David Wootton hat kürzlich in seiner umfassenden wissenschaftshistorischen Studie The Invention of Science (2015) die Ansicht vertreten, dass der Einfluss der Religion auf die Akteure der sogenannten Wissenschaftlichen Revolution gemeinhin überbewertet wird (Wootton 2015: 575–577).Footnote 1 Er wendet sich hiermit gegen die These, dass beispielsweise die Annahme eines Schöpfergottes oder die mit dem Protestantismus einhergehenden Umwälzungen die Entstehung oder Festigung bestimmter wissenschaftlicher Konzepte oder Methoden begünstigt habe. Wootton stellt recht lapidar fest: „If Protestantism was what counted, [the Catholic] Galileo would not have been a great scientist.“ (Wootton 2015: 576) In der Tat positioniert sich der Historiker hier gegen eine historiographische Tradition, die den Einfluss der Religion auf die Dynamiken der Wissensorganisation und -produktion unterstreicht. So schreibt etwa Christoph Lüthy geradezu antithetisch und selbstbewusst über die „confessionalization of physics“:

When writing about the so-called „Scientific Revolution“, historians are inclined to describe the detachment of the observational fact from the old philosophico-theological edifice of natural philosophy as a victory of science, and notably of a mathematical and empirical mentality, over metaphysics and as a sign of practical progress in quantification, instrumentation, observation, and experimentation. But it could also be argued, on a more sombre note, that the new emphasis on facticity is just as much an act of scientific liberation as it is the effect of censorship from without and within, in the sense that it constituted the only safe way of speaking about the created world without hurting religious feelings and triggering unpleasant private or public reactions (Lüthy 2005: 108).

In dieser Perspektive erscheinen wesentliche, aus heutiger Sicht meist als „Errungenschaften“ bewertete wissenschaftliche Entwicklungen des 16. und 17. Jahrhunderts zumindest teilweise als Reflexe auf religiöse Spannungen in einer Zeit des konfessionellen Konflikts.

Gerade der Zensur, wie sie von katholischer Seite als Reaktion auf jenen konfessionellen Konflikt im 16. Jahrhundert mit der spanischen und römischen Inquisition institutionalisiert wurde, haftet immer noch der Geruch einer Organisation an, die die Entstehung neuen Wissens hemmte und fortschrittsfeindlich wirkte. Erst seit relativ kurzer Zeit ist durch die Edition der Zensurdokumente aus den römischen Archiven (2009, ediert in den bisher vier Bänden von Catholic Church and Modern Science) Wissenschafts- und Philosophiehistorikern die Möglichkeit verschafft worden, nicht nur einzelne und bekannte Fälle der vermeintlichen Wissenschaftszensur – wie etwa die von Giordano Bruno oder Galileo Galilei – zu extrapolieren, sondern in der Breite der Dokumente zu stöbern und so ein ausgewogeneres Bild davon zu zeichnen, welcher Einfluss dieser Form der Zensur überhaupt nachgesagt werden kann.Footnote 2 Diese Aufarbeitung entscheidet nicht darüber, ob Wootton oder Lüthy Recht zu geben ist. Diese Aufarbeitung trägt vielmehr dazu bei, besser zu begreifen, wie die Zensoren tatsächlich vorgingen und welche Bereiche der Wissenschaftsproduktion der Frühen Neuzeit sie überhaupt ins Visier nahmen. Hierbei ist die Arbeit der Zensoren der Arbeit der Forscher nicht symmetrisch entgegengesetzt, es geht also nicht in erster Linie um Täter und Opfer der Zensur. Vielmehr ist die Zensur selbst in die Historiographie der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte zu integrieren, als ein Dialog und Disput zwischen Klerikern im Auftrag der Zensur und der wissenschaftlichen Literaturproduktion, die auf Vorgaben reagierte oder diese präventiv umsetzte. Die Praktiken der Zensoren sind demnach als „Zensur“, „Begutachtung“, „Kritik“ und „review“ gleichermaßen zu betrachten (Biagioli 2002).

Hauptanliegen dieses Aufsatzes ist der Versuch, sich sich der Produktion astronomischen Wissens der Frühen Neuzeit aus dieser Perspektive der Zensur zu nähern. Die Verurteilung der astronomischen Lehre des Kopernikanismus, die ihren vorläufigen Höhepunkt 1633 im Prozess gegen Galileo Galilei (1564–1642) fand, ist vermutlich das berühmteste Beispiel des augenscheinlichen Konfliktes zwischen Wissenschaft und Kirche, zwischen Astronomie und Theologie in der Epoche der Frühen Neuzeit – ein Konflikt, der vielfach sogar als Paradigma der sogenannten Wissenschaftlichen Revolution betrachtet wurde (Finocchiaro 2005; Pagano 2009; Mayer 2015). Nikolaus Kopernikus’ (1473–1543) Werk De revolutionibus (1543) wurde 1616 auf den Index der Verbotenen Bücher (Index librorum prohibitorum) gesetzt und einige angemahnte Korrekturen oder Schwärzungen, sogenannte Expurgationen, wurden 1620 präzise vorgeschrieben (Wolters 2015). Die jüngere Forschung hat das vermeintlich Revolutionäre an Kopernikus’ Werk und seinen Ideen längst zu Gunsten eines umfassenderen Bildes der Kopernikusrezeption korrigiert (Omodeo 2014; Neuber et al. 2015). Aus druckgeschichtlicher Perspektive zeigt sich De revolutionibus ohnehin kaum als auflagenstarke Publikation, wenngleich das Werk von zahlreichen wichtigen Akteuren der Epoche minutiös studiert wurde (Gingerich 2004).

Bereits Arthur Koestler (1959) hat mit Blick auf De revolutionibus spöttisch von einem „worst seller“ gesprochen und darauf hingewiesen, dass die Bedeutung von Kopernikus’ Buch mit dem Klassikerwerk der ptolemäischen, geozentrischen Kosmologie verglichen werden müsse (Koestler 1959: 191): Johannes de Sacroboscos De sphaera, einer knappen Einführung in die qualitative Astronomie aus dem 13. Jahrhundert, das in zahlreichen Editionen seit 1472 wieder und wieder verlegt wurde. Auch Elizabeth L. Eisenstein (1979) hat herausgestellt, dass Buchdrucker der Frühen Neuzeit vor allem dazu beigetragen haben, die ptolemäische Kosmologie zu popularisieren und bezieht sich hierbei ebenfalls auf die Verbreitung von Sacroboscos Werk (Eisenstein 2005: 615–616).Footnote 3

Die überwältigende bibliometrische Evidenz des Druckerfolgs sogenannter Sphaera-Traktate im 15., 16. und 17. Jahrhundert ist in jüngerer Forschung vielfach katalogisiert, erörtert und untersucht worden (Pantin 1987; Ludwig 2010; Hamel 2004; Hamel 2014; Gingerich 1988; Gingerich 2015; Valleriani 2017; Sacrobosco 2008). Jüngste Erhebungen identifizieren nicht weniger als 320 Drucke aus jener geozentrischen Sacrobosco-Tradition, die seit der editio princeps (1472) nicht nur zahlreiche Nachdrucke in vielen Zentren Europas verzeichnet, sondern dutzende Kommentare zu Sacroboscos Traktat, umfassende Sammelausgaben, Übersetzungen in alle wichtigen westeuropäischen Volkssprachen sowie eigenständige, von Sacroboscos Text losgelöste Sphaera-Traktate (https://sphaera.mpiwg-berlin.mpg.de). Von einer Tradition lässt sich hier nicht nur sprechen, weil alle Drucke an dasselbe mittelalterliche Werk anknüpfen. Vielmehr ist auch in der bisherigen Forschung bereits herausgestellt worden, dass viele der frühneuzeitlichen Sphaera-Editionen nicht unabhängig voneinander entstanden, sondern die Verleger und Buchdrucker untereinander kooperierten oder mit neuen Sphaera-Ausgaben an bestehende anknüpften, diese ergänzten, erweiterten und individuellen Anforderungen anpassten.

