Zusammenfassung
Der Beitrag verortet die aktuelle Debatte um das Verhältnis des Textmediums Literatur zu den Bild- und Tonmedien historisch durch eine Lektüre von G.C. Lichtenbergs Hogarth-Kommentaren. Dabei wird gezeigt, wie das Medium Text den eigenen Mangel an Anschaulichkeit durch mediensimulierende Strategien kompensiert, die in ein intermediales Modell der Lektüre einflieβen.
Abstract
The essays traces back the current discussion on the relation between the text-based medium of literature and the audiovisual media by a reading of G.C. Lichtenberg’s explanations of Hogarth’s engravings. Here, the text is introduced as a medium that compensates its own lack of sensuality by simulating other media. These strategies give way for a intermedial model of reading.
Literature
Walter Haug, „Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft?“, DVjs 73 (1999), 69–93, hier: 86.
Friedrich Kittler (Hrsg.), Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften. Programme des Poststrukturalismus, Paderborn u.a. 1980.
Vgl. etwa Manfred Faβler, Wulf Hallbach (Hrsg.), Geschichte der Medien, München 1998.
Vgl. hierzu K. Ludwig Pfeiffer, Das Mediale und das Imaginäre. Perspektiven kulturanthropologischer Medientheorie, Frankfurt a.M. 1999, bes. 70.
Vgl. Jochen Hörisch, Ende der Vorstellung. Die Poesie der neuen Medien, Frankfurt a.M. 1999, 111.
Vgl. besonders explizit: Klaus Kanzog, Einführung in die Filmphilologie, München 1991.
Dazu kritisch: Franz Josef Albersmeier, Theater, Film und Literatur in Frankreich. Medienwechsel und Intermedialität, Darmstadt 1992.
Vgl. Bernhard J. Dotzler, „Zum Literaturschwundsyndrom–und zu Walter Percys Thanatos-Syndrom“, Uli 87/88 (1992), 111–132, hier: 115.
Zum Begriff vgl. Siegfried J. Schmidt, „Medien, Kultur: Medienkultur. Ein konstruktivistisches Gesprächsangebot“, in: ders. (Hrsg.), Kognition und Gesellschaft. Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus 2, Frankfurt a.M. 1992, 425–450, hier: 434, sowie Jörg Schönert, „Literaturwissenschaft–Kulturwissenschaft–Medienkulturwissenschaft: Probleme der Wissenschaftsentwicklung“, in: Renate Glaser, Matthias Luserke (Hrsg.), Literaturwissenschaft–Kulturwissenschaft. Positionen, Themen, Perspektiven, Opladen 1996, 192–208.
Vgl. Friedrich Kittler, „Geschichte der Kommunikationsmedien“, in: Jörg Huber, Alois Müller (Hrsg.), Raum und Verfahren. Interventionen 2, Zürich 1993, 169–188, oder Wolfgang Coy, „Aus der Vorgeschichte des Computers“, in: Norbert Bolz, Friedrich Kittler, Georg Christoph Tholen (Hrsg.), Computer als Medium, München 1994, 19–38.
Zu dieser Selbstbeschreibungsfunktion der Epochenzuschreibung ‚um 1800 ‘vgl. Georg Stanitzek, „Brutale Lektüre, ‚um 1800 ‘(heute)“, in: Joseph Vogl (Hrsg.), Poetologien des Wissens um 1800, München 1999, 249–265.
Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1995, 461. Vgl. aber auch Friedrich Kittler, Aufschreibesysteme 1800/1900, München 3 1995, 148: „Zur seriellen Speicherung/Reproduktion hat es nur Bücher, reproduzierbar schon seit Gutenberg, aber verstehbar und phantasierbar gemacht erst durch die fleischgewordene Alphabetisierung [um 1800]“.
