Annette Hinz-Wessels 2008: Das Robert Koch-Institut im Nationalsozialismus. Berlin: Kulturverlag Kadmos, geb., 192 Seiten, 22,50 €, ISBN-13: 978-3-86599-073-0.

Marion Hulverscheidt und Anja Laukötter (Hg.) 2009: Infektion und Institution. Zur Wissenschaftsgeschichte des Robert Koch-Instituts im Nationalsozialismus. Göttingen: Wallstein Verlag, brosch., 270 S., 26,90 €, ISBN-13: 978-3-8353-0507-6.

Noyan Dinckal, Christof Dipper und Detlev Mares (Hg.) 2010: Selbstmobilisierung der Wissenschaft. Technische Hochschulen im “Dritten Reich”. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, brosch., 300 S., 49,90 €, ISBN-13: 978-3-534-23285-7.

Sabine Schleiermacher und Udo Schagen (Hg.) 2009: Wissenschaft macht Politik. Hochschule in den politischen Systembrüchen 1933 und 1945. Stuttgart: Steiner Verlag, brosch., 266 S., 34,00 € ISBN-13: 978-3-515-09315-6.

Bis in die 1990er Jahre hinein verstand und beschrieb die Wissenschaftsgeschichte den Nationalsozialismus als etwas, das über die Wissenschaft und die unpolitische Professorenschaft „hereingebrochen“ sei und dem sich die meisten Gelehrten so gut es eben ging entzogen hätten. Nur wenige Wissenschaftler hätten sich dem Regime angedient oder gar an Verbrechen beteiligt. Dabei habe es sich jedoch nicht um Forschung gehandelt, sondern entweder um skurrile Sonderwege oder Pseudowissenschaft. Inzwischen hat sich jedoch ein neues Verständnis durchgesetzt. Die neuere Wissenschaftsgeschichte, die den konzeptionellen Überlegungen und Studien von Herbert Mehrtens und Mitchell G. Ash viel verdankt, betont die “Kollaborationsverhältnisse“ (Mehrtens) und versteht Nationalsozialismus und Wissenschaft als „Ressourcen füreinander“ (Ash). Der neue Ansatz lässt sich auf die Formel bringen: Selbstmobilisierung der Wissenschaftler, der Forschung und ihrer Selbstverwaltungsorganisationen für die Ziele des Nationalsozialismus statt „Missbrauch“ der Wissenschaftler, der Forschung und der Wissenschaftsorganisationen durch den Nationalsozialismus. Inzwischen sind zahlreiche empirische Belege dafür erbracht worden – zuletzt etwa durch die groß angelegten Forschungsprogramme zur „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“ (siehe dazu Ash in NTM 18 (2010), 79-118) sowie zur „Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1920-1970“. Und die zu besprechenden Bände? Präsentieren sie weitere empirische Nachweise, die diese Sicht bestätigen, variieren oder entwickeln sie diese fort?

Die Monographie von Annette Hinz-Wessels und der Sammelband von Marion Hulverscheidt und Anja Laukötter zum Robert Koch-Institut (RKI) sind Resultat eines zweijährigen Forschungsvorhabens, angeregt und finanziert durch das untersuchte Institut selbst, das den Historikerinnen die Aufgabe stellte, den „Verstrickungen des Robert Koch-Instituts während der Zeit des Nationalsozialismus nachzugehen“ (Hinz-Wessels 2008: 7). Während Hinz-Wessels auf knapp 170 Seiten eine allgemeine Geschichte des RKI im „Dritten Reich“ liefert, die sich an eine breitere Öffentlichkeit wendet, widmen sich die Autorinnen und Autoren des Bandes von Hulverscheidt und Laukötter vertiefend einigen Einzelfragen. 13 Autoren, die für das Thema als Experten ausgewiesen sind, behandeln auf 260 Seiten den Übergang des Instituts von der Weimarer Republik in den Nationalsozialismus, seine Forschungsfelder und die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen während des „Dritten Reichs“.

