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Publicly Available Published by De Gruyter (A) August 26, 2017

Die Wahrheit der Kunst

  • Boris Groys
From the journal Paragrana

Abstract

Auf welche Weise kann Kunst die Welt, in der wir leben, beeinflussen? Es gibt im Wesentlichen zwei mögliche Antworten auf diese Frage. Die erste Antwort lautet: Kunst kann die Vorstellungskraft fesseln und das Bewusstsein der Menschen verändern. Die zweite Möglichkeit, die Welt durch Kunst zu verändern, besteht in der Produktion von Dingen. Kunst kann als Teil des Überbaus oder als Teil der materiellen Basis gesehen werden. Kunst kann als Ideologie oder als Technologie verstanden werden. Die Kunsttechnologie ist keine Technologie der Verbesserung und Ersetzung, sondern eine Technologie, die Reste der Vergangenheit in die Gegenwart bringt und Dinge der Gegenwart in die Zukunft. Traditionellerweise produzierten die Künstler ihre Werke in Abgeschlossenheit, entfernt vom Blick der Öffentlichkeit. Die Situation hat sich heute verändert. Die zeitgenössischen Künstler arbeiten mit dem Internet – und sie stellen ihre Arbeiten auch ins Internet. Kunst wird im Internet als spezifische Art von Aktivität präsentiert: als Dokumentation eines realen Arbeitsprozesses, der in der realen Offline-Welt stattfindet.

Die zentrale Frage, die es bezüglich der Kunst zu stellen gilt, ist diese: Ist Kunst in der Lage, ein Medium der Wahrheit zu sein? Diese Frage ist von zentraler Bedeutung für die Existenz und das Überleben von Kunst, denn wenn Kunst kein Medium der Wahrheit sein kann, dann ist sie nur eine Sache des Geschmacks. Man muss die Wahrheit akzeptieren, auch wenn sie einem nicht schmeckt. Aber wenn Kunst nur eine Sache des Geschmacks ist, dann wird der Kunstbetrachter wichtiger als der Kunstproduzent. In diesem Fall kann Kunst nur soziologisch oder in Begriffen des Kunstmarkts behandelt werden – sie besitzt dann keine Eigenständigkeit, keine Macht. Kunst wird dann nichts weiter sein als Design.

Nun gibt es verschiedene Wege, die beschritten werden können, um über Kunst als Medium der Wahrheit zu sprechen. Nehmen wir einen dieser Wege. Unsere Welt wird von großen Kollektiven dominiert: von Staaten, politischen Parteien, Unternehmen, der Gemeinde der Wissenschaftler etc. Im Inneren dieser Kollektive können die Individuen die Möglichkeiten und Beschränkungen ihres eigenen Handelns nicht erfahren – dieses Handeln wird durch das Handeln des Kollektivs geschluckt. Unser Kunstsystem basiert jedoch auf der Vorannahme, dass die Verantwortung dafür, dieses oder jenes individuelle Kunstobjekt herzustellen, bzw. dafür, diese oder jene künstlerische Handlung zu unternehmen, allein dem individuellen Künstler zuzuschreiben ist. Somit ist die Kunst in der Welt unserer Gegenwart das einzige anerkannte Feld persönlicher Verantwortlichkeit. Es gibt selbstverständlich ein nicht anerkanntes Feld persönlicher Verantwortlichkeit – das Feld der kriminellen Handlungen. Die Analogie zwischen der Kunst und dem Verbrechen hat eine lange Geschichte. Ich werde nicht auf sie eingehen. Ich möchte heute vielmehr die folgende Frage stellen: Bis zu welchem Grad und auf welche Weise können Individuen darauf hoffen, die Welt, in der sie leben, zu verändern? Betrachten wir nun einmal die Kunst als ein Feld, in dem Künstler die Versuche, die Welt zu verändern, regelmäßig unternehmen, und sehen wir uns einmal an, wie diese Versuche funktionieren. Im Rahmen dieses Textes bin ich weniger an den Ergebnissen dieser Versuche interessiert als an den Strategien, welche die Künstler verfolgen, um sie zu realisieren.

Wenn Künstler die Welt verändern wollen, dann stellt sich in der Tat die folgende Frage: Auf welche Weise kann Kunst die Welt, in der wir leben, beeinflussen? Es gibt im Wesentlichen zwei mögliche Antworten auf diese Frage. Die erste Antwort lautet: Kunst kann die Vorstellungskraft fesseln und das Bewusstsein der Menschen verändern. Wenn sich das Bewusstsein der Menschen verändert – dann werden die veränderten Menschen auch die Welt verändern, in der sie leben. Hier wird Kunst als eine Art Sprache verstanden, welche es den Künstlern ermöglicht, eine Botschaft auszusenden. Und diese Botschaft soll in die Seelen der Empfänger eindringen, ihre Sensibilität verändern, ihre Einstellungen, ihre Ethik. Nennen wir dies ein idealistisches Verständnis von Kunst – ähnlich unserem Verständnis von Religion und deren Einfluss auf die Welt. Um jedoch in der Lage sein zu können, eine Botschaft auszusenden, muss der Künstler oder die Künstlerin die Sprache teilen, die sein oder ihr Publikum spricht. Die Statuen in den antiken Tempeln wurden als Verkörperungen der Götter betrachtet: Sie wurden verehrt, man kniete vor ihnen bittend und betend nieder, man erwartete Hilfe von ihnen und fürchtete ihren Zorn und die drohende Bestrafung. Auf ähnliche Weise hat die Anbetung von Ikonen eine lange Geschichte innerhalb des Christentums – auch wenn man von Gott annimmt, er sei unsichtbar. Hier hatte die gemeinsame Sprache ihren Ursprung in der gemeinsamen religiösen Tradition.

