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Publicly Available Published by De Gruyter (A) September 9, 2018

Kimberly B. Stratton – Dayna S. Kalleres (Hgg.), Daughters of Hecate. Women and Magic in the Ancient World, Oxford – New York (Oxford UP) 2014, XV, 533 S., ISBN 978-0-19-534271-0 (brosch.) £ 27,99

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Stratton Kimberly B. Kalleres Dayna S. Daughters of Hecate. Women and Magic in the Ancient World (Oxford UP) Oxford – New York 978-0-19-534271-0 (brosch.) £ 27,99 1 533 2014


Im vorliegenden Sammelband „Daughters of Hecate. Women and Magic in the Ancient World“ sind fünfzehn Beiträge kanadischer und US-amerikanischer Gelehrter zusammengestellt. Untersucht wird in interdisziplinärer Herangehensweise die Geschichte eines Geschlechterstereotyps, welches nach Meinung der Herausgeberinnen noch die Hexenjagden der frühen Moderne befeuert hat: die angeblich besonders enge Verbindung von Frauen und Magie in verschiedenen Mittelmeerkulturen der Antike. Zwölf Autorinnen und drei Autoren widmen sich der Frage, ob und wie antike Vorstellungen von Magie sowie Diskurse und magische Praktiken von Genderstereotypen geprägt waren, und ob sich hier womöglich eine kulturelle Universale ausmachen lässt. Sie untersuchen Zeugnisse aus den Kulturen Griechenlands, Roms und des antiken Judentums. Die behandelte Zeitspanne reicht von der klassischen Zeit der Griechen bis in die christliche Spätantike. Die Herausgeberinnen haben sich entschlossen, den Band nach Quellengenres zu gliedern. Drei hauptsächliche Perspektiven lassen sich ausmachen: Eine erste Gruppe von Beiträgen befasst sich mit Magie und Geschlecht in fiktionalen Texten der Antike. Im zweiten Teil des Bandes werden auf überwiegend literarischer Quellenbasis „magische Diskurse in der Praxis“ untersucht. Ein dritter Teil versammelt schließlich Beiträge, die schwerpunktmäßig nichtliterarische Quellen wie z. B. Fluchtafeln und Grabinschriften interpretieren.

Eingeführt in das Thema wird durch einen weitausholenden Beitrag von Kimberley Stratton zur Forschungsgeschichte (1–37). Ausgangsposition ist hierbei die ursprüngliche Arbeitshypothese des Gesamtprojekts, magische Praktiken und negative Verbindungen mit Magie seien kulturübergreifend vor allem dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben worden, wofür es Gründe zu finden gälte. Bereits im forschungsgeschichtlichen Abriss sieht Stratton sich gezwungen, eben diese Hypothese zu differenzieren. Sie macht fünf hauptsächliche Positionen aus, welche die Forschung der vergangenen vierzig Jahre geprägt hätten und die bis in die Gegenwart weiterwirkten: Einerseits sei nach wie vor die Meinung geläufig, einschlägige Vorwürfe gegen Frauen hätten ihre Basis in der Realität. Frauen hätten sich de facto öfter als Männer mit Magie abgegeben und dies spiegele sich in den Quellen (1). Im Gegensatz dazu steht nach Stratton eine Reihe von Wissenschaftlern, welche die Kategorie Geschlecht als unwichtig für die Interpretation historischer Magiediskurse einstufen: In diversen historischen Kontexten erweise sich nicht etwa Frauenhass, sondern wirtschaftliche Veränderung oder theologische Diskussion (z. B. über die Körperlichkeit von Dämonen) als entscheidend für den Umgang mit Magie und ihre Beurteilung (2). Eine dritte Forschungsposition versuche Magie nicht als „sex specific“ sondern als „sex related“ zu charakterisieren: Hexenjagden hätten zu gewünschter theologischer und moralischer Konformität besonders der Frauen beigetragen (3). Außerdem seien in der Gegenwart Erklärungsansätze aus Psychologie (Psychologische Projektion [4]) und Anthropologie (‚binäres Denken‘, welches Frauen als das „primal other“ begreife [5]) wichtige Erklärungsmodelle, die zur historischen Analyse des Verhältnisses von Geschlecht und Magie beitragen könnten.

