1 Alles Fake News!

Fake News sind in aller Munde (Gelfert 2018, S. 85; Tandoc et al. 2018, S. 147). Sie stellen, glaubt man gewissen Kommentator*innen, eine ernsthafte Gefahr für die pluralistischen westlichen Demokratien dar. Ihnen wird nicht nur nachgesagt, Wahlen zu beeinflussen.Footnote 1 Sie werden auch als ein Grund genannt, weshalb sich Gesellschaften polarisieren und das politische Klima zusehend rauer wird. Die Reaktionen auf diese Entwicklungen sind vielfältig und nehmen verschiedenste Ebenen in den Blick: ChecklistenFootnote 2 sollen uns helfen, Fake News selbst zu erkennen, professionelle „Fact Checker“Footnote 3 versuchen, falsche Fakten in vermeintlichen Nachrichten zu entlarven, Techintermediäre passen ihre Algorithmen an, damit Fakes nicht (oder weniger) in den Feeds der Nutzer*innen erscheinen,Footnote 4 und Nationalstaaten schaffen rechtliche Instrumente, um gegen online verbreitete Lügen oder Falschaussagen vorzugehen.Footnote 5 Das Ziel scheint auf den ersten Blick klar zu sein: Es geht darum, Fake News zu bekämpfen. Die Politische Bildung muss sich in diesem Kontext fragen, ob und wie sie sich daran beteiligen kann und soll.

Auf den zweiten Blick offenbart sich ein Problem: Das Ziel ist alles andere als klar. Der Diskurs über das Phänomen verdeutlicht, wie schwer es ist, den Begriff Fake News zu fassen. Handelt es sich um gefälschte News, Falschmeldungen, Fakes, Lügen oder Desinformationen (Habgood-Coote 2019, S. 1040; Tandoc et al. 2018)? Je nach gewählter Definition erhält der Begriff eine andere Bedeutung, die auf eine andere Ausprägung fokussiert. In Anbetracht dieses Gummibegriffes erstaunt es wenig, dass Fake News als Totschlagargument verwendet wird, um die Position des Gegenübers zu delegitimieren. Beispielsweise verweigerte der gewählte Präsident Donald Trump – mit dem Hinweis „Euch gebe ich keine Frage, ihr seid Fake News!“ – dem CNN-Reporter Jim Acosta an einer Pressekonferenz die Möglichkeit, Fragen an ihn zu richten (Trump to CNN reporter: „You’re fake news“ 2017).

Weshalb ist dies problematisch? Und weshalb sollte sich die Politische Bildung mit diesem Phänomen beschäftigen? Wäre für diese Aufgabe nicht die Medienbildung prädestiniert? Medienkompetenzmodelle (z. B. Mihailidis und Thevenin 2013) verlangen, kritisch mit medialen Inhalten umzugehen. Darüber hinaus kommt es einem argumentum ad verecundiamFootnote 6 nahe, Quellen nicht kritisch zu hinterfragen oder im Stil von „Autorität X hat Φ gesagt, deshalb ist Φ wahr/vernünftig/annehmbar“ zu argumentieren (wobei man X sowohl mit der FAZ, mit watson, mit der Zeit im Bild oder mit Donald Trump ersetzen kann). Kritisch mit Medieninhalten umzugehen ist wichtig, um das Bildungsziel der Mündigkeit respektive der AutonomieFootnote 7 zu erreichen,Footnote 8 die Fähigkeit ist aber nicht genuin politisch. Das will nicht heißen, der kritische Umgang mit Medien sei aus Sicht der Politischen Bildung irrelevant.Footnote 9 Die politische Dimension ergibt sich aber erst aus den Fragen, die man an ein Phänomen stellt.

Ein Ziel Politischer Bildung ist, die Schüler*innen zu befähigen, als mündige Bürger*innen an der Gesellschaft teilhaben zu können (z. B. GPJE 2004, S. 9; Kühberger 2009, S. 127; Sander 2013, S. 50). Dafür müssen sie unter anderem in der Lage sein, die für sie relevanten Informationen zu erhalten, ohne die eine fundierte Meinungsbildung unmöglich ist. Damit ein öffentlicher Diskurs zustande kommt, müssen darüber hinaus epistemische, kognitive und soziale Grundlagen gegeben sein. Damit die Schüler*innen an einer dynamischen Welt aktiv teilhaben können, sind sie auf die Fähigkeit angewiesen, selbstbestimmt zu handeln. Wer autonom handeln soll, muss u. a. eine kritische, die Welt hinterfragende Attitüde haben. Dafür sind analytische Fähigkeiten eine notwendige Voraussetzung. Dies lässt sich beispielsweise in Bezug auf Verschwörungstheorien und Fake News beobachten: Es scheint, als ginge verschwörungstheoretisches Denken im Allgemeinen (Swami et al. 2014) und die Anfälligkeit für Fake News im Speziellen (Bronstein et al. 2019; Pennycook und Rand 2019) Hand in Hand mit einem schwachen analytischen Denken. Um dieses zu stärken und das Bildungsziel der Autonomie zu erreichen, bietet sich ein analytischer Zugang zur Thematik der Fake News an. Nimmt man die Funktion der Aussage „Sie sind Fake News!“ in den Blick – d. h. der Aussage, eine Person, ein Medieninhalt oder ein Medium habe den Status von Fake News –, eröffnet sich für die Politische Bildung ein politischer Zugang zur Thematik.