Jedoch kann kein moderner Künstler erwarten, dass irgendwer vor seinem Werk im Gebet hinkniet, davon praktische Unterstützung erwartet oder es gebraucht, um Gefahr abzuwehren. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts diagnostizierte Hegel dieses Verschwinden eines allgemein vorauszusetzenden Glaubens an die körperliche, sichtbare Präsenz der Gottheiten als den Grund dafür, dass die Kunst ihre Wahrheit verliere: Nach Hegel wurde die Wahrheit der Kunst zu einer Sache der Vergangenheit. (Er spricht vom Bild-Denken der alten Religionen im Gegensatz zur Unsichtbarkeit des Rechts, der Vernunft, der Wissenschaft, welche die moderne Welt beherrschen.) Natürlich haben im Verlauf der Moderne viele moderne und zeitgenössische Künstler versucht, mittels politischen oder ideologischen Engagements der einen oder anderen Art eine gemeinsame Sprache mit ihrem Publikum wiederzugewinnen. Die Religionsgemeinschaft wurde so durch eine politische Bewegung ersetzt, an der Künstler ebenso wie ihr Publikum Anteil nahmen.

Jedoch, um politisch effektiv sein, um als politische Propaganda brauchbar zu sein, muss Kunst ihrem Publikum gefallen. Aber die Gemeinschaft, die darauf basiert, bestimmte künstlerische Projekte gut und gefällig zu finden, ist nicht unbedingt eine transformative Gemeinschaft – eine Gemeinschaft, die die Welt wirklich verändern kann. Wir wissen, dass, um wirklich für gut (innovativ, radikal, vorwärtsgewandt) befunden zu werden, die modernen Kunstwerke von ihren Zeitgenossen abgelehnt werden müssen – sonst geraten diese Kunstwerke unter den Verdacht, konventionell, banal, lediglich kommerziell orientiert zu sein. (Wir wissen, dass die politisch progressiven Bewegungen kulturell oft konservativ waren – und am Ende war es diese konservative Dimension, die den Sieg davontrug.) Das ist der Grund, warum die zeitgenössischen Künstler dem Geschmack der Öffentlichkeit misstrauen. Und eigentlich misstraut die zeitgenössische Öffentlichkeit selbst ebenfalls ihrem eigenen Geschmack. Wir tendieren dazu zu denken, dass die Tatsache, dass ein Kunstwerk uns gefällt, bedeutet, dieses Kunstwerk sei nicht wirklich gut – und dazu zu denken, dass die Tatsache, dass ein Kunstwerk uns nicht gefällt, bedeutet, dieses Kunstwerk müsse wirklich gut sein. Kazimir Malevich glaubte, dass der mächtigste Feind des Künstlers die Aufrichtigkeit sei: Die Künstler sollten nie das tun, was ihnen aufrichtig gefalle, denn aller Wahrscheinlichkeit nach gefalle ihnen etwas, das banal und künstlerisch irrelevant sei. In der Tat, die künstlerischen Avantgarden wollten nicht gefallen. Und – was noch wichtiger ist – sie wollten nicht „verstanden“ werden, sie wollten nicht die Sprache derer teilen, die ihr Publikum darstellten. Dementsprechend waren die Avantgarden angesichts der Möglichkeit, die Seelen der Öffentlichkeit zu beeinflussen und eine Gemeinschaft aufzubauen, deren Teil sie sein würden, extrem skeptisch.

