Zusammenfassung
Der Streit darüber, ob es objektive Wahrheitskriterien gibt, wird oft mit der Frage vermengt, ob Wissenschaft immer fortschreite. Vor allem Popper in “Objective Knowledge” unterstellt in starkem Maße einen allgemeinen Trend der Wissenschaft zum Fortschritt. In diesem Beitrag wird gezeigt, daß Wissen verloren gehen kann: 1. Weil es nicht aufgezeichnet wird; 2. weil die Dokumente, in denen es niedergelegt wurde, verloren gehen; 3. weil das Wissen um die Sprache der Dokumente, in denen es niedergelegt wurde, verloren gegangen ist, 4. weil die spätere Wissenschaftlergemeinschaft die Dokumente nicht genügend beachtet, in denen es niedergelegt wurde. Der Verlust nichtaufgezeichneten Wissens ist äußerst üblich. Der Verlust veröffentlichter Dokumente war besonders vor der Erfindung der Drucktechnik häufig und hat besonders in manchen Zweigen der Geisteswissenschaften einen Rückschritt bedeutet, weil entweder Dokumente, die das Objekt dieser Wissenschaften ausmachen (z. B. in der Literargeschichte), oder Aufzeichnungen historischer Ereignisse verloren gingen. Der Verlust veröffentlichter Dokumente nach der Erfindung der Drucktechnik war etwas weniger bedeutend, aber er kam dennoch vor. Der Verlust unveröffentlichter Dokumente geschah häufig, und zwar sowohl vor wie nach der Erfindung der Drucktechnik. Ob in unentzifferten Dokumenten definitiv Wissensverlust vorliegt, ist einigermaßen zweifelhaft. Einige unentzifferte Sprachen mögen eines Tages entziffert werden, aber einige unentzifferte Sprachen mögen auch für immer unentziffert bleiben. Der Verlust von Wissen wegen unzureichender Aufmerksamkeit gegenüber dem Werk eines früheren Wissenschaftlers kann behoben werden, wenn man seine Behauptungen nochmals untersucht. Wissensverlust kommt hauptsächlich in den Geisteswissenschaften vor. In der Mathematik und einigen Naturwissenschaften gibt es fast nur Zunahme an Wissen wegen der Wiederholbarkeit der Experimente.
Literature
Couturat, L. and Leau L. (1903):Histoire de la langue universelle (History of the Universal Language), Librairie La Hachette, Paris, XXX+576 pp.Encyclopaedia Britannica 7 (1974): William Benton, Chicago, London, Toronto, Geneva, Sydney, Tokyo, Manila, Seoul, Johannesburg, 1135 p.
Finley, M. I. (1980):Ancient Slavery and Modern Ideology, Chatto and Windus, London, 202 pp.
Friedrich, J. (1957):Extinct Languages, The Philosophical Library, New York, X+180 pp.
Kramer, E. E. (1970):The Nature and Growth of Modern Mathematics, Hawthorn Books Inc. Publishers, New York, XX+758 pp.
Kuhn, T. S. (1957):The Copernican Revolution. Planetary Astronomy in the Development of Western Thought, Harvard University Press, Cambridge, XVIII+297 pp.
Levi, P. (1980):Atlas of the Greek World, Mayfield House, Oxford, 239 pp.
Manquat, M. (1932):Aristotle naturaliste (Aristotle as a Biologist), Librairie philosophique J. Vrin, Paris, 128 pp.
Meadows, A. J. (1974):Communication in Sciences, Butterworths, London, 248 pp.
Petit, G. et Théodoridès, J. (1962):Histoire de la zoologie (History of Zoology), Hermann, Paris, XI+360 pp.
Pomeroy, S. B. (1975):Goddesses, Whores, Wives and Slaves, Women in Classical Antiquity, Schocken Books, New York XIII+265 pp.
Popper, K. R. (1972):Objective Knowledge. An Evolutionary Approach, Clarendon Press, Oxford, X+380 pp.
Robinson, J. M. (1968):An Introduction to Early Greek Philosophy. The Chief Fragments and Acient Testimony, with Connecting Commentary, Houghton Mifflin Company, Boston, X+339 pp.
Taton, R (ed.) (1957):Histoire générale des sciences. Tome I: La science antique et médiévale (des origines à 1450) (General history of the Sciences. Volume I: Ancient and Medival Science (from the Origins until 1450), Presses universitaires de France, Paris, VIII+627 pp.
Wilamowitz - Moellendorf, U. von (1913):Griechische Tragoedien (Greek Tragedies), I, II, III, Weidmannsche Buchhandlung, Berlin, 369+313+363 pp.
Author information
Authors and Affiliations
Additional information
I thank Prof. Dr. E. M. Bruins, Mrs. Dr. M. Pellikaan-Engel and Mag. P. A. Koefoed for reading an earlier draft of this paper, and Mr. F. J. Krüger for correcting my English.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Verloren van Themaat, W.A. In how far is science accumulative?. Zeitschrift für Allgemeine Wissenschaftstheorie 17, 119–130 (1986). https://doi.org/10.1007/BF01801119
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF01801119