offenbar verstehen.
Abstract
Hofmannsthal and Sternheim were the only German authors who endeavoured to bring about a reappraisal of comedy as a literary genre. The article elucidates the programmatic claims which their concepts of comedy involved and discusses their practical application. It also analyses to what extent both authors continued the European tradition of comedy for which they obviously felt responsible.
Literatur
Georg Lukâcs, Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas (1911), hrsg. Frank Benseler, Darmstadt, Neuwied 1981, 473.
Ähnlich Otto Rummel, “Komik und Lustspieltheorie” (1943), in: Reinhold Grimm, Klaus L. Berghahn (Hrsg.), Wesen und Formen des Komischen im Drama, Darmstadt 1975, 39–77, hier: 39f.
Johann Wolfgang v. Goethe, Nachlese zu Aristoteles’ Poetik (1827), Werke, Hamburger Ausgabe (HA), hrsg. Erich Trunz, 7. Aufl., München 1973, XII, 342–345, 343.
Friedrich Theodor Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, hrsg. Robert Vischer, Erster Teil, München 1922 (zuerst 1846), 403.
Gerhart Hauptmann, Dramatische Darstellung (ca. 1910), in: ders., Die Kunst des Dramas. Über Schauspiel und Theater, zusammengestellt von Martin Machatzke, Frankfurt a.M., Berlin 1963, 35–36, hier: 36. Dazu grundlegend Peter Haida, Komödie um 1900. Wandlungen des Gattungsschemas von Hauptmann bis Sternheim, München 1973, 39 f.
Eine Ausnahme bildet Fink und Fliederbusch (1916) mit einer Vielzahl von komischen Effekten (A.S., Das dramatische Werk, Frankfurt a.M. 1977ff., VII, 79-191); dazu die Interpretation bei Ernst L. Offermanns, Arthur Schnitzler. Das Komödienwerk als Kritik des Impressionismus, München 1973, 56ff.
Hugo von Hofmannsthal, Worte zum Gedächtnis Molières, Gesammelte Werke, in Beratung mit Rudolf Hirsch hrsg. Bernd Schoeller, Frankfurt a.M. 1979ff., Reden und Aufsätze (RA), II, 157–161.
Vgl. dazu den seit 1911 geführten Briefwechsel, in: Hofmannsthal-Blätter 1 (1971), 243-254 sowie Leonhard M. Fiedler, “Eine Molière-Ausgabe von Hofmannsthal und Sternheim”, Hofmannsthal-Blätter 1 (1971), 255–263. Zum Einfluß Molières auf Hofmannsthals Komödienwerk exemplarisch am Schwierigen Walter Pape, “‘Ah, diese chronischen Mißverständnisse!’ Hugo von Hofmannsthal: ‘Der Schwierige’”, in: Winfried Freund (Hrsg.), Deutsche Komödien. Vom Barock bis zur Gegenwart, München 1988, 209-226, 213.
In einem Brief an Ottonie Gräfin Degenfeld heißt es am 25. 3. 1910 im Zusammenhang mit der Berliner Premiere von Cristinas Heimreise: “Aber ich glaube, das Eigentliche in dem Stück liegt nicht in den Figuren (vielleicht wird das überhaupt in meinen Komödien so sein) sondern in dem, wie die Figuren zu einander stehen. Verhältnisse zwischen Menschen sind mir etwas besonders anziehendes” (Hugo von Hofmannsthal, BriefWechsel mit Ottonie Gräfin Degenfeld und Julie Freifrau von Wendelstadt, Frankfurt a.M. 1986, 23).
Hofmannsthal (Anm. 14), Ad me ipsum, RA III, 599. Zum Früh werk diesbezüglich Peter Szondi, Das lyrische Drama des Fin de siècle, Studienausgabe der Vorlesungen, IV, hrsg. Henriette Beese, Frankfurt a.M. 1975, 176ff.
f. u. Benno Rech, Hofmannsthals Komödie. Verwirklichte Konfiguration, Bonn 1971, 2ff., 77f.