Obschon die astronomische Grundlage der Sphaera-Traktate im Wesentlichen ptolemäisch und die naturphilosophische Grundlage meist aristotelisch bleibt, handelt es sich bei diesem Text dennoch keineswegs um einen konservativen oder statischen Wissensspeicher (Pedersen 1985). Schon die mittelalterliche Vorlage berücksichtigt bereits jüngere arabische Werke der Astronomie und ist in den folgenden Jahrhunderten weiter ergänzt, aktualisiert und kritisch diskutiert worden. Der Name „Sacrobosco“ wurde somit zunehmend zum Label für einen bestimmten Typus astronomischer und kosmologischer Schriften, die Wissen aus zahlreichen Forschungskontexten und Disziplinen bündelten, von Geographie und Nautik über Landwirtschaft und Astrologie bis hin zu Medizin (Oosterhoff 2015; Crowther et al. 2015; Valleriani 2017). Die Akteure dieser Dynamik stammten zudem aus unterschiedlichen geographischen/nationalen, akademischen und konfessionellen Kontexten. Kurzum, die Sphaera-Tradition bildet nicht nur ein Kooperationsnetzwerk von Verlegern ab, sondern umfasst, bezogen auf die Inhalte der Drucke, auch ein „Wissenssystem“ der Frühen Neuzeit.

Dass auch dieses Wissenssystem von der katholischen Zensur betroffen war, ist in der bisherigen Forschung kaum berücksichtigt worden.Footnote 4 Weit vor Kopernikus’ Werk (1543 gedruckt, 1616 verboten, 1620 expurgiert) untersuchten und mithin verboten katholische Zensurorgane Schriften aus der Sphaera-Tradition bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, dabei verstärkt ab den 1570er Jahren. Diese Zensurmaßnahmen zielten hingegen, anders als im Fall des Kopernikanismus, nicht auf spezifische astronomische oder kosmologische Lehren, sondern betrafen eher kontextuelle beziehungsweise akzidentielle Faktoren: etwa die Konfession des Autors oder dessen theologische Thesen, nicht aber kosmologische Weltvorstellungen als solche. Auch die Motivationen der Zensurmaßnahmen bleiben im Falle der Sphaera-Tradition oftmals im Dunkeln. Es handelt sich bei den hier untersuchten Fällen nicht um dramatische Prozesse der Inquisition, sondern eher um Produkte des in den Abläufen bürokratisch festgelegten business as usual der Zensurbehörden.Footnote 5

Der in diesem Aufsatz angestrebte Querschnitt durch die Geschichte der katholischen Zensur zwischen 1550 und 1650 entlang der Sphaera-Tradition ist geleitet von zwei Erkenntniszielen: Zum einen (1) dient die Zuspitzung des Corpus auf die Sphaera-Tradition dazu, die katholische Zensur besser zu begreifen. Es soll also die Rationalität und Praxis der katholischen Index- und Zensurkongregation an einem konkreten Beispiel illustriert werden und somit zu einem besseren Verständnis beigetragen. Hier ergibt sich nämlich, dass die Leitlinien der katholischen Zensur sich nicht paradigmatisch durch ihre Auseinandersetzung mit dem Kopernikanismus verstehen lassen, sondern eher ideologische oder konfessionspolitische Zensurkriterien angelegt wurden. Gleichzeitig bezeugen die untersuchten Dokumente auch eine gewisse Toleranz der Zensurbehörden, die oftmals übersehen wird, wenngleich diese Toleranz in der Forschung längst bekannt ist und in vielen Studien untersucht worden ist (Reusch 1886; Wolf 2001; Green 2005; Caravale 2011; Fragnito 2001; Grendler 2007; Esteve 2018).

Zum anderen (2) bietet die Fallstudie die Möglichkeit, durch den Blick der Zensur auch die Sphaera-Tradition besser zu verstehen. Gerade weil jene Sphaera-Tradition in der kosmologischen Wissenskonfiguration der Frühen Neuzeit eine beträchtliche Rolle spielte, stellt sich etwa die Frage, ob die Zensurbehörden auf diese Wissensdynamiken nolens volens Einfluss nahmen und damit auch die Verbreitung kosmologischer Ideen steuerten und lenkten. Ugo Baldini hat beispielsweise herausgestellt, wie die katholische Zensur die Ablehnung der Astrologie als Wissenschaft mit begünstigte, ohne dass ihr hierbei eine klare Agenda oder explizite Zielsetzung zu unterstellen wäre (Baldini 2001). Auch die lokale und interkonfessionelle Verbreitung und Rezeption der Sphaera-Drucke, das heißt wesentliche Dynamiken innerhalb der Sphaera-Tradition, lassen sich durch den Längschnitt durch die Zensurgeschichte in den Blick nehmen, insofern auch die Ausübung einer Zensur sowie deren Be- oder Missachtung eine Form der Rezeption darstellt.

Begriffsklärung „Zensur“

Während die kirchliche Zensur schriftlicher Produktion, akademischer Lehre und Predigt bereits im Mittelalter institutionalisierte Formen besaß, und auch die Buchzensur bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts päpstliche Legitimation erhielt, stellten doch die Gründung der römischen Glaubenskongregation 1542 sowie der Tridentinische Index der Verbotenen Bücher von 1564 entscheidende Wegmarken der katholischen Zensurgeschichte dar.Footnote 6 Die römische Inquisition und Indexkongregation sowie die schon zuvor gegründete spanische (1478) beziehungsweise portugiesische (1515) Inquisition, die übergreifend als Organe der katholischen Zensur bezeichnet werden können, nahmen in bisher unbekanntem Ausmaß Einfluss auf Theologie, Wissenschaft, Kunst, Literatur und Gesellschaft der Frühen Neuzeit. Weil diese Institutionen bereits umfassend erforscht worden sind, werden rudimentäre Kenntnisse der Geschichte der römischen und iberischen Inquisition hier vorausgesetzt.

Es sollen dennoch zunächst einige wichtige begriffliche Unterscheidungen und Aspekte der Zensurpraxis und -theorie zusammengefasst werden, die für die folgende, die Sphaera-Tradition betreffende Zensurgeschichte unmittelbar relevant sind. Eine umfassende Definition des historischen Zensurbegriffs ist schwierig und strittig. Zensur lässt sich, heute wie damals und ganz abstrakt, einerseits als ein Herrschaftsinstrument beschreiben, das heißt, als ein Mittel, eine gewünschte Vormachtstellung zu garantieren, zu erhalten oder widerstreitende Theorien beziehungsweise Akteure zu unterminieren. Andererseits ist Zensur auch ein Instrument der Selbstkontrolle, das der inneren Geschlossenheit und der Korrektur von Irrtümern in einem Lehrgebäude dient.

Die katholische Zensur der Frühen Neuzeit umfasste Aspekte von beiden, mitnichten widersprüchlichen Ansprüchen. Sie richtete sich hierbei insbesondere gegen mannigfaltige Formen der religiösen Heterodoxie und Häresie, an erster Stelle sicherlich gegen den aufkommenden Protestantismus, aber auch gegen innerkatholische Reformbewegungen oder Gedankengut, das im Widerspruch zur päpstlichen Autorität oder der traditionellen Kirchenlehre betrachtet wurde (Neveu 1993; Arnold 2008). Die für die folgende Darstellung maßgebliche Form der Zensur war primär theologisch und konfessionspolitisch ausgerichtet, entsprechend zielte sie auf heterodoxe theologische Lehren beziehungsweise auf deren ketzerische Verbreiter.Footnote 7

Wenngleich die römische, spanische und portugiesische Inquisition als zentralistische Apparate auftraten und in ihrer Historiographie auch oft so beschrieben worden sind, handelte es sich jedoch nicht um monolithische, widerspruchsfreie, geschweige denn ahistorische Gebilde. Vielmehr unterlag die Praxis der Zensur ähnlichen Varietäten und Kontingenzen wie andere Apparate, die eine genuine Entwicklungsgeschichte haben, in denen zwischen Theorie und Praxis zu unterscheiden ist, die von internen Macht- und Einflussstreitereien geprägt waren und bei denen eine lokal unterschiedliche Anwendung bestehender Regeln beachtet werden muss (Godman 2000).Footnote 8 Die bloße Tatsache der Koexistenz einer spanischen, portugiesischen und römischen Inquisition ist hierbei ein aussagekräftiges Indiz für die politische und konfessionelle Komplexität der Frühen Neuzeit. Alle diese drei Zensurbehörden wurden päpstlich eingerichtet oder genehmigt, und doch unterschieden sie sich mitunter in ihrer Zielsetzung, vor allem aber in ihren Methoden, ihrer internen Organisation und ihrer Jurisdiktion.

