Kurt Bayertz 2012: Der aufrechte Gang. Eine Geschichte des anthropologischen Denkens. München: Beck, geb., 415 S., ISBN-13: 978-3-40663-848-0.

Andreas Mayer 2013: Wissenschaft vom Gehen. Die Erforschung der Bewegung im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M.: Fischer, brosch., 320 S., ISBN-13: 9783-10048-604-2.

Das Wort „Bewegung” ist für sich schon vieldeutig. Handelt es sich um ein Wort aus dem Bereich der Physik, der Chemie, der Mathematik, der Astronomie, der Musik, der Biologie, der Psychologie, der Soziologie, der Politikwissenschaft, der Historiographie sowie selbstredend der Medizin und der Physiologie? Oder handelt es sich schlicht und einfach um das Wort dafür, dass wir uns als Menschen bewegen? Nur um die letztgenannte Bedeutung soll es hier gehen. Aber auch innerhalb dieser Grenzen ist etwas merkwürdig. „Sich bewegen” ist offenkundig einer der elementarsten Vorgänge des Lebens überhaupt. Was oder wer sich nicht mehr bewegt, stellt sich oder ist gar tot: „Notre nature est dans le mouvement: le repos entier est la mort” – so bemerkt Blaise Pascal in seinen Pensées (II 129). Die anderen elementaren Notwendigkeiten und Fähigkeiten des menschlichen Lebens sind üblicherweise zweisilbige Tätigkeitswörter – ohne Vorsilbe und damit direkt und klar: „sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen” soweit es die fünf Sinne, oder „essen und trinken”, soweit es elementare Bedürfnisse des Lebens betrifft. Die Wörter sind transitiv, benötigen für ihre Aussage aber nicht unbedingt ein Objekt. Be-wegen ist zwar durchaus transitiv: „Ich bewege etwas”. Aber als elementare Lebensweise des Menschen ist es reflexiv und mit der Vorsilbe „be-” ausgestattet: „Ich be-wege mich”. „Wegen” als Verb gibt es zumindest in unserer Sprache nicht. „Sich bewegen” erfordert also eine Art von Subjekt, das von sich aus tätig wird und im Sinne eines bedachten Handelns „sich bewegt”. „Bewegen” als Substantiv ist so missverständlich, dass wir das sprachlich unschöne Wort „Beweg-ung” nutzen – um gleich, wie oben angedeutet, in die Falle zahlloser Bedeutungen zu tappen.

Angesichts der offenbar konstitutiven Bedeutung von Bewegung für das Leben ist es erstaunlich, dass es nur wenige und dann gelegentliche Arbeiten gibt, die sich mit der Historiographie der menschlichen Bewegung als Gegenstand verschiedener Wahrnehmungen und Deutungen über die Zeiten hinweg befassen. Die Anthropologie – zum Beispiel Frederik J.J. Buytendijk –, die Bewegungswissenschaften – etwa Mark L. Latash –, die Sportwissenschaften – beispielsweise Kurt Meinel –, die Sozial- und Kulturwissenschaften – etwa Gabriele Klein – oder die Kulturgeschichte – beispielsweise Philipp Sarasin – weisen mitunter eine reiche Diskussion auf (vgl. hierzu die kurze Bibliographie im Anhang). Und die Wissenschaftsgeschichte? Die Medizingeschichte? Es ist traurig zu sagen: Tabula rasa! Hier liegt ein großes Feld ebenso interessanter wie wichtiger Fragen und Themen brach. Dieser Umstand schärft die Neugier, wenn es gilt, zwei neue Bücher aus diesem Gegenstandsbereich zu besprechen.

Kurt Bayertz: Der aufrechte Gang

Kurt Bayertz hat sich in seinem von der Stiftung Volkswagenwerk und der Fritz-Thyssen-Stiftung geförderten ‚Opus magnum’ aus der Gemengelage „Bewegung” gleich eines der bedeutendsten Themen herausgesucht – den „aufrechten Gang” als Merkmal und Unterscheidungskriterium der Menschen gegenüber den anderen Lebewesen. Bayertz verfolgt diesen Topos von der Antike bis weit in das 19. Jahrhundert hinein. Es ist dies eine wahrhaft herkulische Aufgabe, bei der die eigentliche Zielrichtung des Themas nicht fallen gelassen werden darf, damit sie im Morast der Deutungen und Meinungen nicht jeweils als Wiedergänger aufersteht. Und – dies sei gleich vorweg gesagt – Bayertz löst diese Aufgabe nicht nur mit Bravour, sondern mit sichtlicher Freude an Gedankenspiel und Geisteswitz im besten ciceronianischen Sinne.

