Im Jahr 1938 wirft der Romanist Leo Spitzer aus dem amerikanischen Exil einen kritischen Blick auf die romanistischen Zeitschriften im nationalsozialistischen Deutschland. Dabei attestiert er den in der DVjs erschienenen romanistischen Aufsätzen ein wissenschaftlich »hohe[s] Niveau«Footnote 1, wenngleich es der Zeitschrift als solcher auch nicht an »Entgleisungen«Footnote 2 fehle, »so wenn der eine Herausgeber Rothacker, um die Existenz von jüdischen Denkern von Rang leugnen zu können, Spinoza als ›Marannen‹ erklärt.«Footnote 3 Spitzer bezieht sich auf einen Aufsatz Rothackers aus dem ersten Zeitschriftenheft des Jahres 1933, in dem dieser die Behauptung aufstellt, dass

die jahrhundertelange Existenz philosophischer Lehrstühle in Polen dennoch noch nie einen polnischen Philosophen von europäischem Rang hervorzubringen vermocht hat, noch die außerordentliche Musikalität, musikalische und literarische Bildung der westeuropäischen Juden je einen Dichter oder Komponisten vom Range Bachs, Mozarts, Beethovens, Goethes, Schillers, ja selbst mit der einzigen Ausnahme des Marannen Spinoza nie wieder Denker ähnlichen Rangs (dafür hervorragende mittlere Talente wie Heine, Börne, Mendelsohn-Bartholdy, Offenbach, Bergson) und dies trotz der stürmischen Nachfrage und trotz der Neigung der modernen Presse, jede Eintagsfliege mit Goethe zu vergleichen […].Footnote 4

Diese Sätze finden sich in einem Sammelreferat Rothackers über Neuerscheinungen zur Kultursoziologie, in dem er sich vor allem mit Levin L. Schückings Studie Die Soziologie der literarischen Geschmacksbildung (2. Aufl. 1931) befasst. Gegen Schückings Fokussierung der sozialen, historisch kontingenten Erfolgsbedingungen literarischer Werke beharrt Rothacker auf einem »objektiv für ein Kollektivum repräsentative[n] Charakter eines Kunstwerks«Footnote 5 und bringt hierfür die »Kongruenz«Footnote 6 zwischen einem Einzelwerk und einem »Nationalcharakter«Footnote 7 ins Spiel.Footnote 8 In diesem Zusammenhang betrachtet, wertet Rothacker in dem Zitat, auf das Spitzer verweist, nicht nur die Leistungen der von ihm genannten jüdischen Autoren, Philosophen und Komponisten ab, sondern er spricht ihnen darüber hinaus auch eine echte Teilhabe an dem »Nationalcharakter« der westeuropäischen Länder, in denen sie beheimatet waren, ab. Auch in Rothackers Redaktionskorrespondenz mit Paul Kluckhohn, mit dem er die DVjs seit 1923 gemeinsam herausgibt, begegnet antisemitisches Ressentiment. Zugleich betätigt sich Rothacker aber als Herausgeber der DVjs in den Weimarer Jahren auch als Förderer junger jüdischer Wissenschaftler wie Erich Auerbach und Karl Löwith. Auerbach bezeichnet ihn sogar als ihm »sehr befreundet«Footnote 9 – und wendet sich umso enttäuschter von Rothacker ab, als dieser bereits 1932 anfängt, öffentlich für die Nationalsozialisten einzutreten.

Zunächst möchte ich in diesem Aufsatz die Korrespondenz Auerbachs mit Rothacker und Kluckhohn aus den Jahren 1925 bis 1933 vorstellen, dabei die Bedeutung, die Auerbach der DVjs und speziell Rothacker für diese frühe Phase seiner Karriere beimaß, herausarbeiten und die Etappen seiner Abkehr von der DVjs nachzeichnen. Umgekehrt soll am Ende des Aufsatzes der Fokus auf die Bedeutung Auerbachs für die DVjs nach dem Zweiten Weltkrieg gerichtet werden, insofern Auerbach zu denjenigen emigrierten Wissenschaftler*innen gehörte, um deren Mitarbeit man warb. Im Jahr 1951 erschien dann auch noch einmal ein Aufsatz von ihm in der DVjs. In den Jahren 1933-44 hat Auerbach keinen Aufsatz in der DVjs veröffentlicht, die er aufgrund von Rothackers politischem Engagement für den NS bereits 1932 als Publikationsorgan für seine Arbeiten ausgeschlossen hat. Wie sieht es in diesem Zeitraum mit Publikationen anderer jüdischer Wissenschaftler*innen in der DVjs aus? Wie weit trifft Leo Spitzers Vorwurf, dass die von ihm begutachteten Zeitschriften stillschweigend einen »Arierparagraphen«Footnote 10 anwandten, auf die DVjs zu? Auch diese Frage soll im Laufe dieser Ausarbeitung noch einmal aufgegriffen werden.Footnote 11

Auerbach hat in dem Zeitraum zwischen 1926 und 1932 eine stattliche Anzahl an Aufsätzen in der DVjs veröffentlicht, insgesamt vier Stück. Aus der Korrespondenz zwischen Rothacker und Kluckhohn geht hervor, dass Auerbach 1930 noch einen weiteren Aufsatz bei den Herausgebern eingereicht hat, der nicht in der Zeitschrift veröffentlicht wurde. In der Redaktionskorrespondenz heißt es: »Nun noch ein Manuskript Auerbach. Sehr gescheit. Den Anfang wünschte ich etwas weniger jüdisch. Was meinst Du?«,Footnote 12 so Rothacker an Kluckhohn am 27.08.1930. Um welchen Text es sich wahrscheinlich handelt, wird weiter unten erörtert werden. Insgesamt sind acht Briefe Auerbachs an Kluckhohn (DLA Marbach), neunzehn Briefe und neun Postkarten an Rothacker überliefert (ULB Bonn).Footnote 13 Von den Briefen der DVjs-Herausgeber sind nur fünf Briefe Kluckhohns im Archiv (DLA Marbach) erhalten.

Auerbachs Kontakt zur DVjs lief zuerst über Kluckhohn und verlagerte sich mit der Zeit zu einer Korrespondenz mit Rothacker. Nach dem Krieg ist es wieder Kluckhohn, der Auerbach in den USA anschreibt. Dieser hat sich das erste Mal im Mai 1925 an Kluckhohn mit dem Angebot einer »Arbeit über den französischen Pamphletisten Paul-Louis Courier und den Ursprung des modernen Zeitungsstils«Footnote 14 für die DVjs gewendet. Gerne sähe er die Arbeit bereits im laufenden Jahr gedruckt, da das Thema aufgrund des hundertsten Jahrestages von Couriers Ermordung aktuell sei. Auerbach unterschreibt den Brief mit »Dr Erich Auerbach, Ass. a. d. preuss. Staatsbibl.«.Footnote 15 Seit 1923 ist er an der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin beschäftigt, zuerst als Volontär, dann ab 1927 als planmäßiger Bibliothekar.Footnote 16 Wissenschaftlich ist er zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit vielen Publikationen hervorgetreten, außer kleineren Miszellen hat er nur seine Dissertation und vor allem seine mit einer Einleitung versehene Übersetzung von Giambattista Vicos Scienza Nuova vorzuweisen,Footnote 17 die er am Ende seines Briefes auch erwähnt, mit der Bemerkung, dass er sie der DVjs als Rezensionsexemplar hat zukommen lassen. Das Übersetzungswerk kennt Kluckhohn jedoch nicht, wie aus einer handschriftlichen Anmerkung hervorgeht. Und zu Auerbachs Frage, ob die DVjs Interesse an dem Aufsatz hat, schreibt er am Rand des Briefes ein Fragezeichen, gefolgt von der an Rothacker gerichteten Bemerkung: »zweifelhaft bitte Ihre Meinung«.Footnote 18

