Die Erforschung der Erdatmosphäre erfuhr nach dem Zweiten Weltkrieg eine erhebliche Konjunktur, als die Geowissenschaften insgesamt – nicht zuletzt im Kontext des Kalten Kriegs – an Bedeutung gewannen (u.a. Doel 2003; Luedtke and Howkins 2012). Zahlreiche Studien haben nachgezeichnet, wie atmosphärenwissenschaftliche Themengebiete der letzten vierzig Jahre gleichermaßen wissenschaftliche, politische und öffentliche Diskurse entscheidend mitgeprägt haben (u.a. Böschen 2000; Grundmann 2001; Conway and Oreskes 2010) – Nuklearer Winter, Treibhausgase, FCKW, Ozonloch und Klimawandel sind in diesem Zusammenhang nur einige der großen bekannten Schlagwörter. Wissenschaftshistorisch lassen sich manche dieser Themenkomplexe bis weit in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Genannt seien an dieser Stelle nur der, seit den 1970er Jahren zunehmend auch in der öffentlichen Diskussion bekannt gewordene ‚Treibhauseffekt‘ und die Herstellung eines direkten Zusammenhangs zwischen diesem Effekt und dem Anstieg von Kohlenstoffdioxid (CO2) (Crawford 1996, 1997; Charlson 1997) sowie der Klimawandel selbst (Weart 2010), zu dem Fleming umfassendere Überlegungen schon im kolonialen Amerika des 18. Jahrhunderts angestellt sieht (Fleming 1998: S.23–27). Bereits Lavoisier entwickelte im vierten Kapitel seiner 1789 verfassten Traité Élémentaire de Chimie theoretische Ansätze, die teils verblüffende Bezugspunkte zur modernen Atmosphärenforschung zulassen, wie etwa der Unterteilung der Atmosphäre in Subbereiche mit unterschiedlichen chemisch-physikalischen Eigenschaften [Lavoisier (1965) (1789) : insbes. 28–56].

Ein großer Teil der vorhandenen Forschungsliteratur hat die Entwicklung der Atmosphärenwissenschaften als eigenständigem Wissenschaftsbereich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als internationales Phänomen betrachtet und ihre Schwerpunkte auf die Struktur und Rolle entsprechender Organisationen gelegt, wie beispielsweise das IPCC oder Großprojekten wie dem Global Change Research Program (u.a. Kwa 2005; Beck 2011; Leuschner 2012; Uhrqvist and Linnér 2015). Es ist ferner eine Reihe wissenschaftshistorischer und -philosophischer Studien zum Instrumentarium und methodologischen Repertoire sowie der Glaubwürdigkeit der Atmosphärenforschung, vor allem unter Fokussierung auf die Klimaforschung, entstanden (Dahan 2013; Leuschner 2012; Edwards 2011; Heymann 2010a, b; Gramelsberger 2010; insbes. auch der Sammelband: Gramelsberger and Feichter 2011). Viel weniger hingegen wurden auf der organisations- und institutionengeschichtlichen Ebene Betrachtungen angestellt; und wenn, so oft unter besonderer Betonung der Rolle der USA (z.B. Hart and Victor 1993; Weart 2010) – auf dieses grundsätzliche Problem hat Beck bereits hingewiesen (Beck 2012: 1). Gerade im Falle der Bundesrepublik liegt vieles im Dunkeln, wenngleich zumindest vereinzelt Arbeiten vorhanden sind, beispielsweise zur Geschichte der meteorologischen Dienste (Wege 2002) und des Instituts für Physik der Atmosphäre in Oberpfaffenhofen (Volkert and Achermann 2012; Achermann 2013).

Der vorliegende Aufsatz leistet einen Beitrag zur Geschichte der Konsolidierungsphase atmosphärenwissenschaftlicher Forschung in der BRD und zeichnet bislang unberücksichtigte, jedoch nichtsdestoweniger bedeutsame Entwicklungen nach, die eine entscheidende Rolle für den Aufbau der deutschen Atmosphärenwissenschaften spielten. Dies gilt unter anderem für die nachhaltige Forcierung der Förderung durch zentrale Wissenschaftsorganisationen (wie etwa DFG, Max-Planck-Gesellschaft) und für die Etablierung einer neuartigen Perspektive auf atmosphärenwissenschaftliche Prozesse als Kreislaufprozesse.

Aus soziologischer Perspektive können die Atmosphärenwissenschaften seit spätestens Anfang der 1980er Jahre als eigenständiger Wissenschaftsbereich angesehen werden, es lässt sich jedoch bereits in den 1960er Jahren ein zunehmender Aufbauprozess feststellen (Schützenmeister 2008: 33 f.). Als Beispiele hierfür lassen sich die 1960 aus der Gesellschaft zur Förderung der kernphysikalischen Forschung hervorgegangene Kernforschungsanlage Jülich (KFA) und die Mitte der 1960er Jahre wesentlich erweiterte Karlsruher Reaktorstation nennen, die bereits damals relativ gute Voraussetzungen für die Beforschung der Atmosphäre vorweisen konnten (Schützenmeister 2008: 109).

Der hier anvisierte Untersuchungszeitraum liegt zwischen 1968 und den ausgehenden 1970er Jahren und im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen zwei eng miteinander verwobene Fallbeispiele, die für die Atmosphärenforschung in der BRD eine Schlüsselrolle spielten. Erstens der 1968 ins Leben gerufene DFG-Sonderforschungsbereich 73 „Atmosphärische Spurengase“ (SFB 73) sowie zweitens die im selben Jahr eingerichtete Abteilung für „Chemie der Atmosphäre und physikalische Chemie der Isotope“ (im Folgenden: Abteilung für Atmosphärenchemie), die unter der Leitung des Meteorologen Christian Junge am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz eingerichtet wurde. Der SFB 73 ist insofern von besonderer Bedeutung, als er das erste umfassend von der DFG geförderte Forschungsprogramm war, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Erforschung globaler Stoffkreisläufe in der Atmosphäre befasste. Im Kontext des SFB 73 wurde zum einen ein Grundstein der für die Atmosphärenforschung so entscheidenden kooperativen Strukturen beteiligter Forschungseinrichtungen gelegt, für die Schützenmeister, bezogen auf das Beispiel der Atmosphärenchemie, den Begriff der „offenen Großforschung“ vorgeschlagen hat (Schützenmeister 2009). Exemplarisch wird der Prozess der Vernetzung hier an der MPIC-Abteilung für Atmosphärenchemie veranschaulicht werden, deren Kooperationspartner im Laufe der 1970er Jahre stetig zunahmen; und zwar sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene. Ferner wurden durch den SFB 73 Strukturen geschaffen, die eine Stabilisierung der Atmosphärenwissenschaften als wissenschaftliche Disziplin (hier im Sinne Stichwehs 1993) überhaupt erst ermöglicht haben, beispielsweise in Form der Ausbildung wissenschaftlichen Nachwuchses jenseits der klassischen, das heißt primär auf Wetterbeobachtung ausgerichteten Meteorologie.Footnote 1

Die Abteilung für Atmosphärenchemie war ihrerseits die erste überhaupt, die sich in der MPG vertiefend mit atmosphärenchemischen Fragestellungen beschäftigte und ihr Leiter Christian Junge (1912–1996) sowie die in seiner Abteilung verankerten Forschergruppen sollten den SFB 73 nachhaltig mitprägen – ein solcher Einfluss eines Max-Planck-Instituts (MPI) war für ein DFG-Projekt nicht unbedingt typisch, da sich die DFG vornehmlich auf die Förderung der universitären Forschung konzentrierte. Junges Abteilung nahm jedoch eine Leitfunktion im SFB ein und dies hatte erhebliche Konsequenzen für die dortigen thematischen Ausrichtungen; das größte atmosphärenwissenschaftliche DFG-Programm der 1970er Jahre in der BRD wurde im Wesentlichen von dezidiert atmosphärenchemischen Fragestellungen geprägt, von denen sich auch andere, nicht am SFB 73 beteiligte Einrichtungen ab Mitte der 1970er Jahre beeinflussen ließen. Der SFB 73 und die Abteilung für Atmosphärenchemie waren zentrale Kontexte des Aufbaus der Atmosphärenwissenschaften und eignen sich neben der rein institutionenhistorischen Ebene unter anderem dazu, den Kanonisierungsprozess atmosphärenwissenschaftlicher Literatur – seinerseits ein Merkmal der Konsolidierung zum eigenständigen Wissenschaftsbereich (Schützenmeister 2008: 109 f.) – zu dokumentieren. Weiterhin wurde vor allem durch Junge in der BRD ein damals auch in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft noch relativ junges Paradigma der modernen Atmosphärenforschung etabliert. Dabei handelte es sich um die Auffassung, wer die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre untersuchen wolle, müsse sich darauf konzentrieren, Stoffsenken, -quellen und -kreisläufe zu untersuchen und hierzu neben der Atmosphäre auch die Bio- und Geosphäre in atmosphärenwissenschaftliche Fragestellungen einzubinden. Es ist zweifellos übertrieben, Junge als „Erfinder der Luftchemie“ (Jaenicke 2012) zu bezeichnen, allerdings bestätigen die im Folgenden vorgenommenen Untersuchungen, dass er in der Tat eine große Rolle spielte.

