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Publicly Available Published by De Gruyter (A) September 9, 2018

Verena Vogel-Ehrensperger, Die übelste aller Frauen? Klytaimestra in Texten von Homer bis Aischylos und Pindar, Basel (Schwabe Verlag) 2012 (Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft 38) XXVIII, 462 S., 10 Abb., ISBN 978-3-7965-2846-0 (geb.) € 82,–

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Vogel-Ehrensperger Verena Die übelste aller Frauen? Klytaimestra in Texten von Homer bis Aischylos und Pindar, () XXVIII, S., , ISBN Schwabe Verlag Basel (Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft 38) 1 462 10 Abb. 978-3-7965-2846-0 (geb.) € 82,– 2012


Zu den am übelsten beleumdeten mythologischen Figuren der Antike gehört Klytaimestra, die in Aischylos’ „Orestie“ ihren Gatten Agamemnon tötet und für diese Tat den Tod durch die Hand des Sohnes Orest erleidet. In ihrer Zürcher altphilologischen Dissertation hat sich Verena V(ogel)-E(hrensperger) die Aufgabe gestellt, die literarischen Überlieferungen neu zu sichten und über eine unvoreingenommene Übersetzung der Texte ein differenziertes Bild der antiken Heroine zu zeichnen. „Close Reading“, genaues Lesen – so kann man das Anliegen V.-E.s beschreiben.

In vier Kapitel stellt sie die literarische Überlieferung vor: „Klytaimestra im Zeugnis der homerischen Epen“ (II), „Klytaimestra in Texten nach Homer bis Aischylos/Pindar“ (III), wo sie vor allem auf Hesiod und Stesichoros eingeht, und schließlich „Klytaimestra in der Oresteia des Aischylos“ (IV) sowie „Klytaimestra im 11. Pythischen Epinikion von Pindar“ (V). Der Untersuchung vorangestellt ist eine Diskussion der unterschiedlichen Schreibweisen des Namens, Klytaimestra oder Klyaim-n-estra (I). Hier bringt sie plausible Gründe für die erste Variante vor, die Klytaimestras planerische Fähigkeit benennt (von κλυταί- [„berühmt“] und μήστρα / μήδομαι [„sinnen, planen“]).

In ihren Schlussbetrachtungen (VI) fasst V.-E. ihre Ergebnisse zusammen. Akzentuieren die frühen Überlieferungen die ‚Untreue‘ der Klytaimestra, die sich während der Abwesenheit des Agamemnon einen neuen Gatten sucht, so stehen in den Schriftquellen der klassischen Zeit die Gewalthandlungen der Heroine im Vordergrund, von denen das Epos noch nichts weiß. Mannverlassend, λιπεσάνορας und mit übler Nachrede behaftet, δυσκλεές, werden bei Hesiod und Stesichoros Frauen bezeichnet, die sich anders als die treue Penelope zwei- und dreimal verheiraten. Die eigentliche Diabolisierung der Klytaimestra schreibt V.-E. der attischen Tragödie zu, in der Klytaimestra vermännlicht – ihr wird ein männlich-planendes Herz zugeschrieben – und als alleinige Täterin des Gattenmords auftritt, während in der Odyssee der neue Ehemann Aigisth die Tat ausführt. Pindars Zeichnung der Klytaimestra als „unerbittlich“ steht ihrer Meinung nach in der Tradition des Aischylos und setzt Pindars Kenntnis der Tragödie voraus.

