Einleitung: Chirurgie und Zeit

Narkotika sickern sekündlich durch Schläuche, Hände huschen umher. Begleitet von immer schnelleren Signaltönen flimmern Verlaufskurven über Monitore. Alles drängt sich um eine klaffende Höhle, in der rhythmisch ein Organ pulsiert. Nicht zufällig sind gerade solche Phänomene, welche die Zeitlichkeit des Geschehens drastisch vor Augen führen, zu Sinnbildern moderner Medizin geworden. Denn chirurgische Operationen sind dynamische Prozesse, die vielfältige Vorgänge mit je unterschiedlichen Dauern, Rhythmen und Geschwindigkeiten auf komplexe Weise involvieren. In präziser Abstimmung organischer, technischer und organisatorischer Abläufe bildet sich im operativen Vorgehen eine spezifische chirurgische Zeit heraus.

Im Folgenden möchte ich zeigen, dass chirurgische Zeit eine eigene Geschichte hat, die in der frühen Herzchirurgie wirkmächtig zur Geltung kam. Denn die Entwicklung operativer Verfahren am Herzen sah sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einem gravierenden Zeitproblem ausgesetzt, aus dem heute unverzichtbare Techniken wie der kardiopulmonale Bypass oder die induzierte Hypothermie hervorgingen. Komplexere Eingriffe am Herzen erfordern in aller Regel eine temporäre Kreislaufunterbrechung: Abklemmungen, Drosselungen oder auch manuelle Unterbindungen des Blutflusses durch die Höhlen und Gefäße des Herzens erlauben zwar ein Operieren bei freier Sicht und geringem Blutverlust, berauben allerdings das Gehirn seiner Versorgung mit sauerstoffreichem Blut. Dies stellte Chirurgen jahrzehntelang vor die teils riskante, meist aber unmögliche Aufgabe, Herzoperationen innerhalb weniger Minuten durchführen zu müssen, was zudem in direktem Widerspruch zum vorherrschenden chirurgischen Ideal stand: Während sich Chirurgen noch im frühen 19. Jahrhundert, vor der Einführung der Anästhesie, damit gerühmt hatten, Amputationsschnitte im Bruchteil einer Minute vollenden zu können (vgl. z. B. Stanley 2003: 226 f.), setzte sich mit dem Anspruch, ein keimfreies Operationsfeld zu gewährleisten, im späten 19. Jahrhundert allmählich ein präziser und strikten Prinzipien unterworfener Operationsstil durch (vgl. Schlich 2015: 386–394). „Ruhiges, nicht überhastetes Operiren“ (Schimmelbusch 1892: 160) war dementsprechend das Ideal derjenigen chirurgischen Praxis, in deren Rahmen nun begonnen wurde, unter gewaltigem Zeitdruck am Herzen zu operieren.

Dieser Widerspruch gibt Anlass, die Geschichte der Herzchirurgie einer näheren Betrachtung hinsichtlich ihrer problematischen Zeitverhältnisse zu unterziehen und die historische Perspektive zu erweitern. Denn während der Wandel chirurgischer Räumlichkeiten von Altertum bis Gegenwart dargestellt (Mörgeli 1999) und mit Blick auf das ausgehende 19. und das 20. Jahrhundert die Entwicklungen von öffentlichen Operationstheatern zu laborähnlich kontrollierten Umgebungen beschrieben worden sind (Adams & Schlich 2006; Schlich 2007), stehen vergleichbare Arbeiten hinsichtlich spezifischer Zeiten der Chirurgie noch aus. Zwar haben zeitliche Aspekte vereinzelt Erwähnung gefunden – etwa hinsichtlich sich wandelnder Operationsgeschwindigkeiten im Zuge von Anästhesie, Anti- und Aseptik (Schlich 2015), chirurgischer Effizienzbestrebungen des frühen 20. Jahrhunderts (Gainty 2012; Howell 1995: 30–68) oder Technologien wie dem Herzschrittmacher (Jeffrey 2001) –, jedoch ohne Zeit selbst zum Thema eingehender Betrachtung oder systematischer Untersuchung zu machen.

Ein solches Vorhaben lässt sich allgemeiner zwischen verschiedene Studien zu Zeitverhältnissen der modernen Lebenswissenschaften (z. B. Landecker 2007; Wellmann 2010; Schmidgen 2005, 2014) einreihen, betont dabei jedoch statt epistemischen wesentlich stärker praxisbezogene Gesichtspunkte des Zeitlichen. Die Medizin ist, wie Georges Canguilhem hervorgehoben hat, „eher eine Technik oder eine Kunst im Schnittpunkt verschiedener Wissenschaften als eine Wissenschaft im eigentlichen Sinne“ (Canguilhem 2013: 20). Für den Bereich der Chirurgie, der mit hohen Anforderungen an handwerkliches Geschick und technische Finesse auf die therapeutische Manipulation von Körperstrukturen abzielt, gilt dies in besonderem Maße. Allerdings ist gerade diese vorwiegend praktische Ausrichtung ein Grund für die lange Vernachlässigung der Chirurgie innerhalb einer überwiegend biografie- und ideenorientierten Medizingeschichtsschreibung gewesen (vgl. Lawrence 1992: 14). Dass in einem solchem Rahmen Zeit, die für Chirurgen weniger ein theoretisch-konzeptionelles als ein praktisches Problem darstellt, kaum Beachtung gefunden hat, ist nicht verwunderlich. Um einer chirurgischen Zeit auf die Spur zu kommen, müssen Chirurgie und Zeit gleichermaßen einer historischen Praxisanalyse zugänglich gemacht werden.

Erst in jüngerer Vergangenheit ist der chirurgischen Praxis samt ihrer materiellen Kultur stärkeres historisches Interesse entgegengebracht worden. Dabei kann, wie Thomas Schlich hervorgehoben hat, das Streben nach einer möglichst umfassenden Kontrolle über das ‚lebendige Material‘ auf dem Operationstisch als Charakteristikum moderner Chirurgie betrachtet werden:

Die vielfältigen Technologien, die dem chirurgischen Repertoire zur Lösung jeweils bestimmter Probleme, wie Blutverlust, Operationsschmerz, Sichtbarkeit oder Infektionsgefahr, besonders im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts hinzugefügt wurden, haben das für die moderne Chirurgie so typische Arrangement von Objekten und ritualisierten Verhaltensweisen hervorgebracht. Sie resultierten im Endeffekt, wie ich zu formulieren vorschlage, in einem Netzwerk von Kontrolltechnologien (Schlich 2008: 337).

In Schlichs beispielhafter Aufzählung chirurgischer Probleme ließe sich Zeit ergänzen, die es zur Gewährleistung eines möglichst reibungs- und gefahrlosen Operationsablaufs unter Kontrolle zu bringen galt. Der komplexen Verschränkung von Organismen, Werkzeugen und Apparaturen in der Dynamik des Operierens (siehe auch Schubert 2006) lässt sich jedoch durch Auffassungen von Zeit in Subjekt- und Objektkategorien, als individuelles Erleben oder messbares Äußeres, nicht gerecht werden. „Zu den Schwierigkeiten, mit denen man zu kämpfen hat, wenn man über die Zeit nachdenkt, gehört es, daß die Zeit sich nicht säuberlich in eines der gedanklichen Schubfächer einfügt“, schreibt Norbert Elias (1988: XV) in seinem Essay Über die Zeit. Im Sinne einer praxisbezogenen Theorie versteht er Zeit als „‚In-Beziehung-Setzen‘ von Positionen oder Abschnitten zweier oder mehrerer kontinuierlich bewegter Geschehensabläufe“ (Elias 1988: XVII). Demnach sind zum Beispiel der Pulsschlag und das Ticken eines Sekundenzeigers verschiedene Geschehensabläufe, deren Beziehungsmuster im Vorgang der Pulsmessung eine spezifische Zeit ist.

Chirurgische Operationen involvieren zahlreiche solcher Geschehensabläufe, die sich im „Zeitbestimmen“, für das sich Elias interessiert, allerdings bei weitem nicht erschöpfen. Vielmehr hängt das Überleben von Patienten davon ab, dass beispielsweise Herzrhythmen, Beatmungsfrequenzen und Handgriffe des Operationspersonals präzise getaktet ineinandergreifen. Zeit erscheint in dieser Perspektive also weder als subjektive Erlebnisform noch als objektive Gegebenheit, sondern als situative Konstellation von Dauern, Rhythmen und Geschwindigkeiten im Zusammenspiel heterogener Komponenten. Auch jenseits von Messvorgängen lässt sich Zeit so als etwas beschreiben, „das sich unter Menschen im Zusammenhang mit ganz bestimmten Aufgaben, mit spezifischen Zwecken, die sie erfüllt, entwi[c]kelt hat“ (Elias 1988: XX). Diese Perspektive ermöglicht die Frage nach (historischen) Praktiken, in deren Vollzug Zeit als spezifisches Verhältnis unterschiedlicher Dauern, Rhythmen und Geschwindigkeiten konstelliert wird. Hinsichtlich der Chirurgie kann also der Versuch unternommen werden zu rekonstruieren, wie verschiedene organische, technische und organisatorische Abläufe zu Operationszwecken in Einklang gebracht wurden, um eine spezifische chirurgische Zeit herauszubilden, die dem Primat der Kontrolle gerecht wird.

