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Untersuchung an Schreibern

Albert Drachs Proto-Protokolle

Examinations on Scriveners

Albert Drach’s Proto-Protocols

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

In der österreichischen Literatur der Zwischen- und der Nachkriegszeit erscheint die Figur des Bürokraten als kaisertreuer und letztlich gemütlicher Repräsentant der Welt von gestern. Gegen diesen nostalgischen ›habsburgischen Mythos‹ erheben Albert Drachs Texte Einspruch. Die Beamtenschaft von gestern und heute zeigen sie als antisemitischen und misogynen Funktionsträger einer inquisitorischen ›Bürokratie‹ – einer omnipotenten Herrschaft der Akten und Protokolle, deren totalitäre Qualitäten man als ›Panprotokollarismus‹ bezeichnen kann. Was Drach dem entgegensetzt, sind zynische ›Proto-Protokolle‹, die über die Verdopplung amtlicher Schreibweisen deren sadistische Anlage enthüllen und die der Literatur und ihrer Veridiktion den Status einer gegenbürokratischen Institution zusprechen.

Abstract

In Austrian literature of the interwar and postwar period, the bureaucrat, more often than not, is portrayed as an obedient and jovial ambassador of the world of yesterday. Albert Drach’s texts are objections to this nostalgic ›Habsburg myth‹: Yesterday’s and today’s public servants here are rather depicted as anti-Semitic and misogynic function owners; and the ›bureaucracy‹ is conceived of as an inquisitorial and unrestricted rule of dossiers and protocols. This totalitarian ›panprotocolarism‹ is countered by Drach’s cynical ›proto-protocols‹ that, in redoubling the official diction, disclose its sadistic nature. In the end, Drach’s writing establishes literature and its specific ›veridiction‹ as an anti-bureaucratic authority and institution.

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Notes

  1. Zit. nach: Raoul F. Kneucker, »Public Administration: The Business of Government«, in: Kurt Steiner (Hrsg.), Modern Austria, Palo Alto 1981, 261–278, hier: 261.

  2. Von frühneuzeitlichen Sekretären, Kanzlern und Geheimschreibern wie Johann von Neumarkt oder Enea Silvio Piccolomini über die Klassiker Grillparzer und Stifter bis hin zu Kafka oder Musil reicht die Riege österreichischer »Beamtendichter«. – Vgl. Joseph P. Strelka, »Die sozialgeschichtliche Entwicklung und die kulturmorphologische Funktion des Beamten in der österreichischen Literatur«, in: Ders. (Hrsg.), Der Beamte und der Offizier in der österreichischen Literatur, Bern u. a. 1994, 17–31, hier: 18–22, und Waltraud Heindl, Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich, Bd. I: 1780 bis 1848, 2., durchgesehene Auflage, Wien, Köln, Graz 2013, 326–331.

  3. Vgl. Claudio Magris, Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur, Neuausgabe, Wien 2000, 29, passim.

  4. Joseph Roth, »Die Büste des Kaisers« (1935), in: Die Erzählungen, 15. Auflage, Köln 2015, 283–310, hier: 289. – Dass Österreich, entsprechend seines prominentesten administrativen Kürzels, in Musils Mann ohne Eigenschaften ›Kakanien‹ genannt wird, empfand Roth einfach als »ekelhaft«. – Zit. nach: Karl Corino, Robert Musil. Eine Biographie, Reinbek 2003, 1022.

  5. Josef Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches, 2 Bde., Leipzig 1920, I, 39.

  6. ›Nostalgie‹ bezeichnete in Johannes Hofers medizinischer Dissertation von 1688 ein – zuweilen tödliches – Heimweh, das alpenländische Soldaten angeblich in der Ferne befiel. Assoziationspsychologen fassten das Syndrom dann allgemein als Imaginationskrankheit, die schmerzlich erinnerte Bilder gewesener Sorgenfreiheit aufsteigen lässt, ehe sie Psychoanalytiker als regressiven und unweigerlich versagten Wunsch nach mütterlicher Bergung beschrieben. – Vgl. Jean Starobinski, »The Idea of Nostalgia«, Diogenes 14/54 (Juni 1966), 81–103, hier: 85, 87, 91, 102.

