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Deichbau und Selbstopfer: der Katastrophendiskurs in Theodor Storms Der Schimmelreiter

Dyke Construction and Self-Sacrifice: the Discourse of Disaster in Theodor Storm’s Der Schimmelreiter

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Dieser Beitrag untersucht die Bewältigungsstrategien gegen verheerende Flutkatastrophen in Theodor Storms Der Schimmelreiter (1888), indem er Schlüsselstellen aus der Novelle – die schleswig-holsteinische Sturmflut von 1756, die Wahrnehmung ominöser Warnzeichen seitens der abergläubischen Marschbewohner und das heroische Selbstopfer des Deichgrafen Hauke Haien – innerhalb des Katastrophendiskurses des 18. Jahrhunderts kontextualisiert.

Abstract

This article investigates the strategies for coping with devastating flood disasters portrayed in Theodor Storm’s Der Schimmelreiter (1888) by situating key elements of the novella – the storm surge of 1756 in Schleswig-Holstein, the sighting of ominous warning signs by the superstitious marsh people, and the heroic self-sacrifice of the dyke master Hauke Haien – within the context of 18th-century disaster discourse.

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Notes

  1. Gerd Eversberg, Der echte Schimmelreiter. So (er)fand Storm seinen Hauke Haien, Heide 2010, 14.

  2. Vgl. dazu Regina Fasold, Theodor Storm, Stuttgart 1997, 153 f.

  3. François Walter, Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert, übers. Doris Butz-Striebel, Trésy Lejoly, Stuttgart 2010, 117.

  4. Ferdinand Lindner, »Skizzen aus Niederdeutschland«, Die Gartenlaube 51 (1880), 838-842, hier: 842.

  5. Lindner (Anm. 4), 842.

  6. Bernd Rieken, Nordsee ist Mordsee. Sturmfluten und ihre Bedeutung für die Mentalitätsgeschichte der Friesen, Münster 2005, 67.

  7. David Blackbourn, The Conquest of Nature. Water, Landscape, and the Making of Modern Germany, New York 2006, 362.

  8. Vgl. dazu Franz Mauelshagen, »Disaster and Political Culture in Germany since 1500«, in: Natural Disasters, Cultural Responses. Case Studies toward a Global Environmental History, hrsg. Christof Mauch, Christian Pfister, Lanham 2009, 41-75, hier: 66.

  9. Eversberg (Anm. 1), 76.

  10. Manfred Jakubowski-Tiessen, »Gotteszorn und Meereswüten. Deutungen von Sturmfluten vom 16. bis 19. Jahrhundert«, in: Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Deutung, Wahrnehmung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, hrsg. Dieter Groh, Michael Kempe, Franz Mauelshagen, Tübingen 2003, 101-118, hier: 113.

  11. Jakubowski-Tiessen (Anm. 10), 107.

  12. Theodor Storm, Der Schimmelreiter [=Sämtliche Werke in 4 Bänden], hrsg. Karl Ernst Laage, Dieter Lohmeier, Darmstadt 1998, III, 707 f.

  13. Storm (Anm. 12), III, 708.

  14. Niels Nikolaus Falck (Hrsg.), »Umständlicher Bericht von der den 11ten Sept. dieses Jahres in hiesigen Gegenden erfolgten Wasserfluth«, in: Sammlung der wichtigsten Abhandlungen zur Erläuterung der vaterländischen Geschichte und des vaterländischen Rechts, welche in den Schleswig-Holsteinischen Anzeigen erschienen sind, Tondern 1821, I, 213-287, hier: 216.

  15. Storm (Anm. 12), III, 692.

  16. Falck (Anm. 14), 215 f.

  17. Falck (Anm. 14), 215.

  18. Hartmut Böhme, »Theoretische Überlegungen zur Kulturgeschichte der Angst und der Katastrophe«, in: Sentimente, Gefühle, Empfindungen. Zur Geschichte und Literatur des Affektiven von 1770 bis heute, hrsg. Anne Fuchs, Sabine Strümper-Krobb, Würzburg 2003, 27-44, hier: 44.

  19. Robert Vellusig, »Aberglaube nach der Aufklärung. Theodor Storms Schimmelreiter«, in: Nachklänge der Aufklärung im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. Klaus Müller-Salget, Sigurd Paul Scheichl, Innsbruck 2008, 197-215, hier: 201.

  20. Vgl. Storm (Anm. 12), III, 638.

  21. Eversberg (Anm. 1), 81-89; Hans Wagener, Erläuterungen und Dokumente. Theodor Storm: Der Schimmelreiter, Stuttgart 2001, 59-61.

