Wissenschaft und Politik sind zwei Bereiche, deren Verhältnis im 20. Jahrhundert oft im Modus des Normativen gedacht wurde. Seit Max Webers berühmtem Vortrag Wissenschaft als Beruf (1917) hat sich die Ansicht etabliert, dass Wissenschaftler*innen der Politik keine Handlungsanweisungen erteilen können und Politiker*innen der Wissenschaft keine Vorgaben machen sollen. Diese normative Grenze zwischen Wissenschaft und Politik – und der mit ihr einhergehende Autonomieanspruch der Wissenschaft – ist aber nicht nur historisch spezifisch in die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts eingeschrieben und damit verhältnismäßig jung, sie ist seit ihrer Ziehung auch so oft überschritten worden (Shapin 2019), dass ihre Aufrechterhaltung eher die Ausnahme als die Regel zu bilden scheint.

Zwar wurde Webers Trennung in der historischen Forschung schon öfters hinterfragt, und es entstanden Perspektiven und Konzepte, die den historischen Verflechtungen von Wissenschaft und Politik Rechnung tragen. Zu nennen sind etwa der Fokus auf die „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ und die Rolle von Expert*innen im Zuge der Entstehung und Konsolidierung des Sozialstaates (Raphael 1996), der Vorschlag, Politik und Wissenschaft als „Ressourcen für einander“ zu untersuchen (Ash 2002; 2010) oder Volker Roelckes (2010) Plädoyer für eine historisch-politische Epistemologie, in der die politische Dimension systematisch in die historische Untersuchung der Wissensproduktion integriert wird. Im Fokus standen dabei aber zumeist die Schnittstellen von staatlichem Regieren und wissenschaftlichem Wissen – in Form von staatlicher Forschungsförderung bis hin zur wissenschaftlichen Fundierung von Regierungswissen.

Demgegenüber beleuchtet unsere Special Section einen Aspekt des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik, der bisher noch wenig behandelt wurde: den gesellschaftlichen und politischen Aktivismus von Wissenschaftler*innen selbst. Im Vordergrund steht somit nicht die Frage, wie wissenschaftliche Forschung, etwa durch staatliche Institutionen oder Auftragsforschung, eine politische Prägung erfuhr oder wie wissenschaftliche Ergebnisse, etwa als Beratung oder Expertise, von politischen Entscheidungsträger*innen aufgegriffen wurden, sondern wie und unter welchen Bedingungen sich Wissenschaftler*innen auf Basis ihres spezifischen Wissens und ihrer Forschung gesellschaftlich engagierten und auf diese Weise als Akteur*innen in öffentlichen Debatten und politischen Auseinandersetzungen auftauchten.

Bislang wurden politisch involvierte Wissenschaftler*innen vorwiegend in zwei Rollenmustern beschrieben: als beratende Experten (Fisch & Rudloff 2004; Bogner & Torgersen 2005) oder als das Zeitgeschehen kommentierende Intellektuelle (Geppert & Hacke 2008; Kroll & Reitz 2013; Liebold & Schale 2017; Schildt 2020), kaum aber als selbst politisch aktive, das heißt aktiv gesellschaftliche Prozesse gestaltende Akteur*innen. Die historische Expertenforschung beschäftigt sich vor allem damit, wie wissenschaftliche Expertisen politische Entscheidungsfindungsprozesse prägten und inwiefern sich dabei zwischen Politik und Wissenschaft Ressourcenverhältnisse etablierten, die auch zu einer Politisierung von Wissenschaft im Dienste staatlicher Zwecke geführt haben (Ash 2002; Jasanoff 1998; Szöllösi-Janze 2004; Sala 2017; Weingart 2001). Die Rolle von „Expert*innen“ wird in dieser Perspektive in der Regel so verstanden, dass sie erst aufgrund eines spezifischen Auftrags von politischer, das heißt hier zumeist staatlicher Seite aktiv werden. Die historische Intellektuellenforschung wiederum weist nicht nur eine disziplinäre Engführung auf – Intellektuelle sind hier zuallermeist Geisteswissenschaftler*innen. Sie kommt auch zu dem Schluss, dass die Figur des öffentlichen Intellektuellen, der das Ganze der Welt in den Blick zu nehmen versteht, seit etwa den 1980er Jahren im Niedergang begriffen sei (Posner 2003). Für viele Aktivitäten von Wissenschaftler*innen, wie sie sich insbesondere seit den 1960er Jahren in Formen eines politischen oder gesellschaftlichen Aktivismus beobachten lassen, scheint aber weder die Form staatlicher Expertengremien noch die Rolle des kritischen Intellektuellen eine angemessene Beschreibung darzustellen. In einer historischen Analyse des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik, so die Ausgangsüberlegung dieser Special Section, wäre hingegen in den Blick zu nehmen, dass und auf welche Weise sich Wissenschaftler*innen als Wissenschaftler*innen politisch engagierten. Im Zentrum steht damit nicht mehr die Ebene der Produktion und Zirkulation von Theorien und Konzepten in die Bereiche politischer Entscheidungsfindung, sondern das Agieren einzelner Wissenschaftler*innen in gesellschaftspolitischer Absicht.