Hofmannsthal (Anm. 14), RA III, 538. Zu den inneren Widersprüchen von Hofmannsthals Begriff des Gesellschaftlichen, der allein eine Lebensform und keine konkrete soziale Perspektive bezeichnet, die Überlegungen bei Wolfram Mauser, Hugo von Hofmannsthal. Konfliktbewältigung und Werkstruktur. Eine psychosoziologische Interpretation, München 1977, 150f.
Dazu Martin Stern, “Hofmannsthals verbergendes Enthüllen. Seine Schaffensweise in den vier Fassungen der Florindo/Cristina-Komödie”, DVjs 33 (1959), 38–62.
Zu diesem Aspekt auch die ebenso scharfsinnige wie einseitige Arbeit von Gerhart Pickerodt, Hofmannsthals Dramen. Kritik ihres historischen Gehalts, Stuttgart 1968, 204f.
Franz Norbert Mennemeier, “Der Schwierige”, in: Benno von Wiese (Hrsg.), Das deutsche Drama. Vom Barock bis zur Gegenwart. Interpretationen, Düsseldorf 1964, II, 246-267, hier: 248.
Wilhelm Emrich, “Hofmannsthals Lustspiel ‘Der Schwierige’”, in: ders., Protest und Verheißung. Studien zur klassischen und modernen Dichtung, Frankfurt a.M., Bonn 1960, 223–232, hier: 225.
Richard Alewyn, “Hugo von Hofmannsthal”, in: ders., Probleme und Gestalten. Essays, Frankfurt a.M., 1982, 102–114, hier: 112.
Peter Szondi, Theorie des modernen Dramas (1880-1950), in: ders., Schriften I, Frankfurt a.M. 1978, 11–153, hier: 82.
Hans Steffen, “Hofmannsthals Gesellschaftskomödie ‘Der Schwierige’”, in: H. Steffen (Hrsg.), Das deutsche Lustspiel, Göttingen 1969, II, 125–158, hier: 125.
Vgl. Hugo von Hofmannsthal-Anton Wildgans, Briefwechsel, Neuausgabe, hrsg. und komm. Norbert Altenhofer, Heidelberg 1971, 31.
Ernst Mach, Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, 4. Aufl., Jena 1903 (zuerst 1885), 1–30.
Hofmannsthals Bekanntschaft mit dem Werk Machs dürfte durch Hermann Bahr vermittelt worden sein. Zur Mach-Rezeption Gotthard Wunberg, Der frühe Hofmannsthal. Schizophrenie als dichterische Struktur, Stuttgart u.a. 1965, 23ff.
Hofmannsthal (Anm. 14), Wiener Brief I, RA II, 272-284, hier: 276. Die Hofmanns-thal-Forschung hat bisher, soweit ich sehe, darauf verzichtet, den hier entwickelten Ironiebegriff für die Komödieninterpretation fruchtbar zu machen. Andeutungen nur bei Martin Stern, “Hofmannsthals Lustspielidee: Komödie als ‘Essai de Théodicée’” (1982), in: Karl Pestalozzi, Martin Stern, Basler Hofmannsthal-Beiträge, Würzburg 1991, 217–225, hier: 220f.
So eine frühe Titelvariante; erwogen hat Hofmannsthal auch “Die Mißverständnisse” und “Der Basilisk”. Vgl. Martin Stern, “In illo tempore. Über Notizen und Varianten zu Hofmannsthals Lustspiel ‘Der Schwierige’”, Wirkendes Wort 8 (1957/58), 115–119, hier: 117.
“Keime des Lustpiels. Frühe Notizen zum ‘Schwierigen’ und zum ‘Unbestechlichen’”, aus einem von Christiane Zimmer bewahrten Nachlaßkonvolut, mitgeteilt von Leonhard M. Fiedler, Hofmannsthal-Blätter 25 (1982), 75–86, hier: 78.
