Skip to main content
Log in

»Keine Ethik ohne Metaphysik«. Robert Spaemann und der »Trugschluss« um die Menschenwürde

»No ethics without metaphysics«. Robert Spaemann and the »fallacy« about human dignity

  • Essay
  • Published:
Zeitschrift für Ethik und Moralphilosophie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Vom Konzept ›Menschenwürde‹ machte die ethisch geprägte Philosophie Robert Spaemanns weniger und vorsichtiger Gebrauch, als man – angesichts der Positionen, die sie verteidigen möchte – vermuten würde. Dies liegt vor allem an einem in den Begriff einmontierten und von Spaemann in einer Abhandlung von 1987 hervorgehobenen »Trugschluss«, den auszuräumen der von ihm anschließend in mehreren Büchern entwickelte Personenbegriff dienen soll. Der Trugschluss verbindet und begründet auf der einen Seite die Würde mit der Kompetenz personaler Selbstbestimmung, auf der anderen Seite möchte er allen und nur den Mitgliedern der menschlichen Spezies die Menschenwürde zubilligen. Doch handelt es sich hier – ohne starke metaphysische Hintergrundannahmen – um eine metabasis eis allo genos, da ein natürlicher Sortalbegriff mit dem Vernunftkonzept ›Person‹ mir nichts dir nichts identifiziert werden müsste – was aber insbesondere die zeitgenössisch führende analytische Philosophie mit recht kritisierte. Im Aufsatz wird gezeigt, wie Spaemanns Philosophie diesen Trugschluss durch sein neues Verständnis dessen, was Personen eigentlich sind, tatsächlich zur Auflösung zu bringen vermag. Zugleich wird deutlich gemacht, dass Spaemann auch in diesem Verständnis noch an gewissen, unter dem Verdacht religiöser Parteilichkeit stehende Auffassungen festhält – von denen aber auch vollkommen abgesehen werden kann, ohne den Kern von Spaemanns Verständnis der Person aufgeben zu müssen.

Abstract

Robert Spaemann’s ethically engaged philosophy made less and more hesitantly use of the concept of ›human dignity‹ than one would expect in view of the positions it would like to defend. This is mainly due to a »fallacy« mounted in the concept and emphasized by Spaemann in a treatise of 1987, which he subsequently tried to overcome by developing the concept of persons in a new direction. On the one hand, the fallacy connects and justifies dignity with the competence of personal self-determination; on the other hand, it wants to grant human dignity to all and only the members of the human species. But this is – without strong metaphysical background assumptions – a metabasis eis allo genos, since the concept of a natural kind would simply have to be identified with the rational concept ›person‹, a confusion which had come under legitimate criticism especially by the contemporary leading analytical philosophy. The essay shows how Spaemann’s philosophy can actually dissolve this fallacy through its new understanding of what persons actually are. At the same time it is made clear that even in this understanding Spaemann still adheres to certain views which are not purely motivated by the philosophical argument but draw on a certain religious background – which, however, can also be completely ignored without having to abandon the core of Spaemann’s understanding of the person.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this article

Price excludes VAT (USA)
Tax calculation will be finalised during checkout.

Instant access to the full article PDF.

Notes

  1. Wie ich unten erklären werde, ist die Angelegenheit deshalb so kompliziert, weil man in der führenden Philosophie der 1980er Jahre sämtliche klassischen Wege, den Schluss auf die Allgemeingültigkeit der Menschenwürde zu begründen, für eine sich auf rein rationale Argumente stützende philosophische Debatte versperrt glaubte: Es gibt nach dieser Auffassung keinerlei lebensübergreifendes »further fact«, das eine Entität zu einer numerisch identischen Person machen würde, außer der Serie von »interrelated physical and mental events« im Kontext eines geeigneten Gehirns und damit verbundenen Körpers derart, dass sie einen gewissen Strang von Erfahrungen andauern und als die je meinigen in die Zukunft hinein kausal in bestimmter Weise anknüpfen lassen (vgl. insbesondere Parfit 1984, z. B. S. 202–217; 274–293; 341). Der Status als selbstbestimmte Person ist demnach abhängig vom aktuell gegebenen Vorherrschen qualifizierter Erfahrungsverknüpfung. Eine These, die naturgemäß viele von den Würdeansprüchen personalen Daseins auszunehmen erlaubt, die Spaemann so dringend eingeschlossen wissen wollte.

  2. Auf einer solchen kritischen Argumentationslinie (nicht gegen Spaemann insbesondere, sondern gegen die bis dato mit dem Begriff der Menschenwürde und analogen Prämissen argumentierende Ethik klassischen Zuschnitts) bewegte sich besonders Peter Singers wichtiges Buch Practical Ethics (Singer 1979).

  3. Sieht man von dem kurzen Vortrag »Menschenwürde und menschliche Natur« vor der Akademie für politische Bildung in Tutzing (2009) ab, der aber eher nur das Verhältnis des nicht der Natur entspringenden Würdeanspruchs zu der Tatsache betrifft, dass jeder Mensch mit einer biologisch fassbaren und so erzeugten Natur zu leben hat (veröffentlicht in: Spaemann 2011, S. 93–101).

  4. Spaemann führt an dieser Stelle – wie gerne an entscheidenden Stellen – nur ein Bibelzitat an: »[...] der 116. Psalm sagt: ›Kostbar ist in den Augen des Herrn der Tod seiner Heiligen.‹« (Ebd.) Aber damit ist natürlich begründungsphilosophisch noch niemandem weitergeholfen. Das war auch Spaemann immer klar.