Es ruft Staunen hervor – mit dem antiken θαυμάζειν (staunen, wundern) – „welch eine üppige Vielfalt an Deutungen die schlichte Tatsache provoziert […], dass der Mensch aufrecht geht.” (7). Dabei kann der aufrechte Gang auf zweierlei Weisen aufgefasst werden:

Zum einen als ein handfestes körperliches Merkmal, das anatomisch, mechanisch oder verhaltensbiologisch zu beschreiben und […] zu analysieren ist; und zum anderen als ein Symbol für die besondere Stellung des Menschen in der Welt oder für seine besondere Beziehung zu Gott (7).

Bayertz möchte in seinem Werk die verschiedenen Deutungen verfolgen, die der aufrechte Gang über Jahrhunderte hin gefunden hat. Diese Deutungen gilt es in den Kontext des jeweiligen menschlichen Selbstverständnisses zu stellen. Dadurch sollen die Hauptentwicklungslinien des anthropologischen Denkens sichtbar gemacht werden. Neben philosophischen, theologischen und naturwissenschaftlichen Selbstdeutungen werden auch literarische und mythologische Quellen herangezogen.

Das Buch ist in vier Teile und 29 Kapitel gegliedert. Im ersten Teil „Aufrechte Himmelsbetrachter” (11–69) wird der aufrechte Gang in der Diskussion der Antike betrachtet. Die Anthropologie entfaltet sich als Teil der Ethik, der Kosmologie und der Theologie. Hochaufgerichtete Neugier trifft im Gleichnis von Thales und der Magd auf die Praxis des Alltagslebens. Die „Wendung nach innen” (Kap. 1: 16–23) macht den Menschen zum Gegenstand seiner selbst. Die Definitionen und Definitionsmethoden selbst eines Plato führen allerdings zu merkwürdigen Rätseln, die die Jahrtausende überdauern: Der aufrecht gehende Mensch als ungefiederter Zweifüßler!? Was ist dann mit einem gerupften Huhn? Die Probleme der Klassifikation und Definition setzen sich von Plato über Aristoteles bis in die Neuzeit fort. Der der Mensch als „Unten-”, als „auf der Erde Wohnender” – so eine neue etymologische Deutung dieses Schlüsselwortes – steht in einem besonderen Verhältnis zu den im Himmel residierenden Göttern. Der aufrechte Gang führt zur oligarchisch-monarchischen Ordnung des Körpers. Der Mensch hat einen bestimmten Platz in der Welt und wird damit notwendiger Teil des Kosmos. Vernünftig zu sein – das ist seine Aufgabe. Die platonisch-aristotelischen Theorien waren in der Antike heftig umstritten. Im Atomismus eines Heraklit herrschte der Zufall, für eine Sonderstellung des Menschen gab es keinen Ort. Das Christentum indes übernahm die kosmologisch ausgerichtete Anthropologie und vernichtete systematisch die Alternativen – wie dies übrigens auch schon Plato bis hin zum Aufkaufen und Verbrennen gegnerischer Bücher versuchte.

Im zweiten Teil „Verkrümmte Ebenbilder” (71–136) wird der Eingang der platonisch-aristotelischen Tradition in die drei Buchreligionen des Mittelmeerraumes und insbesondere in das Christentum untersucht. Zwar ist der aufrechte Gang im Alten und Neuen Testament nicht wichtig, nimmt aber in der Textexegese bis in das 18. Jahrhundert einen breiten Raum ein. Der heidnische Topos eines wohlwollenden Demiurgen aus dem platonischen Timaios wandert in die Genesis des Alten Testamentes ein. Der aufrechte Gang zeigt die Vollkommenheit der Schöpfung an. Andere Gedanken zur Bewegung als diejenigen Platos oder der Stoa sind nicht in der Bibel, sondern nur in der exegetischen Tradition zu finden. Der Mensch wird zum Abbild, zum Ebenbild Gottes. Nun gibt es zwischen dem Urbild Gott und dem Abbild Mensch allerdings eine „metaphysische Lücke” (107). Die Schöpfung ist ge-, der Mensch der Erbsünde ver-fallen. Für den aufrechten Gang bedeutet dies, dass die geistig-seelische Erhabenheit des Menschen zwar fallen, der Mensch sich aber – durch seinen Glauben – wieder erheben und zu seinem aufrechten Gang zurückfinden kann. Hier setzt dann auch das Schicksal der Schlange ein, die gelegentlich vor dem Sündenfall durchaus auch als aufrecht dargestellt wird. Im Westen ist der aufrechte Gang ein Mahn- und Orientierungszeichen. Der Mensch ist der „contemplator caeli” (125 f.) – auch dies ist wieder platonisch-stoisches Denken. Allerdings wird der Kosmos zugunsten Gottes „abgewertet” (75 f.). Der aufrechte Gang zeigt die Bestimmung des Menschen zu Gott. Diese bleibt mit der Auferstehung des Leibes auch über den Tod hinaus erhalten: „Wir werden ewig aufrecht gehen!” (136, kursiv im Original).

