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Publicly Available Published by De Gruyter (A) June 17, 2021

Gefühle und der begriffliche Raum des menschlichen Lebens

  • Christoph Demmerling EMAIL logo

Abstract

In this paper I defend the thesis that emotions are conceptual phenomena. It is assumed that the capacity to acquire a language and thereby the capacity to possess concepts in an exacting sense fundamentally changes the human mind and, ultimately, the human being as a whole, including in relation to its physical condition. Although emotions do not presuppose language, the capacity to use and understand a language can nonetheless change their content. In recent discussions on affective intentionality, emotions are conceived primarily as modes of qualitative awareness of something. In an emotion, one is connected sufficiently to a section of the world that one can feel this relation. With regard to the question of whether emotions are conceptual phenomena, a distinction between a conceptuality thesis and a propositionality thesis is made. In essence, the considerations speak in favour of the conceptual character of emotions without viewing them as linguistically or propositionally structured phenomena. Three understandings of the view that emotions are conceptual are elucidated. The view is defended that registering the content of emotions presupposes concepts, though these emotions are not therefore made up of concepts. [1]

Gefühle gehören zum menschlichen Leben und sie nehmen dort einen wichtigen Platz ein. Manche Gefühle wie Aggressionsaffekte oder Ekel sind zumindest in ihren rohen Formen fest in der Natur verdrahtet, während andere, man denke an Scham, Stolz oder Neid, ein gewisses Maß an kultureller Bildung und insbesondere auch sprachliche Fähigkeiten vorauszusetzen scheinen. Es ist kaum denkbar, solche Gefühle zu haben, ohne dass urteilsartige Gebilde im Spiel sind, die beispielsweise wie im Fall von Scham die Anerkennung von Normen enthalten sowie die Einsicht, dass man gegen diese verstößt, oder Urteile, die wie im Fall von Neid und Stolz den Vergleich mit anderen betreffen, zu denen man sich jeweils in ein Verhältnis setzt. Derartige Gefühle scheint man nicht haben zu können, wenn man nicht über begriffliche und sprachliche Fähigkeiten verfügt.

Freilich unterscheiden sich Gefühle von Urteilen und man kann fragen, ob sie nicht denkbar weit von der Sprache entfernt sind und gänzlich ohne Begriffe auskommen. In einer biologischen Perspektive werden Gefühle zumeist als ein beobachtbares, in der Regel vererbtes Reaktionsmuster angesehen, das durch Ereignisse in der Umwelt bzw. durch bestimmte Reize ausgelöst wird. Tiere, die ihr Leben in einem Reich jenseits der Sprache fristen, und Kinder, die noch keine sprachlichen Fähigkeiten im vollumfänglichen Sinne besitzen, haben Gefühle; vielleicht nicht in demselben Grad von Differenziertheit wie erwachsene Menschen, aber entscheidend ist, dass sie Gefühle haben bzw. haben können. Dass Gefühle sprachliche Fähigkeiten voraussetzen oder sie in irgendeinem Sinne mit Begriffen zusammenhängen, scheint zunächst einmal eine abwegige These zu sein. Wie aber verhalten sich Gefühle im Fall von lebendigen Wesen, die wie erwachsene Menschen über eine Sprache verfügen, zu den begrifflichen und sprachlichen Fähigkeiten dieser Wesen? Ich gehe davon aus, dass die Fähigkeit, eine Sprache zu erwerben, und damit die Fähigkeit, über Begriffe in einem anspruchsvollen Sinn zu verfügen, den menschlichen Geist, letztlich aber den Menschen als Ganzen, also auch in Bezug auf seine körperliche Verfassung, auf eine fundamentale Weise verändert. Mit der Sprache wird vieles anders, das gilt für das Denken, es gilt – und spätestens hier kommt der Körper bzw. Leib ins Spiel – für unsere Wahrnehmungen, es gilt für das Fühlen, es gilt für unseren instrumentellen Umgang mit Dingen in der Welt und auch für unsere Bewegungen. [2]

Für die skizzierte Auffassung, die man als Transformationsthese bezeichnen kann, scheint vieles zu sprechen. Im vorliegenden Beitrag möchte ich die Frage diskutieren, welches Verständnis von Gefühlen im Lichte der Transformationsthese sinnvoll ist. [3] Dass Gefühle eine Sprache voraussetzen, wird man kaum sagen können. Dass sie keine Sprache voraussetzen, schließt aber nicht aus, dass die Fähigkeit, eine Sprache zu gebrauchen und zu verstehen, den Gehalt von Gefühlen verändert. Außerdem ist es möglich, dass Gefühle Begriffe voraussetzen, die von einem Typ sind oder auf eine Art verwendet werden können, der bzw. die keine Sprache voraussetzt. Diese These gilt es im vorliegenden Text zu prüfen. Der erste Teil skizziert eine Antwort auf die Frage, was Gefühle sind (1). Der zweite Teil wendet sich einer Diskussion der gelegentlich so genannten Begrifflichkeitsthese zu. Diese These betrifft in erster Linie das Verhältnis von Begriffen und (menschlichen) Erfahrungen und besagt, dass alle Erfahrungen von begrifflichen Wesen mit Begriffen verbunden sind. Die entscheidende Frage ist, was dies heißen soll und kann (2). Im dritten und abschließenden Teil des Beitrags wird die Begrifflichkeitsthese auf Gefühle bezogen und die Frage diskutiert, ob und inwieweit Gefühle Begriffe voraussetzen (3).