Die meisten textbezogenen Zensurmaßnahmen, so auch die katholischer Institutionen, lassen sich in posthume und präventive Maßnahmen unterteilen. Zu posthumer Zensur zählen im engeren Sinne das vollständige Verbot bestimmter oder sämtlicher Schriften eines Autors beziehungsweise die Streichung einzelner Abschnitte in einer Schrift. Während also die Werke eines Autors schlicht aufgrund seiner Biographie, Herkunft oder konfessioneller Zugehörigkeit verboten werden konnten, ja gar deren Vernichtung angemahnt wurde, zielten sogenannte Expurgationen nur auf problematische Textstellen innerhalb einer ansonsten freigegebenen Schrift. Posthume Zensuren sind nicht vom Autor selbst veranlasst, sondern vom jeweiligen Zensurorgan. Sie betrafen in der Frühen Neuzeit in der Regel gedruckte Bücher. Das einflussreichstes Instrument der katholischen Zensur war der immer wieder erweiterte und neu überarbeitet publizierte Index Librorum Prohibitorum (Index der Verbotenen Bücher), der jedoch unterschiedlicher regionaler Jurisdiktion unterlag, also Einfluss auf Buchmarkt, Buchhandel und Literaturproduktion bestimmter Gebiete nahm. Allerdings konnten individuelle oder universelle Sondergenehmigungen vom jeweiligen Zensurorgan erteilt werden, auch auf dem Index platzierte oder anderweitig verdächtige Schriften lesen zu dürfen (sogenannte licentiae). Posthume Zensuren lassen sich nicht nur von den publizierten Indices ausgehend nachverfolgen, sondern auch über interne handschriftliche Dokumente, die Genese und mithin abweichende lokale Anwendungen bezeugen. Zudem dokumentieren erhaltene, nachträglich expurgierte Buchexemplare aufschlussreiche Spuren, die über die Praxis der Zensur informieren (Schmuki 1999; Oosterhoff 2015).

Im Gegensatz hierzu spricht man von präventiver Zensur (censura praevia) in Fällen, in denen eine Schrift vor ihrem Druck einer Begutachtung und gegebenenfalls einer Korrektur unterzogen wurde. Diese Form der Zensur wurde meist vom Autor, dem Verleger oder der religiösen Körperschaft, etwa des Ordens des Autors, veranlasst. In zahlreichen gedruckten Werken der Frühen Neuzeit findet sich somit, meist zu Beginn oder Ende des Druckes, ein approbatio genannter Vermerk über eine Begutachtung durch ein Zensurorgan, das den Druck freigegeben hat (Nuovo 2015: 195–257).Footnote 9

Die unterschiedlichen, soeben skizzierten Formen der frühneuzeitlichen Zensur sollen in den folgenden Abschnitten für die Sphaera-Tradition untersucht werden. Hierbei steht die jeweilige Zensur der römischen, spanischen und portugiesischen Inquisition im Mittelpunkt, wobei stichprobenartig auch weitere, lokale Zensurdokumente miteinbezogen werden.Footnote 10 Die römischen und iberischen Indices stellen die wichtigsten Quellen dieser Untersuchung dar und sind für das 16. Jahrhundert in den von Jesús Martinez de Bujanda besorgten Editionen gut erschließbar (Bujanda et al. 1984–2002 = ILI). Für die Indices des 17. Jahrhunderts werden die zeitgenössischen Drucke herangezogen (Mascarenhas 1624; Zapata 1632; Sotomayor 1667). Interne Akten der römischen Zensur (insbesondere aus dem römischen Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede) sind über die bereits erwähnte Edition von Leen Spruit und Ugo Baldini für das 16. Jahrhundert ebenfalls zugänglich (Baldini & Spruit 2009 = CCMS). Darüber zeitlich und räumlich hinausgehende Akten und Archivalien werden allerdings nur in Einzelfällen berücksichtigt – gerade für die Arbeit der iberischen Zensoren fehlen umfassende Editionen bis heute. Die wichtigsten der im Folgenden herangezogenen Dokumente und die darin berücksichtigten Sphaera-Drucke werden am Ende dieses Aufsatzes in einem Anhang tabellarisch (Tab. 12 und 3) dargestellt.

Früheste Sacrobosco-Zensuren und die Installation des Index

Johannes de Sacroboscos Tractatus de sphaera stand im Mittelalter nicht im Fadenkreuz der Inquisition oder anderer Zensurorgane, enthielt sein Werk ja auch kaum theologisch Relevantes und sparte auch den seit den Kirchenvätern problematisierten Aspekt der juridischen Astrologie gänzlich aus.Footnote 11 Den vermutlich ersten Fall in der Zensurgeschichte der Sphaera-Tradition bildete Cecco d’Ascolis (c. 1257–1327) vor 1324 verfasster Kommentar zu Sacroboscos Werk (Thorndike 1949: 343–410). In diesem Kommentar beschäftigte sich Cecco nämlich umfassend mit Astrologie, Magie und illegitimen Einzelkünsten. Seine Verurteilungen von 1324 und 1327 durch die Inquisition sind wohl zumindest teilweise auch auf seinen Sphaera-Kommentar zurückzuführen.Footnote 12 Dieser Kommentar wurde zwischen 1499 und 1518 jedoch viermal gedruckt, ohne dass diese Ausgaben bei Zensurbehörden Anstoß gefunden hätten.Footnote 13

Zensuren der frühen Druckgeschichte der Sphaera-Tradition lassen sich ohnedies kaum finden. Einzig ein Frontispiz eines Sphaera-Drucks von 1488, das die barbusige Urania allegorisch darstellt, wurde in einer einzelnen Ausgabe offenbar zensiert: Die nackten Brüste wurden entfernt (Cirella & Rinaldi 2015).Footnote 14 Eine solche Zensur betrifft jedoch weder den Text oder Autor des Werks, noch war sie Teil einer systematischen Bildkorrektur, sondern geht wohl auf das Schamgefühl des unbekannten Vorbesitzers des Exemplars zurück, das heute in Capodimonte liegt.

Die eigentliche Zensurgeschichte der gedruckten Sphaera-Tradition beginnt mit der Vorarbeit am römischen Index von 1559, den Papst Paul IV (1476–1559) herausgab. Schon vorher waren Autoren, die auch Sphaera-Traktate verfasst hatten, in das Visier der Inquisition geraten, doch ausschließlich aufgrund ihrer theologischen oder politischen Werke (Del Col 1980; Barbieri 2011). Eine Erwähnung, geschweige denn eine Zensur einzelner Sphaera-Traktate in den edierten Zensurdokumenten aus der Zeit vor 1558 findet sich hingegen nirgends. Der Paulinische Index von 1559 zeichnete sich seinerseits vor allem dadurch aus, sämtliche Werke einer großen Anzahl (ca. 550) von – meist protestantischen – Autoren zu verdammen, ohne diese Werke jedoch stets im Einzelnen aufzuführen. Dass die Kommission, die mit der Etablierung der Ketzerliste betraut war, auch Sphaera-Traktate durchblätterte, um einzelne Autoren zu inkriminieren, dokumentiert eine anonyme handschriftlich hinterlassene Quelle aus der römischen Kommission, die als eine Art interne Vorarbeit für den Index zu betrachten ist (CCMS I, 132, 134).Footnote 15

Zunächst wird in dem genannten handschriftlichen Dokument Philipp Melanchthons (1497–1560) Schwiegersohn Kaspar Peucer (1525–1602) genannt, der nicht nur als Anhänger (sequax) des Reformators, sondern auch als Autor des Werkes Elementa doctrinae de circulis coelestibus (1551) identifiziert wird, das er dem lutherischen Herzog von Sachsen Augustus (1526–1586) gewidmet habe.Footnote 16 Hartmann Beyer (1516–1577) wird in diesem Dokument ebenfalls von den Zensoren belastet, weil er im Widmungsbrief seiner Quaestiones novae in libellum de sphaera Ioannis de Sacro Busto (1549) bekennt bei Melanchthon studiert zu haben.Footnote 17 Des Weiteren wird Jakob Milich (1501–1559) in Melanchthons Brief in der 1531 in Wittenberg gedruckten Sacrobosco-Ausgabe, die weiter unten noch näher besprochen werden soll, lobend erwähnt, was diesem Gelehrten von katholischer Seite nicht zum Vorteil gereichen konnte und er somit ebenfalls von den römischen Zensoren genannt wurde.Footnote 18 Auf Grundlage solcher Publikationen, die ausnahmslos aus dem Kreis der lutherischen Wittenberger Universität stammten und als Sphaera-Traktate gelten können, konnten die Zensoren somit drei Autoren als Melanchthon-Anhänger und damit als Häretiker identifizieren, deren Werke 1559 sämtlich zensiert wurden (ILI VIII, 391, 489, 512–513; Brosseder 2004: 95, 138, 144, 278, 308).