Zu ‘Verlachen’ als Komik der Herabsetzung und ‘Mitlachen’ als Heraufsetzung (letztere vermittelt durch die Figur des Narren, der der gegebenen sozialen Wirklichkeit den Spiegel vorhält und dabei komisch ist, ohne selbst belacht zu werden) vgl. Hans Robert Jauß, “Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden”, in: Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning (Hrsg.), Das Komische, Poetik und Hermeneutik VII, München 1976, 103–133, hier: 108f. Der Begriff der ‘komischen Herabsetzung’ bereits bei Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905), Studienausgabe, IV: Psychologische Schriften, Frankfurt a.M. 1982, 9-221, hier: 97f.
Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Werke, hrsg. Wilhelm Weischedel, Frankfurt a.M. 1977, X, 273 (§ 54).
Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik 111, Werke, hrsg. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt a.M. 1986, XV, 528f.
Vgl. Vischer (Anm. 5), Ästhetik. Erster Teil, 472ff., Theodor Lipps, Grundlegung der Ästhetik, 3. Aufl., Leipzig 1923 (zuerst 1903), I, 586f.
Vgl. Henri Bergson, Le rire. Essai sur la signification du comique, 17. Aufl., Paris 1919, zuerst 1900, 91 f. Alle Formen des Komischen entstehen laut Bergson aus der Spannung zwischen subjektivem Interesse der komischen Figur und objektiven Verhältnissen, die diese Interessen durchkreuzen.
Ludwig Tieck, Die verkehrte Welt. Ein historisches Schauspiel in fünf Aufzügen (1800), Werke, nach dem Text der Schriften von 1828-1854, hrsg. Marianne Thalmann, München 1964, 271–357, hier: 325. Der Ironiebegriff taucht im hier angeführten Passus nicht explizit auf, wird aber deutlich umspielt, ist doch der Kommentar des Intermezzos zumal auf das von Tieck praktizierte komische Verfahren des Rollentauschs und der mit ihm verbundenen Perspektivwechsel bezogen.
Diese Inversion ist bei Schlegel abgedeckt durch das ironische Verfahren der Potenzierung, wie es der Aufsatz Über die Unverständigkeit (1800) im letzten Heft des Athenäum beschreibt (KA [Anm. 57] II, 369): vermöge der “Ironie der Ironie” wird die “in der wirklichen Natur der Dinge” (369) liegende Ironie nochmals überboten und verkehrt. Dazu auch die Überlegungen bei Uwe Japp, Theorie der Ironie, Frankfurt a.M. 1983, 190f.; vgl. ferner Manfred Frank, Gerhard Kurz, “Ordo inversus. Zu einer Reflexionsfigur bei Novalis, Hölderlin, Kleist und Kafka”, in: Herbert Anton, Bernhard Gajek, Peter Pfaff (Hrsg.), Geist und Zeichen. Festschrift für Arthur Henkel, Heidelberg 1977, 75–98 (mit instruktiven Überlegungen zur ideengeschichtlichen und ästhetischen Bedeutung der poetischen Inversion seit der Frühromantik).
Vgl. Bernhard Greiner, Die Komödie. Eine theatralische Sendung: Grundlagen und Interpretationen, Tübingen 1992, 365 sieht zu Recht im Schluß von Hofmannsthals Lustspiel auch den Triumph des Subversiven, des Narren-Prinzips über die Welt der Zwecke. Das glückliche Ende bietet freilich, wie schon Hans Steffen (Anm. 38) bemerkt hat, keine pragmatische Lösung, sondern vornehmlich eine ästhetische, die der Gattungstheorie Hofmannsthals geschuldet ist; in der Verbindung Bühls mit Helene manifestiert sich das Prinzip des Sozialen jenseits aller konkreten Gesellschaftlichkeit: das Gesellige als Bedingung erfüllten Lebens.
Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen (1918), in: Aufsätze, Reden, Essays, hrsg. und mit Anm. vers. Harry Matter, II, Berlin, Weimar 1983, 164–756, hier: 739.
Thomas Mann, Tonio Kröger (1903), Erzählungen I, Frankfurt a.M. 1979, I, 255.