1 Philosophie der Gefühle – eine Skizze

In der neueren philosophischen Diskussion werden Gefühle häufig ähnlich wie Gedanken als geistige Zustände oder Bewusstseinsphänomene aufgefasst. [4] Dies gilt vor allem für jene theoretischen Ansätze, für die das Etikett des Kognitivismus verwendet wird. [5] Gefühle sind allerdings keine rein geistigen Zustände oder Bewusstseinsphänomene, sondern Weisen, sich zur Welt zu verhalten, im Rahmen derer häufig Bewertungen vorgenommen werden und auch der Körper bzw. Leib eine Rolle spielt. [6] Gefühle unterscheiden sich in spezifischer Form von anderen Weisen, in der Welt da zu sein und sich auf die Welt zu beziehen. Anders als Gedanken besitzen Gefühle eine phänomenale Qualität und sie werden aus der Perspektive dessen, der sie hat, auf eine bestimmte Weise erfahren. Es klänge eigenartig, zu sagen: „Ich schäme mich, spüre das aber nicht.“ Gleiches gilt für andere Gefühle. Angst, Schuld oder Stolz werden empfunden; anders als der Gedanke, dass zwei und zwei vier ergibt oder dass Rom die Hauptstadt Italiens ist, sind sie mit phänomenalen Qualitäten verbunden, die in einem wesentlichen Sinne für das Gefühl charakteristisch sind. Auch beim Haben eines Gedankens mag einem auf eine bestimmte Weise zumute sein, diese Qualität ist allerdings nichts, was für den Gedanken maßgeblich wäre.

Gefühle sind aber nicht nur von Gedanken zu unterscheiden, sondern auch von bloßen Empfindungen wie einer Anwandlung von Müdigkeit, einem Kälteschauer oder einem Schmerz. Denn anders als Empfindungen haben Gefühle (wie Gedanken) einen Gehalt, sie sind auf Sachverhalte oder Objekte in der Welt bezogen, sie handeln von etwas und präsentieren Sachverhalte und Objekte in einer bestimmten Gegebenheitsweise. Gefühle sind intentionale Zustände. Dass ein Zustand intentional ist, heißt, dass dieser Zustand bzw. jemand in diesem Zustand auf etwas bezogen ist. Gemäß einem Vorschlag von Franz Brentano, der nicht nur für die Phänomenologie, sondern für die gesamte neuere Philosophie maßgeblich geworden ist, bedeutet „Intentionalität“ soviel wie „Gerichtetsein auf etwas“, „Bezogensein auf etwas“. Intentional ist die Überzeugung, die sich mit dem Satz „Eisbären leben in der Arktis“ ausdrücken lässt, weil sie auf die Tatsache, dass Eisbären in der Arktis leben, bezogen ist. Intentional ist die Angst des Bergsteigers. Sie ist auf die Gefahren gerichtet, die die Durchsteigung der vor ihm liegenden Wand mit sich bringt. Das intentionale Objekt eines Gefühls kann – wie auch im Fall von anderen intentionalen Zuständen – ganz unterschiedlicher Art sein, es kann sich um ein Ding, um eine Vorstellung, um Sachverhalte, Tatsachen usw. handeln.

Anders als Gedanken oder Gefühle im Sinne meines Unterscheidungsvorschlags weisen körperliche Empfindungen das Merkmal der Intentionalität nicht auf. Zwar gibt es Autoren, die davon ausgehen, dass auch körperliche Empfindungen wie Schmerzen Intentionalität besitzen [7], aber dies hängt mit einem problematischen, zu breiten und ungenauen Gebrauch des Begriffs der Intentionalität zusammen. Gefühle sind auf wirkliche oder mögliche Objekte und Sachverhalte bezogen, für Empfindungen im Allgemeinen gilt dies nicht. Mit der Auffassung, dass körperliche Empfindungen wie Schmerzen auf den Körper bezogen sind, von ihm handeln, er das Objekt der Empfindung ist, ist zwar ein richtiger Gedanke verbunden, aber aufs Ganze gesehen ist der Hinweis nicht überzeugend. Der Schmerz im Knie ist nicht auf das schmerzende Knie bezogen, jedenfalls nicht in der Weise, in der ein Gefühl wie die Angst auf eine gefährliche Situation bezogen ist. Die Schmerzempfindung mag durch eine geschädigte Region am Körper in der Gegend des Knies verursacht sein, aber sie handelt nicht von einer Körperregion. Schmerzen haben keinen Inhalt. Dies zeigt sich auch daran, dass wir im Fall von Gefühlen wie Angst oder Scham zwischen dem Gefühl und demjenigen, wovon es handelt, unterscheiden können. Im Fall von körperlichen Empfindungen ist dies nicht möglich, was nahelegt, dass Schmerzen und andere Empfindungen keine Objekte haben. [8]

Viele Argumente sprechen dafür, dass Gefühle wie Gedanken und anders als Empfindungen einen Weltbezug aufweisen, der allerdings anders zu explizieren ist als der Weltbezug eines Gedankens. Mit einem Gefühl ist man nicht einfach nur auf etwas gerichtet oder bezogen, etwas präsentiert sich nicht nur als so oder so, sondern in diesem Bezogen-Sein geht es um etwas, jemand ist betroffen und der Bezug manifestiert sich auf eine qualitative Art und Weise. Mit qualitativen Erfahrungen eröffnet sich für die Wesen, die sie haben, ein Bedeutsamkeitshorizont. Bedeutsam sind qualitative Erfahrungen, weil sie uns mit der Welt verbinden und in ihr orientieren. [9] Im Licht eines Gefühls präsentiert sich etwas auf eine bedeutsame Weise als – grob gesprochen – gut oder schlecht. Die Bergwand präsentiert sich dem Bergsteiger nicht auf eine neutrale Weise, sie präsentiert sich ihm als bedrohlich oder gefährlich. In der Angst spürt er die Gefahr, die von der Wand ausgeht. Im Fall von Gefühlen sind der intentionale Aspekt und die qualitative Dimension von vornherein miteinander verwoben. Gefühle lassen sich als qualitatives Gewahrsein von etwas auffassen. Anders als ein bloßes Gewahr-Werden oder Sehen ist das Gefühl der Angst auf eine spezifische Weise auf etwas in der Welt gerichtet. Für diesen Umstand – man bezieht sich auf etwas im Lichte einer Emotion – hat sich die Rede von einer affektiven Intentionalität eingebürgert. [10] Mit derartigen Überlegungen ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer detaillierten Explikation der Verbindung von intentionalen Gehalten und phänomenalen Qualitäten im Falle von Gefühlen gemacht. Dadurch, dass uns etwas betrifft, tritt gleichzeitig ein Weltausschnitt vor Augen, und zwar auf eine in evaluativer Hinsicht bedeutsame Weise. Im Modus des Betroffen-Seins ist man mit einem Weltausschnitt verbunden.

