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Publicly Available Published by De Gruyter (A) September 9, 2018

Christophe Feyel – Laetitia Graslin-Thomé (Hgg.), Le projet politique d’Antiochos IV (Journées d’études franco-allemandes, Nancy 17–19 juin 2013), Nancy (Association pour la diffusion de la recherche sur l’Antiquité) 2014 (Études ancienne 56; Études nancéennes d’histoire grecque II) 492 S., 65 Abb., 3 Ktn., ISBN 978-2-913667-40-2 (brosch.) € 26,–

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Feyel Christophe Graslin-Thomé Laetitia Le projet politique d’Antiochos IV (Journées d’études franco-allemandes, Nancy 17–19 juin 2013) Association pour la diffusion de la recherche sur l’Antiquité Nancy (Études ancienne 56; Études nancéennes d’histoire grecque II) 1 492 65 Abb., 3 Ktn. 2014 978-2-913667-40-2 (brosch.) € 26,–


Diese Rezension wurde bereits 2016 verfasst.

Auf welche Weise soll das Seleukidenreich des zweiten Jh.s v. Chr. interpretiert werden? Der Vertrag von Apameia, durch den den Seleukiden Kleinasien entrissen wurde, und der bald darauffolgende Tod Antiochos’ III. in der Elymais wurden in der älteren Forschung oft als Auftakt zum letzten Aufzug des seleukidischen Trauerspiels betrachtet. Obwohl die interpretativen Gegenentwürfe der „New Seleukid History“ seit Mitte der 1990er Jahre diese Herangehensweise zu Recht methodisch in Frage stellten (u. a. S. M. Sherwin-White – A. Kuhrt, From Samarkhand to Sardis. A new Approach to the Seleucid Empire, London 1993), sind es vor allem jüngere Arbeiten, die es ermöglichen, das Seleukidenreich des zweiten Jh.s neu zu bewerten. In der Tat vermitteln unter anderem die Arbeiten von P. Clancier und J. Monerie (Les sanctuaires babyloniens à l’époque hellénistique. Évolution d’un relais de pouvoir, Topoi. Orient – Occident 19,1, 2014, 181–237) und S. Honigman (Tales of High Priests and Taxes. The Books of the Maccabees and the Judean Rebellion against Antiochos IV, Oakland, CA, 2014) den Eindruck einer „deuxième phase de la royaume séleucide“ im zweiten vorchristlichen Jahrhundert: ein Königreich, das sich administrativ und strukturell neu situiert.

Auch der vorliegende Sammelband – hervorgegangen aus einem Kolloquium an der Université de Lorraine im Jahr 2013 – greift die Frage der seleukidischen Herrschaft im zweiten Jahrhundert auf, indem er das „projet politique“ Antiochos’ IV. im Spiegel der jüngsten Forschung neu beleuchtet. Der Titel mag den Anschein erwecken, dass es sich hier um einen Sammelband handelt, der methodisch traditionellen Paradigmen verpflichtet ist. Dies ist jedoch nicht ausschließlich der Fall. Die Quellenlage zur Herrschaft Antiochos’ IV. (175–164 v. Chr.) ermöglicht es, systemische Charakteristika des Seleukidenreiches zu erkennen. Somit stellen die Herausgeber an sich den Anspruch, über die Person Antiochos’ IV. hinaus ein Bild seleukidischer Strukturen dieser Zeit zu vermitteln und es ist letztendlich die Aktualität dieser Diskussion, die dem Band eine zeitgemäße Eleganz und kritische Relevanz gibt, zu der man den Herausgebern gratulieren möchte.