Der Aufsatz unterteilt sich wie folgt: In einem ersten Schritt werden einige strukturelle und organisatorische Entwicklungen im Kontext des SFB 73 nachgezeichnet. In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Akteure vorgestellt und herausgearbeitet, wie der SFB von der Abteilung für Atmosphärenchemie des MPI für Chemie thematisch wie auch personell mitstrukturiert wurde. Darüber hinaus wird im ersten Teil exemplarisch an der Abteilung für Atmosphärenchemie der Prozess der wachsenden Vernetzung von Atmosphärenforschung treibenden Einrichtungen in den 1970ern veranschaulicht.

Der zweite Abschnitt befasst sich dann näher mit Forschungsbereichen, die damals im Kontext des SFB von größerer Bedeutung waren. Dies geschieht unter dem spezifischen Gesichtspunkt von Indikatoren, die bedeutsam waren für die Herauskristallisierung der Atmosphärenwissenschaften als eigenständigem Bereich, unter anderem der Kanonisierung atmosphärenwissenschaftlicher Forschungsliteratur und der anfänglichen Notwendigkeit, zunächst vornehmlich einen instrumentellen und methodischen Unterbau für die Erforschung der Atmosphäre zu schaffen bzw. schaffen zu müssen.

Zum strukturellen Aufbau des SFB 73 „Atmosphärische Spurenstoffe“

Der Aufbau der Atmosphärenwissenschaften in der BRD fällt zeitlich in eine politische wie auch wissenschaftsorganisatorische Umbruchphase, die vielschichtige Konsequenzen nach sich zog. Hierzu gehörte das zunehmende Interesse der Politik an umweltwissenschaftlichen Fragestellungen, die zu einer verstärkten Förderung der Ressortforschung in entsprechenden Bereichen seit den frühen 1970er Jahren führten (Küppers et al. 1978: insbes. 127–155; Barlösius 2015). Auch die vorhandenen Organisationen der Wissenschaft selbst waren im Wandel begriffen. Sichtbare Folgen waren etwa die Eröffnung von Reformuniversitäten, die einer ‚Ideologie der vielen Köpfe‘ folgend breiteren Bevölkerungsschichten den Zugang zum Studium ermöglichen sollten. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Universität Bielefeld (vgl. Lundgreens Sammelband von 1994). Weiterhin verschwamm die Grenze zwischen den grundlagen- und anwendungsorientierten Einrichtungen immer mehr, was sich unter anderem in der Anerkennung eines Universitätsstatus für mehrere Technische Hochschulen um 1970 äußerte.Footnote 2 Auch in der DFG, die seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre Anstrengungen zur Effizienzsteigerung der Forschungsförderung unternahm, wurden Organisations- und Förderstrukturen neu geordnet (Orth 2011: 21). Eines der neuen Förderinstrumente waren die Sonderforschungsbereiche (SFB), die 1968 auf Initiative des Wissenschaftsrats als dritte Säule (neben Normal- und Schwerpunktverfahren) ins Leben gerufen wurden (Orth 2011: 182 f.).

Der SFB „Atmosphärische Spurenstoffe“ gehörte damit zu den ersten der neuen Großformate. Er wurde 1968 von Christian Junge, Kurt Bullrich (1920–2010) und Hans-Walter Georgii (*1924) ins Leben gerufen, die im Folgenden schlaglichtartig vorgestellt werden sollen. Junge hatte sich zwar frühzeitig für Chemie interessiert, dann aber aus Gründen beruflicher Sicherheit (Jaenicke 2012) für ein Studium der Geophysik und Meteorologie entschieden. Nachdem er an den Universitäten in Graz und Hamburg studiert hatte, kam er schließlich nach Frankfurt am Main, wo er 1935 bei Franz Linke promovierte und sich 1952 am Meteorologisch-Geophysikalischen Institut habilitierte. 1953 emigrierte er in die USA, wo er die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt und am Air Force Cambridge Research Center in Massachusetts arbeitete. Dort konzentrierte er sich insbesondere auf die sich damals noch in ihren Anfängen begriffene Aerosolforschung (Kant et al. 2012: 332 f.). Neben bahnbrechenden Arbeiten zur Größenverteilung des atmosphärischen Aerosols, gehörte zu Junges größten Forschungserfolgen zweifellos die Entdeckung des permanenten, 30 km dicken, aus Schwefelsäureteilchen bestehenden Aerosolschleiers in der Stratosphäre, der in der Atmosphärenforschung noch heute als ‚Junge-Schicht‘ bezeichnet wird (Jaenicke 2012: 195). 1962 kehrte er, einem Ruf an die Gutenberg-Universität in Mainz folgend, nach Deutschland zurück. 1968 wurde Junge schließlich als Direktor an das direkt der Universität Mainz gegenübergelegene MPIC berufen. Seiner Berufung dorthin war eine Serie gescheiterter Berufungsversuche vorausgegangen und die Berufungskommission mit dem vielsagenden Namen „Zukunft des MPIC“ war dank einer langen Verkettung von Ereignissen und Zufällen schließlich auf Christian Junge gestoßen, der als erster Meteorologe an das MPIC berufen wurde (Lax 2016, im Erscheinen).

Auch Hans-Walter Georgii hatte ursprünglich Chemiker werden wollen, entschied sich jedoch auf Grund der nach dem Zweiten Weltkrieg schlechten Bedingungen eines Chemiestudiums für ein Studium der Physik und Meteorologie in Frankfurt am Main.Footnote 3 Dort wurde er der erste Diplomand Junges, der ihn dann später auch brieflich aus den USA bei seiner Dissertation betreute, auch wenn diese offiziell von Ratje Mügge (1896–1975) betreut wurde.Footnote 4 Mügge war damals Leiter des Frankfurter Instituts für Meteorologie und Geophysik (Hofmann 1997). 1965 erhielt Georgii schließlich ein Ordinariat an der Universität Frankfurt, wo er seinerseits Direktor des IMG wurde.Footnote 5

Kurt Bullrich hatte ebenfalls Physik und Meteorologie in Frankfurt studiert, wo er 1942 promovierte. 1949 war er als Assistent an das neue Meteorologisch-Geophysikalische Institut der Universität Mainz gekommen, wo er 1963 habilitierte und 1968 (im Jahr der Gründung des SFB 73) eine Professur erhielt. Seine Schwerpunkte lagen auf dem Gebiet der atmosphärischen Strahlung und dies wurde auch sein Steckenpferd im SFB 73, wo er sich unter anderem mit dem unmittelbaren Einfluss von Aerosolen auf den Strahlungshaushalt in der Atmosphäre befasste (Jaenicke 2014).