Im Zusammenhang mit dem Gerichtet-Sein oder der Intentionalität eines Gefühls sind allerdings verschiedene Aspekte voneinander zu unterscheiden. Gefühle sind nicht einfach eindimensional auf Sachverhalte oder Gegenstände gerichtet. Charakteristisch für die affektive Intentionalität ist vielmehr die Verflechtung verschiedener Bezüge. Sie sind nicht einfach nur auf ein Objekt gerichtet, vielmehr werden einem Gegenstand dadurch, dass ein Gefühl auf ihn gerichtet ist, bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Das Gefühl der Furcht vor einem Hund ist auf den Hund gerichtet und wird als solches nur verständlich, wenn man dem Hund die Eigenschaft zuschreibt, gefährlich zu sein. Im Anschluss an Anthony Kenny hat es sich eingebürgert, die Eigenschaften, die einem Gegenstand auf der Grundlage eines Gefühls zugeschrieben werden, als formales Objekt des entsprechenden Gefühls zu bezeichnen. Im Fall des Beispiels ist der Hund das Objekt des Gefühls, seine Gefährlichkeit ist als das formale Objekt anzusehen. Um die Intentionalität eines Gefühls zu explizieren, müssen beide Arten von Objekten in den Blick genommen werden. Streng genommen ist noch genauer zu differenzieren. Ein wichtiger Differenzierungsvorschlag stammt beispielsweise von Bennett Helm. [11] Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass Gefühle auf ein Objekt gerichtet sind (bei Helm ist die Rede von einem target), dass sie ein formales Objekt haben und einen Fokus der Bedeutsamkeit (Helm spricht von import) aufweisen. Dass man den Bedeutsamkeitsfokus mit in die Analyse einbezieht, ist vor allem deshalb wichtig, weil nur so deutlich wird, dass die maßgebliche Rolle von Gefühlen darin besteht, uns zu vergegenwärtigen, was uns wirklich wichtig ist. Verdeutlichen wir uns diese Unterscheidungen mit Hilfe eines Beispiels. Heinz hat mein Fahrrad unabgeschlossen stehen lassen und es wurde gestohlen. Ich hatte es ihm geliehen und ihn eigens darum gebeten, auf das Rad aufzupassen. Jetzt bin ich wütend auf Heinz. Er ist das Ziel bzw. der Gegenstand meiner Wut. Das formale Objekt des Gefühls ergibt sich aus der Bewertung des Ziels. Im Fall des Beispiels wird das unachtsame Verhalten von Heinz als anstößig bewertet. Den Fokus der Emotion schließlich bildet das gestohlene Fahrrad, welches für mich auf besondere Weise bedeutsam ist bzw. war. Damit eine Emotion wie die Wut berechtigt ist, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein: Das Verhalten von Heinz muss in meiner Perspektive anstößig sein und das Rad muss mir wirklich wichtig bzw. bedeutsam gewesen sein. Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen zur Philosophie der Gefühle möchte ich im nun folgenden zweiten Teil dieses Beitrags etwas über die Rolle von Begriffen im menschlichen Leben sagen, bevor ich erneut auf Gefühle zurückkomme.

2 Begriffe und Erfahrungen

Antworten auf die Frage, was Begriffe sind, fallen in der Regel vertrackt und kompliziert aus. Ich präsentiere eine Auffassung, die aus meiner Sicht aussichtsreich ist, ohne im Einzelnen dafür zu argumentieren. Begriffe sind keine mentalen Entitäten, ebenso wenig sind sie mit Wörtern oder anderen sprachlichen Einheiten zu verwechseln, auch wenn wir als sprachfähige Wesen häufig Wörter verwenden, um uns auf Begriffe zu beziehen; und auch wenn immer wieder gesagt wird, dass es sich bei Begriffen um die Bedeutungen von Prädikaten handle. Begriffe sind Fähigkeiten der Klassifikation und des Schließens. Sie dienen der Unterscheidung und Verbindung von Gehalten, mit denen man in der Erfahrung konfrontiert wird. [12] Begriffe sind mit der Anerkennung eines Wahrheits- oder Richtigkeitskontrastes verbunden. Wer über einen Begriff verfügt – denken wir der Einfachheit halber an den Begriff des Roten –, der ist in der Lage dazu, bestimmte Dinge als „rot“ zu klassifizieren, zwischen roten und nicht-roten Dingen zu unterscheiden und daraus, dass etwas rot ist, zu folgern, dass es farbig ist. Etwas unterscheiden zu können ist so gesehen eine notwendige Bedingung dafür, über einen Begriff verfügen zu können. Diese Bedingung reicht aber noch nicht aus. Unter dieser Voraussetzung würde auch Eisen über einen Begriff verfügen, da es zwischen trockenen und feuchten Umgebungen zu unterscheiden scheint, indem es in letzteren rostet, in ersteren nicht. Diese Sicht der Dinge ist offenkundig unsinnig, denn zu einem Begriff gehören Kriterien, die seine Anwendung leiten. Deshalb ist der Hinweis auf die Anerkennung eines Wahrheits- oder Richtigkeitskontrastes wichtig. Wer über einen Begriff verfügt, muss Klassifikations- bzw. Unterscheidungsfehler erkennen und Korrekturen vornehmen können. In dem einfachen Sinne, dass zu einem Begriff Kriterien gehören, auf deren Grundlage seine Anwendung richtig oder falsch ist, sind Begriffe normativ. Neben der Unterscheidungsbedingung gehört zu Begriffen also eine Korrektheitsbedingung. Begriffe in einem anspruchsvollen Sinne unterliegen außerdem einer Allgemeinheitsbedingung. Begriffsverwender müssen einen und denselben Begriff auf unterschiedliche Objekte und unterschiedliche Begriffe auf ein und dasselbe Objekt anwenden können. Die Idee, die mit dieser Bedingung verbunden ist, besteht darin, dass Begriffe auf verschiedene Weisen zu unterschiedlichen Gedanken verbunden werden können. [13] Der Vorschlag, den ich unterbreitet habe, zieht im Einzelnen viele Fragen nach sich, mag aber als Antwort auf die Frage nach dem Begriff des Begriffs in diesem Zusammenhang genügen.