Das 1891 als „Königlich Preußisches Institut für Infektionskrankheiten“ gegründete RKI wurde 1935 dem Reichsgesundheitsamt angegliedert und 1942 zur eigenständigen Reichsanstalt erhoben. Seine Aufgabe bestand – auch im Nationalsozialismus – in der Sicherung der gesundheitlichen Vorsorge der Bevölkerung und der Durchführung hierfür relevanter Forschung. Die Mitarbeiter führten also sowohl experimentelle Studien als auch diagnostische Untersuchungen durch, produzierten Impfstoffe und erhoben Statistiken. Während des Zweiten Weltkriegs befasste sich das RKI zudem mit der Vorbeugung und Bekämpfung von (kriegsbedingten) Seuchen. Durch die Intention, die Verstrickung des RKI mit dem Nationalsozialismus zu untersuchen, rückten folgende Themen in den Mittelpunkt der beiden Bände: die Entlassung des jüdischen beziehungsweise „nichtarischen“ und/oder politisch unliebsamen Personals sowie der personelle und organisatorische Umbau des Instituts nach 1933 (Hinz-Wessels); die wissenschaftliche Auseinandersetzung der Institutsmitarbeiter mit dem nationalsozialistischen Paradigma der Erbbiologie (Thomas Beddies über Tuberkuloseforschung und -impfung und Anne Cottebrune über serologische Forschungen); die Kooperation mit militärischen und industriellen Forschungseinrichtungen (Alexander Neumann zur Zusammenarbeit mit der Militärärztlichen Akademie) sowie die Beteiligung der Forscher an NS-Verbrechen, insbesondere an den Humanexperimenten (Laukötter über Heinrich A. Gins, Hulverscheidt über Claus Schilling und Gerhard Rose sowie Paul Weindling über Eugen Haagen).

Neben vielen Einzelbefunden, die hier nicht dargestellt werden können, präsentieren die beiden Bände zwei zentrale Ergebnisse: Zum einen war das Robert Koch-Institut als Institution, eben weil es während des „Dritten Reichs“ medizinische Zweckforschung betrieb und zum öffentlichen Gesundheitssystem gehörte, enger in das NS-System eingebunden als viele andere Forschungseinrichtungen (Hinz-Wessels 2008: 146). Mehr noch: Es passte sich dem NS-System an, nutzte die vorhandenen Möglichkeiten und bemühte sich mit allen Kräften um die Lösung wissenschaftlicher Probleme – auch wenn dabei ethische Grenzen überschritten wurden, wie in Neumanns Beitrag im Sammelband zum Ausdruck kommt. Dass dies häufiger geschah als bislang angenommen, ist der zweite zentrale Befund: Nicht nur einzelne Forscher, sondern die meisten Abteilungsleiter waren in die nationalsozialistische Vernichtungspolitik involviert (ebd.: 145). Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ist also festzuhalten: Das Robert Koch-Institut und der Nationalsozialismus waren Ressourcen füreinander, und die RKI-Mitarbeiter mussten zu ihrer – zum Teil verbrecherischen – Tätigkeit nicht gezwungen werden, sondern sie beteiligten sich aus freien Stücken und meist mit großem Engagement. Die Thesen der jüngeren Wissenschaftsgeschichte werden also einmal mehr bestätigt und konkretisiert.