An dieser Stelle kommt die zweite Möglichkeit, die Welt durch Kunst zu verändern, ins Spiel. Hier wird Kunst nicht als Produktion von Botschaften verstanden, sondern vielmehr als Produktion von Dingen. Auch wenn die Künstler und ihr Publikum miteinander keine gemeinsame Sprache teilen, so teilen sie miteinander doch die materielle Welt, in der sie leben. Als eine spezifische Art von Technologie hat Kunst nicht das Ziel, die Seelen der Betrachter zu verändern. Vielmehr verändert sie die Welt, in der diese Betrachter tatsächlich leben – und indem sie versuchen, sich den neuen Bedingungen ihrer Umgebung anzupassen, verändern sie ihre Sensibilitäten und Einstellungen. In marxistischen Begriffen gesprochen: Kunst kann als Teil des Überbaus oder als Teil der materiellen Basis gesehen werden. Oder, in anderen Worten, Kunst kann als Ideologie oder als Technologie verstanden werden. Die radikalen künstlerischen Avantgarden verfolgten diesen zweiten, technologischen Pfad der Welttransformation. Sie versuchten, neue Umgebungen zu schaffen, die die Menschen verändern würden, indem man sie in diese neuen Umgebungen versetzte. In seiner radikalsten Form wurde dieses Konzept von den Avantgarde-Bewegungen der 1920er Jahre verfolgt: der russische Konstruktivismus, Bauhaus, De Stijl. Die Kunst der Avantgarde wollte der Öffentlichkeit, so wie sie existierte, nicht gefallen. Die Avantgarde wollte eine neue Öffentlichkeit für ihre Kunst schaffen. In der Tat, wenn man in eine neue visuelle Umgebung versetzt wird, dann wird man nach und nach seine Sensibilität daran anpassen und irgendwann wird sie einem gefallen. (Der Eiffelturm ist ein gutes Beispiel.) Somit wollten also auch die Künstler der Avantgarde eine Gemeinschaft aufbauen – nur sahen sie sich selbst nicht als Teil dieser Gemeinschaft. Sie teilten die Welt mit ihrem Publikum – aber nicht die Sprache.

Natürlich war die historische Avantgarde selbst eine Reaktion auf die moderne Technologie, die unsere Umgebung grundlegend veränderte und dies auch heute weiter tut. Diese Reaktion war zweideutig. Die Künstler hatten eine gewisse Affinität zu der Künstlichkeit der neuen, technologischen Welt. Aber zugleich waren sie von der Ziellosigkeit und dem Fehlen eines letzten Zwecks als Charakteristika des technologischen Fortschritts irritiert. (Marshall McLuhan: Umzug vom Elfenbeinturm in den Kontrollturm.) Dieses Ziel wurde von der Avantgarde als die politisch und ästhetisch perfekte Gesellschaft verstanden – als die Utopie, wenn man dieses Wort immer noch gebrauchen will. Die Utopie bedeutet hier nichts anderes als den Endzustand der historischen Entwicklung – eine Gesellschaft, die keiner weiteren Veränderung mehr bedarf, die keinen weiteren Fortschritt mehr erfordert. Mit anderen Worten: die künstlerische Kollaboration verfolgte mit dem technologischen Fortschritt das Ziel, diesen Fortschritt zu beenden.

Dieser der Kunst inhärente Konservativismus – mag es auch ein revolutionärer Konservativismus sein – ist keineswegs zufällig. Daher: Was ist Kunst? Wenn Kunst eine Art Technologie ist, dann ist der künstlerische Gebrauch von Technologie anders als der nicht-künstlerische Gebrauch. Der technologische Fortschritt beruht auf der permanenten Ersetzung alter, obsoleter Dinge durch neue (bessere) Dinge. (Nicht Innovation, sondern Verbesserung – Innovation gibt es nur in der Kunst: schwarzes Quadrat.) Die Kunsttechnologie, im Gegensatz dazu, ist keine Technologie der Verbesserung und Ersetzung, sondern vielmehr eine der Bewahrung und Wiederherstellung – Technologie, die Reste der Vergangenheit in die Gegenwart bringt und Dinge der Gegenwart in die Zukunft. Martin Heidegger glaubte bekanntermaßen, dass die Wahrheit der Kunst auf diese Weise wiedergewonnen wird: Indem der technologische Fortschritt wenigstens für einen Moment angehalten wird, kann die Kunst die Wahrheit über die technologisch bestimmte Welt und das Schicksal der Menschen, die in dieser Welt leben, enthüllen. Jedoch glaubte Heidegger auch, dass diese Enthüllung wirklich nur momenthaft ist: Schon im nächsten Moment schließt sich die Welt, die durch das Kunstwerk geöffnet wurde, wieder – und das Kunstwerk wird ein gewöhnliches Ding, das von unseren Kunstinstitutionen als solches behandelt wird. Heidegger verwirft diesen profanen Aspekt des Kunstwerks als irrelevant für das essentielle, wahrhaft philosophische Verstehen der Kunst – denn für Heidegger ist der Betrachter und nicht der Kunsthändler oder Museumskurator das Subjekt eines solch essentiellen Verstehens.

