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Goethes Ikonisierung der Poesie Zur Schriftmagie des West-östlichen Divans

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

In Goethes Divan-Phase erfährt die Materialität der Schrift eine bislang nicht angemessen untersuchte Aufwertung. Die arabische Schrift wird zur Chiffre einer von Repräsentationszwängen befreiten, nicht-instrumentellen Dichtungsweise. Die Suche nach poetischen Urschriften stellt eine Annäherung an die Romantik und einen Versuch dar, die Kunst ihrer Legitimität zu versichern.

Abstract

During his Divan-phase, Goethe emphasized the materiality of writing in a way not yet sufficiently analyzed. For him Arabic script becomes the symbol for a kind of non-instrumental poetry, a poetry free from representational demands. Goethe’s search for urforms of poetic writing not only takes him close to Romantic aesthetics, but also represents an attempt to affirm the legitimacy of art.

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Literature

  1. Aus einem undatierten Schreiben Goethes, vermutlich am 12. Januar 1815 entstanden; zitiert nach Katharina Mommsen, Goethe und die arabische Welt, 2. Aufl. (1989), S. 261.

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  2. Novalis, Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hrsg. Paul Kluckhohn und Richard Samuel, 2. Aufl. (1960ff.), II, 672.

  3. In Friedrich Schillers Über naive und sentimentalische Dichtung wird eine Ausdrucksform, die sich an die Sympathie von Zeichen und Bezeichnetem hält, mit Formulierungen, die Goethes Formulierungen ähneln, als Charakteristikum des naiven Genies vorgestellt. Während dem an die überlieferten Regeln der Grammatik und Logik gebundenen Schulverstand “das Zeichen dem Bezeichneten ewig heterogen und fremd bleibt,” so springt durch den glücklichen Pinselstrich des dichtenden Genies “wie durch innere Notwendigkeit die Sprache aus dem Gedanken hervor und ist so sehr eins mit demselben, daß selbst unter der körperlichen Hülle der Geist, wie entblößet erscheint. Eine solche Art des Ausdrucks, wo das Zeichen ganz in dem Bezeichneten verschwindet und wo die Sprache den Gedanken, den sie ausdrückt, noch gleichsam nackend läßt, da ihn die andre nie darstellen kann, ohne ihn zugleich zu verhüllen, ist es, was man in der Schreibart vorzugs-weise genialisch und geistreich nennt.” Friedrich Schiller, Ober naive und sentimentalische Dichtung, hrsg. Johannes Beer (1978), S. 18.

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  7. Ich denke hier vor allem an die Untersuchungen von Heinz Schlaffer, Faust Zweiter Teil. Die Allegorie des 19. Jahrhunderts (1981) und

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  8. Hannelore Schlaffer, Wilhelm Meister. Das Ende der Kunst und die Wiederkehr des Mythos (1980). Während Emrich die bei Goethe im Symbol vollzogene Transponierung geschichtlicher Data in naturgeschichtliche Bedeutungsdimensionen in der restaurativen Atmosphäre der Adenauerära als modellhaft für eine vom Politischen abgewendete, sich allein Überzeitlichem widmende Kunst begrüßt hat, kann vor allem Heinz Schlaffers Untersuchung von Faust 11 kritischere Lesarten entwickeln, die sich an jene dem Goetheschen Text eingegrabenen Spuren von Entfremdung und Herrschaft, an jene Goethes Suche nach einem verborgenen Mythos auslösenden Defizite der industriellen Moderne halten. Goethe gilt hier nicht mehr als der dem Tagesgeschehen entrückte Olympier; die Interpretation versucht vielmehr, die im Werk allegorisch verschlüsselten Spuren der Zeitgenossenschaft jener ökonomischen und sozialen Veränderungen aufzuspüren, die zur Etablierung der modernen Industriegesellschaft geführt haben.

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  9. Zur Fortschrittsskepsis des alten Goethe angesichts der beschleunigten Lebensformen in der frühkapitalistischen Gesellschaft, von Goethe als Untergang einer Epoche empfunden, siehe u.a. Wolfgang Frühwald, “‘Deklinierend Mohn und Rosen…’: Esoterik und Mystik im ‘West-östlichen Divan,’” Zeitwende: Die neue Furche, 4 (1982), 213–214.

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  11. Friedrich Schlegel, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. Ernst Behler, unter Mitwirkung von Jean Jacques Anstett und Hans Eichner (1958ff.), II, 202: “Ihre Liebhaberey, die Originale zu vertilgen, wenn die Uebersetzung fertig war, charakterisiert den Geist ihrer Philosophie.”

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  14. Vgl. Rudolf Ungers Hamann kaum gerecht werdende Untersuchung Hamanns Sprachtheorie im Zusammenhang seines Denkens. Grundlegung zu einer Würdigung der geistesgeschichtlichen Stellung des Magus im Norden (1905), S. 75.