Der von Noyan Dinckal, Christof Dipper und Detlev Mares herausgegebene Sammelband trägt die These von der Selbstmobilisierung der Wissenschaft bereits im Titel. Im ersten Themenblock, in dem es allgemein um das Verhältnis von Technik, Forschung und Hochschulen im Nationalsozialismus geht, führen Helmut Maier, Wolfgang Schieder und Wolfgang König aus, warum dies für die natur- und ingenieurwissenschaftliche Forschung in besonderem Maße galt. Der Nationalsozialismus verfügte zwar nicht über eine einheitliche Wissenschafts- und Bildungspolitik, aber er agierte auch nicht wissenschaftsfeindlich. Vielmehr plante das NS-Regime ab 1933 den „autarken Wehrstaat“ und sorgte daher für Aufbau und Weiterentwicklung der Autarkie- und Rüstungswirtschaft. Genau hierfür war das Regime auf die Natur-, Technik- und Ingenieurwissenschaften angewiesen. Der Ausbau dieser Disziplinen, ihrer Standorte und Institutionen als Kaiser-Wilhelm-Institute oder an den Technischen Hochschulen, so betont Maier in seinem Beitrag, boomte, und die entsprechende Förderung war, darauf weist Schieder hin, im „Dritten Reich“ weitreichender als während der Weimarer Republik. Diese Entwicklung sorgte für einen enormen Personalzuwachs und eröffnete den technischen Experten ausgezeichnete Karrieremöglichkeiten (Maier: 37, Schieder: 49, König: 66 f.). Ein Teil der Stellen war zudem durch die Vertreibung jüdischer beziehungsweise „nichtarischer“ und/oder „politisch unzuverlässiger“ Wissenschaftler frei geworden.

Hohe Repräsentanten des NS-Regimes finanzierten, unterstützten und „hofierten“ (Maier: 37) die Natur- und Technikwissenschaftler statt sie beziehungsweise ihre Institutionen wie etwa die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) oder den Verein Deutscher Ingenieure in festgefügte Organisationsstrukturen und ein weltanschauliches Korsett zu zwängen. Im Gegenteil: Wie Meier, Schieder und König aufzeigen, bot man sowohl den einzelnen Forschern als auch den Selbstverwaltungsorganisationen vergleichsweise weite Denk- und Handlungsspielräume an, die gern genutzt wurden. Dies wurde insbesondere durch „dezentrale Kompetenzzentren“ (ebd.) ermöglicht, die durch ein reichsweit verantwortliches Lenkungsgremium, meist das zuständige Ministerium, koordiniert wurden, und deren Führung häufig in den Händen der führenden Technikwissenschaftler selbst lag. Es handelte sich nach Auffassung von Schieder also um ein zwar unübersichtliches, aber letztlich effizientes System, das durch personelle, institutionelle und ökonomische Netzwerke verbunden war (Schieder: 50). Der Nationalsozialismus und insbesondere der Krieg eröffneten den technisch-wissenschaftlichen Experten – etwa in der Rüstungsforschung, in der Kriegswirtschaft oder bei den großen nationalsozialistischen Infrastrukturprojekten – ein „riesiges Betätigungsfeld“ (König: 72), in dem eine Trennungslinie zwischen Grundlagen- und anwendungsbezogener Zweckforschung nicht gezogen werden kann. Die Betonung, „reine Grundlagenforschung“ betrieben zu haben, kann vielmehr als zentraler Exkulpationsdiskurs der Akteure nach Kriegsende gelesen werden (Maier: 41-45, Schieder: 49). Naturwissenschaftler, Ingenieure und Techniker arbeiteten aktiv an staats-, wehr- und später kriegswichtigen Aufgaben mit, obwohl oder gerade weil sie sich als „unpolitische Fachleute“ (König: 71) verstanden. Die Mehrzahl der Ingenieure, Techniker und Naturwissenschaftler gehörte „zu den Profiteuren“ der NS-Politik (ebd.: 66) und nutzte die sich bietenden Möglichkeiten und Freiräume für individuelle Karrierebestrebungen beziehungsweise eigene wie übergreifende Forschungsinteressen. Dass diese meist untrennbar mit den Zielen des Regimes verflochten waren, empfanden die Angehörigen der naturwissenschaftlich-technischen Intelligenz nicht als Widerspruch, denn das Selbstverständnis, „unpolitisch“ zu sein, konnte durchaus mit Patriotismus oder Sympathie für den NS-Staat einhergehen.