Der SFB 73 war das erste groß angelegte DFG-Programm, das sich mit der Untersuchung atmosphärischer Spurengase beschäftigte und sich bereits von Beginn an nicht allein auf die Atmosphäre, sondern die wechselseitigen Austauschprozesse zwischen Geo-, Hydro- und Biosphäre konzentrierte. Warneck führt die Sichtweise von Kreisläufen, Quellen und Senken zwischen den Erdsphären unmittelbar auf Christian Junge zurück (Warneck 2009: 3) und tatsächlich findet sich in dessen Monographie von 1963 ein entsprechender Ansatz, bei dem Junge sich teilweise auch auf andere Autoren bezieht (Junge 1963: 21; 34). Es wurden jedoch bereits lange zuvor vergleichbare Überlegungen von teils prominenten Wissenschaftlern angestellt, darunter schon in den 1920er Jahren von dem russischen Geologen Wladimir Vernadsky (1880–1968; Andreae 2012: 134 f.). In dezidiert atmosphärenwissenschaftlichen Kontexten ist insbesondere eine Arbeit von Roger Revelle und Hans Suess von 1957 zu nennen, die sich nicht nur mit dem CO2 Kreislauf zwischen Atmosphäre und den Ozeanen befasste, sondern vor allem die Rolle des Menschen als zunehmend an Bedeutung gewinnende Quelle von CO2 herausstellte (Revelle and Suess 1957). Ebenfalls erwähnenswert ist die Definition des Stockholmer Meteorologen Bert Bolin (1925–2007), der das Forschungsfeld „Atmospheric chemistry“ 1959 als „interplay between the atmosphere, the surface of the continents and oceans, biological activities, man and last but not least the ever moving atmosphere itself“ definierte (Bolin 1959: 1663). Die Auffassung von Kreisläufen sowie Quellen und Senken atmosphärisch relevanter Stoffe wurde zu einem zentralen Ausgangspunkt für die Forschungsprogrammatik des SFB 73 und vor allem auch von Junges Abteilung. Dies sollte einen zentralen Grundstein für die künftige Ausrichtung des gesamten MPIC und seine Entwicklung bis in die Gegenwart hinein bilden. Dort wurden später dann entsprechende Abteilungen eingerichtet, die sich der Geo- und Biosphäre mit einem stetigen Blick auf deren Austausch- und Wechselbeziehungen mit der Atmosphäre widmeten bzw. heute noch widmen.Footnote 6

Der SFB bestand fünfzehn Jahre lang und erreichte damit den damals maximal möglichen Förderzeitraum, der für Sonderforschungsbereiche erzielt werden konnte. Unmittelbar im Anschluss gründeten Georgii unter anderem 1985 den SFB 233 „Dynamik und Chemie der Hydrometeore“, der sich dann speziell mit der nassen Atmosphäre (besonders mit der Eisphase, Hagelbildung, Nebelausbreitung und -bildung) beschäftigte.Footnote 7

Bereits 1966 hatte das „eiserne Dreieck“Footnote 8 – wie die Universitäten Frankfurt, Darmstadt und Mainz genannt wurden – einen gemeinsamen Schwerpunkt zur Erforschung atmosphärischer Spurenstoffe gelegt.Footnote 9 Aus dieser Initiative ging 1968 der SFB 73 hervor. Bedingt durch Junges Wechsel von der Universität Mainz an das MPIC, wurde das MPI neben den genannten Universitäten von Beginn an in den Sonderforschungsbereich integriert. Zwischen 1970 und 1985 erhielten die beteiligten Einrichtungen umfassende Fördermittel, die sich über die Jahre hinweg auf eine Summe von etwa 26,6 Millionen DM akkumulierten (Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hg.) 1985: 883). Die Struktur des SFB war nicht selbstverständlich, denn Max-Planck-Institute hatten bei DFG- Mittelverteilungen eigentlich keine Priorität, da sie – im Gegensatz zu den Hochschulen – über vergleichsweise hochdotierte eigene Forschungsetats verfügten. Das MPIC wurde nicht zuletzt auf Grund seiner guten finanziellen Ausgangslage bald zu einer begehrten Adresse, auch für Mitarbeiter aus universitären Einrichtungen, die mit Junge im SFB zusammenarbeiteten.Footnote 10 Die Abteilung für Atmosphärenchemie sollte in jedem Fall im Boot behalten werden, wobei auf Grund des hochschulorientierten Schwerpunkts der DFG die Universität Mainz als Hauptträger des Sonderforschungsbereichs eingesetzt wurde. Die alle zwei Jahre wechselnden Hauptsprecher des SFB waren immer Hochschulmitglieder. Junge übte dieses Amt nie aus und selbst als Georgii ihn 1972 ausdrücklich bei der DFG für diesen Posten vorschlug, wurde dem nicht stattgegeben.Footnote 11 Wie wir allerdings im Folgenden noch sehen werden, prägte die Abteilung für Atmosphärenchemie die Forschungsschwerpunkte des DFG-Programms nichtsdestoweniger nachhaltig. Zu den wichtigsten Ausgangspunkten für die Gründung des SFB 73 gehörte eine koordinierte Zusammenarbeit mehrerer kleinerer Institute, um eine Forschungsstruktur aufzubauen, die mit der als „erdrückend“Footnote 12 wahrgenommenen internationalen Konkurrenz schritthalten konnte. In der Tat hinkte man bei der Entwicklung atmosphärenwissenschaftlicher Forschung insbesondere den USA hinterher (Schützenmeister 2008: 109), die bereits in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre damit begonnen hatten, entsprechende Projekte anzustoßen; und zwar zum Teil in erheblichem Umfang. Genannt seien an dieser Stelle nur das 1959 ins Leben gerufene National Atmospheric Program und die Gründung des National Center for Atmospheric Research (NCAR), das 1960 in Boulder (Colorado) seine Arbeit aufnahm (Hart and Victor 1993: 650).

In der BRD hatte man indessen noch Probleme überhaupt eine effektive Zusammenarbeit derjenigen Forschungseinrichtungen aufzubauen, die als institutioneller Rahmen für die Atmosphärenforschung in Frage kamen. Deutlich spiegelte sich dies in der gutachterlichen Kritik in den Gründungsjahren des SFB (1968–1970) wider, die eine nur mangelhafte Zusammenarbeit zwischen den ohnehin wenigen partizipierenden Einrichtungen feststellte. Die Gutachter hatten den Eindruck gewonnen, dass die Projektplanung für den SFB augenscheinlich parallel und nicht in Abstimmung der beteiligten Institute erfolgt war.Footnote 13 Eine weitere Kritik, die besonders Anfang der 1970er Jahre mehrmals vorgebracht wurde, bestand in dem mangelnden Kontingent explizit als Chemiker ausgebildeter Wissenschaftler im SFB 73. In den ersten Personalaufstellungen, die bei der DFG eingereicht wurden, war anfänglich nur ein einziger Chemiker eingetragen und dieser war lediglich Doktorand und damals als Gastwissenschaftler in Deutschland.Footnote 14 Junge und Georgii sahen sich auf die Kritik hin gezwungen, ihre Mitarbeiterlisten noch einmal zu überarbeiten,Footnote 15 was zur Folge hatte, das für das MPIC nun drei Chemiker aufgeführt wurden.Footnote 16 Ein weiteres Problem sahen die DFG-Gutachter darin, dass keine ausreichende Vernetzung mit weiteren vorhandenen Einrichtungen sichtbar war, die ihre Schwerpunkte in den klassischen Bereichen der Chemie gehabt hätten und nicht in der Meteorologie, wie es bis zu diesem Zeitpunkt überwiegend bei den Arbeitsgruppen im „eisernen Dreieck“üblich war.Footnote 17 Insbesondere vermisste man seitens der DFG eine Arbeitsgruppe aus der analytischen Chemie und Hans-Walter Georgii selbst räumte dieses Defizit auch ausdrücklich ein.Footnote 18 Eine zufriedenstellende Lösung konnte zunächst nicht gefunden werden,Footnote 19 was Peter Warneck auf die extremen Anforderungen bei der Spurenstoffbestimmung in der Luft zurückführt, die sich aus einem anfänglich nur beschränkt zur Verfügung stehenden „Handwerkszeug“ ergaben (Warneck 2009: 6). Chemische wie auch physikalische Methoden und Instrumente, etwa im Bereich der Massenspektroskopie (Reinhardt 2012), waren grundsätzlich zwar vorhanden, mussten für die Bedürfnisse der Atmosphärenforschung jedoch erst angepasst werden.Footnote 20

