Abstract
Hegel hat die Neuzeit bekanntlich als das Zeitalter der Subjektivität dargestellt und dessen philosophischen Ursprung nahezu exklusiv an der Person Descartes' festgemacht: „Hier, können wir sagen, sind wir zu Hause und können wie der Schiffer nach langer Umherfahrt auf der ungestümen See ‚Land’ rufen.” Descartes verkörperte für Hegel den entschlossensten Versuch, Philosophie und Wissenschaft auf den Boden der Selbstgewißheit des reinen Denkens zu stellen. Doch jenes Prinzip hat sich nicht erst am Ende seiner Entwicklung als höchst vieldeutig herausgestellt, sondern von Anbeginn war gerade die Fassung, die ihm Descartes verliehen hatte, alles andere als unumstritten. Hobbes' sensualistische Kritik des Mentalen, Humes Einwand gegen die Konzeption einer Ich-Substanz, Kants Kritik der rationalistischen Psychologie, Herders kulturanthropologische Bestimmung des Menschen, Schellings naturphilosophische Genetisierung des Geistes, Humboldts Verschränkung von Bewußtsein und Sprache, und manch anderer Einspruch mehr bis hin zur heutigen neodarwinistischen Erklärung von Selbstbewußtsein als Emergenzphänomen der Evolution sind ein Beleg dafür, daß sich die Neuzeit nicht nur als zutiefst cartesianisch geprägt, sondern mindestens ebensosehr als anticartesianische Bewegung lesen läßt. Einer der markantesten Kritiker in jener Reihe ist Martin Heidegger. Seine Destruktion des cartesianischen Selbstbewußtseins hat deswegen besonderes Gewicht, weil sie einerseits das neuzeitliche Rationalitätsverständnis als Ganzes damit infrage zu stellen sucht, andererseits jedoch die Auseinandersetzung selber auf der Ebene der Theorie der Subjektivität führt.
© Walter de Gruyter