Zusammenfassung
Der Artikel zeigt, dass der Einsatz von Spielfilmen in der Lehre sinnvoll sein kann, um Studierende an komplexe bioethische Themen heranzuführen und moralische Dilemmata zu diskutieren. Zunächst werden Funktion und Bedeutung des audiovisuellen Mediums (Spiel-)Film als Mittel zur ethischen Urteilsbildung reflektiert. Anhand von zwei Sequenzanalysen des Films GATTACA, in denen die gesellschaftlichen Konsequenzen gen- und reproduktionstechnologischer Entwicklungen in Bezug auf Zeugung und Familienplanung sowie veränderte Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen dargestellt sind, wird exemplarisch gezeigt, welche ethischen Fragen in welcher Art und Weise hier thematisiert werden. Unter Bezugnahme auf das Ethische Reflexionsmodell von Marianne Rabe wird abschließend veranschaulicht, wie sich filmische Fälle praktisch in die Ethiklehre integrieren lassen.
Abstract
Definition of the problem
The article maintains that film can be used effectively in the classroom as a means of (1) introducing students to bioethical issues and (2) encouraging them to discuss moral dilemmas. Arguments First the role and significance of the audiovisual medium (feature) film as a means of prompting students to make ethical judgments is explored. This is followed by the analysis of two scenes taken from the film GATTACA. The film examines the social consequences of using gene and reproductive technology for procreation and family planning and the impact this has on friendships and relationships within the family. ConclusionThe article illustrates exemplarily which ethical issues are raised in the film and how this is accomplished. Finally, with reference to Marianne Rabe’s Ethics Reflection Model, the article outlines how film can be practically integrated into ethics pedagogy.
Notes
Rabe erweitert damit die Prinzipien mittlerer Reichweite (autonomy, non-maleficence, beneficence, justice), die von Beauchamp und Childress [3] für die Medizinethik formuliert wurden. Da ich mich auf Rabes Reflexionsmodell ethischer Entscheidungsfindung beziehe, nutze ich hier auch die Erweiterung des Ansatzes von Beauchamp und Childress.
GATTACA, USA (2007).
Das Reflexionsmodell übernehme ich von Marianne Rabe [20] und erweitere es in diesem Kontext auf die Auseinandersetzung mit Filmen.
Eine solche sinnliche Ganzheits-Erfahrung entspricht auch den Anforderungen aktueller neuropsychologischer Erkenntnisse über Lernprozesse, die davon ausgehen, dass Menschen nur etwa zehn Prozent von dem behalten, was sie lesen, und etwa 50 Prozent von dem, was sie hören und sehen ([5], S. 152 ff.; [18], S. 6).
Einschränkend ist anzumerken, dass viele SF-Filme immer häufiger wissenschaftliche (Er-)Kenntnisse einbeziehen, deren Richtigkeit im filmischen Produktionsprozess häufig durch wissenschaftliche Berater- innen gewährleistet wird.
Bladerunner, USA (1982).
Multiplicity, USA (1996).
Alien Resurrection (dt. Die Wiedergeburt), USA (1997).
Blueprint, GER/CA (2003).
Dies liegt auch an den Kommunikations- bzw. Erzählbedingungen, die stets sowohl an die Gegenwart als auch an die Vergangenheit gebunden sind. Nach Suerbaum et al. sind es vor allem die Fantasie der Autor_innen, die Sprache sowie die Glaubwürdigkeitsansprüche der Lesenden und Zuschauenden, die für eine Zukunftskommunikation hinderlich sind, weshalb SF-Autor_innen letztendlich gar nicht anders können, als Zukunftskommunikation bloß zu simulieren ([26], S. 15 ff.).
Eine klassische Filmanalyse zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Film als solchen zum Gegenstand hat und die spezifischen filmischen Mittel (Kameraeinstellung, Bildkomposition, Tongestaltung, Montagetechnik etc.) hinsichtlich ihrer ästhetischen Wirkung untersucht ([19], S. 5).
Der Film greift hier den – in den Medien, teilweise auch in der Wissenschaft – verbreiteten genetischen Determinismus der 1990er auf, demzufolge nicht nur körperliche, sondern auch Verhaltenseigenschaften (wie Alkoholismus, Gewaltneigung, sexuelle Identität etc.) auf die Gene zurückgeführt wurden.
Im Film GATTACA ist Blut die dominante Metapher für die Gene, auch wenn die Gene mittels anderer Körperpartikel, wie Haare, Nägel oder Hautschuppen, symbolisiert werden. Dass GATTACA die gesellschaftlich definierte und biologisch begründete Differenz zwischen Menschen mittels Blut symbolisiert, legt eine Parallele zu traditionellen, biologistischen Grenzziehungen nahe, wie sie zunächst zwischen adeligen und nicht-adeligen Personen, später dann zwischen Weißen und Schwarzen vollzogen wurde (weiterführend [18, 28]).
Alles über meine Mutter, ESP/FRA (1999).
Das Meer in mir, ESP/FRA/ITA (2004).
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Kailer, K. Ethische Urteilsbildung mittels Spielfilme? Reproduktionsmedizin und ihre gesellschaftlichen Konsequenzen in GATTACA . Ethik Med 27, 9–21 (2015). https://doi.org/10.1007/s00481-014-0329-1
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