Die problematische Ausgangssituation in der Anfangszeit des SFB 73 war wohl auch dem Umstand geschuldet, dass der Wille zu einer praktisch umgesetzten Interdisziplinarität interinstitutionell nicht besonders stark vorhanden war. Gerade als chemisches Tätigkeitsfeld wurde die Atmosphärenforschung von vielen klassischen Chemikern scheinbar nicht richtig anerkannt. Zumindest hatte Junge den DFG-Gutachtern gegenüber klar zu verstehen gegeben, dass oftmals keinerlei Interesse seitens chemischer Einrichtungen an entsprechenden Arbeitsbereichen bestehen würde.Footnote 21 Tatsächlich waren auch am MPIC einige Mitarbeiter, zumindest anfänglich, der Berufung eines Meteorologen an das Institut mit einer gewissen Skepsis begegnet.Footnote 22 Dieser Argwohn gegenüber anderen disziplinären Bereichen beruhte jedoch auf Gegenseitigkeit, wie sich 1970 während einer Sitzung über die weitere Gestaltung des SFB zeigte. Hier sprachen sich die Mitglieder dagegen aus explizit chemische Institute aufzunehmen, da man dort andere Fragestellungen im Mittelpunkt der Interessen sah und meinte, dass die Chemiker erst an die meteorologischen Probleme herangeführt werden müssten.Footnote 23 Daraus lässt sich schließen, dass das MPIC hauptsächlich deshalb als SFB-Mitglied aufgenommen worden war, weil es von einem Meteorologen repräsentiert wurde und nicht, weil von Anfang an ein dezidiert chemisches Institut eingebunden werden sollte. Der DFG gegenüber konnten die SFB-Mitglieder hingegen die Teilnahme einer eben solchen chemischen Einrichtung präsentieren. Die DFG-Gutachten hielten die am SFB beteiligten Einrichtungen in der Folgezeit allerdings regelrecht dazu an, rasch eine stärkere Integration der Chemie zu betreiben. Der Antrag kam schließlich trotz der genannten Kritikpunkte durch, wurde allerdings mit den Auflagen versehen, eben erstens mehr Chemiker in die Arbeiten einzubinden und zweitens ein größeres Kooperationsnetzwerk aufzubauen.Footnote 24 Aktive Kooperationen mit anderen Institutionen gehörten in den Folgejahren zu den wesentlichen Merkmalen des SFB und der daran beteiligten Institute. Wenngleich die disziplinäre Verteilung zu Anfang bei weitem nicht ausgeglichen war, setzte sich der Mitgliederpool über die Jahre hinweg insgesamt zunehmend aus einem breitflächigen Angebot zusammen, das von der Physik und Chemie der Atmosphäre über Geochemie und Photochemie bis hin zur theoretischen Meteorologie und Geologie reichte. Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten sollte gerade der chemische Zweig zu einem wesentlichen Motor der im SFB 73 betriebenen Forschungen avancieren. Personell wurden die Gruppen des Sonderforschungsbereichs über lange Zeiträume hinweg klar durch die atmosphärenchemische Abteilung des MPIC dominiert. Zehn der zwanzig im Forschungsantrag angegebenen Mitarbeiter für die Jahre 1971–1973 kamen von dort, die Universitäten Frankfurt und Mainz waren lediglich jeweils mit fünf Mitarbeitern beteiligt.Footnote 25 Ab 1974 stellte das MPIC mit zwanzig von neununddreißig Mitarbeitern sogar mehr als die Hälfte, während die Universitäten Mainz und Frankfurt auf jeweils neun und die TH Darmstadt auf einen einzigen kamen.Footnote 26 Dabei blieb es auch in den folgenden Jahren und offenbar beteiligte sich die TH in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre kaum noch aktiv, wenngleich sie Teil des SFB blieb.Footnote 27 Die eigentlichen Säulen des SFB bestanden demnach zwar auf institutioneller Ebene aus einem „eisernen Dreieck“ (MPIC und Universitäten Mainz und Frankfurt), nicht aber auf geographischer (Mainz, Frankfurt, Darmstadt als Säulen des SFB 73).

Das Forschungsprogramm des SFB verfolgte einen breitgefächerten Ansatz. Sein Ziel bestand laut offizieller Selbstbeschreibung in der

kooperative[n] und umfassende[n] Erforschung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre und deren globale[r] und langzeitige[r] Veränderung. [Im Vordergrund steht, GL] die Untersuchung von Quellen und Senken einzelner Komponenten sowie die Wechselwirkung zwischen Ozean und Atmosphäre einerseits sowie Biosphäre und Atmosphäre andererseits … Besondere Bedeutung kommt dem Forschungsprojekt zu, das sich mit der chemischen Evolution der Atmosphäre befaßt.Footnote 28

Zunächst ist auf den bereits hier ausdrücklich enthaltenen Hinweis auf die Wechselwirkungen zwischen den drei Erdsphären hinzuweisen. Ferner referierte man dezidiert auf die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre, während beispielsweise wolkenphysikalische Untersuchungen nicht explizit angesprochen wurden. Das am Ende der Beschreibung herausgestellte Interesse an der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Atmosphäre war direkt mit der Abteilung Junges verknüpft, in der sich der Geochemiker Manfred Schidlowski (1933–2012) mit Fragestellungen zur paläoatmosphärischen Forschung beschäftigte. Wenngleich dieser Bereich insbesondere für die Kartographierung von Klimaveränderungen über lange Zeiträume hinweg eine entscheidende Rolle spielt(e) und der SFB daher die besondere Bedeutung der Paläoatmosphäre hervorhob, war Schidlowskis Gruppe auf Grund ihrer vorrangig auf die Geosphäre hin ausgerichteten Arbeit immer etwas isoliert im SFB.Footnote 29

1970 war der Sonderforschungsbereich zunächst noch einigermaßen unübersichtlich gegliedert und setzte sich aus insgesamt elf einzelnen Projektgruppen zusammen. Allen Projekten gemeinsam war, dass dezidiert Aufschluss über globale Verteilungen, Quellen und Senken der betrachteten Spurengase und Aerosole gegeben werden sollte. Während Umweltprobleme insbesondere regionaler Provenienz in der BRD über die 1970er Jahre hinweg eine größer werdende Rolle auch in öffentlichen Diskursen spielten und auch die Bundesregierung ihre Umweltpolitik zu forcieren begann (Müller 2009: 73), sollten kleinräumliche Phänomene, etwa der lokalen Luftverschmutzung, im SFB keine größere Beachtung finden. Stattdessen standen globale Verteilungen von Aerosolen und Spurengasen im Vordergrund.Footnote 30 Dabei blieb es während der anderthalb Jahrzehnte, in denen der SFB bestand. Während beispielsweise Junge und Georgii sich durchaus neben dem SFB mit politisch hochgradig relevanten Themen befasst hatten, beispielsweise mit dem Sauren Regen, blieben die Projekte im Sonderforschungsbereich über weite Strecken immer grundlagenorientiert auf die Erforschung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre und ihres Wechselspiels mit der Geo- und Biosphäre hin ausgerichtet. Eine direkte Kopplung der Forschung an unmittelbar drängende umweltpolitische Fragen war wohl auch deshalb weniger notwendig, da durch die DFG-Förderung eine vergleichsweise großzügige finanzielle Grundlage geschaffen wurde und man damit weniger auf andere (zweckgebundene) Drittmittel angewiesen war.Footnote 31 Eine leichte Verschiebung ergab sich dennoch Mitte des Jahrzehnts, als der anthropogene Einfluss auf die Atmosphäre als globaler Faktor weiter in das Zentrum des Interesses auch im SFB rückte – allerdings führte auch dies zu keiner wesentlichen Veränderung der anfänglich für das Programm formulierten Zielsetzungen. Vielmehr argumentierte Junge beispielsweise 1974 gegenüber der Biologisch-Medizinischen Sektion der MPG:

Um die Einwirkungen der menschlichen Aktivitäten auf die atmosphärische Zusammensetzung verstehen und abschätzen zu können, ist es notwendig, daß wir ein klareres Verständnis von dem Kreislauf der Spurenstoffe in dem System Atmosphäre, Ozean, Erdoberfläche, besitzen, und zwar zunächst einmal in der vom Menschen noch unbeeinflussten Atmosphäre.Footnote 32