Eine Person oder Institution als Fake News zu bewerten, verfolgt insbesondere im politischen Kontext den Zweck, die Autorität des Gegenübers infrage zu stellen und zu diskreditieren (Dentith 2017; Farkas und Schou 2018; Gelfert 2018, S. 93; Jaster und Lanius 2019, S. 32) sowie gegenteilige Positionen aus dem Diskurs auszuschließen. Der Fokus auf diese Funktion führt zu genuin politischen Fragen: Wann ist eine Person oder eine Institution eine legitime Autorität? Wie wollen wir miteinander umgehen? Was ist eigentlich Öffentlichkeit und was sind ihre Voraussetzungen? Sich analytisch mit dem Phänomen Fake News zu beschäftigen, schafft die Grundlage dafür, um diese das Politische betreffenden Fragestellungen im Unterricht angehen zu können.

Als erstes gilt es dafür, die relevanten Konzepte zu klären. Ich werde zunächst den Begriff der Fake News von anderen Phänomenen abgrenzen und kritisch beleuchten (Abschn. 2). In der Forschung ist der Terminus nicht unumstritten und es gibt gute Gründe, ganz auf ihn zu verzichten (Habgood-Coote 2019). Derweil ich mich dieser Konklusion anschliesse, stellen Fake News für die politische Bildung trotzdem ein gewinnbringendes Thema dar. Der Vorwurf, Medium X sei Fake News, bildet einen geeigneten Hintergrund für die konzeptionelle Beschäftigung mit Öffentlichkeit sowie politischer Kommunikation und Information. Dazu wende ich mich dem Konzept der Autorität zu (Abschn. 3). Dieses ist von Macht zu differenzieren und umfasst sowohl eine praktische als auch eine theoretische Ausprägung. Autorität kann zudem nur beansprucht oder aber tatsächlich legitim sein (u. a. Christiano 2013; Green 1998; Raz 2006). Derweil praktische Autorität Handlungsgründe gibt, stellt theoretische Autorität einen Grund dar, etwas für wahr zu halten. Der Angriff auf diese – als was man den Fake-News-Vorwurf verstehen kann – muss nicht grundsätzlich falsch sein. Er verweist vielmehr auf die politisch bedeutsame Frage nach Legitimität. Im Abschn. 4 gehe ich auf die Form des Vorwurfs ein und zeige die Nähe zur rhetorischen Strategie des Vergiftens der Quelle auf. Deren Anwendung ist ebenfalls nicht per se problematisch, kann aber weitreichende negative Konsequenzen für den öffentlichen Diskurs haben und in der Folge das kollektive politische Handeln erschweren. Das Vergiften der Quelle delegitimiert nämlich Personen und Institutionen, die eine gemeinsame Basis schaffen, auf die das Politische angewiesen ist. Darauf basierend erarbeite ich zweitens einen Vorschlag, wie Fake News auf analytischer Basis in der Politischen Bildung behandelt werden können (Abschn. 5).

2 Fake News? Ein Begriff erobert den Diskurs

Wörtlich übersetzt bedeutet Fake News etwa „gefälschte Nachrichten“. Menschen fälschen nicht erst, seit es das Internet gibt (Allcott und Gentzkow 2017, S. 214; Lazer et al. 2018, S. 1094).Footnote 10 Nachrichten zu fälschen ist eine althergebrachte Praxis und jeder technologische Fortschritt – sei es nun der Telegraf oder die Algorithmen der Betreiber*innen sozialer Medien – bietet neue Möglichkeiten, um News zu fälschen sowie um Mediennutzer*innen zu täuschen und in die Irre zu führen (Gelfert 2018, S. 89–90).

Medieninhalte, die wie Nachrichten erscheinen, sind ebenfalls keine Erfindung des Internets. Beispielsweise glaubten viele Radiohörer*innen 1938 in New York und New Jersey, Außerirdische seien im Begriff, die Erde anzugreifen. In Tat und Wahrheit handelte es sich bei der vermeintlichen Reportage um Orson Wells’ Hörspieladaption des Romans Der Krieg der Welten. Ferner haben satirische TV-Sendungen wie die The Daily Show (Comedy Central, seit 1996) oder The Colbert Report (Comedy Central, 2005–2014) Nachrichtensendungen imitiert. In diesem Kontext erhielt der Begriff Fake News gar einen leicht progressiven Klang, da die Sendungen die Bias, Fehler und Mängel regulärer Nachrichtenprogramme aufzeigten. Daher sah man in Fake News ein effektives Werkzeug, um die Medienkompetenz der Zuschauer*innen zu fördern (Gelfert 2018, S. 92). Neuere Beispiele verweisen aber eher auf negative Effekte: So begleiteten eine Vielzahl von Un- und Halbwahrheiten sowie falschen (oder zumindest irreführenden) Meldungen sowohl die Abstimmung über den Brexit im Jahr 2016 als auch die US-Präsidentschaftswahl im selben Jahr (Gelfert 2018, S. 86; Jaster und Lanius 2019, S. 14–18). Auch die Europawahl 2019 war von Fake News begleitet (European Commission 2019). Eine weitere Stilblüte im vermeintlich „postfaktischen“ Zeitalter sind Politiker*innen, die ihnen unliebsame Medien als Fake News (z. B. Donald Trump 2017b, c, 2019) oder Lügenpresse (Krüger und Seiffert-Brockmann 2018) bezeichnen.

