For Georginna
Zusammenfassung
Durch seine Abhandlung Zur Kritik der Gewalt von 1921 ist Benjamin weithin als ein Denker des Rechts und der Gerechtigkeit bekannt. Die vorliegende Studie deckt die blinden Flecken der Debatte um Benjamins Gewalt-Kritik auf, indem sie diese innerhalb der Frühphase der Weimarer Republik — einer durch die politische Revolution von 1918/19 geprägten rechtskulturellen Sattelzeit — neu kontextuiert.
Abstract
Benjamin’s notion of law and justice is widely known through his essay On the Critique of Violence, written in 1921. The following study reveals the blind spots in the debate on Benjamin’s text by recontextualizing it within the early period of the Weimar Republic, a period of cultural transition spawned by the German revolution in 1918/19.
Literature
Walter Benjamin, Zur Kritik der Gewalt, Gesammelte Schriften, unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hrsg. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M. 1977, II/l, 179–203. Wörtliche Zitate daraus fortan unter der Sigle II nachgewiesen. Der Text ist erstmals erschienen in: Archiv für Sozialwis senschaft und Sozialpolitik Jg. 47, Heft 3, August 1921, 809–832.
Jacques Derrida, “Force of Law: ‚The Mystical Foundation of Authority’”, in: Drucilla Cornell et al (Hrsg.), Deconstruction and The Possibility of Justice, New York, London 1991, 3–67. Dt.: Gesetzeskraft. Der mystische Grund von Autorität, Frankfurt a.M. 1991.
Vgl. den im Suhrkamp-Verlag erschienenen Aufsatzband zu Benjamins und Derridas Rechtskritiken: Anselm Haverkamp (Hrsg.), Gewalt und Gerechtigkeit. Derrida-Benjamin, Frankfurt a.M. 1994.
Echos auf Derridas Lektüre finden sich vor allem bei Bettine Menke, „Benjamin vor dem Gesetz: Zur Kritik der Gewalt in der Lektüre Derridas”, in: Haverkamp (Anm. 3), 217–275
Christoph Menke, „Für eine Politik der Dekonstruktion. Jacques Derrida über Recht und Gerechtigkeit”, in: ebd., 279–286
Dominick La Capra, „Gewalt, Gerechtigkeit und Gesetzeskraft”, in: ebd., 143–161
Anselm Haverkamp, „Ein unabwerfbarer Schatten: Gewalt und Trauer in Benjamins Zur Kritik der Gewalt”, in: ebd., 162–184 au]4d_Samuel Weber, „Dekonstruktion vor dem Namen: Einige vorläufige Bemerkungen zu Dekonstruktion und Gewalt”, in: ebd., 185–195 au]4e_Rudolphe Gasché, „Über Kritik, Hyperkritik und Dekonstruktion: Der Fall Benjamin”, in: ebd., 196–215.
Zum Begriff des „reinen Mittels” in Benjamins Gewalt-Aufsatz vgl. Werner Hamacher, „Afformativ, Streik”, in: Christian L. Haart Nibbrig (Hrsg.), Was heißt „Darstellen”?, Frankfurt a.M. 1994, 340–375.
Hierzu grundlegend Jacques Derrida, „Kraft und Bedeutung”, in: ders., Die Schrift und die Differenz, 5. Aufl., Frankfurt a.M. 1992, 9–53.
Zum Begriff der Sattelzeit siehe Reinhart Koselleck, „‚Erfahrungsraum’ und ‚Erwartungshorizont’ — zwei historische Kategorien”, in: ders., Vergangene Zukunft, Frankfurt a.M. 1979, 349–375.
Vgl. dazu die beiden Abhandlungen, die vor kurzem in dieser Zeitschrift zur aktuellen Debatte beigetragen wurden: Walter Haug, „Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft?”, DVjs 73 (1999), 69–93
Gerhart v. Graevenitz, „Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaften. Eine Erwiderung”, DVjs 73 (1999), 94–115.
Friedrich A. Kittler, Aufschreibesysteme 1800/1900, 3. Aufl., München 1995. Vgl. die Beschreibung des diskursanalytischen Ansatzes und seines expliziten Anschlusses an Foucault, die Kittler im Nachwort zur ersten Auflage seiner Aufschreibesysteme gibt (ebd., 519–522).
Vgl. hierzu Manfred Frank, „Zum Diskursbegriff bei Foucault”, in: Jürgen Fohrmann, Harro Müller (Hrsg.), Diskurstheorien und Literaturwissenschaft, Frankfurt a.M. 1988, 25–44, hier: 41.
