Zusammenfassung
Ein Leitmotiv der medizinethischen Auseinandersetzung mit der tiefen Hirnstimulation (THS) ist die Beschäftigung mit Fragen personaler Identität. Da es sich bei personaler Identität auch um ein Problem der theoretischen Philosophie handelt, wird in diesem Aufsatz nicht nur die praktische Frage nach der ethischen Legitimation der THS durch informierte Einwilligung gestellt und ein modifiziertes Legitimationskriterium für wesensändernde THS erarbeitet. Vielmehr wird zunächst versucht, das Problem, um das es in der Debatte um THS und personaler Identität geht, besser zu verstehen.
Abstract
Definition of the problem Questions of personal identity play a prominent role in the developing debate within medical ethics on the ethical implications of deep brain stimulation (DBS); however, their exact role is unclear. Argumentative strategy Since personal identity is also discussed in the more theoretical branches of philosophy, this essay focuses not only on the question of informed consent in DBS but also tries to better understand what the debate on DBS and personal identity is all about. Only then can the role and set up of informed consent in identity-affecting DBS be accurately determined. Conclusion There is reason to believe that in identity-affecting DBS the common way to legitimize medical interventions via informed consent should be replaced by a two-step procedure.
Notes
„ELSA-DBS“ ist das Kürzel des deutsch-kanadischen Verbundprojekts „Ethical, Legal and Social Aspects of Deep Brain Stimulation“, siehe auch http://geschichte-ethik.uk-koeln.de/forschungsstelle-ethik/forschung-1/elsa-dbs (zugegriffen: 20. Juli 2012). Der vorliegende Aufsatz ist im Rahmen dieses Projekts entstanden.
Bisher sind tiefgreifende psychische Effekte der THS überwiegend bei Parkinsonpatienten aufgetreten; dennoch sind meine Überlegungen zum Identitätsproblem prinzipiell auch für andere THS-Patientengruppen relevant und können bei Bedarf entsprechend übertragen werden.
Obwohl ein Zusammenhang zwischen Stimulation und Wesensänderung bei einigen THS-Patienten kaum bezweifelbar ist, ist zurzeit noch unklar, ob noch weitere Einflussfaktoren existieren. Diese Unklarheit werde ich hier ausblenden und vereinfachend von einem relevanten kausalen Zusammenhang zwischen Stimulation und psychischen Nebenwirkungen ausgehen.
Zu den verwendeten Kürzeln: „P16MP“ zeigt an, dass es sich bei der befragten Person um die sechzehnte Patientin (P) handelt, die wegen ihrer Parkinsonerkrankung (MP) behandelt wird. Der Zusatz „postOP2“ drückt aus, dass das Zitat aus dem Interview stammt, das 3 Monate nach der Operation geführt wurde. Die Zeilenangaben beziehen sich auf die Transkripte der jeweiligen Interviews aus dem ELSA-DBS-Projekt (vgl. Anmerkung 1).
Die Ausdrücke „Leben“ und „Tod“ müsste man hierzu allerdings von ihren biologischen Konnotationen ablösen; diese Ablösung, die ich hier aufgreife, hat in der Debatte um personale Identität eine lange Tradition.
A zum Zeitpunkt t ist mit A zum späteren Zeitpunkt t* genau dann qualitativ identisch, wenn A zu beiden Zeitpunkten exakt dieselben Eigenschaften hat.
Als Grund für die praktische Bedeutung numerischer Identität könnte man die tiefe Überzeugung vieler Menschen anführen, dass „ich“ zu sein, zu existieren, eine unumstößliche metaphysische Tatsache ist ([4], S. 101). Also, so könnte man fortfahren, muss ihnen auch die Metaphysik Aufschluss darüber geben können, ob sie es waren, die zu einem früheren Zeitpunkt ein Delikt begangen haben, oder ob sie es sein werden, die zukünftig in den Genuss ihrer heutigen Sparanstrengungen gelangen werden.
Die Rede von „Nachfolgerin“ oder „Patientin*“ ist neutral gegenüber der Frage, ob wir es bei wesensändernder THS mit ein und derselben oder mit zwei verschiedenen Personen zu tun haben. Welche Interpretation zutrifft, hängt, wie oben erläutert, davon ab, ob (Ü2) oder (Ü3) die richtige Beschreibung dessen ist, was wesensändernde THS bewirkt.
Eine klassische Formulierung dieser Ideen findet sich beispielsweise bei Mill ([10], S. 16–18, 129).
Indem die zweite Bedingung fordert, dass die Patientin sich in ihre Nachfolgerin hineinversetzt, versucht sie, diesem Erfordernis so gut es geht gerecht zu werden und die postoperative Bewertung gewissermaßen schon präoperativ zu imaginieren.
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Danksagung
Ich danke Christiane Woopen, Thomas Grundmann, Florian Steger sowie verschiedenen kritischen Auditorien für hilfreiche Anmerkungen zu früheren Fassungen und Präsentationen des Aufsatzes. Ferner danke ich dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für finanzielle Unterstützung im Rahmen des ELSA-DBS-Projekts.
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Die vorliegende Arbeit erhielt den Nachwuchspreis 2012 der Akademie für Ethik in der Medizin e. V.
Eine ausführlichere Version dieses Aufsatzes erscheint in [25]. Ich danke Florian Steger für die Unterstützung der vorliegenden Publikation.
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Witt, K. Das Identitätsproblem der tiefen Hirnstimulation und einige seiner praktischen Implikationen. Ethik Med 25, 5–18 (2013). https://doi.org/10.1007/s00481-012-0232-6
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