Man kann das Anliegen V.-E.s nur unterstützen. Es besteht kein Zweifel, dass eine genaue Lektüre der Quellen im Original lohnend ist und zu neuen Einsichten führt. Gerade die Unterschiede zwischen Epos und Tragödie sind bemerkenswert und verlangen nach einer Deutung. Und eben diese bietet V.-E. nicht. Im Unterschied zu den differenzierten philologischen Beobachtungen in den einzelnen Kapiteln, die nahelegen, dass Veränderungen in der politischen Funktion der Ehe die Figur der Klytaimestra modellieren, steht die eindimensionale Beurteilung der sozialgeschichtlichen Bezüge. V.-E. ist der Meinung, dass die Tragödie die Gefahren reflektiert, die von Frauen ausgehen, die nicht wohlbehütet im Hauswesen bleiben und ohne männliche Kontrolle autark sein wollen. Aufgrund dieser vorgefassten Meinung, wie man sie in den strukturalistischen Deutungen der Tragödie in den 1980er Jahren lesen konnte, auf die sich V.-E. stützt, nutzt sie nicht den Interpretationsspielraum, den ihr das genaue Lesen ermöglicht. So arbeitet sie zwar klar die Herrschaftsbegrifflichkeit heraus, die im Zusammenhang von Klytaimestras Auftreten in der „Orestie“ benutzt wird. Klytaimestra ist hier – wie im Übrigen auch ihr heroisches Gegenbild, die treue Penelope (Hom. Od. 4,770; 16,332 etc.) – basíleia (Ag. 84) und Hausverwalterin, oikonómos (Aischyl. Ag. 155). Dennoch verneint V.-E. eine weibliche Herrschaftskompetenz und meint, dass im Haus der Herr, kýrios, fehle (50). Nur wird Agamemnon in der „Orestie“ als solcher nicht bezeichnet. Der Begriff gehört vielmehr der Rechtssprache des 4. Jahrhunderts v. Chr. an und wird hier im Kontext der Bezeugung der bürgerlichen Abkunft der Töchter benutzt, wie Elke Hartmann (Geschlechterdefinitionen und Geschlechtergrenzen in der Antike [Alte Geschichte], Stuttgart 2007, 37–53) gezeigt hat. Eine Symmetrie von Machtbereichen von Männern und Frauen, die ihre terminologischen Studien nahelegen, kann V.-E. nicht denken, weil in ihren Augen die Tragödie nur die Verkehrung der Wirklichkeit, nicht aber verschiedenartige Wirklichkeiten zeigen kann, etwa eine demokratische und eine tyrannische Herrschaft, in denen Frauen unterschiedliche politische Rollen spielen. Gerade aus den ihr wohl bekannten Forschungen zur politischen Funktion der Tragödie geht hervor, wie sehr im Drama die Gefahr der Tyrannis evoziert wird, die strukturell Hausherrschaft ist und Frauen einbezieht. Völlig unverständlich ist es, warum sie sich bei der Deutung der realgeschichtlichen Bezüge auf überholte Forschungen von John Gould und David Schaps bezieht, die Ende der 1970er Jahre erschienen und in denen mit dem undifferenzierten Konzept der aus der Öffentlichkeit ausgeschlossenen und unterdrückten Frau operiert wird, die „gewissermassen als Teil des Besitztums ihres Vaters oder Ehemannes angesehen“ werde (XX). Zwar weiß sie, dass den vermeintlich aus der Öffentlichkeit ausgeschlossenen Frauen inzwischen ein Kultbürgerrecht zugeschrieben wird, zieht daraus aber keine Konsequenzen für eine Relativierung des Öffentlichkeitsbegriffs (vgl. J. H. Blok, Recht und Ritus der Polis. Zu Bürgerstatus und Geschlechterverhältnis im klassischen Athen, HZ 278, 2004, 1–26). Jüngere Untersuchungen zum weiblichen Besitztum, auf das in der „Orestie“ immer wieder angespielt wird und die eine von ihr angenommene finanzielle Abhängigkeit der Athenerinnen von ihrem kýrios (XX, Anm. 40) als abwegig erscheinen lassen, sind ihr entgangen (B. Wagner-Hasel, „Arbeit und Kommunikation“ und W.C. Schneider, „Vermitteln, Verkuppeln, und Soziales Spiel. Informelle Geschäftstätigkeit von Frauen in hellenistischer Zeit“, in: T. Späth – B. Wagner-Hasel [Hgg.], Frauenwelten in der Antike. Geschlechterordnung und weibliche Lebenspraxis. Mit 162 Quellentexten und Bildquellen, Stuttgart – Weimar 2000, 311–334 und 335–349; R. Reuthner, Wer webte Athenes Gewänder? Die Arbeit von Frauen im antiken Griechenland [Campus Forschung 897], Frankfurt u. a. 2006). Nichtsdestotrotz bietet die Studie viele Anregungen, um über die Figur der Klytaimestra neu nachzudenken und sich der Langzeitwirkungen der üblen Nachrede bewusst zu werden. Denn dafür stellt die antike Heroine zweifellos ein eklatantes Beispiel dar.

Published Online: 2018-09-09
Published in Print: 2018-09-03

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 27.5.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/klio-2018-0112/html
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