  7. Alexander Lernet-Holenia, »Gruß des Dichters«, Der Turm 1/4-5 (1945), 109.

  8. Heimito von Doderer, Die Wiederkehr der Drachen. Aufsätze, Traktate, Reden, hrsg. Wendelin Schmidt-Dengler, 2. Aufl., München 1996, 231, 240.

  9. Heimito von Doderer, Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre, 13. Aufl., München 1996, 732, 747.

  10. Doderer (Anm. 9), 457.

  11. Eine »Behörde« besteht schließlich, »mag sie welche Hoheit des Namens immer führen, doch aus Menschen und manchmal auch aus Unmenschen.« (Doderer [Anm. 9], 158).

  12. Redlich (Anm. 5), 304, 451.

  13. Vgl. Peter Melichar, »Die Gemütlichkeit oder der Wille zur Abstraktion«, in: Emil Brix, Ernst Bruckmüller, Hannes Stekl (Hrsg.), Memoriae Austriae, 3 Bde., Wien 2004, I, 271–300, hier: 272f.

  14. Karl Kraus, »Franz Ferdinand und die Talente«, Die Fackel 400–403/XVI. Jahr (10. Juli 1914), 1–4, hier: 2f.

  15. Zu dieser Charakteristik vgl. auch Melichar (Anm. 13), 289f.

  16. Albert Drach, »Amtshandlung gegen einen Unsterblichen«, in: Ders., Amtshandlung gegen einen Unsterblichen. Die kleinen Protokolle, Bd. 7/II der Werke in zehn Bänden, hrsg. Ingrid Cella u.a., Wien 2013, 7‑52, hier: 10.

  17. Drach (Anm. 16), 8, 10.

  18. Drach (Anm. 16), 12, 22.

  19. Drach (Anm. 16), 19.

  20. Drach (Anm. 16), 14.

  21. Drach (Anm. 16), 19, 40.

  22. Albert Drach, ›Z.Z.‹ das ist die Zwischenzeit. Ein Protokoll, Bd. 2 der Werke in zehn Bänden, hrsg. Wendelin Schmidt-Dengler u.a., Wien 2003, 252.

  23. Er prozessierte etwa gegen Paul Kruntorad, nachdem dieser behauptet hatte, Drach habe in der »Amtshandlung« eine »Anleihe in Skurrilität und Namensgebung bei Herzmanovsky-Orlando« genommen – bei einem Autor, dessen ehemals völkische und antisemitische Positionen dem Kritiker bekannt gewesen sein mussten. – Zit. nach: Matthias Settele, Der Protokollstil des Albert Drach. Recht, Gerechtigkeit, Sprache, Literatur, Frankfurt a. M. u.a. 1992, 146.

  24. Erstmals (und dabei mit Verweis auf de Gournay) belegt ist der Begriff der bureaucratie in: Friedrich Melchior Freiherr von Grimm, Correspondance littéraire, philosophique et critique, adressée à un souverain d’Allemagne, depuis 1753 jusqu’en 1769, 5 Bde., Paris 1829, IV, 11, 326.

  25. Johann Heinrich Campe, Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke, Neuaufl., Braunschweig 1813, 161.

  26. Albert Drach, »Die Abschaffung Gottes und dessen Ersatz durch die Behörde« (1966), Typoskript, Blatt 7, Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien (LIT), Nachlass Albert Drach, ÖLA 31/95 1.1.3.1. Das 17. Buch der 17 Essays (letzte Fassung). – Sämtliche Zitate aus dem Nachlass Drachs mit freundlicher Genehmigung des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek.

  27. Robert von Mohl, »Über Bureaukratie«, in: Ders., Politische Schriften. Eine Auswahl, hrsg. Klaus von Beyme, Wiesbaden 1966, 276–310, hier: 300.

  28. Max Weber, Gesammelte politische Schriften, 5. Aufl., Tübingen 1988, 332.

  29. Albert Drach, »Zum Verkehrsunwesen in Österreich« (1958/73), Typoskript, LIT, Blatt 4, ÖLA 31/95 1.1.3.1. Das 17. Buch der 17 Essays.