Auerbach reicht den Aufsatz ein, sein Thema sei, so schreibt er Rothacker, der »Ursprung des modernen Bedarfsstils, wie ihn die Zeitungen verwenden: seine spätantiken (rhetorischen und eklogischen) und seine romantischen Elemente; Courier ist nur Exempel.«Footnote 19 Die Arbeit gefällt Rothacker,Footnote 20 sie erscheint 1926 im dritten Heft des Jahrgangs.Footnote 21 Mit Auerbachs Aufsatz über Courier erweist sich Rothacker offen für Neues,Footnote 22 indem er grünes Licht für den Text eines zu diesem Zeitpunkt noch mehr oder weniger unbekannten Forschers über einen in Deutschland fast unbekannten Autor gibt.Footnote 23 Über Courier, der während der Restauration als Verfasser antibourbonischer und antiklerikaler Pamphlete hervorgetreten ist, schreibt Auerbach selbst, dass es zweifelhaft sei, ob er mehr gelesen zu werden verdiene,Footnote 24 insofern seine politischen Ideen (»materialistische[r] Liberalismus«Footnote 25) wenig originell seien. Interessant sei er gleichwohl für »die Historiker und die Stilkritiker«Footnote 26. Methodisch zeichnet sich hier ein Ansatz ab, der charakteristisch für Auerbach ist: Er kombiniert Stilkritik mit einer historischen Betrachtungsweise, indem er Couriers Biographie gesellschafts- und geistesgeschichtlich kontextualisiert, wofür er weit ausholt und Verbindungen zur Antike, der Renaissance und der Romantik herstellt.

Auch beim nächsten Aufsatz, einer Arbeit über Franz von Assisi, drängt Auerbach auf rasche Veröffentlichung, die er Kluckhohn gegenüber wieder mit einem Gedenkjahr, dem »Centenario« im Jahr 1926, dem 800. Todesjahr des heiligen Franz, begründet.Footnote 27 Gegenüber Rothacker hatte er aber auch schon ein anderes Motiv geltend gemacht, als er ihm ankündigte, zusammen mit dem korrigierten Courier-Aufsatz auch das Assisi-Manuskript zu schicken: »Ich wäre jetzt sehr froh, wenn bald etwas von mir erschiene, ausser dem Vico liegt nichts vor, und meine Freunde und einige Berliner Professoren sind sehr unzufrieden mit diesem Zustand; sie drängen mich zu publizieren.«Footnote 28 Auerbach strebt mit seinen Arbeiten – an dem Aufsatz über Assisi hatte er nach eigener Aussage bereits drei Jahre ›gebastelt‹ –Footnote 29 an die akademische Öffentlichkeit. Der Wunsch, sich möglichst rasch ein wissenschaftliches Œuvre und Reputation aufzubauen, darf als prägend für die Korrespondenz mit den Herausgebern der DVjs Ende der 1920er Jahre angesehen werden.Footnote 30 In zwei weiteren Briefen betont Auerbach, dass ihm an einer baldigen Publikation seiner Arbeiten sehr gelegen wäre.Footnote 31 Der Assisi-Aufsatz erscheint dann letztlich aus redaktionellen Gründen doch erst im Jahr 1927 unter dem Titel »Über das Persönliche in der Wirkung des heiligen Franz von Assisi«. Diese Überschrift ist ursprünglich nicht von Auerbach vorgesehen gewesen, er hatte den Aufsatz am liebsten »Über das Sinnliche in der Wirkung des heiligen Franz von Assisi« betiteln wollen.Footnote 32 Dies entspricht auch dem Inhalt des Aufsatzes, insofern es Auerbach nach eigenem Bekunden um Assisis »sinnliche Erscheinung, Ausdruckskraft und Psychagogie«Footnote 33 und die von ihm »ausgehende Neuerfassung der irdischen Welt«Footnote 34 geht. Für Auerbach liegt der Schlüssel für den Erfolg der franziskanischen Bewegung in Europa nicht im »gedankliche[n] Grund von Assisis Lehre«Footnote 35, sondern in der »suggestiven Bezauberungskraft seiner Gestalt«Footnote 36, in seinem »Auftreten[]«Footnote 37, in der »bildhaft einprägsame[n] Tat und Haltung«Footnote 38, im »Szenenhafte[n]«Footnote 39 seiner Handlungen und Worte, den Gesten und Gebärden, die das Sprechen begleiten. Kluckhohn hat aber Anstoß an der Exponierung des »Sinnlichen« im Titel genommen, wie aus einem Antwortschreiben Auerbachs hervorgeht:

Entschuldigen Sie, dass ich erst heut antworte, aber ich kann trotz vielen Überlegens und Probierens keinen anderen Titel für die Franzarbeit finden. Das Sinnliche, Ausstrahlende der Person im Gegensatz zum Fassbar-Inhaltlichen der Lehre ist ja gerade der Gegenstand, und ich würde am liebsten schreiben: Über das Sinnliche in der Wirkung des h. F. v. A. Aber wenn Sie das Wort sinnlich ganz und gar unerträglich für den Titel finden, und bei den Lesern der Vierteljahrsschrift böse Missverständnisse befürchten, so bleibt der Ausweg einen farblosen Titel zu wählen: Über die Art der Wirkung d.h. F. v. A.Footnote 40

In einem Postskriptum stellt Auerbach dann die Formulierung »Das Persönliche in der Wirkung des h. F. v. A.«Footnote 41 als dritte Möglichkeit zur Disposition, betont aber noch einmal, dass er den erstgenannten Titel deutlich präferiere. Ein Antwortschreiben Kluckhohns ist nicht überliefert, wohl aber gibt es eine Randbemerkung: »wo bleibt das Wesentliche? die religiöse Ergriffenheit?«Footnote 42 Die sinnliche Darstellung in den Vordergrund zu rücken, scheint für Kluckhohn nicht nur einen ungewollt erotischen Beiklang zu haben, sondern die von Assisi ausgelösten religiösen Gefühle zu ignorieren, was aber bei Auerbach nicht der Fall ist: Er führt die Intensität der religiösen Ergriffenheit vielmehr auf die »sinnliche[] Kraft«Footnote 43 des Ausdrucks, die er bei Assisi erkennt, zurück.