Auf dieses eigenständige Aktivwerden von Wissenschaftler*innen bezieht sich der Begriff des scientific political activism. Unter politischem Aktivismus lässt sich ein zielgerichtetes Handeln außerhalb der institutionalisierten politischen Prozesse verstehen, das auf eine gesellschaftspolitische Gestaltung oder das Beheben von wahrgenommenen Missständen abzielt. Die Gestaltungsabsicht kann sich dabei auf radikale Veränderungen beziehen, aber auch auf eine Abwehr von gesellschaftlichem Wandel sowie auf inkrementelle Reformen und ein pragmatisches Lösen von Problemen. In einem so breit verstandenen Sinn beschränkt sich scientific political activism nicht auf ein Engagement von Wissenschaftler*innen in sozialen Bewegungen (Martin 2007) oder auf alternative Formen der Wissensproduktion, wie sie etwa im zeitgenössischen Begriff des „Gegenwissens“ zusammengefasst wurden (siehe insbesondere die Special Section in diesem Heft). Vielmehr fokussiert der Begriff auf unterschiedlichste Formen der gesellschaftspolitischen Intervention von Wissenschaftler*innen, innerhalb und außerhalb von politischen Strömungen, in herrschaftskritischer wie in herrschaftsstabilisierender Absicht, in Verbindung mit grassroots movements oder aus einer Establishment-Perspektive. Charakteristisch für den wissenschaftlichen politischen Aktivismus ist die Art und Weise, wie er gesellschaftspolitische Wirkungen zu entfalten sucht, nämlich unter Berufung auf wissenschaftliche Autorität sowie unter Einsatz von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Theorien, Konzepten und Techniken. Diese Mobilisierung von Wissenschaft als politische Strategie soll mit dem Begriff des scientific political activism in den Blick genommen werden.

Ein solcher Aktivismus von Wissenschaftler*innen lässt sich im 20. Jahrhundert in unterschiedlichen historischen Phasen beobachten. Zu denken ist hier etwa an jene Anthropolog*innen und Genetiker*innen, die in den 1930er Jahren öffentlich gegen den wissenschaftlich „legitimierten“ Rassismus in Nazideutschland Stellung bezogen (Barkan 1992; Lipphardt 2008), oder an das Engagement von Physiker*innen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg für eine Politik der Abrüstung stark machten (Kraft & Sachse 2019; Oreskes et al. 2014). Als besonders förderlich für einen politischen Aktivismus von wissenschaftlicher Seite erwiesen sich jedoch die drei Jahrzehnte seit den 1960er Jahren, als sowohl neue Artikulationen des Politischen als auch neue Formen der Wissensproduktion entstanden. Die Special Section nimmt deshalb diese von gesellschaftlichen Umbrüchen geprägte Zeit zwischen den 1960er und 1980er Jahren in den Blick, in welcher der scientific political activism eine Hochkonjunktur erlebte und neue Ausprägungen erfuhr.