  30. Vgl. Arndt Brendecke, Imperium und Empirie. Funktionen des Wissens in der spanischen Kolonialherrschaft, Köln, Weimar, Wien 2009, 53, 343. – Brendecke sieht mit diesem Informationssystem allerdings keinen gesteigerten Grad sozialer Kontrolle gegeben.

  31. Brendecke (Anm. 30), 46.

  32. Vgl. David Gitlitz, »Inquisition Confessions and Lazarillo de Tormes«, Hispanic Review 68/1 (Winter 2000), 53–74, hier: 55f.

  33. Vgl. etwa Hanno Ehrlicher, Zwischen Karneval und Konversion. Pilger und Pícaros in der spanischen Literatur der frühen Neuzeit, Paderborn, München 2010, 171f.

  34. Albert Drach, »Das Goggelbuch«, in: Ders., Das Goggelbuch, hrsg. Gerhard Hubmann, Eva Schobel, Wien 2011, 5–67, hier: 7.

  35. Drach (Anm. 34), 30.

  36. Drach (Anm. 34), 38.

  37. Albert Drach, »Der Aufbau aus den Archiven« (1966), Typoskript, LIT, Blatt 1, 3, ÖLA 31/95 1.1.3.1. Das 17. Buch der 17 Essays (letzte Fassung).

  38. Vgl. Eva Schobel, Albert Drach. Ein wütender Weiser, Salzburg 2002, 30f.

  39. Albert Drach, »Martyrium eines Unheiligen«, in: Drach (Anm. 16), 137–191, hier: 149.

  40. Vgl. hierzu Albert Drach, »Selbstinterview« (um 1968), Typoskript, LIT, ÖLA 31/95 1.5–1.9: Interviews, Lebensläufe, Kurzbios.

  41. Angeblich war Bertolt Brecht durch Drachs Passionsspiel von der Lüge und der Lächerlichkeit (1922/23) zum Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (1930) inspiriert worden. – Vgl. Albert Drach, Das Beileid. Nach Teilen eines Tagebuchs, hrsg. Bernhard Fetz u.a., Wien 2006, 66f.

  42. »Ich bin gegen das, was ich tue, und das, was mir geschieht. Wäre ich dafür, hätte ich meinen Zweck erfüllt und meinen Sinn erreicht.« – Albert Drach, »Grundstoffe 2. Für einige von 17 Essays«, Typoskript, LIT, Blatt 2, ÖLA 31/95 1.1.3.2: Grundstoffe.

  43. Die drei Teile von Drachs Autobiografie mit ihren drei unterschiedlichen personae entsprechen der Vorkriegszeit und jenem Leben, das der ›Sohn‹ einer bürgerlichen Mödlinger Familie führt, dann dem Zweiten Weltkrieg und dem Fluchtweg des ›Peter Kucku‹, schließlich der unmittelbaren Nachkriegszeit und der Rückkehr eines sich selbst gespenstisch gewordenen ›Ichs‹.

  44. Drach (Anm. 22), 87.

  45. Vgl. hierzu Julia Kristeva, Powers of Horror. An Essay on Abjection, New York 1982, bes. 16.

  46. Vgl. Albert Drach, Unsentimentale Reise. Ein Bericht, hrsg. Bernhard Fetz, Eva Schobel, Wien 2005, 79f., 126, 244. – Verschärft wird diese urkundliche ›Verleugnung‹ der jüdischen Mutter dadurch, dass Drach zur Dokumentation seiner Herkunft die Geburtsurkunde seiner Halbschwester (mit ihrer katholischen Mutter) für sich in Anspruch nimmt.