Und in der Tat, auch wenn der Museumsbesucher die Kunstwerke isoliert vom profanen, praktischen Leben sieht, erfährt das Museumspersonal die Kunstwerke nie auf diese sakralisierte Weise. Das Museumspersonal kontempliert Kunstwerke nicht, sondern reguliert die Temperatur und den Grad der Luftfeuchtigkeit in den Museumsräumen, restauriert diese Kunstwerke, entfernt den Staub und den Dreck von ihnen. Im Umgang mit den Kunstwerken gibt es eine Perspektive des Museumsbesuchers – aber es gibt auch eine Perspektive der Putzfrau, die den musealen Raum reinigt, wie sie jeden anderen Raum auch reinigen würde. Die Technologien der Konservierung, der Restaurierung und der Ausstellung sind profane Technologien – auch wenn sie die Objekte ästhetischer Kontemplation produzieren. Es gibt ein profanes Leben im Museum – und es sind gerade dieses profane Leben und die profane Praxis, die es den Dingen im Museum erlauben, als ästhetische Objekte zu funktionieren.

Das Museum benötigt keine zusätzliche Profanisierung, keine zusätzliche Anstrengung, um die Kunst ins Leben oder das Leben in die Kunst zu bringen – das Museum ist bereits profan durch und durch. Das Museum, ebenso wie der Kunstmarkt, behandelt die Kunstwerke nicht als Botschaften, sondern als profane Dinge.

Für gewöhnlich ist dieses profane Leben der Kunst durch die Museumsmauern vor dem Blick der Öffentlichkeit geschützt. Natürlich hat die Kunst der historischen Avantgarde spätestens seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts versucht, die faktische, materielle, profane Dimension der Kunst zu thematisieren. Jedoch hat die Avantgarde auf ihrer Gralssuche nach dem Realen nie ganz Erfolg gehabt, da die Realität der Kunst und ihre materielle Seite, welche die Avantgarde zu thematisieren versuchte, permanent re-ästhetisiert wurden – standen doch jene Versuche der Thematisierung stets unter den Standardbedingungen der Kunstrepräsentation. Das Gleiche kann über die Institutionskritik gesagt werden, die ebenfalls versuchte, die profane, faktische Seite der Kunstinstitutionen zu thematisieren. Auch die Institutionskritik verblieb innerhalb der Kunstinstitutionen. Nun würde ich behaupten, dass sich diese Situation in den letzten Jahren verändert hat – was auf das Internet zurückzuführen ist und auf die Tatsache, dass das Internet die traditionellen Kunstinstitutionen als die Hauptplattform für die Produktion und Distribution von Kunst ersetzt hat. Das Internet thematisiert genau die profane Dimension von Kunst. Warum ist das so? Die Antwort darauf ist recht einfach: In unserer heutigen Welt ist das Internet zugleich der Ort der Kunstproduktion und der Kunstausstellung.

Traditionellerweise produzierten die Künstler ihre Werke in Abgeschlossenheit, entfernt vom Blick der Öffentlichkeit – im privaten Appartement oder Atelier. Diese Abwesenheit vom Blick der Öffentlichkeit ist konstitutiv für das, was wir den kreativen Prozess nennen – es ist in der Tat gerade das, was wir den kreativen Prozess nennen. André Breton erzählt eine Geschichte von einem französischen Dichter, der, immer wenn er schlafen ging, an seiner Tür ein Schild befestigte, das die Aufschrift trug: Seien Sie bitte leise – der Dichter arbeitet. Diese Anekdote fasst das traditionelle Verständnis kreativer Arbeit zusammen: Kreative Arbeit ist deshalb kreativ, weil sie jenseits der öffentlichen Kontrolle stattfindet – und sogar jenseits der bewussten Kontrolle des Autors. Diese Zeit der Absenz konnte Tage, Monate, Jahre dauern – ja sogar ein ganzes Leben lang. Nur am Ende dieser Periode der Absenz wurde vom Autor erwartet, eine Arbeit zu präsentieren (möglicherweise fand man sie posthum in seinen Tagebüchern), welche dann eben darum als kreativ akzeptiert wurde, weil sie quasi aus dem Nichts hervorzugehen schien. In anderen Worten ist die kreative Arbeit diejenige Arbeit, welche die Desynchronisierung der Arbeitszeit von der Zeit der Ausstellung der Resultate dieser Arbeit voraussetzt. Der Grund dafür ist nicht, dass die Künstler irgendwelche Verbrechen begangen haben oder dass sie irgendwelche schmutzigen Geheimnisse vor dem Blick der anderen verbergen wollen. Der Blick der anderen wird von uns nicht dann als böser Blick erfahren, wenn er unsere Geheimnisse durchdringen und transparent machen will (ein solcher durchdringender Blick ist vielmehr schmeichelhaft und aufregend) – sondern dann, wenn er uns jegliche Geheimnisse abspricht, wenn er uns auf das reduziert, was er sieht und registriert; wenn der Blick der anderen uns banalisiert und trivialisiert. (Sartre – die Hölle, das sind die anderen, der Blick der anderen verwehrt uns unser Vorhaben, Lacan – der Blick des anderen ist stets ein böser Blick.)