Nach der Auseinandersetzung über den Titel des Assisi-Aufsatzes scheint Auerbachs Korrespondenz vornehmlich über Rothacker gelaufen zu sein, zumindest ist kein weiterer Brief Auerbachs an Kluckhohn aus der Zeit der Weimarer Republik überliefert. Auerbach hält Rothacker auf dem Laufenden, was seine wissenschaftlichen Arbeiten angeht. So schreibt er zu seiner Übersetzung von Benedetto Croces Vico-Buch,Footnote 44 dass er sich ihrer nur »ungern, auf seinen [i.e. Croces] ausdrücklichen Wunsch« angenommen habe. »Jetzt, wo es fertig daliegt, freue ich mich und hoffe, dass es der Vico-Propaganda nützlich ist. Aber meine eigene Meinung hat sich nicht geändert, sondern noch schärfer ausgeprägt. Wenn wir Vico durch Croce sehen, so spricht das nur gegen uns. Croce ist sehr gescheit […], aber seine Vico-Darstellung ist ebenso sehr eine Vergröberung wie eine Verdeutlichung, in demselben Sinne wie eine äsopische Fabel von Phädrus oder ein deutscher Champagner.«Footnote 45 Damit nimmt Auerbach die Croce-Kritik wieder auf, die er bereits am Ende seiner Einleitung zu seiner Vico-Übersetzung formuliert hatte und die sich an der Bedeutung der transzendenten Vorsehung bei Vico entzündet, die Croce als Hindernis für die Erkenntnis des Fortschritts aufgefasst hat. Dagegen hält Auerbach, dass die nicht aus der Geschichte immanent zu entwickelnde transzendente Vorsehung bei Vico die zentrale Funktion habe, »den hochmütigen Vernunftmenschen seiner Zeit zu binden an Gott und Erde«Footnote 46, was Croce mit seinem Ansatz, Vico zum Vorläufer moderner Geschichtswissenschaft und einem immanenten Prinzips in der Geschichtsphilosophie zu erklären, verfehlen müsse. Gerne hätten die Herausgeber der DVjs auch einen Aufsatz Croces über »Il Bachofen e la storiografia afilologica« veröffentlicht, den Auerbach Rothacker anbietet.Footnote 47 Bei dem Angebot sollten sie »[u]nbedingt zugreifen«Footnote 48, schreibt Rothacker an Kluckhohn. An Croces Mitarbeit war Rothacker schon lange interessiert, bereits 1923 hatte er sie gegenüber Kluckhohn für »sehr vorteilhaft für die Zeitschrift«Footnote 49 eingestuft. Internationale Beiträger vom Range Croces waren für die DVjs von Bedeutung, sie kamen dem Renommee der Zeitschrift zugute.Footnote 50 Der Grund, warum nichts aus der Publikation des Bachofen-Vortrags in der DVjs geworden ist, sondern erst 1932 ein Beitrag Croces in der Zeitschrift erschien,Footnote 51 ist weder aus der Korrespondenz Auerbachs mit Rothacker noch aus der Redaktionskorrespondenz zwischen Kluckhohn und Rothacker ersichtlich.

Auerbach ist an Rothackers wissenschaftlichem Urteil sehr gelegen. Er reagiert verunsichert, als er bemerkt, dass Rothacker in seinem Sammelreferat über »Hilfsmittel des philosophischen Studiums«Footnote 52, in dem er unter anderem über Neuausgaben philosophischer Klassiker berichtet, nicht auf seine mit einem Vorwort versehene Vico-Übersetzung eingeht:

Freilich bin ich Abonnent der Vj. und habe Ihren Bericht gelesen; Ihre Fähigkeit aufzunehmen und zu würdigen ist erstaunlich. Dass mein Vico ganz fehlt, hat mich überrascht, denn ich hatte mich auf Ihre lang angekündigte Rezension sehr gefreut. Sie haben auf meine Dankbarkeit schon so grossen Anspruch, dass es einer Vermehrung meiner Schuld nicht bedurfte; doch muss ich fürchten, dass Ihre freundliche Meinung über meine Übersetzung sich geändert hat, und dass Sie nur geschwiegen haben, um mir eine unerfreuliche Kritik zu ersparen. Wenn es Ihre Zeit erlaubt, so teilen Sie mir bitte persönlich mit, wie es damit steht. […] Kommen Sie bald wieder einmal hierher? Mir selbst geht es gut, ich bin mit einer grösseren Arbeit beschäftigt, die gut vorwärts kommt.Footnote 53

Wie aus dem Schreiben hervorgeht, sind Auerbach und Rothacker auch über den Briefwechsel hinaus in einen persönlichen Kontakt eingetreten, die Grüße gehen bald auch schon an die »verehrte Frau Gemahlin«Footnote 54 und dann »von Haus zu Haus«Footnote 55. Die größere Arbeit, die Auerbach am Ende des Briefes erwähnt, ist sein Dante-Buch, dessen Ziel, wie er Rothacker schreibt, eine »geistesgeschichtliche Grundlegung des Danteschen Realismus, seiner Form der μίμησις«Footnote 56 sei. Es ist 1929 unter dem Titel Dante als Dichter der irdischen Welt erschienen. Auch in der Frage eines geeigneten Verlags hat Auerbach Rothacker als Ratgeber und Vermittler geschätzt und sich bei ihm dafür bedankt, dass er bei den Verlagen Winter und Niemeyer ein Wort für ihn eingelegt hat.Footnote 57 Die günstigsten Konditionen hat ihm schließlich aber de Gruyter geboten. Mit dem Dante-Buch wird Auerbach schnell in einem größeren Kreis bekannt; zugleich habilitiert er sich damit 1929 bei Leo Spitzer in Marburg. Seinen dort gehaltenen Probevortrag über die »Entdeckung Dantes in der Romantik« bietet er wieder der DVjs an, wo er noch in demselben Jahr veröffentlicht wird.Footnote 58 Den »zentralen und alles umfassenden Sinn« der Göttlichen Komödie hat, nach Auerbachs Verständnis, in der Romantik nur Schelling erfasst: »nämlich unsere irdische und historische Welt in ihrer wahren und ewigen Gestalt, die das göttliche Urteil enthüllt hat«.Footnote 59 Diese Deutung findet Auerbach dann bei Hegel ausformuliert,Footnote 60 an den er selbst mit seiner Interpretation in Dante als Dichter der irdischen Welt ganz wesentlich anschließt.Footnote 61 Der in der DVjs abgedruckte Probevortrag endet gewissermaßen mit einem Stück Werkpolitik, nämlich einer Werbung für das eigene Buch, indem Auerbach die Bedeutung des »Schelling-Hegelschen Gedankens«Footnote 62, der seither in Vergessenheit geraten sei, herausstreicht, um darauf hinzuweisen, dass er selbst an anderer Stelle, nämlich seinem Dante-Buch, versucht habe, zu zeigen, was er für die Interpretation der Göttlichen Komödie leisten könne.

1930 reicht Auerbach nun einen weiteren Aufsatz bei der DVjs ein, den Rothacker, wie eingangs zitiert, für »sehr gescheit« befindet, dessen Anfang er aber »etwas weniger jüdisch« wünschte, wie er Kluckhohn schreibt. Er fügt noch hinzu: »Auerbach war übrigens der Kandidat Richters für Danzig und sein Dantebuch wurde neulich verherrlicht gegenüber den Voßlerleuten! Insofern können wir immer etwas von ihm drucken.«Footnote 63 An diesen anerkennenden Worten kann man ablesen, dass sich Auerbach mittlerweile wissenschaftlich etabliert und sich eine Reputation erarbeitet hat; ein Ruf auf eine Professur steht kurz bevor.Footnote 64 Leider findet sich in den Archiven in Marbach und Bonn kein Brief Auerbachs, der auf das zur Diskussion stehende Manuskript Bezug nimmt. Auch in der überlieferten Redaktionskorrespondenz zwischen Rothacker und Kluckhohn gibt es nur noch wenige weitere Hinweise auf den Aufsatz. »Auerbach in Deinem Sinn geschrieben«,Footnote 65 so Rothacker Anfang September 1930 an Kluckhohn, ohne dass ein Brief Kluckhohns überliefert ist, in dem dieser seine Meinung über den Auerbach-Aufsatz äußert. Im Dezember schreibt Rothacker dann noch einmal: »Bitte Auerbach, wenn du ihn hast, zurück!«Footnote 66 Damit verliert sich die Spur des Aufsatzes in der Redaktionskorrespondenz.