Doch was sind Fake News? Sowohl in den Medien (Oremus 2016) als auch im wissenschaftlichen Diskurs herrscht keine Einigkeit. Tandoc et al. (2018, S. 141–147) untersuchten beispielsweise 34 zwischen 2003 und 2017 publizierte wissenschaftliche Artikel und trugen die verschiedenen Definitionen zusammen:Footnote 11 Fake News werden entweder als satirische News, Newsparodie, fabrizierte News, manipulierte Bilder, Werbung und PR oder Propaganda verstanden. Trotz der Unterschiede identifizierten die drei Autoren eine Gemeinsamkeit in allen Definitionsversuchen: Fake News sehen aus und fühlen sich an wie News. Haben Tandoc et al. damit eine minimale Definition kondensiert? Dies ist zu verneinen. Verstehen wir Fake News lediglich als etwas, was man – objektiv betrachtet – für Nachrichten hält, umschlösse der Begriff zu viel. Daher bietet sich als nächster Schritt an, Fake News von anderen Phänomenen abzugrenzen.

Zunächst könnte man versucht sein, das Phänomen auf das Internet zu beschränken, wo Fake News in den letzten Jahren primär aufgetreten sind. Falls wir es tatsächlich mit einem reinen Internetphänomen zu tun haben, wäre dieser Umstand aber zu erklären und darf damit nicht Teil der Definition sein (Gelfert 2018, S. 97–98). Denn Fake News bleiben Fake News, selbst wenn sie über andere Kanäle Verbreitung finden. Damit fällt das Medium als Definitionsgrundlage weg. Eine naheliegende Alternative ist der Wahrheitsgehalt. Könnte man nicht sagen, Fake News sind News, die falsch und/oder gefälscht sind? Der fehlende Bezug zur Wahrheit ist entscheidend. Er reicht für sich genommen aber nicht aus, um das Phänomen zu erklären, da auf diese Weise zu Vieles unter den Begriff fiele. So unterlaufen selbst seriös arbeitenden Journalist*innen hin und wieder Fehler (Gelfert 2018, S. 99). Und Fake News sind mehr als auf Irrtümern und Fehlern basierende News (Gelfert 2018, S. 99; Jaster und Lanius 2019, S. 39–40). Liegt der Fokus damit mehr auf Medieninhalten, die Nachrichten imitieren? Diese Definition ist aber weiterhin zu breit und umschlösse Phänomene, die wir in unserem Sprachgebrauch kaum darunter subsumieren: Es fällt eher schwer, den BBC-Mockumentary über die Spaghettiernte im Kanton Tessin (MySwitzerland 2013) oder die Meldung des Europa-Parks (2019), der Themenbereich England werde per Ende Saison geschlossen, als Fake News zu qualifizieren. Dasselbe gilt für satirische Medieninhalte, wie sie etwa The Onion oder Titanic produzieren. Die genannten Beispiele parodieren News, wollen aber nicht vorsätzlich als richtige Nachrichten wahrgenommen werden. Fake News sind daher keine (April‑)Scherze, Satire oder Parodien (Gelfert 2018, S. 105–106; Jaster und Lanius 2019, S. 42–44).

Versuchen wir, den Begriff weiter einzugrenzen, und verstehen Fake News als gefälschte Nachrichten, die vorsätzlich als Nachrichten wahrgenommen werden wollen, kollabiert die Unterscheidung zur Propaganda. Diese ist gemäß dem Duden eine „systematische Verbreitung politischer, weltanschaulicher o. ä. Ideen und Meinungen mit dem Ziel, das allgemeine Bewusstsein in bestimmter Weise zu beeinflussen“ oder ein Synonym für „Werbung“ („Propaganda, die“ o. J.). Den Macher*innen von Fake News, geht es aber nicht notwendigerweise darum, bestimmte Ideologien voranzutreiben oder etwas zu bewerben (Oxenham 2019). Das Ziel besteht vielmals schlicht und ergreifend darin, Traffic auf eine Webseite zu generieren, um diese für Werbung attraktiv zu machen. Fake News können, müssen aber folglich keine Propaganda sein (Jaster und Lanius 2019, S. 35–37). Das spricht dafür, beide Phänomene als konzeptionell verschieden zu betrachten – auch wenn Fake News dafür verwendet werden, Ideologien zu befeuern oder etwas zu bewerben.

Bis hierhin stellten wir fest, dass Fake News gewollt irreführende Nachrichten sind. Dies zeichnet sie demnach als eine Form von DesinformationFootnote 12 aus (Gelfert 2018, S. 103). Genauso wie sich Desinformationen als Informationen ausgeben, so erscheinen Fake News (werden sie nicht als solche erkannt) aus subjektiver Sicht als News (Gelfert 2018, S. 104). In diesem Sinne kann man Fake News als eine Form von News verstehen.Footnote 13 Damit zeigen sich zwei Dimensionen des Phänomens (Jaster und Lanius 2019, S. 32):

  1. 1.

    Mangelnde Faktizität oder geringer bis fehlender Wahrheitsgehalt der Nachricht.

  2. 2.

    Die bewusste Inkaufnahme, Unwahres zu verbreiten.