Vor der Problematisierung diverser Fragestellungen sind zunächst die einzelnen Beiträge in aller Kürze zu besprechen: Der Band besteht aus drei Teilen: 1) „Un souverain énigmatique“, 2) „Les réformes structurelles“ und 3) „La diversité des réactions locales“. Dabei stehen der zweite und dritte Teil in sehr engem Bezug zueinander, während der erste Teil – mit seinem starken Fokus auf die Person Antiochos’ IV. – in gewisser Weise für sich allein steht. Nach einem kurzen „Avant-Propos“ der Herausgeber und einem Dankeswort von P. F. Mittag beleuchten C. Feyel und L. Graslin-Thomé in ihrem dem ersten Teil vorangestellten Beitrag (11–47) die Quellenlage zur Regierungszeit Antiochos’ IV. unter besonderer Beachtung des Verhältnisses des Königs mit Babylon, Jerusalem und Antiochia; vor allem der Versuch, die möglichen Reformen in Antiochia (39) in den Kontext der Strukturreformen in Babylon und Jerusalem zu setzen, eröffnet unterschiedliche Denkanstöße. Die Beschreibung Antiochos’ IV. in den „Historien“ des Polybios ist auch Thema dieses ersten Beitrags, wird jedoch vertieft durch den Beitrag von P. Goukowsky zur Darstellung Antiochos’ IV. in den Überlieferungen des Polybios und des Diodor (51–74). Der Autor liefert zudem eine verbesserte französische Übersetzung von Teilen des Athener Dekrets zu Ehren der Pergamener (OGIS 248, nun IG II³ 1, 1323). Die negative Charakterisierung Antiochos’ IV. durch Polybios resultiert Goukowsky zufolge aus dem Einfluss ptolemäischer Bekannter des Achäers (57–59, v. a. 59). Diese Annahme intendiert jedoch einen sehr passiven Autor, dessen Narrative nicht bewusst geformt wurden, und wird vielleicht der Leistung des Polybios nicht gerecht. Der Aufenthalt Antiochos’ IV. in Athen im Spiegel attischer Inschriften ist Thema eines Beitrags von D. Knoepfler (75–116). Der Autor bietet weit mehr als nur Auseinandersetzungen mit jüngsten Forschungsbeiträgen (vor allem dem Erscheinen von IG II3 1 fasc. 5 sowie einer Reaktion auf B. Scolnic, When did the future Antiochos IV arrive in Athens?, Hesperia 83,1, 2014, 123–142, der eindeutig zu viel Platz gewidmet ist). Knoepflers Darstellung überzeugt und Antiochos IV. verbrachte sicherlich mehr als ein Jahr in Athen, doch fragt sich der Rezensent, ob Antiochos IV. das Interesse des Autors an der Verleihung des athenischen Bürgerrechts geteilt hätte? P. F. Mittag unterstreicht in seinem Beitrag die unterwürfige Haltung Antiochos’ IV. gegenüber Rom (117–135) und bewertet die Beziehungen zum Seleukidenreich als grundsätzlich positiv – auch nach dem Tag von Eleusis. J. Bernhardt thematisiert den Einfluss Roms auf das Seleukidenreich (137–161) und diskutiert die Einführung der Gladiatur und stadtrömischer Magistraturen in Antiochia, die Übernahme römischer Gottheiten und die Gliedung des Heeres nach römischem Vorbild. Die Annahme und Adaption des „Römischen“ ist in einigen Fällen sicherlich korrekt und es ist auch reizvoll, die polybianische Karikatur Antiochos’ IV. als Kandidat für das Amt des agoranomos und demarchos (139–145) zu nutzen, um über den administrativen Wandel in Antiochia nachzudenken. Hier und auch bezüglich der Einführung des Jupiter Capitolinus in Antiochia ist der Beitrag jedoch nicht völlig überzeugend.

Der zweite Teil des Bandes beginnt mit einem kurzen Beitrag von C. Mileta, in dem die Quellen zur Regierung Seleukos’ IV. vorgestellt werden (165–180). Grundsätzlich ist Mileta zuzustimmen – das gilt insbesondere für die Darlegung, dass der Kern vieler Symptome, die während der Regierung Antiochos’ IV. zu Tage traten, bereits in der Regierungszeit Seleukos’ IV. zu identifizieren sind (z. B. 178). Es ist allerdings anzumerken, dass sicherlich P. Green (Alexander to Actium. The Historical Evolution of the Hellenistic Age, Berkeley – Los Angeles 1990) nicht den Forschungsstand zum seleukidischen Silberwesen darstellt (dem widerspricht auch indirekt der vorliegende Beitrag von C. Doyen). J.-C. Couvenhes diskutiert in seinem Beitrag die Reform der seleukidischen Armee unter Antiochos IV. (181–208). Zentral ist hier die Kritik an der These N. Sekundas (e. g. Hellenistic infantry reform in the 160’s BC, Łódź 2001) zur Romanisierung der seleukidischen Armee. Diese ist berechtigt, ist sie doch grundsätzlich bereits auf dieselbe Weise von Hans van Wees formuliert worden (Review of N. Sekunda. The Seleucid Army, The Classical Review 47.2, 1997, 356–357). C. Fischer-Bovet bietet eine neue Einschätzung des Ägyptenfeldzugs Antiochos’ IV. im Kontext der geopolitischen Lage Ägyptens (209–259) und überzeugt in ihrer Darstellung durch beispielhafte Quellenanalyse. C. Doyen thematisiert die Münzen und Gewichte des Seleukidenreiches zur Zeit Antiochos’ IV. (261–299). Er plädiert für ein Wertverhältnis von Bronze- und Silbermünzen von 128:1 und für das gleiche Verhältnis von der Silberdrachme zur Mine. Weiterhin bewertet er den chalkous als neue – vom Obol losgelöste – Untereinheit der Drachme, vielleicht angelehnt an das römische As. G. Gorre und S. Honigman untersuchen in sehr klarer Weise das Verhältnis zwischen Tempeln und Herrschern im ptolemäischen Ägypten und im Seleukidenreich (301–338), für das sie – trotz regionaler Unterschiede – einen immer stärker werdenden Eingriff der Zentralgewalt identifizieren.

