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Zusammenfassung

Die Autoren der Wiener Decadence sehen die historische Stellung ihrer Generation in einer widersprüchlichen „Mischung von Gebundensein und Wurzellosigkeit“ (Hofmannsthal). Ihre Modernität liegt darin, daß sie nicht bestimmte Kunstrichtungen, sondern Tradition als solche zum Gegenbegriff des eigenen Generationsstils erklären. Die Einheit ihrer Generation ist weder historisch noch stilgeschichtlich, sondern nur mehr selbstreflexiv, als Ausdruck des gemeinsamen „Kunstwollens“ (A. Riegl) begründet. Von der Spannung zwischen sozialgeschichtlichen bzw. biologischen Ableitungen des Generationsbegriff und der ästhetischen Emergenz neuer „Stilgenerationen“ leben auch die kunst- und literaturgeschichtlichen Debatten der zwanziger Jahre (W. Pinder, J. Petersen, K. Mannheim) — ohne sie lösen zu können.

Abstract

Viennese Fin de Siècle authors such as Hofmannsthal considered themselves being determinated and uprooted at the same time. For their generation, modernity did not only mean to leave behind the style of the former generation, but to be opposed to tradition as a whole. The unifying features of „decadent“ artists and writers can rather be found in their intentional esthetical credo (their „Kunstwollen“, as A. Riegl said) than in historical experience. In the Twenties the paradigm of „generations“ was employed to reduce the changing of styles to biological or sociohistorical factors (W. Pinder, J. Petersen, K. Mannheim), though Fin de Siècle Vienna had already shown the cultural constructions within that concept of‘ generation style’: styles emerge and disappear like generations.

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Literature

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Honold, A. Die Wiener Décadence und das Problem der Generation. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 70, 644–669 (1996). https://doi.org/10.1007/BF03375596

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