Auf Basis der Archivbestände lässt sich somit nicht zweifelsfrei klären, um welchen Text es sich handelt, sodass es bei Mutmaßungen bleiben muss. Mit Sicherheit scheidet dabei der Aufsatz über »Vico und Herder«, der zwei Jahre später, im vierten DVjs-Heft von 1932, veröffentlicht wurde, als Möglichkeit aus.Footnote 67 Denn diesen Text hat Auerbach nachweislich erst im Sommer 1931 Rothacker angeboten. Er bringt ihn als Ersatz für einen Rousseau-Aufsatz ins Spiel, der schon länger bei der DVjs liege und den er gerne woanders unterbringen würde, und zwar aus folgendem Grund: »Ich habe Küchler für eine seiner beiden romanistischen Zss etwas versprochen, finde Rousseau für ihn und Vico für Sie geeigneter.«Footnote 68 Sollte es also vielleicht dieser Rousseau-Text gewesen sein, den Rothacker, mit Blick auf den Anfangsteil, als »jüdisch« klassifiziert hat? Das lässt sich am gedruckten Text, wie er in Die neueren Sprachen publiziert wurde, nicht nachvollziehen. Hier wird am Beginn die These aufgestellt, dass »Rousseau der erste sei, dem es trotz durchaus christlicher Konstitution nicht mehr gelang, ein Christ zu sein«.Footnote 69 Auerbach betrachtet Rousseau im Zusammenhang einer Krisengeschichte des europäischen Christentums. Er verfolgt damit eine explizit geistesgeschichtliche Lesart, die er von einer soziologischen oder psychologischen Interpretation Rousseaus abgrenzt.Footnote 70 Weder inhaltlich noch methodisch weist der Aufsatz etwas auf, was in der Wahrnehmung der damaligen Zeitgenossen als »jüdisch« hätte bewertet werden können.

Es bleibt die Möglichkeit, dass die Herausgeber der DVjs Änderungswünsche an dem 1930 eingereichten Manuskript geäußert haben. Berücksichtigt man, dass Auerbach bereits in seinem Assisi-Aufsatz nur widerstrebend dem Wunsch nach Abänderung des Titels nachgegeben hat, und berücksichtigt man ferner, dass ihm an einer schnellen Publikation seiner Texte gelegen war, dann ist in Erwägung zu ziehen, dass er sein Manuskript einer anderen Zeitschrift vorgelegt hat. Zeitlich am nächsten ist der Aufsatz »Dante und Vergil« im Jahr 1931 in der Zeitschrift Das humanistische Gymnasium erschienen. Dieser Text besitzt nun in der Tat einen auffälligen methodologischen Anfangsteil, der mit dem »Fortleben der Antike«Footnote 71das Leitmotiv der Forschung Aby Warburgs zitiert, dessen Kreis Rothacker nach eigener Aussage als jüdisch wahrgenommen hat. Als er 1927 von Warburg nach Hamburg in die Kulturwissenschaftliche Bibliothek eingeladen worden war, um dort sein Projekt eines Handbuchs kulturphilosophischer Grundbegriffe vorzustellen, für das er Kooperationspartner suchte, schreibt er Kluckhohn: »Am 16. Juli soll ich als persönl. Gast Warburgs einem engeren Kreis mein Unternehmen vorstellen. Hoffentlich gefalle ich den Leuten. Viele Juden.«Footnote 72 Zu der Zusammenarbeit mit dem Warburg-Institut ist es nicht gekommen, woran diese gescheitert ist, lässt sich im Rückblick nicht klar ermitteln.Footnote 73 Eine inhaltliche Differenz zwischen der Forschung des Warburg-Instituts und seinem begriffsgeschichtlichen Projekt hat Rothacker in der Orientierung am Nachleben der Antike gesehen, die für die Arbeit an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg charakteristisch ist.Footnote 74 Anders konfiguriert, beschäftigt auch Auerbach das »Fortleben der Antike«Footnote 75. Es ist gut möglich, dass Rothacker diese Formel und den mit ihr verbundenen Ansatz, der deutlich auf Warburg verweist, als »jüdisch« klassifiziert, nachdem eine Kooperation mit dem Hamburger Institut (»viele Juden«) nicht zustande gekommen ist. Es spricht also vieles dafür, dass es sich bei dem 1930 eingereichten Manuskript, dessen Anfangsteil Rothacker »weniger jüdisch« wünschte, um den Text »Dante und Vergil« handelt, wenn dies aufgrund der nur lückenhaft überlieferten Briefe der Beteiligten auch nicht eindeutig festzustellen ist.

»Man wird heut nicht mehr behaupten wollen«, so fängt Auerbach in »Dante und Vergil« an, »daß die antike Tradition in der Völkerwanderung unterging und erst durch die Humanisten wieder auferstand: die klassische Latinität der ausgehenden Republik und der augusteischen Epoche ist uns nicht mehr die Antike schlechthin, und wir bemühen uns, von ihrem Fortleben andere Spuren zu entdecken als ciceronianisches Latein und philosophischen Eklektizismus.«Footnote 76 Jenseits der Gelehrsamkeit habe es, so Auerbach, ein Weiterfließen der antiken Tradition im Mittelalter gegeben, deren Erscheinungen er »Vulgärantike«Footnote 77 nennt, nicht, um damit ein Werturteil auszusprechen, sondern um das »Unbewußte, Historische, Organische im Gegensatz zum Bewußten, Historischen und Gelehrten«Footnote 78 auszudrücken. Das »Fortleben«Footnote 79 der Antike in der »Vulgärantike« vollziehe sich nicht durch Lektüre oder Studium, sondern durch Institutionen, Gewohnheiten und mündliche Überlieferung, wobei das entscheidende Merkmal die »unaufhörliche Weiterbildung des überlieferten Stoffes und Vergessen seiner Ursprünge«Footnote 80 sei.