Darauf aufbauend möchte ich im Folgenden die verzweigte Entwicklung herzchirurgischer Versuche bis zur Operation am offenen, blutleeren Herzen als eine Geschichte chirurgischer Zeit in den Blick nehmen. Der erste Abschnitt skizziert zunächst die kritische Ausgangslage im frühen 20. Jahrhundert, als einflussreiche Chirurgen wie Ludwig Rehn (1849–1930), Friedrich Trendelenburg (1844–1924) oder auch Alexis Carrel (1873–1944) auf das Problem der Kreislaufunterbrechung und damit an die zeitliche Grenze herzchirurgischer Möglichkeiten stießen. Eben dieses Zeitproblem steht im Mittelpunkt dreier anschließend untersuchter Fallbeispiele: Der zweite Abschnitt widmet sich den chirurgisch-handwerklichen Ansätzen, die der Berliner Chirurg Arthur W. Meyer (1885–1934) in den 1920er Jahren verfolgte, um sich entscheidende Sekunden bei Operationen unter Kreislaufunterbrechung zu verschaffen. Ein apparativer Lösungsansatz hingegen steht im Vordergrund des dritten Abschnitts, welcher sich mit den Versuchen von John H. Gibbon Jr. (1903–1973) der 1930er Jahre zur Entwicklung einer Herz-Lungen-Maschine in Boston und Philadelphia befasst. Gegenstand des vierten Abschnitts ist schließlich die Verlangsamung physiologischer Prozesse nach dem Vorbild des Winterschlafs, wie sie Wilfred G. Bigelow (1913–2005) in den späten 1940er Jahren in Toronto durch gezielte Unterkühlung des Organismus herbeizuführen versuchte.

Abschließend wird resümiert, dass sich das Zeitproblem der Kreislaufunterbrechung wie ein roter Faden durch höchst unterschiedliche herzchirurgische Versuche zog, welche letztlich entscheidend für die ersten Operationen am offenen Herzen in den 1950er Jahren waren. Es wird diskutiert, inwiefern sich eine solche Geschichte chirurgischer Zeit in erweiterter Perspektive in die Geschichte der Moderne einschreiben und womöglich für anhaltende Debatten um Transplantationsmedizin und Hirntodkriterien fruchtbar machen lässt.

Ausgangslage: Ein Zeitproblem der Herzchirurgie

Der Beginn der Herzchirurgie wird für gewöhnlich auf das Jahr 1896 datiert, als dem Frankfurter Chirurgen Ludwig Rehn die erste Naht einer Herzwunde gelang. Abgesehen von vergleichbaren äußerlichen Eingriffen am Herzen blieb der chirurgische Handlungsspielraum in den Folgejahren jedoch äußerst begrenzt. In einer diesbezüglichen Bestandsaufnahme hob Rehn vor der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1907 die Wichtigkeit eines Prinzips hervor, dem er zu Recht eine essenzielle Bedeutung für die weitere Entwicklung der noch jungen Herzchirurgie beimaß: „Es handelt sich darum, blutsparend zu operieren“, führte er aus, „ja so seltsam es klingen mag, es kommt darauf an, dass wir im Notfall im Stande sind, für Momente blutleer zu operiren. Denn wir müssen sehen, wo die Wunde sitzt, wie sie beschaffen ist, wir müssen die Nadel richtig führen, einen Fremdkörper erkennen u.s.w.“ (Rehn 1907: 336). Ebendiese zur Vermeidung eines lebensbedrohlichen Blutverlustes und zur Herstellung eines frei einsehbaren Operationsfeldes erforderlichen „Momente“ des blutleeren Operierens erwiesen sich für die Herzchirurgie allerdings rasch als ein gravierendes Problem – ein Zeitproblem.

Die Schwierigkeit solchen blutleeren Operierens bestand nämlich keineswegs in einem Mangel geeigneter Blutstillungsverfahren, sondern in der äußerst begrenzten Zeitspanne, die bei deren Anwendung am Herzen für entscheidende Operationsschritte verblieb. Die Herstellung einer künstlichen Blutleere des Operationsfeldes war zu Beginn des 20. Jahrhunderts an sich keine Neuheit (siehe auch Trendelenburg 1923: 116–120). Bei Amputationen und Resektionen an Gliedmaßen und Gelenken beispielsweise war es bereits seit den 1870er Jahren erprobte Praxis, notfalls „eine und selbst zwei Extremitäten mehrere Stunden lang ohne Schaden blutleer [zu] halten“ (Esmarch 1877: 136). Wenig überraschend ließ sich jedoch am Herzen – dem zentralen Organ des Blutkreislaufs, „Urquell des Lebens“, wie es Harvey (1910 [1628]: 55) so einflussreich beschrieben hatte – nicht annähernd so lange blutleer operieren. Auf Grundlage von Tierversuchen schätzte Rehn die maximal verträgliche Zeitspanne einer vollkommenen Unterbrechung der venösen Blutzufuhr zum Herzen auf 60 bis 90 Sekunden, beim Menschen womöglich etwas länger (vgl. Rehn 1907: 341).

Obwohl die Unterbrechung der Blutzufuhr zum Herzen ein offenkundig hochgefährliches Verfahren war, erschien es dennoch verheißungsvoll. Denn bislang hatten die Grenzen der operativen Möglichkeiten spätestens dort als überschritten gegolten, „wo es sich handeln würde, um Eingriffe, durch welche die Kontinuität der Herzwand, wenn auch nur für Sekunden, aufgehoben werden müsste“ (Lindner 1905: 2362 f.). Über äußerliche Operationen wie der Herznaht hinaus stellte das Verfahren der Kreislaufunterbrechung dagegen die Möglichkeit in Aussicht, das Herz kurzzeitig zu öffnen, um in seinem blutleeren Inneren zu operieren. Tatsächlich gelang Rudolf Haecker von der Greifswalder chirurgischen Klinik in Tierversuchen schon früh der Beweis, „dass es möglich ist, die einzelnen Herzhöhlen unter fast vollständiger Blutleere ausgedehnt zu eröffnen, ohne das Herz auf die Dauer zu schädigen“ (Haecker 1907: 1066). Unter Abklemmung der Hohlvenen konnte er sogar bereits kleinere Eingriffe im Herzinneren von Hunden vornehmen, äußerte sich bezüglich der Umsetzung an menschlichen Patienten allerdings zurückhaltend (ebd.: 1094 f.).

Mit bereits wesentlich konkreteren Anwendungsabsichten experimentierten zeitgleich Friedrich Trendelenburg und seine Assistenten an der Leipziger Universitätsklinik. Während sich Haecker und andere mit der Unterbrechung der Blutzufuhr zum Zwecke intrakardialer Operationen befassten, standen bei den Leipziger Experimenten Abschnürungen der blutabführenden Gefäße im Vordergrund. Ausgangspunkt war eine häufige postoperative Komplikation, nämlich in die Lungenarterie geschwemmte Blutgerinnsel, die dort die Blutbahn zwischen Herz und Lunge zu blockieren drohten „wie der Stöpsel einer Flasche“ (Virchow 1862: 241). Trendelenburg präsentierte 1908 seinen Operationsplan zur chirurgischen Therapie solcher Embolien, der vorsah, die Lungenarterie samt anliegender Aorta kurzzeitig mit einem Gummischlauch abzuschnüren, um das betroffene Gefäß mit einem Längsschnitt zu öffnen und die Blutgerinnsel per Zange zu entfernen (vgl. Trendelenburg 1908). Die dabei zur Verfügung stehende Zeitspanne schätzte Trendelenburg „für ein paar so einfache Handbewegungen“ als ausreichend ein (ebd.: 697).

