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Hugo Kuhn (1909–1978)

Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte als intellektuelle Form

Hugo Kuhn (1909–1978)

Literary Studies and ›Geistesgeschichte‹ as an Intellectual Form

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Über mehrere Generationen von persönlichen Schülern und akademischen Lesern hat die Arbeit des Mediävisten Hugo Kuhn (1909-1978) eine belebende Wirkung auf die Literaturwissenschaft in Deutschland entfaltet, die mittlerweile nur noch selten an seinen Namen oder an einzelne seiner Schriften gebunden ist. Diese unter konventionellen Blickwinkeln kaum zu greifende Rezeptionsgeschichte erschließt sich aus dem Gestus eines singulären intellektuellen Stils. Immer wieder wurde Kuhn die Begegnung mit Texten der Vergangenheit zum Auslöser für philosophische Gedankenbewegungen, die sich eher im Eröffnen von Horizonten des Experimentierens als in der Verdichtung zu kohärenten Thesen oder in Ergebnissen historischer Einsicht bewährten. Eine Retrospektive auf das hinterlassene Werk konfrontiert uns mit der Aufgabe, dem Potential solcher Impulse einen Raum und eine Funktion in der Gegenwart zu geben.

Abstract

Throughout several generations of literary critics in Germany, the medievalist Hugo Kuhn (1909–1978) unfolded an intellectual influence that by far exceeded the impact of his published work. This particular resonance can be traced back to two moments in Kuhn’s early career: firstly to an essay printed in the 1936 volume of Deutsche Vierteljahrsschrift where he unfolds an innovative conception of medieval art and literature, based on fundamental dimensions of otherness in relation to modern Western culture: on the flow of oral tradition with its absence of any ambitions of innovation; on the assumption of God’s real presence in the world that assigns determinate functions to all human behavior; and, as a consequence, on the inadequacy of the focus on individual identity that permeates the hermeneutics of the academic Humanities (›Geisteswissenschaften‹). Secondly, Kuhn belonged to the few German thinkers who, as early as in 1946, undertook a merciless analysis of how the closeness to National Socialism had dissolved political responsibility in the work of previous generations of scholars, making necessary the discontinuity of a fresh individual and disciplinary departure. Kuhn had thus opened the horizon for a courageous style experimentation that singularly fascinated and motivated his students – and at the same time prevented him from bringing his ideas and hypotheses to the level of closure that we associate with individual excellence in academic work. This may explain why certain impulses originating above all in Kuhn’s famously popular lecturing course (›Vorlesungen‹) have remained alive and influential until the present debates within literary studies – largely and unfortunately detached from his name.

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Notes

  1. Hugo Kuhn, »Mittelalterliche Kunst und ihre ›Gegebenheit‹. Kritisches zum geisteswissenschaftlichen Frage-Ansatz«, DVjs 14 (1936), 223–245; wieder in: Ders., Text und Theorie, Stuttgart 1969, 28–46.

  2. Kuhns ehemaliger Schüler Burghart Wachinger, »Hugo Kuhn und die Münchener Akademiekommission für Deutsche Literatur des Mittelalters«, in: Eckart Conrad Lutz (Hrsg.), Das Mittelalter und die Germanisten. Zur neueren Methodengeschichte der Germanischen Philologie, Freiburg, Schweiz 1998, 34–48, hier: 41, nennt den Aufsatz »genial-genialisch […]« und verweist auf »manche[]« aus der mediävistischen Perspektive seiner Zeit »nicht mehr akzeptab[len Punkte]«, welche aus meiner Sicht freilich nicht die bleibende Bedeutung des Texts als Reflexion über Prinzipien der Mittelalterforschung beeinträchtigen.

