Die Zukunft datenbasierter Forschung

In den letzten Jahren ist in der medizinethischen Diskussion zur Nutzung von Daten für die Forschung das Modell des Broad Consent ausführlich diskutiert worden.Footnote 1 Obwohl es viele Gegner:innen gibt, hat es auch viele Befürworter:innen gefunden, weil es verspricht, mehr Forschung mit großen Datenmengen zu ermöglich, und damit einen medizinischen Fortschritt zu fördern, von dem potenziell alle Menschen unserer Gesellschaft profitieren würden.

Einwände gegen das Modell sind vielfältig. Einige von ihnen beziehen sich auf die problematische zeitliche Dimension eines Broad Consent. Durch die sich ständig verändernden Umstände müsste man davon ausgehen, dass die Gültigkeit der eingeholten Einwilligung verfällt. Forscher:innen würden dann trotz der Einholung der breiten Einwilligung im konkreten Einzelfall de facto ohne die Einwilligung von Forschungsteilnehmer:innen agieren (Hofmann 2009; Holm und Ploug 2019; Mikkelsen et al. 2019; Ploug und Holm 2019, 2020).

Trotz dieser Bedenken wird das Modell des Broad Consent in vielen Ländern eingesetzt und wird auch in Deutschland zunehmend eingeführt. Die Medizininformatik-Initiative hat einen Mustertext für Einwilligung erarbeitet, der einem Modell der breiten Einwilligung folgt (Medizininformatik-Initiative – AG Consent 2020).Footnote 2

Im Folgenden möchte ich die zeitliche Perspektive des Broad Consent in ihren Dimensionen erläutern, nicht, um das Modell schlichtweg zurückzuweisen, sondern um Möglichkeiten zu beleuchten, auf seine Herausforderungen zu reagieren. Die Einführung eines Broad Consent zur Nutzung klinischer Daten ist in Deutschland bereits im Prozess. Umso wichtiger erscheint es, über eine gute Umsetzung dieses Einwilligungsmodells nachzudenken. Der vorliegende Artikel soll in diesem Kontext einen Vorschlag erarbeiten, wie einigen problematischen Aspekten dieses Modells begegnet werden kann. Die Grundidee ist, die Perspektive nicht auf den Akt der Einwilligung als den Moment der Abgabe einer Unterschrift zu beschränken, sondern diesen als einen Initialakt zu begreifen, der eine Beziehung zwischen Forschungsteilnehmenden, datenspeichernden Institutionen und Forschenden begründet, die allen Beteiligten bestimmte Verantwortungen überträgt, insbesondere aber mit Informationspflichten auf Seiten der Forschenden und datenspeichernden Institutionen einhergeht. Dem ethischen Anspruch der informierten Einwilligung, so die These, kann das Modell der breiten Einwilligung nur gerecht werden, wenn Informationen nicht allein am Anfang, sondern prinzipiell über die gesamte Dauer der Gültigkeit der Einwilligung hinweg zur Verfügung gestellt werden.

Was ist Broad Consent?

Klassischerweise setzt in Deutschland die Forschung am Menschen, insbesondere im Kontext der Medizin, die Einholung einer Einwilligung nach vorheriger angemessener Information über das Ziel der Studie, die geplante Durchführung, sowie möglicherweise damit für die Teilnehmenden einhergehende Risiken voraus. Diese Einwilligung erfolgt in der Regel studienspezifisch: Teilnehmende werden über die Rahmenbedingungen der konkreten Studie, an der sie teilnehmen, von den verantwortlichen Forscher:innen konkret aufgeklärt und stimmen für den Zweck der Teilnahme an dieser Studie mit ihrer Unterschrift zu. Für Studien, bei denen eine persönliche Teilnahme der Proband:innen notwendig ist, weil ihnen etwa ein Medikament verabreicht oder Blut abgenommen wird, wird dieses Modell nicht in Frage gestellt.Footnote 3

Neue Potenziale für medizinische Forschung ergeben sich jedoch im Bereich einer rein auf Daten oder Bioproben gestützten Forschung. Insofern Daten und Biomaterial, das bei klinischen Standardbehandlungen gesammelt wurde, in Datenbanken und Biobanken zur Verfügung steht, ist eine persönliche Beteiligung von Proband:innen nicht mehr notwendig. Gerade dadurch werden Studien ggf. erheblich weniger aufwendig und es besteht die Möglichkeit, wesentlich größere Datenmengen einzubeziehen. Sind die Datenmengen hinreichend groß, wäre eine KI-gestützte Forschung möglich, von der zumindest einige Expert:innen annehmen, dass sie uns in kurzer Zeit zu einer großen Zahl neuer Erkenntnisse verhelfen, und damit erheblichen medizinischen Fortschritt befördern könnte (Greengard 2018; Murdoch und Detsky 2013; Topol 2019). Neben dem Problem fragmentiert vorliegender und wenig standardisierter Daten werden für Deutschland insbesondere aufwendige Datenschutz- und Einwilligungsanforderungen als Hindernisse identifiziert, weil sie ggf. prohibitive Kosten etwa in Form kaum zu erfüllender Aufwandsanforderungen mit sich bringen (Lesch et al. 2022; Martani und Hummel 2022).

Vor diesem Hintergrund ist nun der Vorschlag eines Modells der breiten Einwilligung zu verstehen: Studienteilnehmer:innen sollen etwa zu Beginn einer Behandlung in einer Klinik einmalig nach Aufklärung entscheiden, ob sie der Verwendung von Biomaterialien und Daten ihrer Person für die medizinische Forschung zustimmen wollen oder nicht. Falls sie dies tun, so sollen ihre Daten für eine noch nicht festgelegte Vielzahl von Studien verwendet werden können.

Insbesondere die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gibt hier aktuell die gültigen rechtlichen Rahmenbedingungen vor: Eine Forschung an anonymisierten Daten ist weitgehend ohne Einwilligung möglich, für die Forschung mit nicht-anonymisierten personenbezogenen Daten kann dann auf die Einholung der Einwilligung verzichtet werden, wenn die Ergebnisse dem öffentlichen Interesse dienen und andere datenschutzrechtliche Prinzipien eingehalten werden. Da aber bisher unklar ist, wie genau diese Ausnahme gehandhabt wird, wird im Regelfall von der Notwendigkeit einer Einwilligung für Forschungszwecke ausgegangen (Jorzig und Sarangi 2020). Der Vorschlag der Medizininformatik-Initiative sieht für deutsche Kliniken konkret Folgendes vor: Die Einwilligung erfolgt bei Aufnahme in die Klinik. Sie hat in Bezug auf die Erhebung von Daten und das Sammeln von Biomaterialien eine Gültigkeitsdauer von fünf Jahren, der Zeitraum der Aufbewahrung wird mit in der Regel 30 Jahren angegeben. Darüber hinaus erläutert das Informationsdokument:

In besonderen Fällen können Daten [falls zutreffend: und Biomaterialien] auch über diesen Zeitpunkt hinaus von erheblicher Bedeutung für die Wissenschaft sein. In diesen Fällen würden wir in Abstimmung mit den zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörden und einer unabhängigen Ethikkommission klären, ob auch eine weitergehende Nutzung Ihrer Daten [falls zutreffend: und Biomaterialien] möglich ist. (Medizininformatik-Initiative – AG Consent 2020, S. 1)

Die Einwilligung bezieht sich sowohl auf Patientendaten als auch ggf. auf Biomaterialien und benennt entsprechend die jeweiligen Träger der Datenbank(en) und Biobank(en). Als Ziel wird die medizinische Forschung benannt und zunächst wie folgt erläutert:

Medizinische Forschung dient ausschließlich dazu, die Erkennung, Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten zu verbessern; Ihre Patientendaten werden nicht für die Entwicklung biologischer Waffen oder diskriminierende Forschungsziele verwendet. Ebenso ist es nicht Ziel dieser Forschung, bei Ihnen eine Diagnose zu erstellen oder Ihre konkrete Behandlung zu beeinflussen. (Medizininformatik-Initiative – AG Consent 2020, S. 1)

Auf die Möglichkeit, die erteilte Einwilligung jederzeit zu widerrufen, wird verwiesen, und entsprechende Kontaktdaten sind im Dokument benannt. Die Eigentumsübertragung im Falle des Sammelns von Biomaterialien sowie das mit einer Rücknahme ggf. einhergehende Recht auf Zerstörung der Proben wird erläutert. Das Dokument klärt zudem darüber auf, welche Einrichtungen die Daten ggf. nutzen können. Des Weiteren werden Verfahren der Anonymisierung und Codierung erläutert.