Das MPIC war neben der Gruppe Paläoatmosphäre mit drei weiteren Gruppen beteiligt, deren Themengebiete später die Gesamtstruktur des SFB maßgeblich prägen sollten. Hierzu gehörte die von Peter Warneck geleitete Arbeitsgruppe „Photochemische Reaktion in der Atmosphäre“, die Gruppe „Konstitution des atmosphärischen Aerosols“ unter Ruprecht Jaenicke und schließlich der Arbeitsbereich „Atmosphärische Spurengase (CO, N2O, H2)“ um Wolfgang Seiler (Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hg.) 1970: 599). Bezüglich der Seiler-Gruppe ist hinzuzufügen, dass bereits 1970 ein weitaus umfassenderes Spektrum von Spurengasuntersuchungen angepeilt worden war, das später dann auch zu einem festen Bestandteil des SFB wurde.Footnote 33 Neben den bereits genannten, wurden dann verstärkt Schwefeldioxid (SO2), Schwefelwasserstoff (H2S), Quecksilber (Hg), Ammoniak (NH3), Stickstoffverbindungen, Kohlenwasserstoffe und natürlich Ozon (O3) einbezogen und schließlich auch in die offizielle Beschreibung des SFB in den öffentlich zugänglichen DFG-Jahresberichten aufgenommen (Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hg.) 1976: 779). Warneck, Jaenicke und Seiler spielten in den folgenden Jahrzehnten wichtige Rollen bei der weiteren Entwicklung der atmosphärenwissenschaftlichen Forschung in der BRD. Warneck war wesentlich am Aufbau des Leibnitz-Instituts für Troposphärenforschung beteiligt und wurde dessen Gründungsdirektor, als die Einrichtung 1992 ihre Arbeit aufnahm.Footnote 34 Seiler setzte unter anderem Maßstäbe in der Erforschung der globalen Verteilung von Spurengasen und wurde 1986 Direktor am Fraunhofer Institut für Atmosphärische Umweltforschung in Garmisch-Partenkirchen (Andreae 2012: 150 f., 153 f.). Jaenicke schließlich trat 1980 eine Professur am Institut für Physik der Atmosphäre an der Universität Mainz an und konzentrierte sich dort insbesondere auf seinen bereits während der Arbeit im SFB 73 forcierten Schwerpunkt der Aerosolforschung.

Der Sonderforschungsbereich selbst verblieb nicht lange in seiner ursprünglichen Struktur, sondern wurde bereits 1973 im Kontext eines Fortführungsantrags grundlegend umgestaltet. Die existierenden Arbeitsgruppen wurden durch weitere ergänzt, die insgesamt nun aber nicht mehr als Einzelprojekte geführt wurden. Man richtete stattdessen vier übergreifende Themenbereiche mit jeweils einem Hauptleiter ein und teilte diesem die bisherigen Gruppen als Unterprojektgruppen zu. Ein Grund hierfür lag darin, dass die DFG-Gutachter im Zuge der Neuakkreditierung eindeutigere Verhältnisse bei der finanziellen Gestaltung wollten und einer allzu flexiblen ‚Schieberei‘ von Geldern zwischen den einzelnen Gruppen entgegengewirkt werden sollte.Footnote 35 Die neu eingerichteten vier übergreifenden Themengebiete entsprachen nun exakt den genannten Forschungsschwerpunkten aus der Junge-Abteilung und drei davon wurden letztlich auch von MPIC-lern geleitet. Junge selbst war nun für den Hauptbereich „Spurengase“ zuständig, in dem die Gruppen „globaler CO2 Haushalt“, „Messung von Spurengasen“ und „Ausbreitung von Spurengasen und deren Austauschprozessen zwischen Wasser und Luft“ angesiedelt waren. Peter Warneck leitete den Teilbereich „Physikalisch-chemische Prozesse in der Atmosphäre“, wo vor allem zur Niederschlagschemie und Reaktion von Gasen und Radikalen in der Atmosphäre sowie an Methoden zur Nachweisbarkeit freier Radikale gearbeitet wurde. Der dritte Teilbereich, der mit der MPIC-Abteilung verbunden war, bestand in Schidlowskis Gruppe „Paläoatmosphäre“. Der einzige Themenkomplex, der nicht von einem unmittelbaren Mitarbeiter Junges geleitet wurde, war der Bereich „Aerosole“; diese Aufgabe hatte Kurt Bullrich übernommen. Hier allerdings war Ruprecht Jaenicke aus der atmosphärenchemischen Abteilung des MPIC integriert, der nach Antritt seines Ordinariats 1980 an der Universität Mainz schließlich Bullrich als Leiter des Aerosolprojekts ablöste.

Trotz kleinerer Veränderungen in den Besetzungen der Untergruppenleiter, blieben die personelle Struktur auf der übergreifenden Leitungsebene und die Themenaufteilung in die vier Hauptgebiete bis 1979 kontinuierlich bestehen. Erst dann trat Junge nach seiner 1978 vorzeitig eingeleiteten Pensionierung auch im Kontext des SFB in den Hintergrund – wenngleich er noch bis zu dessen Auslaufen im Jahr 1985 Mitglied blieb. Die Leitung der Arbeiten im Themenkomplex „Spurenstoffe“ wurde ab 1980 dann von Hans-Walter Georgii weitergeführt (Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hg.) 1980: 790).

Als Konsequenz des fachübergreifenden Ansatzes der Atmosphärenforschung ergab sich zwangsläufig eine institutionell-kooperative Struktur (Schützenmeisters „Offene Großforschung“), nicht allein auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene. Der sich hiermit verbindende Vernetzungsprozess soll im Folgenden in Kürze am Beispiel des MPIC veranschaulicht werden. Kooperationen hatte es an dem Institut vereinzelt natürlich auch zuvor gegeben, etwa zwischen der ehemaligen Abteilung für Massenspektroskopie des früheren Institutsdirektors Josef Mattauch und dem Physiker Aaldert Wapstra am Amsterdamer Instituut voor Kernfysisch Onderzoek (IKO). In den 1970er Jahren jedoch begann sich das MPI in bis dahin nicht gekannter Weise massiv mit anderen Einrichtungen zu vernetzen. Abbildung 1 zeigt die dauerhaften Kooperationen der Abteilung für Atmosphärenchemie, die zwischen 1968 und 1977 (kurz vor Junges frühzeitiger Pensionierung) gepflegt wurden. Die Grafik basiert auf einer Aufstellung aus der Abteilung vom „18. Mai 1977“,Footnote 36 in der diejenigen Institute und Wissenschaftler aufgeführt waren, mit denen intensive Zusammenarbeiten bestanden. Weniger kontinuierliche, nicht aber unbedingt unwichtige Kooperationen sind hier jedoch nicht enthalten. Zu nennen ist insbesondere das NCAR in Boulder, zu dem bereits seit Anfang der 1970er Jahre sehr gute Beziehungen bestanden. Unter anderem hatten 1973 am MPIC angesiedelte Mitarbeiter im Rahmen des SFB 73 gemeinsame Forschungsflüge mit ihren Kollegen am NCAR unternommen.Footnote 37 Später entstand hier auch ein zunehmender Austausch mit Junges Nachfolger als Direktor der Abteilung für Atmosphärenchemie am MPIC, Paul Crutzen, der seit 1974 am NCAR arbeitete. Obwohl Abb. 1 also keinen Vollständigkeitsanspruch erheben kann, spiegelt sie doch eindrücklich den Prozess wider, in dem sich die Abteilung für Atmosphärenchemie über Junges Amtszeit hinweg global vernetzte, um die notwendige Infrastruktur für ihren Beitrag zu dem ehrgeizigen Großprojekt der Erforschung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre zu schaffen.

Abb.1
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Dauerhafte Kooperationen der Abteilung für Atmosphärenchemie, 1968–1977

Es wird ersichtlich, dass es sich vorrangig um Zusammenarbeiten mit deutschen und amerikanischen Einrichtungen handelte, vereinzelt aber auch mit Institutionen in Südafrika, England und Frankreich, die hier unter ‚andere‘ zusammengefasst wurden. Vor allem die Arbeiten zu Spurengaskreisläufen in der Gruppe von Wolfang Seiler fanden weltweit über Gemeinschaftsprojekte Anknüpfungspunkte. Ein regelrechter Schub neuer Kooperationen ergab sich ab 1973, als der Fortführungsantrag des SFB 73 bewilligt und die oben genannten vier übergeordneten Arbeitsschwerpunkte formuliert wurden.