  22. Storm (Anm. 12), III, 743.

  23. Niels Nikolaus Falck (Hrsg.), »Die Überschwemmung der Cremper Marsch nebst umliegender Gegend am 7. Oct. 1756. Nach einer poetischen Beschreibung prosaisch dargestellt. Beigefügt ein Vor= und Nachwort, sammt einigen Anmerkungen«, in: Staatsbürgerliches Magazin, mit besonderer Rücksicht auf die Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, Schleswig 1826, VI, 512-533, hier: 512.

  24. Niels Nikolaus Falck (Hrsg.), Sammlung der wichtigsten Abhandlungen zur Erläuterung der vaterländischen Geschichte und des vaterländischen Rechts, welche in den Schleswig=Holsteinischen Anzeigen erschienen sind, Tondern 1822, II, XV.

  25. Christian Kuß, Jahrbuch denkwürdiger Naturereignisse in den Herzogthümern Schleswig und Holstein vom elften bis zum neunzehnten Jahrhundert, 2 Bde., Altona 1826, II, 111.

  26. Storm (Anm. 12), III, 745.

  27. Johannes Laß, Sammlung Husumscher Nachrichten, zweyter Fortsetzung, 8 Stücke, nebst Register, Flensburg 1752, 310.

  28. Laß (Anm. 27), 310.

  29. Laß (Anm. 27), 311.

  30. Johann Nicolaus Tetens, Reisen in die Marschländer an der Nordsee zur Beobachtung des Deichbaus in Briefen, Leipzig 1788, 114. Tetens beurteilt den Zustand der Deiche in Nordfriesland: »Die hiesigen Deiche (die neuern, zumal in dem Demercieren=Kog, machen eine Ausnahme, woraus ein eigner Contrast entsteht, [...]) sind durchgehends nach der alten friesischen Art gebaut; niedrig, an vielen Stellen schmal, steil, mit einfachen und schwachen Bollwerken versehen [...]. Sie sind eine jährliche und große Last. Ich habe sie sehr beschädigt gesehn. [...] Was würde aus solchen Deichen werden, wenn das Watt sich nicht in seiner Höhe hielte, und der Schutz vor den Inseln ihnen entzogen würde? Seit 1756. hat man sie da, wo sie durchgebrochen waren, etwas stärker gemacht« (114 f.).

  31. Aus dem Dänischen stammende Bezeichnung für Hilfspriester bzw. Vikar.

  32. Vgl. dazu Peter Danker-Carstensen, »Die Berichterstattung über die Sturmflut vom 7./8. Oktober 1756 in der Haseldorfer und Kremper Marsch«, in: Katastrophen in Norddeutschland. Vorbeugung, Bewältigung und Nachwirkungen vom Mittelalter bis 21. Jahrhundert, hrsg. Ortwin Pelc, Neumünster 2010, 84-105, hier: 96.

  33. Ernst Philip Lilie, Spuren der Güte, Weisheit und Allmacht Gottes, wie auch seines Ernstes und Strafgerechtigkeit, welche bey der außerordentl. Ueberschwemmung erwiesen, die den 7. Oct. 1756. die Cremper= und Haseldorfer= Marsch im Holsteinischen, betroffen, Züllichau 1758, 51.

  34. Lilie (Anm. 33), 71.

  35. Anton Heimreich, Ernewrete NordFriesische Chronick, Schleswig 1668, 743. Vgl. Eversberg (Anm. 1), 83-87; Wagener (Anm. 21), 59 f.

  36. Vgl. Lilie (Anm. 33), 9 f.

  37. Vgl. Lilie (Anm. 33), 11 f.

  38. Gregorius Culemann, Denck-Mahl der zwo Waßers=fluthen, von welchen die Erste Ao. 1717. d. 25. Decembr. in der Christ=Nacht, die anderer Ao. 1718. d. 26. Febr. insonderheit in die Wilster-Marsch eingebrochen, und in derselben unbeschreiblichen Schaden verursachet; nebst denen dabey angemerckten wunderbaren Wercken der Weisheit, Allmacht, Gerechtigkeit, Gnade und väterlichen Vorsorge des grossen und Allmächtigen GOTTES, Halle 1719, 9.