Risiken der Rückverfolgung von Daten zu einer spezifischen Person werden benannt. In Bezug auf Biomaterial wird auf die prinzipiell immer mögliche Zuordnung von genetischem Material zu einer Person hingewiesen, sowie auf die mögliche Gewinnung von Informationen über genetisch bedingte Erkrankungen, die ggf. nicht nur die Person selbst, sondern auch Verwandte betreffen können.

Die Einwilligungsmöglichkeiten sind in einigen Punkten ausdifferenziert. Die Einwilligung kann separat für die Erhebung von Daten und zur Nutzung von Biomaterialien erfolgen. In Bezug auf die Nutzung von Biomaterialien wird darauf verwiesen, dass es hier in der Regel allein um die Nutzung von Restmaterialien geht. Eine gesonderte Option besteht, eine Einwilligung auch zur Entnahme geringfügiger zusätzlicher Mengen von Material zwecks der Spende zu Forschungszwecken zu erteilen. In Bezug auf die Nutzung von Daten wird die Einwilligung zur Einholung von Krankenkassendaten separat abgefragt. Die Einwilligung zur erneuten Kontaktaufnahme ist zum einen zwecks Einholung zusätzlicher Informationen von Patient:innen, zum anderen zum Zweck der Mitteilung von gesundheitsrelevanten Zusatzbefunden möglich.

Diese grobe Skizze einiger wesentlicher Aspekte des Dokuments stellt dar, in welcher Weise in diesem Vorschlag über Ziele und Risiken der Forschung aufgeklärt wird, um den Standards der informierten Einwilligung und den rechtlichen Vorgaben zu folgen.

Zwei Versionen eines Verfallseinwands gegen den Broad Consent

Bei der breiten Einwilligung wird in der Regel davon ausgegangen, dass die einmal erteilte Einwilligung Gültigkeit behält, solange ein Recht auf Widerruf gegeben ist, von diesem Recht durch Forschungsteilnehmende jedoch kein Gebrauch gemacht wird. Dieser Gedanke wird von Mikkelsen et al. (2019) grundlegend in Frage gestellt. Die Deutung von Schweigen als Zustimmung sei insbesondere insofern problematisch, als die Forschungsteilnehmer:innen schlicht vergessen könnten, dass sie ihre Einwilligung erteilt haben (Mikkelsen et al. 2019; Hofmann 2009). Sofern Forschungsteilnehmende nicht in irgendeiner Form regelmäßig informiert würden, so Mikkelsen et al., sei nicht davon auszugehen, dass die breite Einwilligung ihre Gültigkeit überhaupt über einen wesentlichen Zeitraum hinweg behalten könne.

Etwas differenzierter wird die Gültigkeit der breiten Einwilligung über die Zeit hinweg von Ploug und Holm betrachtet. Die beiden vertreten in der Debatte um angemessene Einwilligungsmodelle für eine zukunftsfähige medizinische Forschung die Position, dass ein Modell des Meta Consent dem Broad Consent vorzuziehen sei. Ihr Einwand geht dabei nicht von einem generellen Verfall der Gültigkeit aus, sondern stellt den Umfang dieser Einwilligung in mehreren Hinsichten in Frage. Sie werfen die Frage auf, inwieweit eine erteilte Einwilligung Gültigkeit beanspruchen kann, wenn in dem Zeitraum, auf den sich die Einwilligung bezieht, Veränderungen zu erwarten sind. Insbesondere folgende Veränderungen werden von den Autoren antizipiert: „1. Methods. 2. Purposes. 3. Types of data used. 4. Governance structures“ (Ploug und Holm 2020, S. 1). Den Vorgang der Information und Einwilligung verstehen sie so, dass er darauf abzielt, ein gemeinsames Verständnis davon herzustellen, wozu eine Einwilligung erbeten wird. Solch ein gemeinsames Verständnis ist jedoch notwendig zeitlich zu verorten. In Bezug auf lange Zeiträume erscheint es leicht einsichtig, dass ein Einwilligungsdokument aus dem Jahr 1980 als Einwilligung zu all jenen Praktiken und Zielen zu verstehen wäre, von denen 1980 anzunehmen war, dass sie unter die verwendeten Begriffe fallen. Läge uns ein solches Dokument im Jahr 2050 vor, dann müsste seine Gültigkeit notwendig aus dem historischen Kontext heraus verstanden werden, aus dem es kommt. Wir können nicht im Jahr 2050 entscheiden, was jetzt unter den Formulierungen des Dokuments zu verstehen ist, und auf diese Weise den Umfang seiner Gültigkeit bestimmen, ohne die ursprüngliche Intention der einwilligenden Person zu berücksichtigen.

Genau in diesem Sinne argumentieren Ploug und Holm, dass in jedem Fall, in dem unklar ist, ob eine bestimmte Handlung von der Einwilligung gedeckt ist oder nicht, die plausible Lesart der Einwilligung zum Zeitpunkt der Unterzeichnung durch Forschungsteilnehmende zu berücksichtigen ist. In Bezug auf Veränderungen von Forschungspraktiken, die sich im Laufe der Gültigkeit der Einwilligung ergeben, kann nicht angenommen werden, dass sie vom gemeinsamen Verständnis von Einwilligungsnehmenden und Einwilligungsgebenden zum Zeitpunkt der Einwilligung bereits umfasst wurden. Es ist, so die Autoren, das Verständnis der Einwilligenden, das als ausschlaggebend für die Gültigkeit der Einwilligung zu betrachten ist (Ploug und Holm 2019).

Die Diskrepanz zwischen einem Begriffsverständnis der Forschenden und der Teilnehmenden erläutern Ploug und Holm unter Bezug auf eine Studie, in der genetische Ursachen für gleichgeschlechtliche sexuelle Verhaltensweisen erforscht wurden. Hier wird nicht beansprucht, dass es sich bei gleichgeschlechtlichem sexuellen Verhalten um eine Krankheit handele. Es wird lediglich ein Zusammenhang zwischen manchen Krankheiten und gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen unterstellt (Holm und Ploug 2019). Dann aber, so die Autoren, lassen sich kaum noch Grenzen dafür benennen, was unter „health-related research“ fällt. Insbesondere in Bezug auf genetische Studien halten die Autoren fest: „(1) nearly all behaviours have some correlation with health and, (2) it would make all human genetic research ‚health related‘“ (Ploug und Holm 2020, S. 1). Das aber sei eine unplausible Interpretation der Reichweite der erteilten Einwilligung. Plausibler sei die folgende Lesart:

The understanding of what qualifies as health-related research is likely to change over time, but the restriction on allowable research is governed by the meaning the term had for participants at the time they gave their consent (Holm und Ploug 2019, S. 1460).

Dann jedoch ist die Gültigkeit einer breiten Einwilligung als weit eingeschränkter zu betrachten, als dies gemeinhin angenommen wird. Wenn Forschende und Institutionen zu einem späteren Zeitpunkt und bei der Aufnahme neuer Forschungsprojekte ihre eigene Auffassung des Einwilligungstextes zugrunde legen, dann würden sie de facto in vielen Fällen Forschung ohne Einwilligung betreiben.

Mikkelsen et al. sowie Ploug und Holm positionieren sich in einer laufenden internationalen Debatte und nehmen nicht konkret Bezug auf den oben vorgestellten Vorschlag der Medizininformatik-Initiative. Insbesondere Ploug und Holm gehen davon aus, dass eine weitere Verknüpfung mit anfallenden Gesundheitsdaten stattfindet, was in Deutschland nur eingeschränkt vorgesehen ist. Insgesamt eröffnen die Autor:innen jedoch eine problematisierende Perspektive auf die Gültigkeit von Broad Consent, die in besonderer Weise die zeitliche Dimension der erteilten Einwilligung berücksichtigt.