Sphaera-Traktate auf dem Antwerpener Expurgationsindex von 1571

Schon der Tridentinische Index von 1564 entschärfte in manchen Hinsichten die rigide opera-omnia-Leitschnur von 1559, die Katholiken letztlich auch das Lesen theologisch unbedenklicher Werke unmöglich machte, sofern ihre Autoren als Häretiker galten. Etwaige Sphaera-Traktate wurden 1564 jedoch nicht ausdrücklich ausgenommen. Dies belegt hingegen der Antwerpener Expurgationsindex, der 1571 federführend vom Spanier Benito Arias Montano (1527–1598) herausgeben wurde (Rekers 1961; Eisenstein 2005: 332). Dieser Index wurde in späteren italienischen und iberischen Indices berücksichtigt und verdient daher an dieser Stelle eine kurze Erwähnung.

Im Antwerpener Index wurden beispielsweise Peucers Elementa prinzipiell erlaubt, solange eine knappe, belanglos erscheinende, womöglich sogar missverstandene Passage aus dem Widmungsschreiben an den Fürsten gestrichen werde (ILI VII, 781; Montana 1571: 55).Footnote 19 Anders als in vorangehenden Indices wurde hier also Peucer zwar als Ketzer erwähnt, einzelne seiner Schriften, darunter auch seine Elementa, wurden jedoch nach Expurgation erlaubt. Erasmus Oswald Schreckenfuchs (1511–1575), ebenfalls Protestant und Schüler Sebastian Münsters (1488–1552), den schon der Index aus Leuven 1546 führte, war auch im Paulinischen Index von 1559 erwähnt worden (ILI II, 151; VIII, 446). 1571 wurde auch Schreckenfuchs’ Sacrobosco-Kommentar (1569) verzeichnet, allerdings ausdrücklich als unbedenklich befunden (nihil continet, quod offendat pietatem vel bonos mores).Footnote 20 Erstmals in einem Index genannt wurde Sebastian Theodoricus (Dietrich; c. 1520–1574), dessen Quastionenkommentar zu Sacrobosco (1564) allerdings gleichfalls genehmigt wurde (ILI VII, 782; Montana 1571: 56).Footnote 21

Diese drei Beispiele zeigen also bereits einen Kurswechsel an: Protestantische Autoren mögen Ketzer sein, die Lektüre ihrer Werke zu nicht-theologischen Themen sollte jedoch auch Katholiken gestattet sein – zumindest in den Augen der flämischen Indexkommission. Die zweite der zehn Grundsatzregeln der Tridentinischen Buchzensur, die vorschrieb, dass solche Werke der Häretiker ohne theologische Bewandtnis erst nach Prüfung seitens des Bischofs oder des Inquisitors von Katholiken gelesen werden durften, wurde 1571 mitgedruckt und in den erwähnten Fällen umgesetzt, insofern keine individuelle Sondererlaubnis mehr nötig war, da die Expurgationsanweisung mitgegeben wurde.Footnote 22 Ebenso fielen die drei genannten Werke nicht unter die neunte Regel, die, vereinfacht gesagt, Werke zu Magie und Astrologie verbot; die genannten Schriften wurden in der Nomenklatur der Zensoren von 1571 nämlich unter den libri mathematici geführt (Baldini 2001: 90). Zudem bediente sich der Antwerpener Index im Gegensatz zu den beiden erwähnten römischen Indices des Mittels der Expurgation, um einzelne Werke zu korrigieren statt diese pauschal zu verbieten (Spruit 2010: 180).Footnote 23

Der Fall „Mauro da Firenze“

Doch auch der römische Index wurde umfangreicher und schloss einen weiteren Sphaera-Traktat ein, der genauere Betrachtung verdient, da sich diese Zensur durch kein offensichtlich gegenreformatorisches oder theologisches Kalkül begründen lässt. In zahlreichen kürzeren und lokalen Indices aus der Zeit zwischen 1576 und 1587 findet sich, meist unter der Rubrik sogenannter „verdächtiger italienischer Bücher“, folgende Angabe eines Buches: „Dichiaratione delle sphere.“Footnote 24 Ein Autor wird nicht genannt, die Schrift wird meist auf 1555 datiert und als Buch im Oktavformat beschrieben.Footnote 25 Es ist zu vermuten, dass auf die Schrift Annotationi sopra la lettione della Spera de Sacro Bosco des Florentiner Serviten Marco Mauro da Firenze (1493–1556) verwiesen wird (Mauro da Firenze & Sacrobosco 1550; Pereira da Silva 1915: 42; Bennett & Meli 1994: 36–39; Gentile und Gilly 2001: 293–296; ILI IX, 115).Footnote 26 Gegen diese Identifizierung spricht allerdings, dass dieses Werk höchstwahrscheinlich nur 1550, nicht 1555 in Florenz erschienen ist und Quartformat aufweist. Gestützt wird die Zuschreibung hingegen dadurch, dass Mauros Werk – nun eindeutig in Titel und Autor benannt – auf dem vom Generalinquisitor Gaspar de Quiroga y Vela (1512–1595) organisierten spanischen Index von 1583 sowie auf den römischen Indices von 1590 und 1593 in die Liste der verbotenen Büchern aufgenommen wurde (ILI VI, 644–645, 658; IX, 388). Expurgationsrichtlinien oder Gründe der Zensur fehlen in allen Indices und über den Serviten Mauro ist biographisch zu wenig bekannt, um die Indizierung seines Werkes hieraus fundiert abzuleiten. Zudem hatte Mauro bereits 1537 eine italienische kommentierte Übersetzung von Sacroboscos Sphaera in Venedig publiziert, die in den Indices nirgends erwähnt wird und daher vermutlich entweder als unbedenklich erachtet oder gar nicht erst geprüft wurde (Mauro da Firenze & Sacrobosco 1537).Footnote 27 Seine Annotationi weisen jedoch inhaltliche Merkmale auf, die das Verbot des Titels motiviert haben dürften. Eine kursorische Beschreibung des Werkes scheint daher sinnvoll, wenngleich genauere Analysen zukünftiger Forschung vorbehalten bleiben.

Die Annotationi sind nur auf den ersten Blick ein bloßer Kommentar zu Sacrobosco. Tatsächlich enthält der Band mindestens sechs recht eigenständige Werke und ebenso viele Widmungsbriefe und Paratexte.Footnote 28 Der eigentliche Kommentar zu Sacrobosco (5–93), der auf Italienisch verfasst ist, aber auf den lateinischen Text der Sphaera Bezug nimmt, geht wohl auf eine Vorlesung zurück, die Mauro vor einigen Aristokraten gehalten hat. Sie ist weitestgehend propädeutisch ausgerichtet und bietet eine Einführung in notwendige mathematische und geometrische Grundlagenkenntnisse. Gleichzeitig beschäftigt sich Mauro dort auch mit instrumentellen astronomischen Messungen (72–79). Verweise auf Messungen aus Florenz (71, 76, 83, 88) sowie auf das Jahr 1546 (62) dürften Ort und Zeit der Entstehung des Textes markieren. Widmungen an den Medicifürsten Cosimo (1519–1574) datieren von 1546 (156–157) beziehungsweise 1547 (3–4). In seinem Kommentar weist Mauro auch auf Fehler seiner kommentierten Übersetzung von 1537 hin (54). Vielleicht fertigte er aus diesem Grund eine neue Übersetzung der Sphaera an (97–146), die im Druck von 1550 ebenfalls enthalten ist.