  39. Culemann (Anm. 38), 12.

  40. Rieken (Anm. 6), 30.

  41. Rieken (Anm. 6), 30.

  42. Johann Christian Hekelius, Ausführliche und ordentliche Beschreibung derer beyden erschrecklichen und fast nie erhörten Wasserfluthen, in Ost=Friesland und denen meisten an der Nord=See gelegenen schönen Ländern, davon die erste den 25. December 1717, und die andere den 25. Febr. 1718. obernannte Länder überschwemmet hat, Halle 1719, 3.

  43. Hekelius (Anm. 42), 4.

  44. Hekelius (Anm. 42), 4. Der Amtmann zu Dornum, Doktor Eyles, verifizierte die Prophezeiung von Heinrich Peters in einem am 15. März 1718 verfassten Schreiben (vgl. Umständliche Historische Nachricht von der grossen Wasser=Fluth, welche in der Christnacht des 1717. Jahrs die Hertzogthümer Holstein/ Schleßwig/ Bremen; ingleichen Delmenhorst/ Oldenburg, Jever, Kniephausen, Ost=Frießland, Gröningen, Frießland, Holland und übrige vereinigte Provintzen betroffen, Hamburg 1718, 115-118).

  45. Hekelius (Anm. 42), 6.

  46. Hekelius (Anm. 42), 6.

  47. Culemann (Anm. 38), 7.

  48. Culemann (Anm. 38), 8.

  49. Johann Friedrich Jansen, Historisch=Theologisch Denckmahl der wunder=vollen Wegen Gottes in den grossen Wassern/ welche sich Anno 1717. den 25. Decemb. zu vieler Länder Verderben/ so erschröcklich ergossen: Mit den vielen so unglück= als glücklichen Folgen/ die sich biß in das 121. Jahr zugetragen, Bremen 1722, 414.

  50. Storm (Anm. 12), III, 731.

  51. Storm (Anm. 12), III, 743.

  52. Storm (Anm. 12), III, 735.

  53. Storm (Anm. 12), III, 736.

  54. Storm (Anm. 12), III, 737.

  55. Storm (Anm. 12), III, 741.

  56. Storm (Anm. 12), III, 742.

  57. Sigmund Freud, »Das Unheimliche«, in: Psychologische Schriften, hrsg. Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey, Zürich 1970, 241-274, hier: 270.

  58. Storm (Anm. 12), III, 740.

  59. Carl Woebcken, Deiche und Sturmfluten an der deutschen Nordseeküste, Bremen-Wilhelmshaven 1924, 196.

  60. Woebcken (Anm. 59), 196.

  61. Vgl. Ludwig Strackerjan (Hrsg.), Aberglaube und Sagen aus dem Herzogthum Oldenburg, 2 Bde., Oldenburg 1909, I, 126-128. Die erste Fassung des zweibändigen Werks ist bereits 1867 erschienen.

  62. Woebcken (Anm. 59), 203.

  63. Woebcken (Anm. 59), 202.

  64. Maria Luisa Allemeyer, »Kein Land ohne Deich..!« Lebenswelten einer Küstengesellschaft in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2006, 304.

  65. Vgl. Karl Müllenhoff (Hrsg.), Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig Holstein und Lauenburg, Kiel 1845, 242. Angeblich wurden in Nordfriesland ebenfalls Kinder in Deiche eingedämmt: »Bei Heiligenstedten (Kreis Steinburg) war einmal ein grosses Loch im Stör-Deich, das man nicht eher ausfüllen konnte, bis man einer Zigeunerin für tausend Thaler ihr Kind abkaufte und dasselbe verschüttete. Auch im Hattstedter Seedeich (Kreis Husum) soll ein Kind vergraben sein, und desgleichen bei einem Deichbruche im Kleiseer-Koog (Kreis Tondern)« (H. Handelmann, »Abhandlung über das Leben auf der unbedeichten Marsch und den eddelacker Fund«, in: Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Zeitschrift für Ethnologie. Organ der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 13 [1881], 23). Wenn sich im Schimmelreiter Elke, Hauke Haiens Ehegattin, an das »vor wohl hundert Jahren« stattgefundene Bauopfer eines Zigeunerkindes erinnert, kommt es zu einer Vermischung der überlieferten Stoffvorlagen, was typisch für Sagenerzählungen ist (vgl. Storm [Anm. 12], III, 692 f.).

  66. Vgl. Reimer Kay Holander, Theodor Storm, Der Schimmelreiter. Kommentar und Dokumentation. Dichtung und Wirklichkeit, Frankfurt a. M. 1976, 24-26.