Bevor ich diese Perspektive im Folgenden weiter ausbaue und vertiefe, sei darauf hingewiesen, dass beide Einwände nicht ausschließlich das Modell des Broad Consent betreffen. Auch im Kontext einer studienspezifischen Zustimmung ist es durchaus möglich, dass ein Forschungsprojekt einen zeitlichen Verlauf aufweist, der Raum für die oben erläuterten Probleme lässt. Der Unterschied zwischen breiter Zustimmung und studienspezifischer Zustimmung ist im Hinblick auf die zeitliche Dimension prinzipiell als graduell einzuordnen. Insbesondere der Spielraum für Missverständnisse und auseinandergehende Interpretationen des Umfangs einer Zustimmung scheint sich jedoch signifikant zu erweitern, je breiter diese von Beginn an ausgelegt ist. Insofern können Verfallseinwände grundsätzlich auch in Fällen der studienspezifischen Einwilligung greifen, sie stellen jedoch für die breite Einwilligung ein gravierenderes Problem dar, weil hier die langfristige zeitliche Dimension immer gegeben ist, und der Gegenstand der Einwilligung breit gefasst ist, und daher notwendig zu einem gewissen Grad vage bleiben muss.

Ein beziehungsorientiertes Einwilligungsverständnis

Wenn es in der Medizinethik um informierte Einwilligung geht, dann wird dabei häufig auf Beauchamp und Childress verwiesen (2019). Am Einwilligungsmodell der beiden Autoren ist jedoch auch viel Kritik geübt worden, da dies ein enges Verständnis von Autonomie zugrunde legt und weitere Funktionen der Einwilligung kaum berücksichtigt. Ausgehend von kritischen Einwänden gegen dieses Modell lege ich im Folgenden ein beziehungsorientiertes Verständnis der Einwilligung zu Grunde, und stelle Wohlergehen, persönliche Souveränität sowie Vertrauen als zentrale zu verwirklichende Werte einer solchen Beziehung heraus. Ich werde dieses Verständnis hier zunächst knapp darlegen, bevor ich es in der Debatten um informierte Einwilligung einordne.

Da das Wohlergehen der Teilnehmenden im Kontext daten- und probenbasierter Forschung nicht im Sinne ihres physischen und psychischen Wohlergehens durch eine direkte Teilnahme an der Forschung betroffen ist, scheinen im Hinblick auf dieses Ziel insbesondere Risiken des Datenverlusts sowie mögliche indirekte Folgen eines Vertrauensverlusts in Institutionen der Gesundheitsversorgung relevant. Die zu vermeidenden Folgen eines Datenverlustes lassen sich ausbuchstabieren, als Einschränkungen der Privatsphäre, mögliche gesellschaftliche Stigmatisierungen oder konkrete finanzielle Nachteile etwa im Versicherungssystem, sowohl in Bezug auf die eigene Person, als möglicherweise auch für Angehörige (Kasperbauer et al. 2018).

Die persönliche Souveränität ist als zentraler Wert der Einwilligung durchaus wichtig, aber nicht im Sinne einer engen Konzeption von Autonomie auf die Möglichkeit zu reduzieren, einer Teilnahme an der Forschung zuzustimmen oder diese zu verneinen, noch ist sie auf eine Beurteilung des Grades der Autonomie der tatsächlich getroffenen Entscheidung angewiesen. Sie kann sinnvoll so verstanden werden, dass sie auch das Recht umfasst, einer Teilnahme ohne umfassendes Verständnis zuzustimmen. Gleichzeitig umfasst die Ausübung persönlicher Souveränität das Recht, eine eigene Einschätzung von Risiken sowie eine Beurteilung von Forschungszielen vor dem Hintergrund eigener Wertvorstellung selbständig vorzunehmen. Diese Möglichkeit ist jedoch aufgrund der anzunehmenden Informationsasymmetrie zwischen Forschenden und Forschungsteilnehmer:innen nur dann gegeben, wenn hinreichende Informationen in angemessener Form kommuniziert werden. Jenseits der praktischen Ermöglichung einer Entscheidung, die dann soweit informiert ist, wie die Teilnehmenden selbst es wünschen, kann die Bereitstellung von Informationen als Ausdruck von Respekt über die Herstellung eines größtmöglichen Maßes an Transparenz verstanden werden, um somit jeglichen Verdacht auf den Versuch einer Manipulation auf der Beziehungsebene auszuräumen.

Hier wird deutlich, dass die Anerkennung der persönlichen Souveränität in gewissem Maße schon voraussetzt, die Beziehungsperspektive einzubeziehen und das Verhältnis zwischen Forschenden, datenspeichernden Einrichtungen und Einwilligenden als ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens zu konzipieren. Dabei geht es nicht um ein Vertrauen im umfassenden Sinne persönlicher Beziehungen, noch um Vertrauen als Selbstwert. Auf personaler Ebene stellt das Vertrauen in die Aufrichtigkeit und Transparenz der jeweiligen Akteure eine Grundvoraussetzung der respektvollen Beziehung auf Augenhöhe dar und trägt dazu bei, auch langfristig die persönliche Souveränität zu wahren. Auf institutioneller Ebene ist es als Grundvoraussetzung für langfristige Forschungspartnerschaften zu betrachten, und muss zudem als flankierende Bedingung einer guten gesellschaftlichen Gesundheitsversorgung berücksichtigt werden.

Diese Auffassung von Einwilligung grenzt sich deutlich ab von der Position von Beauchamp und Childress (2019), die darauf verweisen, dass die Notwendigkeit der Einwilligung zunächst als Option verstanden wurde, Schaden zu vermeiden, dann aber ab etwa Mitte der 70er-Jahre primär unter dem Ziel betrachtet wurde, autonome Entscheidungen zu ermöglichen. Beauchamp and Childress gehen davon aus, dass die Notwendigkeit der informierten Einwilligung heute im Respekt vor der Autonomie begründet liegt.

Miller und Wertheimer positionieren sich gegen Beauchamp und Childress. Sie verorten den zentralen Wert der informierten Einwilligung erstens in der persönlichen Souveränität, der sie eine negative und positive Dimension zuschreiben, und zweitens im Wohlergehen. Wohlergehen wird im Kontext von Diskussionen um die Einwilligung klassischerweise im Sinne eines körperlichen und psychischen Wohlergehens im Kontext gesundheitlicher Versorgung verstanden. In der Diskussion um Einwilligung zu Forschung, die allein auf Datenbasis oder mit Biomaterialien stattfindet und keinerlei direkte Beteiligung von Proband:innen erfordert, ist zurecht darauf verwiesen worden, dass hier keine direkten Risiken für das Wohlergehen von Forschungsteilnehmenden in diesem Sinne anzunehmen sind. Risiken in Bezug auf die Qualität von Gesundheitsversorgung lassen sich indirekt anbringen, wenn etwa ein möglicher Vertrauensverlust in Institutionen der Gesundheitsversorgung angenommen wird (Ploug 2020). Risiken verlagern sich sonst vor allem hin zu Risiken des Datenverlusts, die in der Folge dann Einschränkungen der Privatsphäre, gesellschaftliche Stigmatisierung oder finanzielle Nachteile bedeuten können, um nur einige mögliche Folgen zu nennen (Kasperbauer et al. 2018).

Zentral bleibt für Miller und Wertheimer die persönliche Souveränität, die sie bewusst in Abgrenzung zu Beauchamp und Childress nicht mit dem Begriff der Autonomie benennen, um sich in der philosophischen Tradition des Begriffsfeldes anders zu verorten. Die positive Dimension der persönlichen Souveränität soll aufzeigen, dass es nicht allein darum gehen kann, sich gegen unzulässige Eingriffe anderer zu schützen, sondern dass die Dimension der Ermöglichung von kooperativen Handlungen mindestens ebenso wichtig ist (Miller und Wertheimer 2011).Footnote 4

An diesem begrifflichen Punkt setzt die Kritik von Miller und Wertheimer an einem Verständnis von informierter Einwilligung im Sinne einer autonomen Autorisierung an. Unter Bezug auf empirische Studien weisen sie auf, dass die hohen Anforderungen an eine autonome Entscheidung in der Praxis häufig nicht erfüllt sind – etwa, weil Studienteilnehmer:innen zu Unrecht davon ausgehen, eine Beteiligung an der Forschung würde ihnen eine bessere gesundheitliche Versorgung sichern. Eine Anpassung der Praxis aber, um den hohen Anforderungen an Autonomie zu begegnen, würde zum einen Forschende überfordern, zum anderen die Teilnehmenden in ihrer persönlichen Souveränität unverhältnismäßig einschränken, wenn sie mit Verweis auf ihr mangelndes Verständnis von der Teilnahme ausgeschlossen würden. Zudem zeigen Miller und Wertheimer auf, dass es aus einer sprechakttheoretischen Perspektive heraus nicht als plausibel erscheinen kann, auf mentale Zustände des Informiert-Seins als Kriterium des Gelingens der Einwilligung zu verweisen (Miller und Wertheimer 2010; Austin 2002).