Die Situation hat sich heute verändert. Die zeitgenössischen Künstler arbeiten mit dem Internet – und sie stellen ihre Arbeiten auch ins Internet. Die Kunstwerke eines bestimmten Künstlers können im Internet gefunden werden, wenn ich den Namen dieses Künstlers google – und sie werden mir zusammen mit anderen Informationen gezeigt, die ich im Internet über diesen Künstler finde: Biographie, andere Arbeiten, politische Aktivitäten, Kritiken, Details aus dem persönlichen Leben etc. Hier meine ich nicht das fiktionale Autor-Subjekt, welches das Kunstwerk angeblich mit seinen Absichten und Bedeutungen auflädt, die hermeneutisch entziffert und enthüllt werden sollen. Dieses Autor-Subjekt wurde schon zahlreiche Male dekonstruiert und für tot erklärt. Ich meine die reale Person, die offline in der Realität existiert und auf die sich die Daten im Internet beziehen. Dieser Autor benutzt das Internet nicht nur, um Kunst zu produzieren – sondern auch um Tickets zu kaufen, Restaurantreservierungen zu tätigen, Geschäfte zu erledigen etc. All diese Aktivitäten finden im selben kontinuierlichen Raum des Internets statt – und sie alle sind anderen Internetnutzern potentiell zugänglich. Hier wird das Kunstwerk „real“ und profan, weil es in die Information über den Autor als reale, profane Person eingereiht wird. Kunst wird im Internet als spezifische Art von Aktivität präsentiert: als Dokumentation eines realen Arbeitsprozesses, der in der realen Offline-Welt stattfindet. In der Tat, im Internet operiert Kunst im gleichen Raum wie militärische Planung, das Tourismus-Geschäft, Kapitalströme etc.: Google zeigt uns, unter anderem, dass es im Raum des Internets keine Mauern gibt. Der Internetnutzer schaltet nicht vom alltäglichen Gebrauch der Dinge auf die desinteressierte Kontemplation von ihnen um – der Internetnutzer benutzt die Information über Kunst auf die gleiche Weise, in der er oder sie Information über alle anderen Dinge der Welt benutzt. Es ist so, als würden wir alle zum Personal des Museums oder der Galerie – indem Kunst explizit als eine solche dokumentiert wird, die im vereinigten Raum unserer profanen Aktivitäten stattfindet.

Das Wort Dokumentation ist hier entscheidend. Während der letzten Jahrzehnte ist die Dokumentation von Kunst mehr und mehr in die Kunstausstellungen und Kunstmuseen aufgenommen worden – Seite an Seite mit den traditionellen Kunstwerken. Aber diese Nachbarschaft schien stets höchst problematisch. Die Kunstwerke sind Kunst – sie stellen sich unmittelbar als Kunst dar. Sie können also bewundert werden, emotional erfahren werden etc. Aber die Dokumentation von Kunst ist nicht Kunst: Sie bezieht sich lediglich auf ein Kunstereignis oder auf eine Ausstellung oder auf eine Installation oder auf ein Projekt, von denen wir annehmen, sie hätten wirklich stattgefunden. Die Dokumentation von Kunst bezieht sich auf Kunst, aber sie ist keine Kunst. Darum kann die Dokumentation von Kunst neu formatiert, umgeschrieben, ausgedehnt, gekürzt etc. werden. Man kann all diese Operationen auf die Dokumentation von Kunst anwenden, was im Falle eines Kunstwerks nicht erlaubt wäre, da diese Operationen die Form des Kunstwerks verändern würden. Und die Form des Kunstwerks ist institutionell garantiert, da nur die Form die Reproduzierbarkeit und die Identität dieses Kunstwerks garantiert. Im Gegensatz dazu kann die Dokumentation nach Belieben verändert werden, da ihre Identität und Reproduzierbarkeit durch das externe Reale, worauf sie sich bezieht, garantiert werden und nicht durch ihre Form. Aber auch wenn das Auftreten der Dokumentation von Kunst dem Auftreten des Internets als eines künstlerischen Mediums vorhergeht, hat erst die Einführung des Internets der Dokumentation von Kunst ihren legitimen Platz gegeben. (Hier kann man sagen, wie Benjamin notierte: Montage in der Kunst und im Kino.)

Unterdessen fingen die Kunstinstitutionen selber an, das Internet als primären Ort ihrer Selbstdarstellung zu benutzen. Die Museen stellten ihre Sammlungen im Internet aus. Und natürlich sind die digitalen Depots, bestehend aus Bildern von Kunst, viel kompakter und billiger zu erhalten als traditionelle Kunstmuseen. Somit bekommen die Museen eine Möglichkeit, diejenigen Teile ihrer Sammlungen zu präsentieren, die normalerweise im Lager liegen. Das Gleiche kann über die Webseiten der individuellen Künstler gesagt werden – man kann dort die vollständigste Repräsentation dessen finden, was sie zur Zeit machen. Das ist es meist, was Künstler heutzutage einem Besucher ihres Ateliers zeigen – wenn man zu einem Atelier kommt, um die Arbeit eines bestimmten Künstlers oder einer bestimmten Künstlerin zu sehen, stellen diese für gewöhnlich einen Laptop auf den Tisch und zeigen die Dokumentation ihrer Aktivitäten, was die Produktion der Kunstwerke umfasst, aber auch die Teilnahme an Langzeitprojekten, an temporären Installationen, an urbanen Interventionen, an politischen Aktionen etc. Die eigentliche Arbeit eines zeitgenössischen Künstlers ist sein CV.