  67. Storm (Anm. 12), III, 639. Hoffmann hat sowohl die unterschiedlichen Erzählebenen – die zwei anonymen Rahmenerzähler und der Schulmeister-Binnenerzähler – als auch die Pluralität der Überlieferungsträger im Schimmelreiter ausführlich behandelt (Volker Hoffmann, »Theodor Storm: Der Schimmelreiter. Eine Teufelspaktgeschichte als realistische Lebensgeschichte«, in: Interpretationen. Erzählungen und Novellen des 19. Jahrhunderts, 2 Bde., Stuttgart 1990, I, 333-370, hier: 334-342).

  68. Kinder, »Aberglauben in Dithmarschen. Nach der Chronik des Neocorus«, Am Uhrds=Brunnen. Mittheilungen für Freunde volksthümlich-wissenschaftlicher Kunde 11 (1887/88), 165.

  69. Johann Adolfi Neocorus, Chronik des Landes Dithmarschen, hrsg. Friedrich Christoph Dahlmann, 2 Bde., Kiel 1827, I, 340.

  70. Anton Heimreich, Dithmarsische Chronik, Schleswig 1682, 290 f.

  71. Anton Viethen, Beschreibung und Geschichte des Landes Dithmarschen, Hamburg 1733, 434.

  72. Wilhelm Lehrmann, »Bauopfer«, Am Ur-Quell. Monatsschrift für Volkkunde 11 (1891), 190.

  73. Woebcken (Anm. 59), 202 f.; Holander (Anm. 66), 35.

  74. Strackerjan (Anm. 61), 127. Das von den Fluten zerstörte Mariensiel wird in weiteren Flutberichten beglaubigt. Vgl. insbesondere Umständliche Historische Nachricht (Anm. 44), 108.

  75. Jansen (Anm. 49), 327.

  76. Jansen (Anm. 49), 327.

  77. Jansen (Anm. 49), 326 f.

  78. Jansen (Anm. 49), 326.

  79. Der Bezeichnung Massilienser bezieht sich auf die Bewohner der antiken Hafenstadt Massilia (heute Marseille).

  80. Jansen (Anm. 49), 328.

  81. Jansen (Anm. 49), 328 f.

  82. An anderer Stelle wurde Hauke Haiens Freitod mit Wotans Selbstopfer gleichgesetzt: »When Hauke now sees his wife and child swept into the deluge, he voluntarily sacrifices himself, as did the God Wotan on the ash tree, and plunges himself and his horse into the sea« (Margaret T. Peischel, »The Persistent Pagan in Theodor Storm’s Der Schimmelreiter«, Seminar. A Journal of Germanic Studies 22 [1986], 112-124, hier: 124).

  83. Huber führt in der Auflistung stellvertretender Opfer u. a. Marcus Curtius und Hauke Haien an: »Eine Erinnerung an solche Opfertaten um anderer willen, finden wir noch etwa in Theodor Storm’s [sic!] ›Schimmelreiter‹« (Hebert Huber, Kleines Handbuch für Ministranten, Türkheim 2004, 21).

  84. Gerd Eversberg, »Die Schimmelreiter-Sage«, Schriften der Theodor-Storm-Gesellschaft 60 (2011), 67-92, hier: 82.

  85. Jansen (Anm. 49), 329.

  86. Jakubowski-Tiessen (Anm. 10), 231.

  87. Insoweit stimmt das Urteil von Harnischfeger mit dem der Religionswächter aus dem 18. Jahrhundert überein: »Und heidnisch ist [...] der Glaube, dass der Einzelne die Vernichtung des Dorfes abwenden kann, indem er in die Lücke springt, die das Wasser in den Deich gerissen hat« (Johannes Harnischfeger, »Modernisierung und Teufelspakt. Die Funktion des Dämonischen in Theodor Storms ›Schimmelreiter‹, Schriften der Theodor-Storm-Gesellschaft 49 [2000], 23-44, hier: 37). Jedoch verkennt Harnischfeger die Langlebigkeit des straftheologischen Deutungsmusters, wenn er behauptet, »[a]us der Perspektive aufgeklärter Theologie erscheint es als eine heidnische, bestenfalls alttestamentarische Vorstellung, dass die Flutkatastrophe ein ›Zuchtmittel Gottes‹ sei« (37).

  88. Storm (Anm. 12), III, 753. In Schalks Nacherzählung der Sage hatte Marcus Curtius der anwesenden Menschenmenge folgende Worte zugerufen, bevor er sich in den Abgrund stürzte: »›Ihr allmächtigen Götter, nehmt Markus Kurtius als Abbild höchster römischer Tugend zum Opfer an. Gnade und Heil der ewigen Mutter Rom!‹« (Gustav Schalk, Römische Götter- und Heldensagen, Wien 1955, 208).