Die Technischen Hochschulen, so fasst Maier zusammen, gehörten nicht nur zu den „maßgeblichen Elementen“ (Maier: 29) des nationalsozialistischen Wissens- und Innovationssystems, sondern bildeten einen „elementaren Bestandteil des NS-Terror- und Vernichtungsapparates“ (ebd.: 45). Nicht Pseudowissenschaft dominierte, sondern im Gegenteil große Leistungsfähigkeit. Der Beitrag von Schieder unterstreicht diese These. Schieder fasst die Ergebnisse des groß angelegten Forschungsvorhabens zur Geschichte der KWG dahingehend zusammen, dass die Wissenschaft dem Nationalsozialismus „nicht gegenüber [stand], sie war vielmehr ein konstitutiver Teil desselben“. Nationalsozialismus und KWG waren nicht nur Ressourcen füreinander, sondern die KWG war Teil eines „militärisch-industriell-wissenschaftliche[n] Komplex[es]“ (Schieder: 50).

Vieles spricht dafür, dass die Ausführungen von Maier, Schieder und König nicht nur für Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und die Ingenieure zutreffen, sondern auch auf die Technischen Hochschulen und die dort tätigen Wissenschaftler übertragen werden können. Die Ausführungen von Ralf Pulla über die Beteiligung der TH Darmstadt am raketentechnischen Netzwerk des „Dritten Reichs“ weisen jedenfalls in diese Richtung. Am „Vorhaben Peenemünde“ beteiligten sich die Technischen Hochschulen Darmstadt, Dresden, Hannover und Stuttgart sowie die Universitäten Halle, Göttingen und Leipzig, wobei Darmstadt neben Dresden zu den größten Partnern des Heereswaffenamtes zählte. Die Tätigkeitsschwerpunkte der Darmstädter Forscher lagen in der Triebwerksforschung, der Entwicklung von funk- und steuerungstechnischen Geräten sowie insbesondere im maschinellen Rechnen (S. 115). Der fachliche Austausch über die institutionellen Grenzen hinweg erfolgte in den „Vorhaben-Peenemünde-Hochschultagungen“, die 1939 in Dresden, 1940 in Berlin und 1942 in Darmstadt stattfanden. In der Form orientierte man sich also ganz an der akademischen Tradition. Pulla folgert abschließend, dass das Militär die Raketenentwicklung ohne die Einbeziehung der Hochschulen nicht so rasch und effektiv hätte vorantreiben können (S. 111 f.), betont aber andererseits, dass das die Raketentechnologie vorantreibende Netzwerk aus Militär, Industrie und Hochschulen für die nationalsozialistische Forschungs- und Technologiepolitik „insgesamt nicht paradigmatisch“ (Pulla: 124, Hervorhebung der Rezensentin) gewesen sei. Widerspricht dies nicht den Ausführungen von Maier, Schieder und König? Wie verflochten waren andere Technische Hochschulen mit dem NS-Regime, mit Rüstungsforschung, Kriegswirtschaft und dem nationalsozialistischen Terror- und Vernichtungsapparat?