  47. Drach (Anm. 22), 151f.

  48. Drach (Anm. 22), 158.

  49. Drach (Anm. 22), 155, 340.

  50. Wiederholt hat sich Drach gegen die nachträgliche Verklärung oder Sublimierung des jüdischen Leidensweges verwahrt, weshalb er (wie im Drama Das Passionsspiel von der Lüge und der Lächerlichkeit von 1926) auch die Figur des Märtyrers oder die Gattung der ›Leidensspiele‹ als wirkungslose Gegenstücke einer Kultur der Denunziation und Verfolgung bewertete. – Vgl. hierzu etwa Eva Schobel, »Albert Drach. Ein lebenslanger Versuch zu überleben«, in: Gerhard Fuchs, Günther A. Höfler (Hrsg.), Albert Drach, Graz 1995, 329–372, hier: 338.

  51. Interview mit Albert Drach vom 21.3.1991, in: Sonja Vikas, Der Typus des Außenseiters am Beispiel Albert Drach, unveröff. Diplomarbeit, Universität Wien 1991, 48.

  52. Drach (Anm. 41), 96.

  53. Interview mit Drach, in: Vikas (Anm. 51), 48.

  54. Albert Drach, »Grundstoffe 3. Für einige von 17 Essays«, Typoskript, LIT, Blatt 1, ÖLA 31/95 1.1.3.2: Grundstoffe.

  55. Michael Niehaus, »Epochen des Protokolls«, ZMK 2 (2011), 141–156, hier: 141.

  56. ›Mentalitätsgeschichtlich‹ und selbst mit Blick auf die totalitäre Bürokratie der Nazi-Herrschaft kann Drach zufolge »die preussisch verordnete Anzeigepflicht überhaupt nichts mit österreichischem Naderertum zu tun haben. Der Deutsche jenseits des Inn meldet selbst seinen Vater aus Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, welche ihm dergleichen befiehlt. Der Österreicher zeigt seinen Nächsten aus Instinkt und Neigung an, mitunter auch aus Liebedienerei zu einem Amt, mag dies für den Betreffenden zuständig sein oder nicht.« – Albert Drach, »Durch Miete zur Enteignung oder das Gesetz gegen die Mieten«, Typoskript, LIT, Blatt 2, ÖLA 31/95 1.1.3.1. Das 17. Buch der 17 Essays (letzte Fassung). Literaturgeschichte ohne Namen.

  57. Vgl. hierzu Peter Becker, »›Recht schreiben‹ – Disziplin, Sprachbeherrschung und Vernunft. Zur Kunst des Protokollierens im 18. und 19. Jahrhundert«, in: Michael Niehaus, Hans-Walter Schmidt-Hannisa (Hrsg.), Das Protokoll. Kulturelle Funktionen einer Textsorte, Frankfurt a. M. u.a. 2005, 49–76, hier: 57, 60f. – Vgl. auch Niehaus (Anm. 55), 142, 150f., 154.

  58. Zur bürokratischen Selbsterhaltung durch die Pflege von Verbandsinteressen vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5., revidierte Auflage, hrsg. Johannes Winckelmann, Tübingen 1980, 125; zur Autopoiesis der Bürokratien durch Kommunikation und ›Organisationskultur‹ vgl. Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, Wiesbaden 2000, 29–38, 77–80, 120, 145f.

  59. Interview mit dem Autor vom 20.9.1990, in: Settele (Anm. 23), 59.

  60. Für gewöhnlich nimmt ›Wahrheit‹ hier die Form zweier komplementärer Fiktionen an: im Ergebnisprotokoll die Fiktion eines Konsenses (nach der gemeinschaftlichen Beratung), im Verlaufsprotokoll die Fiktion einer Übereinstimmung zwischen Satz und Tatsache (vgl. Niehaus [Anm. 55], 143). Überdies ist der Abschluss des Protokolls und die Schließung einer Akte ein willkürlicher, allein durch die Fiktion einer zureichend ›gründlichen‹ Ermittlung getragener Akt.

  61. Gerade im – inquisitorischen und pikaresken – Kontext des Verhörs vormals infamer Menschen entscheidet sich die neuzeitliche Literatur für »die Nicht-Wahrheit«, wie Michel Foucault schreibt. »Sie gibt sich explizit als Kunstgriff aus, aber indem sie sich verpflichtet, Wahrheitswirkungen hervorzubringen, die als solche erkennbar sind« und daher die amtliche Protokollmacht im Medium der Fiktion beobachtbar machen. – Michel Foucault, »Das Leben der infamen Menschen« (1977), in: Ders., Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Band III: 1976-1979, hrsg. Daniel Defert, François Ewald, Frankfurt a. M. 2003, 309–332, hier: 331.