„Aufrecht kriechende Maschinen” (137–253) ist der dritte und längste Teil des Buches überschrieben. In der Renaissance wird mit der Diskussion der conditio, der miseria hominis ein sterblicher Gott geboren. Zwar ist keiner der diskutierten Gedanken zum aufrechten Gang neu, aber es entsteht die Frage: Wenn die Orientierung nach oben nicht gilt, was bestimmt dann das Handeln des Menschen in der Welt? Die Wendung zur Welt macht nicht den aufrechten Gang, sondern die Weisheit zum Unterscheidungskriterium der Menschen gegenüber den Tieren. Der Verlust der kosmischen Ordnung entbirgt den Menschen: Er ist kein Teil des Kosmos. Die kontingente Welt steht dem Menschen gleichgültig gegenüber, ja, der Mensch ist ebenfalls kontingent. Der Einbruch der Kontingenz in die Selbstdeutung des Menschen war heftig umkämpft. Aber Kontingenz bedeutet auch Freiheit, der Mensch wird sich selbst zum zweiten, zum sterblichen Gott. Aus der Erosion metaphysischer und religiöser Gewissheiten über die Ordnung der Welt und die Position des Menschen in dieser Ordnung entsteht die Anthropologie: Wenn alle Gewissheiten dahin sinken, was können wir Menschen über den Menschen wissen? Der Verlust jeglicher Teleologie führt zu mechanistischen Erklärungen. An die Stelle des symbolhaften aufrechten Ganges treten die Gehwerkzeuge, die die Gebrüder Weber – dazu weiter unten in der Besprechung des Mayer’schen Buches mehr – in Raum und Zeit zu erfassen versuchen. Die theoretische Erkenntnis führt zu immer weiteren Versuchen, die Natur technisch zu beeinflussen – es entstehen „Geh-Maschinen”. Die Eroberung des Globus fordert die Symbolik des aufrechten Ganges weiter heraus, die Pinguine werden ebenso entdeckt wie die menschenähnlichen, die schwanzlosen Affen. Was ist das Unterscheidungskriterium der Menschen gegenüber den anderen Primaten? Jedenfalls kann der aufrechte Gang nicht nur nicht als Merkmal einer Sonderstellung dienen. Vielmehr hat der Mensch keine Sonderstellung. Der Anthropozentrismus der Welt- und Selbstdeutung ist obsolet. Auf einmal geraten die biologischen Nachteile der Zweifüßigkeit in den Blick. Es muss also ein anderes Unterscheidungskriterium von Mensch und Tier geben, und dieses Kriterium kann nicht in der körperlichen Natur, kann nicht in der Biologie liegen. Noch gibt die „unsterbliche Seele” (200) den Menschen einen Vorzug vor den Tieren. Die hoch fliegende Anthropologie Herders weist Kant energisch zurück, die ästhetisch-kulturellen Erklärungen werden gegenüber den praktisch-empirischen zurück genommen. Die Zweifüßigkeit, der aufrechte Gang sind ein Zufall der naturgeschichtlichen Entwicklung. Der aufrechte Gang hatte weitreichende Folgen für den Umbau des menschlichen Körpers, für sein Verhalten und für seinen Intellekt. Aber aus diesen Gedanken folgt: Für den Menschen gelten keine evolutionären Sonderbedingungen. Der aufrechte Gang ist ein beliebiges Merkmal. Die Selektion prämiert die Merkmale, die nützlich sind. Dies bedeutet, der Mensch richtet sich selbst auf – weil diese Haltung Vorteile bringt. Nicht nur der Kosmos, nicht nur Gott, sondern die Welt überhaupt ist dem Menschen gegenüber gleichgültig. Die Natur, die Biologie sagen dem Menschen nichts über sich selbst – Orientierungen werden stumm verweigert. In der philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts wird daraus das riskierte Wesen Mensch (244–253).

Im vierten Teil „Freihändige Kulturwesen” (255–335) zieht Bayertz das Resümee aus der Wahrnehmung der Natur des aufrechten Ganges – so die ersten drei Teile – für die Selbstdeutung des Menschen. Die Menschen schaffen ihre eigene, ihren Bedürfnissen angepasste Gesellschaft und Kultur. An die Stelle der körperlichen Einzigartigkeit treten die intellektuellen und kulturellen Leistungen der Menschen. Die Hand wird dabei zum „absoluten Werkzeug” (261–275), das auf der biologischen Grundlage des aufrechten Ganges Voraussicht, Vernunft und technisches Handeln fordert und ermöglicht. Die Sprache ermöglicht Austausch, Verständigung und Weitergabe über Vergangenes und Künftiges und befreit die Hand von der Gebärdensprache. Es entsteht Vernunft. Werkzeuge führen zu einer „zweiten Befreiung der Hände” (285). Die concupiscentia carnis wird ausführlich behandelt. Angeblich präsentieren die Menschen, zumindest die männlichen, im aufrechten Gang ihr Geschlecht in unziemlicher Weise, wie dies kein anderes Lebewesen tut. Die Schamkapsel der Vorreformation, die Penisfutterale indigener Völker lässt Bayertz unerwähnt. Das Äußere einer Person ist ein Zeichen seiner inneren Verfassung. Herkunft, Status und Lebenslage einer Person werden dadurch angezeigt, wie er steht und geht. Der aufrechte Gang ist eine „soziale Praxis” (301), eine Repräsentation der Lebensform und ein Symbol des sozialen Ranges. Die Körperhaltung wird zu einer Determinante der Befindlichkeit. Bayertz demonstriert mit einem wunderbaren Cartoon die depressive Haltung. Erwähnt seien hier aus aktuellem Anlass die sogenannten Kriegszitterer des Ersten Weltkrieges, deren psychisches Trauma sich in unkontrollierbaren Bewegungen einzelner Glieder, ja des ganzen Körpers äußerte.