Der Anklang an Warburg ist in diesem Anfangsteil, auch über die Formel »Fortleben der Antike« hinaus, unüberhörbar. Wie Warburg unterscheidet Auerbach zwei Arten der Antike-Rezeption, wenn er auch andere Begriffe dafür benutzt und damit andere Akzente setzt. Warburg hält einer »klassisch-veredelten Antike«Footnote 81 als Neuschöpfung der gelehrten humanistischen Kultur eine »dämonische«Footnote 82 Antike entgegen, in der die antiken Götter als kosmische Götter ununterbrochen seit dem Ausgang der Antike zu den religiösen Mächten im christlichen Europa gehörten, als Teil einer heidnischen Kosmologie, insbesondere Astrologie, die von der christlichen Kirche stillschweigend geduldet wurde. Auerbach geht es mit der »Vulgärantike« um populäre Phänomene, die nicht auf dämonische Schicksalsmächte beschränkt sind. So werde Vergil im Mittelalter zu einer »populären Sagenfigur«Footnote 83 umgeformt, zu einem Magier und echten Zauberer, zugleich aber auch als Weiser und Prophet Christi gedeutet. In Dantes Göttlicher Komödie sieht Auerbach eine Synthese all der Sagen und Überlieferungen der vergangenen Jahrhunderte: Vergil sei zunächst ein Weiser, der noch den »Nimbus eines magischen Zauberers«Footnote 84 aus dem populären Volksglauben besitze, sodann Dichter der kaiserlich-römischen Mission und Prophet Christi. Dabei bleibe Vergil aber auch als historische Person kenntlich und werde nicht zum bloßen Bedeutungsträger abstrahiert – diese realistische Dimension hat Auerbach ja bereits in seinem Dante-Buch und dem in der DVjs veröffentlichten Probevortrag betont. Sie ist auch für sein Verständnis der Figuraldeutung, das er in dem berühmten Aufsatz »Figura« (1938) entwickelt, von grundlegender Bedeutung, insofern die figurale Deutung, im Unterschied zur allegorischen, »den geschichtlichen Vorgang bewahrt, indem sie ihn enthüllend deutet«Footnote 85. Im Fortleben der christlich-antiken Figuraldeutung im Mittelalter findet Auerbach den Schlüssel für die Wirklichkeitsdarstellung Dantes, die er in seiner Habilitationsschrift bereits beschrieben hat, ohne sie auf den später dafür gefundenen Begriff zu bringen.Footnote 86 Man kann den Aufsatz »Dante und Vergil« als Teil einer Suchbewegung Auerbachs lesen, das »Fortleben« der Antike im Mittelalter und speziell bei Dante historisch zu verstehen, was ihn in die Nähe Warburgs brachte, wobei ihn letztlich aber mehr das Fortleben der jüdisch-christlichen als der heidnischen Antike interessierte. Wahrscheinlich haben sich die Herausgeber der DVjs den Vorläufer des »Figura«-Aufsatzes, als der sich der Text »Dante und Vergil« lesen lässt, entgehen lassen.

Als mit »Vico und Herder« der letzte Aufsatz Auerbachs vor der NS-Zeit im Oktober 1932 in der DVjs erscheint, hat sich Auerbach bereits entschlossen, aufgrund von Rothackers früher Parteinahme für die NSDAP keine Artikel mehr in der Zeitschrift zu veröffentlichen. In seinem letzten Aufsatz in der DVjs vor der NS-Epoche grenzt Auerbach Vico von der romantischen historischen Schule ab, insofern bei ihm das entscheidende Wort »Volksgeist«Footnote 87 nicht vorkomme und er »[t]rotz allem Organischen, Historisch-Genetischen und Entwicklungsmäßigen seiner Anschauung […] ganz frei von einem Sicheinspinnen in die partikulären Gegebenheiten der Völker« sei.Footnote 88 Mit Vico verstanden, kann die Nation keine substantielle, fundierende Größe einer Kulturtheorie sein, als die sie Rothacker profiliert und sich damit dann auch den Nationalsozialisten anzudienen versucht. Der geistige Abstand zwischen Auerbach und Rothacker zeichnet sich in diesem Punkt bereits deutlich ab und klafft mit Rothackers Eintreten für die NSDAP, zu deren Wahl er als Mitunterzeichner einer im Juli 1932 im Völkischen Beobachter erschienenen »Erklärung deutscher Universitäts- und Hochschullehrer«Footnote 89 aufruft, weit auf. So schreibt Auerbach am 28.10.1932 an seinen Cousin Paul Binswanger:

Dass Rothacker sich so demonstrativ für die Nationalsozialisten erklärt, habe ich gerade ihm übelgenommen, und beschlossen der V‹ierteljahrsschrift› nichts mehr zu geben (der Vicovortrag lag dort seit 1 ½ Jahren); freilich schädige ich damit mich mehr als ihn, denn eine andere Z‹eitschrift› der Art gibt es ja nicht; mit vieler Mühe und ungern habe ich meinen letzten Aufsatz (einen Aufsatz über »Romantik und Realismus«) bei den Neuen Jahrbüchern untergebracht \erscheint im Frühjahr erst/.Footnote 90

Man merkt dem Brief deutlich die Enttäuschung über Rothacker an, der sich in den Jahren ihrer Korrespondenz zu einem wichtigen Ratgeber Auerbachs entwickelt hat, auf dessen Urteil er Wert legte und dem er sich auch persönlich verbunden fühlte. Ebenfalls spiegelt die Briefpassage die Bedeutung wider, die Auerbach der DVjs als ›einziger ihrer Art‹ zuspricht. Die DVjs gilt ihm geradezu als das wichtigste Publikationsorgan für geisteswissenschaftliche Arbeiten in Deutschland. Seine Enttäuschung verbirgt Auerbach auch gegenüber Rothacker nicht, er kommuniziert sie ihm aber erst einige Monate später, am 29. Januar 1933:

Ich hoffe im Mai nach Bonn zu kommen, um in der Danteges. [Dantegesellschaft] zu sprechen, und würde mich sehr freuen Sie dann sprechen zu können. Ich habe einiges auf dem Herzen. Sie kennen mich zumindest aus meinen Arbeiten genügend um zu wissen dass ich die Beweggründe zu Ihrer politischen Stellungnahme verstehen kann. Aber es würde mich doch sehr schmerzen, gerade weil Sie mich und einige meinesgleichen kennen, gerade weil ich Ihrer Einsicht zum guten Teil meine wissenschaftliche Existenz verdanke, wenn Sie mir das Recht ein Deutscher zu sein absprechen wollten. Das hätte ich gern mündlich geklärt.Footnote 91

Als Auerbach diesen Brief geschrieben hat, hat Rothacker nicht nur öffentlich für die NSDAP Partei ergriffen, sondern es ist auch sein eingangs dieses Aufsatzes zitiertes Sammelreferat in der DVjs erschienen, in dem er den Juden die Teilhabe am deutschen Nationalcharakter abspricht. Der Ton, in den Auerbach am Schluss des Briefes wechselt, zeigt, dass er sich als jüdischer Deutscher persönlich von Rothacker angegriffen fühlt. Dies scheint noch durch etwas anderes begründet zu sein als durch Rothackers öffentliche Stellungnahme für die NSDAP, für deren Beweggründe Auerbach sogar Verständnis zu haben vorgibt (woran dieses in seinen Arbeiten festzumachen sein soll, führt er nicht aus, sodass die Briefstelle rätselhaft bleibt, zumal Auerbach seinem Cousin Binswanger auch schon seine Missbilligung über Rothackers politische Stellungnahme kommuniziert hat). Wie oben bereits zu sehen war, ist Auerbach Abonnent der DVjs gewesen und hat gelesen, was Rothacker geschrieben hat.Footnote 92 Daher muss das Sammelreferat auf jeden Fall auch als ein Bezugspunkt für seine Kritik an Rothackers Antisemitismus in Betracht gezogen werden. Diese Worte in der DVjs, der Zeitschrift, die er von allen am meisten schätzte und die ihm gerade am Beginn seiner Karriere ein wichtiges Forum für seine Arbeiten geboten hat,Footnote 93 scheinen ihn besonders getroffen haben.

