Advance Care Planning (ACP) als systematischer Prozess zur Identifikation und Dokumentation von Behandlungswünschen mit dem Ziel einer gesundheitlichen Versorgungsplanung gewinnt aufgrund der gesetzlichen Verankerung seit 2015 zunehmend an Bedeutung. In Bezug auf die vulnerable Gruppe der Menschen mit Demenz besteht hier ein Desiderat in der (empirischen) Studienlage. Vor diesem Hintergrund widmet sich Henrike Voß in ihrer an der Universität Heidelberg angenommenen Dissertationsschrift der Frage, inwiefern sich eine gesundheitliche Vorausplanung mit Menschen mit Demenz durchführen lässt, und erweitert diese Frage um die Perspektive der Lebensbindung. Zu diesem Zweck hat die Autorin Menschen mit Demenz interviewt und dabei eine modifizierte Form der ACP-spezifischen Wertanamnese verwendet, um die theoretische Perspektive der Lebensbindung für das Konzept ACP fruchtbar zu machen. Lebensbindungstheorien ergründen aus gerontologischer und psychologischer Perspektive, welche Aspekte Menschen in ihrem gegenwärtigen Leben als bedeutsam und lebenswert erachten.

Die ersten drei Kapitel dienen der Einführung in die Thematik der Arbeit und der Entfaltung des theoretischen Rahmens. Dafür gibt Voß zunächst einen Überblick zur Thematik der Lebensbindung bei Menschen mit Demenz im Kontext gesundheitlicher Versorgungsplanung und führt anschließend in demenzielle Erkrankung ein. Dazu benennt sie neben klinischen Aspekten auch phänomenologische Aspekte des Leibgedächtnisses, die Innenperspektive von Menschen mit Demenz und eine grundlegende Vorstellung des person-zentrierten Ansatzes nach Tom Kitwood. Die Darstellung fällt ausgesprochen eingehend aus, allerdings behindert die hohe Zitatdichte mitunter den Lesefluss. Im Anschluss führt Voß in das für die Arbeit zentrale Konzept der Lebensbindung ein, indem sie vier theoretische Ausprägungen vorstellt und diese im Anschluss auf demenzielle Erkrankungen anwendet. In Kapitel 4 werden die vorgestellten Theorien auf ACP bezogen, das vor diesem Hintergrund erklärt und in Bezug auf Patientenverfügungen, Einwilligungsfähigkeit und Demenz kontextualisiert wird.

Im fünften Kapitel beginnt der empirische Teil der Arbeit. In einer Pilotstudie wurde mithilfe von Expertengesprächen zunächst der ACP-Fragebogen zur Wertanamnese für Menschen mit Demenz modifiziert. Die Ergebnisse stellt Voß sehr detailliert und transparent dar, bevor sie den Fragebogen in einem Pretest mit älteren Personen ohne demenzielle Erkrankung erprobt. Kapitel 6 ist schließlich der Hauptstudie gewidmet: der Befragung von zwölf Menschen mit Demenz. Hierfür erläutert Voß zunächst das Forschungsdesign, beschreibt die einzelnen Interviewteilnehmenden und reflektiert ihre Rolle als Forschende. Als Ergebnis beschreibt Voß, welchen Einfluss die demenzielle Erkrankung der Interviewteilnehmenden auf deren Lebensbindung hat, indem sie das Datenmaterial auf fördernde und hemmende Aspekte von Lebensbindung untersucht. Diese Aspekte unterteilt sie jeweils in inneres Erleben von Lebensbindung und Erleben von Lebensbindung in Beziehung zu außen. Auf diese Weise identifiziert sie als fördernde Faktoren für Lebensbindung beispielsweise Selbstwirksamkeit und Lebensfreude als Aspekte von Lebensbindung auf Ebene des inneren Erlebens und das Empfinden von Dankbarkeit für Unterstützung auf Ebene der Beziehung zu außen. Demgegenüber werden als hemmende Faktoren für Lebensbindung beispielsweise das Nachlassen von Handlungsfähigkeit und Zukunftssorgen auf Ebene des inneren Erlebens und die Befürchtung, eine Belastung sein zu können auf Ebene der Beziehung zu außen bestimmt.

Die Ergebnisse der Hauptstudie führt die Autorin in Kapitel 7 mit den theoretischen Vorüberlegungen zu ACP und Demenz zusammen, indem sie drei Fallbeispiele aus ihrem Datenmaterial vorstellt und diese mit Blick auf das individuelle Bewusstsein für die vorliegende Demenzerkrankung beschreibt und einen Abgleich mit den zuvor behandelten Lebensbindungstheorien vornimmt. Das Kapitel schließt mit Überlegungen zur konzeptionellen und prozessualen Weiterentwicklung von ACP und diskutiert diese im Kontext bestehender Forschungsdiskurse. Dabei wird ein Fokus auf die Qualifikation von ACP-Gesprächsbegleitenden gelegt, die aus Voß’ Sicht mehr Informationen zu demenziellen Erkrankungen beinhalten sollte. Weiterhin sollten die Ausrichtung des Konzepts ACP selbst sowie eine angemessene Berücksichtigung persönlicher Netzwerke mehr Aufmerksamkeit erfahren. Kapitel 8 enthält eine dichte Zusammenfassung der Arbeit und eine Reflexion methodischer Limitationen. Im abschließenden Ausblick zeigt Voß zukünftige Forschungsbereiche und Weiterentwicklungspotenziale auf, wie beispielsweise die Entwicklung von Handreichungen für die Anwendung von ACP bei Menschen mit Demenz.

Henrike Voß hat mit ihrer außerordentlich umfangreichen Studie einen blinden Fleck in der Anwendung von ACP bei Menschen mit Demenz identifiziert und sich der Bearbeitung dieser Leerstelle vor dem Hintergrund von Theorien der Lebensbindung gewidmet. Sie liefert damit einen wichtigen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs und zur Weiterentwicklung der ACP-Praxis. Zudem unterstreicht die Arbeit die Notwendigkeit, auch Menschen mit Demenz aktiv in empirische Studien einzubeziehen und die hierfür notwendigen Bedingungen zu schaffen. Dies könnte sich auch als sinnvoll erweisen, um konkrete Verständnisse bestimmter Werte, Begriffe und ihrer Bedeutung für Menschen mit Demenz aus ihrer individuellen Perspektive weiter zu eruieren. Das Buch ist nicht nur für Medizinethiker:innen und (außer‑)klinisch tätige Personen interessant, die sich mit Menschen mit Demenz, demenziellen Erkrankungen und/oder ACP beschäftigen, sondern auch für Gesundheits- und Sozialwissenschaftler:innen, die an der Forschung mit vulnerablen Personengruppen interessiert sind.