  62. Eva Schobel, »Ich bin ein wütender Weiser – Ein Gespräch mit Albert Drach«, in: Bernhard Fetz (Hrsg.), In Sachen Albert Drach. Sieben Beiträge zum Werk, Wien 1995, 14–16, hier: 16.

  63. Brief Drachs an André Fischer vom 26.1.1989, in: André Fischer, »›Der Zynismus ist ein Anwendungsfall der Ironie.‹ Zum Humor bei Albert Drach«, in: Fuchs, Höfler (Anm. 50), 31–50, hier: 32f.

  64. Vgl. hierzu Roland Barthes, »Schreiben, ein intransitives Verb?« (1970), in: Sandro Zanetti (Hrsg.), Schreiben als Kulturtechnik. Grundlagentexte, Berlin 2012, 240-250, hier: 247–249.

  65. Zur (auch von Barthes beschriebenen) Selbstinstitutionalisierung der Literatur vgl. Drach: »Man wird nämlich Dichter durch die Erklärung, ein solcher zu sein. Das ist eine Weiterbildung des Satzes von Descartes.« – Albert Drach, »Über den Umgang mit Dichtern«, Typoskript, LIT, Blatt 2, ÖLA 31/95 1.1.3.4.

  66. Jean-Paul Sartre, »Betrachtungen zur Judenfrage« (1945), in: Ders., Drei Essays, Frankfurt a. M. 1960, 108–190, hier: 156.

  67. Albert Drach, Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum, hrsg. Bernhard Fetz, Eva Schobel, Wien 2008, 7. – In diesem Abschnitt unter bloßer Seitenangabe im fortlaufenden Text zitiert.

  68. Patent vom 23. Juli 1787, zit. nach: Michael Wagner-Kern, Staat und Namensänderung. Die öffentlich-rechtliche Namensänderung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 2002, 38.

  69. Zur Theorie des Eigennamens als »rigid operator«, der ein bestimmtes Individuum nach einem Taufakt mehr oder minder fest bezeichnet, a posteriori aber gewissen Deutungen und Konnotationen unterworfen werden kann, vgl. Saul A. Kripke, Naming and Necessity, erw. Neuausgabe, Oxford 1981, 135, 139, 157. Zur Dimension von »Verläumdung und Vorurtheil« in der Kommunikationsgeschichte des Namens vgl. bereits Leopold Zunz, »Namen der Juden. Eine geschichtliche Untersuchung«, in: Ders., Gesammelte Schriften, hrsg. Curatorium der ›Zunzstiftung‹, 3 Bde., Berlin 1876, II, 1–82, hier: 2, 18f., 81.

  70. Dietz Bering, »Die Namen der Juden und der Antisemitismus«, in: Ernst Eichler u.a. (Hrsg.), Namenforschung. Name Studies. Les noms propres, 2 Bde., Berlin, New York 1996, II, 1300–1310, hier: 1307. – Vgl. auch ebd., 1303, 1308.

  71. Vgl. hierzu etwa Schmuls Verhör durch den Untersuchungsrichter, der Abweichungen vom Ermittlungsprotokoll durch »Gerichtsseelenärzte« zu relativieren droht und den Angeklagten wiederholt »auf die richtige Fährte« führt, sodass es zuletzt heißen kann: »Der Beschuldigte erinnerte sich nunmehr vollends, daß sich die Tat gemäß der Vorstellung des Gerichtes abgespielt habe.« (114, 116).

  72. Soweit die Textgenese des Großen Protokolls überhaupt rekonstruierbar ist, hat Drach mehrere (heute verschollene) Fortsetzungsvarianten verfasst, die historisch bis zur Shoah reichen sollten, sich dann aber für diesen kurzen ›metapoetischen‹ Schluss entschieden. (321f., editorischer Bericht).