In den folgenden Einzelbeiträgen wird dann das Verhältnis von Gender und Magie an einzelnen literarischen Beispielen, in spezifischen historischen Kontexten und an einzelnen Objektgruppen analysiert: Babette Stanley Spaeth untersucht in ihrem Beitrag (41–70) griechische und römische Hexen in literarischen Quellen und stellt deutliche Unterschiede zwischen beiden Kulturen fest: Griechische Hexen fänden sich eher in mythologischen Kontexten, in Rom erschienen sie hingegen als potentielle Zeitgenossen des Lesers und seien insgesamt wesentlich realistischer und abstoßender gezeichnet. Rebecca Lesses (71–107) widmet sich zaubernden Frauen in Texten der jüdischen Kultur – von der Bibel bis in die rabbinische Literatur – und stellt fest, dass geschlechtliche Zuschreibungen hier nicht einheitlich sind: Biblische Texte bezeichneten (negativ charakterisierte) Personen, die magische Praktiken vollzögen mit maskuliner Begrifflichkeit. Auch männliche Magier seien demnach vorstellbar, was sich bis in die rabbinische Literatur weiterverfolgen ließe. Misogynie sei folglich nicht die einzige Erklärungsmöglichkeit für die gelegentliche Verbindung von Frauen und Zauberei. Dieses Argument greift auch Annette Yoshiko Reed auf (108–151), wenn sie die Entwicklung der jüdischen Tradition von den gefallenen Engeln analysiert und feststellt, die Position der Frauen habe sich in diesen Erzählungen erst im Lauf der Zeit – ihrer Meinung nach wohl unter dem Einfluss griechischer Traditionen – zum Negativen verändert. Sie warnt vor Zirkelschlüssen, die durch moderne Vorannahmen befördert werden könnten. Kimberley Stratton (152–180) analysiert schließlich römische literarische Frauenbilder unter methodischen Prämissen der Körpergeschichte: Besonders instabile und veränderliche (d. h. vor allem weibliche) Körper gälten den Römern als gesellschaftlich bedrohlich, was die häufige Verbindung von Frauen mit destabilisierender Magie erkläre.

Im zweiten Teil des Bandes widmet sich Elizabeth Ann Pollard auf der Basis des Werks von Tacitus historischen Fällen von Magieprozessen in der frühen Kaiserzeit (183–218). Sie stützt sich hierbei auf anthropologische Erkenntnisse von Mary Douglas und zeigt auf, dass derartige Magieprozesse nicht eindimensional durch „Frauenhass“ erklärbar sind, sondern sich Douglas’ – in anderen kulturellen Kontexten gewonnene – Erkenntnisse gesellschaftlichen Funktion von Magie-Anklagen auch für Rom fruchtbar machen lassen: Auch dort konnten derartige Anklagen dazu beitragen, schwierige gesellschaftliche Beziehungen zwischen Einzelpersonen zu verhandeln oder soziale Hierarchien zwischen konkurrierenden Familiengruppen zu beeinflussen. In der frühen Kaiserzeit sei es vor allem darum gegangen, die nicht institutionalisierte Macht adliger oder kaiserlicher Frauen zu beschneiden. Magie-Anklagen wurden dabei durch zusätzliche stereotype Vorwürfe wie z. B. die angebliche weibliche Neigung zum Ehebruch verstärkt. Dayna S. Kalleres stellt das Fortleben derartiger römischer Geschlechterstereotypen im nachkonstantinischen christlichen Kontext in den Vordergrund (219–251). Sie zeigt auf, wie Johannes Chrysostomus Stereotypen von der betrunkenen Hexe und der Liebestränke brauenden Prostituierten in seinen Predigten benutzt, um die christliche Gemeinde vor (angeblich besonders von Frauen ausgehenden) magischen Praktiken paganer Tradition zu warnen. Einen konkreten Fall von Rufmord durch indirekte Zuschreibung magischer Praktiken im christlichen Kontext des 3. Jh.s analysiert dann Ayse Tuslak (252–273): Die Äußerungen und Wunder einer christlichen Prophetin in Kappadokien seien von männlichen christlichen Amtsträgern der Besessenheit durch einen Dämon zugeschrieben und auf diese Weise als illegitimer weiblicher Machtanspruch charakterisiert worden. Auch Nicola Denzey Lewis widmet sich einem weiblichen Einzelschicksal aus der Spätantike (274–297). Sie geht am Beispiel der neoplatonischen „Heiligen Frau“ Sosipatra (4. Jh. n. Chr.) den Problemen nach, mit denen Neoplatoniker konfrontiert waren, die nach dem Verbot paganer (auch magischer) Rituale im Jahr 392 weiterhin Theurgie betreiben wollten. Spätantike Höllenkonzepte stehen schließlich im Zentrum des Beitrags von Kirsti Barrett Copeland (298–315): Sie kann deutlich machen, dass sowohl Männer als auch Frauen in der Unterwelt des frühen Christentums Strafen für Zauberei erleiden müssen. Die ausschließlich weibliche Hexe, die in der Hölle schmort, sei erst ein Element mittelalterlicher Zeugnisse wie z. B. Dantes Inferno. Hieraus ließe sich auf zeitbedingte Entwicklungen einschlägiger Genderstereotypen schließen.