Zu einer Aussprache ist es zwischen Rothacker und Auerbach nicht mehr gekommen.Footnote 94 Was folgte, ist so weit bekannt: Rothacker ist am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten, für kurze Zeit ist er im Propagandaministerium als Leiter der Abteilung Volksbildung tätig gewesen und hat sich für eine »nationalsozialistische Kulturpolitik«Footnote 95 eingesetzt, die die »Volk-« und »Deutschwerdung« als ihre wichtigsten Aufgaben verstand.Footnote 96 Mit seinen kultur- und wissenschaftspolitischen Vorstellungen hat sich Rothacker im Kompetenzgerangel der NS-Ministerien letztlich nicht durchsetzen können, ohne dass er darüber seine grundsätzliche Überzeugung vom Nationalsozialismus aufgegeben hätte. Seine 1934 veröffentlichte Geschichtsphilosophie mündet in einer Apotheose des »großen Staatsmanns Adolf Hitler«Footnote 97. Zwischen der »Rasseidee«Footnote 98 und den Ideen zu einer nationalpolitischen Erziehung, denen sein Hauptaugenmerk gilt, sieht er ein »Ergänzungsverhältnis«Footnote 99. In den vorbereitenden Notizen zur Geschichtsphilosophie findet sich auch eine Rechtfertigung der antisemitischen Politik des NS, insofern »Zugehörigkeiten zu jüdischer Religionsgemeinschaft und Rasse […] eine gewisse kulturelle Gefahr [bedeuten]. Als en bloc Sicherungsmaßnahme ist die Fernhaltung der Gefahr und die Förderung des einheimischen an Zuverlässigkeit gar nicht zu übertreffen.«Footnote 100 Wenngleich diese Sätze letztlich nicht veröffentlicht wurden, kann man bei Rothacker von einem grundsätzlichen Einverständnis mit der antisemitischen Politik der nationalsozialistischen Machthaber ausgehen, wenn er auch in einem Schreiben an Hans Pfundtner, Staatssekretär im Reichsinnenministerium, vom März 1934 zur Vorsicht bei weiteren Säuberungsmaßnahmen an der Universität rät, um nicht solcher Kräfte verlustig zu gehen, die sich für den »Fortgang unserer Wissenschaften« als unentbehrlich erweisen könnten.Footnote 101

Was die DVjs betrifft,Footnote 102 schreibt Rothacker im Frühjahr 1933 an Kluckhohn: »Wir werden in Zukunft weniger jüdische Arbeiten nehmen müssen. Bisher hatten wir ein gutes Recht zu sagen, wir drucken für Gelehrte u bringen schlechthin das Beste. Das wird aber nicht mehr so ohne weiteres gehen heute.«Footnote 103 Dies scheint in Widerspruch mit den vielen Beiträgen jüdischer Autoren in den Jahrgängen 1933/34 zu stehen, deren beachtliche Zahl sich allerdings etwas relativiert angesichts der Tatsache, dass die Manuskripte größtenteils bereits vor 1933 eingereicht und angenommen wurden. Rothacker zeigt sich aber auch im Herbst 1933 einverstanden mit einem neuen Angebot des Kunsthistorikers Nikolaus Pevsner, obwohl dieser »gleichgeschaltet«Footnote 104 sei. »Pevsner ist wie du wissen wirst in Göttingen verabschiedet worden. Ich denke aber, dass wir uns dadurch nicht abhalten lassen den Beitrag zu drucken. Angenehm ist es eigentlich nicht.«Footnote 105 »Selbstverständlich bringen wir Pevsner«,Footnote 106 kommentiert Kluckhohn. Der Beitrag ist 1934 erschienen.Footnote 107 Pevsner, mittlerweile im englischen Exil, ist auch 1935 noch einmal mit zwei Aufsatz-Angeboten an die DVjs herangetreten; um sich nicht zu sehr mit jüdischen Beiträgern zu exponieren, schlug Kluckhohn ihm, mit Zustimmung Rothackers, vor, die beiden Aufsätze in einen Aufsatz zu integrieren, der 1936 erschienen ist.Footnote 108

Grundsätzlich findet sich dann also doch auch Rothacker in den ersten Jahren des NS noch dazu bereit, »Arbeiten von Juden zu bringen, wenn sie gut [sind]«Footnote 109. Im Frühjahr 1934 spricht er sich auch für die Annahme eines Beitrags des Germanisten Karl Viëtor aus, der mit einer Katholikin verheiratet war, die nach nazistischer Rassenlehre aber als jüdisch galt. Er äußert sogar so etwas wie Mitgefühl, das allerdings antisemitisch gewendet ist: »Wenn man weiß wie sehr er sich nach einem größeren Wirkungskreise gesehnt hat und wie nahe er in Breslau usw. dem Ziel war, ist es eine tragische Sache, dass er sich jetzt gewissermaßen lebendig begraben weiss. Und das ist er ja auch tatsächlich mit dieser Frau. (Jüdin)«.Footnote 110 Nicht der nationalsozialistischen Politik, sondern der als »Jüdin« klassifizierten Ehefrau wird in diesen Formulierungen die Schuld gegeben, dass Viëtor keine Chance mehr habe, sich aus Gießen an eine andere deutsche Universität wegzubewerben.Footnote 111 Dieser verdrehten Logik bedient sich Rothacker auch im Falle des Romanisten Herbert Dieckmann (einem Habilitanden von Ernst Robert Curtius, mit dem Auerbach später in Istanbul zusammengetroffen ist):Footnote 112 Dieser sei an seiner »jüdische[n] Frau gescheitert«Footnote 113. Seinen Beitrag nimmt man auf Kluckhohns Anraten dennoch an, zumal das Thema, »Gentile und der Faschismus«,Footnote 114 »brennende Aktualität«Footnote 115 habe.Footnote 116 Im Sommer 1934 wäre Rothacker auch noch bereit gewesen, einen Nietzsche-Aufsatz von Karl Löwith, den er sehr schätzte, in die DVjs aufzunehmen.Footnote 117 Im Herbst meint er dann, dass Löwith nicht mehr tragbar sei, da er bei einer Tagung in Prag »politisch taktlos aufgetreten sein soll«Footnote 118. Als Löwith im Herbst 1938 noch einmal eine Postkarte aus dem japanischen Exil schickt und der DVjs eine philosophische Abhandlung anbietet, lehnt Rothacker ab, mit der Begründung, dass »eine Zeitschrift mitsamt Herausgebern und Verlegern gefährdet ist, wenn sie Arbeiten nicht genehmer Persönlichkeiten druckt. Dabei ist der Grad der Gefährdung nicht abzusehen.«Footnote 119

Der letzte Beitrag eines wegen seiner jüdischen Herkunft zwangsemeritierten Wissenschaftlers erscheint im Referatenheft des Jahres 1939, Willibald Gurlitts Bericht »Der gegenwärtige Stand der deutschen Musikwissenschaft«. Dieser Beitrag hat die Aufmerksamkeit der Zensurbehörden auf sich gezogen, das Rosenberg’sche Amt für Schrifttumspflege bedachte ihn mit einem negativen Gutachten.Footnote 120 Unter dem Strich sind es damit tatsächlich nur drei Beiträge von Wissenschaftlern jüdischer Herkunft, die nach 1934 noch in der DVjs publiziert wurden.Footnote 121 Beiträge von nach nationalsozialistischem Sprachgebrauch »jüdisch versippten« Wissenschaftlern hat man, trotz verschiedentlich geäußerter Bedenken, vereinzelt auch noch nach 1939 publiziert, so Oskar Walzels »Von Plotin, Proklos und Ficinus« (1941) und Friedrich Rankes Referat »Volkssagenforschung« (1941). Zu einer Fortsetzung seines Referats mochten die DVjs-Herausgeber Ranke dann aber doch nicht mehr auffordern, nachdem sie 1942 eine Verfügung gelesen hatten, dass Autoren, die emigriert und »jüdisch versippt sind, grundsätzlich auch in wiss. d. Zeitschriften nicht veröffentlicht werden dürfen«,Footnote 122 wenngleich Niemeyer meinte, dass man dies »[s]o kategorisch«Footnote 123 nicht nehmen müsse.