Zu Beginn dieser drei Jahrzehnte zeichnete sich eine solche Hochkonjunktur noch keineswegs ab. In vielen Bereichen, so insbesondere in den Sozialwissenschaften, schuf der Kalte Krieg Anreize, sich der politischen Einmischung zu enthalten und stattdessen die Fahne der wissenschaftlichen Unabhängigkeit und Objektivität hoch zu halten (Solovey & Cravens 2012). Zwar lässt sich dieses Pochen auf Wertfreiheit und politische Neutralität selbst als politischer Akt verstehen, der darauf abzielte, der „totalitären Bedrohung“ Werte wie „Wissenschaftsfreiheit“ und „Objektivität“ entgegenzusetzen (Selya 2012; Wolfe 2018). Gerade der Typus des „reinen“ und unpolitischen Wissenschaftlers, den die antikommunistische Agenda legitimierte und befestigte (Reisch 2005), erschwerte aber ein eigenständiges politisches Engagement von Wissenschaftler*innen ausserhalb der staatlich erwünschten Rollen und Funktionen.

Im Kalten Krieg wurden jedoch auch jene Infrastrukturen geschaffen, die es ermöglichten, dass Universitäten seit den 1960er Jahren zu Schauplätzen eines medial breit wahrgenommenen politischen Aktivismus wurden. Da Wissenschaft und Technologie Schlüsselrollen im Systemkonflikt spielten, setzte ein beispielloser Ausbau von Universitäten und Forschungseinrichtungen ein. In Ländern wie den USA, Westdeutschland und Frankreich erhöhte sich die Anzahl von Studierenden zwischen 1955 und 1965 um mehr als das Doppelte (Suri 2003: 269). Im Jahr 1961 kürte das Time Magazine fünfzehn US-amerikanische Wissenschaftler zu den „Männern des Jahres“. Die Cover-Story behauptete, dass 90 Prozent aller Wissenschaftler*innen in der Weltgeschichte gegenwärtig leben würden, und sie erklärte Wissenschaftler*innen zur wichtigsten Berufsgruppe der Welt, deren Bedeutung noch weiter steigen werde (Time Magazine 1961). Damit lässt sich ein Faktor benennen, der die öffentliche Sichtbarkeit und das gesellschaftliche Engagement von Wissenschaftler*innen begünstigte: In der Nachkriegszeit nahm nicht nur ihre Anzahl massiv zu, sondern die explodierenden Studierendenzahlen und der enorme Prestigegewinn der Wissenschaft in der Öffentlichkeit führten auch dazu, dass Wissenschaftler*innen potentiell ein bedeutend größeres Publikum erreichten.

Des Weiteren trugen spezifische politische und kulturelle Strömungen seit den 1960er Jahren dazu bei, dass sich Wissenschaftler*innen vermehrt politisch engagierten. Wesentlich waren hier nicht nur die Herausbildung einer internationalen Counterculture und die Entstehung vielfältiger Protestbewegungen, die sich gegen die dominante Kultur des Kalten Krieges auflehnten, sondern auch die Gründung von Thinktanks oder NGOs, die der Regierungspolitik zugrundeliegende Expertisen aufgrund von eigener Forschung kritisch beleuchteten (Suri 2009; Pestre 2015). Die damit einhergehende „Ausweitung und Vervielfältigung des Politischen“ (Ash 2010: 44) machte auch vor den Wissenschaften und der Rolle von Wissenschaftler*innen in der Gesellschaft nicht halt. In die Kritik geriet dabei nicht zuletzt ein Wissenschaftsestablishment, dem nun die Mitarbeit in Regierungsgremien, ihre Rolle in den stark expandierenden Staatsbürokratien oder ein Festhalten an akademischen Hierarchien vorgeworfen wurde. Der liberale Nachkriegskonsens, die Wissenschaft als Garant von Freiheit und Demokratie hochzuhalten, sowie die technokratisch-szientistische Vorstellung von Fortschritt durch rationales Regieren wurden dabei von unterschiedlichen politischen Richtungen kritisiert: von der Neuen Linken und Neuen Sozialen Bewegungen wie der Umweltbewegung, aber mitunter auch von konservativen, neoliberalen oder neurechten Strömungen, die sich Ende der 1960er Jahre in vielen westlichen Ländern formierten und in den 1970er Jahren einen Aufschwung erfuhren (Sheldon 2018: 330–331; Stadler et al. 2021).