Viel entscheidender als die Frage danach, was Begriffe sind – und weitestgehend unabhängig davon zu beantworten –, ist die Frage, wie sich Begriffe zu Erfahrungen verhalten. Im Leben von Wesen, die über Begriffe verfügen, gibt es keine nicht-begrifflichen Räume oder begriffsfreien Zonen. Alles, was Lebewesen, die über Begriffe verfügen, erfahren, was sie wahrnehmen und fühlen, tun und denken, lässt sich auf Begriffe beziehen und kann unter Begriffe gebracht werden. So gesehen transformieren Begriffe den Zugriff auf die Welt, indem sie Weltzustände und Objekte jeweils so oder so, als dieses oder jenes, präsentieren. Das heißt nicht, dass die Weltzustände und Objekte als solche und ihrerseits begrifflich sind, so wie ein Gedanke (notwendigerweise) begrifflich ist, aber für Wesen, die über Begriffe verfügen, sind Weltzustände und Objekte auf eine immer schon begriffliche Weise gegeben. Die Gegebenheitsweise von Objekten und Sachverhalten ist begrifflich, die Objekte selbst müssen es darum aber nicht notwendigerweise sein. Diese These kann als Begrifflichkeitsthese bezeichnet werden. In erster Linie auf die Wahrnehmung und ihren Gehalt bezogen ist sie in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder u. a. im Anschluss an John McDowell diskutiert worden, ihre Wurzeln lassen sich aber bis zu Kant, ja bis in den neuzeitlichen Rationalismus zurückverfolgen.

Ich orientiere mich im Folgenden an einigen Formulierungen Mc Dowells, um die Begrifflichkeitsthese und mit ihr verbundene Probleme zu erörtern. [14] McDowell schreibt: „Conceptual capacities, whose interrelations belong in the sui generis logical space of reasons, can be operative not only in judgements […] but already in the transactions in nature that are constituted by the world’s impacts on the receptive capacities of a suitable subject.“ [15] Die Rede von der Einwirkung der Welt auf die rezeptiven Fähigkeiten geeigneter Subjekte bezieht sich auf eine Erfahrung durch Wahrnehmung. In der Bemerkung wird explizit gesagt, dass sich begriffliche Fähigkeiten in der sinnlichen Erfahrung finden, und behauptet, dass sie nicht erst durch ein Urteil zur Erfahrung hinzutreten oder auf diese angewendet werden. Ein weiteres Zitat bestätigt dies: „In the view I am urging, the conceptual contents that sit closest to the impact of external reality on one’s sensibility are not already, qua conceptual, some distance away from that impact. […] [T]he conceptual contents that are most basic in this sense are already possessed by impressions themselves, impingements by the world on our sensibility.“ [16] Wenig später heißt es: „One’s conceptual capacities have already been brought into play, in the content’s being available to one, before one has any choice in the matter. The content is not something one has to put together oneself.“ [17]

Viele Interpreten haben McDowells Überlegungen im Sinne eines Votums für die Sprachlichkeit bzw. Propositionalität der Wahrnehmung verstanden, ihm mithin die These zugeschrieben, dass es sich bei dem Gehalt der Wahrnehmung um propositionalen Gehalt handle. Dies ist eine These, die in Abhängigkeit vom Verständnis des Begriffs der Proposition immer noch einen vergleichsweise großen Deutungsspielraum eröffnet. Man kann ja darüber streiten, ob Propositionen notwendigerweise sprachlich verfasst sind, auch wenn dies häufig angenommen wird. So bemerkt zum Beispiel Michael Ayers, McDowell denke sich die Wahrnehmung quasilinguistisch. [18] Arthur W. Collins macht geltend, McDowell stelle sich Erfahrung so vor, als wäre sie mit Untertiteln versehen. [19] Ayers, Collins und andere verstehen die Begrifflichkeitsthese im Sinne einer Propositionalitätsthese, was insofern überrascht, als McDowell (gerade auch in den zitierten Bemerkungen) zwischen Inhalten der Erfahrung und dem Inhalt eines Urteils unterscheidet. Noch überraschender ist der Umstand, dass auch McDowell selbst seine ursprüngliche Version der Begrifflichkeitsthese, wie er sie in den Vorlesungen über Geist und Welt entwickelt hat, im Sinne einer Propositionalitätsthese versteht, die er in neueren Arbeiten revidieren möchte. [20] Er bemerkt, fälschlicherweise angenommen zu haben, dass man Erfahrungen mit einem propositionalen Gehalt ausstatten müsse, um sie als Aktualisierungen von begrifflichen Fähigkeiten ansehen zu können. Es sei ein Fehler gewesen, Erfahrung als propositional anzusehen und davon auszugehen, dass die Erfahrung alles enthalte, um Subjekte mit einem nicht-inferentiellen Wissen auszustatten.