Die Einzelfalldiskussionen, die man bei Angeboten von jüdischen oder »jüdisch versippten« Beiträgern geführt hat, waren bestimmt davon, dass man Beiträge »bewerter [!] jüdischer Mitarbeiter«Footnote 124 nicht rundheraus zurückweisen wollte und zugleich bedacht darauf war, die Existenz der Zeitschrift nicht zu gefährden. Da es lange Zeit keine offiziellen Vorschriften gab, sondern man vielmehr ein »Feingefühl dafür […], was unerwünscht«Footnote 125 sei, erwartete, wurde je nach Fall abgewogen zwischen den Herausgebern und dem Verleger der DVjs. Hermann Niemeyer bittet erst im Herbst 1935 die Herausgeber, mit Beiträgen »›nichtarischer Verfasser‹ […] recht vorsichtig zu sein, da in letzter Zeit wieder verschärft von Schrifttumskammer auf Arier§ geachtet wird«Footnote 126, wobei er auf Rückfrage Kluckhohns erläutert, dass es offiziell einen solchen Paragraphen nicht gebe, er aber »ungeschrieben […] überall fetter als je«Footnote 127 stehe. Dabei war den Herausgebern und dem Verleger gar nicht immer klar, wer überhaupt eine jüdische Herkunft hatte, zuweilen wurde es am Namen festgemacht, so im Fall der Germanisten Kurt OppertFootnote 128 und Franz Heinrich Mautner, die beide in den vergangenen Jahren bereits Beiträge in der DVjs veröffentlicht hatten. Mautner machte Kluckhohn 1936 ein Angebot für die Buchreihe der DVjs mit einer Arbeit über »Lichtenbergs Geistesgeschichte bis zu seinem ersten Englandaufenthalt (1742-1775)«. Einer handschriftlichen Notiz auf dem Brief zufolge bittet Kluckhohn Niemeyer um Stellungnahme: »Von der Arbeit ist Gutes zu erwarten. Ich glaube, bin aber nicht ganz sicher, dass M. kein Arier ist.«Footnote 129 Niemeyer winkt ab, er befürchtet, dass

Mautner Jude ist. Mauthners mit h sind sicher Juden! Wir müssen doch vorsichtig sein. z. B. unterstützt die Forschungsgemeinschaft grundsätzlich keine Zeitschrift mehr, die Beiträge von Nichtariern aufnimmt. Und im Hinblick auf diese Tatsache möchte ich doch vorschlagen, in Zukunft sämtliche Mitherausgeber auf dem Titelblatt wegzulassen.Footnote 130

Ab dem Jahrgang 1937 erscheinen dann auch nur noch Kluckhohn und Rothacker als Herausgeber der Zeitschrift. In diesen Zusammenhang gehört aber auch, dass man, als absehbar war, dass die Notgemeinschaft keine Fördermittel für die DVjs über das Jahr 1936 hinaus bewilligen würde,Footnote 131 sich umso freier fühlte, den oben bereits erwähnten Beitrag des emigrierten Kunsthistorikers Nikolaus Pevsner zu bringen, den man vorher aus Vorsichtsgründen noch zurückgehalten hatte.

Es ist ein situatives Handeln mit Entscheidungen von Fall zu Fall, dass die Redaktionspolitik der DVjs mit Blick auf die Publikation von Texten jüdischer, zwangspensionierter oder -emigrierter Autoren prägt.Footnote 132 Dabei wurde man mit der Zeit und je mehr man sich überwacht fühlte – hierzu tat das negative Gutachten, das 1938 bei der Reichstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums über die DVjs erstellt wurde und ihr vorwarf, »sich bewusst und hermetisch gegen jeden Hauch der Gegenwart«Footnote 133 abzuschließen, sein Übriges – immer vorsichtiger, bis man nach der Publikation des Gurlitt-Referats 1939 gar keine Arbeiten jüdischer Verfasser mehr publizierte. Dies entspricht sicherlich nicht dem Ideal einer Zeitschrift, die um ihre Mitarbeiter kämpft, wie es Leo Spitzer vorschwebt.Footnote 134 Es ist eher eine Mixtur unterschiedlicher Motive: Widerstreben, die Zeitschrift »mit Volldampf gleich[zu]schalten«Footnote 135, Beharren auf sachlicher Wissenschaft gegenüber ›Konjunkturrittertum‹, zugleich begrenzte und punktuelle Offenheit für politisch ›Zeitgemäßes‹, darunter auch Völkisches, antisemitisches Ressentiment Rothackers, nationalkonservative Grundeinstellung, Vorsicht und Risikokalkül, was aus den Briefen im Redaktionsarchiv der DVjs zutage tritt. Gemischte Verhältnisse also, die dem entsprechen, was Auerbach in seinem im türkischen Exil entstandenen Mimesis-Buch allgemein für das Geschichtliche und speziell auch für »das Verhalten einzelner Menschen und Menschengruppen beim Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland« annimmt: »[D]as Geschichtliche enthält eine Fülle widersprechender Motive in jedem Einzelnen, ein Schwanken und zweideutiges Tasten bei den Gruppen«.Footnote 136

Auerbach war dem am 7. April 1933 erlassenen sog. »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«, auf dessen Grundlage jüdische Wissenschaftler*innen von den Universitäten in Deutschland ausgeschlossen wurden, noch nicht zum Opfer gefallen, da auf ihn die Ausnahmeregelung für Teilnehmer des I. Weltkriegs zutraf. Als diese 1935 wegfiel, wurde er »als jüdischer Beamter mit zwei rassisch-jüdischen Großeltern«Footnote 137 zu Beginn des Wintersemesters 1935/36 fristlos aus dem Dienst an der Universität Marburg entlassen. Er emigrierte 1936 mit seiner Familie in die Türkei, wo er an der Universität Istanbul die Nachfolge von Leo Spitzer antrat, der einen Ruf an die Johns Hopkins University im amerikanischen Baltimore annahm und sich für Auerbach eingesetzt hatte. Auerbach blieb insgesamt elf Jahre.Footnote 138 Außer drei RezensionenFootnote 139 hat er zwischen 1934 und 1945 keinen Aufsatz in einer deutschen Zeitschrift veröffentlicht. Im Jahr 1936 hätte er gerne noch einen Text in den Romanischen Forschungen publiziert, was letztlich an den Bedenken des Herausgebers Fritz Schalk scheiterte.Footnote 140 Der später in der Türkei geschriebene berühmte Aufsatz »Figura« erschien 1938 in der italienischen Zeitschrift Archivum Romanicum, die, bis zu ihrer Einstellung 1941, vielen deutschsprachigen Emigranten die Möglichkeit zur Publikation ihrer Texte bot. Nach dem Zweiten Weltkrieg wäre Auerbach gerne an eine Universität in Deutschland zurückgekehrt. Ein Ruf blieb aber aus. 1947 siedelte er in die USA über, wo er, über Stationen in State College, Pennsylvania, und Princeton, ab 1950 eine Professur in Yale innehatte.

