Abstract
Der Beitrag diskutiert die Idee einer Substitution des Patientenwillens insbesondere in entscheidungskritischen Situationen mittels eines KI-gesteuerten ‚recommender system‘, d. h. durch Programme zur datenbasierten Unterstützung ärztlicher Therapieentscheidungen. Zentral für die Untersuchung dieser Fragestellung ist hierbei die Betrachtung der diachronen Identität des Willens und dessen Subjekts. Vor allem im klinisch-medizinischen Kontext erhält der menschliche Wille, je nach Zugriffsperspektive und Art der Zweckbestimmung, verschiedene, normativ unterschiedlich zu gewichtende Attribute („natürlich“, „autonom“, „mutmaßlich“ etc.), die zueinander in einem kaum auflösbaren Spannungsverhältnis stehen. Vor dem Hintergrund des Versuchs eines Abbaus dieser begrifflichen Spannungen soll in dem Beitrag insbesondere deutlich werden, dass jedes hybride (technische) System zur Willensinterpretation und Entscheidungsunterstützung zunächst den Lackmustest bezüglich der Frage bestehen muss, inwieweit gute Funktionalität des Systems, verlässliche Interpretierbarkeit des Patientenwillens und delegierbare Entscheidungssouveränität des Arztes (oder eines gleichrangigen Vertreters) in einer konkreten Anwendungssituation gewährleistet werden können. Erst dann ist die Behauptung gerechtfertigt, dass ‚recommender systems‘ der nicht substituierbaren Entscheidungsfindung des Arztes dienen können.