  73. Vgl. hierzu das Gespräch mit Albert Drach, in: Eva Schobel, »Das Protokoll als Wille und Vorstellung«, in: Fetz (Anm. 62), 8–13, hier: 11f.

  74. Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 3 Bde., 2. Aufl., Stuttgart, Berlin 1912, II, 571. – Man vergleiche diesen kindisch-primitiven Gebrauch von Baum mit der Differenzierung zwischen Signifikant und Signifikat, die Ferdinand de Saussure zur selben Zeit anhand von arbre demonstriert hat. – Vgl. zudem Wilhelm Mannhardt, Der Baumkultus der Germanen und ihrer Nachbarstämme, Berlin 1875, 5, 45, 603. – Auf der Grundlage von Mannhardts Studie hat James George Frazer in The Golden Bough (1890) seine Theorie des ›primitiven Bewusstseins‹ entwickelt.

  75. Vgl. hierzu Albert Drach, »Grundstoffe 3«, Typoskript, LIT, Blatt 2, ÖLA 31/95 1.1.3.2: Grundstoffe.

  76. Ders., »Grundstoffe 2«, Typoskript, Blatt 6, in: Drach (Anm. 75).

  77. Hiermit schließt Drach an die Hysterisierung ›des Juden‹ an, wie sie der Charcot-Schüler Henry Meige 1893 in seiner Étude sur certains neuropathes voyageurs: Le juif-errant à la Salpêtrière konzipierte. – Vgl. hierzu Sander Gilman, »Zwetschkenbaum’s Competence. Madness in the Discourse of the Jews«, Modern Austrian Literature 26/2 (1993), 1–34, hier: 12f.

  78. Auf Joseph Samuel Bloch geht etwa das Diktum zurück, »daß die Juden allein Oesterreicher sind sans phrase, d.h. ohne ein zweites nationales Adjectiv, welches das erste einschränkt.« – Joseph Samuel Bloch, Der nationale Zwist und die Juden in Oesterreich, Wien 1886, 41.

  79. Odo Marquard, »Exile der Heiterkeit«, in: Ders., Aesthetica und Anaesthetica. Philosophische Überlegungen, München 2003, 47–63, hier: 54.

  80. Vgl. hierzu Kristeva (Anm. 45), 8.

  81. Vgl. Wolfgang Preisendanz, »Humor als Rolle«, in: Odo Marquard, Karlheinz Stierle (Hrsg.), Identität, Poetik & Hermeneutik VIII, 2. Aufl., München 1996, 423–434, hier: 423, 429, 432.

  82. Vgl. Wolfgang Kayser, Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung, Nachdruck der Ausgabe von 1957, Tübingen 2004, 198f.

  83. Das Beileid setzt mit einer extrem zynischen Szene ein, in der sich der eben noch dem Holocaust Entronnene aus Liebeskummer mit Gas umzubringen versucht, ihm die Zimmerwirtin aber in die Parade fährt, »um zu verhindern, daß weiter etwas sich in Luft auflöse, das Geld kostet und in der Monatsmiete nicht inbegriffen ist.« – Drach (Anm. 41), 10.

  84. Vgl. Michel Foucault, Der Mut zur Wahrheit. Die Regierung des Selbst und der anderen. II. Vorlesung am Collège de France 1983/84, Berlin 2010, 237, 250, 304f., 364.

  85. Interview mit Drach, in: Vikas (Anm. 51), 50.

  86. Albert Drach, Untersuchung an Mädeln. Kriminalprotokoll, hrsg. Ingrid Cella, Wien 2002, 19. – Im Folgenden mit Seitenangabe im fortlaufenden Text zitiert.

  87. Vgl. Drach zum »Amt, das wohl- oder wehewollend den Fall erledigt oder bloß vorbereitet, damit das Gericht nicht gut anders kann oder, wenn es das doch tun will, im Instanzenzug versagt.« – Drach (Anm. 29), Blatt 8.

  88. Hierzu und zu den verschiedenen Fassungen des Romanbeginns vgl. Bernhard Fetz, »Albert Drach (1902–1995): Untersuchung an Mädeln«, in: Ders., Klaus Kastberger (Hrsg.), Der literarische Einfall. Über das Entstehen von Texten, Wien 1998, 9–14.