Auerbach hat mit seinem 1946 erschienenen Mimesis-Buch viel Aufmerksamkeit in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erfahren. An dem Buch entzündete sich eine Grundsatzdiskussion um die Differenz zwischen historischer Literaturforschung einerseits und Werkimmanenz/New Criticism andererseits.Footnote 141 Die Bedeutung von Mimesis war auch den Herausgebern der DVjs, Rothacker, Kluckhohn und dem nach dem Krieg in die Redaktionsgeschäfte der Zeitschrift eingestiegenen germanistischen Mediävisten Hugo Kuhn, klar. Sie würdigten Mimesis, indem sie dem Buch eine der in der DVjs seltenen Einzelrezensionen zugestanden, die nur bei bedeutsamen Werken überhaupt infrage kamen; die Besprechung erschien 1950.Footnote 142 Davor hatte sich bereits Kluckhohn, der anders als Rothacker nicht Parteimitglied der NSDAP gewesen war und für damalige Verhältnisse als wenig belastet galt, an Auerbach gewandt, um ihn als Mitarbeiter der Zeitschrift wiederzugewinnen. Am 2. Mai 1949 schickte er ihm einen Prospekt, der die Wiedereröffnung der DVjs ankündigt. Seine Adresse habe er über den schweizerischen Verlag A. Francke, der ihm ein Rezensionsexemplar seines »wertvollen Mimesis-Buches« zugeschickt habe, in Erfahrung gebracht. Kluckhohn fährt fort:

Ich hatte Sie noch in Konstantinopel vermutet und freue mich sehr, nun wieder Verbindung mit Ihnen aufnehmen zu können nach einer so langen Zwischenzeit, die für uns alle nicht leicht war, für Sie aber wohl besonders schwer. Wie Sie aus dem beiliegenden Prospekt ersehen, ist die Deutsche Vierteljahrsschrift jetzt endlich wieder in Gang gekommen. Mit wievielen Schwierigkeiten und immer-neuen [!] Verzögerungen ich dabei zu kämpfen hatte, kann ich Ihnen dabei nicht einmal andeutungsweise sagen; ich müsste sonst Bogen füllen. Ich möchte Sie nun als ehemaligem Mitarbeiter der Zeitschrift bitten, ihr auch künftig treu zu bleiben und würde mich sehr freuen, wenn ich recht bald schon einen Beitrag aus Ihrer Feder bringen könnte.Footnote 143

Weder Auerbach noch Kluckhohn verlieren im Laufe ihres Briefwechsels weiter Worte über die NS-Vergangenheit, die Kluckhohn nicht beim Namen nennt, sondern nur indirekt als eine »so lange[] Zwischenzeit, die für uns alle nicht leicht war, für Sie aber wohl besonders schwer« paraphrasiert. Nach dem Krieg waren alle Opfer, nur unterschiedlich schwer – so problematisch diese Wirklichkeitsauffassung auch ist, hat sie Auerbach doch nicht davon abgehalten, freundlich zu antworten und sich prinzipiell zur Mitarbeit an der neu erstehenden DVjs bereitzuerklären. Kluckhohn muss allerdings noch anderthalb Jahre warten, bis er ein Manuskript von Auerbach zugeschickt bekommt. Im Dezember 1950 wird er ungeduldig. Seine Zeitschrift werde zwar mit Angeboten von Beiträgen überhäuft, »[a]ber es gibt wenige Gelehrte, an deren Mitarbeit mir so viel gelegen ist wie an dr [!] Ihren«Footnote 144. Auerbach bietet ihm daraufhin die deutsche Fassung eines Kapitels über Cervantes’ Don Quijote an, das er für die kurz vor dem Druck stehende spanische Ausgabe von Mimesis neu geschrieben hat. Kluckhohn nimmt freudig an: Mit »grossem Genuss«Footnote 145 hätten er und sein Mitherausgeber Kuhn das Manuskript gelesen und hielten es für ein »wichtiges Ergänzungskapitel«Footnote 146, über das die deutschen Leser von Mimesis sehr froh sein würden. Der Text erscheint noch 1951, im dritten Heft des Jahres.Footnote 147

Man könnte meinen, dass Rothacker nicht mehr Herausgeber der DVjs ist, so konsequent wird sein Name im Briefwechsel zwischen Kluckhohn und Auerbach ausgespart. Die Nachricht, die Rothacker Kluckhohn an Auerbach zu übermitteln bittet, richtet er nie aus: »Ich finde sein Mimesisbuch eines der schönsten Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Schreibe ihm das, wenn Du ihm einmal eine Nachricht gibst, bitte. Seine Mitarbeit wäre uns hochwillkommen. Da wir vor Jahrzehnten alles Mägliche [!] getan haben, ihn zu lancieren, hätte er aber ruhig einmal von sich hören lassen können! Psychologie des Emigranten!«Footnote 148 Den Grund, warum die Beziehung zwischen ihm und Auerbach abgebrochen ist, scheint Rothacker nicht mehr in Erinnerung zu haben. Die Kombination aus Unwillen, sich kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen, und der Tendenz, stattdessen lieber neue Ressentiments zu pflegen, kann als typisch für Rothacker angesehen werden.Footnote 149

Es ist nicht nur die Bekanntheit, die Auerbach nach dem Krieg zu einem begehrten Mitarbeiter der DVjs machte. Vielmehr gehört er zu einer Reihe von Emigrant*innen, an deren Mitwirkung man sehr interessiert war. Beiträge ehemaliger Mitarbeiter*innen der DVjs waren überaus willkommen, wie etwa aus dem Briefwechsel mit Käte Hamburger, aber auch mit dem oben erwähnten Franz H. Mautner hervorgeht.Footnote 150 Die beachtliche Zahl von Emigrant*innen unter den Beiträger*innen in den ersten Nachkriegsjahrgängen hatte einen erheblichen Anteil an der Internationalisierung der DVjs.Footnote 151 Diese galt sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus programmatischen Gründen als erstrebenswert. Sie signalisierte eine Relativierung des nationalen Moments, das für die Geistesgeschichte lange eine orientierende Größe war und während des Nationalsozialismus fließende Übergänge zu völkischen Positionen ermöglichte.Footnote 152 Die Themen und Probleme, mit denen sich Auerbach in der DVjs beschäftigt hat, übersteigen von Anfang an einen nationalen Rahmen. Die übernationale Ausrichtung ist dann in Mimesis zum literarhistorischen Programm geworden. Aber bereits in »Vico und Herder« (1932) stellt Auerbach positiv heraus, dass Vico eine nationale Verengung des Blicks fremd gewesen sei. Erst nach dem Krieg kann sich diese Position in der DVjs Geltung verschaffen.