Ein letzter Punkt, auf den Tandoc et al. hinweisen, ist zu erwähnen, bevor wir uns mit den problematischen Aspekten des Begriffes auseinandersetzen können:

While news is constructed by journalists, it seems that fake news is co-constructed by the audience, for its fakeness depends a lot on whether the audience perceives the fake as real. Without this complete process of deception, fake news remains a work of fiction. It is when audiences mistake it as real news that fake news is able to play with journalism’s legitimacy. (Tandoc et al. 2018, S. 148–149, Hervorhebung im Original)

Folglich können wir dann – und nur dann – von Fake News sprechen, wenn diese als Nachrichten wahrgenommen werden. Erst indem eine Person die irreführende Information Φ als News wahrnimmt, entfaltet Φ seine Wirkung. Erkennt die Person Φ als irreführend, weiß sie um Φs epistemischen Status, was ihr erlaubt, Φ zu kontextualisieren.

Die vorausgehenden Ausführungen verdeutlichen, wie schwierig es ist, Fake News zu fassen. Angesichts dessen müssen wir uns die Frage stellen, ob wir an dem Begriff festhalten wollen und sollen. Habgood-Coote (2019, S. 1047) argumentiert u. a., der Begriff sei unnötig, weil wir bereits genügend andere, klarere Begriffe haben, um die Phänomene um Fake News zu fassen. Seinen Punkt stützen die zu Beginn des Abschnittes erwähnten historischen Beispiele: Fake News sind keine Neuerfindung des 21. Jahrhunderts.Footnote 14 Man könnte gegen Habgood-Coote einwenden, gerade weil Fake News online so erfolgreich und zahlreich sind, handle es sich um ein neues Phänomen. Insbesondere, wenn man eines bedenkt: Fake News verwenden unsere Bias und Heuristiken gegen uns (Gelfert 2018, S. 112; Jaster und Lanius 2019, S. 50–58).Footnote 15 Den Bezug auf ein Medium haben wir aber bereits ausgeschlossen, um Fake News zu definieren. Selbst wenn wir davon absähen, ergäbe sich eine weitere Schwierigkeit: Der Begriff verwirrt (Habgood-Coote 2019, S. 1049) und verschleiert die eigentlichen Probleme, mit denen wir uns konfrontiert sehen (Habgood-Coote 2019, S. 1048).Footnote 16 Mehr noch, Fake News ist ein „Propagandabegriff“ (Habgood-Coote 2019, S. 1051, 1053, 1054). Er dient dazu, Zensur zu rechtfertigen, findet als Totschlagargument Verwendung, um sich nicht mit der Gegenseite abzugeben, und – indem man zwischen richtigen und falschen Medien unterscheidet – untergräbt eine kritische Position gegenüber den Medien.

Das sind gute Gründe, auf den Begriff zu verzichten, sprechen wir über (medial verbreitete) Informationen. Als genauere Alternativen bieten sich die Konzepte Des- und Missinformation an. Nehmen wir Bilder, Fotos oder Videos in den Blick, haben wir – ob es sich um Deep FakesFootnote 17 handelt oder nicht – mit dem Begriff der Fälschung ebenfalls einen weniger schwammigen Term. Das Resultat unserer konzeptionellen Untersuchung deutet demnach darauf hin, dass wir besser davon abrücken, Fälle von Desinformation und Fälschungen in den Medien als Fake News zu bezeichnen.Footnote 18 Zu gering ist der analytische Wert des Konzepts, um die Nachteile seines Gebrauches aufzuwiegen. Damit sind wir aber noch nicht am Ende unserer Analyse, denn bislang blieb eine Dimension unberücksichtigt.

Neben der Beschreibung der genannten Phänomene hat der Begriff Fake News eine weitere, wertende Funktion. Farkas und Schou (2018) argumentieren, Fake News sei ein fließender Signifikant in verschiedenen hegemonischen Projekten, die diverse Vorstellungen davon haben, wie die Gesellschaft ist respektive sein soll. Farkas und Schou haben für den US-amerikanischen Kontext drei Schlüsselmomente einer solchen Verwendung identifiziert:

  1. i.

    Fake News als Kritik am digitalen Kapitalismus,

  2. ii.

    Fake News als (liberale) Kritik an rechter Politik und rechten Medien sowie

  3. iii.

    Fake News als konservative oder rechte Kritik an liberalen Leitmedien.

Insbesondere bei ii) und iii) zielt Fake News darauf ab, die Gegenseite zu diskreditieren, zu attackieren und zu delegitimieren. Ein Beispiel für iii) stellen diverse Aussagen Donald Trumps dar. „Euch gebe ich keine Frage, ihr seid Fake News!“ (Trump to CNN reporter: „You’re fake news“ 2017). Mit diesen Worten verweigerte der frisch gewählte Trump CNN-Reporter Jim Acosta die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Neben CNN hat Trump im Laufe seiner Präsidentschaft noch weitere Zeitungen und Fernsehsender angegriffen und sie als „Fake News“ (z. B. Trump 2019) oder „fake media“ (z. B. Trump 2017a) betitelt. Gemeinsam ist all diesen Medien ihre kritische Berichterstattung zu Trumps Präsidentschaft. Die Beschuldigungen des Präsidenten stellen in diesem Kontext den Versuch dar, sein Gegenüber zu delegitimieren.Footnote 19 Die Strategie dahinter mag nicht neu sein, trotzdem kann man Fake News als zeitgenössische Variante davon verstehen, einen Angriff auf die (theoretische) Autorität der Gegenseite zu starten, bei dem die beiden oben genannten Dimensionen fehlende Faktizität und bewusste Inkaufnahme, Unwahres zu verbreiten mitschwingen. Handelt es sich bei Medium X um Fake News, haben wir keinen Grund, Xs Aussagen für wahr zu halten. Die Strategie, die wir u. a. bei Donald Trump beobachten können, zielt nicht auf irgendwelche unbedeutenden Medien ab. Es geht vielmehr darum, die Position etablierter LeitmedienFootnote 20 infrage zu stellen. Diesen sprechen die Begriffe „Fake News“ und „Lügenpresse“ die Rolle als Autoritäten ab, die uns Gründe dafür gibt, etwas für wahr zu halten.