Selbstverständlich versuchen die Künstler wie andere Individuen und Organisationen, der totalen Sichtbarkeit zu entkommen, indem sie ausgefeilte Passwort- und Datenschutzsysteme schaffen. Heute ist die Subjektivität zu einer technischen Konstruktion geworden: Das zeitgenössische Subjekt ist dadurch definiert, Besitzer einer Reihe von Passwörtern zu sein, die er oder sie kennt – und die andere Menschen nicht kennen. Insofern ist das zeitgenössische Subjekt primär ein Wächter eines Geheimnisses. In gewisser Weise ist das eine sehr traditionelle Definition des Subjekts: Das Subjekt war immer dadurch definiert, dass es etwas über sich selbst wusste, das vielleicht nur Gott weiß, aber das andere Menschen nicht wissen können, da sie ontologisch daran gehindert sind, ‚die Gedanken von jemand anderem zu lesen‘. Jedoch haben wir es heute nicht mit ontologisch geschützten, sondern technisch geschützten Geheimnissen zu tun. Das Internet ist der Ort, an dem das Subjekt ursprünglich als transparentes, beobachtbares Subjekt konstituiert wird – welches erst in der Folge technisch geschützt wird, um das ursprünglich enthüllte Geheimnis zu verbergen. Jedoch kann jeder technische Schutz zerstört werden. Heute ist der Hermeneutiker zum Hacker geworden. Das heutige Internet ist Schauplatz von Cyber-Kriegen, in denen das Geheimnis die Beute des Siegers ist. Das Geheimnis zu kennen, bedeutet das Subjekt, das durch dieses Geheimnis konstituiert ist, der Kontrolle zu unterwerfen – die Cyber-Kriege sind die Kriege der Subjektivierung und Desubjektivierung. Aber diese Kriege können nur deshalb stattfinden, weil das Internet ursprünglich der Ort der Transparenz und der Bezugnahme ist. Das Internet kann als Ganzes durch den algorithmischen Blick gesehen wurden – man denke an Google oder die NSA.

Die Resultate der Überwachung werden von den Firmen, die das Internet kontrollieren, verkauft, da sie die Produktionsmittel besitzen, die materiell-technische Basis des Internets. Man sollte nicht vergessen, dass das Internet in Privatbesitz ist. Und der Profit wird meist mit gezielter Werbung gemacht. Hier haben wir es mit einem interessanten Phänomen zu tun: der Verwertung von Hermeneutik. Die klassische Hermeneutik, die nach dem Autor hinter der Arbeit fragte, wurde von den Theoretikern des Strukturalismus, des Close Reading etc. kritisiert, welche der Meinung waren, dass es keinen Sinn macht, ontologischen Geheimnisse nachzujagen, die per definitionem unzugänglich sind. Heute erlebt diese traditionelle Hermeneutik eine Wiedergeburt als Mittel einer zusätzlichen ökonomischen Ausbeutung der Subjekte, die im Internet operieren, wo alle Geheimnisse ursprünglich enthüllt werden. Das Subjekt ist hier nicht mehr hinter seiner oder ihrer Arbeit verborgen. Der Mehrwert, den ein solches Subjekt produziert und der von den Internetfirmen angeeignet wird, ist der hermeneutische Wert: Das Subjekt tut im Internet nicht nur einfach etwas, sondern es enthüllt sich auch als menschliches Wesen mit gewissen Interessen, Wünschen und Bedürfnissen. Die Verwertung der klassischen Hermeneutik ist einer der interessantesten Prozesse, mit denen man im Verlauf der letzten Jahrzehnte konfrontiert war. Der Künstler ist hier nicht als Produzent, sondern als Konsument interessant. Die künstlerische Produktion eines content providers ist nur ein Mittel, um sein zukünftiges Konsumverhalten zu antizipieren – und es ist allein diese Antizipation, die hier relevant ist, weil sie Profit bringt.

Jedoch taucht hier die folgende Frage auf: Wer ist der Betrachter des Internets? Das individuelle menschliche Wesen kann kein solcher Betrachter sein. Aber um das Internet zu betrachten, muss auch kein Gott bemüht werden – das Internet ist endlich. Eigentlich wissen wir, wer der Betrachter des Internets ist: Es ist ein Algorithmus – so wie die Algorithmen, die von Google oder der NSA benutzt werden.