Mauros Kommentar erschien aus Sicht der Zensur vielleicht deshalb verdächtig, weil es dort auch um Astrologie geht (22), die unter bestimmten Bedingungen seit 1557 Indizierungsgrund war. Jedoch wird in Mauros Werk mantische und weissagende Astrologie nicht verfolgt und vielmehr der praktische Wert der natürlichen Astrologie für Kontexte wie Landwirtschaft und Medizin betont (35) – schon im Index von 1559 wurde Astrologie im Kontext dieser praktischen Zusammenhänge ausdrücklich geduldet (ILI VIII, 775). Somit mag auch das auf der Titelseite der Ausgabe abgedruckte Horoskop einen irreführenden Eindruck hinterlassen haben, denn um Horoskope geht es in Mauros Text nirgends direkt.Footnote 29

Ein weitaus wahrscheinlicher Grund für das Verbot der Indexkommission ist jedoch die starke theologische Ausrichtung des Werks, zumal Mauro selbst Magister der Theologie war. Diese Tendenz zeichnet sich bereits in zwei kurzen im Band enthaltenen „mathematischen Übungen“ (94–96, 147–153) ab und wird in einem eigenen Teil, der „Spera theologica et divina“ genannt wird, ausführlicher entwickelt. Ausgehend von platonischen Ansätzen wird spekulativ eine „theologische Sphäre“ entworfen, wie sie schon prominent in den Werken Nikolaus von Kues zu finden ist (Müller 2011). Dieser platonische Einschlag – Mauro bebildert sogar die „Sphaera platonica“ (96) – drückt sich auch in der Auswahl der Autoritäten aus, die er zitiert: Cusanus (47, 149, 163, 166, 170, 173, 174, 175, 180, 181, 183, 186, 187, 190, 193, 199), Plato und die Platoniker (95, 147, 148, 162, 175, 179, 190, 193), Marsilio Ficino (95), Hermes Trismegistos (182), (Pseudo‑)Dionysius Areopagita (88, 166, 181) sowie der Kirchenvater Augustinus (94, 151, 165, 167, 170, 173, 178, 180, 183, 185, 186, 187, 188, 196) bilden hier die wichtigsten Referenzen. Verweise zu Autoren der Astronomiegeschichte oder der klassischen und mittelalterlichen Theologie und Philosophie finden sich deutlich seltener, sieht man von Erwähnungen Sacroboscos oder Aristoteles’ ab.Footnote 30 Unter Zeitgenossen erwähnt Mauro nur Alessandro Piccolomini (1508–1578) (35, 54), der 1540 seine italienische Sfera del Mondo publiziert hatte, sowie den Lutheranhänger Johannes Bernhardi „Velcurio“ (c. 1490–1534) (192).Footnote 31 Auffallend ist jedoch auch die große Anzahl zitierter lateinischer Bibelzitate und Schriftverweise, insbesondere aus dem Neuen Testament.Footnote 32

Die Themen seiner „Spera Theologica“ umfassen somit auch wichtige Theologoumena: Trinität (173–181), Inkarnation (181–186), Eucharistie (186–189), Unsterblichkeit der Seele (190–197), Willensfreiheit und Gnadenlehre (194–197).Footnote 33 Insbesondere in Bezug auf die Unsterblichkeit der Seele und die Willensfreiheit vertritt Mauro in den Annotationi Positionen, die im Italien des 16. Jahrhunderts als riskant zu bewerten sind.Footnote 34 Mauro schien dies geahnt zu haben und holte sich daher 1548 die theologische Einschätzung des Minoriten Raffaello Sannino ein (154). Der Konsultierte bewertete das Werk hingegen als „sehr nützlich“ und als „approbiert“ (155). Die „Spera Theologica“ widmete Mauro nicht direkt Cosimo de’ Medici, sondern dessen Frankreichgesandten Bartholomeo Panciatichi (1507–1582), der jedoch mit dem Protestantismus anbändelte und 1551 deshalb auch verhaftet wurde (Caravale 2014). Es scheint daher wahrscheinlich, dass die Behandlung theologischer Themen, das in diesem Zusammenhang erfolgte Vertreten streitbarer Positionen sowie die Sympathiebekundung gegenüber einem überführten, wenngleich später begnadigten Häretiker, Mauros Werk in den Augen der Indexkommission verdächtig erscheinen ließ und damit verboten wurde.

Obgleich Mauros Werk vermutlich nach 1550 nicht nachgedruckt wurde – Exemplare eines Nachdrucks sind zumindest nicht bekannt – wurde die Schrift um 1633 in einer recht aufwändigen Handschrift von Matías de los Reyes ins Spanische übersetzt und dem spanischen Adligen Luis Ramón de Aragón y Fernández de Córdoba (†1642) gewidmet.Footnote 35 Diese Übersetzung, die an einigen Stellen vom italienischen Original abweicht und dieses mitunter deutlich erweitert, betrifft jedoch nur den ersten Teil von Mauros Werk und lässt die theologisch-spekulativen Traktate aus. Deutlich mehr Aufmerksamkeit erhält dort die Astrologie des Tierkreises, die als Addicion immerhin 20 Seiten umfasst (72r–82v) und in Mauros Annotationi keine Vorlage hat. Der womöglich höfische Entstehungskontext der Handschrift konnte diese unter Adeligen beliebte Thematik eventuell an der Buchzensur vorbeiführen.

Sphaera-Traktate in den iberischen Indices

Mauros Annotationi wurden im römischen Index von 1590, der von Papst Sixtus V (1521–1590) herausgegeben wurde, zwar aufgeführt und so auch noch in den vorläufigen Index seines Nachfolgers Clemens VIII (1536–1605) mit aufgenommen, doch in der endgültigen Version des römischen Indexes, der 1596 publiziert und erst 1664 erneuert wurde, fehlt Mauros Werk unter den verbotenen Titeln – wie auch alle anderen Sphaera-Traktate.Footnote 36 Zwar hatte schon 1587 ein anonymer Mitarbeiter der römischen Indexkongregation in einer handschriftlichen Liste zu expurgierender libri mathematici auch die Sphaera-Traktate der ketzerischen Autoren Peucer, Schreckenfuchs, Theodoricus, Antonio Bruccioli (c. 1498–1566) und Melanchthon vermerkt.Footnote 37 Eine solche Expurgation erfolgte in Rom jedoch nicht.

Eine deutliche Erweiterung der Liste verbotener Sphaera-Traktate bezeugen hingegen die spanischen und portugiesischen Indices. Nach dem Quiroga-Index von 1583 finden sich Mauros Annotationi in den spanischen Indices von 1612, 1632 und 1640, die von den spanischen Generalinquisitoren Bernardo de Sandoval y Rojas (1546–1618), Antonio Zapata (1550–1635) und Antonio Sotomayor (1548–1648) herausgegeben wurden, sowie im portugiesischen Index, den Generalinquisitor Fernando Martins Mascarenhas (1548–1628) 1624 besorgte (Sandoval y Rojas 1612: 77; Mascarenhas 1624: 158; Zapata 1632: 763; Sotomayor 1667: 795).Footnote 38

1612 wurde zudem erstmals eine bibliographische Angabe aus der erweiterten Fassung von Conrad Gessners (1516–1565) Bibliotheca (1583) zensiert:Footnote 39 Dort wird auf die bereits erwähnte Wittenberger Ausgabe der Sphaera sowie von Sacroboscos Computus ecclesiasticus hingewiesen, der ebenfalls mit einem Vorwort Melanchthons versehen war (Knobloch & Reich 2004; Rosen 1974). Diese Stelle musste aus Gessners Werk gestrichen werden. Eine solche Edition von 1563, die beide genannten Texte Sacroboscos enthielt, wurde jedoch erst 1624 im portugiesischen Index inspiziert und expurgiert.Footnote 40 Die dort zu lesenden Anweisungen lauten: Melanchthons Name sei in seinen Vorworten zur Sphaera und zum Computus zu entfernen. In jener kalendarischen Schrift, die 1538 erstmals in Wittenberg zusammen mit der astronomischen Schrift gedruckt wurde, musste sogar ein Passus gestrichen werden, da sich dieser mit den sogenannten „ägyptischen Tagen“ beschäftigte, einer astrologischen Theorie besonders unglücksaffiner Tage, die schon von Kirchenvätern als heidnischer Aberglaube kritisiert worden war (Skemer 2010; Harmening 1979: 165). Zudem bemerkte der Zensor, dass die Sphaera-Bände regelrechte Kompendien darstellten und etwa auch ein Sphaera-Traktat Giovanni Pietro Pierio Valerianos (1477–1558) und ein knapper Traktat über Sonnen- und Mondfinsternisse enthielt, der dem antiken Philosophen Proklos (412–485) zugeschrieben wurde.Footnote 41 Letzterer Traktat solle gänzlich expurgiert werden. Zwar werden die Gründe hierfür nicht genannt, doch vermutlich motivierte der astrologische Ansatz der knappen Schrift diese Maßnahme (Siorvanes 2014: 49). Zudem zeigt sich hieran implizit, dass nicht nur Wittenberger Auflagen dieser Sphaera-Bände begutachtet wurden, da Sacroboscos Sphaera zusammen mit seinem Computus, Valerianos Compendium und Proklos’ Traktat ledigleich 1573 in Antwerpen verlegt wurde, dort jedoch Melanchthons Vorwort zum Computus wiederum fehlte.Footnote 42 Die Zensuren betrafen also eine nicht genau bestimmte Kombination verschiedener Sphaera-Bände und nicht eine einzige Ausgabe, geschweige denn die genannte aus Wittenberg von 1563.