Einerseits ist die Infragestellung etablierter Autoritäten begrüßenswert. Es käme einem argumentum ad verecundiam gleich, Quellen nicht kritisch zu hinterfragen oder mit einem Verweis auf eine vermeintliche Autorität einfach zu akzeptieren. Wollen wir autonom – d. h. auf Basis eigener Gründe – handeln, scheint unkritische Akzeptanz unangebracht. Andererseits sind wir auf Autoritäten angewiesen. So sind Medien eine wichtige (und in vielen Fällen die hauptsächliche) Quelle direkter und indirekter Informationen (Gelfert 2018, S. 88).Footnote 21 Ohne diese wäre es uns faktisch unmöglich, uns in der Gesellschaft, in der wir leben, orientieren zu können. Müssten wir aber jede Aussage, die uns im öffentlichen Diskurs begegnet, eigenständig auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen, ohne auf Autoritäten zurückgreifen zu können, käme es zur absoluten Überforderung. Wir können (und sollen auch nicht) in allen Bereichen Expert*innen sein, womit uns oftmals die Kompetenzen fehlen, um den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu überprüfen.

Um in diesem Spannungsverhältnis selbstbestimmt zu handeln, ist erstens ein Verständnis dafür notwendig, was genau wie kritisiert wird. Dies bildet die Grundlage, um bestimmen zu können, ob die geäußerte Kritik in Bezug auf Inhalt und Form legitim ist. Um das Was zu verstehen, bietet sich der Begriff der Autorität an. Im nächsten Abschnitt umreisse ich daher kurz seine verschiedenen Aspekte und zeige auf, wie diese helfen können, um zu bestimmen, ob eine Kritik legitim ist. Im Abschn. 4 komme ich auf das Wie des Angriffs zu sprechen.

3 Wenn du das sagst: Gründe, etwas für wahr zu halten

Der Duden umschreibt Autorität als „auf Leistung oder Tradition beruhender Einfluss einer Person oder Institution und daraus erwachsendes Ansehen“ oder „Persönlichkeit mit maßgeblichem Einfluss und hohem (fachlichem) Ansehen“ („Autorität, die“ o. J.). Damit ist ein Aspekt einer Autorität genannt. Sie vermag andere in ihrem Handeln und Denken zu beeinflussen. Beispiele dafür sind Eltern, welche die Schlafenszeit festlegen, oder anerkannte Expert*innen, die uns bei komplexen Sachzusammenhängen erklären, mit welchen Konsequenzen wir zu rechnen haben. Autorität umfasst aber mehr als die Fähigkeit, andere zu beeinflussen. Beansprucht eine Person oder eine Institution, eine Autorität zu sein, dann erhebt sie Anspruch darauf, die Handlungen anderer beeinflussen zu dürfen. Auf diese Weise kann Autorität von Macht differenziert werden. Ein weiterer Punkt ist zu bedenken: Nur weil A behauptet, Φ-en zu dürfen, folgt daraus nicht per se, A dürfe tatsächlich Φ-en. Eltern können z. B. unverantwortlich handeln und trotzdem beanspruchen, eine Autorität zu sein. Um solche Situationen zu erfassen, müssen wir diese von jenen unterscheiden können, in denen der Anspruch berechtigt ist. Wir können sagen, A sei eine de facto Autorität, wenn A andere zu beeinflussen vermag und von sich beansprucht, dazu berechtigt zu sein. Darf A dies tatsächlich, können wir A als de jure Autorität bezeichnen. Diese Überlegungen betreffen demnach die Auswirkungen auf unsere Handlungen. Beeinflusst A unsere Handlungen – z. B. indem A gewisse Optionen ausschließt oder in bestimmten Kontexten bestimmte Handlungen vorschreibt – kann man von praktischer Autorität sprechen (für eine Einführung zu Autorität siehe z. B. Christiano 2013; Green 1998).