  89. Storm (Anm. 12), III, 721 f.

  90. Storm (Anm. 12), III, 721.

  91. Storm (Anm. 12), III, 722.

  92. Vgl. Borchmeyers Strukturdefinition des Mythos: »Die temporale Struktur des Mythos ist die Zirkularität der ewigen Wiederkehr – im Gegensatz zur Linearität und Irreversibilität der geschichtlichen Zeit« (Dieter Borchmeyer, »Mythos«, in: Moderne Literatur in Grundbegriffen, hrsg. Dieter Borchmeyer, Viktor Žmegač, Tübingen 1994, 292-308, hier: 293).

  93. Vgl. Doris Plöschberger, »›...und Niemandem...durfte er davon reden!‹ Zur Problematik der Überlieferung in Theodor Storms ›Der Schimmelreiter‹«, Sprachkunst 29 (1998), 253 f.

  94. Storm (Anm. 12), III, 754.

  95. Vgl. dazu Frühwald: »Da das mythische Weltbild und das tödliche Naturprinzip eins sind, nützt Hauke Haien sie beide, um die Menschen aller Zeiten daran zu erinnern, daß der Mensch fähig ist, das Tier des Todes zu reiten, dem Tod mit seiner Hilfe Dämme und Deiche entgegenzusetzen, daß er berufen ist, als Deichgraf Schimmelreiter zu sein« (Wolfgang Frühwald, »Hauke Haien, der Rechner. Mythos und Technikglaube in Theodor Storms Novelle ›Der Schimmelreiter‹«, in: Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, red. Jürgen Brummack u. a., Tübingen 1981, 438-457, hier: 455).

  96. Vgl. Storm (Anm. 12), III, 678. Als außerliterarisches Vorbild diente die »Große Wehle« im Norden der Hattstedtermarsch, die durch die Sturmfluten 1717/18 entstanden war (vgl. Eversberg [Anm. 1], 4).

  97. Storm (Anm. 12), III, 751.

  98. Vgl. Katja Malsch, Literatur und Selbstopfer. Historisch-systematische Studien zu Gryphius, Lessing, Gotthelf, Storm, Kaiser und Schnitzler, Würzburg 2007, 112.

  99. Storm (Anm. 12), III, 749.

  100. Storm (Anm. 12), III, 750.

  101. Storm (Anm. 12), III, 751.

  102. Basierend auf René Girards dargelegten Stereotypen in überlieferten Opfermythen vertritt Palaver die Hypothese, dass die Dorfgemeinschaft Hauke Haien zum Sündenbock auserkoren habe. Allerdings gibt er zu bekennen, das Stereotyp, »die kollektive Gewalt gegen ein Opfer«, passe nicht mit dem freiwilligen Opfertod des Deichgrafen überein (Wolfgang Palaver, »Hauke Haien – Ein Sündenbock? Theodor Storms Schimmelreiter aus der Perspektive der Theorie René Girards«, in: Religion – Literatur – Künste. Aspekte eines Vergleichs, hrsg. Peter Tschugall, Salzburg 1998, 221-236, hier: 232). Palavers anschließende Argumentation, »die evolutionäre Fortentwicklung der Mythen« verschleiere das Element der kollektiven Gewalt, wie es bei den Bauopfersagen geschehen sei, ist nicht zufriedenstellend, da sie die Mythenbildung um das heroische Selbstopfer unberücksichtigt lässt (232).