Mit späteren Erfahrungsberichten deckte sich diese Einschätzung jedoch weniger:

Der Akt, in den sich gleichsam das ganze Schwergewicht der Operation zusammendrängt, in dem höchste Eile erforderlich ist, und in dem ein falscher Handgriff verhängnisvoll werden kann, ist die Zeitspanne der Abschnürung der großen Gefäße. Man muss sich von vornherein darüber klar sein, daß jede Sekunde, die diese Abschnürung länger dauert, für den Kranken schädlich ist und die Aussichten der Operation mindert: man stranguliert hier also gleichsam die Lebensaussichten durch die haltende Hand (Kirschner 1924: 345, Hervorhebung im Original).

Diese dramatische Wortwahl des Trendelenburg-Schülers Martin Kirschner wird nachvollziehbar vor dem Hintergrund, dass dem Chirurgen für die entscheidenden Operationsschritte im Idealfall lediglich 45 Sekunden blieben. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass bereits Trendelenburgs Assistenten im Rahmen von Tierversuchen die entscheidende, aber jahrzehntelang nur unzureichend gelöste Frage aufwarfen, „ob es durch geeignete Maßnahmen gelingt, die Abklemmung der großen Gefäße in der Nähe des Herzens auf längere Zeit ohne Schaden für die Tiere auszudehnen“ (Läwen & Sievers 1910: 174).

Die von Rehn und seinen Zeitgenossen im frühen 20. Jahrhundert gehegte Hoffnung, auf Grundlage des Verfahrens der Kreislaufunterbrechung eine umfangreichere Herzchirurgie auszuarbeiten, wurde bald enttäuscht: Auch wenn in Tierversuchen vereinzelt kleinere Eingriffe im offenen, blutleeren Herzen gelungen waren, lagen solche Operationen an menschlichen Patienten in weiter Ferne. Manch äußerlicher Eingriff am Herzen und seinen großen Gefäßen mochte unter Eile mit enormem Risiko durchführbar sein, das Herz aber innerhalb weniger Minuten zu öffnen und bei freier Sicht in seinem Inneren zu operieren, erschien kaum denkbar: „Der Gedanken, daß es mit der Zeit gelingen könnte, kongenitale Mißbildungen des Herzens, Herzklappenfehler und dergleichen einer operativen Behandlung zugänglich zu machen“, konstatierte der Chirurg Ernst Jeger entsprechend, „wird bislang von den meisten Autoren kurzerhand als Phantasterei betrachtet“ (Jeger 1913: 295). Und selbst der spätere Nobelpreisträger Alexis Carrel, der für seine enorme Operationsgeschwindigkeit bekannt war (vgl. ebd.: 4), warnte schließlich vor dem erforderlichen „great speed of execution“, weshalb er skeptisch schlussfolgerte: „It may even be regarded as extremely doubtful whether this class of operation may ever be applicable to human surgery“ (Carrel 1914: 9).

Die Herzchirurgie des frühen 20. Jahrhundert sah sich also äußerst problematischen Zeitverhältnissen ausgesetzt: Bei temporär hergestellter Kreislaufunterbrechung stand das rasche Ausfallen der Lebensfunktionen in einem drastischen Missverhältnis zur erforderlichen Operationsdauer und die Geschwindigkeit chirurgischer Handgriffe ließ sich nur begrenzt steigern. Die räumliche Begrenzung der operativen Möglichkeiten durch die scheinbar undurchdringliche Herzwand war mit dem Verfahren der Kreislaufunterbrechung also einer zeitlichen Begrenzung gewichen. Von Operationen am offenen Herzen wandten sich Chirurgen folglich im Laufe des ersten Jahrhundertdrittels überwiegend ab und versuchten sich – auch klinisch – an sogenannten blinden Verfahren im geschlossenen Herzen. Solche kamen aber nur bei wenigen Herzfehlern überhaupt in Frage und waren ebenfalls höchst riskant.Footnote 1 Erst über den Umweg der für lange Zeit erfolglos angewandten Trendelenburg-Operation bahnte sich das fast schon aufgegebene Verfahren der Kreislaufunterbrechung seinen Weg zurück in die intrakardiale Chirurgie (siehe auch Shumacker 1992: 22).

Arthur W. Meyer und das Handwerk der Trendelenburg-Operation

„Operations have careers“, so schreibt die Medizinhistorikerin Sally Wilde, „and the processes through which they are developed have many parallels to the processes through which other technological innovations are developed“ (Wilde 2011: 81). In der Tat durchlief die Trendelenburg-Operation eine denkwürdige und für die Entwicklung der Herzchirurgie folgenreiche Karriere. Einen wichtigen Eintrag in ihrem bis dahin fast ausschließlich von Misserfolgen geprägten Lebenslauf hinterließ der Berliner Chirurg Arthur Woldemar Meyer knapp 20 Jahre nach der Erstbeschreibung durch Trendelenburg. In der Zwischenzeit hatte Martin Kirschner Trendelenburgs „unsterblichen Plan“ (Kirschner 1924: 313) erfolgreich in die Tat umgesetzt und damit großes Aufsehen erregt. Die Sterblichkeit der operierten Patienten hatte sich insgesamt jedoch als fatal erwiesen, denn die 1924 von Kirschner gerettete Patientin war in den knapp 20 Jahren die einzige Überlebende dieses Eingriffs (siehe auch Böttcher & Krüger 2006: 168 f.).

Dennoch von Kirschners einmaligem Glücksfall ermuntert, begann Meyer die Operationstechnik an Leichen zu üben und schließlich auch klinisch zu erproben – er scheiterte (Meyer 1927: 1). Angesichts der erfolglosen Operation gelangte Meyer zu einer weitaus weniger optimistischen Einschätzung bezüglich der Dauer der Kreislaufunterbrechung als Trendelenburg in seinem ersten Bericht. Er konstatierte, „daß die Abdrosselungszeit von 45 Sek. durch den um die großen Gefäße geführten Gummischlauch für das schon schwer arbeitende und dilatierte Herz (ein gesundes Herz mag diese Zeit vertragen) zu lang ist, und daß auch durch diese Abdrosselungszeit offenbar eine irreparable Lähmung des Atemzentrums eintritt“ (ebd.: 2). In der Folge erarbeitete Meyer einige Modifikationen des handwerklichen Vorgehens, die vor allem auf eine „Zerlegung der Zeit der Blutsperre“ (ebd.: 20, Hervorhebung im Original) abzielten und dem Operateur damit wertvolle Sekunden verschaffen sollten.

Eine erste Maßnahme beruhte dabei zunächst auf einer Improvisationsleistung im Operationssaal: Während der Gefäßabschnürung wurden die Lebenszeichen der operierten Patientin bedrohlich schwach, obwohl der Vorgang der Extraktion der Blutgerinnsel erst zur Hälfte abgeschlossen war. Aus der Not heraus ergriff Meyer die Lungenarterie, komprimierte mit Daumen und Zeigefinger die schlitzförmig angelegte Öffnung und ließ die Umschnürung freigeben, sodass der Blutfluss wieder in Gang geriet (siehe Abb. 1). Nach der Stabilisierung der Patientin wurde die Kreislaufunterbrechung wieder hergestellt und die Extraktion der Blutgerinnsel fortgesetzt (vgl. ebd.: 17 f.).

Abb. 1
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Handgriff zur Gefäßschlitzkompression bei freigegebenem Gummischlauch (aus Meyer 1927: 13). Abgedruckt mit Genehmigung des Springer-Verlags: Springer Nature, Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 205: 1–21; Erfolgreiche Trendelenburgsche Operation bei Embolie der Arteria pulmonalis, A. W. Meyer, Copyright © 1927

Der Erfolg dieser Maßnahme gab Anlass, den Operationsplan entsprechend abzuändern. Die Aufteilung der Zeitspanne der Kreislaufunterbrechung in mehrere durch „digitale Gefäßschlitzkompression“ (ebd.: 20) überbrückte Phasen wurde von einer notgedrungenen Improvisation zur eingeübten Methode: Fortan wurden die entscheidenden Operationsschritte jeweils innerhalb einer kurzen Phase mit angezogenem Gummischlauch ausgeführt. Zunächst galt es, den rechten Ast der Lungenarterie mit der Zange abzutasten und von Blutgerinnseln zu befreien. Nach einer anschließenden Erholungsphase mit freigegebener Blutpassage und Gefäßschlitzkompression wurde bei wieder angezogenem Schlauch ebenso mit dem linken Gefäßast verfahren. Auf eine weitere Erholungsphase folgte dann bei erneuter Kreislaufunterbrechung das Anlegen einer speziellen Gefäßklemme, um den Gefäßschlitz für die Naht zu komprimieren. Saß die Klemme richtig, konnte der Gummischlauch für die Anbringung der Naht wieder gelockert werden (ebd.: 12 f.). Durch dieses Vorgehen, das bei Bedarf um weitere Erholungsphasen ergänzt werden konnte, ließ sich die Dauer der Kreislaufunterbrechung verträglich portionieren: „Die Gefäßdrosselungszeit durch den Gummischlauch wird so immer nur auf einige Sekunden beschränkt“ (Meyer 1928: 353).