Autoritäten haben nicht nur einen Einfluss darauf, was wir tun (müssen). Sie wirken sich ebenfalls auf unseren Umgang mit Informationen aus. Geben uns As Aussagen Gründe, etwas für wahr zu halten, handelt es sich um eine theoretische Autorität. Sowohl bei dieser als bei ihrem praktischen Gegenstück erhalten wir einen Grund, etwas für wahr zu halten respektive etwas zu tun, welcher losgelöst vom Inhalt ist (Green 1998). Im Gegensatz zu praktischen Autoritäten legen uns theoretische (normalerweise) keine Pflichten auf; sie können uns aber beraten, was unsere Pflichten sind. Green (2010, Abschn. 2)  argumentiert beispielsweise, theoretische Autoritäten (z. B. Expert*innen) seien nicht dadurch charakterisiert, Gehorsam einzufordern – sie müssen nicht einmal auf ein Recht bestehen, dass ihre Aussagen für wahr gehalten werden.Footnote 22 Damit unterscheidet sich theoretische Autorität in einem wichtigen Aspekt von ihrem praktischen Gegenstück. Rufen wir uns nochmals in Erinnerung, wann wir sagen, eine Person oder Institution sei eine Autorität – nämlich dann, wenn wir ihr maßgeblichen Einfluss und hohes (fachliches) Ansehen bescheinigen –; entsprechend zeigt sich auch hier als entscheidende Größe die Fähigkeit zur Beeinflussung. Diese mag auf verschiedenen Faktoren wie Charisma, Tradition, Rhetorik usw. beruhen. Es wäre aber ein Fehlschluss, aus diesem Sein auf ein Sollen zu schließen. Folglich ist auch bei theoretischen Autoritäten eine Differenzierung zwischen de facto und de jure angebracht.

Diese begriffliche Differenzierung erlaubt uns, eine erste Antwort auf die Frage zu geben, ob Fake News – verstanden als Kritik an (liberalen) Leitmedien – grundsätzlich als illegitim zurückzuweisen ist. Der Angriff ist nicht notwendigerweise ungerechtfertigt. Handelt es sich beim Medium X um ein Leitmedium, können wir dieses als eine de facto theoretische Autorität begreifen. X hat also die faktische Fähigkeit zu beeinflussen, was wir für wahr halten. Daraus folgt in keiner Weise, X sei dazu auch legitimiert. Nicht alle Medien, die durch den Ausruf „Sie sind Fake News!“ angegriffen werden, sind letztendlich de jure Autoritäten. Um dies herauszufinden, müssen wir die de facto Autorität kritisch betrachten und uns fragen, was sie zu ihrer Position berechtigt. Es wäre aber übereilt, den Fake News Vorwurf deswegen bereits als gerechtfertigt anzusehen. Bisher haben wir uns lediglich mit dem Inhalt der Kritik beschäftigt. Als nächstes müssen wir uns mit ihrer Form beschäftigen.Footnote 23

4 „Sie sind Fake News!“ Ein Angriff auf theoretische Autorität

Ein Medium als „Fake News“, „fake media“ oder „Lügenpresse“ zu qualifizieren kann man als Kritik an diesem verstehen (vgl. Abschn. 2). Mit dieser bringt man die Einschätzung zum Ausdruck, das Medium handle moralisch verwerflich. Verbreitet man Desinformationen, die einen geringen bis nichtvorhandenen Wahrheitsgehalt haben, zielt man darauf ab, andere zu täuschen oder legt eine Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit an den Tag – was verurteilungswürdig ist. Damit verdeutlichen die beiden in Abschn. 2 identifizierten Dimensionen den relevanten inhaltlichen Aspekt der Fake-News-Kritik.Footnote 24 In Bezug auf die Form können wir die Grundform der Kritik folgendermassen rekonstruieren: Weil dem Medium X die Wahrheit egal ist und/oder weil es uns mit seiner Berichterstattung täuschen will, sollten wir Xs Aussagen keine Beachtung schenken. Auf inhaltlicher Ebene zeigt sich damit eine Nähe zur Strategie der „vergifteten Quelle“.

Diese rhetorische Taktik funktioniert entweder – je nach Verständnis – wie ein argumentum ad hominem oder stellt eine Unterform eines solchen dar (Walton 2006, S. 273). Sowohl in der Logik als auch im alltäglichen Gebrauch bezeichnet argumentum ad hominem ein Gegenargument A' des Diskutanten D2 auf das Argument A der Diskutantin D1. D2 reagiert dabei auf A, indem er – anstelle davon, A auf Basis von A betreffende Gründe zu widerlegen – D1 persönlich angreift (Walton 2006, S. 274). A' muss aber nicht zwingend einen Fehlschluss darstellen. Persönliche Attacken sind aber eine äußerst gefährliche Argumentationsform, die u. a. Vorurteile schaffen oder verstärken kann. Daraus resultiert unter Umständen eine verheerende Verschlechterung des öffentlichen Diskurses. Derweil ein gerechtfertigtes ad hominem auf Tatsachen beruht, basieren ungerechtfertigte oftmals auf Anspielungen und Andeutungen. Diese Argumentationsform ist riskant, weil sie einen – tendenziell rufschädigenden – Überzeugungseffekt hat, der in keinem Verhältnis zum wahren Wert des Arguments steht (Walton 2006, S. 274–275).