Im abschließenden 29. Kapitel „Von der Metaphysik zur Metaphorik” (324–335) fasst Kurt Bayertz seine Gedanken zum aufrechten Gang als Leitlinie seiner anthropologischen Grundgedanken in der These zusammen, dass die besten Tage des aufrechten Ganges vorbei seien (334). Die Metaphysik, der Kosmos, Gott – alles dies ist entschwunden. An die Stelle von Garantien menschlicher Existenz treten Unsicherheiten, und der aufrechte Gang ist eine ihrer Quellen. Der Gewinn ist das Bewusstsein eigener Macht, sowohl im Denken wie im Handeln. „Was kontingent ist, kann eben auch anders sein, und kann daher prinzipiell von uns geändert werden” (335). Gerade in diesem Feld hat der aufrechte Gang seine metaphorische Kraft bewahrt.

Kurt Bayertz hat sein Werk sorgfältig gegliedert. Den vier Teilen stehen jeweils einführende Überlegungen voran. Die Kapitel sind durchgehend gegliedert und mit einer zusammenfassenden Überschrift versehen. Die teils ausführlichen Anmerkungen stehen – leider – am Schluss des Buches. Ein ebenso ausführliches Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und ein Sachregister schließen den Band ab. Kurt Bayertz ist mit diesem Buch ein großer Wurf gelungen, ein opus per-magnum. Es ist – bis auf das fürchterliche Wort „Knackpunkt” (294) – ein pures Vergnügen, mit Bayertz gleichsam über die Jahrtausende hinweg der menschlichen Selbstreflexion unterschiedlicher Deutungen des aufrechten Ganges zu folgen. Dass dieses Buch zu schreiben nicht nur viel Arbeit, sondern auch viel Freude gemacht hat, ist aus dem verhalten – oder gar verschmitzt – lachenden Bild des Autors auf dem Umschlag zu ersehen: Lasst Euch mit mir auf eine weite Reise durch die menschliche Selbstfindung ein – so könnte die Einladung lauten. Der aufrechte Gang ist Thema und Leitgedanke der Diskussion, die über Jahrhunderte hinweg geführt wurde. Im Zentrum steht dabei die Frage, was die Menschen über sich selbst gedacht haben. Bayertz ist in der Tat eine Geschichte der Anthropologie um den Kerngedanken Bewegung herum gelungen.

„Bewegung” – ein erster Versuch, die Aporien des scheinbar Selbstverständlichen zu systematisieren

Anhand von Bayertz’ Buch sind wir bereits auf eine Vielfalt von Wahrnehmungen und Deutungen menschlicher Bewegung sowohl in der Alltagswelt als auch in den Wissenschaften gestoßen. Es soll nun vor dem Blick auf das zweite zu besprechende Werk versucht werden, Bewegung als Tätigkeit wie Gegenstand zumindest in Ansätzen zu systematisieren, um eine erste, vorläufige Kartographie des Forschungsgebietes zu erstellen. Bewegung ist sicherlich ein Gegenstand der Physiologie, besonders der Arbeits- und der Sportphysiologie. Bewegung ist ein Gegenstand der Pädagogik – und zwar nicht nur in der wissenschaftlichen, sondern auch der Alltagswelt: „Schlurfe nicht! Beweg Dich anständig!” – diese und ähnliche Sätze unserer besorgten Eltern hallen in uns nach, und wir geben sie bedenkenlos an unsere Kinder und Kindeskinder weiter. Wir werden in bestimmte Formen, uns zu bewegen, hinein erzogen. Bewegung ist also auch ein bedeutender Bereich der Enkulturation in eine Gesellschaft und ebendort in eine gesellschaftliche Schicht und in bestimmte Tätigkeiten. Bewegung ist ein wesentlicher Teil von „Haltung”. Bewegung ist daher ein Gegenstand der Psychologie, der Soziologie, der Kulturwissenschaften und der Anthropologie allgemein. Ohne im geringsten vollständig sein zu wollen oder gar zu können, geraten wir auf einen Ozean von Erscheinungen und Deutungen.