Diese neue „Choreografie“ der Operation bedurfte aufgrund des Zeitdrucks einer besonders präzisen Abstimmung des Operationspersonals untereinander: „Jedes Anziehen des Schlauches erschwert und schädigt natürlich die Herzarbeit. Der Assistent hat das zu wissen und genau das Kommando: ‚Locker‘, ‚mehr locker‘, ‚etwas anziehen‘ usw. zu befolgen“ (Meyer 1927: 13). So genau Operateur und Assistent ihre jeweiligen Einsätze auch abstimmten, der gewonnene Zeitvorteil konnte dennoch schnell wieder verloren sein, wenn die richtigen Werkzeuge nicht im richtigen Augenblick sofort zur Hand waren. Um solchen unnötigen Zeitverlusten vorzubeugen, ließ Meyer deshalb unter anderem eine spezielle Instrumententasche anfertigen: Aufgerollt ließ sich diese bequem im Operationssaal verstauen, um im Notfall das gesamte Operationsbesteck sofort bereitliegen zu haben. Hauptsächlich bestand der Vorteil aber in der speziellen Anordnung der chirurgischen Werkzeuge darin: Rollte man die Tasche aus, so fanden sich auf einen Blick das Skalpell, verschiedene Wundhaken, der Gummischlauch, Extraktionszangen, Pinzetten, eine Gefäßklemme und weitere Werkzeuge nebeneinander aufgereiht vor. Sortiert waren die Gegenstände dabei genau nach der zeitlichen Reihenfolge ihres Gebrauchs bei der Operation, sodass die zuständige Krankenschwester sie, ohne überlegen oder suchen zu müssen, in einem fließenden Rhythmus nacheinander aushändigen konnte (Meyer 1928: 356).

Auch in der Form des Operationsbestecks selbst zeichnete sich der Zeitdruck der Operation ab. „Die Anlegung der Naht ist der schwierigste Teil der Operation, da das Herz inzwischen wieder stürmisch zu pulsiren angefangen hat […]“, hatte bereits Trendelenburg (1908: 697) angemerkt und eine spezielle Gefäßklemme für die Naht des Schlitzes in der Lungenarterie anfertigen lassen. Dieses Werkzeug funktionierte nach dem Prinzip einer Zange und komprimierte zwischen den beiden Branchen die Lungenarterie nicht quer zu ihrem Verlauf, sondern konnte entlang des Längsschnittes angelegt werden, um die so als eine Falte eingeklemmten Enden der eingeschnittenen Gefäßwand zu vernähen (ebd.). So unvorteilhaft das druckvoll wieder in die Lungenarterie schießende Blut für eine präzise durchzuführende Gefäßnaht sein mochte, so vorteilhaft war dieser Umstand für die Versorgung des Organismus mit sauerstoffreichem Blut. Durch die längsseitige Abklemmung des Gefäßschlitzes (ähnlich der digitalen Gefäßschlitzkompression) ließ sich die Umschnürung nämlich während des Vernähens der Wundränder bereits lösen (ebd.). Die Kreislaufunterbrechung war somit aufgehoben und der Erholungsprozess konnte bereits beginnen, während der Chirurg noch die Operation zum Abschluss brachte. Zumindest wäre dies der Idealfall gewesen.

Tatsächlich stellte Meyer allerdings fest, „daß die Trendelenburgsche Gefäßklemme […] zu breit ist und das Lumen, d. h. die noch freie Blutbahn, zu sehr einengt“ (Meyer 1927: 1, Hervorhebung im Original). Die daraufhin vorgenommene Formveränderung der Klemme scheint auf den ersten Blick marginal zu sein: Verglichen mit Trendelenburgs Klemme hatte Meyers Version etwas schmalere und geringfügig flacher gebogene Branchen. Diese Umformung, der zum Trotz das Werkzeug seinem Vorgänger noch immer zum Verwechseln ähnlichsah, brachte erhebliche zeitliche Vorteile mit sich: Die Verschmälerung reduzierte die Behinderung des Blutflusses auf ein Minimum, indem sie erlaubte, die eingeschnittene Gefäßwand möglichst oberflächlich zu greifen (siehe Abb. 2). Die flachere Biegung der Branchen unterstützte diesen Effekt zusätzlich, denn auch längere Schlitze ließen sich somit abklemmen, ohne den Blutfluss in der Lungenarterie – etwa durch deren Stauchung, um die beiden Enden eines langen Schlitzes einander näher zu bringen – negativ zu beeinflussen (vgl. ebd.: 20 f.).

Abb. 2
figure 2

Oberflächlich anliegende Gefäßklemme zur Naht der Lungenarterie (aus Meyer 1927: 15). Abgedruckt mit Genehmigung des Springer-Verlags: Springer Nature, Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 205: 1–21; Erfolgreiche Trendelenburgsche Operation bei Embolie der Arteria pulmonalis, A. W. Meyer, Copyright © 1927

Auf diese Weise war es möglich, den Vorgang der Gefäßnaht weitgehend aus der Phase der Kreislaufunterbrechung auszugliedern, wodurch sich entscheidende Sekunden für die vorausgehenden Operationsschritte einsparen ließen. Durch das Abwinkeln der vormals in leichter Beugung verlaufenden Branchen erleichterte Meyer später zudem die Einpassung der Gefäßklemme in die Operationswunde, was Verletzungen unter Zeitdruck vorbeugte (vgl. Meyer 1931: 592) und die Grundlage für noch heute verwendete „tangentiale Gefäßklemmen“ bildete (siehe auch Sachs 2001: 250).Footnote 2

Im Zuge der durch Meyer vorangetriebenen Modifikationen der Trendelenburg-Operation bildete sich somit eine vor allem auf handwerklichem Vorgehen beruhende chirurgische Zeit heraus, die sich in mehrfacher Hinsicht durch Effizienz im Umgang mit der Dauer der Kreislaufunterbrechung auszeichnete: Mit Hilfe der digitalen Gefäßschlitzkompression ließ sich die Kreislaufunterbrechung in jeweils nur kurz andauernde Phasen aufteilen. Außerdem konnte durch die Umformungen der Gefäßklemme ein ganzer Operationsschritt, die Gefäßnaht, außerhalb des kritischen Zeitfensters ausgeführt werden. Die genaue Abstimmung des Operationspersonals, unterstützt von Hilfsmitteln wie der speziell angefertigten Instrumententasche, stellte dabei sicher, dass die einzelnen Handgriffe der Operation präzise und ohne Zeitverluste ineinander übergingen. Die Etablierung dieser zeitlichen Verhältnisse, welche verglichen mit Trendelenburgs Vorgehen einen entscheidenden Kontrollgewinn mit sich brachten, ergriff das operative Vorgehen also auf verschiedensten Ebenen: Die Gestik der Hand, die Form des Werkzeugs und die Organisation des Operationspersonals mussten überarbeitet und an die Dynamik des Operierens angepasst werden, um einige womöglich lebensrettende Sekunden zu gewinnen. Tatsächlich gelangen Meyer innerhalb von vier Jahren vier erfolgreiche Trendelenburg-Operationen, was angesichts eines einzigen Erfolgs in knapp 20 Jahren zuvor durchaus beachtlich war. Auch wenn das Operationsverfahren längst kein sicheres Unternehmen war, erwies sich also die Herausbildung einer speziellen chirurgischen Zeit als wichtiger Schritt in der Karriere der Operation.

Die Zeitmaschinen John H. Gibbons

Die Karriere der Trendelenburg-Operation ging weiter, doch trotz der Modifikationen durch Meyer und andere Chirurgen, mit deren Hilfe einige Erfolge erzielt werden konnten, blieb das Operationsverfahren ein äußerst riskantes Unterfangen. Eine Bestandsaufnahme der berichteten Fälle ergab, dass bis Mitte der 1930er Jahre von insgesamt 132 operierten Patienten lediglich neun überlebten. Alle übrigen Patienten starben überwiegend bereits während des Eingriffs, spätestens aber postoperativ (Kiser 1935: 768). Einen dieser misslungenen Operationsversuche erlebte 1930 John Heysham Gibbon Jr. mit, der damals Assistent am Massachusetts General Hospital in Boston war. Nachdem er den kritischen Zustand einer Patientin eine Nacht lang überwacht hatte, wurde in den Morgenstunden eine Trendelenburg-Operation unvermeidlich, welche der großen Operationsgeschwindigkeit des Chefchirurgen Edward D. Churchills zum Trotz tödlich endete. Rückblickend beschrieb Gibbon dieses Erlebnis als den Auftakt seiner jahrelangen Forschungsarbeit, die darauf abzielte, die Kreislaufunterbrechung durch die apparative Übernahme der kardiopulmonalen Funktionen zu überbrücken (vgl. Gibbon 1978: 608). Im Versuch, auf diese Weise Operationszeit zu gewinnen, entstanden jedoch immer wieder neue Probleme zeitlicher Abstimmung, sodass sich Gibbons frühe Experimente in den 1930er Jahren rasch zu einem komplizierten Arrangieren und Aussteuern von Blutflussgeschwindigkeiten und Pulsationen entwickelten.