Aber lassen Sie mich nun zu der ursprünglichen Frage nach der Wahrheit der Kunst zurückkehren – verstanden als Demonstration der Möglichkeiten und Beschränkungen individuellen Handelns in der Welt. Weiter oben habe ich die künstlerischen Strategien diskutiert, die entworfen wurden, um die Welt zu beeinflussen: durch Überzeugung oder durch Entgegenkommen. Beide Strategien setzen etwas voraus, was man einen Überschuss an Vision auf Seiten des Künstlers oder der Künstlerin nennen könnte – verglichen mit dem Horizont seines oder ihres Publikums. Der Künstler wurde traditionellerweise als außergewöhnliche Person betrachtet, die in der Lage war zu sehen, was das „durchschnittliche“, „normale“ Volk nicht sehen konnte. Dieser Überschuss an Vision sollte dem Publikum durch die Macht des Bilds oder durch die Kraft des technologischen Wandels kommuniziert werden. Jedoch ist unter den Bedingungen des Internets der Überschuss an Vision auf Seiten des algorithmischen Blicks – und nicht mehr auf Seiten des Künstlers. Dieser Blick sieht den Künstler – bleibt für ihn aber unsichtbar (zumindest solange der Künstler nicht damit beginnt, Algorithmen zu entwickeln –, das wird jedoch die künstlerische Tätigkeit ändern, weil diese Algorithmen unsichtbar sind – und lediglich Sichtbarkeit hervorbringen). Vielleicht können die Künstler immer noch mehr sehen als ein gewöhnliches menschliches Wesen – aber sie sehen weniger als der Algorithmus. Die Künstler verlieren ihre außergewöhnliche Position – aber dieser Verlust wird kompensiert: Anstatt außergewöhnlich zu sein, wird der Künstler paradigmatisch, beispielhaft, repräsentativ.

In der Tat führt das Aufkommen des Internets zu einer Explosion der künstlerischen Massenproduktion. Während der letzten Jahrzehnte breitete sich die künstlerische Praxis so weit aus wie ehemals nur die Religion oder die Politik. Heute leben wir eher in Zeiten der künstlerischen Massenproduktion als in Zeiten des künstlerischen Massenkonsums. Zeitgenössische Mittel der Bildproduktion, wie Photo- und Videokameras, sind relativ billig und universell zugänglich. Zeitgenössische soziale Netzwerke wie Facebook, You Tube und Instagram ermöglichen es der Weltbevölkerung, ihre Photos, Videos und Texte universell zugänglich zu machen – und dabei Kontrolle und Zensur durch die traditionellen Institutionen zu umgehen. Zugleich ermöglicht es das zeitgenössische Design der selben Weltbevölkerung, Wohnungen oder Arbeitsplätze als künstlerische Installationen zu formen und zu erleben. Und Ernährung, Fitness und plastische Chirurgie erlauben es den Menschen, ihre Körper als Kunstobjekte zu gestalten. In unseren Zeiten macht fast jeder Photos, dreht Videos, schreibt Texte, dokumentiert die eigenen Aktivitäten – und stellt diese Dokumentation dann ins Internet. Früher musste über kulturellen Massenkonsum gesprochen werden, heute muss über die kulturelle Massenproduktion gesprochen werden. In der Moderne war der Künstler eine seltene, eine seltsame Figur – heute gibt es niemanden, der nicht in irgendeiner Weise künstlerisch aktiv wäre.

Daher ist heute jeder an einem komplizierten Spiel mit dem Blick des anderen beteiligt. Es ist dieses Spiel, das für unsere Zeit paradigmatisch ist, aber wir kennen noch immer nicht seine Regeln. Die professionelle Kunst ist jedoch reich an Geschichte dieses Spiels. Schon die Dichter und Künstler der Romantik fingen damit an, ihr eigenes Leben als ihr eigentliches Werk zu sehen. Nietzsche sagt in seiner Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, dass es besser ist, ein Kunstwerk zu sein als ein Künstler. (Ein Objekt zu werden ist besser als ein Subjekt zu werden – bewundert zu werden ist besser als zu bewundern.) Wir können Baudelaires Texte über die Strategie der Verführung lesen – und wir können lesen, was Roger Caillois und Jacques Lacan über die Mimikry des Gefährlichen sagen oder darüber, wie man den bösen Blick des anderen mittels der Kunst in eine Falle lockt. Natürlich kann man sagen, dass der Algorithmus weder verführt noch erschrocken werden kann. Jedoch ist es nicht das, was hier eigentlich auf dem Spiel steht.

Man versteht die künstlerische Praxis üblicherweise als eine individuelle, persönliche. Aber was bedeutet das Individuelle oder Persönliche denn eigentlich? Das Individuelle wird häufig so verstanden, dass es den Unterschied zu den anderen bedeutet. (Etwa: In einer totalitären Gesellschaft gleichen alle einander. In einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft sind alle unterschiedlich – und werden als unterschiedliche respektiert.) Jedoch ist der Punkt hier nicht so sehr der Unterschied zu den anderen, sondern vielmehr der Unterschied zu sich selbst – die Weigerung, gemäß allgemeiner Identifikationskriterien identifiziert zu werden. In der Tat, die Parameter, die unsere sozial kodifizierte, nominelle Identität definieren, sind uns fremd. Wir haben unsere Namen nicht ausgesucht, wir waren am Tag und Ort unserer Geburt nicht bewusst anwesend, wir haben unsere Eltern, unsere Nationalität etc. nicht ausgesucht. All diese externen Parameter unserer Persönlichkeit korrelieren mit keinem der subjektiven Kennzeichen, die wir möglicherweise haben. Sie zeigen nur an, wie uns die anderen sehen.