Vgl. zur „Bastardisierung“ der Medien Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle. Understanding Media, Düsseldorf 21995, 41 ff. Vgl. die Untersuchungen zur Mediensimulation in der Literatur des 20. Jahrhunderts bei Hörisch (Anm. 5), bes. 25, sowie
Philipp Löser, Mediensimulation als Schreibstrategie. Film, Mündlichkeit und Hypertext in postmoderner Literatur, Göttingen 1999, 18 und schlieβlich Kittler (Anm. 15), 150: „Daβ dagegen um 1800 gerade hohe Texte in audiovisueller Sinnlichkeit schwelgen, haben nur Filmhistoriker erkannt“.
Vgl. Christa Karpenstein-Eβbach, „Literatur zwischen inszenierten Wahrnehmungen. Problemfelder der Medienanalyse“, in: Sigrid Schade, Georg Christoph Tholen (Hrsg.), Konfigurationen. Zwischen Kunst und Medien, München 1999, 187–197; zum Beobachtungsparadigma generell Gerhard Plumpe, Niels Werber (Hrsg.), Beobachtungen der Literatur. Aspekte einer polykontexturalen Literaturwissenschaft, Opladen 1995.
Jean Paul, Über die natürliche Magie der Einbildungskraft, Sämtliche Werke, hrsg. Norbert Miller, München 1962, I/4, 195–205, hier: 195. Vgl. 196: „Freilich sind oft am dichterischen Genie alle äuβeren Sinnen-Nerven verdorret und abgewelkt; aber der Wuchs des einen Zweiges hatte nur die andern ausgesogen, so wie ja auch die Sinne–z.B. Aug und Ohr–einander gegenseitig berauben und erstatten“.
Stefan Rieger, „MedienWissenschaft der Literatur–Literaturwissenschaft der Medien“, in: Miltos Pechlivanos u.a. (Hrsg.), Einführung in die Literaturwissenschaft, Stuttgart 1995, 402–412, hier: 410f.: „Die Technik einer Sinnesaffizierung, die bisher die Domäne der Literatur, Domäne schriftlich vermittelter Virtualitäten war, ist im Cyberspace technisch implementiert: Sensationen, die in den Semiotechniken wie der Mediation, der Gedächtniskunst oder der Literatur scheinbar nur eingebildet waren, sind jetzt apparativ umgesetzt“.
Irmela Schneider, Der verwandelte Text. Wege zu einer Theorie der Literaturverfilmung, Tübingen 1981.
Joachim Paech, „Intermedialität. Mediales Differenzial und transformative Figurationen“, in: Jörg Heibig (Hrsg.), Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets, Berlin 1998, 14–40, hier: 14.
Vgl. als überblick über die Theorien der Intermedialität Jürgen E. Müller, Intermedialität. Formen moderner kultureller Kommunikation, Münster 1996 und summarisch
Jens Schröter, „Intermedialität. Facetten und Probleme eines aktuellen medienwissen-schaftlichen Begriffs“, montagelav, 7/2 (1998), 129–154. Schröter unterscheidet zwischen synthetischer (additiver), transmedialer (formaler), transformationaler (repräsentierender) und ontologischer (differentieller) Intermedialität. Das hiesige Begriffsverständnis schlieβt am ehesten an die beiden letztgenannten an.
Karl Prümm, „Intermedialität und Multimedialität. Eine Skizze medienwissen-schaftlicher Forschungsfelder“, in: Volker Bohn, Eggo Müller, Rainer Ruppert (Hrsg.), Ansichten einer künftigen Medienwissenschaft, Berlin 1988, 195–200.
Vgl. Paech (Anm.23) sowie Georg Christoph Tholen, „Überschneidungen. Konturen einer Theorie der Medialität“, in: Sigrid Schade, Georg Christoph Tholen (Anm. 17), München 1999, 16–34.
Niklas Luhmann, Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992, 31.