Schon bald stellte sich nämlich heraus, dass zunächst nicht die extrakorporale Sauerstoffanreicherung des Blutes das Hauptproblem der ersten Tierversuche war: Ein rotierender Zylinder, an dessen Innenseite das Blut in einem dünnen Film hinabfloss und eingeleitetem Sauerstoff ausgesetzt wurde, konnte die Lungenfunktion einer kleinen Katze mit abgeklemmter Lungenarterie ersetzen. Schwierigkeiten bereitete vielmehr die Zirkulation des Blutes zwischen der Katze und diesem sogenannten Oxygenator.Footnote 3 So gruppierten sich im Entwicklungsprozess dieser provisorischen Herz-Lungen-Maschinen allerlei Korrekturvorrichtungen um die Blutleitungen herum, die den Versuchsaufbau bald zu einem absurd anmutenden Sammelsurium anwachsen ließen: „This assemblage of metal, glass, electric motors, water baths, electrical switches, electromagnets, etc, looked for all the world like some ridiculous Rube Goldberg apparatus“ (Gibbon 1968: 1984).

Dabei orientierte sich der Aufbau des Pumpsystems (siehe Abb. 3) zunächst an für physiologische Experimente entworfenen Perfusionspumpen (speziell an Dale & Schuster 1928; Burgh Daly 1933): Auf der venösen, zum Oxygenator führenden, sowie auf der arteriellen, zum Körper zurückführenden, Seite des extrakorporalen Kreislaufs wurde je eine Blutpumpe installiert. Eine solche bestand aus einer modifizierten Kolbenpumpe, einem Fingerling und zwei notdürftig aus Gummikorken gebastelten Ventilen. Blut konnte sich in einem von Ein- und Auslassventil eingefassten Leitungsabschnitt in dem Fingerling sammeln, welcher in eine luftdicht mit der Kolbenpumpe gekoppelte Kammer hineinreichte. Durch die motorgetriebenen Bewegungen der Kolbenpumpe dehnte beziehungsweise komprimierte sich der Fingerling rhythmisch in Abhängigkeit der erzeugten Druckverhältnisse und saugte beziehungsweise stieß somit Blut durch die jeweiligen Ventile (vgl. Gibbon 1937: 1107 f.). Um die Pumpbewegungen entsprechend der Herzfrequenz einer anästhesierten Katze auf etwa 150 Schläge pro Minute zu takten, wurden zur Kraftübertragung zwischen Elektromotor und Kolbenpumpe mehrere Riemenscheiben mit unterschiedlichen Durchmessern ausprobiert: „1½ in. pulley on motor changed to one 2¼ in. in diameter, giving rate to pump of 156“, protokollierte Gibbon schließlich.Footnote 4

Abb. 3
figure 3

Diagramm des Versuchsaufbaus von 1934/1935: A, C, D Komponenten des Oxygenators; B Blutreservoir; E/E′ venöse/arterielle Blutpumpe; F/F′ Fingerlinge; G Ein‑/Auslassventile; H Kolbenpumpen; K Luftkammer mit negativem Druck; L, Q elektromagnetische Klemme; M T-Röhre; N Membranmanometer; O Hebel; P Quecksilberbehälter; Q Riegel; S Luftkammer mit positivem Druck; V elektromagnetische Vorrichtung (wie L, M, N, O, P, Q) usw. (aus Gibbon 1937: 1108). Abgedruckt mit Genehmigung von JAMA Surgery, ehemals Archives of Surgery 1937; 34:1105–1131. Copyright © 1937. American Medical Association. All rights reserved

Komplizierter gestalteten sich rhythmische Feinabstimmungen in Teilbereichen des extrakorporalen Kreislaufs. Der von dem Arrangement aus Elektromotor, Riemenscheiben und Kolbenpumpen vorgegebene Takt erzeugte einen abrupt ein- und aussetzenden Fluss, in dem das Blut unter großem Druck durch die Leitungen pulsierte. Besonders auf der venösen Seite des Kreislaufs war dies nicht ungefährlich, da die starke Saugwirkung die Vene des Tieres blockierend in die Kanüle zu treiben drohte und der druckvolle Ausstoß beim Übergang in den Oxygenator ein für die Blutbestandteile schädliches Schäumen und Spritzen verursachte. Zur ‚Blutdrucksenkung‘ wurden deshalb die Leitungen auf beiden Seiten der venösen Blutpumpe mit je einer Luftkammer verbunden. Der in den Kammern herrschende Luftdruck wurde so eingestellt, dass sie immer genau dann, wenn in der jeweiligen Leitung die Pumpwirkung gerade aussetzte, dem entgegenwirkten und das verbleibende Blut ansaugten beziehungsweise ausstießen. Der abrupt ein- und aussetzende Blutfluss wich so einem weitgehend kontinuierlichen, was auf schonende Weise erlaubte, dieselbe Fördermenge bei halber Geschwindigkeit fortzubewegen (vgl. ebd.: 1109–1111).

Diese arrangierten Zeitverhältnisse waren allerdings hochgradig instabil, denn schon geringfügige Abweichungen im Ablauf konnten verheerende Unfälle nach sich ziehen: Wurde Blut schneller aus der Vene abgesaugt, als es nachfließen konnte, bestand nach wie vor das Risiko einer Blockade der Kanüle durch die angesaugte Gefäßwand und bereits eine geringe Differenz der Fördermengen beider Blutpumpen ließ in einem Auffangreservoir am unteren Ende des Oxygenators den Blutpegel gefährlich schwanken. Sank er zu weit ab, drohten Luftblasen aus dem Oxygenator in die Leitung zu gelangen; stieg er zu weit an, deutete dies auf einen Mangel an Blut in den Gefäßen des Versuchstieres hin. Um den rhythmischen Ablauf präventiv auszusteuern, kam deshalb auf venöser wie arterieller Seite des Kreislaufs je ein Konstrukt aus elektromagnetischer Klemme, Membranmanometer und Quecksilberbehälter zum Einsatz: Über eine T‑Röhre mit der Leitung verbunden, reagierte das Manometer sensibel auf Druckschwankungen und setzte diese in Hebelbewegungen um. Bei Überschreitung eines Grenzwerts senkte sich ein am Hebel befestigter Draht in den Quecksilberbehälter, schloss damit einen Stromkreis und ließ die elektromagnetische Klemme im kritischen Augenblick zuschnappen. Erst bei Normalisierung der Druckverhältnisse wurde der Kontakt zwischen Draht und Quecksilber wieder aufgehoben und die Leitung freigegeben. Mit Hilfe dieser Rückkopplungsschleifen wurden die Saugwirkung der venösen Blutpumpe bei einer Blockade sofort unterbrochen und die Füllhöhe des Blutreservoirs auf eine Schwankung von einem Zentimeter eingepegelt (vgl. ebd.: 1110 f.).

Unter Einsatz dieser komplizierten ‚Zeitmaschine‘ gelang es Gibbon 1935, bei vollständiger Abklemmung der Lungenarterie die Lebensfunktionen von Katzen zeitweise (zwischen 15 Minuten und über zwei Stunden) aufrechtzuerhalten und kymografisch aufzuzeichnen (vgl. ebd. 1116). Obwohl die prinzipielle Möglichkeit einer apparativen Übernahme kardiopulmonaler Funktionen somit als nachgewiesen galt, konnte keines der Versuchstiere nach Beendigung der extrakorporalen Zirkulation längerfristig überleben. Um also auch die Überlebensfähigkeit im Anschluss an die Perfusion im Labor zu erproben, nahm Gibbon seine Versuche 1938 in Philadelphia wieder auf – diesmal unter sterilen Bedingungen und mit einer ausgeklügelteren Maschine (vgl. Gibbon 1939: 603).