Vgl. dazu Ernst-Wolfgang Böckenförde, „Der Zusammenbruch der Monarchie und die Entstehung der Weimarer Republik”, in: ders., Recht, Freiheit, Staat. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt a.M. 1991, 306–343.
Hierzu siehe Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Berlin 1921 (1. Aufl., Heidelberg 1900), 18. Kap. „Die Funktionen des Staates”, 595ff., hier: 606ff.
Vgl. Heinrich Rosin, Das Polizeiverordnungsrecht in Preußen, verwaltungsrechtlich entwickelt und dargestellt, 2. neubearb. Auflage, Berlin 1895 (Erstauflage Breslau 1882), 38.
Vgl. dazu Ulla Held-Daab, Das freie Ermessen. Von den vorkonstitutionellen Wurzeln zur positivistischen Auflösung der Ermessenslehre, Berlin 1996, 13ff.
Auch in Hegels Begriff der Polizei im Kontext seiner Theorie der bürgerlichen Gesellschaft liegt der Akzent auf dem Aspekt der Wohlfahrt und Daseinsvorsorge, vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke, hrsg. Klaus-Markus Michel und Eva Moldenhauer, VII, Frankfurt a.M. 1986, 382ff.
Vgl. Lorenz v. Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Kap. „Das System der Verfassung”, Stuttgart 1876 (Erstauflage 1870), 16ff.; ferner Otto Bahr, Der Rechtsstaat. Eine publicistische Skizze, Göttingen 1864.
Hierzu siehe Barbara Remitiert, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Grundlagen des Übermaßverbotes, Heidelberg 1995, 170.
Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Tübingen 1923, Vorrede zur zweiten Auflage, X.
Vgl. dazu Manfred Gangl, „Mythos der Gewalt und Gewalt des Mythos: Georges Sorels Einfluß auf rechte und linke Intellektuelle der Weimarer Republik”, in: Manfred Gangl, George Raulet (Hrsg.), Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Zur politischen Kultur einer Gemengelage, Darmstadt 1994, 171–197.
Kurt Tucholsky, Die Ämter, Gesammelte Werke, hrsg. Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz, 1921–1924, III, 165.
Benjamin II, 191 (Anm. 2); zu Benjamins Verhältnis zu Unger siehe ferner Benjamins Brief an Gershom Scholem vom 21. 1. 1921 (Walter Benjamin, Gesammelte Briefe, hrsg. Christoph Gödde und Henri Lonitz, Frankfurt a.M. 1996, II: 1919–1924, 126–132), sowie Manfred Voigts, „Walter Benjamin und Erich Unger. Eine jüdische Konstellation”, in: Klaus Garber, Ludger Rehm (Hrsg.), global benjamin, II, München 1999, 839–855.
Kurt Hiller, Ein Deutsches Herrenhaus, in: ders. (Hrsg.), Tätiger Geistl Zweites der Ziel-Jahrbücher, München 1918, 379–425, hier: 394.
Vgl. dazu Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi, „Die nationale Frage”, in: Hiller (Hrsg.), Geistige Politik! Fünftes der Ziel-Jahrbücher, Leipzig, Wien 1924, 20–29, dort die Unterscheidung zwischen der Nation als „ß/wfcgemeinschaft” und als „Geistes-gemeinschaft” (ebd., 21, Hervorhebung im Original).
Frank Thies, Das Gesicht des Jahrhunderts. Briefe an Zeitgenossen, Stuttgart 1923, 72.
Neben Kelsen ist hier Gustav Radbruch zu erwähnen. Zu Radbruchs Demokratiebegriff vgl. Klaus Adomeit, „Gustav Radbruch — zum 50. Todestag”, Neue Juristische Wochenschrift 47 (1999), 3465–3468, hier: 3467.
Hermann Heller, „Die Krise der Staatslehre”, in: ders., Gesammelte Werke, II: Recht, Macht, Staat, hrsg. Christoph Müller, 2. Auflage, durchgesehen und um ein Nachwort erweitert, Tübingen 1992 (Erstveröffentlichung 1926), 23.
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Garloff, P. Monarchie, Demokratie, Dekonstruktion Eine kulturwissenschaftliche Neulektüre von Benjamins Zur Kritik der Gewalt. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 75, 329–359 (2001). https://doi.org/10.1007/BF03374650
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF03374650