Insgesamt lässt sich also feststellen, dass die Produktion von Wissen selbst zu einem Gegenstand gesellschaftlicher Debatten und politischer Auseinandersetzungen avancierte (Ash 2010: 42–46; Leendertz 2012; Weingart 1983), was Gründungen von Thinktanks (Medvetz 2012) und privat finanzierten oder parteinahen Forschungseinrichtungen (Leggewie 1987) wie auch alternative Forschungszentren oder Science Shops beziehungsweise „Wissenschaftsläden“ ebenso zur Folge hatte wie eine rapide Vermehrung und Pluralisierung von Wissensfeldern innerhalb und außerhalb der Universitäten (Schregel 2018; Stadler et al. 2020). Auseinandersetzungen drehten sich etwa um Fragen des Umweltschutzes, neue wissenschaftlich-technologischen Entwicklungen oder die Rolle der Wissenschaft für militärische Zwecke (Frickel 2004; Schmalzer et al. 2018; Weingart 1983). Hinzu kamen Debatten über Geschlechtergleichstellung, Forschungen zu „Intelligenz“ und „Rasse“ und die damit einhergehende Kritik an der Politik der Chancengleichheit im Sozialstaat (Gould 1983), die soziobiologische Perspektive auf menschliche Natur und Verhaltensweisen (Milam 2019; Sarasin 2021: Kapitel 6), oder auch die Ausrichtung der Wissenschaftspolitik selbst (Leendertz 2013; Wehrs 2014; Stadler & Wulz 2020).

Deutlich wird, dass die Umbrüche von Gesellschaft und Politik seit den 1960er Jahren sowohl eine „Krise des Regierens“ bewirkten als auch eine Krise des Wissens und des Verstehens (Leendertz 2019). Die bisherigen Vorstellungen von Rationalität und Planbarkeit des gesellschaftlichen Lebens drohten zu erodieren, die gesellschaftlich relevante Wissensproduktion vervielfältigte sich und das Verständnis dessen, was den Bereich des Politischen und seiner Aktionsformen ausmachte, weitete sich aus. Als gesellschaftlich relevant galt nun nicht mehr vorwiegend jenes Wissen, das von technokratischen Experten kam, sondern Wissen wurde verstärkt zu einem Faktor gesellschaftlicher Aushandlungen und konnte aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen und politischen Perspektiven vorgebracht werden (Espahangizi & Wulz 2020). Diese Veränderung im Verhältnis von Wissen und Politik ist im Hinblick auf die finanziellen und disziplinären Strukturen analysiert worden (Graf 2017; Leendertz 2019). Bisher unterbelichtet blieb aber, dass diese Umbrüche auch spezifische Formen des Aktivismus ermöglichten, der von Wissenschaftler*innen selbst ausging. Anders als „Expert*innen“ fungierten sie nicht nur beratend im Zuge politischer Entscheidungsprozesse und anders als „Intellektuelle“ kommentierten sie nicht nur in humanistisch-universeller Manier das Geschehen. Vielmehr situierten sich diese Wissenschaftler*innen bewusst mit ihrem Wissen und ihrer Forschung in gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen und erarbeiteten damit wissenschaftliche Strategien zur Gestaltung gesellschaftlicher Entwicklungen.

Die Hochkonjunktur eines politischen Aktivismus von Wissenschaftler*innen wurde seit den 1960er Jahren darüber hinaus durch mediale Veränderungen begünstigt, die auch die „Medialisierung von Wissenschaft“ vorantrieb (Leendertz 2012; Weingart 2001): die zunehmende Bedeutung des Fernsehens für die Vermittlung von Wissenschaft, die Gründung neuer Zeitschriften im politisch linken wie rechten Spektrum, in denen Wissenschaftler*innen prominent als Autor*innen oder auch als Interview-Partner*innen auftraten, sowie generell ein populärwissenschaftlicher Boom seit den 1970er Jahren (Fahy & Lewenstein 2014). Die Auftrittsmöglichkeiten von Wissenschaftler*innen vervielfältigten sich und damit die Möglichkeiten, wissenschaftliche Positionen zum Teil gekoppelt mit gesellschaftspolitischen Implikationen oder auch expliziten politischen Vorschlägen an ein breites Publikum zu richten. Während die Pluralisierung der Medien- und Zeitschriftenlandschaft und insbesondere die vermehrte Sichtbarkeit von Wissenschaft in populären Medien Wissenschaftler*innen mitunter zu medialen Stars machen konnten, trug diese Entwicklung aber auch dazu bei, dass wissenschaftliche Einschätzungen nicht ausschließlich als unwidersprochene Expertise gelten konnten. Sichtbar wurde – durch vermehrte Zeitungs- wie Fernseh-Debatten – vielmehr die Umstrittenheit wissenschaftlicher Forschung und der aus ihr resultierenden Positionen (Erdur 2018; Hounshell & Halsmayer 2020; Milam 2019).