Gestützt wird diese Position auch mit dem Verweis darauf, dass Forschungsteilnehmende ein Interesse daran haben können, sich nicht in der Tiefe mit bereitgestellten Informationen auseinanderzusetzen, weil eine solche Auseinandersetzung für sie notwendig Kosten mit sich bringt: „a prospective consenter may have an interest in foregoing information or the effort to understand that information even though it is relevant to the decision at hand. The acquisition and understanding of information is costly in terms of time, mental energy, psychic stress, and money“ (Miller und Wertheimer 2010, S. 93; siehe auch Richter und Buyx 2016).

Miller und Wertheimer sind bemüht, eine kontextübergreifende Analyse von Einwilligung zu liefern und damit die Einwilligung im medizinischen Kontext etwa konsistent mit der Einwilligung zum Sex oder Hauskauf zu denken. Sie gestehen jedoch zu, dass das Vorliegen einer Informationsasymmetrie ggf. von Bedeutung ist: „If the information is deeply asymmetrical, as in medical treatment or research or the sale of a house, then fairness may require that the more knowledgeable party make the information available to the less knowledgeable party“ (Miller und Wertheimer 2010, S. 95). Es erscheint naheliegend, die in der Regel vorliegende Asymmetrie zwischen Forschenden und Teilnehmenden, die in der Medizinethik in Bezug auf die Beziehung von Ärzt:innen und Patient:innen häufig hervorgehoben wird, als Grund für die besondere Betonung der Notwendigkeit einer Aufklärung in diesem Kontext zu begreifen. Wir haben es auch in der Forschung mit Beziehungen zu tun, in denen die eine Seite eine hochspezialisierte Ausbildung genossen hat, während die andere Seite sich in einer Situation existentieller Betroffenheit befindet, aber über kein vergleichbares Wissen verfügt.

Auch Manson und O’Neill kritisieren die Anforderung der informierten Einwilligung in ihrer klassischen Auslegung für eine Überbetonung von Explizität und Spezifität und eine falsche Fokussierung auf Autonomie. Als Alternative schlagen sie vor, die Einwilligung aus der Perspektive des gelungenen kommunikativen Aktes neu zu denken. Die informierte Einwilligung kann, so stellen sie im Einverständnis mit den bisher zitierten Autoren fest, nicht als Selbstzweck verstanden werden. Sie dient dem Ziel einer moralischen Transformation, sie stellt einen Akt der Aufhebung von Rechten und Pflichten dar, die sich auf grundlegendere Normen beziehen. In Bezug auf die Einwilligung sollten daher Kriterien eines gelungenen Sprechaktes und gelungener interpersonaler Beziehungen herangezogen werden (Manson und O’Neill 2008).

Manson und O’Neill gehen dabei jedoch so weit, sich von einem Bezug auf Autonomie oder persönliche Souveränität ganz abzuwenden, um stattdessen auf akzeptierte Normen der Kommunikation zu verweisen. Problematisch ist dabei, dass unklar bleibt, auf welche Werte diese Normen der Kommunikation dabei abzielen, und dass nicht berücksichtigt wird, dass kommunikative Normen durchaus praxisspezifisch unterschiedlich sein und an die Ziele einer Praxis angepasst werden können.

Eine weitere vielversprechende Perspektive in dieser Debatte bieten Dickert et al. (2017, S. 3). Sie schlagen vor, sieben Funktionen der informierten Einwilligung zu unterscheiden: „(1) providing transparency; (2) allowing control and authorization; (3) promoting concordance with participant’s values; (4) protecting and promoting welfare interests; (5) promoting trust; (6) satisfying regulatory requirements; and (7) promoting integrity in research.“ Dabei wird den ersten vier Funktionen ein ethischer Wert im Hinblick auf die Teilnehmenden zugeschrieben, während die letzten drei auf institutionelle Kontexte bezogen sind.

Versuchen wir die Ansätze von Miller und Wertheimer (2010, 2011) sowie Dickert et al. (2017) zusammenzudenken, dann lassen sich die Funktionen (2) und (3) nach Dickert et al. als Aspekte der Ermöglichung persönlicher Souveränität im Sinne von Miller und Wertheimer verstehen. Während Funktion (4) erneut das Wohlergehen aufgreift, scheint Funktion (1) mit der Betonung der Transparenz auf einen anderen Aspekt zu verweisen. Dickert et al. erläutern diese Funktion einmal im Hinblick auf die Vermeidung jeglicher Form von Täuschung, zum anderen aber auch als Ausdruck von Respekt gegenüber der Person der Teilnehmenden. Und sie weisen darauf hin, dass insbesondere der Prozess der Aufklärung als ein Vorgang verstanden werden kann, der eine solche Transparenz fördert. Sie lässt sich damit doppelt einordnen: Als Ausdruck von Respekt ist Transparenz in gewissem Maße Voraussetzung der Anerkennung der persönlichen Souveränität einer Person, mit der wir auf Augenhöhe interagieren wollen. Zum anderen kann sie im Kontext einer langfristig gedachten Beziehungsperspektive als Beitrag zur Ermöglichung einer Vertrauensbeziehung verstanden werden, wie sie auch von Manson und O’Neill (2008) eingefordert wird.

Dickert et al. ordnen das Vertrauen den Funktionen auf institutioneller Ebene zu, was jedoch fraglich erscheint, wenn man annimmt, dass ein konkretes personales Vertrauen in Forschende und ein generalisiertes Vertrauen in Institutionen des Gesundheitssystems eng miteinander verknüpft sind. Ein Erhalt von Vertrauen in Institutionen und Akteure des Gesundheitssystems und der medizinischen Forschung erscheint nicht nur relevant, um eine langfristige Bereitschaft zur Unterstützung der Forschung zu sichern. Ploug (2020) hat zudem darauf hingewiesen, dass eine signifikante Abnahme des Vertrauens in Institutionen des Gesundheitssystems, wie sie auch als Reaktion auf Skandale im Umgang mit persönlichen Daten durchaus erwartet werden kann, sich indirekt zum Schaden der Forschungsteilnehmenden auswirkt, insofern diese als Folge möglicherweise auf die Inanspruchnahme von benötigter medizinischer Hilfe verzichten. Vertrauen in unser Gesundheitssystem ist durchaus ein Faktor in der Qualität gesundheitlicher Versorgung.

Ich werde im Folgenden also Wohlergehen, persönliche Souveränität, sowie Vertrauen als zentrale Indikatoren einer gelungenen Beziehung und damit als die ethischen Werte annehmen, die in einem Verfahren der Einwilligung verwirklicht werden sollten. Damit sind wesentliche Aspekte der Position von Miller und Wertheimer abgebildet (ohne auf den von den Autoren vorgeschlagenen, aber ebenso problematischen Fairnessbegriff auszuweichen), und wir haben gleichzeitig die Funktionen (1) bis (5) berücksichtigt, die Dickert et al. vorschlagen. (Die Funktionen (6) und (7) fallen aus dieser Analyse heraus, was insofern akzeptabel erscheint, als diese Funktionen tatsächlich wenig mit der Beziehung zwischen Forschenden, Institutionen und Einwilligenden zu tun haben, die im Fokus dieser Arbeit steht.) Mit einer stärkeren Betonung des Vertrauens als einem wichtigen Aspekt einer langfristig gedachten gelungenen Kooperation zwischen Forschenden und Einwilligenden ist zudem der zentrale Gedanke von Manson und O’Neill berücksichtigt, dass in der Betrachtung der Einwilligung die Beziehungsperspektive eine wesentlich wichtigere Rolle spielen sollte als ein enges Verständnis von Autonomie.

Für die Praxis wird es notwendig sein, konkrete Kriterien gelungener kommunikativer Akte oder Transaktionen zu benennen, um festzulegen, wann wir den Akt der Einwilligung als moralisch transformativ begreifen wollen. Die Beurteilung der tatsächlichen Informiertheit von Studienteilnehmenden tritt dabei in den Hintergrund, ohne dass deshalb der Akt der Bereitstellung von Informationen notwendig an Bedeutung verliert. Ich gehe davon aus, dass die Bereitstellung von Informationen als kommunikativer Akt im Kontext der informierten Einwilligung darauf abzielt, die persönliche Souveränität der Teilnehmenden zu wahren sowie ihr Wohlergehen zu schützen, als auch darauf, ein Vertrauen in Forschungsinstitutionen sowie Einrichtungen der Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten und zu stärken. Angemessene Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele sollten auf Handlungsebene, nicht auf Ebene mentaler Zustände formuliert werden, um praktisch umsetzbar und überprüfbar zu sein. Sie sind vor dem Hintergrund einer anzunehmenden wesentlichen Informationsasymmetrie zwischen Forschenden und Forschungseinrichtung sowie Teilnehmenden zu formulieren.