In dem Aufsatz „Avoiding the Myth of the Given“ unternimmt McDowell konsequenterweise den Versuch, zwischen einer diskursiven Form des Inhalts und einer intuitiven Form des Inhalts auch von Wahrnehmungen zu unterscheiden. [21] Diskursiver Inhalt wird mit Hilfe von sprachlichen Äußerungen modelliert, er ist artikuliert. Nichtdiskursiver Inhalt hingegen ist nicht artikuliert; als begrifflich wird er von McDowell aber aufgefasst, da er von vornherein auf unsere sprachlichen Fähigkeiten zugeschnitten sein soll und mit deren Hilfe diskursiv verwertet werden kann. In diesem Zusammenhang hängt freilich vieles davon ab, wie man den Ausdruck „suitable“ interpretiert. [22] Der Inhalt liegt zu unserer Verarbeitung – und dies heißt: zu einer Verarbeitung mit Hilfe von Begriffen – bereit. McDowell spricht im Übrigen auch davon, dass Intuitionen ein Potential für diskursive Aktivitäten besitzen und Inhalte ermöglichen, die über die intuitiven Gehalte im engeren Sinne hinausgehen. Welche Konsequenzen lassen sich mit besonderem Blick auf Gefühle aus der skizzierten Position ziehen? Sind sie im Kontext der skizzierten Fragestellung ähnlich wie Wahrnehmungen zu behandeln? Dieser Frage geht der dritte Teil dieses Beitrags nach.

3 Sind Gefühle begriffliche Phänomene?

Zunächst einmal ist es sinnvoll, die Unterschiede zwischen der Begrifflichkeits- und der Propositionalitätsthese detaillierter herauszuarbeiten. Zu diesem Zweck möchte ich drei Unterscheidungen diskutieren: die Unterscheidung zwischen dem Sprachlichen und Nicht-Sprachlichen, die Unterscheidung zwischen dem Propositionalen und Nicht-Propositionalen sowie schließlich die Unterscheidung zwischen dem Begrifflichen und Nicht-Begrifflichen. In der gegenwärtigen Debatte werden diese drei Unterscheidungen und die Sachverhalte, auf die sie zielen, häufig nicht deutlich genug voneinander getrennt. Das Sprachliche, das Propositionale und das Begriffliche werden unberechtigterweise in einen Topf geworfen. Die Unterscheidungen gelten als klassifikationsgleich und damit werden Differenzierungsmöglichkeiten verschenkt, die man benötigt, wenn man die Frage nach der begrifflichen Verfasstheit von Gefühlen beantworten möchte.

Sprachlich ist trivialerweise alles das, was mit Hilfe von Sprache artikuliert ist oder wird, ganz gleich, ob es ausgesprochen, niedergeschrieben oder lediglich in Gedanken formuliert wurde. Zur Sprache gehören geschriebene, gesprochene und gedachte Sätze, Satzfragmente, Wörter, Gedanken sowie Gedankenfragmente. Ein Geräusch ist als solches noch keine sprachliche Äußerung. Häufig so genannte nonverbale Äußerungen sind ebenfalls nicht als sprachliche Äußerungen anzusehen, auch wenn sie kommunikativen Absichten dienen. Ausrufe wie „Igitt“, „Pfui“ oder „Aua“ sind hingegen sprachliche Äußerungen. Sie weisen zwar kein nennenswertes Maß an Strukturiertheit auf, lassen sich aber in der Regel in strukturierte Äußerungen wie „X mag keine Ochsenschwanzsuppe“ oder „X verspürt einen akuten Schmerz“ übersetzen.

Unter einer Proposition (ich komme zur zweiten Unterscheidung) wird gemeinhin der Gehalt eines Aussagesatzes bzw. Gedankens verstanden. Der propositionale Gehalt kann freilich auch in Sätzen enthalten sein, die nicht mit der behauptenden Kraft einer Aussage auftreten, sondern als Frage oder Befehl artikuliert werden. Aber unabhängig davon sind Propositionen als solche „aussageförmig“ strukturiert, sie sind aus Teilen zusammengesetzt (aus Begriffen), sie sind wahrheitsfähig und stehen in Folgerungszusammenhängen. So lässt sich ein verbreitetes Bild charakterisieren. Es gibt eine weitverzweigte, mitunter ein wenig scholastische Debatte, die um die Frage nach dem ontologischen Status von Propositionen kreist. Aus meiner Sicht ist diese Debatte nicht besonders interessant und wir haben alles, was wir brauchen, wenn wir uns bei der Bestimmung dessen, was eine Proposition ist, an die Struktur von Aussagen oder Behauptungssätzen halten. Nicht-propositional sind dementsprechend Gehalte, die nicht aussageförmig strukturiert sind, nicht notwendigerweise aus Teilen zusammengesetzt sind und auch nicht wahrheitsfähig sind. Als Beispiele für nicht-propositionale Gehalte – in der Diskussion ist häufig auch von einem nichtpropositionalen Wissen die Rede – gelten gemeinhin das praktische Wissen, wie man etwas macht (Schwimmen, Klavierspielen), oder die unmittelbare Vertrautheit bzw. Bekanntschaft mit etwas (mit dem Geschmack von Kaffee, dem Geruch des Meeres, mit den eigenen Zuständen des Zumute-Seins). Was propositional bzw. aussageförmig strukturiert ist, muss sprachlich sein. Aufgrund ihrer Strukturiertheit sieht es so aus, als erhielten Propositionen ihre Struktur durch die Sprache. Trotzdem sind das Sprachliche und das Propositionale voneinander zu unterscheiden, denn nicht jede sprachliche Äußerung ist propositional und nicht alles an einer sprachlichen Äußerung ist propositional. Ausrufe wie „Pfui“ sind nicht-propositional, auch wenn sie sich – wie bereits angemerkt – unter Umständen in Äußerungen mit einer propositionalen Struktur übersetzen lassen. Die illokutionäre Kraft einer Äußerung oder ihre Konnotationen gehören ebenfalls nicht zum propositionalen Gehalt. Kommen wir nun zu der Unterscheidung zwischen dem Begrifflichen und dem Nicht-Begrifflichen.