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  16. Friedrich Gundolf hat darauf hingewiesen, daß sich im West-östlichen Divan vor allem die Mystik der Liebe als Medium der Verwandlung der Welt in eine sprechende, des Liebenden in einen Zeichendeuter, einen Allegoriker entpuppt. In dieser Transformation der Welt in ein zeichenhaftes, bedeutsames Spektakel der Liebe, in ein Gleichnis des überall sich offenbarenden Urtextes der Liebe, erkennt Gundolf ein entscheidendes orien-talisches Moment des Divan. Friedrich Gundolf, Goethe (1916), S. 645.

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  21. Wenn Goethe im Rekurs auf die orientalische Welt und die arabischen Urphänomene der Schrift das Gesetzhafte der Dichtung hervorzuheben versucht, indem er den immer schon textuell eingebundenen Charakter der Poesie herausstellt, so bestätigt dies in be-stimmter Weise natürlich das von Edward Said gegen die deutsche Orientbeschäftigung gerichtete Argument der Inkompetenz aufgrund rein textueller Auseinandersetzung: “There is some significance in the fact that the two most renowned German works on the Orient, Goethe’s Westöstlicher Divan and Friedrich Schlegel’s Über die Sprache und Weisheit der Inder, were based respectively on a Rhine journey and on hours spent in Paris libraries. What German Oriental scholarship did was to refine and elaborate techni-ques whose application was to texts, myths, ideas, and language almost literally gathered from the Orient by imperial Britain and France.” Edward Said, Orientalism (1978), S. 19. Goethes Theorie über die Entstehung der Poesie aus dem Geiste der Schrift macht zugleich freilich deutlich, wie sinnlos und tautologisch es ist, den Orientalismus Goethes als erfahrungslos, weil allein sich schriftlichen Quellen verdankend zu disqualifizieren. Denn in unserer Lesart stellt Goethes Beschäftigung mit dem Orient ja nichts anderes als die Suche nach Urschriften der orientalischen Welt dar, die das Abendland mit neuen Sinn-quellen ausstatten und der in Bedrängnis geratenen Poesie ein festeres Standbein verleihen könnten. Goethes Interesse am Orient ist von Anfang an immer auch ein textuelles; der über den Orient dichtende Goethe ist immer auch schon ein Leser.

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  22. Vgl. Winfried Menninghaus, Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie (1980), S. 193 ff.

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  23. Heinrich Nüsse, Die Spracbtheorie Friedrich Schlegels (1962), S. 74.

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  24. Konrad Burdach hat die zeitgenössische Aufnahme des Divan folgendermaßen zu-sammengefaßt: “Man pflegt ihn für ein künstliches Produkt des alternden Dichters zu halten, an dem mehr Spiel und Willkür als natürlicher Drang der Seele Anteil habe … Vielen erscheint er wohl gar wie eine etwas frostige, verschnörkelte Kostümdichtung, einer phantastischen Laune entsprungen, greisenhafter Vorliebe für eine exotische Maske, die der erlahmenden Phantasie als Stab und Krücke dienen soll …” Konrad Burdach, “Goethes West-östlicher Divan in biographischer und zeitgeschichtlicher Beleuchtung,” Vorspiel. Gesammelte Schriften zur Geschichte des deutschen Geistes (1926), II, 286.

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  26. Jacques Derrida, Grammatologie (1974).

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  27. In der Romantischen Schule heißt es: “Dieser Selam aber bedeutet, daß der Occident seines frierend mageren Spiritualismus überdrüssig geworden und an der gesunden Körperwelt des Orients sich wieder erlaben möchte. Goethe, nachdem er, im Faust, sein Mißbehagen an dem abstrakten Geistigen und sein Verlagen nach reellen Genüssen angesprochen, warf sich gleichsam mit dem Geist selbst in die Arme des Sensualismus, indem er den West-östlichen Divan schrieb.” Heinrich Heine, Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hrsg. Manfred Windfuhr (1975ff.), VIII, 161.

  28. Konrad Burdach, “Die Aufnahme und Wirkung des West-östlichen Divans,” Vorspiel. Gesammelte Schriften zur Geschichte des deutschen Geistes (1926), II, 376.

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  29. Vgl. zur Rezeptionsgeschichte des West-östlichen Divans im Kaiserreich und insbesondere im Kontext der Jahrhundertwende Karl Robert Mandelkow, Goethe in Deutschland. Rezeptionsgeschichte eines Klassikers (1980, 1989), I, 239.

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Köpnick, L. Goethes Ikonisierung der Poesie Zur Schriftmagie des West-östlichen Divans. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 66, 361–389 (1992). https://doi.org/10.1007/BF03396304

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