Dieser Beitrag steht in gewisser Weise in methodischem und inhaltlichem Gegensatz zum ersten Beitrag des dritten Teils von M.-F. Baslez, die die Stellung von ethnischen Minderheiten im Rahmen der Amnestieerlasse Antiochos’ IV. und Antiochos’ V. untersucht (341–362) und hierin den König als Akteur im euergetischen Tagesgeschäft sehen möchte. L. Martinez-Sève bietet eine Neuinterpretation der Anabasis Antiochos’ IV. (363–393) und legt mittels überzeugender Quellenarbeit offen, dass der König vermutlich von Medien über die Persis in die Elymais zog und nicht umgekehrt, wie bisher angenommen. O. Colorus Beitrag zu Media Atropatene (395–414) schließt sich auch thematisch dem vorigen Beitrag an. Media Atropatene war Teil des Systems des Seleukidenreiches und Colorus’ Identifikation des Königs Ar’abuzana als Mitglied der atropatenischen Dynastie ist sicherlich korrekt: Spätestens zur Zeit Antiochos’ IV. wurde eine seleukidische Prinzessin (und vermutlich eine Tochter Seleukos’ IV. [s. 409]) mit einem Herrscher Atropatenes verheiratet. P. Clancier bietet eine Darstellung in die Herrschaft Antiochos’ IV. nach den babylonischen Quellen (415–438). Vor allem seine Einschätzungen zur Geographie von Hanibalbat als Teil des nördlichen Mesopotamiens in der Gegend des Chaburs (423–427) und seine (sehr kurz, vielleicht zu kurz, angesprochene) Position zur Rolle der politai in Babylon (433–436) sind wegweisend. Der Band wird von einem kurzen Reflexionsbeitrag von F. Joannès (439–446), einer 36-seitigen Bibliographie und einem Index abgerundet.

Welche Schlüsse lassen sich aus diesem Band ziehen? Ich möchte im Folgenden vor allem auf drei Bereiche eingehen: 1) das Gesamtkonzept des Bandes, 2) die Struktur des Seleukidenreiches unter Antiochos IV. und 3) die Frage nach einer zweiten Phase des Seleukidenreiches.

Wie oben angedeutet, ist es vor allem der erste Teil des Bandes, der am Ende zu sehr der Überlieferung zu Antiochos IV. verhaftet ist und nicht die gleichen strukturellen Fragen stellt (oder stellen kann), wie das in den darauffolgenden Teilen der Fall ist. Der Band hat sich das bedeutende Ziel gesetzt, sowohl ein Porträt Antiochos’ IV. als auch des Seleukidenreiches im zweiten Jahrhundert (v. Chr.) zu zeichnen. Nicht immer lassen sich diese zwei Ansätze zusammenbringen: Der Rom- und Athenaufenthalt Antiochos’ IV. wird beispielsweise als historisches Ereignis untersucht, jedoch nicht in Bezug zur systemischen Bedeutung für das Seleukidenreich des zweiten Jahrhunderts gesetzt. Der Band ist zudem nicht frei von Überschneidungen. Die zivilen Ämter Antiochias sind – um nur ein Beispiel zu nennen – zumindest ein Teilthema der Beiträge von C. Feyel und L. Graslin-Thomé, P. Goukowsky, J. Bernhardt, J.-C. Couvenhes sowie in gewisser Weise auch von D. Knoepfler. Dies sorgt natürlich für Kohärenz, allerdings werden auf diese Weise sehr unterschiedliche Lesungen geboten, und der Rezensent ist sich immer noch nicht im Klaren darüber, wie er das polybianische Narrativ zu Antiochos IV. und den öffentlichen Ämtern in Antiochia interpretieren soll. Am Ende sind es die Fragen nach der Struktur des Seleukidenreiches unter Antiochos IV., die der Rezensent als gewinnbringendsten Aspekt dieses Bandes sieht und aus diesem Grund seien diese Fragestellungen noch einmal angesprochen.

