Zusammenfassung
Die Thematisierung von Macht führt ins Zentrum des modernen Erziehungsverständnisses. Dass der Mensch nur Mensch werden könne durch Erziehung, dass er ohne Erziehung nur ein bloßes Rädchen im undurchschauten Getriebe der Welt bleiben müsse, bedeutet, dass der Mensch sein Schicksal im positiven wie negativen Sinne selbst in der Hand hat. Es bedeutet die Notwendigkeit, es in die Hand, d.h. aber gegenüber Kindern: es in die pädagogische Verantwortung zu nehmen. Die tiefe Ambivalenz menschlicher Daseinsmöglichkeiten sollte so hin auf eine Selbstbestimmung des Vernunftwesens Mensch überwunden werden. Die Befreiung von gesellschaftlicher Bevormundung und vom Diktat der eigenen Leidenschaften sollte das Werk des Pädagogen sein. Dazu aber bedurfte es der Macht über den erforschten und zu kontrollierenden Lern- und Entwicklungsprozess des Kindes. Diese Macht des Erziehers musste gegen Staat und Kirche, gegen ‚gesellschaftliche Mächte‘, sogar gegen die Unvernunft ‚erziehungsunfähiger‘ Eltern durchgesetzt werden. Eine Chance hatte diese Perspektive allerdings nur durch ihre eigene Neutralisierung als Machtanspruch. Pädagogik musste sich legitimieren über die Akzeptanz einer ‚Natur des Kindes‘, seiner ‚Selbstverwirklichungsmöglichkeiten‘, als Anwalt einer ungestörten Entwicklung, der Rechte des Kindes usw. Solche Legitimationen waren und sind jedoch nichts anderes als Rechtfertigungen eines als ‚pädagogisch vernünftig‘ qualifizierten Machtanspruches. Die pädagogische Macht ist die,reine‘ Macht gegenüber jenen ‚unreinen‘ Machtansprüchen, die das Kind ‚fremden Einflüssen und Interessen‘ unterwerfen wollen.
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Schäfer, A. (2004). Macht — ein pädagogischer Grundbegriff? Überlegungen im Anschluss an die genealogischen Betrachtungen Foucaults. In: Ricken, N., Rieger-Ladich, M. (eds) Michel Foucault: Pädagogische Lektüren. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85159-8_8
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