Der Sammelband liefert leider keine weiteren Beiträge, die diese Fragen beantworten würden. Trotz des Titels, der allgemeine Ausführungen erwarten lässt, stehen nicht etwa die zentralen Technischen Hochschulen des Deutschen Reiches und ihre Verbindung zum Nationalsozialismus im Mittelpunkt der nachfolgenden Themenblöcke, sondern einerseits „Hochschulen an der Peripherie“, das heißt konkret die TH Trondheim, über die Mikael Hard berichtet, die von Daniel Speich untersuchte ETH Zürich sowie die von Frank-Rutger Hausmann kenntnisreich beschriebene Reichsuniversität Straßburg (die keine TH war), und andererseits einige die TH Darmstadt betreffende Spezialthemen, wie etwa die Beteiligung der Darmstädter Studenten an der Bücherverbrennung (Christof Dipper), die Studentinnen (Verena Kümmel) sowie die Architekten dieser Hochschule (Werner Durth). Dass der Band auf einer im Sommersemester 2008 durchgeführten Ringvorlesung zum Thema „Darmstadt und die Technischen Hochschulen im Nationalsozialismus“ basiert, erklärt die Zusammenstellung dieser Beiträge. Wichtiger jedoch ist, dass Studien über das Verhältnis der großen und wichtigen Technischen Hochschulen zum Nationalsozialismus bislang noch ausstehen. Wie funktionierte die Selbstmobilisierung an den Technischen Hochschulen in Berlin, Dresden, Hannover, Karlsruhe, München oder Stuttgart, wie (weit) waren sie in rüstungsrelevante Netzwerke eingebunden und an den NS-Verbrechen beteiligt? Der Titel des Sammelbandes ist also zu ambitioniert. Denn zurzeit besteht noch großer Forschungsbedarf, und erst entsprechende Untersuchungen werden letztendlich eine empirisch abgesicherte Einschätzung darüber erlauben, in welchem Maße sich die Technischen Hochschulen im „Dritten Reich“ selbst mobilisierten und inwieweit sie jeweils als konstitutiver Teil eines „militärisch-industriell-[natur-/ingenieur-]wissenschaftlichen Komplexes“ anzusehen sind. Auch wenn schon heute zu erkennen ist, dass beides zutraf.

Der von Sabine Schleiermacher und Udo Schagen herausgegebene Band versammelt auf rund 260 Seiten 14 Aufsätze, die auf einen Workshop zum Thema „Hochschulen und politische Systemwechsel – Vergleich 1933 und 1945“ zurückgehen, den der Forschungsschwerpunkt Zeitgeschichte des Instituts für Geschichte der Medizin in Berlin im Sommer 2006 durchgeführt hatte. Den übergeordneten Rahmen bildete das DFG-Schwerpunktprogramm „Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Deutschland im internationalen Zusammenhang im späten 19. und 20. Jahrhundert“. Die Beiträge kreisen um zwei Vergleichsebenen: erstens das Verhalten der Universitäten bei diesen Systembrüchen, zweitens das Handeln deutscher versus nicht deutscher Hochschulen angesichts der politischen Zäsuren. Folgende Fragen stehen, so Schleiermacher in ihrem einleitenden Beitrag, im Mittelpunkt: Wann und warum reagierte die Institution gegenüber der jeweiligen politischen Macht eher zurückhaltend oder aber offensiv? Was war den Umbrüchen gemein, was war unterschiedlich? Welche Auswirkungen hatten die Zäsuren auf die Entwicklungen an den Hochschulen beziehungsweise auf die unterschiedlichen Fächerkulturen? Welche akademischen Rituale und welche Eigendynamiken der Universitäten spielten eine Rolle? Nicht zuletzt: Welche restaurativen oder auch modernisierenden Elemente von Wissenschaft gingen mit den Umbrüchen einher? Es geht in dem Band also um das Wechselverhältnis zwischen politischen Vorgaben einerseits und Interessen der Institution Hochschule andererseits.

Im ersten Themenblock werden die allgemeinen Rahmenbedingungen dargestellt. Johannes Vossen beschreibt den politischen Systemwechsel 1933 und seine Auswirkungen auf die Universitäten, Andreas Malycha die Hochschulpolitik in den vier Besatzungszonen von 1945 bis 1949 und Schagen skizziert die Zulassungsregelungen für Studienbewerber 1933 respektive 1945. Im zweiten und dritten Teil des Bandes wird der Vergleich 1933 versus 1945 dann anhand von lokalen Fallbeispielen durchgespielt. Alle Aufsätze haben gemeinsam, dass es in erster Linie um Hochschul- und Personalpolitik geht und weniger um die Inhalte oder Methoden der Forschung. Im Mittelpunkt stehen die Universitäten und dort die Fächergruppen der Medizin und der Geisteswissenschaften. Beiträge über Technische Hochschulen oder die Ingenieur- und Naturwissenschaften fehlen leider. Im vierten Themenblock wird schließlich die Situation der Hochschulen in Prag (durch Beiträge von Ota Konrád und Petr Svobodný), Wien (Ingrid Arias) und Japan (Hans Martin Krämer) zu Zeiten der politischen Umbrüche behandelt. Diese Länderbeispiele stellen allein insofern eine große Bereicherung dar, als die tschechische und japanische Forschung bislang aufgrund der Sprachbarrieren hier kaum wahrgenommen werden konnte. Freilich kann ein wirklicher Vergleich mit der Situation in Deutschland (noch) nicht geleistet werden, da die Rahmenbedingungen doch höchst unterschiedlich waren.