Mit „persönlich“ sind nicht nur Angriffe auf den Charakter des Gegenübers gemeint. D2 könnte ebenso argumentieren, D1 gehöre einer Gruppe G an (oder sei mit G verbunden) und es sei bekannt, dass G eine voreingenommene, dogmatische, vorurteilsbehaftete oder fanatische Gruppe sei, die ausschließlich auf ihren eigenen Standpunkt dränge. Daher könne man mit D1 keine (offene kritische) Diskussion führen und es lohne sich nicht, auf A einzugehen.Footnote 25 Ob das Vergiften der Quelle – wie Walton (2006) argumentiert – nicht zwingend ein argumentum ad hominem darstellt oder ob es sich dabei um eine Unterform eines solchen handelt, ist für meine weitere Argumentation nicht von Belang. Wichtig ist, die Schwierigkeiten zu erkennen, die sich aus dieser Argumentationsstrategie ergeben. Selbst in gerechtfertigten Fällen, in denen wir gute Gründe haben, bestimmten Medienerzeugnissen keine Beachtung zu schenken, weil diese Desinformationen verbreiten, ist das Vergiften der Quelle mit erheblichen Gefahren verbunden und kann den öffentlichen Diskurs nachhaltig vergiften.

Unter diesen Voraussetzungen ist, wie Walton (2006, S. 302) richtigerweise bemerkt, eine situative Evaluation solch vergiftender Argumente angebracht. Identifizieren wir D2s Aussage A' als ein Vergiften der Quelle, schlägt Walton (2006) diverse, dem Argumentationsschema entsprechende kritische Fragen vor, um herauszufinden, ob A' ein Fehlschluss ist.Footnote 26 Umgekehrt bedeutet dies: Verhindert A' einen Dialog, indem A' uns dabei behindert, kritische Fragen zu stellen, indem A' die Quelle als voreingenommen präsentiert oder indem A' impliziert, das Gegenüber sei in keiner Position, über das diskutierte Thema zu sprechen, könnte es sich bei A' um einen Fehlschluss handeln. Dies alles zeichnet das Vergiften der Quelle als einen speziellen Typ einer argumentativen Taktik aus. Es geht nicht nur darum, die Glaubwürdigkeit von D1 in einer bestimmten Diskussion zu attackieren. Deren Aussagen werden auch für zukünftige Diskussionen in ein schlechtes Licht gerückt oder völlig diskreditiert (Walton 2006, S. 302).

Folglich ist die Fake-News-Kritik auch in Bezug auf die gewählte Form nicht per se zurückzuweisen. Verbreitet das Medium X tatsächlich Desinformationen, dann kann ein Vergiften der Quelle angebracht sein. Das Argument kann aber auch missbraucht werden, um den Diskurs zu „vergiften“. Dies illustrieren beispielsweise zwei der drei Momente, die Farkas und Schou (2018) identifiziert haben (vgl. Abschn. 2). Als ein Beispiel liberaler Kritik nennen sie Paul Krugmans (2014) Angriff auf die US-amerikanische Rechte. Der Ökonom und Publizist versucht diese zu delegitimieren, indem er „Fake“-Informationen und Irrationalität mit rechten Wähler*innen zu verknüpfen sucht:

[…] in practice liberals don’t engage in the kind of mass rejections of evidence that conservatives do. Yes, you can find examples where „some“ liberals got off on a hobbyhorse of one kind or another, or where the liberal conventional wisdom turned out wrong. But you don’t see the kind of lockstep rejection of evidence that we see over and over again on the right. (Krugman 2014)

Die sprichwörtliche Retourkutsche auf die liberale Kritik an der politischen Rechten kam in der Form von Fake News als Kritik liberaler (Massen‑)Medien (Farkas und Schou 2018, S. 307–308). Diese stellte einen systematischen Versuch dar, den Fake-News-Signifikanten zu rehegemonialisieren, um kritischen Journalismus zu demontieren und zu delegitimieren. Dieses Phänomen ist aber nicht nur im US-amerikanischen Kontext endemisch. Die politische Rechte verwendet im Deutschen Diskurs unter dem Stichwort Lügenpresse (Krüger und Seiffert-Brockmann 2018) eine vergleichbare Strategie.

Hochgradig problematisch ist daran die Delegitimation von Personen und Institutionen, die eine gemeinsame Basis schaffen, auf der wir über das Politische diskutieren können. Denn dies erschwert in der Folge das kollektive politische Handeln. Wir sind auf den Zugang zu Informationen angewiesen, um die Welt um uns herum verstehen zu können. In der politischen Sphäre sind die Medien ein wichtiger – wenn nicht gar der wichtigste – Informationslieferant. Ohne diesen wäre es uns erstens nicht möglich, uns im (politischen) Alltag zurechtfinden. Zweitens könnten wir ohne Informationen schwerlich eine sinnvolle Diskussion führen. Ohne eine gemeinsame Grundlage, auf die wir uns beziehen können, ist es faktisch unmöglich, sich zu verständigen, ohne aneinander vorbeizureden.Footnote 27 Wir sind als Gesellschaft auf vertrauenswürdige Informationsquellen angewiesen, die theoretische Autorität besitzen (vgl. Abschn. 2 und 3). Die Argumentationsstrategie „Sie sind Fake News!“ – verstanden als ein Vergiften der Quelle – mag in gewissen Fällen angemessen sein. Sie ist aber einerseits hochriskant und birgt andererseits ein hohes Missbrauchspotential. Die Folge davon kann die Zerstörung der gemeinsamen epistemischen Grundlage sein, auf der wir zusammen unsere Entscheidungen fällen müssen. Damit erschwert oder verhindert diese Strategie, Kompromisse zu finden, indem sie Diskussionen „abwürgt“, bevor sie beginnen können.