Vgl. Gerhard Neumann, Günter Oesterle (Hrsg.), Bild und Schrift in der Romantik, Würzburg 1999, die in ihrer Einleitung (9–23, zitiert von 9) drei Modi dieser medialen Krise um 1800 nennen: hinsichtlich der Perspektive, hinsichtlich der Zeichen und hinsichtlich der Sinne. Das dort als Symptom dieser Krise diagnostizierte „innerlinguistische Spiel zwischen Buchstabe, Klang und Bild“ (12) wird im folgenden als explizite Reaktion auf sie zu zeigen sein.
Georg Christoph Lichtenberg, Ausführliche Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche, Schriften und Briefe, München 1972, III, 657–1060, hier: 686f.
Peter Utz, Das Auge und das Ohr im Text. Literarische Sinneswahrnehmung in der Goethezeit, München 1990, 44.
Vgl. zur Dichotomie Sinn/ Sein Jochen Hörisch, Brot und Wein. Zur Poesie des Abendmahls, Frankfurt a.M. 1992.
Vgl. Hans-Georg von Arburg, Kunst-Wissenschaft um 1800. Studien zu Georg Christoph Lichtenbergs Hogarth-Kommentaren, Göttingen 1996, 366 sowie 348ff., wo Lichtenbergs Kommentar als Evokation der gleichen Uneindeutigkeit verstanden wird, die die bildnerische Darstellung Hogarths prägt.
Vgl. Nicolas Pethes, „Transformation und Temporalisierung. Intermedialität als Fluchtpunkt impliziter Mediendiskurse um 1800“, in: Annette Jael Lehmann (Hrsg.), On the Cutting Edge–Positionen zur Intermedialität. Konzepte/Epochen/Künste, Freiburg 2002.
Vgl. zum Konzept einer Mediengeschichte, deren Entwicklungsstufen auf strukturelle Systemspannungen und kollektive Wunschstrukturen zurückgeführt werden, Hartmut Winkler, Docuverse. Zur Medientheorie der Computer, München 1996.
Ivan Illich, Im Weinberg des Textes. Als das Schriftbild der Moderne entstand, Frankfurt a.M. 1991.
Vgl. Heinrich Bosse, Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit, Paderborn u.a. 1981, 17–24, der nachzeichnet, wie das 18. Jahrhundert versucht, Schriftlichkeit als Verewigung der verlorengegangenen Gesprächssituation zu konturieren: „Solange Bücher Reden sind, ist auch der Druck diskursiv“ (20). Ich habe hier wie andernorts Matthias Bickenbach und Torsten Hahn für wertvolle Hinweise zu danken.
Albrecht Koschorke, Körperströme–Schriftverkehr. Mediologien des 18. Jahrhunderts, München 1999, 292.
Vgl. J.A. Bergk, Die Kunst, Bücher zu lesen. Nebst Bemerkungen über Schriften und Schriftsteller, Jena 1799, IX: „Das Lesen soll uns zur Selbstthätigkeit erziehen; alle Anlagen sollen durch dasselbe erweckt, und alle Kräfte sollen durch dasselbe verkommt werden; die Bücher sind deshalb zur Beförderung unserer Mündigkeit sehr tauglich, weil sie reich an interessanten und mannichfaltigen Stoffen sind, und weil sie dem Leser auch eine Kenntniβ von dem verschaffen, wohin seine Augen nicht reichen, und sein Fuβ nicht tritt. Sie verbinden mit Anschauung zugleich Gedanken, und mit Empfindungen Ideale; die Welt und die Natur hingegen umringt uns bloβ mit Anschauungen, wodurch zwar unsere Sinnlichkeit befriedigt, aber nur auch zu oft die Thätigkeiten unseres Verstandes und unserer Vernunft erstickt werden“.
Gilles Deleuze, Kritik und Klinik, Frankfurt a. M. 2000, 9. Hier auch das Motto.
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Pethes, N. Intermedialitätsphilologie? Lichtenbergs Textmodell und der implizite Mediendiskurs der Literatur. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 76, 86–104 (2002). https://doi.org/10.1007/BF03375841
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF03375841