Im Hinblick auf die oben gestellten Fragen ist der Band also allein schon durch den Ansatz interessant. Denn im Fokus steht nicht mehr der Nachweis, dass die Sphären von Wissenschaft und Politik verflochten waren und die (meisten) Hochschullehrer sich für die Ziele des Nationalsozialismus engagiert hatten, sondern der Vergleich des Umbaus der Ressourcenkonstellationen 1933 und 1945. Ein Beispiel, das im Band ausführlich behandelt wird, soll hier kurz vorgestellt werden, und zwar Ergebnis und Auswirkungen der personalpolitischen Maßnahmen von 1933 und 1945. Aufgrund der nationalsozialistischen Vertreibungspolitik verlor nahezu jeder fünfte wissenschaftliche Universitätsmitarbeiter seine Stelle, wobei mehr als 80 Prozent der Entlassenen Opfer der nationalsozialistischen Rassenideologie waren: Sie waren Juden oder wurden als „jüdisch“ beziehungsweise „nichtarisch“ klassifiziert oder galten aufgrund ihrer Ehepartner als „jüdisch versippt“. Die anderen verloren ihre Position, weil sie Gegner oder Kritiker des Regimes waren. Die genaue Betrachtung zeigt zudem, dass zwischen den Fächern und Hochschulen erhebliche Unterschiede bestanden. So entließen die Universitäten Frankfurt, Berlin und Heidelberg rund ein Drittel ihres wissenschaftlichen Personals; eine Quote, die die Medizinische Akademie Düsseldorf (die nur aus der medizinischen Fakultät bestand) sogar noch übertraf (Koppitz/Halling/Fangerau: 157-160). Die Universität Jena lag im Vergleich zu anderen deutschen Hochschulen mit 8,5 Prozent im unteren Drittel (Lemuth: 67), während die Universität Tübingen mit unter vier Prozent das Schlusslicht bildete (Grün: 180). Die Unterschiede verweisen jedoch nicht etwa auf eine unterschiedlich radikale Anwendung der nationalsozialistischen Berufsbeamten- und späteren Rassengesetze, sondern vielmehr auf eine liberale beziehungsweise im umgekehrten Fall eher restriktive Personalpolitik der Institutionen in der Weimarer Republik gegenüber jüdischen oder demokratischen Wissenschaftlern. Deutlich wird in den Beiträgen auch, dass sich nirgendwo Widerstand regte. Die Entlassungen wurden vielmehr von denjenigen, die im Amt blieben, hingenommen, wenn nicht gar begrüßt. Letzteres traf auf jeden Fall auf das Heer der stellungslosen Privatdozenten und nicht versorgten Nachwuchswissenschaftler zu, die – sofern sie „arischer Abstammung“ und politisch nicht auffällig waren – von den drastischen Personaleinschnitten profitierten, indem sie auf die nun freiwerdenden Positionen vorrückten. Hier – und auch bei der überwiegenden Mehrheit der im Amt verbliebenen Professoren – herrschte große Anpassungsbereitschaft, häufig auch Sympathie oder gar Begeisterung für das NS-System. Das Regime brauchte also keine Zwangsmaßnahmen, sondern erlebte ein hohes Maß an Selbstmobilisierung. Und 1945?

