Zusammenfassung
Folter gilt weithin als paradigmatisches Beispiel einer Verletzung der Menschenwürde. Doch was macht Folter zu einem so eindeutigen Fall einer Menschenwürdeverletzung? Das ist die Leitfrage dieses Beitrags. Dazu werden zwei Menschenwürdetheorien herangezogen und auf ihr Potential hin untersucht, die Folter als paradigmatische Menschenwürdeverletzung verständlich zu machen: zum einen Ralf Stoeckers Theorie, die die individuelle Identität und die darauf aufbauende kontingente Würde in den Mittelpunkt stellt; zum anderen meine Theorie, die die menschliche Orientierung an einem sinnvollen Leben ins Zentrum rückt.
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Notes
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Wie bei jeder moralischen Frage gibt es selbstverständlich auch hier keine hundertprozentige Einigkeit, wie etwa die wüsten Gewaltdrohungen in sozialen Medien zeigen. Innerhalb des zivilisierten Diskurses dürfte die Uneinigkeit vor allem den Sonderfall der sogenannten Rettungsfolter betreffen, vgl. Brugger (1996).
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Im Folgenden werde ich „kontingente Würde“, „individuelle Würde“ und „Würde“ (ohne den Zusatz „des Menschen“) synonym benutzen.
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Mir ist bewusst, dass ein wertbasiertes Menschenwürdeverständnis bei vielen Autoren auf Ablehnung stößt. Auch diesem argumentativen Strang kann ich hier leider nicht folgen. Doch am Rande bemerkt: Diese anvisierte Begründung vermeidet den methodischen Solipsismus, in dem viele Menschenwürdetheorien verfangen sind, weil sie von einer bestimmten Eigenschaft ausgehen, wie Selbstbestimmung oder Handlungsfähigkeit, die für den Einzelnen eine normative Relevanz hat, welche dann in einem zweiten und fragwürdigen Schritt universalisiert werden muss (so z. B. bei Gewirth 1992; von der Pfordten 2016). Die Sinntheorie der Menschenwürde vermeidet diese solipsistische Falle, insofern sie die Menschenwürde von vornherein relational begründet: nicht durch etwas „im“ Menschen, sondern durch das, was zwischen ihnen lebt, was sie sich zusprechen.
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Und zugleich kann sie Menschen, die nicht zu autonomem Handeln in der Lage sind oder darauf verzichten, problemlos ebenso Menschenwürde zusprechen. Denn für die Sinntheorie der Menschenwürde ist nicht Autonomie, sondern die (grundlegendere) Orientierung an Sinn der Grund der Menschenwürde. Sie kann daher Autonomie größte Bedeutung zumessen, ohne die Menschenwürde an diese zu binden (vgl. Kipke 2020).
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Allenfalls eine rein innerliche Beziehung ist noch möglich, gedanklicher oder religiöser Natur. Auch diese nach Möglichkeit zu torpedieren, liegt im Interesse von Folterern, vgl. den Erfahrungsbericht von Slahi (2015).
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Kipke, R. (2021). Inwiefern verletzt Folter die Menschenwürde?. In: Kipke, R., Röttger, N., Wagner, J., v. Wedelstaedt, A.K. (eds) ZusammenDenken. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33464-2_11
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