Zuletzt sei angemerkt, dass ein Modell der informierten Einwilligung, das das Wohlergehen der Forschungsteilnehmenden schützt, ihre persönliche Souveränität respektiert und Vertrauen bewahrt, dabei im Folgenden nicht als unhintergehbare Voraussetzung legitimer Forschung verstanden wird (vgl. auch die oben bereits erwähnten Ausnahmen in der DSGVO), sondern als eine Praxis zur Verwirklichung ethischer Werte, die mit anderen Zielen und Werten abzuwägen sind. Die Frage, wann andere Werte ggf. überwiegen und eine Einwilligung daher verzichtbar machen, ist jedoch nicht Gegenstand dieses Aufsatzes.

Die zeitliche Dimension des Broad Consent

Ausgehend von den oben vorgestellten Einwänden möchte ich im Folgenden detaillierter erläutern, welche Entwicklungen innerhalb eines Gültigkeitszeitraums von 30 Jahren absehbar eintreten können, die als signifikant für die ursprünglich erteilte Einwilligung erscheinen. Insbesondere werde ich darlegen, inwiefern diese Entwicklungen Risiken in Bezug auf Wohlergehen und Souveränität der Forschungsteilnehmenden darstellen oder mit sich bringen, und wie sie in Bezug auf eine angestrebte Vertrauensbeziehung zwischen Forschenden, Forschungsteilnehmenden und datenspeichernden Einrichtungen einzuordnen sind. Wo möglich, werden Maßnahmen vorgeschlagen, um diese Risiken zu minimieren.

Die zeitliche Dimension aus Perspektive von Forschungsteilnehmer:innen

Nehmen wir zunächst an, dass sich auf Seite der Forschung und der datenspeichernden Institutionen nichts ändert. Dann wäre in einer Zeitspanne von 30 Jahren mindestens folgendes möglich: Forschungsteilnehmer:innen könnten ihre Meinung ändern und den Umfang der Einwilligung einschränken, oder aber die Einwilligung überhaupt zurückziehen wollen. Sie könnten die Tatsache, dass sie je eingewilligt haben, schlicht vergessen (Mikkelsen et al. 2019). Es ist des Weiteren wahrscheinlich, dass eine signifikante Anzahl von Forschungsteilnehmenden im Zeitraum von 30 Jahren den Wohnsitz wechseln wird, so dass eine Kontaktaufnahme durch Forschende oder datenspeichernde Institutionen erschwert wird. Zudem werden voraussichtlich einige Teilnehmende in diesem Zeitraum ihre Zustimmungsfähigkeit verlieren oder sterben.

Wie kann diesen Eventualitäten sinnvoll begegnet werden? Die Möglichkeit der Rücknahme der Einwilligung ist gesetzlich vorgeschrieben und auch im erarbeiteten Vorschlag der Medizininformatik-Initiative explizit vorgesehen. Sie sichert die andauernde persönliche Souveränität und stellt zudem eine Handlungsoption zum Schutz des eigenen Wohlergehens oder dem von Angehörigen dar, sofern sich die eigene Risikoeinschätzung ändert. Um diese Option nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zur Verfügung zu stellen, ist die einfache Erreichbarkeit der speichernden Institution sicherzustellen. Gegenseitige Erreichbarkeit kann zudem als Grundbedingung einer andauernden kooperativen Beziehung verstanden werden. Die Kontaktdaten werden auf dem Einwilligungsdokument genannt, sollten aber – für den Fall des Verlusts der Unterlagen – auch darüber hinaus leicht auffindbar sein. Diesem Anspruch Genüge zu tun, dürfte für die meisten Institutionen kein großes Problem darstellen.

Was die Option der Vergesslichkeit angeht, so ist anzumerken, dass hier die Verantwortung durchaus plausibel auf Seite der Forschungsteilnehmenden verortet werden kann. Betrachten wir die Einwilligung als eine Art von geschlossenem Vertrag, dann lassen sich leicht andere Kontexte aufzeigen, in denen es als zumutbar gilt, Personen zu erlauben, langfristige Entscheidungen zu treffen, die sie später eventuell zurücknehmen wollen könnten. Jede kostenpflichtige Mitgliedschaft in einem Verein stellt etwa eine solche Entscheidung dar. Thomas Gutmann verweist in diesem Kontext auf die „Nunczentrizität“ des Rechts, das Verträge als Mittel zur Selbstbindung unterstützt. Dieses Recht sieht Ausnahmen vor – etwa in Form des Grundsatzes der jederzeitigen freien Widerruflichkeit „höchstpersönlicher“ Dispositionen, der etwa die Zustimmung zum Sex oder zu medizinischen Eingriffen umfasst. Das Recht auf jederzeitigen Widerruf der Einwilligung zur Forschung stellt bereits eine solche Ausnahme im Sinne der „höchstpersönlichen“ Dispositionen dar. Insofern bei rein daten- und probenbasierter Forschung der menschliche Körper nicht direkt involviert ist, könnte auch diese Einordnung in Frage gestellt werden, bisher wird sie in der Diskussion um das Modell der breiten Einwilligung jedoch weitestgehend nicht in Zweifel gezogen (Gutmann 2020).

An viele Formen solcher andauernden Vertragsbeziehungen werden wir dennoch in regelmäßigen Abständen erinnert – sei es in Form regelmäßiger Abbuchungen von unserem Konto oder durch die jährliche Vereinspost. Eine regelmäßige Information über die Teilnahme an der Forschung in ähnlicher Form könnte durchaus eine sinnvolle Maßnahme zur Aufrechterhaltung des Vertrauens darstellen.

Diese Maßnahme erscheint zudem sinnvoll, um ein weiteres Problem zu adressieren. Wenn Forschungsteilnehmer:innen im Laufe der 30 Jahre ihren Wohnsitz wechseln, ohne ihre neue Anschrift mit datenspeichernden Einrichtungen zu teilen, so wird eine erneute Kontaktaufnahme wesentlich erschwert oder gar unmöglich. Aus Perspektive der Forschung wäre die Option der erneuten Kontaktaufnahme jedoch extrem wünschenswert, etwa um bei Änderungen von Rahmenbedingungen eine erneute Einwilligung anfordern zu können (vgl. hierzu auch die folgenden Abschnitte zur zeitlichen Dimension aus Perspektive der Forschungspraxis und datenspeichernden Institutionen). Aus Perspektive der Forschungsteilnehmenden wäre die andauernde Möglichkeit der Kontaktaufnahme insbesondere auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Mitteilung von Zufallsbefunden ggf. wesentlich und wichtig (Fisher et al. 2015; Schaefer und Savulescu 2018). Die Mitteilung einer Adressänderung erscheint also aus allen Perspektiven als wünschenswert, die Verantwortung hierfür kann aus praktischen Gründen nur den Forschungsteilnehmenden zugeschrieben werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese ihrer Verantwortung in dieser Hinsicht nachkommen, dürfte wesentlich steigen, wenn ihnen ihre Teilnahme an der Forschung in regelmäßigen Abständen ins Gedächtnis gerufen wird.

Der Verlust der Einwilligungsfähigkeit stellt in vielen medizinethischen Kontexten eine große Herausforderung dar. Der Fall der bereits erteilten breiten Einwilligung zur Forschung kann als ein vergleichsweise unproblematischer Fall eingeordnet werden, insofern hier eine schriftliche Willensäußerung vorliegt, die zu einem Zeitpunkt der Einwilligungsfähigkeit getätigt wurde. In Bezug auf die Möglichkeit des Verlustes der Einwilligungsfähigkeit lernen wir aus dem Blick in den rechtlichen Kontext, dass der einwilligungsfähigen Person in anderen Kontexten explizit die Option gegeben wird, bindende Entscheidungen für einen eventuell eintretenden Zustand fehlender Einwilligungsfähigkeit zu treffen:

Insbesondere, aber nicht nur im deutschen Recht ist geklärt, dass die jetzt (hinreichend) autonome Person über die Behandlung sowie über die Bedingungen der Existenz oder Nichtexistenz späterer, substantiell nichtautonomer „Erscheinungsformen ihrer selbst“ entscheiden kann (Gutmann 2020, S. 28).