Im dritten Teil des Bandes stehen schließlich verschiedene Gruppen konkreter materieller Zeugnisse zur Magie im Vordergrund, die von den Autoren auf ihren Genderkontext befragt werden. David Frankfurter widmet sich dem Liebeszauber (319–339) und analysiert erhaltene Zaubersprüche von Frauen aus verschiedenen Kontexten: Er kommt zu dem Schluss, Liebeszauber sei von weiblicher Seite vor allem angewendet worden, um unsichere Beziehungen zu stabilisieren und soziale und wirtschaftliche Sicherheit zu erlangen. Frauen hätten versucht, auf diese Weise bessere Kontrolle über ihr von Abhängigkeiten geprägtes Leben zu erlangen. Zu grundsätzlich vergleichbaren Schlüssen kommt Pauline Ripat bei ihrer Untersuchung einiger Fluchtafeln, die sich gegen Sklavinnen und weibliche Freigelassene richten (340–364). Ob die Urheber dieser Verwünschungen tatsächlich römische Ehefrauen gewesen sind, die sich in ihrer Position bedroht sahen, lässt sich aus den Zeugnissen selbst nicht belegen, erscheint aber als denkbare Hypothese. Eine besondere Gattung von Quellen zur Magie stellt Yaakov Elman dem Leser vor, indem er aramäische „magic bowls“ aus Syrien und Mesopotamien untersucht, die für exorzistische Rituale verwendet wurden (340–364). Er stellt fest, dass sich eine aktive Beteiligung auch von Frauen an der Herstellung und rituellen Verwendung derartiger magischer Objekte zumindest nicht ausschließen lässt: Weibliche rituelle Spezialisten könnten Wissen und Funktion der Rabbis ergänzt haben. In die Welt der griechisch-römischen Grabinschriften führt schließlich wieder der sehr interessante Beitrag von Fritz Graf (386–417): Er analysiert Inschriften, in denen die Vergeltung der Götter auf Personen herabgerufen wird, die möglicherweise den unzeitigen Tod des Verstorbenen durch magische Praktiken herbeigeführt haben. Graf ordnet derartige Zeugnisse in Kontexte sozialer Unsicherheit ein: Im Kontakt mit Fremden oder Freigelassenen hätten derartige (rechtlich nicht verfolgbare) Vorwürfe besondere Konjunktur gehabt und gleichzeitig als Ventil dienen können. Jenseits literarischer Stereotypen seien jedoch tatsächlich bezeugte Magieprozesse sehr selten. In realen Fällen, so betont Graf, sei der Anteil der angeklagten Männer nur unwesentlich geringer als der der Frauen. Anne Marie Luijendijk (418–443) stellt im letzten Beitrag des Bandes die Interpretation eines einzelnen magischen Objekts aus dem 5. Jh. ins Zentrum: Sie behandelt ein christliches Heilamulett aus Oxyrhynchos und zeigt am Text auf, dass Objekte wie dieses wohl kaum auf „betrunkene alte Hexen“ zurückzuführen sind, wie christliche Kirchenväter unterstellten, sondern vielmehr häufig in christlichen Heiligtümern vom örtlichen Klerus hergestellt wurden.

Verbindungen von Magie und Geschlecht, dies machen die vielfältigen Beiträge des Bandes deutlich, sind ein häufiges und kulturübergreifendes Phänomen im Mittelmeerraum. Ein universales Schema (etwa von allgemeiner Misogynie, die sich in verstärkter Verfolgung von Frauen wegen Hexerei niederschlüge), so folgert die Herausgeberin Kimberley Stratton überzeugend, lasse sich jedoch nicht ausmachen. Diesbezüglich hätten die kulturellen Erwartungen moderner Gelehrter nicht selten ihre Fragen (und Ergebnisse) beeinflusst. Dieses Ergebnis kommt nicht völlig überraschend, es auf der Basis diverser Beispiele aus dem antiken Mittelmeerraum bestätigt zu sehen, ist allerdings durchaus interessant. Der lesenswerte Band führt in eine breite Palette von Einzelfragen ein, die durch eine erkennbare gemeinsame Leitfrage strukturiert werden. Er ermöglicht dem Leser rein inhaltlich den Blick über die eigene Spezialdisziplin hinaus; die Anwendung unterschiedlicher theoretischer Ansätze bei der Erschließung des Materials erweist sich ebenfalls als anregend. Dass auf Abbildungen magischer Objekte völlig verzichtet worden ist, ist allerdings bedauerlich: Hier ist die Gelegenheit verschenkt worden, das Phänomen Magie in seinen konkreten Ausprägungen jenseits der Texte zu illustrieren. Schließlich vermisst man, vor allem angesichts des gewählten Buchtitels, einen eigenen fundierten Beitrag zum antiken Griechenland: Die Göttin Hekate, als deren Töchter sich angeblich antike Zauberinnen verstanden hätten, erscheint nur auf dem Cover des Bandes – und dies bezeichnenderweise in Form einer Abbildung aus dem späten 18. Jh. n. Chr. Ansonsten hat sie nicht einmal einen Eintrag im Stichwortregister erhalten.

Published Online: 2018-09-09
Published in Print: 2018-09-03

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 31.5.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/klio-2018-0106/html
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