Der neue Versuchsaufbau (siehe Abb. 4) zeichnete sich im Kern durch einen wesentlich synergetischeren Pumpmechanismus aus: Die notdürftig gebastelte Konstellation aus Kolbenpumpe, Fingerling sowie Ein- und Auslassventil wich auf venöser wie arterieller Seite Rollerpumpen, wie sie Michael E. DeBakey (1934) in der Zwischenzeit für Bluttransfusionen vorgeschlagen hatte: Auf einem rotierenden Sockel waren einander gegenüberliegend zwei Rollen angebracht, welche Schläuche im Entlanggleiten walzten und deren Inhalt so durch Verdrängung vorantrieben. Die Förderrate hing dabei von der Drehzahl des Elektromotors ab, die sich nun über ein Rheostat einstellen ließ (Gibbon 1939: 604).

Abb. 4
figure 4

Diagramm des Versuchsaufbaus von 1938: A, D, E Komponenten des Oxygenators; B Blutreservoir mit gläserne Schale (C); F/F′ venöse/arterielle Rollerpumpe; G/G′ Elektromotor der venösen/arteriellen Rollerpumpe; I Membranmanometer; J Quecksilberbehälter; K Relais; L Photoelektrische Zelle; M Glühlampe; N Linse; O T-Röhre; P Riegel; Q Quadratrad usw. (aus Gibbon 1939: 604). Abgedruckt mit Genehmigung des Journals of the American College of Surgeons, ehemals Surgery, Gynecology & Obstetrics

Verzichtbar wurden dabei auch die elektromagnetischen Klemmen, denn zumindest auf venöser Seite stoppte die Vorrichtung aus Manometer, Draht und Quecksilberbehälter bei Blockierungsgefahr nun direkt die Blutpumpe, indem sie die Stromzufuhr des Elektromotors unterbrach. Auf arterieller Seite hingegen wurde ein dynamischerer Rückkopplungsmechanismus installiert: Das Blutreservoir, dessen Füllstand es nach wie vor genau auszusteuern galt, mündete neuerdings in ein gläsernes Gefäß, durch das der Lichtstrahl einer Glühlampe schien. Dieser Strahl traf auf der anderen Seite des Gefäßes auf eine photoelektrische Zelle, die wiederum über Röhrenverstärker und -gleichrichter mit dem die arterielle Blutpumpe antreibenden Elektromotor in Verbindung stand. Schwankungen des Blutpegels gingen so mit unterschiedlich starkem Lichteinfall auf die photoelektrische Zelle und dadurch mit Spannungsvariationen einher, welche wiederum die Motordrehzahl beeinflussten. Durch diese Echtzeit-Aussteuerung der Pumpgeschwindigkeit ließ sich der Füllstand des Reservoirs bis auf wenige Millimeter genau einpegeln (vgl. ebd.: 605 f.).

Doch die in den ersten Versuchen mühsam arrangierten Zeitverhältnisse blieben von all diesen Neuerungen keineswegs unberührt. Tatsächlich waren die Rhythmen der Versuchsaufbauten von 1934/1935 und 1938 grundverschieden: Während die Translationsbewegungen der Kolbenpumpen einen heftig pulsierenden, regelmäßigen Blutfluss hervorbrachten, erzeugte die Rotation der Rollerpumpen einen annähernd kontinuierlichen Blutfluss mit leichten Pulsationen. Diese waren hinsichtlich ihrer Stärke unbedenklich, jedoch viel zu unregelmäßig. Denn die variabel ausgesteuerten Pumpgeschwindigkeiten erzeugten eine Bandbreite von sechs bis 220 Pulsationen pro Minute. Um dem entgegenzuwirken, sorgte zunächst eine kurz hinter der arteriellen Blutpumpe angebrachte T‑Röhre, in die das Blut auf dem Weg des geringsten Widerstands aufsteigen konnte, für einen pulsationsfreien Blutfluss. Um nun wieder eine Herzfrequenz von etwa 150 Schlägen pro Minute zu simulieren, wurde an dem zur Arterie der Katze führenden Schlauch ein Riegel angebracht, der kurzzeitig heruntergedrückt den Schlauch komprimierte und auf diese Weise Pulsationen verursachte. Als Taktgeber fungierte dabei ein motorbetriebenes Quadratrad, das den Riegel bei jeder vollständigen Umdrehung vier Mal herunterdrückte. So ließ sich die Frequenz der Pulsationen über die Geschwindigkeit des Motors einstellen (ebd.: 606).Footnote 5

All diese zeitlichen Abstimmungen verdeutlichen, auf welch komplizierte Weise verschiedene Abläufe in zeitliche Beziehungen zueinander gesetzt werden mussten, um Operationszeit zu gewinnen. Gibbons provisorische Herz-Lungen-Maschinen wuchsen buchstäblich an ihren zeitlichen Herausforderungen. Die 1938 gelungene Demonstration, dass Katzen eine etwa 20-minütige Überbrückung der Abklemmung der Lungenarterie längerfristig überleben können (ebd.: 614), nährte die Hoffnung, mit einer Weiterentwicklung der Maschine zukünftig weit mehr als nur die Trendelenburg-Operation in Angriff nehmen zu können:

It is obvious that any operative procedure upon the heart could be performed better if that organ were temporarily relieved of its function of pumping blood. For example, if the flow of blood through the heart and lungs could be safely stopped for 30 minutes, it is conceivable that a new field of cardiac surgery might be developed (ebd.: 602).

Nach vielen weiteren Versuchen, schließlich unterstützt von IBM-Ingenieuren (siehe hierzu Romaine-Davis 1991: 69 f.), gelang Gibbon im Jahr 1953 schließlich eine erfolgreiche Anwendung der Herz-Lungen-Maschine am Menschen. Es war jedoch keine Trendelenburg-Operation, zu welcher der Apparat dabei eingesetzt wurde, sondern tatsächlich ein Eingriff am für 26 Minuten abgeklemmten und offenen Herzen (zu dieser Korrektur eines Atriumseptumdefekts vgl. Gibbon 1954). Der Weg in das von Gibbon prognostizierte neue Feld der Herzchirurgie führte also über das Arrangement einer chirurgischen Zeit aus vielfältigen organischen und maschinellen Abläufen. Dieses Feld hatten andere Chirurgen allerdings bereits im Jahr zuvor betreten – und zwar über einen gänzlich anderen Zugang.

Wilfred G. Bigelows Versuche zum künstlichen Winterschlaf

„I was fearful of all that gadgets and pumping blood through tubes“, gab Wilfred Gordon Bigelow rückblickend bezüglich der Herz-Lungen-Maschine zu. Die Skepsis rührte daher, dass der Kanadier aufgrund seiner Studien zur Mikrozirkulation um die Empfindlichkeit des Blutes wusste, als er in den 1940er Jahren während einer Hospitanz bei Alfred Blalock in Baltimore mit der Herzchirurgie in Kontakt kam und auch von Gibbons Ansatz erfuhr.Footnote 6 Zurück in Toronto verfolgte Bigelow mit einem Forscherteam eine gänzlich andere Strategie, das herzchirurgische Zeitproblem anzugehen:

A state in which the body temperature is lowered and the oxygen requirements of tissues are reduced to a small fraction of normal would allow exclusion of organs from the circulation for prolonged periods. Such a technic might permit surgeons to operate upon the „bloodless heart“ without recourse to extra corporal pumps, and perhaps allow transplantation of organs (Bigelow et al. 1950a: 849).

Bigelows Versuche zielten also darauf ab, die „Eigenzeit“Footnote 7 des Organismus selbst zu kontrollieren: Durch gezielte Unterkühlung sollten Stoffwechselprozesse verlangsamt, der Sauerstoffverbrauch gesenkt und die Zeitspanne der verträglichen Kreislaufunterbrechung ausgedehnt werden. Dafür traf in einem Kellerraum des Torontoer Banting Institutes zeitgenössische Labortechnik auf fast 200 Jahre Murmeltierforschung (siehe Bigelow 1984: 43).

Denn wie Bigelows weit zurückreichende Literaturrecherchen im Vorfeld ergaben, war der Zusammenhang zwischen Kältewirkung und Sauerstoffverbrauch vor allem hinsichtlich des Phänomens des Winterschlafs erforscht worden (vgl. Bigelow et al. 1950b: 125). So lernte Bigelow etwa, dass Murmeltiere, paradigmatische Winterschläfer, über die erstaunliche Fähigkeit verfügen, bei nur drei Grad Celsius Körpertemperatur und erheblich reduzierter Stoffwechselrate zu überleben (vgl. Benedict & Lee 1938: 173 f.). Hinsichtlich dieser Eigenschaft schienen Murmeltiere also wesentlich geeignetere Patienten für Herzoperationen unter Kreislaufunterbrechung zu sein als Menschen.