SFB 73 und MPIC im Kontext der Konsolidierung der Atmosphärenwissenschaften

Die zentralen Schwerpunkte der Forschungen im SFB wurden spätestens ab 1973 wesentlich von chemisch orientierten Fragestellungen beeinflusst (Photochemie, auf Geochemie basierende Paläoatmosphäre, Spurengase und Aerosole), allerdings lässt sich frühzeitig und über die Jahre hinweg zugleich eine zunehmend heterogene personelle Zusammensetzung der Arbeitsgruppen feststellen.Footnote 38

Wenngleich bereits an anderer Stelle ein ausführlicherer Überblick über die Forschungsarbeiten des SFB gegeben wurde (Warneck 2009), sollen im Folgenden einige der zentralen Gebiete noch einmal unter spezifischen Gesichtspunkten beleuchtet werden. Besonderes Augenmerk soll hier auf den eingangs genannten Indizien liegen, die den sich über die 1970er Jahre hinweg vollziehenden Ausbau- und Konsolidierungsprozess der Atmosphärenwissenschaften sichtbar werden lassen (Kanonisierung, Aufbau von Methodik und Instrumentarium etc.). Ferner wird das Anschluss- und Ausbaupotential atmosphärenchemischer Forschung deutlich werden, die noch in der ersten Hälfte der 1970er Jahre zunehmend zur Ausprägung eines disziplinen-integrativen Ansatzes der „Offenen Großforschung“ führte, der die interdisziplinäre Atmosphärenforschung nachhaltig geprägt hat (Schützenmeister s.o.). Darüber hinaus wird auch auf das frühzeitig einsetzende Forschungsinteresse am, damals zunächst noch als möglich eingestuften, anthropogenen Einfluss auf Stoffkreisläufe eingegangen. Diese Thematik war jedoch – bei aller Betonung der Grundlagenorientierung im SFB – letztlich wiederum anschlussfähig auch an Fragekomplexe, die bereits seit der ersten Hälfte der 1970er Jahre in öffentlichen und politischen Kontexten eine Rolle spielten. Genannt seien an dieser Stelle nur der Umweltverschmutzungsdiskurs und die Grundsteinlegung der westdeutschen Umweltpolitik nach dem Verursacherprinzip (Müller 2009: 74).

Die Arbeiten, die während der Anlaufzeit des SFB 73 entstanden, waren wesentlich von zwei Charakteristika geprägt. Das erste bestand darin, dass zunächst Bestandsaufnahmen spezifischer Forschungsbereiche vorgenommen und deren Anschlussmöglichkeiten und Relevanzbezüge für andere Gebiete aufgezeigt werden mussten. Insbesondere Junge hatte frühzeitig begonnen, grundlegende atmosphärenwissenschaftliche Forschungsliteratur zu generieren. Bereits 1963 hatte er die einflussreiche Monographie Air Chemistry and Radioactivity verfasst, zu deren wesentlichen Leistungen die Verarbeitung und erstmalige Zusammenführung eines breitflächigen Literaturbestands aus unterschiedlichen Fachrichtungen gehörte (Junge 1963). Das Buch kann als Grundstein eines chemisch orientierten atmosphärenwissenschaftlichen Literaturkanons aufgefasst werden (auch: Jaenicke 2012: 187; Andreae 2012: 146). Es stieß auch in der sowjetischen Wissenschaftsgemeinschaft auf Interesse und wurde 1965 ins Russische übersetzt (Junge 1965). Noch Ende der 1980er Jahre wurde die Monographie als bis dahin einziges zusammenfassendes Standardwerk atmosphärenwissenschaftlicher Literatur angegeben (z.B. Gordon 1987). Zu den darin beschriebenen Schwerpunkten gehörten die Aerosol- und Spurengasforschung, die später auch zu Leitthemen des SFB 73 wurden. Mit Blick auf den Stoffkreislauf von CO2 betonte Junge dort ausdrücklich die Bedeutung des Zusammenspiels der Geo-, Bio- und Atmosphäre (Junge 1963: 21; 23; 29 f.). Den zusammenfassenden Stil dieser Monographie behielt er, besonders mit Fokus auf die Aerosolforschung, weiterhin bei; so entstand etwa ein Artikel mit vornehmlich überblicksartigem Charakter 1968. Junge stellte darin insbesondere die von ihm schon seit Anfang der 1950er Jahre widerholt betonte Bedeutung der Atmosphärenchemie für wolkenphysikalische Phänomene heraus (Junge 1968: 592 f.),Footnote 39 wenngleich letztere, wie oben geschildert, im SFB nie ausdrücklich betont wurden. Solche Arbeiten, die den aktuellen Stand der Forschungen referierten und implizit zu entsprechenden Folgeuntersuchungen aufriefen, erschienen in der Folgezeit wiederkehrend (etwa Junge 1972a, b).Footnote 40

Besonders interessant ist auch die Art der Präsentation neuer Forschungsergebnisse Anfang der 1970er Jahre. An seine Überlegungen von 1968 anknüpfend veröffentlichte Junge 1970, gemeinsam mit Eugene McLaren, einige Forschungsergebnisse. Basierend auf der Auswertung von Messungen von Wolkenkondensationskeimspektren und der chemischen Zusammensetzung von 88 Proben, die über einen Zeitraum von drei Jahren gesammelt worden waren, gelangten sie zu dem Ergebnis, dass die Eigenschaften von Wolkenkondensationskeimen unmittelbar von der Größenverteilung der Aerosolpartikel und nur in geringem Maß von ihrer Zusammensetzung bestimmt wurde (Junge and McLaren 1971). Offenbar konnte man hier noch nicht davon ausgehen, dass die theoretischen Grundlagen für den Kondensationsprozess von Wolkentröpfchen an natürlichen Aerosolen bereits in der heterogenen Gemeinschaft der Forscher, die sich mit atmosphärenwissenschaftlichen Fragestellungen befassten, vorausgesetzt werden konnten. Zumindest hielten es McLaren und Junge für notwendig, eine einleitende Zusammenfassung über die theoretischen Grundlagen zu geben und ihren eigenen Ergebnissen zudem einen gut überschaubaren Appendix mit Übersetzungen der verwendeten Variablen hinzuzufügen. Auch eine Liste mit Basisgleichungen zur Bestimmung des Drucks von Wasserdampf über Lösungströpfchen nebst ausführlichen Erläuterungen war vorhanden (Junge and Mclaren 1971: 382, 389).

Anfang der 1970er Jahre definierte Junge im Rahmen eines Artikels für das MPG-Jahrbuch von 1971 auch für ein nicht fachkundiges Publikum die „wesentliche Aufgabe luftchemische[r] Forschung“. Demnach ging es dabei um die

Aufklärung des Kreislaufs [von Spurenstoffen] … also der Art, Verteilung und Ergiebigkeit der Quellen und Senken und damit verbunden die Verteilung der Bestandteile und ihre mittlere Aufenthaltszeit in der Atmosphäre. Diese Kreisläufe besitzen eine große Mannigfaltigkeit. Die Erforschung der Quellen und Senken erweist sich als ein sehr komplexes interdisziplinäres Arbeitsgebiet, in dem die Zusammenarbeit mit der Bodenkunde, der Ozeanographie und vor allem auch der Biologie, insbesondere der Mikrobiologie, notwendig wird.Footnote 41

Während die stetige Betonung von Stoffkreisläufen bereits in den 1970er Jahren die Forschungen im SFB 73 erheblich prägtenFootnote 42 (auch: Warneck 2009: 3), dauerte es noch weitere anderthalb Jahrzehnte, bis sich der Begriff der Biogeochemie als disziplinärer Bereich mit der expliziten Betonung von zwei Erdsphären durchsetzte. Noch bis in die 1980er Jahre weigerten sich Fachzeitschriften Artikel anzunehmen, die als biogeochemische Arbeiten eingereicht wurden und in der Chemisch-Physikalisch-Technischen Sektion der MPG wurde noch 1986 darüber diskutiert, ob eine neue Abteilung am MPIC „Abteilung für Biogeochemie“ heißen durfte. Letztlich durfte sie (Andreae 2012: 168 f.).