Begriffe sind – so hatte ich gesagt – Fähigkeiten der Klassifikation, des Unterscheidens und des Folgerns. Sie sind insbesondere nicht mit sprachlichen Ausdrücken zu identifizieren, auch wenn sprachliche Ausdrücke verwendet werden, um sich auf Begriffe zu beziehen. Begriffe sind immer da im Spiel, wo Objekte, Sachverhalte oder Situationen klassifiziert oder miteinander in Verbindung gebracht werden. Bereits die Verwendung einfacher Prädikate in Sätzen wie „Dieser Apfel ist rot“ impliziert Begriffe. Begriffe in diesem kanonischen Sinn spielen eine Rolle beim Überlegen. Sie kommen in Schlussfolgerungen vor. Solche Begriffe, die in den Zusammenhang von Urteilsakten gehören, möchte ich als judikatorische oder als kogitative Begriffe bezeichnen. Wenn Begriffe in dieser Art verwendet werden, müssen sie der Unterscheidungs-, Normativitäts- und Allgemeinheitsbedingung genügen. Es handelt sich um Begriffe in einem anspruchsvollen Sinne, die man nicht haben kann, ohne über sprachliche Fähigkeiten zu verfügen.

Trotzdem sind aus meiner Sicht die Merkmale des Sprachlichen und Begrifflichen voneinander zu unterscheiden. Es gibt Sprachliches, das nicht begrifflich ist („Aua“). Was nicht-sprachlich ist, muss aber nicht notwendigerweise auch nichtbegrifflich sein. Sprachliche Fähigkeiten sind zwar ein gutes Kriterium, wenn es darum geht, Begriffe zuzuschreiben. Wenn jemand über sprachliche Fähigkeiten verfügt, kann man sich sicher sein, dass er über Begriffe verfügt, aber dies heißt nicht unbedingt, dass alle Begriffe notwendigerweise sprachliche Fähigkeiten voraussetzen. Sprachliche Fähigkeiten sind eine Voraussetzung dafür, Begriffe auf eine judikatorische Weise, also urteilsbezogen, verwenden zu können. Möglicherweise ist es aber sinnvoll, von diesen Begriffen noch andere Arten von Begriffen bzw. Verwendungsweisen zu unterscheiden, die weniger anspruchsvoll sind und auch nicht alle der aufgelisteten Bedingungen erfüllen (müssen). Dazu gleich mehr. Zunächst möchte ich fragen: Was bedeutet alles dieses für Gefühle?

Die Gehalte einer Emotion sind strukturiert, aber sie sind nicht notwendigerweise sprachlich strukturiert. Während man Angst oder Stolz verspürt, muss man sich nicht explizit sagen: „Ich habe Angst vor dem Hund“ oder „Ich bin stolz auf meine glanzvollen Taten“. Man kann sich so etwas zwar sagen, es sagen zu können, ist jedoch keine notwendige Bedingung dafür, die entsprechenden Gefühle haben zu können.

Sind die Gehalte von Gefühlen propositional strukturiert? Propositionalität stellt eine stärkere Anforderung als Sprachlichkeit dar. Dass etwas propositional ist, heißt, dass es nicht nur sprachlich, sondern überdies auch aussageförmig strukturiert ist. Auch wenn sich die Gehalte von Gefühlen in vielen Fällen in eine aussageförmige Struktur bringen lassen, bedeutet dies nicht, dass sie diese Struktur von Haus aus besitzen (müssen). Wenn Gefühle nicht-sprachlich sind, dann sind sie auch nicht-propositional. Vielfach wird aus diesem Umstand gefolgert bzw. gleichzeitig mit diesen Auffassungen die These vertreten, dass Gefühle auch nicht-begrifflich seien. [23] Ich hingegen möchte mich für die vielleicht ein wenig ungewöhnliche Auffassung stark machen, dass Gefühle nicht-sprachliche und nicht-propositionale, gleichwohl aber begriffliche Phänomene sind. Diese These kann auf unterschiedliche Weise verstanden werden und man muss ein wenig sortieren, um sich Klarheit über ihren Sinn zu verschaffen.

Ich möchte drei Verständnisse der Auffassung, dass die Gehalte von Gefühlen begrifflich sind, voneinander unterscheiden: Sie kann heißen, dass der Gehalt von Gefühlen aus Begriffen besteht (1); sie kann heißen, dass die Erfassung des Gehalts Begriffe voraussetzt, ohne dass der Gehalt seinerseits aus Begriffen bestünde (2); und schließlich kann sie heißen, dass der Gehalt eines Gefühls im Kontext immer schon artikulierter Weltbezüge steht; einem Kontext, zu dem zweifellos Begriffe gehören, zumal dann, wenn es um Wesen geht, die wie Menschen über eine Sprache verfügen (3). Die erste Lesart halte ich eher für abwegig; die zweite für nicht so trivial, wie sie auf den ersten Blick scheint; die dritte für zweifellos richtig, sie enthält aber eine schwächere These als die zweite Lesart, die ich verteidigen möchte. Um zu verdeutlichen, was das alles heißt, ist der Vergleich des Gehalts von Aussagesätzen bzw. Urteilen mit dem Gehalt von Gefühlen aufschlussreich.

Ein Urteil ist begrifflich in dem Sinne, dass sein Gehalt aus Begriffen besteht. Deshalb setzt ein Urteil Begriffe voraus. Wer nicht über Begriffe verfügt, kann kein Urteil fällen. Anders liegt der Fall, wenn wir Gefühle in Betracht ziehen. Gefühle bestehen nicht aus Begriffen. Ebenso wie Sahnetorten oder Weihnachtsengel sind sie nicht aus Begriffen gemacht. In diesem Sinne setzen Gefühle keine Begriffe voraus, jedenfalls keine Begriffe im judikatorischen, urteilsbezogenen Sinn.