1624 wurden zusätzlich noch zwei weitere Sphaera-Traktate expurgiert, die zwar beide nicht direkt auf Sacroboscos Sphaera zurückgreifen, dieser aber in Thematik und Aufbau gleichen: Pedro de la Hera y de la Varras Reportorio del mundo particular de las Spheras del Cielo y Orbes elementales (1584) und George Buchanans (1506–1582) Lehrgedicht Sphaera (1587) (Mascarenhas 1624: 274, 596; Buchanan 1587; Hera y de la Varra 1584). Die Zensur Buchanans ist klar durch dessen konfessionelle Angehörigkeit zu erklären, war der Schotte ja schon 1537 wegen Ketzerei verurteilt worden. Daher sollte auch sein Name auf der Titelseite um rühmende Prädikate gekürzt und um den Zusatz „verurteilter Autor“ erweitert werden. Zudem war ein Teil des Vorwortes wegen der Nennung anderer in Ungnade Gefallener zu kürzen sowie drei Widmungsgedichte zu entfernen, die von den Häretikern Johannes Pincier d. J. (1521–1591), John Johnson (1500–1594) und Rudolf Goclenius d. Ä. (1547–1628) verfasst worden waren. Varras Reportorio wiederum musste wegen bestimmter Aspekte vorhersagender Astrologie expurgiert werden, wie ausdrücklich unter Berufung auf die Vorschriften des sixtinischen Indexes (1590) erklärt wurde.Footnote 43 Varras und Buchanans Werke wurden jedoch nach der eher geringfügigen Korrektur freigegeben.

In den spanischen Indices von Zapata (1632) und Sotomayor (1640) wurden die genannten Expurgationen von 1624 übernommen (Zapata 1632: 105–106, 407, 693, 763; Sotomayor 1667: 115, 433, 723, 795). 1632 wurde auch Schreckenfuchs’ Sphaera wieder aufgeführt, jedoch anders als 1571 im Index aus Antwerpen bis zur ausstehenden Expurgation verboten (Zapata 1632: 345). Auch Peucers astronomische Werke wurden pauschal unter der Bedingung einer nicht explizierten Expurgation freigegeben (Zapata 1632: 169). 1640 wurde zumindest Schreckenfuchs Werk nicht mehr aufgeführt (Sotomayor 1667: 366). Dafür tauchten nun Sphaera-Traktate deutscher protestantischer Autoren wie Nikolaus Selnecker (1532–1592), Jakob Ziegler (1470–1549), Hartmann Beyer und Wilhelm Adolf Scribonius (1550–1600) auf (Sotomayor 1667: 6, 479, 546, 805).Footnote 44 Die astronomischen Werke dieser Autoren wurden zwar genehmigt, allerdings mit der Auflage stets im Buch zu vermerken, dass es sich bei ihren Verfassern um „auctores damnati“ handelte. Die iberischen Zensurbeamten kannten also eine umfassende Menge der Sphaera-Traktate des 16. Jahrhunderts, insbesondere aus deutschen Gebieten. Anders als vielleicht zu erwarten, schütteten sie jedoch nicht das Kind mit dem Bade aus: Mochten die Autoren auch Ketzer sein, ihre weltlichen Schriften waren hilfreich und durften, nach Anwendung etwaiger Expurgationen, auch von Katholiken gelesen werden.

Die censura praevia und licentiae

Die bisher beschriebenen Fälle schildern die Zensur gewissermaßen aus der Top-down-Perspektive der Zensoren. Doch inwieweit wurden die Vorschriften umgesetzt? Wie betraf die Zensurpolitik der katholischen Behörden die Besitzer, Leser und Autoren der Bücher? Auch hierzu lassen sich am Fallbeispiel der Sphaera-Traktate einige Beobachtungen anführen, die zwar nicht zu verallgemeinern sind, jedoch ein recht breites Spektrum des möglichen Einflusses der Zensur kartieren.

Für die Autoren und mitunter Verleger der Sphaera-Traktate waren die Bestimmungen der Zensur durchaus relevant, insofern die Bände vor dem Druck durch die Inquisition oder den „Magister Sacri Palatii“ auf Unbedenklichkeit hin zu prüfen waren (Nuovo 2015: 237–244). Es sind jedoch keine Dokumente bekannt, die diese Praxis speziell für Sphaera-Traktate belegen.Footnote 45 Und auch nur in einer relativ geringen Anzahl der Sphaera-Drucke ist zu Beginn oder Ende der Bände eine inhaltliche Approbation mit abgedruckt, die eine präventive Inspektion durch ein Zensurorgan impliziert.

Bei den 17 identifizierten Fällen solcher Vorabzensuren (censurae praeviae), die im Anhang dieses Aufsatzes tabellarisch zusammengestellt sind (Tab. 3), scheinen mehrere Beobachtungen erwähnenswert: Der Publikation von Christoph Clavius’ (1538–1612) Sphaera-Kommentar (1570) ging eine interne Zensur voraus, wie dies für jede jesuitische Publikation erforderlich war (Baldini 1985; Lattis 1989: 64–65).Footnote 46 Doch nur in acht der 22 Clavius-Ausgaben ist eine ausdrückliche Genehmigung eines Zensors abgedruckt worden.Footnote 47 Nimmt man die Clavius-Ausgaben aus, ist von den verbleibenden neun vorab zensierten Sphaera-Drucken nur eine einzige lateinische dabei.Footnote 48 Einer Vorabzensur wurden also vor allem volkssprachige Sphaera-Traktate unterzogen (Crowther et al. 2015). Regional dominiert der iberische Raum (sechs Drucke), gefolgt von italienischen Städten (drei Drucke). In Frankreich, den Niederlanden oder deutschsprachigen Gebieten, so der Umkehrschluss, griffen die katholischen Bestimmungen der censura praevia somit nicht, da diese ja außerhalb der Jurisdiktion von römischer oder iberischer Inquisition lagen. Betrachtet man die Autoren der untersuchten Druckgenehmigungen, sind diese in der Regel Mitarbeiter der Inquisition, in manchen Fällen jedoch auch Professoren der Astrologie oder der Mathematik.Footnote 49

Auch die Besitzer von Bibliotheken in Italien waren von der römischen Zensurpolitik betroffen: Zur Kontrolle der Bibliotheken und der Erweiterung des Indexes sah die römische Inquisition vor, einen census aller Buchbestände zu erstellen. Insbesondere die religiösen Orden in Italien kamen diesem Auftrag nach und verfassten zunächst Listen von solchen Büchern, die oder deren Autoren bereits auf einem Index standen (Bruni 2013). Um zensierte Bücher jedoch weiterhin legitim besitzen und lesen zu können, bedurfte es eines förmlichen Antrags sowie ausdrücklicher Genehmigungen durch die römische Inquisition, die sogenannte licentiae erteilte. Diese Lizenzen wurden meist in Form von Listen für suspekte oder verbotene Titel in einem Bibliotheksbestand ausgestellt. Erhaltene Exemplare solcher Antrags- oder Genehmigungslisten aus dem 16. Jahrhundert zeigen, dass vielfach Sphaera-Traktate aufgeführt wurden, welche die Inquisition als „gefährlich“ oder „verboten“ einstufte.

Auf einer solchen zwischen 1560 und 1580 entstandenen Liste, mit der Ortensio Albertoni die licentiae für die verbotenen astrologisch-astronomischen Schriften in der Bibliothek seines Vaters Giovanni anfragte, taucht etwa eine Sphaera Sacroboscos auf, die zusammen mit einer Ephemeride für das Jahr 1532 des Astrologen Luca Gauricos (1476–1558) in einem Band gebunden war (CCMS III, 2610).Footnote 50 Auf einer anderen Liste von 1596, die eine Leseerlaubnis für die verdächtigen Bücher im Besitz von Guido Cavalcanti beantragt, finden sich Mauros Annotationi sowie ein umfangreicher, auch astrologisch ausgerichteter Kommentar zur Sphaera aus der Feder des Theologen Francesco Giuntini (1523–1590) (CCMS III, 2692).Footnote 51 1598 wurden der römischen Bibliothek des Oratoriums der Kirche Santa Maria in Vallicella wiederum gleich eine ganze Reihe von Lizenzen für Sphaera-Bände erteilt, darunter in Venedig, Wittenberg und Paris gedruckte Ausgaben mit Melanchthons Vorwort sowie Pietro Catenas (1501–1577) Sphaera (1561) (CCMS III, 2723).Footnote 52 Diese Dokumente der römischen Inquisition geben also Zeugnis davon, dass die Buchbestände kritisch erfasst wurden sowie ihre Besitzer achtsam Lese- und Besitzerlaubnisse einholten; inter alia betraf dies auch Sphaera-Bände.