Sofern vor Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit also eine Bereitstellung von Daten für die Forschung explizit gewünscht wurde, scheint es hier legitim anzunehmen, dass dieser Wunsch fortbesteht. Zu diskutieren wäre ggf. inwiefern Angehörigen oder Betreuungspersonen ein Recht auf Rücknahme der erteilten Einwilligung eingeräumt werden sollte.Footnote 5

Nicht zuletzt können Forschungsteilnehmer:innen im Zeitraum der 30 Jahre versterben. Sie steigen damit notwendigerweise als Kommunikationspartner:innen aus der Forschungsbeziehung aus. Information und Re-kontaktierung fallen als Optionen weg, eine Aktualisierung der Einwilligung bei geänderten Rahmenbedingungen oder neuartigen Forschungsvorhaben ist dann nicht mehr möglich. Wie im Fall des Verlusts der Einwilligungsfähigkeit scheint es hier aber nicht notwendig, die Gültigkeit der bereits erteilten Einwilligung in Frage zu stellen – wer vor seinem Tod die eigene Einstellung zur Forschung nicht geändert und die breite Einwilligung nicht zurückgezogen hat, wird es logischerweise nach dem eigenen Tod auch nicht mehr tun.

Im Hinblick auf Vergesslichkeit und möglichen Verlust von Einwilligungsfähigkeit erscheint die Gültigkeit des Broad Consent also aus rechtlicher Perspektive zunächst als unproblematisch einzuordnen, solange die Möglichkeit des Widerrufs praktisch gegeben ist. Aus ethischer Perspektive erscheint eine regelmäßige Kontaktaufnahme einfachster Art als wünschenswert, die die Forschungsteilnehmenden an ihre Rolle erinnert. Sie bietet zudem eine geeignete Maßnahme, um das Ausscheiden von Forschungsteilnehmenden aus der Kommunikation als Folge von Wohnortänderungen zu reduzieren, während der Kommunikationsausstieg als Folge von Verlust von Einwilligungsfähigkeit oder Tod als unvermeidbar einzuordnen ist. In beiden Fällen erscheint es nicht notwendig, die Gültigkeit der Einwilligung in ihrer vorliegenden Form in Frage zu stellen, insofern diese als explizite Absichtserklärung verstanden werden kann.

Die zeitliche Dimension in der Forschungspraxis

Wie insbesondere Ploug und Holm bereits aufgezeigt haben, ist in einem Zeitraum von 30 Jahren nicht allein davon auszugehen, dass es auf Seiten der Forschungsteilnehmenden zu Veränderungen kommt. Betrachten wir die Praxis der Forschenden, dann ist festzuhalten, dass Änderungen möglich sind, insbesondere in Bezug auf die Frage, was genau erforscht wird und wie geforscht wird. Der Vorschlag der Medizininformatik-Initiative schreibt fest, dass die Einwilligung sich auf medizinische Forschung bezieht, die dem Ziel der Erkennung, Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten dient. Hiermit wird im Wesentlichen die Reichweite der Einwilligung umrissen.

Nehmen wir den Begriff der Krankheiten in den Blick, dann wird schnell klar, dass hiermit keine eindeutige Abgrenzung getroffen ist. Ploug und Holm verweisen darauf, dass mindestens jegliche Forschung am Genom in einen Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit gebracht werden kann und dass etwa Forschungsstudien zu sexuellen Präferenzen durchaus im Widerspruch zu den Wertvorstellungen von Studienteilnehmer:innen stehen können (Ploug und Holm 2020). Im Historischen Wörterbuch der Philosophie findet sich zum medizinischen Krankheitsbegriff an prominenter Stelle folgende Feststellung: „Der K.-Begriff wurde kaum je präzise abgegrenzt und gebraucht“ (Rothschuh 1971, S. 1186). Die Fachdiskussion ist entsprechend divergent und reicht von einem biostatistischen Krankheitsmodell nach Christopher Boorse bis zu einem Modell, das soziale und gesellschaftliche Faktoren berücksichtigt, etwa bei Lennart Nordenfeldt (Boorse 1977; Nordenfelt 2007; Lenz 2018).

Konkret lässt sich auch an den vielen Überarbeitungen des ICD (International Classification of Diseases) vom Jahr 1900 bis heute (die Einführung des ICD-11 steht in Deutschland bevor) anschaulich nachvollziehen, dass unsere Auffassung von Krankheit einem stetigen Wandel unterliegt (Bowker 1996; Brämer 1988). Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass mit einer Festlegung auf Forschung, die der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten dient, der Umfang der Gültigkeit der Einwilligung klar eingegrenzt ist, erst recht nicht über einen längeren Zeitraum hinweg.

Kaum einfacher dürfte es sein, die Frage zu beantworten, was unter medizinischer Forschung zu verstehen ist. Zum einen fällt die Abgrenzung zu anderen Forschungsbereichen schwer. Stefan Beck verweist etwa darauf, dass einige Erkenntnisse der Epigenetik Anlass zu der Forderung geben, mehr anthropologische und ethnologische Forschung zu kulturellen Faktoren zu unternehmen, die krankheitsvermeidende oder krankheitsgenerierende Effekte haben (Beck 2011, S. 158). Fallen solche Projekte unter die medizinische Forschung? In der Praxis dürfte die Antwort auf diese Frage vor allem davon abhängig sein, ob sie an einer medizinischen Fakultät oder anderen Einrichtung mit medizinischem Bezug durchgeführt werden, oder nicht. Theoretisch ist dieses Unterscheidungskriterium wenig zufriedenstellend. Sicher werden die meisten Menschen, die ihre Daten zur Nutzung für die medizinische Forschung freigeben, nicht davon ausgehen, dass ihre Kultur erforscht werden soll – obwohl es gute Gründe geben könnte, genau dies zu tun. Der Verweis auf die Medizin erweist sich also als kaum weniger vage als der Verweis auf das Ziel der Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten.

Zudem ist davon auszugehen, dass im Zeitraum von Jahrzehnten neue Forschungsmethoden zugänglich werden, die zwar ggf. eindeutig in den Bereich der medizinischen Forschung fallen, die aber zum Zeitpunkt der Einwilligung durch Forschungsteilnehmende kaum zu antizipieren waren. So sind in den vergangenen Jahrzehnten die Möglichkeiten der genetischen Diagnostik stark gewachsen, wodurch etwa zunehmend Risiken für Erbkrankheiten identifiziert werden können (Ploug und Holm 2020). Was aber etwa genau ein Heterozygotentest (Zerres 2003) ist und was dieser ggf. für die eigenen Nachkommen bedeuten könnte, kann kaum als geteiltes gesellschaftliches Wissen vorausgesetzt werden.

Ploug und Holm argumentieren, dass für die Reichweite der Gültigkeit der Einwilligung das Verständnis der Forschungsteilnehmenden zum Einwilligungszeitpunkt als ausschlaggebend betrachtet werden sollte. Nehmen wir den oben vorgestellten Standardansatz der Einwilligung im Sinne einer autonomen Autorisation als Grundlage, dann würde das Ziel darin liegen, die Aufklärung von Forschungsteilnehmenden so zu erweitern, dass sie den Versuch umfasst, nicht nur über aktuelle Ziele und Praktiken medizinischer Forschung umfassend aufzuklären, sondern zusätzlich den Versuch zu unternehmen, zukünftige Entwicklungen zu antizipieren, um über mögliche neue Forschungsfelder und Forschungspraktiken der kommenden 30 Jahre zu informieren.

Ich habe mit Miller und Wertheimer aufgezeigt, dass ein Verständnis verfügbarer Informationen nicht sinnvoll als Voraussetzung für eine gültige Einwilligung angenommen werden sollte, insofern plausibel angenommen werden kann, dass Forschungsteilnehmende ein Interesse daran haben, sich mit diesen Informationen nicht im Detail auseinanderzusetzen – gerade weil es sich um ein komplexes Feld handelt, auf dem unser Alltagswissen uns nicht notwendig besonders weit trägt. Dennoch gebietet der Respekt vor der persönlichen Souveränität von Forschungsteilnehmenden, ihnen die Möglichkeit zu geben, sich soweit zu informieren, dass der Umfang ihrer Zustimmung und die damit möglicherweise einhergehenden Risiken für sie verständlich werden. Eine umfassende einmalige Aufklärung sowohl in Bezug auf den Umfang und die Grenzbereiche von Forschungsinhalten, als auch in Bezug auf gegenwärtige und zu erwartende Forschungsmethoden erscheint jedoch kaum als ein realistisches kommunikatives Ziel.