Während sich Murmeltiere fast beliebig von einem Temperaturzustand in den anderen versetzen ließen (ebd.: 2), erwiesen sich Nichtwinterschläfer diesbezüglich erwartungsgemäß widerspenstig. Um Hunde versuchsweise in einen winterschlafähnlichen Zustand zu versetzen, wurden diese niedrigen Raumtemperaturen ausgesetzt beziehungsweise in spezielle Kühldecken eingewickelt, sodass die Körpertemperatur kontinuierlich absank (vgl. Bigelow et al. 1950a: 850). Die Abkühlung musste dabei allerdings nicht nur physiologisch verträglich sein, sondern zudem in einer Geschwindigkeit ablaufen, die es den Forschern erlaubte, regelmäßige Messungen durchzuführen und zu protokollieren (vgl. Bigelow et al. 1950b: 125). Durch Justierung der Kühltemperaturen ließ sich zwar schließlich eine geeignete Abkühlungsrate von etwa einem Grad Celsius pro zehn Minuten erreichen (ebd.: 136), doch die Messungen zeigten bald, dass nicht nur die verträgliche Minimaltemperatur von Hunden weit über der von Winterschläfern lag, sondern auch bereits nach Abfall weniger Grade Celsius gravierende Schwierigkeiten auftraten.

Um den Sauerstoffbedarf zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu kalkulieren, wurden während des Unterkühlungsvorgangs regelmäßig Proben der ausgeatmeten Luft in einem Atembeutel sowie Proben des arteriellen Blutes unter Öl konserviert und mit einem gängigen Verfahren nach Van Slyke manometrisch hinsichtlich ihrer Gasanteile analysiert (vgl. ebd.: 126; Peters & Van Slyke 1932: 112–115, 327 f.). Für den Sauerstoffverbrauch in der Atemluft und die Sauerstoffsättigung des Blutes konnten somit chronologische Werte festgehalten und der zum jeweiligen Zeitpunkt bestimmten Rektaltemperatur gegenübergestellt werden. So ergaben sich Tabellen und Graphen der zeitlichen Abhängigkeit zwischen Kälte und Stoffwechselrate (siehe Bigelow et al. 1950b).

Ungünstigerweise zeigten diese in den ersten Versuchen jedoch merkwürdige Anomalien: Anstatt wie bei Winterschläfern mit zunehmender Kälte erheblich abzufallen, stieg der Sauerstoffverbrauch der Hunde zunächst sogar an. Denn im (hoffnungslosen) Versuch des Organismus, der Kälte entgegenzuwirken, setzte ein unwillkürliches Zittern ein. Diese Muskelaktivität verbrauchte zusätzlichen Sauerstoff, bis unterhalb einer Körpertemperatur von etwa 28 Grad Celsius eine Kältenarkose einsetzte, welche die Bewegungen lähmte. Gesucht wurde dementsprechend ein Anästhetikum, das in der kritischen Phase das Kältezittern ausschalten konnte, sich aber auch schnell genug abbaute, um nach Einsetzen der Kältenarkose die Messergebnisse nicht zu verfälschen. Nach dem Test verschiedener Barbiturate zeigte sich, dass das Präparat Seconal diesen Ansprüchen vorläufig genügte (vgl. ebd.: 136; Bigelow 1984: 46 f.). Doch auch die Blutgasanalysen zeigten ungewünschte Ergebnisse: Obwohl die abgeatmete Luft auf einen reduzierten Sauerstoffbedarf hindeutete, implizierte eine geringe Sauerstoffsättigung des Blutes eine Unterversorgung der Gewebe. Zum Ausgleich wurden die Hunde fortan über ein geschlossenes Beatmungssystem mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt (vgl. Bigelow et al. 1950b: 126). Durch die Kombination aus adäquater Narkose und künstlicher Beatmung gelang es schließlich, dass Körpertemperatur und Stoffwechselrate gleichzeitig in einem nahezu linearen Verhältnis zueinander absanken.

Keine grafische Darstellung vermochte jedoch einen so anschaulichen Eindruck der veränderten organismischen Eigenzeit zu vermitteln wie die Beobachtung der verlangsamten Herztätigkeit unter Kältenarkose: „It is an intriguing sight resembling a slow motion movie recording of heart action“, vermerkten Bigelow und seine Kollegen (1950a: 859) fasziniert. Doch noch immer störte eine gefährliche Komplikation den ‚künstlichen Winterschlaf‘ und widersetzte sich der Kontrolle. Denn als Nebenwirkung der Kältenarkose geriet der Herzschlag oft plötzlich aus dem Takt und auf eine Phase des Kammerflimmerns folgte der Stillstand (ebd.). Bei einem 1949 angestellten Versuch, in dem ein solcher Fall unerwartet eintrat, entdeckte Bigelow zufällig, dass das Herz auf mechanische Reizung mit kräftiger Kontraktion reagierte und dass sich durch im Sekundentakt wiederholte Reizungen regelmäßiger Herzschlag und normaler Blutdruck regenerieren ließen. Alles, was das unterkühlte Herz brauchte, war offenbar die Vorgabe des richtigen Rhythmus (siehe Bigelow 1984: 89 f.). Da zu dieser Zeit im Labor ein neues Beatmungsgerät getestet wurde, welches den Zwerchfellnerv in einstellbarem Rhythmus elektrisch reizte, lag nahe, dieses Verfahren auch am Sinusknoten des Herzens zu erproben (vgl. Bigelow et al. 1950c: 534 f.). Mit Unterstützung eines Elektroingenieurs wurde die Apparatur angepasst (siehe Abb. 5) und ermöglichte schließlich nicht nur die Wiederbelebung während der Kältenarkose, sondern auch eine präzise Kontrolle der Herzfrequenz (vgl. Callaghan & Bigelow 1951: 16 f.). So legten Bigelow und seine Kollegen im Versuch, die Körpertemperatur ihrer Versuchstiere kontrolliert abzusenken, auch eine wichtige Grundlage für die weitere Entwicklung des Herzschrittmachers (siehe Jeffrey 2001: 54–57).

Abb. 5
figure 5

Transportabler Schrittmacher („artificial pacemaker“) mit einstellbarer Herzfrequenz (aus Callaghan & Bigelow 1951: 11). Abgedruckt mit Genehmigung von Wolters Kluwer Health: J. C. Callaghan und W.G. Bigelow 1951. An Electrical Artificial Pacemaker for Standstill of the Heart. Annals of Surgery (134): 8–17

Mit Hilfe solcher Vorkehrungen gelang es, die Körpertemperatur von Hunden auf bis zu 20 Grad Celsius abzusenken und das Herz bei 15-minütiger Kreislaufunterbrechung zu öffnen. Die Phase der Kreislaufunterbrechung überlebten dabei letztlich fast alle Versuchstiere, die gesamte Prozedur jedoch die wenigsten (vgl. Bigelow et al. 1950c: 536 f.). Da Bigelow hinter diesem Phänomen eine artspezifisch geringe Kältetoleranz des Hundes vermutete, weitete er die Versuche in den frühen 1950er Jahren auf andere Säugetiere aus. Tatsächlich verkrafteten Rhesusaffen die Eingriffe erheblich besser und lediglich eines von zwölf Versuchstieren verstarb aufgrund eines technischen Fehlers (vgl. Bigelow & McBirnie 1953: 361 f.). Doch um eine klinische Anwendung am Menschen zu wagen, strebte Bigelow größere Sicherheit durch zusätzliche Minuten bei noch niedrigerer Körpertemperatur an. Der Kreis schloss sich nun mit versuchsweise durchgeführten Operationen an Murmeltieren, die als fachliterarische Vorbilder bereits den Ausgangspunkt der Hypothermieversuche gebildet hatten. Bei Körpertemperaturen von unter fünf Grad Celsius überlebten die Winterschläfer Kreislaufunterbrechungen von vielversprechenden ein bis zwei Stunden (ebd.: 362 f.).

Dies gab Anlass zu eigenen Untersuchungen der Kältetoleranz bei Winterschlaf. Was mit Fang- und Domestizierungsversuchen vereinzelter Murmeltiere im Umland Torontos begann, weitete sich schließlich zu einem exklusiven Murmeltierliefervertrag mit einem ortsansässigen Ranger und einer über 300 Murmeltiere beherbergenden Farm aus.Footnote 8 Ein gewaltiger Durchbruch schien damit zwischenzeitlich greifbar, doch ein vermeintlich extrahiertes Winterschlafhormon entpuppte sich lediglich als eine chemische Kontamination durch Plastikschläuche: Die darin enthaltenen Alkohole trugen zu einer geringfügigen Steigerung der Kältetoleranz bei. Das Phänomen des Winterschlafs blieb jedoch ein Rätsel und die bei Nichtwinterschläfern erreichbare Minimaltemperatur und Operationsdauer somit begrenzt (vgl. Bigelow 1984: 85–87).