Wie sich einzelne Leser gegenüber den Vorgaben des spanischen Indexes verhielten, lässt sich schwerer rekonstruieren, doch auch hier findet sich zumindest ein Beispiel, das die Sphaera-Tradition berücksichtigt. In Reaktion auf den spanischen Index von 1583, der Schriften bekannter Häretiker verbot, versuchte 1585 Jerónimo de Guzmán gegenüber der Inquisition unter anderem die Freigabe eines Sphaera-Traktats des Protestanten Victorinus Strigel (1524–1569) (Epitome doctrinae de primo motu) zu erwirken, dessen Werke ohne Genehmigung nicht gelesen werden durften (Pardo Tomás 1991: 285). Er berief sich hierbei auf die dritte der tridentinischen Indexregeln, die besagte, dass Übersetzungen von Ketzern, die nicht das Thema „Religion“ betreffen, durchaus genehmigt werden können. Zwar handelte es sich bei Strigels Werk nicht um eine Übersetzung, aber um eine Schrift ohne theologische Relevanz. Doch es scheint, dass Guzmáns Gesuch insofern unerhört blieb, als dass das genannte Werke Strigels im folgenden Index von 1612 weiterhin verboten war (Sandoval y Rojas 1612: 98, 735).Footnote 53

Expurgationen in Sphaera-Drucken

Doch auch wenn ein Buch einmal gedruckt und in Umlauf war, endete die eingreifende Zensur nicht. Inwieweit sämtliche von den Indices geforderten Expurgationen in den Sphaera-Bänden tatsächlich umgesetzt wurden, lässt sicht nicht sagen. Ein vergleichsweise gut dokumentiertes Beispiel der Expurgationspraxis ist jedoch die bereits mehrfach erwähnte Wittenberger Sphaera-Edition von 1531, die offenbar im Kreis um Philipp Melanchthon erstellt wurde und dessen Widmungsschreiben an Simon Grynaeus (1493–1541) enthält, in dem er den Nutzen der Astrologie für die christliche Lehre hervorhebt (Pantin 1987; Lalla 2003; Knobloch & Reich 2004; Melanchthon 2003: 163–171). Bereits ein Jahr nach Erscheinen dieser Ausgabe wurde sie in Venedig von Melchior Sessa († c. 1565) nachgedruckt.Footnote 54 Melanchthon selbst hatte Venedig zwar nicht bereist, erfreute sich aber in manchen italienischen Kreisen, vermutlich auch im liberalen Venedig, einer gewissen Anerkennung (Rhein 1996; Caponetto 2000). Dies spiegelt sich auch darin wider, dass andere Bände mit Beteiligung Melanchthons im Laufe der 1530er Jahre in Venedig von Sessa gedruckt wurden.Footnote 55 Der Kontaktpunkt zwischen Wittenberg und Venedig, das heißt, die Antwort auf die Frage, wie Sessa an die Wittenberger Ausgaben gelangte, bleibt jedoch offen. Dass sie auf ihrem Weg südlich über die Alpen in katholische Gebiete der Inquisition umso leichter in die Hände fallen dürfte, scheint hingegen naheliegend.

Schon Isabelle Pantin hat argumentiert, Melanchthons Astrologievorwort sei „probablement moins remarquable par sa teneur même que par le destin qu’elle a connu“ (Pantin 1987: 85). Wesentliche Etappen haben Pantin und andere bereits herausgearbeitet: Zwischen 1531 und 1629 sind über 60 Drucke zu identifizieren, die Melanchthons Brief enthalten. Er wurde mitunter auf 1540 umdatiert, gekürzt, anonymisiert und sogar übersetzt. Man findet ihn in Sphaera-Sammelbänden aus Druckerpressen in Wittenberg, Paris, Köln, Antwerpen, Lyon und Venedig, die nicht nur klassische Werke oder Ausschnitte zur Astronomie enthalten, sondern auch Valerianos Compendium sowie Sphaera-Kommentare von Élie Vinet und Francesco Giuntini. Der katholische Kölner Theologe Albertus Hero (1549–1589) kombinierte den Brief, allerdings in anonymer Form, sogar mit Auszügen aus Christoph Clavius’ Kommentar.

Die Forschung hat ebenfalls schon herausgestellt, dass sich viele Ausgaben finden, in denen der Brief oder Melanchthons Name nachträglich entfernt wurde (Oosterhoff 2015: 20–21; Gingerich 1988: 270; Pantin 1987: 95; Crowther et al. 2015: 10). Diese Praxis, die zahlreich vorhandenen Briefe oder Vorworte Melanchthons aus solchen Schriften, die ihrem Gegenstand nach die Theologie nicht betreffen, herauszulösen beziehungsweise Melanchthons Namen zu streichen, wurde bereits im Index von Portugal (1561) gefordert, der vom zukünftigen Sekretär der tridentinischen Indexkommission, Francisco Foreiro (1523–1581), erstellt wurde (ILI IV, 1000).Footnote 56 Auch die Arbeit der römischen Indexkongregation belegt diese Praxis in vielen Anweisungen (CCMS II, 1411; III, 2334, 2336, 2338–9). In der Mehrzahl der Ausgaben wurde der Brief nicht entfernt, sondern verschiedene seiner paratextuellen Bestandteile geschwärzt, etwa die Namen „Melanchthon“ und „Grynaeus“ sowie der Ortsname „Wittenberg“.Footnote 57 Diese Ergebnisse der Expurgation finden sich auch in Exemplaren aus den Beständen von Klöstern und katholischen Kollegien – die sehr wohl ihre Melanchthon-Ausgabe besaßen, dessen Namen aber entfernten.Footnote 58

Doch Melanchthon und Grynaeus waren nicht die einzigen Ziele katholischer Expurgationen. Richard J. Oosterhoff hat etwa darauf hingewiesen, dass in einem Sphaera-Band aus der Huntington Library der Name des mittelalterlichen Philosophen, Kosmologen und Klerikers Pierre d’Aillys (1350–1420) sorgfältig aus dem kompletten Exemplar entfernt wurde (Oosterhoff 2015: 21).Footnote 59 Oosterhoff schließt zu Recht, „censorship mostly extends only to names, not text itself“. Auch Melanchthons Vorwort war nicht etwa problematisch, weil es von Astrologie im Dienste der christlichen Lehre handelte, sondern weil es von einem Ketzer verfasst worden war. Diese nicht-inhaltlichen Zensurspuren sind jedoch deshalb nicht weniger interessant und aussagekräftig. Sucht man etwa nach anderen geschwärzten Personennamen, mag es wenig überraschen, dass der von Desiderius Erasmus mehrfach unleserlich gemacht worden war.Footnote 60 Etwas überraschender ist es hingegen, dass Giuntinis Name von einer Titelseite entfernt wurde, da seine Werke nie auf den Index gesetzt wurden. Allerdings ist sein Sphaera-Kommentar auf der Liste verdächtiger Titel im Besitz von Guido Cavalcanti zu finden, und die Inquisition prozessierte mehrfach gegen den Astrologen.Footnote 61

In Francesco Barozzis (1537–1604) Vorwort zu seiner Cosmographia (1585) wiederum schwärzte ein Zensor eindringlich den Namen eines gewissen Menelaos (Barozzi 1585: B5v).Footnote 62 Zwar meint Barrozzi hiermit zweifelsohne den hellenistischen Mathematiker (c. 45–c. 110) mit diesem Namen, dessen Werk Sphaerica durchaus bekannt war. Doch vermutlich dachte der Zensor seinerseits an den gleichnamigen, fehlgeleiteten Hohepriester der Diadochenzeit, der im Alten Testament erwähnt wird (Dowden 1999). Diese Expurgation ist aus zwei Gründen interessant. Zum einen ließ der Zensor die Namen von notorischen Ketzern wie Schreckenfuchs, Erasmus Reinhold und Sebastian Münster, die in Barozzis Forschungsüberblick genannt werden, unbeanstandet stehen. Zum anderen zeigt sich bereits in der zweiten, von Barozzi selbst durchgesehenen Auflage, dass die Menelaos-Schwärzung durchaus nicht die Tat eines einzelnen verwirrten Zensors war, sondern als systematisch durchgeführt betrachtet werden kann, da nun im gedruckten Vorwort der Name Menelaos schlicht ausgelassen, das heißt, gar nicht mehr mitgedruckt wurde (Barozzi 1589).Footnote 63 In der italienischen Übersetzung des Werkes, das erstmals auch ausdrücklich von der Inquisition geprüft wurde, fehlte dann nicht nur der alttestamentarische Priester, es fehlten auch auch die Protestanten Schreckenfuchs, Reinhold und Münster (Barozzi 1607).Footnote 64