Die Etablierung von poleis in Jerusalem (beleuchtet im Beitrag von G. Gorre und S. Honigman), Babylon und Uruk (P. Clancier) und die damit verbundene Dezimierung der lokalen Heiligtümer als politische Instanz, vielleicht sogar die Neuorientierung der politischen Verfassung von Antiochia (C. Feyel und L. Graslin-Thomé sowie J. Bernhardt), sind Symptome eindeutiger struktureller Veränderungen, deren Keimzelle vielleicht vor der Regierungszeit Antiochos’ IV. liegt (siehe die Beiträge von P. Clancier und C. Doyen), die aber zumindest in der Regierungszeit Antiochos’ IV. sichtbar werden. Da es zu strukturellen Veränderungen in verschiedenen Regionen und unterschiedlichen Kulturräumen kam, ist zudem zu vermuten, dass diese aufgrund überregionaler Entscheidungen geschahen. Die Idee einer Neuorientierung des Seleukidenreiches, eines „projet politique“, auf herrscherliche Initiative hin liegt hier nahe. Das heißt natürlich nicht, dass Kontinuität keine Rolle spielen muss. Auch der Herrschaftsanspruch Antiochos’ IV. auf die Oberen Satrapien (L. Martinez-Sève) sowie das Verhältnis mit lokalen Dynasten (O. Coloru) waren ein wesentlicher Teil seleukidischer Territorialpolitik des zweiten Jahrhunderts.

Es sind jedoch zwei (nicht gänzlich getrennte) Fragen, die sich hier auftun: Handelte Antiochos IV. – und damit der seleukidische König allgemein – grundsätzlich agierend oder reagierend? Es ist unbestreitbar, dass der König die Umwandlung von Jerusalem und Babylon in eine polis duldete und formal ermöglichte, doch war es in der Tat der König, der dies anstrebte, oder sollte man die Initiative auf Ebene der lokalen Eliten vermuten (siehe auch die Anmerkung dazu bei P. Clancier [437])? Gab es andere (und aufgrund der Quellenlage unsichtbare) Strömungen, die dazu führten, dass im zweiten Jahrhundert die polis auf einmal als ein probates Mittel erkannt wurde, lokale Politik zu beeinflussen? Und bezog der König zu diesen Maßnahmen zwar Stellung, hatte aber letztlich nur ein geringes Eigeninteresse daran?

Die zweite, sich an diese Thematik anschließende und über den Band hinausführende Frage dreht sich um die Idee eines „Seleukidenreiches 2.0“: Akzeptieren wir die Hypothese, dass sich das Seleukidenreich in der Regierungszeit von Seleukos IV. und Antiochos IV. in einer neuen Phase befand, in der die Zentralregierung zum Teil massiv in lokale Gegebenheiten eingriff und das Reich administrativ straffte (und der Rezensent möchte betonen, dass er diese Annahme für einen sehr wichtigen Impuls erachtet), so stellt sich die Frage, wie das Seleukidenreich 1.0 zu charakterisieren ist und was entscheidende Strukturunterschiede sind. Neben dem seleukidischen Verwaltungsapparat nutzten die Seleukiden des dritten Jahrhunderts Lokaldynasten, um Stabilität zu garantieren (e. g. B. Chrubasik, The Attalids and the Seleukid Kings, 281–175 BC, in: P. J. Thonemann [ed.], Attalid Asia Minor. Money, International Relations, and the State, Oxford 2013, 83–119); dies war jedoch, wie das spätere seleukidische Verhältnis zu den Makkabäern und zu den atropatenischen Lokaldynasten (s. d. Beitrag von O. Coloru) vermuten lässt, im zweiten Jahrhundert kaum anders. Auch im dritten Jahrhundert konnten die Rechte von Städten, wie im Falle von Sardes im Jahr 213, radikal beschränkt werden (siehe z. B. SEG 39: 1283, auch wenn es sich hier um eine Hauptstadt handelt) und das Nikanordossier legt nahe, dass die Einkünfte kleinasiatischer Heiligtümer (wenn auch eventuell nicht die Heiligtümer selbst) bereits während der Herrschaft Antiochos’ II. unter dem Einfluss der Zentralregierung standen (SEG 37: 1010, 37–41 mit SEG 54: 1237). Diese Kontinuitäten sind hier hervorgehoben, müssen jedoch nicht systemisch entscheidend sein. Um das Seleukidenreich 2.0 präziser fassen zu können, wäre es jedoch von Nöten, sich zu entscheiden, was das Seleukidenreich 1.0 ausmacht. Freilich konnte diese Fragestellung nicht Gegenstand des Sammelbandes sein, doch lädt dieser aufgrund seiner Thematik und vieler guter Beiträge zum Nachdenken über derartige methodische Neupositionierungen ein.

Published Online: 2018-09-09
Published in Print: 2018-09-03

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 4.6.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/klio-2018-0116/html
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