Zur Unterscheidung von logischer und faktischer Wahrheit

Zeitschrift Für Allgemeine Wissenschaftstheorie 12 (1):75-97 (1981)
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Abstract

Es wird zu zeigen versucht, daß die Unterscheidung logischer und faktischer Wahrheiten nicht gelingen kann, solange nicht zwei Arten von Existenz unterschieden werden, nämlich logische Existenz als Widerspruchsfreiheit und faktische als an Ort und Zeit gebundene Existenz. Die Vernachlässigung der Bedingungen von Ort und Zeit führt dazu, daß z. B. Leibniz, Frege und Russell die faktische Wahrheit auf die logische zurückführen, was wiederum dadurch begünstigt wird, daß die genannten Autoren Individuum und Einermenge nicht konsequent unterscheiden. Die Unterscheidung logischer und faktischer Wahrheiten ist aber zugleich wichtigster Bestandteil des empiristischen Sinnkriteriums der logischen Empiristen. Der Streit zwischen Carnap und Quine über die Unterscheidbarkeit analytischer und synthetischer Sätze war daher zugleich ein Streit um die Unterscheidbarkeit logischer und faktischer Wahreiten. Da aber weder Quine noch Carnap bereit waren, Voraussetzungen ontologischer Art zu machen, und sie daher Wahrheit auf Beweisbarkeit sowie auf den richtigen Gebrauch einer Sprache zurückführten, wurden auch für sie Individuum und Einermenge und damit auch logische und faktische Wahrheiten ununterscheidbar. Daher kommen beiden trotz ursprünglich gegensätzlicher Auffassungen zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Während Quine nämlich die logische Wahrheit auf die faktische zurückführt und Wissenschaft für ihn nichts weiter ist als mit Erfahrung verknüpfte Gedankenkonstruktion, führt Carnap ganz im Sinne von Leibniz die faktische Wahrheit auf die logische, nämlich auf Widerspruchsfreiheit zurück, so daß die gesamte Erfahrungswelt für ihn nichts weiter ist als eine aus Grundelementen rational konstruierbare Welt des sinnlichen Scheins. Wenn faktische Wahrheit aber mehr ist als nur Widerspruchsfreiheit und Deduzierbarkeit, dann muß die Wahrheit von unabhängigen Atomsätzen anerkannt werden, deren Wahrheit nicht mit rein innersprachlichen Mitteln gesichert werden kann, sondern durch die Existenz außersprachlicher individueller Objekte abgestützt werden muß; denn Individuelles läßt sich in seiner Individualität nicht aus allgemeinen Gesetzen herleiten. Ein Wahrheitsbegriff, der dies leistet, findet sich bei Bernard Bolzano, der dafür die Annahme einer dritten Welt, einer Welt möglicher Intensionen, benötigte. Daß solch eine Annahme keine unnötige Vervielfältigung von Entitäten bedeutet, wird deutlich an den Schwierigkeiten, die für Wittgenstein dadurch entstanden, daß er einerseits mit Freges Theorie vom Sinn sprachlicher Zeichen eine semantische Grundlage sprachlicher Zeichen anerkannte, zugleich aber einen nominalistischen Standpunkt vertrat, indem er nur Namen, nicht aber Sätzen eine Bezeichnungsfunktion zuerkannte. Bolzanos Theorie von den zwei Arten der Existenz und der durch sie begründeten Arten von Wahrheiten bedarf jedoch einer Ergänzung und einer begrifflichen Analyse dessen, was unter "Sachverhalt", "Tatsache", "Faktum", "Ereignis" und "Individuum" zu verstehen ist, was einer späteren Arbeit vorbehalten bleiben soll

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