Seit den 1970er Jahren wie auch in der jüngeren Forschung lassen sich zwar Versuche beobachten, den hier thematisierten strukturellen Verschiebungen und die veränderte gesellschaftspolitische Rolle von Wissenschaftler*innen in der Öffentlichkeit mit neuen Begrifflichkeiten zu begegnen: So diagnostizierte etwa Michel Foucault als zeitgenössischer Beobachter 1976 das Auftauchen „spezifischer Intellektueller“, die mit ihren je spezifischen Kenntnissen, Arbeitsbedingungen und Positionen hegemoniale Wahrheits- und Machtgefüge hinterfragten (Foucault 2003). In der neueren Literatur wird auch systematisierend von „Expertenintellektuellen“ (Korom 2012) oder „Gegenexperten“ (Leendertz 2013: 360) gesprochen, wenn Wissenschaftler*innen ihre Positionen in Expertengremien, Thinktanks oder öffentlichen Debatten einbringen. Jenseits neuer Labels geht es uns in dieser Special Section aber darum, die konkreten Bedingungen, Kontexte, medialen Strategien und Praktiken zu untersuchen, die politisches Engagement von Wissenschaftler*innen seit den 1960er Jahren ermöglichten. Dabei geraten die vielfältigen Interaktionen zwischen dem Wissen von Wissenschaftler*innen und den heterogenen Erscheinungsformen des Politischen in den Blick.

Die Special Section versammelt drei Beiträge, die den (gesellschafts-)politischen Aktivismus von Wissenschaftler*innen in den 1960er bis 1980er Jahren anhand von Fallstudien in den Kontexten der USA, Großbritanniens und Westdeutschlands beleuchten. Thematisch weisen die Beiträge ein breites Spektrum auf. Marina Lienhard befasst sich mit einer spezifisch psychiatrischen Kritik an gesellschaftlichen Strukturen in den 1960er Jahren. Lukas Held untersucht, wie mit psychotechnischen Interventionen gesellschaftliche Konflikte in psychologisch lösbare Probleme überführt wurden. Anna Maria Schmidt beleuchtet die Debatten um die Gefahren der Gentechnologie und analysiert die strategische Mobilisierung von Wissenschaft als politisches Argument. In den Fokus geraten dabei vor allem drei Faktoren dieses politischen Engagements von Wissenschaftler*innen: die neuen Orte, an denen Wissenschaft entsteht (NGOs, alternative Zentren außerhalb etablierter Institutionen, Beratungsunternehmen), das neue Verständnis der wissenschaftlichen „persona“ als unternehmerischer Wissenschaftler (Shapin 2008) oder als Verkörperung alternativer Wissenskulturen (Kaiser & McCray 2016) sowie die medialen Strategien der Wissensproduktion und -vermittlung in einer Zeit konkurrierender Wissenssysteme (Inszenierungen des Wissens, Workshops, Trainingslager, Mobilisierung von wissenschaftlicher Autorität in Medien und öffentlichen Veranstaltungen).

Die hier versammelten Fallstudien beleuchten die gesellschaftspolitische Involviertheit von Wissenschaftler*innen seit den 1960er Jahren in westlichen Ländern. Darüber hinaus würden sich, wie neuere Forschung zeigt, auch Perspektiven auf gesellschaftspolitische Aktivitäten von Wissenschaftler*innen in ost- und südosteuropäischen Ländern (Bockman 2011; Cain et al. 2019) sowie in Bewegungen der Dekolonisation in den Ländern des Globalen Südens (Getachew 2019) lohnen. Mit dieser Special Section hoffen wir, zukünftige weitergehende Studien solcher unterschiedlichen, mitunter aber thematisch und personell verschränkten Entwicklungen von gleichermaßen politischem wie wissenschaftlichem Engagement anzuregen.