  103. Storm (Anm. 12), III, 754.

  104. Storm (Anm. 12), III, 751.

  105. Storm (Anm. 12), III, 753.

  106. Vgl. Malsch (Anm. 98), 112. Im Reiseabenteuer »Der gespenstige Reiter«, abgedruckt in Christian Pappes »Hamburger Lesefrüchte vom Felde der neuesten Literatur des In- und Auslandes« (Heft 2, 1838, 125-128), durchbricht Treibeis den Weichseldamm und der von Schuldgefühlen übermannte Deichgeschworene wirft sich mit seinem Pferd in den Bruch: »[D]ann schien ihn die Verzweiflung in vollem Maße zu ergreifen, er drückte seinem Schimmel die Sporen in die Seiten, ein Sprung – und Roß und Reiter verschwinden in den Abgrund« (zit. nach Eversberg [Anm. 84], 85). In Heinrich Momsens Version der Sage wählt der Deichgraf ebenfalls aus Verzweiflung den Freitod, wenn bei der Februarflut 1718 Eisschollen den Deich in Eiderstedt durchstoßen: »Mit entsetzlichen Beschuldigungen drang man gegen den armen Deichgrafen ein, der starren Auges auf sein Werk schaute, das er hervorgerufen hatte, nun aber nicht mehr hindern konnte. Da plötzlich von Verzweiflung erfaßt, spornte er sein Pferd an und stürzte sich mit demselben in den Bruch. Bald darauf setzten sich, wie die Chronik erzählt, große Eisblöcke vor die Öffnung« (Heinrich Momsen, »Der Schimmelreiter«, in: Bilder aus Eiderstedt und den angrenzenden Gegenden, Garding 1890, 73-77, hier: 76). Die Textstelle folgt dem stereotypen Schema des Sündenbockopfers, da der Deichgraf auf Drängen der Umstehenden sich ins Wasser stürzt und dadurch das Unheil bannt. Mit Momsens »chronikalischer« Erzählung, die der Autor bewusst fingiert hatte, wurde der Schimmelreiter endgültig zum Bestandteil des nordfriesischen Sagenfundus (vgl. Eversberg [Anm. 84], 78-82).

  107. Storm (Anm. 12), III, 746.

  108. Friedrich Schiller, »Über das Erhabene« [=Sämtliche Werke in fünf Bänden], in: ders., Erzählungen. Theoretische Schriften, hrsg. Wolfgang Riedel, München 2004, V, 792-808, hier: 805.

  109. Die erfolgreiche Fertigstellung des Hauke-Haien-Deichs und seine Beständigkeit gegen die Wasserfluten negiert die Tradition des Bauopfers gänzlich. Hervorzuheben ist, dass der Entscheid der Marschbewohner, »was Lebiges« in die Deichlücke einzudämmen, von den in den Sagensammlungen und Chroniken beschriebenen Deichopfern abweicht, da er nicht durch einen vorangegangenen Wassereinbruch provoziert wurde: »Was den Deichbau betrifft, wird man nicht in jedem Fall ein Lebewesen geopfert haben, sondern oftmals nur dann, wenn es Probleme gegeben hat« (Rieken [Anm. 6], 285). Weiterhin vermochte das Opfer eines Zigeunerkinds »bei einem Deichbau auf der anderen Seite« keine dauerhafte Sicherheit zu verschaffen: Der Schulmeister in der Rahmenerzählung weist darauf hin, dass im Deich »drüben am anderen Ufer« trotz des Opfers ein Bruch geschehen sei (Storm [Anm. 12], III, 692 f.; 754 f.). Vgl. Malte Stein, »Sein Geliebtestes zu töten«. Literaturpsychologische Studien zum Geschlechter- und Generationenkonflikt im erzählerischen Werk Theodor Storms, Berlin 2006, 221.

  110. Storm (Anm. 12), III, 738.

  111. Storm (Anm. 12), III, 754.

  112. Storm (Anm. 12), III, 752. Das Bestreben des »aufgeklärten« Individuums, sich mit einem fortdauernden Werk Unsterblichkeit zu verschaffen, hat Rheinheimer stichhaltig erläutert: »Die Aufklärung stellte Gott als identitätsstiftende Macht in Frage und warf den Menschen auf sich selbst zurück. Dem Leben steht nicht mehr die Gewißheit eines Jenseits gegenüber, sondern der Tod löscht die Person für alle Zeit aus. Der Suche nach Identität, die den modernen Menschen kennzeichnet, wohnt deshalb auch die Sehnsucht inne, den Tod zu überwinden, etwas zu finden, das ihn überdauert.« (Martin Rheinheimer, »Mythos Sturmflut. Der Kampf gegen das Meer und die Suche nach Identität«, Demokratische Geschichte 15 [2003], 9‑53, hier: 11).

  113. Vgl. dazu Harro Segeberg, »Der Friese als ›Schimmelreiter‹? Zur Heroisierung der Marschenbewohner in Literatur und Film«, in: Kulturlandschaft Nordseemarschen, hrsg. Ludwig Fischer, Westerhever 1997, 223-251.

  114. Storm (Anm. 12), III, 755.

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Weber, C.D. Deichbau und Selbstopfer: der Katastrophendiskurs in Theodor Storms Der Schimmelreiter . DVjs 90, 109–133 (2016). https://doi.org/10.1007/s41245-016-0006-y

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