Betrachtet man den Akt der Aufklärung zudem vor dem Hintergrund des Ziels, eine angenommene Informationsasymmetrie zu reduzieren, so ist bei einer angestrebten Gültigkeit der Einwilligung über Jahrzehnte anzunehmen, dass die Informationsasymmetrie in Bezug auf Forschungsziele und -praktiken zwischen Forschenden und Teilnehmenden mit der Zeit erneut zunimmt, egal wie umfassend die ursprüngliche Aufklärung ausgefallen ist. Denn während Forschende und datenspeichernde Institutionen ständig in Kontexte der Forschung eingebunden sind, kann nicht angenommen werden, dass sich Forschungsteilnehmende kontinuierlich über neue Entwicklungen informieren. Sollten sie es versuchen, wären sie noch immer in einer benachteiligten Position, da zumindest der überwiegenden Mehrheit die Kompetenz fehlen dürfte, hochspezialisierten fachlichen Diskursen zu folgen.

Wie kann diesem Problem begegnet werden? Das Informationsproblem scheint im Kontext der breiten Einwilligung erheblich verschärft gegenüber dem Modell der studienspezifischen Einwilligung, weil hier nicht über konkrete Studien und Forschungsziele, sondern über den gesamten Raum der Möglichkeiten aufgeklärt werden soll. Das aber erscheint als ein kaum praktikables kommunikatives Ziel. Es könnte daher durchaus bedenkenswert sein, nicht in Bezug auf das Modell der Einwilligung, wohl aber in Bezug auf den Modus der Information am Grundgedanken der studienspezifischen Einwilligung festzuhalten: Studienteilnehmer:innen könnten zum Zeitpunkt der Einwilligung in groben Zügen Informationen über die Ziele und Methoden der laufenden und geplanten Forschungsprojekte zur Verfügung gestellt werden. Sie könnten darüber hinaus in regelmäßigen Abständen über neue Projekte und ggf. neue Methoden informiert werden. Dies würde ihnen nicht nur die Auseinandersetzung mit Informationen erleichtern, sondern gleichzeitig die bestehende Kooperation in Erinnerung rufen, ein Gefühl der Beteiligung vermitteln. Somit erschient die Maßnahme zudem geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen Forschenden und Forschungsteilnehmenden zu stärken.

Im Anbetracht des möglichen Umfangs dieser Informationen ist trotz einer über die Zeit verteilten zur Verfügungstellung nicht unbedingt anzunehmen, dass Studienteilnehmende sie tatsächlich vollständig lesen. Aber zumindest wird ihnen auf diese Weise nicht nur einmalig, sondern wiederholt die Option gegeben, ihre persönliche Souveränität auch im Hinblick auf die eigene Einschätzung von Risiken oder die Beurteilung von Forschungszielen auszuüben. Damit diese Form der Information ihren Zweck erfüllen kann, muss sie adressat:innenadäquat aufbereitet und leicht zugänglich sein, etwa in Form eines allgemeinverständlich formulierten Newsletters. Verstreute Fachinformationen auf diversen Internetseiten vielfältiger Forschungseinrichtungen sind hierfür nicht geeignet. Gerade dann bliebe es Studienteilnehmenden weiterhin überlassen, diese Informationen zu ignorieren, ohne dass dies als eine Einschränkung ihrer Souveränität einzuordnen ist – die Entscheidung, sich mit den Informationen nicht auseinandersetzen zu wollen, kann dann plausibel als freiwillige Entscheidung eingeordnet werden.

Auf diese Weise scheint den oben formulierten Zielen der Ermöglichung persönlicher Souveränität, Schutz des Wohlergehens und Herstellung von Vertrauen angemessen Rechnung getragen zu werden. In einem Punkt bleibt dieses Modell dennoch hinter dem Anspruch der studienspezifischen Einwilligung zurück: Bei einem Modus regelmäßiger Informationsupdates, etwa in Form eines Newsletters, ist nicht davon auszugehen, dass Informationen immer vor Beginn einer Studie geteilt werden. Ggf. werden die Teilnehmenden erst nach Aufnahme der Studie über wichtige Teilaspekte informiert und haben damit auch nicht mehr notwendig die Option, die Nutzung der eigenen Daten zu verweigern. Immerhin aber haben sie die Option, auf Basis regelmäßiger Informationsupdates ihre Bereitschaft zur Teilnahme allgemein zu hinterfragen und sich zum Widerruf zu entscheiden, sofern Studien aufgenommen werden, die möglicherweise in Zielen oder Methoden ihren Wertvorstellungen entgegenstehen.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass die Einwilligungsbeziehung dabei als Beziehung mit Verantwortung auf beiden Seiten zu verstehen ist: Studienteilnehmende haben zwar prinzipiell keine moralische Pflicht, sich mit dem bereitgestellten Material auseinanderzusetzen. Wohl aber liegt es in ihrer eigenen Verantwortung, die Entscheidung zu treffen, ob sie eine solche Auseinandersetzung für die Wahrung ihrer persönlichen Souveränität als notwendig erachten oder nicht.

Datenspeichernde Institutionen und Biobanken im zeitlichen Verlauf

Im Fall der breiten Einwilligung ist in der Regel davon auszugehen, dass Forschende und Forschungsteilnehmende nicht direkt miteinander kommunizieren, sondern zwischen ihnen eine Institution steht, die Daten und/oder Biomaterialien langfristig speichert und auf Antrag für konkrete Forschungsprojekte freigibt. Damit ergibt sich eine dritte Perspektive, aus der heraus wir betrachten können, was sich im Zeitraum von 30 Jahren an Änderungen ergeben kann.

Datenspeichernde Institutionen könnten ihren Standort oder Träger wechseln, wodurch etwa auch die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme betroffen wären. Tiefgreifender wäre eine Veränderung von Aufsichtsstrukturen oder Regularien zur Weitergabe von Forschungsdaten. Nicht zuletzt können sich Sicherheitsvorkehrungen in Bezug auf den Schutz von medizinischen Daten ändern – diese werden in aller Regel nicht hinter einen einmal etablierten Standard zurückfallen, können aber verbessert werden.

Gehen wir die Optionen der Reihe nach durch. Eine Änderung der Kontaktdaten würde naheliegender Weise eine Pflicht zur Information der Studienteilnehmer:innen mit sich bringen, damit das Recht auf Widerruf der Einwilligung gewahrt bleibt.

Informationen zu Aufsichtsstrukturen und Regularien der Weitergabe von Daten sind häufig Bestandteil von Aufklärungsdokumenten. Selbst wenn sie dort nicht explizit erwähnt werden, ist von einer hohen Relevanz solcher Strukturen auszugehen. Veränderungen in diesem Bereich, sofern sie nicht im Marginalen verbleiben, sind als wesentliche Veränderungen der Rahmenbedingungen der erteilten Einwilligung einzuordnen. Hier liegt aus ethischer Perspektive mindestens eine Informationspflicht vor, sofern nicht die gesetzlichen Regelungen ohnehin eine erneute Einholung der Einwilligung notwendig machen.Footnote 6

Verbesserte Sicherheitsvorkehrungen scheinen zunächst kein Problem darzustellen, es sei denn, es ist strittig, ob die Verbesserungen tatsächlich ein Mehr an Sicherheit bringen, oder vielleicht doch einen Rückschritt darstellen. Die Möglichkeit einer Anpassung von Sicherheitsvorkehrungen verweist aber auf ein anderes Problem: Die Risikoeinschätzung und die Aufklärung von Studienteilnehmenden über mögliche Risiken.