Nehmen wir nun noch die zeitliche Dimension hinzu und gehen in die Geschichte, zeigt sich, dass dieser Ozean nicht nur weit, sondern auch tief ist und bis in die dunklen Anfänge humaner Selbstreflexion hinabreicht. – so lautet das berühmte Rätsel der Sphinx, das Ödipus zu seinem Unglück löste: „Was ist es, das eine Stimme hat und vierbeinig, zweibeinig und dreibeinig wird?”

Für Aristoteles bildet Bewegung ein Grundprinzip der Natur. Nur Lebewesen bewegen sich aus eigenem Antrieb. In der späteren Diskussion wurde Aristoteles als der Begründer der handlungsorientierten Bewegungslehre angesehen, so wie sie aus der Mensch-Umwelt-Interaktion in ihrem Bedeutungsgehalt folgt. Gegenstand dieser qualitativ-intentionalen, hermeneutischen Bewegungswissenschaften sind die Bewusstheit und Sinnhaftigkeit der Bewegung, etwa durch primordiale Prägung in der Familie, durch Gemeinschaft und Gesellschaftlichkeit in Kindergarten, Schule, Arbeit und Sport, oder die Ausdruckskünste wie Ballett, Pantomime und Tanz. Aus der aristotelischen Tradition folgen in den modernen Wissenschaften des späten 19. Jahrhunderts etwa die Psychomotorik, die Psychophysik, die Bewegungslehre in den Arbeitswissenschaften, in den Sportwissenschaften oder in der Medizin, so etwa in der Physiotherapie oder der Rehabilitation. Aus dem breiten Strom der neuzeitlichen Forschung sei lediglich Ivo Kohler genannt, ein Schüler des Innsbrucker Wahrnehmungspsychologen Theodor Erismann. In seinen berühmten Experimenten mit Umkehr-, Prismen- oder Farbbrillen wies Kohler nach, dass nur derjenige sich in der optisch veränderten Umwelt zurecht findet, der sich aktiv in ihr bewegt. Wem die Prismenwelt am Rande sitzend nur in Worten erklärt wird, der begreift sie nicht. Wir „er-greifen” und „be-greifen”, wir „er-be-wegen” uns unsere Welt. Die Stimmung, die Gemütslage eines Menschen erkennen wir an seiner Haltung, an seinem Gang. „Wie geht es?”, so lautet die Frage nach dem allgemeinen Wohlbefinden.

René Descartes begründete die funktions-orientierte Bewegungslehre. In diesen empirisch-analytischen Bewegungswissenschaften werden Körperbewegungen nach dem Mensch-Maschine-Modell gedeutet. Gegenstand ist die Biologie der Bewegung im Raum und damit die Bewegung als Bewegungsapparat, als muskulo-skelletales System, als Motorik, als Leistung – oder eben als Ermüdung. Daraus folgen die Anatomie – erinnert sei an Andreas Vesals De humani corporis fabrica –, die Biomechanik, die Physiologie, die Leistungsphysiologie oder die klassische Orthopädie, deren mechanischen Ansatz Nicholas Andry seinerzeit im Leitbild eines an einen geraden Pfahl angebundenen jungen Baumes symbolisierte. In Anlehnung an die Mathematisierung der Weltsicht im frühen 17. Jahrhundert wird diese Bewegungslehre als „galileische Tradition” bezeichnet. Julièn Offray de la Mettrie brachte diese Idee mit seinem berühmten Buch L’homme machine ausgangs des 18. Jahrhunderts in ihre Extreme.

Ein facettenreiches historisches Beispiel, den Unterschied der „aristotelischen” und „galileischen” Tradition zu verdeutlichen, ist Nikolaj Bernstein. Er untersuchte in seinen frühen bewegungswissenschaftlichen Arbeiten 1922 durchaus mechanistisch-galileisch in der Analogie der Klaviermechanik die Fingerbewegungen von Pianisten. Anhand des virtuosen Pianospiels kam er alsbald zu dem Schluss, dass die bewusste menschliche Bewegung das völlige Gegenteil eines mechanischen Vorganges oder gar eines Reflexes im Sinne der seinerzeit in der Sowjetunion vorherrschenden Theorie Iwan Pavlows ist. Vielmehr werden im Akt der Bewegung die Intentionen und Optionen einer Bewegungsvorstellung in einer Kaskade größtenteils unbewusst verlaufender Entscheidungen und Reaktionen auf die Gesamtsituation gegebener Möglichkeiten und Mittel erst zur eigentlichen Bewegung reduziert. Menschliche Bewegung ist demnach ein ganzheitlicher, selten eindeutiger Vorgang (vgl. jetzt Bernstein & Feigenberg 2014). Deutlich wird hier auch, welche politischen Dimensionen die wissenschaftliche Erforschung der Bewegung annehmen kann.