  3. Hugo Kuhn, Walthers Kreuzzugslied (14,38) und Preislied (56,14), Würzburg 1936.

  4. Paul Kluckhohn, Erich Rothacker, »Vorwort«, DVjs 1 (1923), V f., hier: V.

  5. Kuhn (Anm. 1), 33.

  6. Ebd., 28.

  7. Ebd., 31.

  8. Ebd., 33, 34, u. ö.

  9. Ebd., 34.

  10. Ebd., 45.

  11. Etwa im Blick auf Goethe: Hugo Kuhn, »›Warum gabst du uns die tiefen Blicke ...‹«, Dichtung und Volkstum 41 (1941), 406–424; wieder in: Ders., Text und Theorie, Stuttgart 1969, 227–245; Hugo Kuhn, »Versuch über Interpretation schlechter Gedichte«, in: Gerhard Funke (Hrsg.), Konkrete Vernunft. Festschrift für Erich Rothacker [zum 12. März 1958], Bonn 1958, 395–399; wieder in: Ders., Text und Theorie, Stuttgart 1969, 104–109; Hugo Kuhn, »Zur modernen Dichtersprache«, Wort und Wahrheit 9 (1954), 348-359, wieder in: Ders., Text und Theorie, Stuttgart 1969, 284–299.

  12. Die wenigen bekannten biographischen Einzelheiten erwähnt Walter Haugs Nachruf »Hugo Kuhn 1909–1978«, DVjs 52, H. 4 (1978), o. P.

  13. Ebd., [II].

  14. Hugo Kuhn, „Die verfälschte Wirklichkeit“, Stuttgart 1946; wieder in: Ders., Text und Theorie, Stuttgart 1969, 303–331.

  15. Ebd., 306.

  16. Ebd.

  17. Ebd., 331.

  18. Ebd.

  19. Hugo Kuhn, »Hrotsviths von Gandersheim dichterisches Programm«, DVjs 24 (1950), 181–196; wieder in: Ders., Dichtung und Welt im Mittelalter, Stuttgart 1959, 91–104.

  20. Hugo Kuhn, »Gestalten und Lebenskräfte der frühmittelhochdeutschen Dichtung. Ezzos Lied, Genesis, Annolied, Memento mori«, DVjs 27 (1953), 1–30; wieder in: Ders., Dichtung und Welt im Mittelalter, Stuttgart 1959, 112–132.

  21. Hugo Kuhn, »Parzival. Ein Versuch über Mythos, Glaube und Dichtung im Mittelalter«, DVjs 30 (1956), 161–198; wieder in: Ders., Dichtung und Welt im Mittelalter, Stuttgart 1959, 151–180.

  22. Kuhn (Anm. 19), 91.

  23. Ebd., 92.

  24. Ebd., 104.

  25. Kuhn (Anm. 20), 118.

  26. Ebd., 131.

  27. Kuhn (Anm. 21).

  28. Hugo Kuhn, »Erec«, in: Festschrift für Paul Kluckhohn und Hermann Schneider. Gewidmet zu ihrem 60. Geburtstag, hg. von ihren Tübinger Schülern, Tübingen 1948, 122–147; wieder in: Ders., Dichtung und Welt im Mittelalter, Stuttgart 1959, 133–150.

  29. Vgl. zu der 1959 mit Claude Lévi-Strauss’ Anthropologie structurale einsetzenden Strukturalismus-Rezeption meinen Text »Denken heisst sich öffnen und improvisieren. Was uns vom grossen Ethnologen Claude Lévi-Strauss bleibt«, Neue Zürcher Zeitung, 25. Mai 2021.

  30. Kuhn (Anm. 21), 177.

  31. Ebd., 179.

  32. Wachinger (Anm. 2), 37.

  33. Vgl. ebd.

  34. Kuhn (Anm. 21), 151.

  35. Ebd., 172.

  36. Hugo Kuhn, »Versuch einer Theorie der deutschen Literatur im Mittelalter« (aus Aspekte des dreizehnten Jahrhunderts in der deutschen Literatur, München 1968), in: Ders., Text und Theorie, Stuttgart 1969, 3–9.

