Die Grundzüge der Moral in der zweiten Auflage der Offenbarungskritik Fichtes (1793)

Fichte-Studien 11:135-146 (1997)
  Copy   BIBTEX

Abstract

Es mag überraschen, in einer der Religion und Offenbarung gewidmeten Schrift ein einleitendes Kapitel moralischen Inhalts zu finden: Die »Theorie des Willens«, die bedeutendste Erweiterung in der zweiten Auflage der Offenbarungskritik. Die Einschiebung dieses Kapitels macht die Beziehung zwischen Moral und Religion noch deutlicher, wodurch sich Fichte auf eine charakteristische Tendenz der deutschen Aufklärung bezieht. Ein erster Grund dieser fichteschen Stellungnahme liegt in der geistigen Bildung des jungen Gelehrten, der zur moralischen Thematik und zur Begeisterung für Kants moralisches System aus einem ursprünglichen theologischen und religiösen Interesse heraus kommt: In den unmittelbar der Offenbarungskritik vorangehenden Jahren ist dieses Interesse besonders dem Problem der Gnade und der menschlichen Freiheit gewidmet. Ich beschränke mich auf die drei wichtigsten Schriften der jugendlichen fichteschen Periode, oder besser der sogenannten »vorkantischen« Periode, die Predigten An Mariä Verkündigung und Ueber die Absichten des Todes Jesu und das Fragment Einige Aphorismen über Religion und Deismus ; in all diesen Schriften ist die Annahme der sich auf den Menschen auswirkenden Gnade Gottes, die ihm Versöhnungs- und fortschreitende Annäherungsgelegenheiten zur moralischen Vollkommenheit gibt, der Bedingung unterworfen, daß der Mensch von seiner moralischen Verantwortlichkeit nicht abgehalten wird, daß er sich sozusagen nicht einer untätigen Erwartung des göttlichen Gefallens überläßt. Er soll dagegen, je nach der Wohltat, die er von Gott bekommen hat, das Bessere anstreben, und das ist auch das Kriterium, wonach Gott ihn beurteilen wird. Dieses aktive Bemühen um die eigene Rettung kann aber nur aus der Beachtung und aus dem Gehorsam gegenüber der Stimme des eigenen Gewissens, und nicht aus der Ausübung einer nur formalen Gerechtigkeit oder aus der Befolgung besonderer Kultusformen hervorgehen. Wie Fichte mit ausdrücklichem Bezug auf Paulus behauptet, wird man vor Gott nicht durch Werke gerechtfertigt, sondern durch die Ausübung eines Glaubens, der in seiner vollkommensten Form von der christlichen Religion vertreten wird und vor allem ein und dasselbe mit einer »Verfassung der Seele« ist; das führt zu jener »genauen Beobachtung unsrer eignen Seele«, die uns erlaubt, die von Gott in unsere Seele gebrachten Veranlassungen zur moralischen Besserung mit Klarheit zu erfassen. Die wahre Religion hat die Rolle, die Sinnlichkeit auszurotten und die »sanften Neigungen des Menschen, Güte, Sanftmuth, Gefälligkeit« zu erwecken: Fichte spricht von einer »Religion des Herzens«, aus dessen Güte und Wohlwollen eine »warme, lebendige Überzeugung« kommt, die auf ein inneres »Gefühl des Guten« gegründet ist und die religiöse Wahrheiten zur moralischen Triebfeder macht. In den kurz nach der Lektüre der ersten Kritik Kants geschriebenen Aphorismen ist das Gleichgewicht zwischen intellektuellen und sinnlichen Bestandteilen durch den von Fichte hervorgehobenen Widerspruch zwischen dem Gesichtspunkt des Herzens und den Forderungen der Spekulation in Frage gestellt: In der Spekulation würde man verlangen, eine rein vernünftige Erklärung des Glaubens zu geben, dessen innigste Natur aber, als der Bestrebung zu einem vertrauten und persönlichen zuerst auf die Empfindung gegründeten Verhältnis zu Gott einer solchen Beanspruchung eben nicht gerecht werden kann. Nur der von Kant herausgestellte Unterschied zwischen praktischer und spekulativer Vernunft wird Fichte die Mittel für die Überwindung dieses Widerspruchs geben, und damit auch die Möglichkeit, die Harmonie zwischen Philosophie und Religion wieder zu bestätigen: In einer bemerkenswerten Stelle der Aphorismen sieht Fichte nämlich eine völlige Übereinstimmung zwischen der kantischen Kritik und den Grundsätzen der Apostel über die Grenze der menschlichen Vernunft in den Untersuchungen der Glaubensdinge.

Links

PhilArchive



    Upload a copy of this work     Papers currently archived: 91,709

External links

Setup an account with your affiliations in order to access resources via your University's proxy server

Through your library

Similar books and articles

Analytics

Added to PP
2012-03-18

Downloads
18 (#828,704)

6 months
3 (#962,988)

Historical graph of downloads
How can I increase my downloads?

Citations of this work

No citations found.

Add more citations

References found in this work

No references found.

Add more references