Die Deutung der Bewegung für das Menschsein, ihre Intentionalität, ihre das Menschsein begründende Bedeutung und damit ihr elementarer Wert waren Gegenstand der Philosophie und der Anthropologie von ihren Anfängen an – davon handelt das Buch von Kurt Bayertz. Es folgt daraus die phänomenorientierte Bewegungslehre, die Bewegung als Konstituens von Ich und Welt sieht. Bedeutende moderne Autoren sind Helmuth Plessner sowie in dessen Gefolge Frederik Jacobus Johannes Buytendijk, einer der wenigen Philosophen, der der menschlichen Bewegung eine eigene Monographie gewidmet hat, oder der von Henri Bergson beeinflusste Maurice Merleau-Ponty, dessen „Leib-Philosophie” ein zentraler Aspekt seines Werkes ist.

Während sich die bislang herausgearbeiteten Bewegungslehren unmittelbar auf die menschliche Bewegung richten, gibt es Disziplinen, in denen die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Deutungen von Bewegung reflektiert werden. Der Gegenstand dieser Metatheorien ist nicht primär die Bewegung an sich, sondern wie Bewegung in theoretischen und historischen Zusammenhängen wahrgenommen und gedeutet wurde. Dazu gehören die Geschichte und Theorie der Rationalisierungsformen von Bewegung, dazu gehören Metatheorien der Bewegungslehren. Nur als Beispiele genannt seien die Verkörperung des Sozialen in der historischen Anthropologie von Johan Huizinga, in der Ethnologie von Marcel Mauss, in der Kulturtheorie von Norbert Elias, in der biopolitischen Theorie von Michel Foucault oder in der Habitus-Theorie von Pierre Bourdieu. Einschlägige historische Untersuchungen sind die Arbeiten Motor Mensch von Anson Rabinbach oder Reizbare Maschinen von Philipp Sarasin.

In dieser hier nur versuchsweise geordneten Gemengelage allein der menschlichen Bewegung geraten wir leicht ins Taumeln. Eine wunderbare Orientierungshilfe bietet ein Sammelband von 2004, in dem die Hamburger „Bewegungswissenschaftlerin” Gabriele Klein – sie ist Soziologin sowie Kultur- und Tanzwissenschaftlerin – unter den Stichwörtern „Bewegung und Moderne” verschiedene Ansichten zusammengeführt hat, von der historischen Anthropologie über die „Verkörperung des Sozialen” in Sport und populärer Kultur bis zu den Versuchen, Bewegung wissenschaftlich zu erfassen, von räumlichen, subjektbezogenen und politischen Dimensionen bis hin zum Film und der mit dem Begriff Bewegung zugleich mitgelieferten Dimension Zeit.

Abgesehen von diesen theoretischen und historischen Dimensionen wird der Bewegung eine immer größere Bedeutung für die Gesundheit des Menschen zugeschrieben. Das enge Verhältnis von Gesundheit und Bewegung ist uns allenthalben geläufig. Neuere Studien zeigen beispielsweise, dass die beste Prävention und Metaphylaxe gegen Demenz nicht „Gehirn-Jogging” wie etwa das beliebte Bridge-Spiel, sondern körperliche Bewegung ist. Hier erinnern wir uns an Ivo Kohler: Wenn wir uns bewegen, geschieht offensichtlich erheblich mehr als nur eine physikalische Änderung in Raum und Zeit. Um zu den Anfängen zurück zu kehren: Für die angehende Mutter sind die Bewegungen des Fötus ein Zeichen, dass das kommende Kind gesund ist.

Andreas Mayer: Wissenschaft vom Gehen

Nachdem die Gemengelage von Begriff und Deutung uns zu dem Bild eines Ozeans der Möglichkeiten von Bewegung und ihrer Erforschung geführt hat, scheint das Buch von Andreas Mayer leicht zuzuordnen zu sein. Im Archipel der mechanistischen Bewegungsforschung galileischer Tradition beschäftigt er sich mit der Frage, wie im 19. Jahrhundert versucht wurde, eine „Wissenschaft vom Gehen” zu begründen – ein frustraner Versuch, wie nach den vorhergehenden Ausführungen bereits zu vermuten ist. Andreas Mayer weist die Bedeutungstiefe dieses scheinbar rein motologischen Themas gleich eingangs mit zwei wunderschönen Zitaten auf (9): Honoré de Balzac wundert sich in seiner „Theórie de la démarche” von 1833, warum sich nie ein Mensch jemals gefragt habe, „warum er geht, wie er geht, ob er geht, ob er nicht besser gehen könnte, was er beim Gehen macht […] Fragen, die sämtliche philosophischen, psychologischen und politischen Systeme betreffen, mit denen sich die Welt befasst hat.” Italo Svevos hypochondrisches alter Ego richtet aufgrund der Information, wie viele Muskeln denn in Bein und Fuß zusammenspielen, alles Denken und Sinnen derart auf sein Gehen aus, dass es ihm zu „einer schweren und auch leicht schmerzhaften Arbeit” wird: „Ich bin drauf und dran hinzufallen” (9).