In der Personalpolitik kam es 1945 in allen Besatzungszonen zunächst zum Teil zu gravierenden Einschnitten. Auch wenn die Alliierten unterschiedlich vorgingen, so waren sie sich doch darin einig, dass die nationalsozialistischen Hochschullehrer entlassen werden sollten. Als Kriterium hierfür galt die Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer ihrer Organisationen. Die Sympathien für das NS-Regime sowie die Anpassungsleistungen, durch welche sich die große Mehrzahl der Professoren im Nationalsozialismus ausgezeichnet hatte, schien sich nun zunächst zu rächen. Bei allen Schwierigkeiten, einheitliche Kriterien zu definieren und somit verlässliche Daten für den Vergleich vorzulegen – auf die methodischen Probleme weist Bernd Grün zu Recht hin (S. 173 f.) – lassen sich folgende Zahlen festhalten: In Jena lag die Entlassungsquote im Sommer 1947 bei 76 Prozent. In der sowjetischen Besatzungszone – aus der ohnehin viele Professoren bereits in den Westen geflüchtet waren – betrug die Gesamtquote sogar 87 Prozent (Lemuth:,76). An den ostdeutschen Universitäten herrschte Ende der 1940er Jahre also ein eklatanter Personalmangel. Deutlich wird jedoch auch, dass die Entlassung der nationalsozialistischen Professoren ein Intermezzo blieb. Kurze Zeit später nahmen die Besatzungsverwaltungen (aus unterschiedlichen Gründen) die Maßnahmen zurück, auch in der SBZ/DDR. Was, wie genau und warum dies dort geschah, wird an einigen biografischen Fallbeispielen quellengesättigt und überzeugend demonstriert. Anna Lux analysiert die Karriere des Germanisten Theodor Frings (1886-1968), Jens Thiel untersucht die beruflichen Werdegänge des Anglisten Martin Lehnert (1910-1992) und des Altertumswissenschaftlers Werner Hartke (1908-1993). Alle drei wirkten im Nationalsozialismus und nach Kriegsende nahezu ausschließlich an ostdeutschen Universitäten. Frings konnte, so zeigt Lux, sein wissenschaftliches und symbolisches Kapital vergleichsweise problemlos an die jeweils veränderten politischen Bedingungen anpassen und an national-kulturelle Sinnstiftungsdiskurse anknüpfen. Dies war der Grund, weshalb er sich nach 1945 trotz eines öffentlich zur Schau gestellten bürgerlichen Habitus in der SBZ/DDR behaupten, ja Karriere machen konnte (Lux: 98). Hartke und Lehnert hingegen gelang es nach Kriegsende, oppositionelles Verhalten im Nationalsozialismus zu konstruieren und vermeintlich antifaschistische Aktivitäten zu belegen. Die Wissenschaftsverwaltungen ihrerseits akzeptierten die Legenden, um in Anbetracht des drastischen Personalmangels und des beginnenden Kalten Krieges renommierte Wissenschaftler in der SBZ/DDR zu halten. „Am Ende obsiegten im Zweifelsfall“, so fasst Thiel zusammen, „pragmatische Erwägungen über den selbst gesetzten antifaschistischen Anspruch.“ (Thiel: 122). Dies galt nicht nur für Frings, Hartke und Lehnert.