  89. Zur Analyse des Romanbeginns vgl. auch Sabine Zelger, Das ist alles viel komplizierter, Herr Sektionschef! Bürokratie – literarische Reflexionen aus Österreich, Wien, Köln, Weimar 2009, 160, 165, 173.

  90. Albert Drach, »Selbstinterview / Notizen zu einem Fernsehinterview«, LIT, ÖLA 31/95, 1.5-1.9: Interviews, Lebensläufe, Kurzbios, 1.5. Anordnungen und Teilausführungen, Ms. (Notizheft). – Vgl. hierzu auch Ders., »Grundstoffe 7«, Typoskript, LIT, Blatt 5, ÖLA 31/95 1.1.3.2: Grundstoffe: »Wo der Einfall fehlt, hilft das Archiv nach. […] In dieser Welt geht nichts verloren außer das Leben.«

  91. Vgl. hierzu Hermann Schlösser, »›Einschlägige Erregungen‹. Sieben Untersuchungen zu Albert Drachs Roman ›Untersuchung an Mädeln‹«, in: Fetz (Anm. 62), 13–35, hier: 27.

  92. Vgl. hierzu Julia Kristeva, »Le vréel«, in: Dies., Jean-Michel Ribette (Hrsg.), Folle vérité. Vérité et vraisemblance du texte psychotique, Paris 1979, 11–35.

  93. Gilles Deleuze, »Sacher-Masoch und der Masochismus«, in: Leopold von Sacher-Masoch, Venus im Pelz, Frankfurt a. M. 1980, 163–281, hier: 235.

  94. Vgl. hierzu Drachs aus diesen Studien später hervorgegangene Sade-Monografie, in der es etwa heißt: »Er sieht in der Korruption der bestehenden Verwaltung von unten bis nach oben die größere Gefahr als im Verbrechen und warnt vor Justizirrtümern, die lückenhafter Menschenkenntnis, zu strenger Bestrafung, zu großer Machtfülle der erkennenden Behörde bei unzureichender Trennung von Justiz und Verwaltung und zu geringer Kontrolle der beiden geschuldet werden.« – Albert Drach, In Sachen de Sade. Nach dessen urschriftlichen Texten und denen seiner Kontaktpersonen, Düsseldorf 1974, 148.

  95. Rüdiger Campe, »Die Schreibszene, Schreiben«, in: Hans Ulrich Gumbrecht, K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.), Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie, Frankfurt a. M. 1991, 759–772, hier: 760.

  96. Martin Walser, »Berichte aus der Klassengesellschaft«, in: Erika Runge, Bottroper Protokolle. Aufgezeichnet von Erika Runge (1968), 5. Aufl., Frankfurt a. M. 1970, 7–10, hier: 8.

  97. Als machttheoretische Analyse Drachs vgl. Elmar Lenhart, Albert Drach und das 20. Jahrhundert. Der Diskurs um Macht, Raum und Biopolitik, Wien, Köln, Weimar 2016, v.a. 16, 67.

  98. Albert Drach, Stimmen nach Natur und zu Protokoll, in: Ders., Gottes Tod ein Unfall. Dramen und Hörspiele, Hamburg, Düsseldorf 1972, 197–222, hier: 198.

  99. Zur ›prozessgenerierten‹, d.h. durch Vermerke und Zeichnungen gesteuerten, begleiteten und dokumentierten Aktenproduktion und zur Unverzichtbarkeit des Protokolls auch und gerade im Zeitalter einer technisch aufgerüsteten Bürokratie vgl. Cornelia Vismann, Akten. Medientechnik und Recht, Frankfurt a. M. 2000, 22f., 271-274.

  100. Vgl. Niehaus (Anm. 55), 156.

  101. Vgl. Alexander R. Galloway, Eugene Thacker, The Exploit. A Theory of Networks, Minneapolis, London 2007, 30.

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Wolf, B. Untersuchung an Schreibern. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 92, 89–115 (2018). https://doi.org/10.1007/s41245-018-0052-8

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