Andreas Mayer deutet einleitend zwar die unterschiedlichen körperhistorischen und -soziologischen Ansätze an, sich in der Zeit der frühen Mechanisierung und Beschleunigung der Welt des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts mit dem Gehen zu beschäftigen. Er selbst widmet sich indes der „bisher ungeschriebenen” (13) Geschichte wissenschaftlichen Beobachtens und Experimentierens. Dies geschieht im Rahmen einer historischen Anthropologie des Wissens. „Dabei gilt es […] zu verstehen, wie das alltägliche Phänomen der menschlichen Bewegung in den Rang eines ungreifbaren Objektes aufgestiegen ist” (13). Im ersten Kapitel „Spaziergänger, Fußreisende, Soldaten: Konturen eines praktischen Wissens vom Gehen” (17–57) geht es darum, wie das Gehen zu einem Objekt der Reflexion wurde. Dies geschah teils empirisch, auch mit Blick auf die neu entstehenden Transportmittel, die das Gehen als neben dem Reiten und Pferdewagen vormals selbstverständliche Art der Ortsveränderung zu Land in eine neue wissenschaftliche Wahrnehmung brachten. In der Selbstreflexion der Zeit, die neben dem wissenschaftlichen Wissen über die Natur die Natur als bestimmendes Moment des Menschseins ansah, bestimmte Jean-Jacques Rousseau den Körper als das ursprüngliche Instrument des Menschen. Rousseaus einsamer Spaziergänger, das Lob der Fußreise, die Gymnastik der Philanthropen, die Regulierung des militärischen Schrittes, die moralische Semiotik menschlicher Bewegung werden diskutiert – und damit die anthropologischen, pädagogischen und militärischen Versuche, den natürlichen Gang in neuen Praktiken der Beschreibung und Vermessung zu kultivieren (55). In den neuen Praktiken des Beschreibens und Messens lassen sich erste Ansätze zu einer wissenschaftlichen Erforschung der Bewegung erkennen.

Im zweiten Kapitel über die Theorien des Gehens in der französischen „Wissenschaft vom Menschen” (58–104) werden die Wissenschaftler Frankreichs in den Blick genommen, die die Bewegung von Menschen und Tieren zum Gegenstand einer neuen Wissenschaft machen. Die Iatromechanik des 17. und 18. Jahrhunderts, die Lebewesen als Maschinen deutete, bildet den Ausgangspunkt einer neuen Physiologie, deren Gründungsakt der Traktat De motu animalium von Giovanni Alfonso Borelli darstellt. Die vitalistische Mechanik der Lebewesen, die medizinische Semiologie der Gangarten, die tierische Mechanik, das „bewundernswürdige Kalkül des Instinktes” (88) sind die Schritte, in denen Mayer nachzeichnet, wie die Bewegung wissenschaftlich erobert werden sollte. Den Kontrapunkt dieser Bestrebungen bildet Balzacs bereits eingangs von Mayer zitierte „Théorie de la démarche”. Süffisant stellt Balzac den Ergebnissen der physiologischen „Wissenschaft vom Menschen” (94) seine literarisch überhöhten Alltagsbeobachtungen entgegen: Die Gangart als ‚Physiognomie des Körpers’ offenbart die menschlichen Tugenden und Laster und wird so zu einer Semiotik sozialer Typen im Stadtraum (97 f.). Balzac erklärt die „Bewegung zum notwendigen und unmöglichen Gegenstand einer neuen Wissenschaft vom Menschen” (15).

Das dritte Kapitel „Mechaniker der menschlichen Gehwerkzeuge: Physiologische Gangexperimente” (S. 105–142) ist der experimentalen Physiologie der Bewegung gewidmet. Die Brüder Wilhelm und Eduard Weber – Physiker der erste, Physiologe der zweite – stehen mit ihrer 1836 publizierten Abhandlung Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge am Anfang. Im Anschluss an die industrielle Mechanik sehen die Brüder Weber von allen möglichen kulturellen oder individuellen Variationen des Ganges ab. Es gilt, die Leistungen menschlicher, tierischer und maschineller Bewegung mit Blick auf einen reibungslosen Transport und dessen effiziente Organisation zu untersuchen. Das Gehen wird Gegenstand des Labors und der dort möglichen Praktiken, Vorgänge zu isolieren, zu verbildlichen, zu messen, zu mathematisieren und zu modellieren. Der natürliche Gang als idealer Gegenstand der Maschinenlehre, die Analogie von Pendel und Gang, Gehwerkzeuge und Illusionsapparate und Individualitäten des aufrechten Ganges leiten die Diskussion der Zeitgenossen.