Im Hinblick auf die Entnazifizierung zeichnete sich ein ähnlicher Verlauf auch an der Medizinischen Akademie Düsseldorf ab. In den Jahren von 1945 bis 1947 dominierte dort die konsequente Entfernung der nationalsozialistischen Professoren. Doch schon 1948 erfolgte ein auch symbolisch inszenierter „Schlussstrich“ unter die NS-Vergangenheit, und zu Beginn der 1950er Jahre wurden die Entnazifizierungsmaßnahmen nahezu vollständig zurückgenommen, so dass selbst die Düsseldorfer Mediziner, die sich im Nationalsozialismus an Menschenversuchen in den Konzentrationslagern beteiligt hatten, in Amt und Würden zurückkehren konnten (Koppitz/Halling/Fangerau: 152-155). Auch an der Universität Tübingen verhielt sich das kaum anders: Die Entlassungsquote stieg von 17 Prozent im Juli 1945 auf 53 Prozent im September. Doch schon im Frühjahr 1946 sank sie nach zahlreichen stattgegebenen Einsprüchen auf etwas über 30 Prozent, um dann 1949/50 das endgültige Niveau von zehn Prozent zu erreichen (Grün: 181-184). Eine grundsätzliche Reform der deutschen Hochschullandschaft fand nach 1945 nicht statt, und es kam – trotz der kurzfristig einschneidenden personalpolitischen Maßnahmen – langfristig zu keinem Austausch der Wissenschaftselite. In allen Zonen knüpfte man stattdessen an Strukturen des Kaiserreichs an, was verbunden mit dem starken Beharrungswillen der etablierten Professorenschaft zur Wiederherstellung der Ordinarienuniversität führte, bevor zu Beginn der 1950er Jahre in der Osthälfte Deutschlands dann ein struktureller Wandel eintrat.

Jenseits solch kurzfristiger – etwa personalpolitischer – Umbrüche, ergibt sich, so fasst Schleiermacher die Ergebnisse des Bandes zusammen, eine „auffällige Persistenz des Systems Hochschule und ihrer etablierten Mitglieder unabhängig vom politischen Kontext“ (Schleiermacher: 17). Innerhalb der von dem jeweiligen politischen System gesetzten Rahmenbedingungen dominierten, so kann man in den Beiträgen lesen, Beharrungskräfte und Standesloyalität der im Amt verbliebenen Professoren, Anpassungsbereitschaft und Pragmatismus, gepaart mit semantischen sowie nicht zuletzt auch mentalen Umbauten, die den politischen Zäsuren 1933 und 1945 folgten. Offenbar arrangierte sich die Mehrzahl der etablierten Wissenschaftler – erstaunlich problemlos – mit den politischen Zäsuren und ebenso auch mit dem jeweiligen politischen System: mit Weimar, Nationalsozialismus, alliierter Besatzung, DDR oder Bundesrepublik. Stellten sie ihre wissenschaftliche Expertise, sei es aus Opportunismus und Pragmatismus, aus Begeisterung für ihre Tätigkeit oder weil es keine berufliche Alternative gab, jedem Regime – mal mehr, mal weniger begeistert – zur Verfügung? Was würde dies dann für die vielfach nachgewiesene Selbstmobilisierung der Wissenschaftler für den Nationalsozialismus bedeuten? Und wie genau gelang vor solch einer Deutung die Auflösung oder Entflechtung des „militärisch-industriell-[natur-/ingenieur-]wissenschaftlichen Komplexes“ nach Kriegsende? Offen bleibt auch nach wie vor die Frage nach jenen, die nicht im nationalen Wissenschaftssystem geduldet wurden. Nach Kriegsende waren dies zunächst sehr viele, langfristig gesehen jedoch letztendlich nur sehr wenige Personen, während man nach 1933 in einzelnen Hochschulen oder Fakultäten viele und zudem häufig hochrangige Wissenschaftler mit innovativen Forschungsfeldern dauerhaft vertrieben hatte: etwa ein Drittel in Frankfurt, Berlin und Düsseldorf, 35 Prozent an der TH Braunschweig, 53 Prozent gar an der medizinischen Fakultät der Universität Wien (Arias: 250). Weitere Forschung tut also Not, vor allem Untersuchungen zu den Technischen Hochschulen – und insbesondere auch zur bislang kaum behandelten Industrieforschung –, aber auch zu den nach 1933 vertriebenen Forschern. Gewinnbringend ist es dabei, das zeigt der Band von Schleiermacher und Schagen, vergleichend vorzugehen oder langfristige Prozesse in den Blick zu nehmen, die über einzelne politische Zäsuren hinausgehen.