Wie stehen Urteile und Gefühle im Vergleich da, wenn es um die Erfassung ihrer Gehalte geht? Sofern der Gehalt eines Urteils aus Begriffen gemacht ist, setzt seine Erfassung Begriffe voraus. Wie ist es um die Erfassung des Gehalts eines Gefühls bestellt? Wenn einen Gehalt zu erfassen heißt, ihn explizit zu erfassen, dann setzt die Erfassung des Gehalts trivialerweise Begriffe voraus. Ohne Begriffe und prädikative Strukturen sind Explikationen nicht zu haben. Aber hat es überhaupt Sinn zu sagen, dass man oder jemand ein Gefühl hat, ohne dessen Gehalt zu erfassen? Wenn es keinen Sinn hat, müsste man sagen, dass bereits das Haben eines Gefühls Begriffe voraussetzt, was eher abwegig zu sein scheint. Ganz so einfach ist es nicht. Ich denke, hier kommt man nur weiter, wenn man unterschiedliche Weisen der Gehaltserfassung voneinander differenziert. Der Vorschlag, den ich unterbreiten möchte, lautet: Gehalte lassen sich auf diffuse Weise erfassen und sie lassen sich auf explizite Weise erfassen. Wie ist diese Unterscheidung zu verstehen?

Eine explizite Gehaltserfassung ist als eine Zuschreibung bzw. Selbstzuschreibung in der Art von „Ich verspüre oder habe jetzt Angst“ aufzufassen. Das Gefühl ist jedoch da, man hat es, sobald sein Gehalt auf diffuse Weise auf der Grundlage körperlicher Eindrücke und in Form einer phänomenalen Qualität erfasst bzw. verspürt wird. Rasender Puls, hämmerndes Herz, trockener Mund, weiche Knie, Zittern, ein Verengungseindruck, Fluchtimpuls bei gleichzeitiger Starre, Unfähigkeit, Gedanken und Bewegungen zu koordinieren: So ergeht es jemandem, der Angst verspürt, und der, dem es so ergeht, erfasst einen Gehalt – in unserem Fall etwas Gefährliches und Bedrohliches – auf diffuse Weise. Es mag durchaus sein und ist auch häufig so, dass ein Gefühl durch die explizite Erfassung seines Gehalts ein höheres Maß an Bestimmtheit aufweist. Auf Überlegungen zur Formulierung von Identitätskriterien für Gefühle muss ich an dieser Stelle verzichten, insbesondere auch auf die Diskussion der Frage, ob ein höheres Maß an Bestimmtheit die Identität eines Gefühls verändert. Ich würde sagen, das explizit Erfasste enthält das diffus Erfasste und man kann zumindest davon sprechen, dass Teile des unterschiedlich erfassten Gefühls miteinander identisch sind.

Die diffuse Erfassung eines Gehalts setzt keine judikatorischen Begriffe voraus; die explizite Erfassung setzt judikatorische Begriffe voraus. Was allerdings auch die diffuse Erfassung voraussetzt, sind phänomenale Begriffe, die sich darauf beziehen, wie sich etwas für jemanden anfühlt. Phänomenale Begriffe unterscheiden sich von judikatorischen Begriffen gerade dadurch, dass sie sich auf phänomenale Eigenschaften beziehen und ihre Verwendung von einer phänomenalen Erfahrung abhängig ist: Etwas fühlt sich so und so an, etwas sieht so und so aus. In diesem Sinne sind phänomenale Begriffe weniger anspruchsvoll als judikatorische Begriffe, die in der Regel freistehend verwendet werden können müssen, d. h. unabhängig von der Präsenz von Objekten im Wahrnehmungsfeld. Das gilt für phänomenale Begriffe gerade nicht. Phänomenale Begriffe weisen gegenstandsabhängig auf eine Eigenschaft hin, die in der Wahrnehmung als so oder so (laut, dunkel, gefährlich) erscheint. Natürlich kann man sich auch ohne phänomenale Begriffe, beispielsweise mit Farb- oder Geschmacksbezeichnungen, auf phänomenale Eigenschaften beziehen, indem man „gelb“ oder „bitter“ sagt oder eine Kennzeichnung verwendet. [24] Ein und derselbe Gehalt kann auf verschiedene Weisen gefasst werden. Statt zwischen einer expliziten und diffusen Gehaltserfassung zu unterscheiden, könnte man auch eine intellektuelle Gehaltserfassung (mittels kogitativer Begriffe) und eine phänomenale Gehaltserfassung voneinander differenzieren. In der laufenden Diskussion werden zudem verschiedene Arten der phänomenalen Gehaltserfassung unterschieden, beispielsweise wahrnehmungsabhängige oder perzeptive und gefühlsabhängige oder affektive Erfassungen des Gehalts. [25] Vergegenwärtigen wir uns die Sachlage noch einmal am Beispiel einer Bergwand und ihrer Bedrohlichkeit: Wer die Eigenschaften einer Bergwand kennt und weiß, dass man bei einer Besteigung abstürzen kann, der erkennt die Gefährlichkeit der Wand intellektuell, indem er unabhängig von der Präsenz der Wand im Wahrnehmungsfeld entsprechende Urteile fällen kann. Es ist auch möglich, die Gefährlichkeit einer Bergwand zu erfassen, die man sieht, ohne sich vor der Gefahr, die sie darstellt, zu fürchten. Hier handelt es sich um die perzeptiv-phänomenale Erfassung der Gefahr. Sieht man die Gefahr, die von der Bergwand ausgeht und fürchtet sich vor dieser, dann vollzieht sich die Erfassung auf eine affektiv-phänomenale Weise.