Im vierten Kapitel „Abdrücke, Kurven, Photographien: Bewegungsbilder und Körpertechniken” (143–202) kommen die ab 1870 beginnenden, im wahrsten Sinne des Wortes spektakulären Aufzeichnungen der Bewegung von Mensch und Tier in den Blick. Mit seinen berühmten graphischen und photographischen Aufzeichnungsverfahren wollte der Physiologe Etienne Jules Marey die unzureichenden Sinne des Beobachters ausschalten und eindeutige Repräsentationsformen für die Mechanisierung und Objektivierung der Gangaufzeichnung schaffen. Die Bewegungsvorgänge sollten nicht nur erfasst, sondern auch kontrolliert und reformiert werden können. Die Beobachtungen an Pferden standen am Beginn, es folgt Etienne Jules Mareys graphische Bewegungsphysiologie, Spurenbilder und Ganglinien, um Gehexperimente auch für die Klinik nutzbar zu machen. Die Momentphotographie führte die Ästhetik der Bewegung auf neue Weise in den Blick. Es entstand eine visuelle Anthropologie der Körpertechniken. Dass aber ein „Virtuose des Gehens” angeblich dreißig bis vierzig Kilometer pro Stunde zurücklegen konnte, ohne zu ermüden (199), glauben heutzutage wohl nur wenige.

In einem Nachwort „Das Dilemma des Tausendfüsslers” (203–209) zieht Andreas Mayer das Resümee, das von Beginn an der Subtext seiner Erörterungen über die Versuche des 19. Jahrhunderts ist, eine Wissenschaft vom Gehen zu begründen. Es „drängt sich die Feststellung auf, dass sich dieser alltägliche Lebensvorgang seiner Transformation in einen wissenschaftlichen Gegenstand beharrlich entzogen hat” (203). Der Tausendfüssler fällt auf die Frage, welches Bein er nach welchem bewegt, erschöpft in den Graben, weil er bewusst nicht weiß, wie er laufen soll. Weder die umfänglichen Experimente der Gebrüder Weber und ihrer noch wesentlich komplizierter experimentierenden Nachfolger Wilhelm Braune und Otto Fischer noch die neuen (photo-)graphischen Verfahren der Bewegungsphysiologie haben zu einer Annäherung von Gehen und Mechanik geführt. Eine „holistische Erfassung des Bewegungsaktes, wie sie seit der französischen Wissenschaft vom Menschen immer wieder gefordert wurde, ist bis heute vor allem eine anthropologische Vision geblieben” (209).

Andreas Mayer hat, von einem begrenzten und scheinbar trockenen Gegenstand, der Erforschung des Gehens ausgehend, ein wunderbares Buch geschrieben. Seinem doppelten Ziel, die Etappen der Wissenschaft nachzuzeichnen und dabei zugleich eine historische Anthropologie des Wissens vorzulegen, ist er in ebenso sachkundiger wie unterhaltsamer Weise nachgekommen. Dazu tragen die Einleitung, die übersichtliche Gliederung mit den leitenden Überschriften und die zahlreichen Abbildungen bei. Wissenschaftler, über die es aus anderer Sicht hinreichend Literatur gibt – so etwa über Etienne-Jules Marey – ordnet Mayer strikt in die Erforschung des Gehens ein. Auch in diesem Buch sind die Anmerkungen etwas beschwerlich am Ende des Bandes aufgeführt. Den Schluss bilden ein ausführliches Literatur- und ein Abbildungsverzeichnis. Sach- und Personenregister werden allerdings schmerzlich vermisst.

Bewegung – ein unerschlossenes Forschungsgebiet der Historiographie

Unsere kleine Küstenfahrt auf dem weiten und tiefen Ozean „menschliche Bewegung” endet hier. Die Dimensionen des Gegenstandes waren in den Berichten zweier neuer Bücher zu ahnen. Wir können nach diesem kurzen Blick über das Meer der unterschiedlichen Wahrnehmungen und Deutungen menschlicher Bewegung schlussendlich festhalten, dass Bewegung Leben ist und dass die je eigenen Bewegungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten des Menschen in der Gemeinschaft und in der Gesellschaft gedeutet und gestaltet wurden und werden.

Diese reichlich abstrahierenden Aussagen geben zumindest die Dimensionen und die Aufgaben vor, unter denen das Thema der menschlichen Bewegung historisch gesehen werden muss. Kurt Bayertz und Andreas Mayer stimmen überein, dass es zu diesem Gebiet kaum historische oder auch andere geisteswissenschaftliche Arbeiten gibt. Das entspricht bis auf wenige, hier zitierte Ausnahmen den Ergebnissen einer eigenen ersten Literaturrecherche. Bayertz und Mayer sind, um im Bild zu bleiben, auf einen unbekannten Ozean vorgestoßen und haben Bemerkenswertes entdeckt. Das weckt Interesse, das macht Mut. Gleichwohl können und müssen wir zumindest für heute mit der Einsicht schließen, dass die reichen Zeugnisse menschlicher Selbstreflektion über die Bewegung – vom Alltag über die Belletristik bis zu den unterschiedlichsten Wissenschaften – in der Wissenschafts- und Medizingeschichte bislang kaum wahrgenommen worden sind.