  37. Ebd., 4.

  38. Ebd., 5.

  39. Vgl. ebd., 7.

  40. Kuhn (Anm. 20), 121.

  41. Kuhn (Anm. 36), 7.

  42. Ebd., 8 f.

  43. Hugo Kuhn, Sprache – Literatur – Kultur im Mittelalter und heute, ein Versuch über die Sprache der Studenten-Revolution; Festrede gehalten in der öffentl. Jahressitzung der Bayer. Akademie der Wissenschaften in München am 30. November 1968, München 1969; wieder in: Ders., Liebe und Gesellschaft, Stuttgart 1980, 159–165. – Hugo Kuhn, »Thesen zur Wissenschaftstheorie der Germanistik: Dichtung – Sprache – Gesellschaft«, in: Victor Lange, Hans-Gert Roloff (Hrsg.), Akten des IV. Internationalen Germanisten-Kongresses 1970 in Princeton, Frankfurt a. M. 1971, 11–17; wieder in: Ders., Liebe und Gesellschaft, Stuttgart 1980, 166–171. – Hugo Kuhn, »Ein ›Leitartikel‹ zur Altgermanistik«, Jahrbuch für Internationale Germanistik 5 (1973), 124–127; wieder in: Ders., Liebe und Gesellschaft, Stuttgart 1980, 171–175.

  44. Kuhn 1973 (Anm. 43), 174.

  45. Ebd., 173.

  46. Kuhn 1971 (Anm. 43), 167.

  47. Ebd.

  48. Haug (Anm. 12), [II].

  49. Dies belegt die inhaltliche Diversität von zwei zu Kuhns Ehren erschienenen Sammelbänden: Ingeborg Glier [u. a.] (Hrsg.), Werk – Typ – Situation. Studien zu poetologischen Bedingungen in der älteren deutschen Literatur. Hugo Kuhn zum 60. Geburtstag, Stuttgart 1969; und Christoph Cormeau (Hrsg.), Deutsche Literatur im Mittelalter, Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken, Stuttgart 1979.

  50. Auch mit seiner intellektuellen Großzügigkeit hat er zahlreiche Studenten und Schüler unterstützt. Anlässlich einer prekären Situation des Übergangs von der Romanistik an der Universität München zum damals neugegründeten »Fachbereich Literaturwissenschaft« an der Universität Konstanz im Frühjahr 1971 bestätigte Hugo Kuhn mir Außenseiter die Präsenz in seinem Schülerkreis, ohne dass ich ihn um ein solches Schriftstück gebeten hatte: »Herr Hans Ulrich Gumbrecht hat durch mehrere Semester hindurch an meinen Vorlesungen, Seminaren und Oberseminaren wie ein direkter Schüler teilgenommen. Seine Arbeitsansätze sind z. T. daraus hervorgewachsen und immer wieder in diesem Kreis behandelt worden […]«.

  51. Burghart Wachinger, »Vorwort«, in: Hugo Kuhn, Entwürfe zu einer Literatursystematik des Spätmittelalters, Tübingen 1980, VI-XI, hier: VII.

  52. Wachinger (Anm. 51), VII f.

  53. Vgl. Anm. 51.

  54. Hugo Kuhn, »Versuch einer Literaturtypologie des deutschen 14. Jahrhunderts«, in: Ders., Entwürfe zu einer Literatursystematik des Spätmittelalters, Tübingen 1980, 57–75, hier: 75.

  55. Hugo Kuhn, »Versuch über das 15. Jahrhundert in der deutschen Literatur«, in: Ders., Entwürfe zu einer Literatursystematik des Spätmittelalters, Tübingen 1980, 77–101, hier: 99 f.

  56. Ebd., 101.

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Gumbrecht, H.U. Hugo Kuhn (1909–1978). Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 97, 371–386 (2023). https://doi.org/10.1007/s41245-023-00187-9

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