Ergebnisse für die frühneuzeitliche Zensur- und Astronomiegeschichte

Barozzi erwähnte in seinem Vorwort auch Nikolaus Kopernikus’ Namen und seine heliozentrische Theorie. Doch dieser Name und diese Theorie wurden weder 1585, 1598 noch 1607 expurgiert.Footnote 65 Kopernikus stand nämlich nicht auf der Liste bekannter Ketzer, wenngleich seine astronomische Theorie unter bestimmten Umständen nach 1616 als Häresie angesehen wurde. Angesichts des confessional profiling, mit dem die katholischen Zensoren die publizistischen Leistungen protestantischer Autoren und Verleger durchkämmten, lässt sich durchaus von einer Zensur nach dem Prinzip ad hominem sprechen, einer Zensur, die sich nicht vorrangig auf Theorien bezog, sondern auf biographische Aspekte der Autoren (Sander & Casalini 2017: 27–28). Diese Doktrin darf jedoch nicht vorschnell als Pauschalzensur bewertet werden, denn bei genauerer Betrachtung ergibt sich ein deutlich differenzierteres Bild, das die historische Zensurforschung in vielen Zusammenhängen bereits herausgearbeitet hat: Die Werke der Protestanten, so lange sie nicht theologischen Inhaltes waren, durften nämlich sehr wohl von Katholiken gelesen werden. Lediglich marginale Änderungen, wenn überhaupt, mussten die Bände erdulden. Gleichzeitig stammte der Sphaera-Traktat, der am häufigsten in den katholischen Indices genannt war, ausgerechnet aus der Feder eines Katholiken: Mauro da Firenze. Diese Zensur war hingegen klar inhaltlich, nicht biographisch motiviert, vertrat Mauro ja in seinen Annotationi durchaus streitbare theologische Positionen. Und zudem spiegelt die diskontinuierliche und heterogene Liste zensierter Sphaera-Traktate auch wider, dass die katholische Zensur keineswegs monolithisch und unwidersprüchlich arbeitete, sondern sich zwischen den einzelnen Ausgaben des Indexes durchaus Spannungen beobachten lassen.Footnote 66

Diese Ergebnisse informieren in erster Linie über Praxis und Rationalität der Zensur. Darüber hinaus lassen sich jedoch auch Erkenntnisse über Dynamiken der Sphaera-Tradition festhalten. Das Repertoire insbesondere der in Frankfurt und Wittenberg gedruckten Sphaera-Bände, die in den italienischen, aber vor allem in den iberischen Indices auftauchen, gibt beispielsweise Aufschluss darüber, wie weit der Arm der Zensoren reichte, beziehungsweise wie die protestantischen Druckwerke auch überregional in erzkatholischen Gebieten bezogen werden konnten (Godman 2000: 168). Dieses Netzwerk der Verbreitung einzelner Ausgaben spiegelt sich auch in der Verbreitung der Inhalte dieser Ausgaben wider. Wenn etwa die Wittenberger Edition von 1531 bereits ein Jahr später in Venedig nachgedruckt wurde, bezeugt dies Dynamiken des Buchmarktes, die nötig waren, um erfolgversprechende Editionen wieder und wieder an unterschiedlichen Orten zu verlegen. Während die Karte dieser publizistischen Landschaft der Sphaera-Tradition noch zu zeichnen ist, vermittelt die Praxis der Zensoren durchaus eine Vorstellung ihrer Konturen.

Aus dieser Perspektive stellt sich zudem die Frage, inwieweit die Zensur Produktion und Rezeption der Sphaera-Werke beeinflusst hat. Deutlich ist jedenfalls, dass die Zensur die Lektüre der Traktate protestantischer Werke nur im Ausnahmefall für Katholiken unmöglich gemacht haben dürfte. Erhaltene Expurgationen zeigen zudem, dass kaum von einer Verstümmelung der Bände zu sprechen ist, sondern höchsten von minimalen, präzisen Eingriffen. Das vermeintlich deutlichste Opfer der Zensur, Melanchthons Vorwort, wurde zwar oft entfernt, aber die Ausgaben, die den Namen des Reformators gar nicht erst nannten, blieben hiervon verschont.

Die These, dass die Zensur astrologischer Inhalte in den Sphaera-Werken großen Einfluss auf die Astrologie als Ganzes gehabt hätte, lässt sich jedoch allein am Beispiel von Melanchthons Vorwort schwer belegen. Melanchthons Vorwort konnte, der Sache nach nicht im Geringsten verändert, dann problemlos gedruckt werden, wenn sein Name ausgelassen wurde. So klingen auch in anderen, ausdrücklich von der Inquisition untersuchten und genehmigten Werken durchaus apologetische Töne in Bezug auf die Astrologie an, etwa in Vorworten und Einführungen zu Ginés Rocamora y Torranos (†1612) Sphera del universo (1599) oder Luis de Mirandas Exposicion de la Esfera (1629) (Rocamora y Torrano 1599: 6v–12v; Giuntini et al. 1629: prol.).Footnote 67 Zwar geht es in diesen Texten nicht ausdrücklich um juridische Aspekte der Astrologie, doch ist ein solcher Schwerpunkt auch in den zensierten oder expurgierten Stellen, die die Astrologie betreffen, nicht immer deutlich erkennbar: Weder Proklos’ Traktat über Sonnen- und Mondfinsternisse, Sacroboscos Erwähnung der dies aegyptiaci in seinem Computus, noch Ausführungen zu den Kometen in Pedro de la Hera y de la Varras Reportorio können als Manifeste der divinatorischen Künste gelten. Die Zensur dieser Themen lässt sich in den Sphaera-Traktaten somit zwar punktuell finden, systematisch auf diese Themen hin untersucht und expurgiert wurden sie jedoch nicht. Das wiederum bedeutet nicht, dass die schwindende Relevanz dieser Themen nicht auch durch die Praxis der Inquisition bedingt wurde, aber die Zensur innerhalb der Sphaera-Tradition bestätigt einen solchen Befund eben nur bedingt (Hirai & Vermij 2017). Vielmehr scheint eine vorläufige Analyse des Corpus der zahlreichen Sphaera-Traktate nahezulegen, dass die Thematik in diesem Publikationskontext aus noch zu eruierenden Gründen ohnehin eher an Boden verlor.

Evaluiert man diese Ergebnisse vor dem Hintergrund der in der Einleitung aufgegriffenen Gegenüberstellung der Thesen Woottons und Lüthys, lässt sich beiden Ansichten etwas abgewinnen. Die konzeptuellen und methodischen Entwicklungen, die sich auch in den Sphaera-Traktaten abzeichnen, sind von der Zensur, und damit vom Einfluss der Religion, letztlich nicht direkt betroffen. Die zensierten Inhalte beziehen sich also nicht auf die Aspekte der Astronomie, die für die Entstehung der modernen Wissenschaften als maßgeblich betrachtet werden. Insofern ließe sich sagen, die Zensur hatte kaum Einfluss auf die Generierung des Wissens in der Sphaera-Tradition. Diese Einsicht ist jedoch auch in Lüthys Sinne zu interpretieren: Der publizistische Erfolg der Sphaera-Traktate war möglicherweise genau der Tatsache zu verdanken, dass die Inhalte dieser Schriften in konfessioneller Hinsicht unbedenklich waren. Natürlich wäre es anachronistisch, diesen Aspekt dem Autor Johannes de Sacrobosco anzurechnen. Doch die vielen Editoren und Kommentatoren des 16. und 17. Jahrhunderts hatten in diesem mittelalterlichen Werk offenbar eine Grundlage gefunden, aktualisiertes kosmologisches und astronomisches Wissen zu publizieren, das dem entsprechen mochte, was Lüthy als „aseptic science and the culture of observational and experimental facts“ versteht. Gerade die vielen Tabellen und instrumentenbezogenen Inhalte der Sphaera-Traktate sprachen genau diese überkonfessionelle Sprache, in der sie von Autoren beziehungsweise Lesern über die Grenzen der Konfessionen hinweg verfasst beziehungsweise gelesen wurden.Footnote 68