  5. »Wenn der Wert nur relativ auf wertende Subjekte ist, so kann man die Vernichtung der Gesamtheit aller wertenden Subjekte nicht ein Verbrechen nennen. Denn diese Subjekte haben keinen Verlust erlitten, wenn sie verschwinden. [...] Nur unter zwei Voraussetzungen verhält es sich anders: entweder, wenn der Mensch seinen eigenen physischen Tod überlebt, so dass das Subjekt, welchem Unrecht geschah, weiterexistiert; oder aber, wenn Gott existiert, von dem der 116. Psalm sagt: ›Kostbar ist in den Augen des Herrn der Tod seiner Heiligen.‹« (Ebd.).

  6. Man muss wissen, dass das Fazit von Derek Parfits berühmtem und schon erwähntem Buch, das die klassischen Begründungsversuche zur Auflösung gebracht hatte, die da meinten, am Begriff der Person ansetzen zu können, darin bestand, »Non-Religious Ethics« als die intellektuelle Aufgabe für die Zukunft der Menschheit zu propagieren (Parfit 1984, S. 453 f.).

  7. Gemeint sind Beispiel und Thesen des Rechts- und Sozialphilosophen Werner Maihofer, der diese Auffassungen auch als Innenminister in mehreren Kabinetten der SPD-FDP-Koalition politisch vertreten hatte (vgl. Maihofer 1968, S. 37–42; Spaemann zitiert die betreffende Passage aus einem Vorabdruck desselben Textes mit dem Titel »Menschenwürde im Rechtsstaat«, vgl. Maihofer 1967).

  8. Aus dieser Charakterisierung erhellt, dass es sich bei der Spaemannschen »Wahrnehmung« um etwas anderes, viel Gewöhnlicheres und zugleich Grundlegenderes handelt als eine wechselseitige »Anerkennung« als Personen. Während die Anerkennung einen gewissen Status und Anspruch des Gegenübers affirmiert, entdeckt die Wahrnehmung von anderen nur das Faktum des auch selbst Wahrgenommen-Werdens durch andere.

  9. Genauer habe ich diese von Spaemann inspirierte, aber in puncto Verzicht auf eine ›Metaphysik des Absoluten‹ von seinen Vorgaben abweichende Denkmöglichkeit entwickelt in Buchheim (2019) sowie Buchheim und Noller (2016).

Literatur

  • Buchheim, Thomas. 2019. “What Are Persons? Reflections on a Relational Theory of Personhood”. Was sind und wie existieren Personen? Probleme und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung, 31–55. Hrsg. von Jörg Noller. Paderborn: Mentis. (Reihe „ethica“. Hrsg. von Julian Nida-Rümelin, Dieter Sturma und Michael Quante.)

    Google Scholar 

  • Buchheim, Thomas/Noller, Jörg. 2016. „Sind wirklich und, wenn ja, warum sind alle Menschen Personen? Zu Robert Spaemanns philosophischer Bestimmung der Person“. Die Person – ihr Selbstsein und ihr Handeln. Zur Philosophie Robert Spaemanns, 145–179. Hrsg. von J. Kreiml und M. Stickelbroeck. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet.

    Google Scholar 

  • Maihofer, Werner. 1967. „Menschenwürde im Rechtsstaat“. Die Würde des Menschen I., Untersuchungen zu Artikel 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit – 1 A. Hannover.

    Google Scholar 

  • Maihofer, Werner. 1968. Rechtsstaat und menschliche Würde, Frankfurt a.M.: Klostermann.

    Google Scholar 

  • Parfit, Derek. 1984. Reasons and Persons. Oxford: Oxford University Press.

    Google Scholar 

  • Singer, Peter. 1979. Practical Ethics. Cambridge University Press.

  • Spaemann, Robert. 1989. Glück und Wohlwollen. Versuch über Ethik, Stuttgart: Klett-Cotta.

    Google Scholar 

  • Spaemann, Robert. 1996. Personen. Versuche über den Unterschied von »etwas« und »jemand«. Stuttgart: Klett-Cotta.

    Google Scholar 

  • Spaemann, Robert. 1987/2001. „Über den Begriff der Menschenwürde“. Grenzen. Zur ethischen Dimension des Handelns, 107–122. Stuttgart: Klett-Cotta.

    Google Scholar 

  • Spaemann, Robert. 2011. „Menschenwürde und menschliche Natur“. Schritte über uns hinaus. Gesammelte Reden und Aufsätze II, 93–101. Stuttgart: Klett-Cotta.

    Google Scholar 

  • Spaemann, Robert/Gerhardt, Volker. 2005. „Kontroverse zur Debatte über Sterbehilfe“. Zeitschrift für Lebensrecht 4/2005, 119-126.

    Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Thomas Buchheim.

Additional information

Der Beitrag wurde ursprünglich für eine Publikation in der fachjuristischen Zeitschrift für Lebensrecht geschrieben, die sich aber aus Planungsgründen noch ins nächste Jahr hinausschiebt. Den Herausgebern danke ich für die freundliche Genehmigung, ihn auch als philosophischen Aufsatz an dieser Stelle veröffentlichen zu dürfen.

Das Zitat im Titel stammt aus Spaemann 1989, S. 131.

Rights and permissions

Reprints and permissions

About this article

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this article

Buchheim, T. »Keine Ethik ohne Metaphysik«. Robert Spaemann und der »Trugschluss« um die Menschenwürde. ZEMO 2, 249–264 (2019). https://doi.org/10.1007/s42048-019-00057-0

Download citation

  • Published:

  • Issue Date:

  • DOI: https://doi.org/10.1007/s42048-019-00057-0

Schlüsselwörter

Keywords

Navigation