Ein zweites Merkmal der frühen atmosphärenchemischen Arbeiten nach Anlauf des SFB 73 bestand in der Notwendigkeit zunächst vor allem den Ausbau der Methodologie und des Instrumentariums vorantreiben zu müssen, um der Erforschung atmosphärischer Spurengase überhaupt gerecht werden zu können.Footnote 43 Dies schlug sich unter anderem in den veranschlagten Kosten für entsprechende Geräteanschaffungen nieder, die sich allein für die Jahre 1970–1972 auf insgesamt 572.900 DM beliefen.Footnote 44 Am MPIC wurde besonders in den Projektgruppen von Seiler und Warneck an der Verbesserung bereits vorhandener Methoden und Instrumente sowie deren Neuentwicklung gearbeitet. Die Finanzierung benötigter Geräte und Bauteile für Prototypen wurde zum Teil nicht durch die MPG, sondern auch durch DFG-Gelder aus dem SFB 73 gewährleistet.Footnote 45

Beachtliche Erfolge zeichneten sich bald bei der Messung der Ausdehnung und Konzentration von Spurengasen in der Atmosphäre ab, die zu wachsender Anerkennung auch in Stellungnahmen von DFG-Beauftragten zum SFB 73 führten.Footnote 46 Zu den frühen Innovationen gehörte eine Methode, die 1970 von Wolfgang Seiler und dem Meteorologen Ulrich Schmidt vorgestellt wurde und die eine breitflächigere Messung von Spurengasen ermöglichte. Sie beruhte auf der Reduktion von Quecksilberoxid durch Kohlenstoffmonoxid (CO) und Wasserstoff (H2) und der Bestimmung des entstandenen Quecksilberdampfs durch Linienabsorption (Resonanzschicht 2537-A; Schmidt and Seiler 1970). Diese Methode bildete den Grundstein für spätere Arbeiten zur globalen Verteilung und zur Bestimmung zentraler Senken und Quellen von CO und H2. Insbesondere durch ihre Eigenschaft als Senken für Hydroxyl-Radikale (OH-Radikale) spielen diese Spurengase eine wichtige passive Rolle für den Treibhauseffekt. Die sich Anfang der 1970er Jahre verfestigende Erkenntnis, dass OH-Radikale wesentlich an Prozessen des Abbaus und der Produktion von Spurengasen in der Troposphäre beteiligt sind, war ein wichtiger Impuls zur stärkeren Einbeziehung der klassischen Chemie in das, anfangs von Meteorologen dominierte, Tätigkeitsfeld der Atmosphärenforschung. Anders als in der Meteorologie bis dahin angenommen, wurde nur ein Minimum vorhandener OH-Radikale durch Ablagerung an Aerosolen zerstört. Vielmehr bildeten sie eine zentrale Senke für wichtige Treibhausgase, insbesondere für CH4, waren aber beispielsweise auch eine Quelle für Formaldehyd (CH2O) (Warneck 2009: 7 f.).

Im Fokus der Arbeiten am MPIC und im SFB stand von Anfang an die Bedeutung der Ozeane als Speicher und Produzenten von Aerosolen und Spurengasen. So wurden im Rahmen von Reisen mit dem Forschungsschiff MeteorFootnote 47 Messungen von N2O über und im nordatlantischen Ozean vorgenommen (Junge and Hahn 1971) und 1972 zeigten Junge, Seiler et al. die Bedeutung mariner Mikroorganismen als Quelle von CO und H2 auf (Junge et al. 1972: 514 f.). In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurde dann vor allem auch der Einfluss der Landbiosphäre auf die Bildung und Absorption von atmosphärischem CO zu einem weiteren Aufgabenschwerpunkt der Spurengasforschung (Seiler and Giehl 1977; Junge 1977; Seiler 1978). 1977 veranstaltete der SFB 73 schließlich ein Symposium, das umfassend die Rolle der Biosphäre als Quelle und Senke von Spurengasen in den Mittelpunkt stellte. Als Titel war „The influence of the Biosphäre upon the Atmosphäre [sic!]“Footnote 48 angegeben und unter den Vortragenden befand sich unter anderen Paul Crutzen, der später Junges Nachfolger am MPIC wurde und 1995 gemeinsam mit Mario Molina und Frank Sherwood Rowland den ersten Nobelpreis für Chemie erhielt, der dezidiert atmosphärenchemischen Arbeiten gewidmet war (Kant, Lax & Reinhardt: 317 f.).

Eine Thematik, die von Beginn an eine wichtige Rolle für die Atmosphärenforschung in Westdeutschland spielte und die über die 1970er Jahre hinweg eine zunehmende Relevanz entfaltete, bestand in der Frage nach einer möglichen anthropogenen Komponente, die zur Beeinträchtigung von Stoffkreisläufen führte. Im Rahmen des Schwerpunktbereichs zur Erforschung atmosphärischer Spurenstoffe wurde bereits 1967 in Frankfurt bei Hans-Walter Georgii ein Projekt zur „Untersuchung anthropogener Ozonide“ ins Auge gefasst und so ist es nur wenig überraschend, dass auch der später folgende SFB 73 dieses – von gutachterlicher Seite her ausdrücklich begrüßte – Interesse an Themenkomplexen des anthropogenen Einflusses, von Anfang an im Rahmen der Forschungsziele widerspiegelte.Footnote 49 So wurde etwa seit 1970 an der „Untersuchung anthropogener und extraterrestrischer Aerosole“gearbeitet.Footnote 50 Auch Junge hatte bereits Anfang der 1960er Jahre entsprechende Überlegungen angestellt (Junge 1963: 25) und leistete später eine Reihe hieran anknüpfender Beiträge zu Stoffkreisläufen (u.a. Junge 1972c; H.J. Simpson et al. 1977). Mit solchen Themengebieten wurde unmittelbar an die Debatten in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft um die mögliche Bedeutung menschlichen Einflusses auf das globale Klima angeschlossen, die zur gleichen Zeit an Fahrt aufnahmen (Singer 1970; Rasool and Schneider 1971; Sawyer 1972; Landsberg and Machta 1974). In der BRD war es Mitte der 1970er Jahre Junge, der den Stand und die Bedeutung dieses Themenkomplexes ebenso verständlich wie auch öffentlichkeitswirksam zusammenfasste. Einen ersten, vielbeachteten Vortrag hielt er in diesem Zusammenhang am 18. Juni 1975 auf der Hauptversammlung der MPG über „die Entstehung der Erdatmosphäre und ihre Beeinflussung durch den Menschen“. Das Vortragsskript wurde dann im Jahrbuch der MPG veröffentlicht. Dort legte er, 25 Jahre vor der beginnenden Popularisierung des Anthropozänkonzepts (insbes. durch Crutzen and Stoermer 2000; Crutzen 2002), nach einer umfassenden Erläuterung zur Entstehungsgeschichte spezifischer Spurengaskreisläufe, insbesondere von CO2, dar, dass letztlich

kaum ein Zweifel [daran besteht,] daß die Menschheit in etwa zwei Generationen bezüglich des CO2 einem sehr ernsten Problem gegenüber stehen wird. Wegen der relativ langen Zeiten, die dabei im Spiele sind – in der Wirtschaft, wie im System Atmosphäre-Ozean –, sollten ernsthafte Überlegungen früh genug beginnen.Footnote 51

Einen weiteren Vortrag hielt er im Folgejahr vor der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) mit dem Titel „Die globale Beeinflussung der Zusammensetzung der Atmosphäre durch den Menschen“.Footnote 52

1976 schließlich wurde der Frage nach „einer möglichen Beeinflussung der Spurengaskreisläufe durch den Menschen“ auch im Rahmen des offiziellen Forschungsprogramms des SFB 73 „große Bedeutung“ beigemessen (DFG 1976: 754). Spätestens jetzt konnte das größte deutsche Projekt zur Erforschung atmosphärenchemischer Prozesse auch in den Augen der Wissenschaft selbst nicht mehr allein als Grundlagenforschungsgebiet im Sinne einer ‚reinen‘ Wissenschaft betrachtet werden,Footnote 53 allerdings wurde der Status des Programms als „freie Forschung“Footnote 54 im Sinne einer eigenständigen Wahl der Forschungsthemen und Mittelverteilung aufrecht erhalten. Während zumindest die vom Bund betriebene Umweltpolitik in der BRD sich zunehmend defensiv gegenüber einer Industrie verhielt, die den Umweltschutz als Innovationsbremse deklarierte (Müller 2009: 75 f.), konnte der großzügig finanzierte SFB 73, ohne Differenzen mit etwaigen Drittmittelgebern befürchten zu müssen, den Einfluss anthropogener Quellen weiterhin in den Mittelpunkt rücken. Mitte des Jahrzehnts wurden die Zielsetzungen und auch die Rhetorik im Rahmen des Fortsetzungsantrags des SFB 73 für die Jahre 1977–1979 angepasst, in dem man darauf hinwies:

Das Ziel der luftchemischen Forschung heute ist es, die Existenz und das Verhalten der verschiedenen Bestandteile der Atmosphäre in einer quantitativen Weise zu erklären. Dazu gehört auch die Beantwortung der Frage, wie sich die Erdatmosphäre seit ihrem Bestehen entwickelt hat. Diese Zielrichtung der luftchemischen Forschung betrifft im wesentlichen die reine Atmosphäre und erweist sich somit als Grundlagenforschung. Jedoch ist es schon heute nicht mehr möglich, den Anteil, der von der anthropogenen Luftverschmutzung herrührt, selbst in Reinluftgebieten unberücksichtigt zu lassen. Wir sehen es als Fernziel an, eine modellmäßige Beschreibung des Verhaltens der Spurenstoffe in der Atmosphäre zu entwickeln, aus der auch der globale Einfluss der Luftverschmutzung berechnet werden kann.Footnote 55

Interessant ist hier die klare Definition der Atmosphärenforschung zunächst als Grundlagenforschung und schließlich die Einschränkung dieses Grundlagencharakters durch die Betrachtung menschlicher Einflussfaktoren. Mit fast schon entschuldigendem Tonfall wurde darauf hingewiesen, dass die „anthropogene Luftverschmutzung“ nicht mehr unberücksichtigt gelassen werden konnte. Aus dem noch Anfang des Jahrzehnts verwendeten Duktus einer „möglichen Beeinflussung“ durch den Menschen war ein Fakt geworden, der sich nicht mehr wegdiskutierten ließ.

Es kann kaum überraschen, dass in der BRD – wenn auch mit einiger Verspätung gegenüber anderen Ländern – über die 1970er Jahre hinweg eine zunehmende Nachfrage nach atmosphärenwissenschaftlicher Expertise entstand und zwar insbesondere seitens politischer Instanzen. So etwa vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, das Junge nach einer Einschätzung zur potentiellen Gefährdung der Atmosphäre durch Stickstoffdüngung fragte.Footnote 56 Auf internationaler Ebene bat beispielsweise auch EURATOM um Stellungnahme zu dort vorgeschlagenen zukünftigen Forschungsfeldern.Footnote 57 Georgii fungierte unter anderem – mit beidseitigem Einverständnis von Atomkraftgegnern und -befürwortern – als Gutachter bei der Einschätzung möglicher Umweltfolgen durch den Bau eines Atomkraftwerks in Wyhl bzw. dessen Kühltürme.Footnote 58 Die Anti-Atomkraftbewegungen in Wyhl und Umgebung gehörten Anfang der 1970er Jahre zu den ersten wirksamen Massenprotesten der Umweltbewegung in der BRD, wenn hier auch nicht ihr unmittelbarer Ursprung liegt, wie oft fälschlicherweise dargestellt wurde, sondern damals bereits mehrere Vorläufer hatte (siehe hierzu: Engels 2003).

Ein wichtiger Grundstein für die Daseinsberechtigung der Atmosphärenforschung war längst nicht mehr allein aus (grundlagen-) wissenschaftlicher, sondern auch aus politischer und ökonomischer Perspektive gelegt, die in den folgenden Jahrzehnten zu einer erheblichen Konjunktur atmosphärenwissenschaftlicher Forschung führen sollte. Zu den bekanntesten Thesen, die Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit gleichermaßen beschäftigen sollten, gehörten später der Nukleare Winter, eine Computersimulation für deren Entwicklung der spätere Nobelpreisträger Paul Crutzen 1985 vom US-Magazin Discover zum Wissenschaftler des Jahres 1984 gewählt wurde, die Rolle von FCKW für den Abbau atmosphärischen Ozons (Böschen 2000; Grundmann 2001; zuletzt: Brüggemann 2015), das gegenwärtig vieldiskutierte Konzept des Anthropozäns (Crutzen and Stoermer 2000; Crutzen 2002) sowie der seit 2006 verstärkt in die Debatte eingebrachte Geo-Engineering-Ansatz (Crutzen 2006), um nur einige zu nennen.

Schlussbetrachtungen: Zur Bedeutung des SFB und der Abteilung für Atmosphärenchemie für die Atmosphärenwissenschaften in der BRD

Der SFB 73 und die MPIC-Abteilung für Atmosphärenchemie prägten nachhaltig die atmosphärenwissenschaftliche Forschung in der BRD. Der SFB war das erste von der DFG geförderte Großprojekt, das sich überhaupt der Erforschung der chemischen Zusammensetzung der Erdatmosphäre widmete. Interessanterweise blieb das Programm des SFB vorrangig grundlagenorientiert und richtete sich beispielsweise nicht unmittelbar an drängenden umweltpolitischen Fragestellungen aus, wenngleich die einzelnen Akteure jeweils durchaus in entsprechende Themenkontexte, wie dem Sauren Regen, eingebunden waren. Untypisch für ein DFG-Projekt wurde das Forschungsprogramm von Beginn an stark von der Abteilung eines Max-Planck-Instituts geprägt, insbesondere von den Forschungsinteressen ihres Direktors, dem im Kontext der Atmosphärenforschung insgesamt und im SFB im Besonderen zweifellos eine wichtige Stellung zukommt. Die Basis hierfür wurde bereits Mitte der 1960er Jahre durch die Zusammenarbeit zwischen Junge, seinem ehemaligen Schüler Georgii und Kurt Bullrich gelegt. Unter Junges Federführung wurde dann erstmals in der BRD die Atmosphärenchemie sowohl namentlich als auch institutionell etabliert, die als MPI-Abteilung von Beginn an relativ gut ausgestattet war. Die in der Abteilung durchgeführten Forschungen nahmen großen Einfluss auch auf die Programmatik des SFB und beförderten entscheidend die Verankerung des bis heute aktuellen Schlüsselkonzepts wechselseitiger Prozesse und Einflüsse zwischen Atmo-, Bio- und Geosphäre. In den späteren 1970er Jahren stießen die im SFB behandelten Themen auch in anderen Einrichtungen auf zunehmendes Interesse, beispielsweise am MPI für Aeronomie in Lindau (heute MPI für Sonnensystemforschung in Göttingen), an dem Mitte des Jahrzehnts, ähnlich wie in der SFB-Gruppe von Peter Warneck, mit Hilfe von Ballonflügen Verteilungen von Spurengasen in der Stratosphäre gemessen wurden.Footnote 59

Die Vernetzung zwischen Einrichtungen sowohl auf nationaler wie auch internationaler Ebene wurde im Kontext des SFB – nicht zuletzt auf Druck der frühen Gutachten – ebenso vorangetrieben, wie die Schaffung eines zuvor in vergleichbarer Weise nicht vorhandenen Umfeldes für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Georgii kommentiert in diesem Zusammenhang, dass die im SFB bereitgestellten Mittel, vor allem in Verbindung mit den attraktiven Gegebenheiten am MPIC, das Feld zunehmend für eine größer werdende Gruppe von Nachwuchswissenschaftlern interessanter machte.Footnote 60 Nachwuchs allerdings, der sich bei weitem nicht mehr vornehmlich auf Wettervorhersagen konzentrierte, sondern auf die Zusammensetzung der Atmosphäre und ihrer Wirkungen auf und mit anderen Erdsphären. Wie wir ferner gesehen haben, gingen aus den Reihen der im SFB beteiligten Akteure mehrere Wissenschaftler hervor, die sich mit entsprechenden Fragestellungen befassten und in den folgenden Jahrzehnten wichtige Akteure in der bundesrepublikanischen Wissenschaft wurden.