In Bigelows herzchirurgischen Experimenten wurden also Murmeltiere, Hunde, Affen und schließlich auch menschliche Patienten hinsichtlich ihrer organismischen Eigenzeiten in komplexe Prozesse verwickelt, um eine chirurgische Zeit herzustellen: Auf zahlreichen Umwegen konnten im Labor zeitliche Verhältnisse etabliert werden, in denen Körpertemperatur und Stoffwechselrate ohne Kältezittern und mit künstlicher Beatmung in linearem Verlauf absanken, während das Herz im Takt elektrischer Impulse schlug. Die Zeitspanne der Kreislaufunterbrechung ließ sich damit beim Menschen immerhin auf zehn Minuten ausdehnen, was kleinere Eingriffe im Herzinneren möglich, aber noch immer zu einem Wagnis machte: „To keep the surgeon well informed of time, our anaesthetist would call out the minutes. He usually effected a mounting crescendo in announcing eight, nine, and ten to stir up the surgeon“, erzählte Bigelow (1984: 61) von frühen klinischen Einsätzen. Noch vor ihm selbst hatten allerdings US-amerikanische Chirurgen sein Verfahren erfolgreich zur Anwendung gebracht: Unter der Leitung von John Lewis (1953) gelang 1952 in Minneapolis mit der Korrektur eines Atriumseptumdefekts weltweit erstmals eine Operation am offenen Herzen.

Schluss: Chirurgische Zeiten – moderne Zeiten

„The heart has been the last important organ to enter the scope of therapeutic surgery. It is evident that operative work on the human heart will necessarily be difficult. The circulation cannot be arrested for more than a brief time without sacrificing the life of the body even if the heart beat can be restored“, hieß es noch 1951 in Samuel A. Levines (1951: 320) Standardwerk der Kardiologie. Im selben Jahrzehnt – beflügelt durch die Operationserfolge mit Hypothermie und Herz-Lungen-Maschine – explodierte die Zahl der Beiträge zu diesem bereits im frühen 20. Jahrhundert formulierten Zeitproblem, was erst allmählich zu Stabilisierungen und Kombinationen der entwickelten Techniken und so zu kontrollierten Operationsverfahren am offenen, blutleeren Herzen führte.Footnote 9

Wie ein roter Faden zog sich dabei das Zeitproblem durch die hier untersuchte Vorgeschichte jener sukzessiven Durchbrüche: Das experimentell vielversprechende Verfahren der Kreislaufunterbrechung zur Operation am offenen, blutleeren Herzen entpuppte sich im frühen 20. Jahrhundert aufgrund der äußerst limitiert möglichen Operationsdauer klinisch als nahezu aussichtslos. Dennoch bahnte es sich über den Umweg der Trendelenburg-Operation seinen Weg zurück in die intrakardiale Chirurgie: Nach verschiedenen handwerklichen Modifikationen zur effizienteren Nutzung der knappen Zeitspanne wie durch Meyer, veranlasste die noch immer höchst riskante Trendelenburg-Operation Gibbon, langwierige Versuche zur Entwicklung einer Herz-Lungen-Maschine aufzunehmen. Diese offenbarte das schließlich eingelöste Potenzial, mittels Ausdehnung der Zeitspanne der Kreislaufunterbrechung auch Operationen im offenen, blutleeren Herzen anzugehen. Erstmals gelang dies allerdings in den frühen 1950er Jahren mit der von Bigelow entwickelten Technik der Hypothermie, die durch Verlangsamung der Stoffwechselprozesse die mögliche Operationsdauer immerhin auf bis zu zehn Minuten ausdehnen konnte.

Die untersuchten Beispiele verdeutlichen, auf welch unterschiedliche Weise Chirurgen viele Jahrzehnte versuchten, die Zeitspanne der Kreislaufunterbrechung unter Kontrolle zu bringen. Ob mit einem Schwerpunkt auf dem handwerklichen Vorgehen und Zusammenspiel wie bei Meyer, auf der Konstruktion komplizierter Übertragungsmechanismen wie bei Gibbon oder auf der Verlangsamung physiologischer Prozesse wie bei Bigelow, gerade in ihrer Verschiedenheit deuten diese Herangehensweisen besonders auf eines hin: Die langwierige Entwicklung kontrollierter Herzoperationen im 20. Jahrhundert lässt sich als eine Geschichte chirurgischer Zeit erzählen.

Ebenso deutlich wird, dass eine solche Geschichte weder in Biografien großer Chirurgen noch in einem Voranschreiten wissenschaftlicher Rationalität befriedigende Erklärungen finden kann. Vielmehr rückt die in dieser Untersuchung eingenommene Mikroperspektive verschiedenste Praktiken in den Vordergrund, die unterschiedliche Dauern, Rhythmen und Geschwindigkeiten in zweckgerichtete Verhältnisse setzten: beispielsweise die zeitlichen Einteilungen durch spezielle Handgriffe und Werkzeuge, die photoelektrische Aussteuerung von Blutflussgeschwindigkeiten und Pulsationen im extrakorporalen Kreislauf oder die Taktung des Herzschlags bei kältetechnisch verlangsamtem Stoffwechsel. Die aus solchen situativen Konstellationen hervorgehende Zeit ist grundsätzlich von relationalem Charakter und durchkreuzt gerade deshalb konsequent institutionelle und kategoriale Grenzziehungen.

So ließe sich in erweiterter Perspektive die Herausbildung chirurgischer Zeiten auch in die umfassende materielle Kultur ihrer jeweiligen Gegenwart einschreiben. Die Rückkopplungssysteme in Gibbons Herz-Lungen-Maschinen beispielsweise entwickelten sich in enger Verbindung mit zeitgenössischen Medientechnologien: Während die ersten Unterbrechungsvorrichtungen aus elektromagnetischer Klemme, Quecksilberbehälter und Manometer typische Relikte der an der Telegrafie orientierten Physiologie des 19. Jahrhunderts (siehe z. B. Schmidgen 2009: 105–139) waren, wurden in nachfolgenden Versuchen, zum Beispiel in Form von Röhrenverstärkern, -gleichrichtern und Photozellen, zunehmend elektronische Bauteile integriert, die vor allem für die Rundfunktechnik hergestellt und vertrieben wurden.Footnote 10 Blutleere Herzen, photoelektrische Zellen und Murmeltiere – im Zeitproblem der Herzchirurgie wird einmal mehr deutlich, dass auch moderne Chirurgie „nie modern gewesen“ ist (Latour 2008).

Während der Moderne mit gutem Grund ein allgemeiner Drang zu immer größerer Beschleunigung attestiert wird (Rosa 2005; Virilio 1993), scheinen mindestens in der Chirurgie längst Enklaven entstanden zu sein, welche mit sehr viel differenzierteren zeitlichen Praktiken in eine gegenteilige Richtung streben. Rasch entwickelte das herzchirurgische Zeitproblem dabei eine folgenreiche Eigendynamik: Nicht zufällig basierte auch Christiaan Barnards weltberühmte Herztransplantation von 1967 maßgeblich auf den Techniken der Hypothermie und der Herz-Lungen-Maschine. Denn das zurechtgestutzte Spenderherz musste nicht nur räumlich in die klaffende Brusthöhle des Empfängers, sondern auch zeitlich in das prozessuale Zusammenspiel von Organen und Maschinen eingepasst werden – bei 30 Grad Celsius Körpertemperatur und einer Perfusionsrate von 4,2 Litern pro Minute (vgl. Barnard 1967: 1272).

Spätestens mit den Herztransplantationen und kurz darauf definierten Hirntodkriterien in den späten 1960er Jahren verkehrte sich das chirurgische Zeitproblem auf drastische Weise und provozierte ethisch-philosophische Debatten, die noch immer andauern. Denn inzwischen ist nicht nur die Ausdehnung der Überlebenszeit des Patienten, sondern längst auch deren Begrenzung problematisch geworden: „Wie ist es möglich, daß es für uns, die ‚Entwickelten‘ des Jahres 2000, keine ‚rechte Zeit‘ zum Sterben mehr gibt […]?“, fragt etwa der Philosoph und Herztransplantationspatient Jean-Luc Nancy (2000: 23). Womöglich lässt sich manche Antwort auf Fragen wie diese nicht in der Philosophie, sondern woanders finden: in einer Geschichte chirurgischer Zeit.Footnote 11