Eine Bergwand ruft Angst hervor, weil Gefährlichkeit oder Bedrohlichkeit in den Augen des Bergsteigers phänomenale Eigenschaften der Bergwand sind. Im Gefühl der Angst präsentiert sich die Wand dem Bergsteiger als bedrohlich. Anders als ein Urteil, das wir aktiv fällen, wenn wir sagen „Die Bergwand ist bedrohlich“, machen wir phänomenale Erfahrungen passiv, etwas geschieht und widerfährt uns, dem wir uns nicht, zumindest nicht ohne Weiteres, entziehen können. In solche Erfahrungen sind Begriffe eingeschlossen (im Fall der Angst geht es um das Gefährliche und Bedrohliche). Sofern dies der Fall ist, handelt es sich bei diesen Begriffen um phänomenale Begriffe, die – und darin besteht eine ihrer Besonderheiten – mit dem Haben eines Gefühls auf eine passive Weise zur Anwendung gelangen. Sie vergegenwärtigen, wie einem Subjekt seine Umwelt (auf diffuse Weise) ohne dessen Zutun erscheint, und nicht – oder noch nicht –, wie es aktiv mit Hilfe judikatorischer Begriffe explizit über die Verfassung seiner Umwelt urteilt. Wenn man eine derartige Konzeption phänomenaler Begriffe für sinnvoll hält, ist der Weg für eine Erläuterung der Auffassung frei, dass bei Gefühlen phänomenale und begriffliche Aspekte von vornherein miteinander verwoben sind und sich nicht voneinander ablösen lassen. Gefühle sind dann als begrifflich artikulierbare phänomenale Erfahrungen aufzufassen, die in einem weiteren Schritt mit Hilfe judikatorischer Begriffe explizit gemacht und aktiv in Urteilszusammenhänge eingebettet werden können.

Das dritte Verständnis der Auffassung, dass der Gehalt von Gefühlen begrifflich ist, bezieht sich darauf, dass Gefühle im Kontext immer schon sprachlich artikulierter Weltbezüge stehen und umstandslos mit Artikulationen an sie angeschlossen werden kann. Selbst wenn meine bisherigen Überlegungen falsch wären, ließe sich immer noch die These verteidigen, dass Gefühle insofern als begriffliche Phänomene anzusehen sind, als sie immer in begriffliche und im Fall von sprachfähigen Wesen sogar sprachliche Umgebungen gehören. Der Bergsteiger identifiziert seine Angst, er erinnert sich an vergleichbare Situationen, in denen er ein ähnliches Gefühl hatte. Das Gefühl zieht Fragen nach sich: Soll er weitergehen? Eine andere Route suchen? Wie gefährlich ist die Situation wirklich? Kann er sich beruhigen? Möglicherweise wird das Gefühl zum Thema eines Gesprächs mit seinem Begleiter und es taucht im Kontext vielfältiger propositionaler Einstellungen auf. Der Bergsteiger wünscht sich, dass die Angst aufhört, hofft, dass sie nicht seine Klettertechnik beeinträchtigt und anderes mehr. Dieses Verständnis der auf Gefühle bezogenen Begrifflichkeitsthese scheint mir ganz unproblematisch zu sein und es sollte selbst hartgesottene Gegner der Begrifflichkeitsthese überzeugen. Hinsichtlich des Eingebettet-Seins in ein Umfeld aus Begriffen und aus Sprache unterscheiden sich Gefühle kaum von Urteilen. So gesehen kann es dann auch nicht mehr überraschen, dass manche Philosophen sogar so weit gehen, Gefühle mit Urteilen zu identifizieren. Die richtige Idee hinter dieser falschen und zu radikalen These ist, dass Gefühle in rationalen Beziehungen zu anderen Gehalten des menschlichen Geistes stehen: So können sie für die Rechtfertigung von Überzeugungen verwendet werden und zu Handlungen motivieren.

Ich habe drei Versionen der Auffassung, dass Gefühle begrifflich sind, voneinander unterschieden. Die These, dass der Gehalt von Gefühlen aus Begriffen im judikatorischen Sinn besteht, lehne ich ab (1. Lesart). Der These, dass Gefühle in den Kontext artikulierter Weltbezüge gehören, stimme ich zu. Sie scheint mir kaum bestreitbar zu sein (3. Lesart). Bestreitbar ist die Auffassung, dass bereits die diffuse Erfassung des Gehalts eines Gefühls Begriffe voraussetze, und zwar phänomenale Begriffe (2. Lesart). Diese Auffassung ist strittig und sie lohnt eine Verteidigung. Erste Schritte dazu habe ich unternommen.

Es hat sich gezeigt, dass die Frage nach dem begrifflichen Gehalt von Gefühlen eine differenzierte Antwort erfordert. Um ein Gefühl haben zu können, muss man nicht über Begriffe verfügen, wie sie in judikatorischen oder kogitativen Zusammenhängen verwendet werden; über phänomenale Begriffe scheint man jedoch verfügen zu müssen. Mein Vorschlag lässt viele Fragen offen, die eine eingehendere Diskussion erfordern würden. Sind tatsächlich verschiedene Typen von Begriffen voneinander zu unterscheiden oder geht es nicht vielmehr lediglich darum, dass jedes Exemplar der Gattung Begriff auf unterschiedliche Weise verwendet werden kann, in unterschiedlichen funktionalen Kontexten steht, wobei die Angemessenheitsbedingungen für die Zuschreibung von Begriffen und das Verfügen über Begriffe jeweils bezogen auf die Verwendungen und Kontexte zu spezifizieren sind? Der Bezug auf verschiedene Verwendungen von Begriffen würde es erlauben, an einem einheitlichen Verständnis des Begriffs „Begriff“ festzuhalten, während die Unterscheidung verschiedener Typen von Begriffen deutlich machen müsste, worin ihr Genus proximum und ihre Differentia specifica bestehen. Außerdem wären die Charakteristika, die beispielsweise phänomenale Begriffe aufweisen, eingehender zu klären. Die Diskussion beider Fragen würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen, in dem es primär darum ging, die Frage nach dem Verhältnis von Begriffen und Gefühlen zu diskutieren und die Grundlagen für eine differenzierte Antwort zu schaffen.

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Published Online: 2021-06-17
Published in Print: 2021-06-25

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 5.6.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/dzph-2021-0030/html
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