5 Ein analytischer Zugang zu Fake News für die Politische Bildung

Wie können die hier präsentierten Überlegungen in die Politische Bildung übertragen werden? Ich plädiere dafür, die von mir angewandte analytische Herangehensweise im Unterricht anzuwenden. Für die Lehrperson kann sie in einer breiten, zum Teil widersprüchlichen Diskussion eine Orientierung bieten und helfen, ein Schlagwort, das durch die Medien geistert, zu fassen und für sich sowie für den Unterricht zu konkretisieren. Die Herangehensweise können (und sollen) Schüler*innen auch direkt anwenden. Sie können dadurch analytische Fähigkeiten erlernen und vertiefen. Dies kann nachhaltige positive Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Lernenden haben, selbstständig und emanzipiert an medialisierten Gesellschaften teilzuhaben. Empirische Untersuchungen legen nahe, dass analytisch denkende Personen weniger anfällig für Verschwörungstheorien und Desinformationen sind (Bronstein et al. 2019; Pennycook und Rand 2019; Swami et al. 2014). Dies spricht dafür, einen dezidiert analytischen Zugang zu sozialen und politischen Phänomenen zu stärken.

Als Ausgangsmaterial können ein oder mehrere (mehr oder weniger) historische Beispiele dienen. Leitfragen können die Schüler*innen anleiten, sich in Gruppen dem Schlagwort Fake News zu nähern. Ein erster Schritt besteht darin, das Konzept zu definieren (vgl. Abschn. 2). Dabei können die Schüler*innen sowohl direkt von den eigenen Vorstellungen als auch von bestehenden Definitionen ausgehen. Wichtig ist, diesen Schritt nicht zu einem reinen Sammeln verschiedener Verständnisse verkommen zu lassen. Vielmehr muss die konzeptionelle Analyse im Zentrum stehen. D. h. die Schüler*innen sollen sich stets fragen, ob eine Definition zu breit (sie erfasst auch Fälle, die dem Konzept nicht zugeordnet werden sollen) oder zu eng ist (sie erfasst Fälle nicht, die dem Konzept zugeordnet werden sollen). Ein zweiter Schritt kann anschließend auf die Funktionen von Fake News abzielen. Hier stehen einerseits die Motivationen jener im Zentrum, die Desinformationen verbreiten. Welche Gründe haben sie? Und was ist daran „politisch“?Footnote 28 Andererseits gilt es auch den Fake-News-Vorwurf kritisch zu hinterfragen und zu kontextualisieren (vgl. Abschn. 3 und 4). Die so identifizierten Funktionen sind dann weiter zu konkretisieren. Ein wichtiges Element der Analyse muss dabei wiederum sein, dass weder der Inhalt der Kritik (vgl. Abschn. 3) noch die angewandten argumentativen Strategien wie das Vergiften der Quelle (vgl. Abschn. 4) per se ungerechtfertigt sind. Ihre potenziellen weitreichenden negativen Konsequenzen geben uns aber oftmals einen guten Grund, andere Strategien anzuwenden. Die Quelle zu vergiften ist eine latente Bedrohung fürs Politische, weil diese Strategie erstens eine gesunde und respektvolle Verständigung über gesellschaftliche Fragestellungen erschwert – wenn nicht gar verunmöglicht. Zweitens droht die ungerechtfertigte Zerstörung medialer Autoritäten der Öffentlichkeit das notwendige minimale gemeinsame epistemische Fundament zu entziehen. Indem sich Schüler*innen solcher Aspekte des Argumentierens bewusst werden, versetzen wir sie in die Lage, sowohl eigene als auch fremde Argumente nicht nur im Hinblick auf deren Inhalt und Form, sondern auch auf deren Wirkung zu reflektieren.

Sich im Unterricht mit Desinformationen zu beschäftigen ist nicht unproblematisch. Desinformationen oder Fälschungen anzusprechen kann deren Wirkung verstärken, weil sie für die Schüler*innen immer vertrauter werden. Auch sind Desinformationen, die Sachverhalte einfach darstellen, kognitiv attraktiver als komplizierte Gegendarstellungen.Footnote 29 Unter diesen Vorzeichen kann der analytische Zugang helfen, indem er einerseits eine kritische Grundhaltung fördert. Andererseits liegt der Fokus nicht auf den Desinformationen an und für sich, sondern auf deren Funktionsweise und den dahinterstehenden Interessen. Damit entgeht man der Gefahr, falsche und unwahre Informationen unbeabsichtigt zu verstärken.

Eine geeignete Methode, um diese analytische Herangehensweise in der Politischen Bildung umzusetzen, scheint mir das Philosophieren mit Kindern/Jugendlichen zu sein. Diese fördert eine reflektierte, Urteile und Überzeugungen hinterfragende Haltung (Conrad et al. 2018, S. 137). Diese Gesprächspraxis bietet eine sinnvolle Grundlage, um einen analytischen Zugang weiter zu strukturieren und um den Schüler*innen einen Rahmen zu geben, in dem sie als eine forschende Gemeinschaft zusammen lernen und sich selbstständig sowie multiperspektivisch mit politischen Frage- und Problemstellungen auseinandersetzen.Footnote 30 Auf diese Weise kann die Politische Bildung auch in Zeiten, in denen sich gesellschaftliche Strukturen rasant verändern, ihr Bildungsziel selbstständiger und emanzipierter Bürger*innen einlösen.