Schon seit langem haben die modernen Künstler gegen die Identitäten aufbegehrt, die ihnen von den anderen – sei es von der Gesellschaft, dem Staat, der Schule, den Eltern etc. – auferlegt wurden, und für das Recht der souveränen Selbstidentifikation gekämpft. Die Künstler unterliefen Erwartungen, die mit der sozialen Rolle der Kunst, der künstlerischen Professionalität und der ästhetischen Qualität des Kunstwerks zu tun hatten. Aber sie unterminierten auch die nationalen und kulturellen Identitäten, die ihnen zugeschrieben wurden. Die moderne Kunst hat sich selbst als die Suche nach dem ‚wahren Selbst‘ verstanden. Hier geht es nicht um die Frage, ob das wahre Selbst real ist oder lediglich eine metaphysische Fiktion darstellt. Die Frage nach der Identität ist keine Frage der Wahrheit, sondern eine Frage der Macht: Wer hat die Macht über meine eigene Identität – ich oder die Gesellschaft? Und allgemeiner: Wer besitzt die Kontrolle, die Souveränität über die soziale Taxonomie, über die sozialen Mechanismen der Identifikation – die staatlichen Institutionen oder ich? Das heißt, dass der Kampf gegen meine eigene öffentliche Person und nominelle Identität im Namen meiner souveränen Person oder souveränen Identität auch eine öffentliche, politische Dimension hat, weil er gegen die dominanten Identifikationsmechanismen gerichtet ist – gegen die dominante soziale Taxonomie mit all ihren Einteilungen und Hierarchien. Später gaben die Künstler die Suche nach dem verborgenen, wahren Selbst zum Großteil auf. Vielmehr begannen sie damit, ihre nominellen Identitäten als Readymades zu gebrauchen – und damit, ein kompliziertes Spiel mit ihnen zu organisieren. Aber diese Strategie setzt immer noch die Desidentifikation von den nominellen, sozial kodifizierten Identitäten voraus – mit dem Ziel, sie sich künstlerisch wiederanzueignen, sie zu transformieren und zu manipulieren. Die Politik moderner und zeitgenössischer Kunst ist die Politik der Nicht-Identität. Die Kunst sagt zu ihrem Betrachter: Ich bin nicht das, was du denkst. (dämonisch; nicht: Ich bin, der ich bin.) Nun ist die Begierde nach Nicht-Identität eigentlich die genuin menschliche Begierde – die Tiere akzeptieren ihre Identität, aber die menschlichen Tiere tun dies nicht. Es ist daher in diesem Sinn, dass wir über die paradigmatische, repräsentative Funktion von Kunst und Künstler sprechen können.

Das traditionelle museale System nimmt im Bezug auf die Begierde nach Nicht-Identität eine ambivalente Stellung ein. Auf der einen Seite bietet das Museum den Künstlern eine Chance, die eigene Zeit mit all ihren Taxonomien und nominellen Identitäten zu transzendieren. Das Museum verspricht, die Arbeit des Künstlers in die Zukunft zu tragen. Jedoch verrät das Museum dieses Versprechen im selben Moment, in dem es erfüllt wird. Die Arbeit der Künstler wird in die Zukunft getragen – aber die nominelle Identität der Künstler wird ihren Werken wieder aufgedrückt. Im Museumskatalog lesen wir wieder denselben Namen, dasselbe Geburtsdatum und denselben Geburtsort, dieselbe Nationalität etc. (Darum wollte die moderne Kunst die Museen zerstören.)

Nun (um am Ende meines Textes etwas Gutes über das Internet zu sagen) ist das Internet auf eine weniger historizistische Weise organisiert als die traditionelle Bücherei oder das traditionelle Museum. Der interessanteste Aspekt des Internets als eines Archivs besteht gerade in den Möglichkeiten der Dekontextualisierung und Rekontextualisierung durch die Operationen des cut and paste, welche das Internet seinen Nutzern bietet. Heute interessieren wir uns mehr für die Begierde nach Nicht-Identität, welche die Künstler aus ihren historischen Kontexten herausführt, als für diese Kontexte selbst. Und es scheint mir, dass das Internet uns mehr Möglichkeiten bietet als die traditionellen Archive und Institutionen, um die künstlerischen Strategien der Nicht-Identität zu verfolgen und zu verstehen.

Aus dem Englischen von Kristian Schäferling

Published Online: 2017-8-26
Published in Print: 2017-8-28

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 7.5.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/para-2017-0001/html
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