Gegen das Modell der breiten Einwilligung ist gelegentlich der Einwand vorgebracht worden, diese könne ohnehin nicht adäquat über mögliche Risiken einzelner Forschungsprojekte aufklären (Hofmann 2009). Mikkelsen et al. hingegen vertreten die These, dass überhaupt nur die breite Einwilligung eine adäquate Aufklärung über Risiken bei datenbankbasierter Forschung sicherstellen kann: Da keine Eingriffe vorgenommen, keine Medikamente verabreicht werden, keine Gespräche stattfinden etc., ist nicht anzunehmen, dass die Teilnahme an solchen Studien das körperliche Wohl oder die psychische Gesundheit beeinträchtigen könne. Die relevanten Risiken sind hingegen in diesem Kontext weitgehend auf die Daten bezogen – sie sind in einem möglichen Verlust von Privatsphäre bis hin zu konkreter Benachteiligung durch Bekanntwerden persönlicher Informationen zu verorten (Mikkelsen et al. 2019).Footnote 7

Aufgeklärt werden sollte also entsprechend der relevanten Risiken über die Verfahren der Speicherung und ggf. Anonymisierung oder Pseudonymisierung von Daten, sowie über die Kriterien der Herausgabe, inklusive geforderter Datenschutzstandards bei allen Forschenden, ggf. über vorgesehene Maßnahmen bei Verstößen und Sicherheitslücken. Eine solche Aufklärung kann angemessen durch die datenspeichernden Institutionen vorgenommen werden, nicht aber durch die Verantwortlichen einzelner Forschungsprojekte. Hier ist nicht die Beziehung zwischen Forschungsteilnehmenden und Forschenden relevant, sondern die Beziehung zwischen Forschungsteilnehmenden und datenspeichernden Institutionen.

Nehmen wir erneut die zeitliche Perspektive der breiten Einwilligung in den Blick, dann ergibt sich die Frage, ob zum Zeitpunkt der Einwilligung in hinreichendem Maße über die anzunehmenden Risiken für die folgenden 30 Jahre aufgeklärt werden kann. Hofmann vertritt die These, dass die Risiken zu wenig einschätzbar sind, als dass eine angemessene Aufklärung überhaupt möglich wäre (Hofmann 2009). Ich habe oben jedoch dargelegt, dass Vollständigkeit von Informationen nicht als angemessener Maßstab der Aufklärung zu betrachten ist, und dass das zentrale Anliegen in der Beseitigung einer Informationsasymmetrie zu sehen ist, was nicht mit einer Beseitigung von Unabwägbarkeiten zu verwechseln ist. Betrachten wir die Pflicht zur Aufklärung aus einer Beziehungsperspektive, dann sind die datenspeichernden Institutionen, denen die Pflicht in diesem Kontext zufällt, ihrer Verantwortung durchaus gerecht geworden, wenn sie alle ihnen verfügbaren Informationen in angemessener Weise teilen. Zumindest für den Moment.

Allerdings ist davon auszugehen, dass die Informationsasymmetrie zwischen datenspeichernden Institutionen und Studienteilnehmenden nach einmaliger Aufklärung über Risiken in einem Zeitraum von 30 Jahren wieder signifikant zunimmt. Risiken, die zum jetzigen Zeitpunkt schwer einschätzbar sind, werden spätestens dann besser einschätzbar, wenn der befürchtete Schaden in einigen Fällen eintritt, wenn es zu Datenhacks und Datenmissbrauch kommt. Wie im Fall der Veränderungen in Bezug auf die Forschungspraxis in aller Regel die Forschenden in der besten Position sein werden, um diese Änderungen mitzubekommen und weiterzugeben, ist anzunehmen, dass in Bezug auf Sicherheitslücken und Datenmissbrauch im Kontext von Biobanken und Gesundheitsbanken die datenspeichernden Institutionen in der besten Position sein werden, diese Änderungen zu verfolgen und Risiken adäquat einzuschätzen.

Erneut ergibt sich ein Grund, weitergehende Informationen mit Studienteilnehmenden im Verlauf der Zeit zu teilen. Werden Informationen über Datenverlust und Datendiebstahl zurückgehalten, oder werden neue Risiken bekannt, die Teilnehmenden aber nicht informiert, dann ist es aus ihrer Perspektive völlig nachvollziehbar, sich selbst als nicht hinreichend informiert zu betrachten und auf dieser Basis die verantwortlichen Institutionen als nicht vertrauenswürdig einzuschätzen.

Sofern Verschärfungen von Datenschutzvorkehrungen also als Reaktion auf neu wahrgenommene Risiken erfolgen, kann auch hier den Studienteilnehmenden ein berechtigtes Interesse zugeschrieben werden, sowohl über die Gründe, als auch über die erfolgenden Maßnahmen informiert zu werden, um ihnen eine Ausübung ihrer persönlichen Souveränität und den Schutz des eigenen Wohlergehens zu ermöglichen – auch wenn es ihnen genauso überlassen bleibt, die geteilten Informationen zu ignorieren. Eine Aufklärung über informationelle Risiken kann vielleicht nie vollständig sein, aber sie kann gleichzeitig nur dann als wesentlich angemessen gelten, wenn sie dem aktuellen Kenntnisstand entspricht.

Möglichkeiten des Umgangs mit informationellen Asymmetrien im Kontext von Broad Consent

Ich habe dargelegt, inwiefern die Praxis der Einwilligung aus ethischer Perspektive im Hinblick auf die Ziele verstanden werden kann, das Wohlergehen von Forschungsteilnehmenden zu schützen, ihre persönliche Souveränität zu wahren und eine Vertrauensbeziehung zwischen ihnen und Forschenden sowie datenspeichernden Einrichtungen zu fördern.

Insofern die breite Einwilligung auf die Etablierung einer kooperativen Beziehung mit langfristiger Perspektive abzielt und die Bereitstellung von Informationen dabei unter anderem dem Zweck dient, eine anzunehmende Informationsasymmetrie zu beseitigen, erscheint es angemessen, auch die Aufklärung von Forschungsteilnehmenden nicht als einen einmaligen (Sprech‑)Akt, sondern als eine andauernde Kommunikationsbeziehung zu begreifen. Insofern Forschungsteilnehmer:innen über Jahrzehnte hinweg in einer Kooperation involviert sind, die sich wandelnde Ziele verfolgt, aus der sich neue Erkenntnisse ergeben können, die potenziell ihren Standort in der Gesellschaft beeinflussen, die Risiken in Bezug auf die Sicherheit ihrer Daten bedeuten, erscheint es angebracht, sie über wesentliche Fortschritte, Erkenntnisse und Entwicklungen nicht einmal, sondern kontinuierlich zu informieren, insbesondere wenn sich wesentliche Rahmenbedingungen ändern.

Eine kontinuierliche Kommunikation von Seiten der Forschenden und datenspeichernden Einrichtungen dürfte zudem die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Forschungsteilnehmer:innen auch ihrerseits die Kommunikation aufrechterhalten, und etwa einen Adresswechsel mitteilen, um rekontaktierbar zu bleiben.

Nur durch die andauernde Kommunikation über Studieninhalte und -methoden, über Aufsichtsstrukturen datenspeichernder Institutionen, Regularien zur Datenherausgabe, Risiken der Datenspeicherung sowie ggf. ergriffene Gegenmaßnahmen kann der Anspruch eingelöst werden, Forschungsteilnehmer:innen als Partner:innen auf Augenhöhe zu behandeln, denen es ermöglicht wird, eigene begründete Entscheidungen in Bezug auf die Teilnahme an dieser Forschung zu treffen. Dies bedeutet insbesondere, dass die entsprechenden Informationen für sie in leicht erfassbarer Form zugänglich gemacht werden müssen. Aus der Asymmetrie im Informationszugang zwischen den beteiligten Parteien ergibt sich die Pflicht für Forschende und datenspeichernde Institutionen, relevante Informationen in verständlicher Form zur Verfügung zu stellen. Sofern dies geschieht, kann es plausibel als Verantwortung der Studienteilnehmenden begriffen werden, sich mit diesen Informationen soweit auseinanderzusetzen, dass sie in der Lage sind, ihre eigenen Interessen zu wahren und sich begründet für die weitere Teilnahme oder einen Widerruf der erteilten Einwilligung zu entscheiden.

Der Fokus liegt hierbei nicht auf einem unerreichbaren Ideal der Vollständigkeit zur Verfügung gestellter Informationen, sondern auf dem genuinen Bemühen um eine weitestmögliche Beseitigung der anzunehmenden Asymmetrie im Zugang zu Informationen zwischen Forschenden, datenspeichernden Institutionen und Forschungsteilnehmenden. Erst durch diese andauernde Information wird aus der theoretischen Möglichkeit des Rücktritts von der erteilten Einwilligung eine praktische Möglichkeit, die Teilnahme an der Forschung begründet zu beenden, falls diese den eigenen Wertvorstellungen widerspricht oder mit Risiken einhergeht, die die Teilnehmenden nicht zu tragen gewillt sind.