Als erster hat Wilhelm Emrich dafür plädiert, Sternheims Essays zur Grundlage der Werkinterpretation zu machen (vgl. vor allem Sternheim [Anm. 68], GW I, Vorwort, 5-19). Konsequent praktiziert dieses Verfahren (allerdings nur auf die Prosa bezogen) Wolfgang Wendler, Carl Sternheim. Weltvorstellung und Kunstprinzipien, Frankfurt a.M., Bonn 1966, bes. 35ff. Die Gegenposition findet sich in der überaus kritischen (und oftmals bedenklich psychologisierenden)
Arbeit von Winfried Georg Sebald, Carl Sternheim. Kritiker und Opfer der Wilhelminischen Ära, Stuttgart u.a. 1969, bes. 40f., der den Autor als pathologischen Fall betrachtet und in seinen programmatischen Äußerungen nur Reflexe der narzißtischen Selbstüberschätzung erblickt. Vermittelnd zwischen beiden Extremen Manfred Durzak (Hrsg.), Zw Carl Sternheim, Stuttgart 1982, Vorwort, 7f. Problematisch bleibt das
Vorgehen von Winfried Freund, Die Bürgerkomödien Carl Sternheims, München 1976, der sich bei der Drameninterpretation ausschließlich auf die Gattungsbegriffe des Molière- Aufsatzes von 1917 stützt, deren spätere Revision ignoriert und derart Sternheim einseitig als Satiriker deuten kann (bes. 45f., 122f.).
Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung (1819, 1844). Ergänzungen, Sämtliche Werke, hrsg. Wolfgang Freiherr von Löhneysen, Darmstadt 1974, II, 562.
Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum (1845), mit einem Nachwort hrsg. Ahlrich Meyer, Stuttgart 1985, 182.
Sternheim (Anm. 68), Die Hose, GW I, 89 (III, 1). Zur teilweise parodistischen Verarbeitung zeitgenössischer Nietzsche-Rezeption in der Hose Hans Schwerte, “Carl Sternheim, ‘Die Hose’” (1963), wiederabgedruckt in: Durzak (Hrsg.) (Anm. 78), Sternheim, 89–108, hier 100f.
Robert Musil, Gesammelte Werke, in neun Bänden hrsg. Adolf Frisé, Reinbek b. Hamburg 1978, V, 1939.
Helmut Arntzen (“Deutsche Satire des 20. Jahrhunderts”, in: Hermann Friedmann, Otto Mann [Hrsg.], Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert. Strukturen und Gestalten, Heidelberg 1961, I, 224–244, hier: 234f.) versteht Sternheim als Satiriker, der die Lügenhaftigkeit des gesellschaftlichen Rollenspiels decouvriert habe. Ähnlich wertet die stilanalytische
Arbeit von Eckehard Czucka, Idiom der Entstellung. Auffaltung des Satirischen in Carl Sternheims “Aus dem bürgerlichen Heldenleben”, Münster 1982. Der Satirebegriff hat jedoch den Nachteil, daß er Sternheims Changieren zwischen Bejahung und Verwerfung der sozialen Wirklichkeit, also die spezifische Ambivalenz seiner Kritik nicht hinreichend erfaßt. Sternheim operiert vielmehr ironisch, insofern er, ohne auf einen festen Standpunkt fixiert zu sein, Individualismus und Rollenexistenz ineinander spiegelt und die Technik der Entlarvung immer wieder aufhebt oder doch relativiert. Dieser spielerische Charakter der Kritik fehlt nur in der satirisch verfahrenden Komödie Die Kassette (1912), deren generelle Abrechnung mit bürgerlichem Gewinnstreben und Materialismus auf jede Andeutung einer positiven Lösung verzichtet (vgl. dazu die Interpretation von Durzak, Das expressionistische Drama I. Carl Sternheim -Georg Kaiser, München 1978, 73ff.).
Author information
Authors and Affiliations
Additional information
Erweiterte Fassung des Habilitationsvortrags, den der Verf. im Mai 1993 am Fachbereich Germanistik der Freien Universität Berlin gehalten hat.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Alt, PA. Die soziale Botschaft der Komödie Konzeption des Lustspiels bei Hofmannsthal und Sternheim. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 68, 278–306 (1994). https://doi.org/10.1007/BF03396246
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF03396246